Henning Mankell – Die Rückkehr des Tanzlehrers

Stefan Lindman, 37, Kommissar bei der Kriminalpolizei im südschwedischen Borås, lebt in Angst, seit bei ihm Zungenkrebs diagnostiziert wurde. Bald steht die Strahlentherapie an. Lindman sucht Ablenkung. Er findet sie im Mord an seinem ehemaligen Mentor Herbert Molin. Der Ex-Polizist hatte sich nach seiner Pensionierung in die Wälder von Härjedalen zurückgezogen. Dort wurde er in der Nacht überfallen, von seinem Mörder zum Tangotanz gezwungen und mit einem Ochsenziemer brutal zu Tode gepeitscht.

Mit dem Fall betraut wird Giuseppe Larsson, der mit seinen Kollegen vor einem Rätsel steht. Wer hasste den alten Molin so sehr? Lindman, der aus Borås angereist ist, wird als „inoffzielle Verstärkung“ eingesetzt, zumal er sich ohnehin nicht von dem Fall fernhalten lässt.

Lindman ist es auch, der erste Spuren findet. Molin wurde in den Wochen vor seinem Tod überwacht. Schon vorher hat sich der Ex-Polizist vor Unbekannten gefürchtet, was wohl auch der Grund für sein Einsiedlerdasein war. Der Grund muss in der Vergangenheit zu suchen sein: Lindman entdeckt, dass Molin einst seinen Namen änderte. Als junger Mann war er als Schwede der deutschen Waffen-SS beigetreten. Überzeugter Nazi ist er gewesen und hat sich als solcher diverser Kriegsverbrechen schuldig gemacht.

Auch nach 1945 blieb er seiner Menschen verachtenden Ideologie treu. Ein Netzwerk „alter Kameraden“ ermöglichte ihm ein Untertauchen im heimatlichen Schweden. Vor Ort in Härjedalen war es die Tanzlehrerin Elsa Berggren – selbst eine überzeugte Nazisse -, die den Kontakt zu Molin hielt.
Der Vergeltung konnten sie so mehr als fünf Jahrzehnte Einhalt gebieten. Nun hat sie zumindest Molin eingeholt: Der im südamerikanischen Exil lebende Jude Aaron Silberstein ist sein Mörder. Im II. Weltkrieg hatte Molin seinen Vater umgebracht. Dafür hat er sich jetzt gerächt.

Silberstein ist schon auf dem Heimweg, da wird ein Nachbar Molins auf ähnlich grausame Weise hingerichtet. Der Mörder ist verwirrt. Wer imitiert ihn da, und was ist der Grund? Silberstein beschließt, dieses Rätsel zu lösen. Die Polizei und Stefan Lindman setzen ebenfalls ihre Arbeit fort. Irgendwann wird sich ihr Weg mit voraussichtlich tragischen Folgen kreuzen, aber da ist auch noch die vierte Partei: der oder die unbekannte/n Mörder. Wer immer Molin und seinen Nachbarn auf dem Gewissen hat, wird womöglich weiter töten …

Ein Kriminalfall für den Thriller-Freund, fundierte Gesellschaftskritik für den Bildungsbürger: Wieder einmal gelingt es Henning Mankell, auf dem schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Literatur zu wandeln. Dafür sind ihm obere Ränge auf den deutschen Bestsellerlisten sowie Artikel in „Spiegel“, „Focus“ u. a. auflagestarken Buntblättern sicher. Löst man sich vom Mankell-Hype, der dieses unser lesendes Land beherrscht, so bleibt ein trotz gewisser Längen durchweg lesbarer Roman, der einfach eine spannende und tragische Geschichte erzählt.

Irgendwelches Neuland betritt der Verfasser dabei nicht. Es überrascht zunächst sicherlich die frühe Identifizierung des Mörders, aber das ist nur eine teilweise richtige Fährte: Der eigentliche Übeltäter treibt weiterhin sein Unwesen und wird ganz klassisch erst im Finale entlarvt. Trotzdem ist es ein guter, wenn auch schwer nachzuvollziehender Einfall, den ersten Mörder quasi seinen „Nachfolger“ mitjagen zu lassen.

Sonst gibt sich Mankell modern; bei ihm wird nicht gemordet, sondern mit viel Foltergrimm gemetzelt; da er Feuilletons Liebling ist, wird ihm das nicht weiter angekreidet, was völlig in Ordnung ist, da die Morde im Wald nur bedingt Teil der Handlung sind und in erster Linie die Aufmerksamkeit des Publikums binden sollen.

