Mann, Phillip – Der Monolith (Ein Land für Helden 2)

Fantasy-Roman mit politischer Spannung

Im 2. Band des vierbändigen Science-Fantasy-Zyklus finden die drei Flüchtlinge ihre jeweilige Bestimmung, und schon bald müssen sie sich mit einer furchtbaren Bedrohung auseinandersetzen: der von den Römern beschlossenen völligen Vernichtung der britannischen Wälder. Die Provinz soll eine einzige Schafweide werden.

Vorbemerkung

Ich habe alle vier Bände gelesen und komme zu dem Schluss, dass es sich um einen einzigen Roman handelt, den man in einem Rutsch lesen sollte. Damit ist dieses vierbändige Werk das gleiche Phänomen wie Tolkiens „Der Herr der Ringe“: mit Einleitung, Epilog und dazwischen einer Handlung, die – irgendwie künstlich – in vier Bände aufgespalten wurde. Der absolute Höhepunkt ist natürlich wie zu erwarten der 4. Band, und der besteht zu fünfzig Prozent aus Action (man glaubt es kaum) und einer Art Apokalypse: sehr schön, sehr spannend und faszinierend.

Der Hintergrund von „Ein Land für Helden“

Die Welt von „Ein Land für Helden“ ist nur „zwölf Sekunden“ von unserer eigenen entfernt, hat sich daher im entscheidenden Augenblick in eine andere Richtung entwickelt. Die Römer haben nach der Eroberung Britanniens das Land nie mehr verlassen, auch die Germanen haben Rom nicht erobert, sondern vielmehr haben die römischen Legionen sich die restliche Welt völlig untertan gemacht.

Der Stand der Technik ist erstaunlich modern – man schreibt schließlich das Jahr 1994: Radio, Dampfkraft, Magnetronik, Flugschiffe, Feuerwaffen: Es ist alles da, um einen verheerenden Krieg zu führen. Im 1. Band wurde die Technik jedoch mehr zur Belustigung der Menge eingesetzt: Im Kampfdom (Arena) von Eburacum (York) finden Kampfspiele statt, die im multilateralen Wettstreit von elektrisch betriebenen Ungeheuern gipfeln, etwa von Drachen und dergleichen.

Inzwischen haben sich die unterworfenen Völker wie die Briten an das Joch der römischen Herrschaft und die bequemen Lebensbedingungen in den befestigten Städten gewöhnt. Die adeligen Landbesitzer in ihren Villen herrschen absolut und mit skrupelloser Gewaltausübung über ihre Besitzungen. Doch ihre Flugschiffe und Gleisbahnen schweben über endlose britannische Waldbestände, die sich von Küste zu Küste erstrecken und in denen keltische Stämme wie in der Frühzeit leben. Allerdings müssen diese Flugschiffe auf festen „Himmelsstraßen“ verkehren. So entgeht ihnen, was wirklich in den Wäldern vorgeht.

Der Autor

Phillip Mann (* 7. August 1942 in Northallerton, Yorkshire, England; † 1. September 2022 in Wellington[1]) war ein britischer Science-Fiction-Schriftsteller, der ab 1969 in Neuseeland lebte. Er studierte Englisch und Schauspielkunst an der University of Manchester und später in Kalifornien, bevor er nach Neuseeland zog, wo er 1970 den ersten Lehrstuhl für Schauspielkunst an einer neuseeländischen Universität, an der Victoria University of Wellington, einrichtete. Er zog sich 1998 von der Position des Professors für Schauspielkunst in Victoria zurück, um sich auf andere Projekte zu konzentrieren. Er hat intensiv am Theater gearbeitet, als professioneller Regisseur und Theaterlehrer, sowohl in Neuseeland, den USA als auch in Europa. (Wikipedia.de)

Seine Tätigkeiten als Theaterdirektor und Drama-Dozent verhalfen seinen Romanen und Hörspielen zu klarer Struktur und Anschaulichkeit. Neben „Das Auge der Königin“ (1982; dt. bei |Heyne|) ist „Pioniere“ als sein bester Roman anerkannt.

Der Neuseeländer wurde bei uns mit den zwei Paxwax-Romanen, dem Roman „Pioniere“ und mit „Wolfs Garn“ bekannt. Im Mittelpunkt seiner Bücher stehen menschliche Eitelkeit und Überheblichkeit, weshalb selbst die besten Pläne bei ihm stets schief gehen, so auch in diesem Roman über einen Erstkontakt. Die Arroganz besteht diesmal in dem Glauben, unbeteiligter Beobachter sein und bleiben zu können. Wolfgang Jeschke nannte dieses Buch einmal in den achtziger Jahren den besten Science-Fiction-Roman überhaupt – lang ist’s her.

