Mankell, Henning – Brandmauer, Die

Kriminalromane sind in Deutschland so populär wie nie zuvor, und besonders schwedische Krimis stehen auf der Beliebtheitsskala dank Henning Mankell ganz weit oben. Der größtenteils in Afrika lebende Autor hat mit Kurt Wallander einen Kommissar geschaffen, der an Authentizität möglicherweise unübertroffen ist. Bei der „Brandmauer“ („Brandvägg“, 1998) handelt es sich leider um den letzten Fall, den Kurt Wallander in Ystad zu lösen hat.

_Wallander wird alt_
Inzwischen hat Kurt Wallander das stolze Alter von 50 Jahren erreicht, sodass ihm nur noch etwa zehn Jahre bis zur lang ersehnten Pensionierung bleiben. Einst war er mit Mona verheiratet, doch bereits vor „Mörder ohne Gesicht“ hatten die beiden sich getrennt. Aus der Ehe geblieben ist Wallander seine Tochter Linda, zu der er ein sehr wechselhaftes Verhältnis hat; mal verstehen die beiden sich blendend, mal scheint Linda ihrem Vater völlig entrückt zu sein. Wallander ist kein großer Held, er wird eher von vielen Zweifeln geplagt, ob sein Beruf wirklich noch das Richtige für ihn und er den immer schwierigeren Belastungen noch gewachsen ist. Bei Wallander wurde unlängst Diabetes diagnostiziert, sodass er inzwischen seinen Lebenswandel umstellen musste. Mittlerweile hat er etwas abgenommen und sich tägliche Spaziergänge zur Gewohnheit gemacht, aber auch das macht ihn nicht viel glücklicher, Wallander fühlt sich einsam, denn auch seine Beziehung zu Baiba Liepa, die in Riga lebt, ist in die Brüche gegangen, sein ehemals bester Freund Sten Widen will auswandern und auch sein exzentrischer Vater ist inzwischen gestorben. Was bleibt ihm noch?

_Mord oder Selbstmord – das ist hier die Frage_
Zu Beginn lernt der Leser kurz Tynnes Falk kennen, der sorgfältig seinen Tagesablauf notiert und eines Abends noch einmal spazieren gehen will. Er holt am Bankautomaten einen Kontoauszug und denkt, dass alles in Ordnung ist. Doch danach kann er sich an nichts mehr erinnern. Kurz darauf wird seine Leiche vor dem Bankautomaten aufgefunden.

Fast zur gleichen Zeit wird ein Anschlag auf den Taxifahrer Lundberg verübt. Zwei junge Mädchen, nämlich die neunzehnjährige Sonja Hökberg und die erst vierzehnjährige Eva Persson, überfallen den Taxifahrer, schlagen ihm mehrmals mit einem Hammer auf den Kopf und stechen ihm ein Messer in die Brust. Kurze Zeit später erliegt Lundberg seinen schweren Verletzungen und Wallander ist entsetzt angesichts der brutalen Gewalt, mit der die beiden jungen Mädchen vorgegangen sind. Schnell gestehen die beiden ihre Tat, zeigen allerdings keine Reue. Warum bloß haben sie den unschuldigen Taxifahrer angegriffen?

Wallander versteht die Welt nicht mehr, was ist passiert, dass junge Frauen so eiskalt sein können? Bald darauf kann Sonja Hökberg aus ihrer Haft fliehen, gleichzeitig zieht Eva Persson ihr Geständnis zurück. Dann fällt in Ystad der Strom aus und eine verkohlte Leiche wird in der Transformatorstation gefunden. War es Selbstmord oder Mord? Wie konnte die Tür zum Häuschen aufgeschlossen werden, obwohl die Schlüssel nur wenigen Menschen zugänglich sind? Wie hängen all diese mysteriösen Todesfälle zusammen? Wallander und seine Kollegen tappen im Dunkeln. Gleichzeitig gibt Wallander eine Kontaktanzeige auf, um vielleicht eine Frau kennen zu lernen. Zunächst ist er skeptisch, aber vielleicht wird ihm doch eine Frau antworten …

