Mai Sjöwall / Per Wahlöö – Die Terroristen (Martin Beck ermittelt 10)

Prophetischer Antiterrorkampf in Stockholm

Beim Besuch eines amerikanischen Senators in der schwedischen Hauptstadt Mitte der siebziger Jahre muss die Reichspolizei eine spezielle Antiterroreinheit bilden. Internationale Terroristen der ULAG bereiten laut CIA einen Anschlag vor. Kommissar Martin Beck muss alle Hebel in Bewegung setzen, um das Bombenattentat zu vereiteln. Doch auch die besten Pläne haben oft einen Makel, wenn die Planenden einen blinden Fleck besitzen, von dem sie nichts ahnen.


Die Autoren

Maj Sjöwall und Per Wahlöö begründeten das heute so erfolgreiche Genre des Schwedenkrimis, als sie in den sechziger und siebziger Jahren ihren Kommissar Martin Beck in sozialen Problemzonen und in der hohen Politik ermitteln ließen. Alle diese Romane wurden erfolgreich verfilmt.

Per Wahlöö

Per Wahlöö, 1926 in Schweden geboren, machte nach dem Studium der Geschichte als Journalist Karriere. Seit 1946 arbeitete er als Polizeireporter. In den Fünfzigerjahren ging er nach Spanien, wurde 1956 vom Franco-Regime ausgewiesen und ließ sich nach längeren reisen, die ihn um die halbe Welt führten, in Schweden nieder und begann Bücher zu schreiben. Zusammen mit seiner Frau, Maj Sjöwall, schrieb er einen Zyklus von zehn Kriminalromanen, die zu Welterfolgen wurden. Er ist 1975 gestorben.

Maj Sjöwall

Maj Sjöwall, 1935 in Schweden geboren, studierte Journalistik und Grafik-Design. Sie und ihr späterer Ehemann Wahlöö lernten sich kennen, als sie gemeinsam für dieselben Magazine arbeiteten. Sie heirateten 1962 und arbeiteten an ihren Kriminalromanen, nachdem sie ihre beiden Kinder zu Bett gebracht hatten. Nach dem Tod ihres Mannes schrieb sie selbst keine Kriminalromane mehr, übersetzte jedoch Kriminalliteratur ins Schwedische.

Alle Kriminalromane sind in Taschenbuchformat im Rowohlt Verlag erhältlich. Wahlöö hat noch eine ganze Reihe weiterer Romane geschrieben, die zwischen Krimi und Thriller angesiedelt sind, so etwa „Mord im 31. Stock“ und „Libertad“.

Die Kommissar-Beck-Reihe „Roman om ett brott“ (dt. „Roman über ein Verbrechen“) 1965–1975

• Roseanna (1965, dt. „Die Tote im Götakanal“)
• Mannen som gick upp i rök (1966, dt. „Der Mann, der sich in Luft auflöste“)
• Mannen på balkongen (1967, dt. „Der Mann auf dem Balkon“)
• Den skrattande polisen (1968, dt. „Endstation für neun“ (BRD) und „Der lachende Polizist“ (DDR))
• Brandbilen som försvann (1969, dt. „Alarm in Sköldgatan“ bzw. „Alarm in der Sköldgatan“ (DDR))
• Polis, polis, potatismos! (1970, dt. „Und die Großen lässt man laufen“)
• Den vedervärdige mannen från Säffle (1971, dt. „Das Ekel aus Säffle“)
• Det slutna rummet (1972, dt. „Verschlossen und verriegelt“ (BRD) und „Der verschlossene Raum“ (DDR))
• Polismördaren (1974, dt. „Der Polizistenmörder“)
• Terroristerna (1975, dt. „Die Terroristen“)

Handlung

Die Story verknüpft zwei separate Stränge, so dass man leicht Gefahr läuft, den jeweils kleineren aus dem Blick zu verlieren.

Kommissar Martin Beck, Leiter der Mordkommision der Rikspolis in Stockholm, bekommt die Aufgabe übertragen, den Besuch eines US-Senators, der in etwa Monaten die Hauptstadt besuchen will, sicherheitstechnisch zu übernehmen. Doch Anfang der siebziger Jahre führen die USA noch Krieg in Südostasien und die Studenten gehen deswegen überall in Europa auf die Barrikaden. Man rechnet mit Zusammenstößen und Übergriffen. Na prächtig, denkt sich Beck.

Unterdessen wird sein Kollege Gunvald Larsson, Inspektor beim Dezernat für Gewaltverbrechen, nach Mexiko als Sicherheitsberater abkommandiert, um im Juni 1974 den Besuch eines Präsidenten und dessen Wagenkolonne zu schützen. Da dies gründlich schiefgeht, weil die Präsidentenkarosse mit Donnerschlag in die Luft fliegt, freut sich Beck schon begierig auf die Zusammenarbeit mit diesem Versager.

Er wird anstelle von Larsson zum Kopf eines operativen Kommandos zum Schutz des US-Senators befördert. Während Beck die Kontrolle über den Fernschutz behält, muss er den Nahschutz einem Mann namens Möller von der Sicherheitspolizei übergeben, der mehr von linken Spionen und Extremisten versteht als von Terroristen.