Die Krönung von Manns schmalem Oeuvre bildet bislang der vierbändige Zyklus „Ein Land für Helden“ (A land fit for heroes):

1. Flucht in die Wälder
2. Der Monolith
3. Der Drache erwacht
4. Der brennende Wald

Sein erster Roman „Das Auge der Königin“ (1982, dt. 1985) ist wohl einer der besten Romane über die Begegnung mit einer absolut fremdartigen, nichtmenschlichen Rasse. 1986 und ’87 erschien die Paxwax-Duologie: Sie schildert die Gefährlichkeit des Menschen, der seinen Herrschaftsbereich ausweitet, bis die Aliens merken, wo seine Achillesferse liegt: in seiner Gier nach Macht.

Handlung

Die jungen Flüchtlinge Coll, Angus und Miranda sind nach dem römischen Überfall auf das Keltendorf, in dem sie Unterschlupf gefunden hatten, einem Pfad gefolgt, der sie zu einem Ort namens Stand Alone Stan führen soll. Das Trio stammt aus der Provinzhauptstadt von Britannien, Eburacum, dem nordenglischen York. Coll heißt eigentlich Victor (Viti) Ulysses, und sein adeliger und mächtiger Vater lässt ihn selbst dann noch suchen, nachdem man ihm, Marcus Ulysses, eine verkohlte Leiche mit Victors Gürtel geliefert hat. Viti hat sich bei den Kelten den Namen Coll (Haselnussbusch) zugelegt.

In einem Unwetter müssen die Drei Zuflucht in einer ausgehöhlten Stechpalme suchen. Während Coll und Miranda verwirrende Ausflüge in die keltische Geisterwelt erleben, wehrt der kräftige Angus ein Wolfsrudel ab, das auf Frischfleisch aus ist. Dabei erhält er die Hilfe eines Ent-ähnlichen Wesens, das halb Mann, halb Baum zu sein scheint und sich „Der Trommler“ nennt lässt. Dieses Wesen erschlägt den Leitwolf und schenkt Angus dessen Fell, das er fortan stets trägt.

Anderntags entdeckt ein Keltenjunge das Trio, denn sie wurden bereits angekündigt, und führt sie so lange, bis Stand Alone Stan zu sehen ist: Das ist zum einen ein riesiger „alleine stehender Stein“. Zum anderen erstreckt sich um den Monolithen als Nabe herum ein Kreis von Gebäuden, in denen etliche friedliche Menschen leben. Um das Leben an diesem Ort drehen sich die drei großen Erzählungen, aus denen dieser Band hauptsächlich besteht.

Coll, der frühere römische Adlige und Offizier Victor aus dem Hause Ulysses, wohnt in einem Baumhaus und macht eine Art Psychotherapie durch: Er erkennt, wie falsch seine Vergewaltigung Mirandas in Eburacum gewesen ist und möchte sich bei ihr entschuldigen. Als er keine Absolution erhält, will er sich selbst ersäufen. Viel Glück dabei, Coll!

Angus, der einfache Tatmensch und Elektriker, begibt sich an die Akademie des Roscius ein paar Meilen entfernt. Er philosophiert gerne und setzt sich mit politischen Ideen auseinander. Er lernt eine ebenso wütende Afrikanerin namens Perol kennen und lieben, aber ein Faschist namens Pozzo macht ihm das Leben zur Hölle. Ausgestattet mit den richtigen militärischen Informationen, beschließt er, zusammen mit Perol der als ungerecht empfundenen Herrschaft der Römer über Britannien, die schon 2000 Jahre währt, ein Ende zu bereiten: Er gründet den „Drachen“ und wird Terrorist. Nach dem Mord an Pozzo muss er mit seinen Freunden in die Wälder gehen.

Miranda hingegen ist die interessanteste Figur des Trios, zumindest in psychologischer Hinsicht. Kaum ist sie im friedlichen Dorf angekommen, wird sie als lang erwartete „Heilerin“ aufgenommen und darf schon wenig später die Leitung des Hospitals übernehmen. Nach einem schweren und langen Fieber kommen Mirandas übersinnliche Kräfte deutlich zum Vorschein: Sie kann Geistreisen unternehmen, Gedanken übertragen und jedermanns Aura erkennen.

Sie wird von zwei Zwergen betreut, Sulla und Lem. Diese sind telepathisch begabte Fremdwesen, die lediglich menschenähnliche Gestalt angenommen haben. Eines Nachts nehmen sie Miranda auf die mit Abstand interessanteste Reise in diesem Roman mit: in eine Paralleldimension, in der die Fremdwesen heimisch sind, und zwar schon seit der Zeit, als die ersten Bäume entstanden. Daher leben sie in sexueller Symbiose mit diesen Pflanzen. Miranda findet sich selbst im Körper eines solchen Aliens wieder: mit Hautflügeln, Stacheln und einer bewehrten Geschlechtsöffnung auf dem Rücken – „faszinierend“, wie Spock sagen würde. Und das Aussehen des Wesens erinnert ein wenig an das von „Species“, das H. R. Giger entwarf.

