Maj Sjöwall / Per Wahlöö – Alarm in Sköldgatan (Martin Beck ermittelt, Band 5)

Das explodierende Haus und andere Überraschungen

Als das Haus in der Sköldgatan um 23:09 Uhr explodiert, ist Inspektor Gunvald Larsson zufällig zur Stelle. Er hat es bzw. einen seiner zwielichtigen Bewohner observiert. Der Hüne fackelt nicht lange: Es gelingt ihm, acht der elf Bewohner zu retten. Die Frage ist natürlich: War das ein Unglück, ein Selbstmord oder kaltblütiger Mord? Als die Spurensicherung die Reste eines Brandsatzes findet, müsste Kommissar Beck eigentlich eine Fahndung ausschreiben. Aber nach wem soll er suchen lassen? (Verlagsinfo)

Dies ist der fünfte Band der verfilmten Serie um den schwedischen Kommissar Martin Beck. Der deutsche Titel ist nicht korrekt, denn Sköldgatan ist kein Stadtteil oder Ort, sondern eine Straße. Korrekt müsste es daher – wie in der DDR-Ausgabe – „in der Sköldgatan“ heißen. Das wird wichtig, weil es nämlich ZWEI Alarme gegeben hat, wie Becks Team konsterniert herausfindet.

Die Autoren

Maj Sjöwall und Per Wahlöö begründeten das heute so erfolgreiche Genre des Schwedenkrimis, als sie in den sechziger und siebziger Jahren ihren Kommissar Martin Beck in sozialen Problemzonen und in der hohen Politik ermitteln ließen. Alle diese Romane wurden erfolgreich verfilmt.

Per Wahlöö

Per Wahlöö, 1926 in Schweden geboren, machte nach dem Studium der Geschichte als Journalist Karriere. Seit 1946 arbeitete er als Polizeireporter. In den Fünfzigerjahren ging er nach Spanien, wurde 1956 vom Franco-Regime ausgewiesen und ließ sich nach längeren reisen, die ihn um die halbe Welt führten, in Schweden nieder und begann Bücher zu schreiben. Zusammen mit seiner Frau, Maj Sjöwall, schrieb er einen Zyklus von zehn Kriminalromanen, die zu Welterfolgen wurden. Er ist 1975 gestorben.

Maj Sjöwall

Maj Sjöwall, 1935 in Schweden geboren, studierte Journalistik und Grafik-Design. Sie und ihr späterer Ehemann Wahlöö lernten sich kennen, als sie gemeinsam für dieselben Magazine arbeiteten. Sie heirateten 1962 und arbeiteten an ihren Kriminalromanen, nachdem sie ihre beiden Kinder zu Bett gebracht hatten. Nach dem Tod ihres Mannes schrieb sie selbst keine Kriminalromane mehr, übersetzte jedoch Kriminalliteratur ins Schwedische, v.a. Ed McBain.

Alle Kriminalromane sind in Taschenbuchformat im Rowohlt Verlag erhältlich. Wahlöö hat noch eine ganze Reihe weiterer Romane geschrieben, die zwischen Krimi und Thriller angesiedelt sind, so etwa „Mord im 31. Stock“ und „Libertad“.

Die Kommissar-Beck-Reihe

1965–1975 Roman om ett brott (dt. „Roman über ein Verbrechen“)

• Roseanna (1965, dt. „Die Tote im Götakanal“)
• Mannen som gick upp i rök (1966, dt. „Der Mann, der sich in Luft auflöste“)
• Mannen på balkongen (1967, dt. „Der Mann auf dem Balkon“)
• Den skrattande polisen (1968, dt. „Endstation für neun“ (BRD) und „Der lachende Polizist“ (DDR))
• Brandbilen som försvann (1969, dt. „Alarm in Sköldgatan“ bzw. „Alarm in der Sköldgatan“ (DDR))
• Polis, polis, potatismos! (1970, dt. „Und die Großen lässt man laufen“)
• Den vedervärdige mannen från Säffle (1971, dt. „Das Ekel aus Säffle“)
• Det slutna rummet (1972, dt. „Verschlossen und verriegelt“ (BRD) und „Der verschlossene Raum“ (DDR))
• Polismördaren (1974, dt. „Der Polizistenmörder“)
• Terroristerna (1975, dt. „Die Terroristen“)