Denn Terroristen sind wirklich auf dem Weg in die schwedische Hauptstadt, wie Becks Einheit von der CIA erfährt. Die Organisation „ULAG“, die weltweit Anschläge auf Amerikaner verübt, hat vier Männer in Marsch gesetzt: einen Franzosen, zwei Japaner und den Kopf der Zelle, den südafrikanischen Ex-Söldner Reinhard Heydt. Sie besorgen sich als erstes Pläne vom Untergrund strategisch wichtiger Plätze in Stockholm. Dort wollen sie an Gasleitungen oder ähnlichem ihre Sprengsätze platzieren und per Funk fernzünden.

Zwischenspiel.

Rebecca Lindhs Leben ist vollends den Bach runtergegangen, seitdem sie von einem amerikanischen Soldaten ein Kind bekommen, ihn aber verloren hat. Obwohl Jim Cosgrove als Deserteur mit Sanktionen zu rechnen hat, fliegt er zurück in die Staaten, die weltfremde Rebecca zurücklassend. Auf Briefe an seine Eltern erhält sie erst sehr spät Antwort: Jim sei im Gefängnis, nachdem ihn verhaftet habe. Rebecca Lindh weiß nun, wer schuld ist an ihrem verpfuschten Leben: die amerikanische Regierung. Und sie gedenkt etwas dagegen zu unternehmen.

Unterdessen…

…begeht Reinhard Heydt, Topterrorist, einen winzigen Fehler. In einer Bar gabelt er eine junge Frau auf, die als Polizeianwärterin arbeitet. Sie verbringen die Nacht zusammen, doch Ruth Salomonsen kennt auch Kommissar Beck. So kommt Becks Antiterroreinheit den ULAG-Leuten auf die Spur und rückt ihnen schließlich auf den Pelz. Beck hat auch eine geniale Idee, wie er den Bombenlegern ein Schnippchen schlagen kann.

Dann ist der entscheidende Tag da. Becks Plan scheint aufzugehen, doch mit Rebecca Lindh hat niemand gerechnet.

Mein Eindruck

Die Terroristengruppe ULAG, die weltweit operiert und unterschiedlichste Angehörigen zählt, erinnert heute fatal an Osama Bin-Ladens in Zellen aufgebaute Organisation Al-Kaida. Mit einem wichtigen Unterschied: Es gibt keine religiöse Motivation für die Mitglieder und ihre Taten. Verantwortlich dafür sind lediglich der Hass auf die Amerikaner und die Israelis („Zionisten“). Dass genau der gleiche Hass aber auch quasi an der Heimatfront entstehen kann – und zwar nicht von maosistischen Splittergruppen wie in Liza Marklunds neuem Roman „Der rote Wolf“ -, kann nicht in das Kalkül von Antiterroreinheiten wie die von Beck eingehen. Es ist ein blinder Fleck, der denn auch prompt zu einer Katastrophe führt.

Der gesamten Geschichte merkt man an, wie genau und detailliert die beiden erfolgreichen Autoren recherchiert haben müssen. Die Organisation der Sicherheitskräfte ist authentisch abgebildet, das Vorgehen der Terroristen aber auch. Lediglich im doppelten Showdown spielt denn doch ein wenig Heldentum und Glück mit, um den Erfolg Becks komplett zu machen. Nun ja, soviel Freiheit darf sich die Literatur wohl herausnehmen. Immerhin gibt es bei zweiten Finale auch Opfer unter den Mannen Becks: Skakke geht zu Boden.

Der Topterrorist Heydt kam mir ein wenig sentimental vor, wenn man ihn mit heutigen Terroristen vergleicht. Er lässt sich mit einer scheinbaren „Zivilistin“ ein (Frauen, Kinder, Greise werden im Jargon alle als „Zivilisten“ bezeichnet), und er weigert sich, den Tod einer Frau in Kauf zu nehmen, obwohl der Schuss Beck erfolgreich treffen könnte. Ob dies Mangel an Realismus oder Vorstellungsvermögen seitens der beiden Autoren verrät oder nur eine gewisse Rücksichtnahme gegenüber dem Lesepublikum, wer kann das heute noch beurteilen?

Unterm Strich

Dieser Thriller braucht sich hinter keinem der heute veröffentlichten Schwedenkrimis zu verstecken. Die zahlreichen Fakten aus der Realität der in den Anfängen steckenden Terrorismusabwehr vermitteln ein gutes Gefühl beim Publikum, dass die beiden bekannten Autoren wussten, wovon sie schrieben. Zuweilen hat man eher den Eindruck, einem Protokoll der laufenden Ereignisse zu folgen als einer Erzählung.

Dass aufgrund des Mordes an Ministerpräsident Olof Palme dieser Roman prophetische Eigenschaften zugeschrieben bekam, verwundert nicht. Und wenn ich die Pläne der weltweit operierenden Al-Kaida-Anhänger gegen England, Italien, Polen usw. berücksichtigte, so ist mir einem angesichts des möglichen Szenarios bange geworden, ob es so ausgehen wird wie bei Sjöwall/Wahlöö.

Taschenbuch: 477 Seiten
O-Titel: Terroristerna, 1975,
Aus dem Schwedischen übersetzt von Eckehard Schulz.

www.rowohlt.de

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