Nostalgische Erinnerungen an die Kabelzeit
Schwer was los in QualityLand, dem besten aller möglichen Länder. Jeder Monat ist der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnung, ein Billionär möchte Präsident werden, und dann ist da noch die Sache mit dem Dritten Weltkrieg. Peter Arbeitsloser darf derweil endlich als Maschinentherapeut arbeiten und versucht, die Beziehungsprobleme von Haushaltsgeräten zu lösen. Kiki Unbekannt schnüffelt in ihrer eigenen Vergangenheit herum und bekommt Stress mit einem ferngesteuerten Killer. Außerdem benehmen sich alle Drohnen in letzter Zeit ziemlich sonderbar … Marc-Uwe Klings lustige Dystopie um Menschen und Maschinen in einer Big-Data-Welt geht in die zweite Runde! Ein Roman voller kluger Einfälle, skurriler Figuren und verblüffender Plot-Twists. (Verlagsinfo)
Der Autor
Marc-Uwe Kling (* 1982 in Stuttgart) ist ein deutscher Liedermacher, Kabarettist, Kleinkünstler und Autor.
Bücher
Kling ist Autor des Podcasts Neues vom Känguru, der wöchentlich beim Radiosender Fritz zu hören war. 2010 wurden er und das Produzententeam dafür mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet. Die Texte erschienen in gedruckter Form und als Hörbuch in den Bänden Die Känguru-Chroniken, Das Känguru-Manifest sowie Die Känguru-Offenbarung. Am 15. Januar 2011 erschien sein erstes Studioalbum Marc-Uwe Kling & Die Gesellschaft. Die Känguru-Offenbarung ist im März 2014 erschienen. Ein Kapitel daraus las Kling in der Anstalt vom 18. November 2014. Neue Geschichten werden regelmäßig bei der Lesebühne Lesedüne vorgetragen. Ein vierter Teil mit dem Titel Die Känguru-Apokryphen, der jedoch keine weitere Trilogie beginnen, sondern nur eine Zugabe liefern soll, ist am 12. Oktober 2018 erschienen. Am 1. März 2018 gab das Medienboard Berlin-Brandenburg bekannt, eine Verfilmung des ersten Buches durch Dani Levy mit 800.000 € zu fördern. Der Film hatte am 5. März 2020 seine Premiere.
Am 20.10. 2020 erschien die Fortsetzung „QualityLand 2.0: Kikis Geheimnis„.
2017 erschien Klings „lustige Dystopie“ QualityLand,[9] mit der er auf Tournee ging. Im März 2019 wurde bekannt, dass der private TV-Sender HBO eine Serienadaption des Romans durch Mike Judge plant.
Der Tag, an dem Papa ein heikles Gespräch führen wollte (2021)
Mit Der Tag, an dem Papa ein heikles Gespräch führen wollte sei Kling „ein grandioses Buch über die Fallstricke der Sexualaufklärung gelungen“, urteilte Kim Kindermann.
Konzertreihe und Musikalben
Marc-Uwe Kling bei einem Konzert in Düsseldorf.
Kling begann 2015 mit den Kabarettisten Michael Krebs, Julius Fischer als Arbeitsgruppe Zukunft eine Konzert-Tournee mit dem Namen Viel Schönes dabei. Die Lieder behandeln sozialkritische Themen, wie Schnelllebigkeit, die Gesellschaft oder Selbstausbeutung im Berufsleben.: Neben den Tourneen wurden mit Viel Schönes dabei (2016) und Das nächste große Ding (2019) auch zwei Alben produziert.
Handlung
Peter Arbeitsloser darf endlich wieder als Maschinentherapeut arbeiten. Nun versucht er, die Beziehungsprobleme von Haushaltsgeräten zu lösen, wird aber gleich wieder entführt und zu seinem alten Erzfeind Henryk Ingenieur gebracht. Der will ihn quasi als PR-Berater für seinen Wahlkampf für das Präsidentenamt engagieren. Immerhin hat er ja das Level 99 erreicht, da strebt man nach Höherem. Vizepräsident ist derzeit leider Tony Parteichef, der ehemalige Chef des ermordeten Präsidentschaftskandidaten John of Us. Peter lehnt den Job dankend ab, aber so leicht lässt sich ein Ingenieur nicht abwimmeln…
Kurz darauf wird Peter von einem Auftragskiller samt Assistenten verfolgt: der Zyklop ist vom ominösen „Puppenspieler“ auf ihn angesetzt worden. Aber warum nur? Ein erster Schlagabtausch zwischen Peters Maschinen, die ihren abwesenden Wohltäter „verteidigen“ wollen, geht 1:0 für den Killer aus. Die Schrottpresse ist eben auch nicht mehr, was sie mal war.