Handlung

Man schreibt den 7. März 1968, als Inspektor Gunvald Larsson von der Mordkommission der Reichskripo in der Sköldgatan eintrifft. Der Wind ist schneidend kalt, der Boden schneebedeckt. Larsson löst den bereits bibbernden Polzisten Zachrisson ab, der bereits drei Stunden lang das einzige Haus in dieser kleinen Straße observiert hat, die eher wie ein Feldweg aussieht und die Adresse „Ringvägen 37“ trägt. Zachrisson geht dankbar zur Maria-Polizeiwache, um einen heißen Kaffee zu trinken.

Der Held

An seiner Stelle observiert Larsson das mehrstöckige Mietshaus, in dem sämtliche Fenster dunkel sind. Der Uhrzeiger nähert sich der Mitternacht, und seit der Ablösung ist erst eine gute halbe Stunde vergangen, da explodiert das Haus förmlich. Gunvald meint zu sehe, wie sich der Dachstuhl vom Rest des Haus hebt, so gewaltig ist der Luftdruck. Ist ein Gasleck schuld, von einem Funken ausgelöst? Keine Zeit nachzudenken: Larsson spurtet los – direkt auf die Flammen zu, die aus dem ersten und obersten Stock schlagen. Die Bilanz seiner Anstrengungen kann sich sehen lassen: Acht von elf Bewohnern kann er aus dem Brand retten, bevor die Dachbalken alles unter sich begraben. Aber wieso haben sich die restlichen drei nicht einmal gerührt und geschrien?

Zwei Alarme

Zachrisson hat die Feuerwehr gerufen. Seltsamerweise kommt sie erst nach einer Viertelstunde, zusammen mit Ambulanz und Polizei. Wie Larsson später herausfindet, hat es nämlich bei der lokalen Feuerwehr ZWEI Alarme gegeben. Aber weil der erste Anrufer die missverständliche Adresse „Ringvägen37“ statt „Sköldgatan“ angab, fuhr die Feuerwehr erst in die gleichnamige Straße in Sundbybergen, wo natürlich nichts los war. Erst als Zachrisson aus der Telefonzelle anrief, konnte die Disponentin den Feuerwehrzug an die korrekte Stelle schicken. Die Frage ist natürlich: Wer wusste denn schon im Moment der Explosion, dass es einen Brand gab, wenn doch im Haus alle schliefen und nur Larsson vor Ort war?

Bis man sich in der Mordkommission unter Leitung von Kommissar Beck diese entscheidende Frage stellen kann, vergehen mehrere Wochen. So lange dauert es nämlich, bis die Klinik den schwer in Mitleidenschaft gezogenen Gunvald Larsson entlässt und er seinen wohlverdienten 14-tägigen Urlaub genommen hat.

Verbrecher

Martin Beck beginnt also ganz von vorne. Der Grund für Larssons Observierung des Hauses in der Sköldgatan war Malm. Malm ist ein kleiner Fisch unter Stockholms Verbrecher, aber leider ein regelmäßig auftauchender: ein Autodieb, Alkoholschmuggler, eventuell Drogendealer. Aber er arbeitet eng mit Bertil Olofsson zusammen, und der ist eine ganze Nummer größer. Der ist der Autohehler mit den Verbindungen bis nach Polen. Man müsste ihn dringend befragen, wo er in der fraglichen Brandnacht war. Das Problem ist allerdings: Olofsson scheint wie vom Erdboden verschluckt.