_Mankell-Wallandersche Betrachtungen_
Für mich ist und bleibt Henning Mankell ein echtes Phänomen. Seine Krimis sind absolute Weltspitze und reißen den Leser von Beginn an mit, selten habe ich spannendere Bücher gelesen. Auch hier steigen wir mitten in die Geschichte ein und schon im ersten Kapitel kommt Tynnes Falk ums Leben. Die Polizei steht vor einem Rätsel, denn Falks Todesursache bleibt lange Zeit im Dunkeln. Gleich am Anfang überschlagen sich die Ereignisse, denn sowohl zum Thema Tynnes Falk gibt es schnell neue Erkenntnisse, wie auch im Fall um Sonja Hökberg. Um den Leser und seine Aufmerksamkeit an keiner Stelle zu verlieren, baut Mankell regelmäßig Cliffhanger ein. Oftmals hängt Wallander seinen Gedanken nach:

|“Er konnte seinen Gedankengang nicht klar zu Ende denken. Aber er wusste, dass er wichtig war.“|

Als Leser könnte man Wallander dann nur zu gern am Kragen packen und schütteln, um seinen Denkprozess voranzutreiben, denn diese Ungewissheit ist kaum auszuhalten.

Einmal streut Mankell die Information ein, dass Wallander einen so schwerwiegenden Fehler begeht, dass er später immer wieder daran zurückdenken muss. Wallander befürchtet, an einem weiteren Todesfall schuldig zu sein und man fiebert der Auflösung dieses Fehlers entgegen, auf die man allerdings fast bis zum Schluss des Buches warten muss.

|“Später sollte Wallander stets denken, dass er an jenem Nachmittag, als er in seinem Büro saß und Ann-Britt zuhörte, einen der größten Fehler seines Lebens begangen hatte. Als sie von ihrer Entdeckung berichtete, dass Sonja Hökberg sehr wohl einen Freund gehabt hatte, hätte er sogleich begreifen müssen, dass an der Geschichte etwas faul war. Ann-Britt hatte nicht die ganze Wahrheit ausgegraben, sondern nur die halbe. Und halbe Wahrheiten haben, wie er wusste, die Tendenz, sich in ganze Lügen zu verwandeln. Er sah nicht, was er hätte sehen müssen. Sein Fehler musste teuer bezahlt werden. In finsteren Stunden dachte Wallander, dass sein Versagen zum Tod eines Menschen beigetragen hatte. Und es hätte dazu führen können, dass eine andere Katastrophe tatsächlich eingetreten wäre.“|

Der Spannungsbogen ist wieder nahezu perfekt gelungen, die letzten 350 Seiten habe ich praktisch an einem Stück gelesen, weil ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Mankell bräuchte meiner Meinung nach gar keine Cliffhanger, um seine Leser bei Laune zu halten, seine Geschichten wären auch ohne sie spannender als die meisten anderen Kriminalfälle. Interessant ist bei der „Brandmauer“ darüber hinaus, dass scheinbar gar nicht zusammenhängende Fälle doch miteinander verwoben sind. Mal gibt es neue Erkenntnisse zum einen Fall, dann wieder welche zum anderen Fall, doch erfährt man bis kurz vor Schluss nicht die wahren Zusammenhänge und ist dadurch ständig am Miträtseln. Sehr verwirrend war auch, dass Wallander zwischendurch ab und an Spuren verfolgt, die logisch klingen und Wallanders berühmter Intuition entspringen, die aber dennoch in eine falsche Richtung weisen. Als Leser kann man also nie sicher sein, ob man sich auf der richtigen Spur befindet. Mankell spielt gerne mit den Informationen über die Täter und ihre Motive, so ist der Leser oftmals der Kriminalpolizei einen Schritt voraus. An einer Stelle erfahren wir einige Kleinigkeiten über den Drahtzieher hinter den Morden und lernen einen Komplizen kennen. Wallander dagegen ist ahnungslos und weiß nicht, wem er trauen kann und wem nicht. Das führt dazu, dass man Wallander in sein Verderben rennen sieht und immer weiter hoffen muss, dass er noch rechtzeitig bemerken wird, wer die Komplizen des Drahtziehers sind.