Unterdessen ereignen sich in Rom weltbewegende Dinge: Der Statthalter von Gallien, Lucius Petronius, hat, gedeckt von Britanniens Statthalter Marcus Ulysses, im Staatsstreich den alten Kaiser abgesetzt. Doch schon zwei Monate später bricht aufgrund einer Schafseuche und Hungersnot fast ein Bürgerkrieg aus. Petronius beschließt, die Schafzucht auf das seuchenfreie Britannien zu verlegen. Dazu muss er allerdings dessen Waldbestand zurückstutzen, um Weiden zu gewinnen – sagt er jedenfalls Ulysses. Natürlich werden Britanniens Einwohner in keiner Weise gefragt, wie ihnen das gefällt.

Es riecht nach Revolution. Die Bedingungen für Männer wie Angus sind günstig.

Mein Eindruck

Dieser zweite Band liest sich streckenweise wie ein ganz normaler Entwicklungsroman. Das ist ein klassisches Untergenre des realistischen Romans. Die drei Hauptfiguren lernen, in einer neuen Umgebung zurechtzukommen und in die dritte Phase ihrer Entwicklung einzutreten. In der ersten wuchsen sie ganz normal zu jungen Erwachsenen heran, dann flohen sie in die Wälder und lebten sich in ihrem ersten keltischen Dorf ein. Davon erzählt der erste Band.

In der aktuellen Phase ihrer persönlichen Entwicklung erreicht Miranda die erste Stufe ihrer Vollendung: Hüterin und Heilerin. Noch ahnt sie nicht, was noch in ihr steckt. Ihre Geistreise in die andere Dimension erweitert ihren Horizont und verändert sie unmerklich. Dieses Fantasyelement in einem Science-Fiction-Setting ist ungewöhnlich, aber sehr interessant. Es hat mir sehr gut gefallen.

Weitaus weniger faszinierend sind die langen Diskussionen, die der angehende Rebellenführer Angus mit seinen Lehrern führt. Wer sich nicht für Politik oder Guerilla interessiert, könnte hier leicht gelangweilt werden. Immerhin lernt Angus die ebenso wütende Studentin Perol kennen, in die er sich verliebt, die mit ihm kämpft und ihm später Kinder schenkt.

Noch mehr Geduld muss man für Colls Werdegang aufbringen. Denn bei ihm scheint äußerlich gar nichts zu passieren, außer dass er sich mit einem hübschen Mädchen namens Salli zusammentut. Dies aber führt zu einer inneren Reinigung, die die Versöhnung mit Miranda verlangt. Ansonsten scheint sich Coll sehr mit der Natur, die sein Baumhaus umgibt, zu verbinden. Auch das ist eine Vorstufe zu seiner charakterlichen Vollendung.

Für Abwechslung und Kontrast sorgen die meist kurzen Kapitel, in denen von den Machenschaften der Römer erzählt wird. Im Mittelpunkt steht meist Vitis/Colls Vater Marcus Augustus, aber auch der Kaiser hat ein Wörtchen mitzureden. Sie sorgen dafür, dass es spannend bleibt: Die Zukunft Britanniens steht auf dem Spiel.

Etwas enttäuscht war ich, als ich merkte, dass der Monolith, der dem Band seinen Titel gibt, im Buch keinerlei aktive Rolle spielt. Er steht lediglich als Symbol für die Identität und Lebensenergie eines uralten Landes, sonst aber nichts. Merke: Der Autor mag ja in die Fantasy-Trickkiste greifen, aber er geht nicht so weit, auch Steine zu Akteuren zu machen.

Unterm Strich

Wie ganz oben bereits gesagt, ist der 2. Band nur ein Abschnitt eines umfassenden Romans, der aus vier Teilen besteht. Man sollte sofort im Anschluss die Fortsetzung lesen. Man kann aber unter Umständen auf die Lektüre des 1. Bandes verzichten, weil im 1. Kapitel jedes Bandes wichtige Ereignisse aus dem Band davor rekapituliert werden. Das ist aber nur eine Notlösung.

Von allen vier Bänden ist der zweite der langsamste, aber in psychologischer Hinsicht der intensivste. Kein Wunder, denn es handelt sich quasi um einen Entwicklungsroman. Spannend wird die Handlung dennoch: durch den Kontrast mit dazwischengeschalteten Kapiteln, in denen Römer auftreten. Hier bahnt sich eine Entwicklung an, die in einem Inferno kulminieren wird, das den Höhepunkt des 4. Bandes bildet.

Hinweis: Keltische und römische Namen werden in Fußnoten erklärt.

Taschenbuch:
Originaltitel: A land fit for heroes vol. 2: Stand Alone Stan, 1994
Aus dem neuseeländischen Englischen übersetzt von Usch Kiausch.
www.heyne.de