Schlaf bei den Fischen

Während die Rechtsmedizin der Reichskripo herauszufinden versucht, ob Malm, dessen Lunge keinerlei Spuren von Rauch und Ruß aufweist, schon vor der Explosion tot war, kommt Martin Beck Kommissar Zufall zu Hilfe: Er erhält einen Anruf von seinem geschätzten Kollegen Mansson, der in Malmö arbeitet (siehe dazu „Die Tote im Götakanal“). Apropos Fische: Zwei Jungs haben ein altes Auto entdeckt, das in einem Kanal des Industriehafens von Malmö versenkt wurde. Versenkt? Genau. Es sitzt nämlich noch eine Leiche drin. Und dreimal darf Beck raten, wessen Leiche das ist.

Offene Fragen

Nach einigen Wochen gelingt es Beck, drei Fragen zu notieren: 1) Für welche internationale Verbrecherorganisation arbeitete der bei den Fischen entschlafene Bertil Olofsson? 2) Wer platzierte den professionellen Brandsatz unter Malms Matratze, einen Brandsatz Marke „Algerienkrieg“? 3) Und wer alarmierte die Feuerwehr als erster und wies die Truppe aufgrund seiner mangelhaften Ortskenntnisse in den falschen Stadtteil? Als Larsson Becks zwingende Schlussfolgerung hört, erklärt er seine Kollegen für verrückt…

Mein Eindruck

Wie schon in „Die Tote im Götakanal“ folgt die Erzählung den Ermittlungsschritten bei den Kriminalern. Das Vorbild dafür fand Maj Sjöwall in Ed McBains Romane über das 87. Polizeirevier, die sie übersetzte. Deshalb ist die Ermittlung Teamarbeit, ein allwissender Detektiv wie Hercule Poirot oder Nero Wolfe fehlt. Das Team ermittelt in mehreren Richtungen und kommt so in Kontakt mit der rasch sich wandelnden Realität des modernen Schweden.

Larsson

Da ist der hünenhafte Gunvald Larsson, der sich hartnäckig die Frage stellt, auf die kein anderer kommen würde: Woher kam der Funke, der das Haus exakt um 23:09 Uhr explodieren ließ? Seine bohrenden Fragen stören die Rechtsmedizin ebenso auf wie das kriminaltechnische Labor. Es finden sich Ungereimtheiten und Dinge, die normalerweise nicht in einem unbescholtenen Haus zu finden sind – eine Brandbombe mit Zeitzünder etwa.

Außerdem finden sich ein Alkohol schmuggelnder Selbstmörder, dessen Vorräte an Gas und Schnaps ausreichten, um bei Entzünden das Dach anzuheben. Des Weiteren finden sich mehrere Frauenzimmer, die man nur als Prostituierte bezeichnen kann. Eines davon war erst vierzehn Jahre alt. Er folgte einem Mädchen, das er gerettet: Sie ist erst 16 und lädt ihn sofort dazu ein, sich ihres Körpers zu bedienen. Obwohl Gunvald Larsson nicht gerade der weltbeste Daddy ist, liest er ihr doch gehörig die Leviten.

Björn Skacke

Skacke ist der Neue im Team und wird dementsprechend von gewissen Zynikern heruntergeputzt und veräppelt. Aber sie unterschätzen seinen Ehrgeiz: Er will Polizeipräsident werden. Gewissenhaft und ohn‘ Unterlass putzt er in der Wohngegend, aus der der erste, fehlgeleitete Alarm kam, die Klingeln und stößt auf eine betagte Vermieterin, die ihr von einem ausländischen Gast berichtet, der verdächtig nach gedungenem Attentäter klingt. Und der wolle schon bald wieder zurückkehren.

Zusammen mit Kollberg, dem Oberzyniker, begibt sich Skacke zur Befragung dieses Herrn an den Airport. Die Begegnung verläuft völlig anders als erwartet. Danach liegt der „Gast“ zusammen mit Kollberg am Boden und Skacke fragt sich, ob beide überleben werden. Kein guter Einstieg für einen ambitionierten Einsteiger wie Skacke.

