Mit dem Romandreiteiler »Das Aion« hat Michael Marrak seine erste Geschichte für Jugendliche an den Verlag gebracht. Nun kann man eins vorwegnehmen: Das Buch ist gleichfalls für Erwachsene geeignet, sowohl was Stil als auch Wortwahl und Thema betrifft. Mit dem vorliegenden ersten Band »Kinder der Sonne« entwickelt Marrak nicht nur das Porträt einer zukünftigen Erde mit ihren von einer großen Naturkatastrophe übrig gebliebenen Menschen, sondern er haucht dieser Vision von Anfang an Leben und mysteriöse Facetten ein und gestaltet dadurch einen echten Pageturner.
Aufhängepunkt ist eine Naturkatastrophe, bei der Sonnenstürme nicht bekannten Ausmaßes die Magnetosphäre der Erde hinwegfegen und dadurch die Oberfläche der harten Strahlung aussetzen, so dass nahezu jedes Leben verbrennt und die Erde verwüstet wird. Aus dieser Situation entwickeln sich verschiedene Gruppen von Überlebenden, von denen der Leser zwei kennen lernt: Gut geschützt lebende Forscher und ein diesem Institut benachbartes Dorf mit Menschen, die sich wiederum in zwei Gruppen aufspalten: »Normale« Menschen (so genannte Alphas), welche die Katastrophe überlebten, und durch die Strahlung veränderte Kinder und Jugendliche (so genannte Betas) mit neuen Attributen. So sind sie zum Beispiel gegen die Sonnenstrahlintensität immun und haben noch einige Fähigkeiten, die sie von den Alphas unterscheiden.
Für dieses Dorf kommt es erneut zur Katastrophe: Eine KI-Fabrik gerät außer Kontrolle und wuchert mit unbekanntem Plan unter der Wüste, bis sie künstliche Wesen erschafft, die das Dorf heimsuchen. Eine biologische Macht, die sich selbst »Aion« nennt, rettet die Dorfbewohner vor dem Ende und sucht in der Beta Mira eine menschliche Partnerin im Kampf gegen die »Wucherung« der KI, in der sie eine Bedrohung für die ganze Welt sieht. Mira soll die mysteriöse fliegende Stadt Darabar aufsuchen und eine Frucht des Weltenbaumes ernten, mit der das Aion hofft, der Gefahr, die scheinbar über die maschinelle Bedrohung hinausgeht, Herr zu werden. Der Haken: Für Mira bedeutet das einen Weg ohne Wiederkehr …
Marraks letzte Romane zeichneten sich durch steigende Verworrenheit und abgefahrene psychedelische Aspekte aus, und so gibt es auch in dieser Geschichte krude Personen, mysteriöse Geschehnisse und Verwirrung für Protagonist und Leser. Aber sie ist deutlich geradliniger und der Zielgruppe entsprechend wenig blutrünstig und zeigt, dass sich Marraks Fantasie auch in lichteren Bereichen zu bewegen und entfalten vermag.
Der Prolog ist orakelhaft und wenig »SF-mäßig«, so dass man von der folgenden Entwicklung leicht überrascht wird. Roboter, Leviatoren, künstliche Intelligenzen, übermenschliche Entitäten – alles Bausteine normaler Sciencefiction (aber was ist da schon normal?), von Marrak wirklich unterhaltsam sortiert, verfeinert, individualisiert und neu gepfeffert. Fragen werfen sich auf nach Hintergründen und Handlungsmotivation für beide Drahtzieher in dem Konflikt.
Das Buch endet zwar nicht in einem Cliffhanger, aber es verlangt dringend nach der Fortsetzung. Das Geheimnis der Entstehung der Betas ist bereits gelüftet, aber welche Fähigkeiten genau sie entwickeln, ist eines der Rätsel, die noch dringend gelöst werden wollen, ebenso die Frage nach den »Barrieren«, die den bisherigen Handlungsschauplatz vom Rest der untergegangenen Welt abgrenzen und so verbergen, was hinter ihnen geschieht. Es ist wie eine große Brutstätte für Betas, die bis zu ihrer Vollendung separiert existieren – Zufall oder Überlegung, dass die neue »Wiege der Menschheit« wieder in den afrikanischen Wüsten liegt? Warum kann eigentlich die fliegende Stadt Darabar die Barrieren durchdringen – und warum und wie fliegt sie überhaupt? Ist das überhaupt handlungsrelevant? Was sind denn Ambodrusen für Geschöpfe – vielleicht nur Ausdruck der höllischen Fantasie Marraks, die sich doch nicht gänzlich vom Prädikat »Jugendroman« einschüchtern ließ? Und natürlich gibt es Katakomben, in denen man sich herrlich verirren kann.
Insgesamt lässt sich der Roman als solides Grundwerk der Trilogie bezeichnen, unterhaltsam und spannend, schnell und eindringlich zu lesen, es verflicht sprühende neue Ideen mit alten Konzepten des Genres zur Einführung in eine bedrohliche Zukunft, die den Leser nicht überfordert, sondern begierig auf die Fortsetzung warten lässt. Hier glimmt das Potenzial einer fulminanten Geschichte.
Ein kurzes Wort zur Aufmachung: Schönes Hardcover, aber wo ist das integrierte Lesezeichen? Der Faden, der es ermöglicht, ein edles Buch vor Eselsohren zu bewahren?
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