_Faszination Wallander_
Wieder einmal steht Kurt Wallander im Mittelpunkt des Geschehens. Mankell legt stets viel Wert auf die Charakterzeichnung seines nicht-perfekten Krimihelden. In diesem Fall hadert Wallander mit sich und seiner Einsamkeit. Am liebsten würde er ausbrechen aus seinem Alltag und seine Arbeit hinschmeißen, wie es auch andere seiner Bekannten getan haben. Zudem fühlt er sich einsam, da ihm die Frau an seiner Seite fehlt. Als Linda ihm dann eine Kontaktanzeige vorschlägt, ist Wallander zunächst skeptisch, gibt dann aber schweren Herzens doch eine auf. Ein wenig Bergauf geht es mit seiner Gesundheit, denn Wallander hat etwas abgenommen und mit dem Rauchen aufgehört. Gewann man in anderen Fällen noch den Eindruck, dass Wallander auch ein kleines Problem mit dem Alkohol hat, scheint er dieses inzwischen in den Griff bekommen zu haben. In jedem Wallanderkrimi kommen neue Mosaiksteinchen hinzu, die das Bild unseres Krimihelden immer weiter vervollständigen, sodass dieses im Laufe der Reihe immer detaillierter wird. Dadurch wächst einem Wallander richtig ans Herz, man leidet mit ihm mit, wenn er sich einmal mehr einsam und verlassen fühlt oder er es wieder nicht schafft, seine Wäsche zu waschen (dieses Mal bringt er das allerdings einmal zustande!). Wallander wird einem zunehmend sympathischer, je mehr man über ihn liest, zumindest ging das mir so und auch allen, mit denen ich bisher darüber gesprochen habe.

Mankell schafft es sogar im Laufe der gesamten Krimireihe, auch seine anderen Figuren immer weiter auszubauen, so werden darüber hinaus Wallanders Kollegen besser vorgestellt, besonders über Martinsson wird man in der „Brandmauer“ einige interessante Dinge erfahren. Ann-Britt Höglund erlebt in diesem Roman ähnlich wie Wallander zuvor persönliche Schicksalsschläge und wird immer mehr zu seiner Lieblingskollegin.

Neben der ausführlichen Charakterzeichnung der handelnden Personen ist eine weitere Besonderheit der Mankell-Krimis die meist enthaltene „Botschaft fürs Leben“; so wird auch hier wieder ein Problem behandelt, das die heutige Gesellschaft kritisieren soll. In seinem Nachwort schreibt Mankell dann auch, dass er sich vorstellen könne, dass dies durchaus so geschehen könnte, wie er es für seinen Krimi erfunden hat. Im Mittelpunkt stehen dieses Mal nicht politische Missstände, sondern die Verwundbarkeit der heutigen Gesellschaft. Was man darunter genau zu verstehen hat, wird ausführlich im Buch beschrieben, würde hier aber zu viel verraten. Ich persönlich fand die Idee nicht schlecht, dieses Problem aufzugreifen, auch wenn „Die Brandmauer“ dadurch vielleicht nicht ganz das Gewicht erhält wie zum Beispiel „Die weiße Löwin“. Am Ende war ich dann doch ein ganz klein wenig enttäuscht, dass nicht mehr hinter den Ereignissen steckte, aber das ist natürlich Geschmackssache.

Obwohl in jedem der Wallander-Krimis ein neuer Fall aufgeklärt werden muss, ist es doch wichtig, dass man die Bücher in chronologischer Reihenfolge liest, denn Mankell spielt in allen seinen Büchern auf bereits vergangene Ereignisse an. Dieses Mal geht er sogar ein Stück weiter und deutet diese nicht nur an, sondern beschreibt recht ausführlich den Täter aus „Die falsche Fährte“. Unfreiwillig werden dem Leser neben dem Mörder auch einige seiner Opfer und sein Motiv verraten, hier verrät Mankell so viel wie nie zuvor über einen vergangenen Krimi.

_Was am Ende übrig bleibt_
Insgesamt ist Henning Mankell mit der „Brandmauer“ ein mehr als solider Krimi gelungen, der spannender ist als die Romane seiner skandinavischen Kollegen, allerdings nicht ganz heranreichen kann an „Die weiße Löwin“ oder auch „Mittsommermord“, dennoch ist der Fall wieder hochspannend und brisant. Das Buch unterhält gut und man kann es praktisch kaum noch aus der Hand legen, wenn man erst einmal damit angefangen hat.

Deutsche Wallanderseite: http://www.wallander-web.de/