Melander & Mansson

Melander ist mit einem eidetischen Gedächtnis gesegnet. Seine Berichte sind gespickt mit dreimal geprüften Einzelheiten und Fakten, er übersieht keine Unstimmigkeit oder Lücke: ein menschlicher Computer, ein Mentat. Diese Fähigkeit macht ihn für Becks Team nahezu unentbehrlicher. Leider ist er auch sehr phlegmatisch und durch nichts aus der Ruhe zu bringen, was so manchen Kollegen die Wände hochgehen lässt.

Kommissar Mansson in Malmö ist da schon viel zugänglicher. Mit ihm hat Beck am Roseanna-Fall („Die Tote im Götakanal“) zusammengearbeitet und sie kommen bestens miteinander klar. Mansson hat aus dem Flugzeug einen guten Überblick über Südschweden (also Schonen) und Dänemark und fragt sich: Wozu eigentlich bloß Schonen und Malmö abklappern, wenn sich doch Bertil Olofsson genauso gut in Kopenhagen hat verstecken können? Dort wird er endlich fündig.

Kvant & Kristiansson

Diese beiden Streifenpolizisten Kvant & Kristiansson sind das klassische Idiotengespann à la „Dick und Doof“. Wie schon in „Endstation für Neun“ (siehe meinen Bericht) müssen sie auch diesmal ertragen, dass man ihnen völliges Versagen vorwirft. Aber das sind sie ja gewöhnt. Immerhin trägt ihr kurzer Auftritt zu einer gewissen Situationskomik bei, die den Roman auflockert.

Unterm Strich

Schweden ist keine Insel mehr und liegt im Fadenkreuz ausländischer Verbrecherorganisationen. Aber ist die schwedische Kriminalpolizei dafür gerüstet, es mit Mafia & Co. aufzunehmen? Mitnichten! Das ist die eigentliche, relativ niederschmetternde Botschaft dieses klassischen Martin-Beck-Krimis. Von Computern findet sich keine Spur, es sei denn, man zählt Melander dazu. Die Telefone funktionieren immerhin, aber kaum eine Behörde ist vernetzt, und so sind alle auf die Berichte angewiesen, die irgendein Schlaukopf (wie Melander) erstellt und zur Verteilung eingereicht hat.

Vor diesem Hintergrund wirken die menschlichen Aktivitäten der Ermittler in Becks Team geradezu anrührend. Larsson, der heldenhafte Retter, Skacke, der ambitionierte Grünschnabel, und Mansson, der schlitzohrige Inspektor, der in Kopenhagen auf verbotenen Pfaden wandelt – schließlich ist Dänemark ja Ausland.

Dann ist da noch das liebe Privatleben: Kollberg ist (immer noch oder schon wieder) scharf auf seine wesentlich jüngere Frau Gun, und in Becks Ehe kriselt es dermaßen, dass er lügt wie gedruckt, um mal ein ruhiges Wochenende zu erleben. Auch Urlaub muss pünktlich und rechtzeitig genommen werden. Monate vergehen, bis der Fall abgeschlossen werden – mit oben erwähntem Showdown am Flughafen. Wir schreiben zwar die wilden sechziger Jahre, aber es geht alles immer noch seinen braven sozialistischen Gang. Nicht mehr lange, wenn es nach den beiden Autoren ginge, die kräftig am Stuhl der Sozi-Regierung sägen.

Für den Krimiliebhaber sind die zehn zusammenhängenden Krimis von Sjöwall/Wahlöö nach wie vor ein Muss. „Alarm in [der] Sköldgatan“ habe ich in nur zwei Tagen ausgelesen. Sicher ginge es auch schneller, aber einen guten Wein kippt man ja auch nicht hinunter, sondern genießt ihn, so lange es geht.

Hinweis

2008 erschien der Roman in neuer Übersetzung und mit einem Vorwort von Leif GW Persson.

Taschenbuch: 183 Seiten
Info: Brandbilen som försvann, 1969; Rowohlt, 1972, Reinbek
Aus dem Schwedischen von Eckehard Schultz
www.rowohlt.de

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