Eindrucksvoll: die Apokalypse des Imperiums
Mit diesem Band findet der Science-Fantasy-Zyklus „Ein Land für Helden“ seinen Abschluss. Es kommt zu einem actionreichen Finale, das apokalyptische Dimensionen erreicht.
Ich habe nun alle vier Bände gelesen und komme zu dem Schluss, dass es sich um einen einzigen Roman handelt, den man in einem Rutsch lesen sollte. Damit ist dieses vierbändige Werk das gleiche Phänomen wie Tolkiens „Der Herr der Ringe“: mit Einleitung, Epilog und dazwischen einer Handlung, die – irgendwie künstlich – in vier Bände aufgespalten wurde. Der absolute Höhepunkt ist natürlich wie zu erwarten der 4. Band, und der besteht zu fünfzig Prozent aus Action (man glaubt es kaum) und einer Art Apokalypse: sehr schön, sehr spannend und ein ganz klein wenig auch beklemmend.
_Der Hintergrund von „Ein Land für Helden“_
Die Welt von „Ein Land für Helden“ ist nur „zwölf Sekunden“ von unserer eigenen entfernt, hat sich daher im entscheidenden Augenblick in eine andere Richtung entwickelt. Die Römer haben nach der Eroberung Britanniens das Land nie mehr verlassen, auch die Germanen haben Rom nicht erobert, sondern vielmehr haben die römischen Legionen sich die restliche Welt völlig untertan gemacht.
Der Stand der römischen Technik ist erstaunlich modern – man schreibt schließlich das Jahr 1994: Radio, Dampfkraft, Magnetronik, Flugschiffe, Feuerwaffen: Es ist alles da, um einen verheerenden Krieg zu führen. Im 1. Band wurde die Technik jedoch mehr zur Belustigung der Menge eingesetzt: Im Kampfdom (Arena) von Eburacum (York) finden Kampfspiele statt, die im multilateralen Wettstreit von elektrisch betriebenen Ungeheuern gipfeln, etwa von Drachen und dergleichen.
Inzwischen haben sich die unterworfenen Völker wie die Briten an das Joch der römischen Herrschaft und die bequemen Lebensbedingungen in den befestigten Städten gewöhnt. Die adeligen Landbesitzer in ihren Villen herrschen absolut und mit skrupelloser Gewaltausübung über ihre Besitzungen. Doch ihre Flugschiffe und Gleisbahnen schweben über endlose britannische Waldbestände, die sich von Küste zu Küste erstrecken und in denen keltische Stämme wie in der Frühzeit leben. (Diese endlosen Wälder basieren auf einer Beschreibung in Plutarchs „Marius“, wie ich kürzlich las.) Allerdings müssen diese Flugschiffe auf festen „Himmelsstraßen“ verkehren. So entgeht ihnen, was wirklich in den Wäldern vorgeht.
Der Autor
Phillip Mann (* 7. August 1942 in Northallerton, Yorkshire, England; † 1. September 2022 in Wellington[1]) war ein britischer Science-Fiction-Schriftsteller, der ab 1969 in Neuseeland lebte. Er studierte Englisch und Schauspielkunst an der University of Manchester und später in Kalifornien, bevor er nach Neuseeland zog, wo er 1970 den ersten Lehrstuhl für Schauspielkunst an einer neuseeländischen Universität, an der Victoria University of Wellington, einrichtete. Er zog sich 1998 von der Position des Professors für Schauspielkunst in Victoria zurück, um sich auf andere Projekte zu konzentrieren. Er hat intensiv am Theater gearbeitet, als professioneller Regisseur und Theaterlehrer, sowohl in Neuseeland, den USA als auch in Europa. (Wikipedia.de)
Seine Tätigkeiten als Theaterdirektor und Drama-Dozent verhalfen seinen Romanen und Hörspielen zu klarer Struktur und Anschaulichkeit. Neben „Das Auge der Königin“ (1982; dt. bei |Heyne|) ist „Pioniere“ als sein bester Roman anerkannt.
