Denis Marquet – Der Zorn

Das geschieht:

Unheimliches geht vor in den USA: Die Bürger diverser Kleinstädte gehen Blut spuckend zu Boden, brave Hunde werden wild und beißen guten Menschen die Kehlen durch, das Meer verwandelt sich in Fliegenleim, Obst fällt von den Bäumen … Die Plagen muten biblisch an, und sie nehmen kein Ende, so sehr sich die Regierung auch bemüht, dies zu vertuschen, um eine General-Panik unter ihren offensichtlich chronisch unmündigen und wenig belastbaren Landeskindern zu verhindern.

Dafür ist Colonel Bosman, der über Fort Detrick – das medizinische Forschungsinstitut für Infektionskrankheiten der US-Army – herrscht, sicherlich der richtige Mann. Er liebt seinen Job und sorgt dafür, dass keine Terroristen oder schlappschwänzige Zivilisten Giftviren über die Schwelle der Vereinigten Staaten tragen. Scharf im Auge behält Boswell deshalb die jüngst angeheuerten Biologen Peter Basler und Greg Thomas. Sie sollen ein Gegenmittel gegen die beschriebenen Plagen finden, wollen sich aber unpatriotisch den Mund zum Wohle des Landes nicht verbieten lassen.

Thomas ist zudem abgelenkt. Er vermisst seine Gattin. Mary, eine Anthropologin, ist zurzeit unterwegs im südamerikanischen Dschungel. Diego Legal, der berühmte Gelehrte, hat sie auf eine seiner Expeditionen eingeladen. Er weiß, was tatsächlich los ist auf bzw. mit der Welt: Mutter Erde will sich nicht länger von den aufdringlichen Menschen piesacken lassen. Das umweltverschmutzende, naturausbeutende, sich unkontrolliert vermehrende Ungeziefer muss weg!

Hätten wir doch auf Warnungen von Greenpeace & Co. gehört! Jetzt ist es zu spät. Gier und Gleichgültigkeit bringen der Menschheit den (verdienten) Untergang. Den setzt Verfasser Marquet nunmehr ausführlich und liebevoll in Szene und erfreut damit die Herzen jener Propheten, die bisher hilflos und grimmig verfolgen mussten, wie wieder eine Umweltsau seinen Kaugummi neben den Mülleimer spuckte …

Botschaft statt Handlung

Der aussichtsreichste Kandidat auf der Liste der schwachsinnigsten Romane aller Zeiten kommt zur Abwechslung nicht aus den Vereinigten Staaten oder Deutschland, sondern aus Frankreich. Die Dummheit ist eben doch eine universelle Kraft, die keinen Winkel ausspart; irgendwie eine tröstliche Erkenntnis.

Es ist allerdings leicht, Hohn und Spott über ein Werk wie „Der Zorn“ zu gießen. Der Verfasser macht es dem Kritiker gar zu einfach. Nicht die Ausgangsidee ist zwangsläufig blöd; schon Arthur Conan Doyle hat die belebte Erde sehr unterhaltsam im Kampf gegen die lästigen Menschen gezeigt („When the World Screamed“, 1929; dt. „Als die Erde schrie“).

Marquet nimmt sein Garn freilich bitterernst. Damit versetzt er seiner Geschichte sogleich den Todesstoß, denn sie gerinnt zum tumben Ökotraktat, das zudem systematisch sämtliche Sünden abhakt, die uns gleichgültigen Zeitgenossen die chronisch bewegten Körnerpicker, Kristallschwenker oder Spinnenstreichler dieser Welt schon ewig predigen.

Das Ende ist nahe!

Die Fanatiker vergessen (im Gegensatz zu den Realisten) gar zu gern, dass Umweltschutz unzweifelhaft lebenswichtig ist aber nicht erzwungen werden kann. Genau das wollen sie aber, und wenn es misslingt, dann ist es ihnen offenbar lieber – so lässt sich Marquets Opus auch deuten -, dass darüber die Welt untergeht.

Denis Marquet ist Philosoph mit Universitäts-Lehrstuhl. Damit gehört er zu einem Teilstamm der Wissenschaft, der sich eher selten Gehör in der breiten Öffentlichkeit verschaffen kann. Deshalb wählte Marquet anscheinend den Umweg über die Literatur. Was er als Philosoph taugt, kann Ihr Rezensent nicht beurteilen, aber als Schriftsteller ist er ganz gewiss eine Zumutung!

