Henning Mankell / Rainer Clute – Begegnung am Nachmittag (Hörspiel)

Henning Mankell ist nicht nur einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Neuzeit, sondern auch einer der vielseitigsten. Einen Namen gemacht hat er sich mit seiner legendären Krimireihe rund um den kauzigen Kommissar Kurt Wallander, den Millionen Krimifans weltweit ins Herz geschlossen haben. In seinen gefühlvollen Romanen über Afrika verarbeitet Mankell, der mehr als die Hälfte des Jahres in Mosambik lebt, seine Erlebnisse auf dem schwarzen Kontinent. Dass er auch ein exzellenter Menschenkenner ist, beweist er in der neuen Hörspielproduktion, in der Nadja Tiller und Walter Giller die Sprecherrollen übernommen haben.

Ich kenne dich nicht mehr

Sechzig Jahre sind die beiden verheiratet, doch seit 23 Jahren (oder auch seit 24, da sind die beiden sich nicht mehr so sicher) leben sie voneinander getrennt. Doch nun hat sie beschlossen, dass sie als geschiedene Frau sterben möchte. Der Gedanke, bei ihrem Tod noch mit einem Mann verheiratet zu sein, der ihr dermaßen fremd geworden ist, erscheint ihr unerträglich. Daher besucht sie ihn – die Scheidungspapiere im Gepäck.

Kaum ist sie bei ihm in der Wohnung angekommen, geraten die beiden auch schon in Streit. Sie streiten darüber, seit wie vielen Jahren sie voneinander getrennt leben, und können sich doch nicht auf das Jahr einigen. 1940 hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht, nun sind beide älter als 80 und denken über den Tod nach. Sie sprechen über die Medikamente, die sie nehmen müssen, aber schnell versuchen sie herauszufinden, warum ihre Ehe damals gescheitert ist. Und erst zu diesem Zeitpunkt sprechen sie ehrlich miteinander – gut, sie schmeißen sich auch einiges an den Kopf, um den anderen zu verletzen, doch erst jetzt kommen Wahrheiten auf den Tisch, die beide seit Jahrzehnten mit sich herumgetragen haben, die sie zerfressen haben und die beiden vielleicht schon vor zig Jahren aus dem Weg hätten räumen können, um dann weiter glücklich bis ans Ende ihrer Tage zusammenzuleben.

Sie wirft ihm vor, dass er sie nie sexuell anziehend gefunden habe. Ständig fühlte sie sich zurückgewiesen. Da lag sie im Bett, während er ihr die kalte Schulter zeigte. Die fehlende Aufmerksamkeit musste sie sich anderswo holen, doch endlich erzählt er ihr, welche Kleinigkeit im Grunde genommen es war, die sein Verlangen damals abgetötet hat.

Voller Zorn wegen der aufgestauten Gefühle, wegen der Verletzungen, die beide sich zugefügt haben, streitet das (Noch-)Ehepaar miteinander, um aber immer handzahmer zu werden. Als er sich schließlich nicht gut fühlt und sich kurz hinlegen möchte, verspricht sie, erst zu gehen, wenn er wieder wach ist. Und er schläft auf ihrem Schoß ein …

Bis dass der Tod uns scheidet

In diesem 66-minütigen Hörspiel stehen zwei Menschen im Mittelpunkt, die sich schon seit dem Zweiten Weltkrieg kennen und lieben. Doch haben sie zwischendurch vergessen, was sie am anderen einst liebten. Die Ärgernisse wurden zu viel und er konnte einfach nicht mehr mit ihr zusammenleben. Und so haben sie sich getrennt, aber doch nicht scheiden lassen. Wieso haben die zwei sich eigentlich nicht scheiden lassen? Aus Bequemlichkeit? Weil es nicht so wichtig war? Oder weil sie sich insgeheim doch noch lieben? Um diese Frage und viele mehr geht es in dem klärenden Gespräch eines alten Ehepaares.

Henning Mankell lässt zwei Personen auftreten, von denen wir in der einen Stunde nicht einmal den Namen erfahren, aber doch so viel mehr. Die beiden stehen stellvertretend für die vielen anderen Menschen, die in Beziehungen oder Ehen leben, die nicht mehr zu funktionieren scheinen. Schnell kommt man dann zu dem Schluss, man habe sich auseinandergelebt und hätte sich nichts mehr zu sagen. Oft fehlt es aber gerade an der Kommunikation, am klärenden Gespräch, das wie bei unseren beiden Protagonisten so viel aus dem Weg hätte räumen können. Beim Zuhören wundert man sich jede Minute mehr, was bei den zweien eigentlich unausgesprochen geblieben ist. Dass diese Ehe scheitern musste, war vorprogrammiert.

Als die zwei – aus Wut? Oder weil es jetzt auch egal ist? – endlich beginnen, miteinander zu sprechen, kommen so viele Wahrheiten auf den Tisch. Und so verletzend diese Wahrheiten zum Teil auch sind, bringen sie die beiden auch wieder näher. Als er schließlich eingeschlafen ist, erinnert sie sich an gute Zeiten zurück. Leise klassische Musik setzt ein und sie erinnert sich an eine Reise zu Beginn ihrer Ehe. Diese Reise ist ihr im Gedächtnis geblieben wie nichts anderes, nie war sie so glücklich, fühlte sich so sehr mit sich im Reinen wie damals. Ob es ihm wohl auch so erging? Wehmütig berichtet sie von dieser Reise – ein Kontrapunkt zu der lautstarken Auseinandersetzung zuvor, in der so viele verletzende Worte gefallen sind. In Erinnerung bleibt vielmehr die Erzählung aus guten Tagen.

In guten wie in schlechten Tagen

Nadja Tiller und Walter Giller, die selbst seit vielen Jahren miteinander verheiratet sind, wissen offensichtlich, wovon sie sprechen. Ihre tiefsitzende Verletzung angesichts der Abweisung durch ihren Mann nimmt man ihr genauso ab wie ihm seine Wut über den Nebenbuhler. Seine tiefe brummige Stimme passt so wunderbar zu dem eigensinnigen Mann, den Henning Mankell erdacht hat und der es über viele Jahre hinweg nicht fertiggebracht hat, seiner Frau zu sagen, was ihn so sehr an ihr stört, dass er nicht mehr mit ihr schlafen will. Nadja Tiller dagegen spricht die zunächst so selbstsichere Frau, die ihren Mann um die Scheidung bittet und mit sich im Reinen scheint. Doch im Gespräch mit ihrem Mann bröckelt diese Fassade, bis sie schließlich überlegt, ob sie ihren Mann küssen oder erwürgen soll.

Das Hörspiel kommt mit minimalen Mitteln aus, nur manchmal sind klassische Töne des Brandenburgischen Kammerorchesters Berlin zu hören, ergänzt durch Julia Prigge an der Violine. Weitere Geräusche bleiben aus, sodass ganz die beiden Sprecher in ihren Rollen wirken können. Besonders eindrucksvoll fand ich die Schlussszene, in der Nadja Tiller untermalt von sanften Orchesterklängen in Erinnerungen schwelgt.

Unter dem Strich gefällt das Hörspiel gut, Henning Mankell zeigt hier wieder einmal eine ganz andere Seite seines Könnens. Er widmet sich den alltäglichen Problemen in einer langjährigen Ehe. Mal sind es die Kleinigkeiten, die die Partner aneinander stören, aber natürlich ist es auch das allgegenwärtige Liebesleben, in dem es kriselt. Schonungslos und offen lässt Mankell seine Protagonisten nun endlich aussprechen, was sie immer gestört hat. Hierbei stellt Mankell eindrucksvoll und einfühlsam unter Beweis, wie gut er die Menschen und ihre Probleme kennt. Ein Hörspiel für einen Winterabend bei Kerzenschein, bei dem man selbst in Erinnerungen schwelgen kann.

66 Minuten auf 1 CD
Regie und Musik: Rainer Clute
ISBN-13: 978-3-86717-349-0
www.mankell.de
www.hoerverlag.de
www.wallander-web.de
www.henningmankell.com