Das Thema der unwillig und nur halb bewältigten skandinavischen Nazi-Vergangenheit ist ebenfalls keine „Entdeckung“ Mankells. So hat sich der Norweger Jo Nesbø dieser Folie in seinem meisterlichen Thriller „Rødstrupe“ (2000; dt. „Rotkehlchen“) wesentlich eindrucksvoller bedient. Trotzdem weiß auch Mankell die Verheerungen deutlich zu machen, die das ungeliebte geistige Erbe des „III. Reiches“ im scheinbar kriegsneutralen Schweden hinterlassen hat. Dem trügerischen Glanz des frühen Nationalsozialismus’ sind eben nicht nur ausschließlich Deutsche erlegen.

Letztlich geht es um das alte Thema Schuld & Sühne. Am Beispiel des Nazi-Irrsinns lässt es sich in seinen vielen Formen und Konsequenzen allzu gut durchspielen. Mankell bleibt meist sachlich dabei, unterscheidet zwischen den letzten „echten“ Nationalsozialisten und warnt mit einfachen, aber deutlichen Worten vor ihren potenziell gefährlichen modernen Epigonen, die von einem „Vierten Reich“ aus zweiter Hand träumen. Er übertreibt es nur manchmal, wenn er z. B. seinem traurigen Helden Lindman unbedingt einen Nazi-Vater andichten muss.

In ihrem Mittelteil schleppt sich die Handlung ein wenig zäh dahin. Die Figuren umkreisen einander ein wenig zu unmotiviert, treten auf der Stelle dort, wo ohnehin wenig geschieht. Das eigentliche Geschehen spielt sich in den Köpfen der Beteiligten ab, aber der Leser hätte es um ca. 100 Seiten gerafft sicherlich ebenso gut verstanden …

Etwas enttäuschend ist das eigentliche Finale, das ein wenig zu einfallsarm und beiläufig daherkommt. Die Demaskierung des eigentlichen Täters ist angesichts des „literarischen Werts“ dieser Geschichte möglicherweise nur Nebensache. Der selbstbewusste Krimifreund denkt nicht so und beklagt, wie Mankell fast lustlos das mörderische Kaninchen aus dem Zylinder zieht.

Endlich einmal eine Hauptfigur, die zur Melancholie allen Grund hat, so könnte man andererseits ein wenig boshaft Stefan Lindman charakterisieren. Skandinavische Polizisten und Detektive sind gemeinhin ein wenig düsterlaunig; man kann es schon ein generelles Merkmal nennen. (Es mag an den langen, dunklen, kalten Wintern unweit des Nordpolarkreises liegen.) Das scheint Henning Mankell selbst aufgefallen zu sein. Siehe da: Ein niedergeschlagener Ermittler mit einer bedrohlichen Krankheit erfährt beim Leser gleich Verständnis und Sympathie.

Zumal der Verfasser den armen Lindman ausgerechnet mit Zungenkrebs schlägt. Selbst der nicht durch „political correctness“ verkrüppelte Zeitgenosse kann sich ein Grinsen schwer verkneifen: Dies ist ein lebensbedrohliches, aber gleichzeitig so lächerliches Leiden, dass es nicht nur der Betroffene kaum glauben mag. So hat es Mankell auch geplant. Lindmans Krebs lähmt ihn, versetzt ihn in Todesangst. Aber er setzt gleichzeitig Kräfte frei, von deren Vorhandensein er bisher nichts ahnte. Er durchbricht das Muster seines „normalen“ Lebens – zum Teil wenigstens, denn von der Polizeiarbeit kommt er nicht los. Sie wird ihm zur Stütze, aber verständlicherweise auch zur Last, und beide Aspekte bringen Lindman auf ihre Weise immer wieder in den Fall hinein – ein kluger Trick übrigens, der Mankell langatmiger Erklärungen enthebt, wieso Lindman im Brennpunkt der Ereignisse zu finden ist, wo ihn die Kollegen – Krebs hin, Krebs her – realistisch mit einem Fußtritt zurück nach Hause schicken müssten.

Giuseppe Larsson, der Schwede mit dem unpassenden italienischen Vornamen, ist seinem Kollegen aus der (relativ) großen Stadt gleichzeitig unterlegen und gewachsen. Es fehlt ihm die Erfahrung mit einem Verbrechen dieses Kalibers, die Routine, die Lindman immer wieder dort Spuren finden lässt, wo seine Kollegen aus der Provinz erfolglos bleiben. Auf der anderen Seite kennt Larsson die Menschen „seiner“ Region, die geprägt werden von der endlosen, von Wäldern in isolierte Nischen gegliederten Landschaft.

