Claudio Michele Mancini – Mala Vita

Handlung:

Roberto Cardone ist zutiefst geschockt: Gerade erst ist er sicher, die Frau seines Lebens getroffen zu haben, als ein Anruf seines besten Freundes und Mitbewohners Carlo ihn völlig aus der Bahn wirft. Entsetzt verfolgt Roberto in den Medien die Inszenierung der Hinrichtung seines Bruders Enrico, der vor laufenden Kameras erdrosselt wird. Nur kurz darauf überschlagen sich die Ereignisse: Die Kanzlei des ermordeten Rechtsanwalts wird fluchtartig geräumt, Akten werden vernichtet und Spuren verwischt. Roberto reist selber von Bologna nach Palermo, um sich vor Ort ein Bild zu machen, entdeckt aber nichts als Rätsel.

Derweil haben auch die Agenten einer Anti-Mafia-Gruppierung die Spur aufgenommen, sehen sich aber von internen politischen Machtspielen gebremst. Besonders der stürmische Commissario D’Aventura, der bereits hochrangige Gestalten aus der High Society in den Fall verwickelt sieht, rennt mehrfach gegen eine Wand aus Lügen und stur aufrechterhaltenen Hierarchien, bevor er Notiz von Cardones Bruder, einem unauffälligen Schriftsteller aus der Studentenmetropole Bologna, nimmt.

Dieser wiederum hat längst in Erfahrung gebracht, dass Enrico in einige nebulöse Geschäfte mit der Mafia verstrickt ist und größere Geldsummen in die Karibik verschifft hat. Kurz entschlossen beruft sich Roberto auf das Testament und reist nach Antigua, um einen stattlichen Millionenbetrag abzukassieren. Doch der aufrichtige Cardone-Bruder hegt zu große Zweifel, als dass er blind ins Millionenerbe rennt. Längst haben die Paten ihre Killer auf Roberto angesetzt – denn für einige namhafte italienische Bürger steht ihre Ehre, ihre Reputation und sogar ihr Leben auf dem Spiel …

Persönlicher Eindruck:

Mafia-Thriller sollten sich in erster Linie durch eines auszeichnen: eiskalte, in ihrem Fanatismus unberechenbare Charaktere, die das Treiben in den finsteren Regionen Siziliens authentisch und realistisch widerspiegeln. Zur Verwirklichung dieses Anspruchs legt Claudio Michele Mancini in seinem aktuellen Werk „Mala Vita“ ziemlich furios los. Eine kurze Rückblende ins vorletzte Erzähljahrzehnt berichtet von einem brutalen Familienmord, der jedoch im weiteren Verlauf des Romans völlig totgeschwiegen wird. Zugleich wird ein faszinierendes Mysterium geschaffen, das ständig präsent ist, in der Aufarbeitung des Mordfalls aber komplett ausgeblendet wird, und das ohne sichtbare Erklärung.

Dementsprechend sind die Startsequenzen ein wenig verwirrend, zumal die dichte Atmosphäre trotz der ziemlich ausschweifenden Inszenierung des Mordes alsbald schwindet. Gerade in den ersten Zügen gestaltet sich „Mala Vita“ über weite Strecken wie ein klassischer Kriminalroman, dem aber leider die Rätselelemente fehlen, da die Rollenverteilung bis auf Weiteres keine konkreten Fragen aufbaut. Erst im letzten Abschnitt wirft Mancini einige clevere Wendungen ein und verschiebt das Grundgerüst der Story noch einmal entscheidend, um die nicht immer ausgefüllte Spannungskurve nicht kippen zu lassen. Doch der Weg zum Ziel, nämlich einen anspruchsvollen, spannenden und zugleich auch sehr intensiven Mafia-Thriller zu stricken, ist nicht immer harmonisch und mitreißend. Dafür geschehen in „Mala Vita“ schlicht und einfach zu viele Dinge, die zu gewöhnlich und in ihrer Darstellung zu simpel aufgearbeitet sind.

Andererseits liest sich die Geschichte des Deutsch-Italieners flüssig und ohne echte Logik- und Gedankensprünge. Die Personen und ihr Handeln sind durchweg nachvollziehbar in Szene gesetzt, die kurzen Umbrüche erfüllen ihren Zweck, und auch wenn das Ende eigentlich schon lange vorher abzusehen ist, ist der Unterhaltungswert mehr als akzeptabel. Letzteres hat man vor allem der Tatsache zu verdanken, dass Mancini sehr fundiert recherchiert hat und den gewaltigen Komplex des sizilianischen Verbrechens mit all seiner Tragweite richtig gut präsentiert. Die Mafia, so grausam und brutal, wie sie den Alltag im Süden Italiens gestaltet, wird authentisch gespiegelt und detailreich portraitiert. Gerade in dieser Hinsicht erfüllt der Autor die Erwartungen an diesen Roman voll und ganz.

Lediglich die Geschichte selber kommt an einigen Stellen nicht so recht in Schwung und könnte dort etwas lebendiger sein. Mancini macht dies größtenteils durch seinen feinen Stil und seinen ansprechenden Hang zur Dramaturgie wett – aber bis zum Schluss hat er sich selbst einige Stolpersteine in den Weg gelegt, um „Mala Vita“ zum Bestseller-Format zu führen. Schade eigentlich, denn vieles, was Mancini hier anbietet und verarbeitet, weist Potenzial für einen solchen auf!

Der Autor:

Claudio Michele Mancini wurde kurz nach Kriegsende als Sohn einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters geboren und wuchs in der Provinz Verbania am Lago Maggiore auf. 1964 machte er auf einer Klosterschule sein Abitur, studierte in München Psychologie und arbeitete danach als Dozent und Unternehmensberater in Frankreich, Italien, Deutschland und den USA. Bekannt wurde er durch sein Romandebüt „Infamità“, das 2006 erschien. Seit dem Jahr 2006 lebt und arbeitet Mancini in einem kleinen Dorf an der Saône in der Franche Comté, im Osten Frankreichs.

491 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-426-19849-0
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