Eine Handlung lässt sich im Grunde nicht feststellen. Seltsames geht vor auf der Welt; dafür werden immer neue Beispiele geliefert. Bald entsteht beim Leser der Eindruck, Marquet habe immer dann, wenn ihm nicht einfallen wollte, wie seine Mär weitergehen könnte, einfach eine neue Attacke der entfesselten Natur inszeniert. Dazwischen erzählt er von Menschen, die das ökologische Mysterium enträtseln möchten – theoretisch, denn gleichzeitig träumt Marquet offenbar von großer Literatur und lässt seine Protagonisten in ausufernden Gemütsbeschreibungen, verquasten Seelenspiegelungen und Beziehungskisten-Basteleien schwelgen, die leider nur Seifenoper-Niveau erreichen.

Höhepunkte der Peinlichkeit

Wenn’s dann endlich einmal zur Sache geht, d. h. etwas geschehen muss, das einer Handlung oder gar ‚Action‘ gleichkommt, versagt Marquet endgültig. Seine Interpretation der großen weiten Welt, besonders aber die des US-Alltags scheint vor allem von alten „MacGyver“-Episoden inspiriert worden zu sein (= wenn’s nicht pappig wackelt, ist’s nicht ‚echt‘ genug). Die unglaubwürdige und lachhafte Kulisse wird bevölkert mit Schießbudenfiguren wie Colonel Bosman, den wir unter tausend anderem Namen aber mit entsprechendem Kommisskopp-Gehabe in unzähligen Filmen kennen- und hassen gelernt haben.

Ein „Wir-fangen-auf-besenrein-gesintfluteter-Welt-neu-und-besser-an”-Finale der ganz besonders kitschigen Art krönt das klägliche Machwerk, dessen Bestseller-Erfolg (zumindest im französischen Nachbarland) genug echte Gründe zum Philosophieren gäbe: über die Macht der modernen Werbung beispielsweise, die in ihrem Hype die umweltzerstörenden Wölfe, die gleichgültigen Schafsköpfe und beider angeblich so scharfsichtigen Kritiker traulich zu einen weiß.

Faseln bis zur Apokalypse

Generell gilt, dass Marquets Menschheit nichts als den Untergang verdient, sollten die von ihm in die literarische Welt gesetzten Schwachköpfe, Schwätzer und Langweiler ihre typischen Vertreter darstellen. Figurenzeichnung ist eigentlich nicht das prägende Merkmal des Thrillers, aber wenn der Leser auf den Tod wirklich jeden Charakters ungeduldig wartest, kann etwas nicht in Ordnung sein.

Ganz besonders hassen wir Peter, Greg & Mary, Gutmenschen der penetrant naiven Art, die von der rasenden Mutter Erde vermutlich nicht als Menschen erkannt, sondern gerechtfertigt irgendwo zwischen Salzwasserschwamm und Rindvieh einsortiert werden. Ständig barmen sie mit ihren zahllosen Charakterschwächen, von denen zu erzählen Verfasser Marquet niemals müde wird. Ansonsten stellen sie sich bei ihren Versuchen, das Weltende zu erklären, in Wort und Tat so nervensägend bescheuert an, dass man sie durchaus verdächtigen könnte, mit besagter Erde heimlich zusammenzuarbeiten.

Marquet selbst hat sich möglicherweise die Rolle des Professors Legal auf den Leib geschrieben. Klugerweise hat er sich einen anderen Namen gegeben. Mit esoterischem Dummgefasel, wie es sich hier über den hilflosen Leser ergießt, möchte normalerweise nicht einmal ein Philosoph in Verbindung gebracht werden.

Aus Gründen der Objektivität sei abschließend angemerkt, dass die allgemeine Kritik mit „Der Zorn“ freundlicher umgegangen ist als dieser Rezensent. Sogar enthusiastische Worte fallen über einen „genialen Mystery-Thriller mit Tiefgang“. Ein Mysterium ist es tatsächlich, dass sich dieser Buchsturm über das Wasserglas erhebt, in dem er sehr gut aufgehoben wäre.

Autor

„Ein 36-jähriger Philosophieprofessor aus Lyon“ ist dieser Denis Marquet, der mit „Der Zorn“ seinen Romanerstling abgeliefert hat. Gravierenderes lässt sich nicht eruieren; dieser Rezensent gibt offen zu, dass er nicht gewillt ist, viel Zeit darin zu investieren – da gibt es lohnendere Ziele! Daran kann auch der zusammen mit Élisabeth Barrière 2008 veröffentlichte Thriller „Mortelle Éternité“ (dt. „Tödliche Ewigkeit“ wenig ändern, da Marquet seit seinem Erstling nichts dazugelernt hat.

Wer immer noch wissen will, welcher Tiefgang sich (angeblich) hinter dem „Zorn“ und seinem Verfasser – „ein Philosoph im Körper von Bruce Willis“ – verbirgt, wähle Marquets Website.

Taschenbuch: 575 Seiten
Originaltitel: Colère (Paris : Albin Michel 2001)
Übersetzung: Helga Migura
http://www.luebbe.de

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