Aaron Silberstein ist eine riskante Figur. Nicht weil sie sich hier als Mörder betätigt, sondern weil sie einem weniger fähigen Schriftsteller als Mankell leicht zum Klischee gerinnen könnte: der vom Nazi-Unrecht gebeutelte Jude, der an seinem Schicksal stückweise zerbricht und sich schließlich zur Rache entschließt. So einfach macht es sich Mankell aber nicht. Silberstein – dessen Identität überraschend frühzeitig enthüllt wird: „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ ist halt doch kein „normaler“ Krimi – tritt nicht als Rächer mit Schicksalsbonus auf, sondern als Mensch, dessen Denken und Handeln auf tragisch verdrehte Weise durchaus plausibel erscheint. Silberstein ist sogar ein gesetzestreuer Mann: Das Risikos seiner Verhaftung nicht scheuend, „beteiligt“ er sich auf seine Weise an den Ermittlungen im Molin-Mordfall.

Nüchtern schildert Mankell auch die „Gegenseite“. Wessen Geistes Kind der lebende Herbert Molin war, wird am Beispiel seiner „Kampfgefährtin“ Elsa Berggren deutlich. Sie repräsentiert den noch heute allzu präsenten Ungeist der Nazi-Zeit, die eben mehr war als eine flüchtige historische Epoche, die 1945 aus der Geschichte getilgt wurde. Wenig glücklich ist der Leser indes mit Mankells Einschätzung der „jungen“ Nazis, deren Beweggründe er nur ansatzweise verdeutlichen kann. Womöglich können die – literarischen wie realen – neofaschistischen Wirrköpfe freilich selbst nicht präzise definieren, was sie eigentlich umtreibt.

Henning Mankell wurde 1948 als Sohn eines Richters in Stockholm geboren. Er wuchs im schwedischen Härjedalen auf, was er für „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ nutzen konnte: Die Beschreibungen von Land und Leuten sind überaus stimmungsvoll.

Schon seit dem Ende der 1960er Jahre ist Mankell als Schriftsteller tätig, der u. a. als Verfasser von Jugendbüchern in seinem Heimatland einen guten Ruf genoss und außerdem als Theaterregisseur und Intendant arbeitete. International (bzw. europaweit) begann sein Stern indes erst Anfang der 1990er Jahre aufzugehen.

Politische und gesellschaftliche, oft brisante Themen bestimmten seit jeher Mankells künstlerisches Schaffen. Die moderne Pest des Rassimus’ wollte er ebenso unterhaltsam wie eindringlich anprangern. Er wählte die Form des Kriminalromans und schrieb 1991 „Mördare utan ansikte“ (dt. [„Mörder ohne Gesicht“), 143 den ersten Roman mit dem chronisch depressiven, aber genretypisch hartnäckigen Kriminalkommissar Kurt Wallander aus Ystad.

Acht weitere Wallander-Fälle folgten, die zwar auch in Schweden sehr erfolgreich waren. Doch Wallander und Mankell wurden in der zweiten Hälfte der 90er Jahre besonders in Deutschland quasi adoptiert. Alle Romane der Verfassers fanden sich auf den oberen Rängen der Bestsellerlisten wieder, wo sie wie angeklebt rekordverdächtige Fristen verharrten. Im Sog der Wallander-Thriller wurden auch Mankells Jugendbücher und seine Afrika-Romane bekannt.

Denn Henning Mankell lebt inzwischen sechs Monate pro Jahr in Maputo, Mosambique, wo er das Teatro Avenida leitet. Für die bedrohlichen politischen und sozialen Probleme seiner neuen Heimat hat er ein offenes Ohr. Er setzt seine Popularität – Mankells Bücher werden in bisher über 15 Sprachen mit einer Auflage von mehr als zwei Millionen Exemplaren verkauft; mehrere Bücher wurden verfilmt – ein, um für Afrika-Projekte zu werben. In seinem literarischen Schaffen wird er dadurch nicht gebremst. Mankell ist ein überaus fleißiger Schriftsteller, der auch nach dem Ende der Wallander-Reihe regelmäßig neue Krimis vorlegt.

Taschenbuch: 512 Seiten
Originaltitel: Danslärarens aterkomst
www.dtv.de