Kiki
Kiki Unbekannt, die Hackerin, schnüffelt in ihrer eigenen Vergangenheit herum und bekommt ebenfalls Stress mit dem vom „Puppenspieler“ ferngesteuerten Killer Zyklop. Wieso kann sie ihre wahren Eltern nicht finden und warum werden all ihre Dateien vom System abgelehnt? Das macht sie echt fertig. Als sie sich mit dem Alten, ihrem Ziehvater, bespricht, kreuzt schon wieder der Zyklop auf. Sie entkommen nur mit knapper Not.
Martyn
Unterdessen müht sich Martyn Berater, der „Mörder“ des gewählten Präsidentschaftskandidaten John of Us, wieder auf die Beine zu kommen. Seine Ex Denise hat ihn mit dem gemeinsamen Baby und dem Nanny-Droiden verlassen, jetzt muss er die Anklage wg. Mordes abwehren. Die Anwälte Ken und Ken Again einigen sich darauf, dass es statt Mord nur Sachbeschädigung war, denn schließlich war John of Us Androide und kein Mensch. Martyn ist so klamm, dass er sogar schon zur MIETE wohnen muss!
Er hat das Level 59 erreicht – wie tief kann er noch sinken? Tiefer! Ja, er hat sogar das Recht auf Vergessenwerden verloren. Dafür braucht man mindestens Level 60. Papa lässt ihm ein Almosen zukommen – über Briefkastenfirmen. Auch wenn es Martyn nicht glauben würde, kann man unter ein Level von 10 sinken – und tiefer. Weil er einmal zuviel „Okay“ zu seiner persönlichen digitalen Assistentin gesagt hat, wird er von „What I Need“ als Proband in das Experiment zur Traumvermessung eingespannt. Es brechen interessante Zeiten an…
Weltkrieg! War da was?
Tony Parteichef wird von General Dragqueen darüber informiert, dass die Quality-Allianz den Dritten Weltkrieg gewonnen habe. Tony und seine Beraterin Aisha sind erstaunt. Kein einziger Mensch hat es von diesem Weltkrieg mitbekommen. Kein Wunder, meint der General, Menschen wären für einen von den Maschinen geführten Krieg viel zu langsam gewesen. Und es habe deswegen nur acht Mio. Opfer gegeben. Es sei eine Lüge der Opposition, dass es 33 Mio. Opfer gegeben habe. Und natürlich werde ein Heldendenkmal errichtet: für Jonas Matrose, der über seine offenen Schnürsenkel stolperte und sich an der Kante seines Schreibtisches den Schädel einschlug. Friede seiner Asche!
Mein Eindruck
Wie die Handlungsstränge zeigen, geht es dem Autor diesmal um die Verbesserung aller gesellschaftlichen Verhältnisse in QualityLand, quasi die Herrschaft des Quality-Proletariats. Aber davor steht der Kampf um die Wahrheit, und die ist eine echt harte Nuss. Das erfährt Kiki, die Hackerin, am eigenen Leib. Der Zugang zu ihren persönlichen Daten wird ihr verwehrt. Martyn verliert das Recht auf Vergessenwerden.
Der Autor zeigt recht drastisch, dass die Person und ihre privaten Daten eigentlich untrennbar miteinander verbunden sein sollten, es aber längst nicht mehr sind. Es gibt andere, die den Zugang des Einzelnen zu sich selbst kontrollieren – und das wird teuer. Eine neue Art der Entfremdung setzt ein. Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?
Diese Frage ist durchaus berechtigt, denn dort, wo Roboter die Positionen von Menschen übernehmen, ist es nur ein kleiner Schritt, auch die letzten verbliebenen Menschen als Klone unendlich zu vervielfältigen. Wo Band 1 die Frage aufwarf, ob man einen Roboter zum Präsidenten wählen (und ungestraft ermorden) kann, gehen die Überlegungen Richtung Kloning. „Die Reproduzierbarkeit des Menschen im technischen Zeitalter“, um Walter Benjamin abzuwandeln, ist eine reale Möglichkeit, und viele SF-Romane und -Filme (wie etwa „Blade Runner“) haben sie bereits durchgespielt. Deshalb wird dieses Thema nicht vertieft.
Man merkt dem Roman, dass der Autor eine stringentere und zielgerichtetere Handlung für seine diversen Figuren vorgesehen hatte. Kiki, dem Waisenkind à la „Oliver Twist“, würde man durchaus wünschen, dass es seine wahren Eltern finden würde. Ob ihr das gelingt, darf hier nicht verraten werden. Hingegen ist Peter Arbeitsloser ein nahezu grandioser Aufstieg beschieden. Wird es ihm gelingen, die Absurdität der menschlichen Existenz in QualityLand in einer TV-Show bloßzulegen? Daumen drücken!