Der Neuseeländer wurde bei uns mit den zwei Paxwax-Romanen, dem Roman „Pioniere“ und mit „Wolfs Garn“ bekannt. Im Mittelpunkt seiner Bücher stehen menschliche Eitelkeit und Überheblichkeit, weshalb selbst die besten Pläne bei ihm stets schief gehen, so auch in diesem Roman über einen Erstkontakt. Die Arroganz besteht diesmal in dem Glauben, unbeteiligter Beobachter sein und bleiben zu können. Wolfgang Jeschke nannte dieses Buch einmal in den achtziger Jahren den besten Science-Fiction-Roman überhaupt – lang ist’s her.
Die Krönung von Manns schmalem Oeuvre bildet bislang der vierbändige Zyklus „Ein Land für Helden“ (A land fit for heroes):
1. Flucht in die Wälder
2. Der Monolith
3. Der Drache erwacht
4. Der brennende Wald
Sein erster Roman „Das Auge der Königin“ (1982, dt. 1985) ist wohl einer der besten Romane über die Begegnung mit einer absolut fremdartigen, nichtmenschlichen Rasse. 1986 und ’87 erschien die Paxwax-Duologie: Sie schildern die Gefährlichkeit des Menschen, der seinen Herrschaftsbereich ausweitet, bis die Aliens merken, wo seine Achillesferse liegt: in seiner Gier nach Macht.
Handlung
In diesem Abschlussband nun überschlagen sich schließlich die Ereignisse. Kein Wunder, dass die Mehrzahl der Kapitel noch kürzer ist als schon im dritten Band.
Zunächst findet die entscheidende Begegnung Colls mit dem Sänger und Schamanen Cormac statt, der ihn als Lehrling aufnimmt. Hatte Coll bereits zuvor ungewöhnliche intuitive Fähigkeiten, so gelingt es ihm nun, mühelos in die Geisterwelt überzuwechseln. Dabei ist die Leier von ausschlaggebender Bedeutung, deren Beherrschung er mühsam erlernen muss. In der Geisterwelt macht ihn Cormac mit einem Jäger aus der Steinzeit bekannt, der sich „Dunkler Adler“ nennt. Dunkler Adler führt Coll, den angehenden Schamanen, nach Cormacs Tod auf eine gewagte Reise, auf der Coll in die Essenz der Welt eindringen kann.
Er stellt eine spirituelle Verbindung mit den Bäumen, dem Wald her. Da der Wald praktisch das nichtrömische, unbesiegte Britannien darstellt, in dem die römischen Soldaten regelmäßig Feenerscheinungen sehen und wahnsinnig werden, kommt dem Wald eine Schlüsselrolle in der Identität Britanniens zu. Das hat nicht nur der Kaiser erkannt: Vernichtet er den Wald, zerstört er die Lebensgrundlage der Kelten. Dass das Abfackeln des Waldes auch eine gravierende Störung im Muster der Welt bedeutet, wird nur Coll klar, und so fasst er einen kühnen Plan: Nachdem er die Bewohner des Waldes gewarnt hat, begibt er sich zum Kaiser, um die Römer zu bitten, von ihrem Plan abzulassen.
Denn der Kaiser Lucius Prometheus Petronius hat auf der neuen Brücke den Ärmelkanal überquert und ist nach Eburacum (York) gekommen, um dabei zu sein, wenn mit der Zerstörung des Waldes begonnen wird. Was sein Statthalter nicht ahnt: Die mitgebrachte Legion kaiserlicher Sturmtruppen soll nicht nur Britannien, sondern auch Hibernia entvölkern und alle Adeligen ihres Besitzes berauben.
Auch Angus und Miranda tragen ihren Teil dazu bei, dass es im Moment der Zündung der Brandgeschütze zu einigen dramatischen Ereignissen kommt. Angus hat seinen Drachen wieder einmal ausgepackt und greift die Himmelsstraße selbst an. Und Miranda ist ein Wesen geworden, das sich in seiner Schrecklichkeit schwer beschreiben lässt: Sie hat Macht über die Energieebene mehrerer Dimensionen und setzt ihre Macht auf zerstörerische Weise ein: Sie ist Kalí, Moira, die Medusa. Die Folgen sind apokalyptisch.
Mein Eindruck
Nachdem der Beginn noch etwas gemächlich die Ausbildung Colls zu einem mächtigen Schamanen schildert, nehmen die Aktivitäten auf beiden Seiten an Umfang und Tempo zu: Die Römer haben alles für die Zerstörung Britanniens in Stellung gebracht, die Briten sind von einer konzentrierten Verteidigung meilenweit entfernt. Zwar werden nur Andeutungen über die Entwicklung Mirandas gemacht, doch der Leser ahnt bereits, dass sie ziemlich furchteinflößend und bedeutsam sein muss, um die römische Vernichtungsmaschinerei aufhalten zu können. Angus‘ Truppe jedenfalls spielte nur eine Nebenrolle, zumal er keine Vision davon hat, wie es nach dem Zusammenbruch der Römerherrschaft in Britannien weitergehen soll.
Aber auch nach dem beeindruckenden Showdown, so lang er auch sein mag, lässt sich der Autor nicht über utopische Gesellschaftsmodelle aus. Wozu auch? Er hat ja gerade demonstriert, dass das menschliche Maß, eingebunden in Naturzusammenhänge, das richtige und angemessene ist. Die Römer hingegen, repräsentiert durch den Nihilisten auf dem Thron, kennen kein solches Maß. Da ein Nihilist an nichts glaubt, am allerwenigsten an sich selbst, ist ihm auch nichts heilig oder wert, bewahrt zu werden. Wenn dieser Kaiser, der seinem Namen Prometheus auf perverse Weise alle Ehre machen will, ein Arsenal von Atombomben hätte, so würde er die Raketen lieber heute als morgen abfeuern.
Dass dieser Science-Fantasy-Zyklus nicht von Marion Zimmer Bradley und ihren zahlreichen Mitautorinnen geschrieben wurde, mag man bedauern oder auch nicht. Der Unterschied ist zumindest augenfällig: Die wichtigste Frauenfigur, Miranda, wird außer in Band 2 vor allem in ihren Äußerlichkeiten geschildert, so dass wir kaum einmal erfahren, wie sie sich fühlt und worüber sie nachdenkt, während sie sich zu etwas Schrecklichem verwandelt. (Würde vielleicht auch ein wenig zu viel über den Schluss verrateren.) MZB hätte daraus wahrscheinlich seitenweise Kapital geschlagen und uns keine herzerweichende Einzelheit von Mirandas Seelenleben erspart. Sei’s drum.
Unterm Strich
Der abschließende Band des großen Romans „Ein Land für Helden“ ist für meinen Geschmack der gelungenste, und daher habe ich ihn an nur zwei Tagen gelesen. Die Geschichte ist leicht verständlich, hat man einmal die Vorgängerbände gelesen und verstanden.
Natürlich muss man diesen Riesenroman nicht gelesen haben, um mitreden zu können. Der Roman ist zwar dem „Herr der Ringe“ in Aufbau und Thema ähnlich (der Kaiser entspricht Sauron!), doch in Sachen Medienbedeutung und Massenerfolg kann es „Ein Land für Helden“ in keiner Weise mit dem Tolkien-Epos aufnehmen. Vielleicht sollte man Peter Jackson mal auf seinen Landsmann Phillip Mann hinweisen? (Sobald Jackson seinen „King Kong“ im Kasten hat.)
Insgesamt ist dies kein übler Roman, sowohl nach seinem Ideengehalt als auch seinem Unterhaltungspotenzial. Der Autor hat zahlreiche Kenntnisse über die keltischen und römischen Kulturen hineingepackt, hat eine Fülle interessanter Figuren gestaltet sowie eine Handlung auf die Beine gestellt, die vier Bände trägt. Bis zum Showdown in Band 4 weiß man über die Bedeutung mancher Figuren wie Coll, den Ex-Römer, und Miranda, die Ex-Studentin, nicht Bescheid: Die Spannung auf ihr Eingreifen löst sich mit verblüfftem Vergnügen über die gelungene Überraschung auf. Dieser Höhepunkt ist sorgfältig in zahllosen Details gestaltet, wobei auch Komik und Ironie nicht zu kurz kommen. Ich habe schon lahmere Romanschlüsse gelesen.
Hinweis: Keltische und römische Namen und Begriffe werden in Fußnoten von der Übersetzerin erklärt. Ein sehr willkommener Service.
Taschenbuch:
Originaltitel: A land fit for heroes vol. 4: The burning forest, 1996
Aus dem neuseeländischen Englischen übersetzt von Usch Kiausch.
www.heyne.de