Ach ja, da war noch was: Weltkrieg, der dritte. Er ist so schnell vorüber, wie er gekommen ist, erfahren Tony Parteichef und seine Beraterin Aisha von General Dragqueen (der offenbar als verkappte Transe fungieren soll). Die Maschinen haben ihn gekämpft, doch der Grund, Anlass und Auslöser – der Ur-Trigger – ist bis dato unbekannt. Dass es 33 Mio. Tote gegeben haben soll, wie die Opposition behauptet, ist eine unverschämte Übertreibung, so der General. Es können höchstens acht gewesen, d.h. acht Millionen. Also kaum der Rede wert.
Schade, dass Aisha ihre Kodderschnauze abhandengekommen ist. Sie hätte dem General, der seinen Titel nicht verdient, gehörig gewaschen. Diese Abschwächung des sprachlichen Bisses ist durchgehend im Roman zu finden. Aber das gilt nur im Vergleich mit dem Vorgänger, der eben in dieser Hinsicht als Maßstab dient. Die gewohnten, hie und da eingestreuten Sketche auf den schwarzen Seiten rissen mich ebenfalls nicht vom Hocker. Sie können höchstens als Belege für die völlige Hirnlosigkeit der PR-Werbung in QualityLand gelten. Lustig fand ich sie nicht.
Textschwäche
„ein Arbeiterkind im England des 18. Jahrhundert zu sein“: Hält man sich an Charles Dickens und Co. gab es diese elenden, entrechteten Arbeiterkinder besonders im 19. Jahrhundert, also ein paar Jahrzehnte später. Die Industrielle Revolution begann zwar im 18. Jahrhundert und löste eine Landflucht aus, aber das Proletariat, das Marx und Engels vorfanden und beschrieben, entstand vor allem Anfang des 19. Jahrhundert, also nach den Napoleonischen Kriegen.
Unterm Strich
Ich habe für diese Fortsetzung des fulminanten Vorgängers wesentlich länger gebraucht und sogar eine längere Pause eingelegt. Die Kapitel sind lang, die Handlung komplexer, und so etwas wie Spannung kommt nur selten auf. Ein Attentat 2.0 ist nicht in Sicht, und eine Revolution erst recht nicht. Der 3. Weltkrieg kommt und geht, doch kaum einer bemerkt ihn. Warum also, so fragte ich mich, sollte man so einen Roman von knapp 430 Seiten lesen wollen? Noch dazu, wenn er von einer poetischen KI namens Kalliope 7.3 verfasst worden ist. Der Roman landete beim Kurd-Laßwitz-Preis für das Jahr 2020 auf Platz 8 von zehn, was nicht gerade für begeisterte Leser spricht.
Das liegt möglicherweise an der Vorhersehbarkeit so manchen Handlungsstrangs. Dass Martyn einen endlosen Absturz vor sich hat, zeichnet sich schon nach zwei Episoden ab. Dass Kiki auf einen Vater stoßen wird, dem das Wiedersehen überhaupt nicht in den Kram passt, dürfte ebenfalls kaum für hochgezogene Augenbrauen sorgen. Kikis betagter Mentor stammt aus der „Kabelzeit“, als noch richtige, physische Leitungen die Computer und ihre Peripheriegeräte verbanden. Ja, das waren noch Zeiten, als der Mensch die Bits und Bytes einzeln zählen konnte! Er erinnert ein wenig an Don Quichotte, der gegen die Windmühlen der kabellosen Zeit kämpft.
Einzig Peter Arbeitsloser bietet ein paar Lichtblicke. Seine gerechte (selbstgerechte?) Empörung über die völlige Entrechtung und Entmenschlichung der Menschen durch die Technokratie der Datenverwalter hätte vielleicht Aussicht auf eine gewisse Wirkung, doch die Verhältnisse lassen dies nicht zu. So bleibt es bei der Selbstbespiegelung der Technokraten und ihrer Pseudo-Herrscher (die natürlich ebenfalls nur als Daten Macht besitzen, z.B. durch Einschaltquoten). Die Entlarvung dieser sozioökonomischen Verhältnisse ist das größte Verdienst des Romans. Aber eigentlich wussten wir das alles schon aus Band 1.0. Und Kalliopes selbstverliebte Fußnoten nerven.
Hardcover: 432 Seiten
ISBN-13: 9783550201028
www.ullstein-buchverlage.de
Der Autor vergibt: