Martin, Steve – Shopgirl

_Lebensweisheiten in kleiner Dosis_

Ein Aschenputtel wird von seinem Märchenprinzen aus der Armut herausgeholt – und natürlich prompt ausgenutzt. Denn dies ist kein Märchen, dies ist Los Angeles.

_Der Autor_

Steve Martin hat sich als (Theater-)Schriftsteller, Drehbuchautor, Bühnen-Komiker, Schauspieler und Regisseur betätigt. Einige seiner besten Filme sind „Tote tragen keine Karos“, „Roxanne“ und „Vater der Braut“. Seine Storysammlung „Blanker Unsinn“ war in den USA ein Bestseller. Er ist dort auch als kenntnisreicher Kunstsammler bekannt. Seine Sammlung ist in einem der großen Hotels von Las Vegas zu besichtigen. Ich habe die Leute dort Schlange stehen sehen, obwohl der Eintritt eine schöne Stange Geld kostet.

_Handlung_

Mirabelle Buttersfield ist so etwas wie ein Aschenputtel, unscheinbar, schüchtern, dienstbar. Dabei arbeitet sie mitten in einem der begehrtesten Viertel von Los Angeles: in Beverly Hills. Ihr Arbeitsplatz ist das Kaufhaus des Designers Neiman Marcus. Sie verkauft Handschuhe, allerdings in einer Zeit, als niemand mehr Handschuhe trägt. Immerhin taucht ab und zu eine betuchte Japanerin auf und hält Mirabelle auf Trab. In ihrer Freizeit zeichnet sie.

Mit 28 hat sie es noch nicht zu einer Familie gebracht, denn erstens ist sie eine Träumerin und zweitens ist ihr derzeitiger Freund Jeremy ein Loser, der in einer Künstlerkolonie Verstärkerboxen dekoriert. Mirabelle ist das Gegenteil von materialistischen Egoisten, die das jeweils andere (manchmal auch das eigene) Geschlecht für eine flotte Nummer abschleppen. Mirabelle scheint auf altmodische Werte wie Ehrlichkeit, Echtheit und Achtung Wert zu legen – exotische Werte in einer Stadt der Träume und Engel. Höchste Zeit für den Auftritt des Märchenprinzen.

Ray Porter ist Millionär und lädt Mirabelle, die schüchterne Handschuhverkäuferin, zum Abendessen ein. Einfach so. Natürlich ist Ray dabei auf der Suche nach „der Richtigen“. Die flüchtigen Beziehungen mit Damen bedeuten dem Software-Millionär aus Seattle (keinesfalls zu verwechseln mit einem gewissen Bill Gates III., denn dieser ist Milliardär) jedoch wenig mehr als angenehmen Zeitvertreib. Allerdings sehen das die Betroffenen nicht unbedingt genauso. Seine Beziehung zum anderen Geschlecht ist die eines Pubertierenden: Genuss ohne Verpflichtung. Sein Verstand arbeitet zeitsparend, logisch, effizient; seine Wissensdatenbank über Frauen hingegen ist ein Saustall wie das unaufgeräumte Zimmer eines Jungen.

Nun, mit dieser Einstellung fällt er bei Mirabelle langfristig gehörig auf die Nase. Es beginnt ein Reigen von Trennungen und Versöhnungen, bevor Ray seine Gefühle für Mirabelle versteht und entsprechend zu handeln vermag. Er hat wie ein Vater für sie gesorgt und ihr zu einem neuen Start verholfen, erkennt er nach einer Weile. Er kann nur noch ihr Freund sein, nicht ihr Lover. Doch da hat sich inzwischen ein Mann bei ihr zurückgemeldet: der gründliche gewandelte und innerlich gewachsene Jeremy – wer hätte das gedacht?

_Mein Eindruck_

Wie ein onkelhafter, doch keinesfalls herablassender Erzähler des 19. Jahrhunderts nimmt uns Steve Martin an der Hand und führt uns durch die mondänen Straßen von Beverly Hills; zeigt uns die Schönen und Reichen, aber auch das Fußvolk: Mirabelle und Co., die ihre Träume daheim gelassen haben und den Arbeitstag zu überstehen versuchen. Doch am Wochenende und auf Vernissagen zeigen sich alle auf dem Parkett der Partys und Empfänge.

Die scharfe Beobachtungsgabe, die Martin gegenüber Locations und Menschen an den Tag legt, ist verblüffend. Als L.A.-Bürger kennt er sich eh mit den Örtlichkeiten aus. Doch auch mit dem Seelenleben der Bewohner hat er keine Probleme. Er seziert es mit zartem Skalpell, als ob er John Gray („Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“) hieße und der Seelendoktor der Nation wäre.

Sein Humor ist freundlich, nicht griesgrämig. Schon bald merkt man, dass sein Roman eine versteckte Liebeserklärung an die Stadt der Engel und ihre Einwohner ist. Und das kann er mit Fug und Recht tun, schließlich hat Martin schon einiges von den Staaten und ihren Urlaubsgebieten gesehen. Doch wenn er uns zum Lachen bringt, dann ist häufig nicht sicher, ob da nicht doch eine Träne im Augenwinkel hängt.

_Unterm Strich_

Manchem Leser wird der kurze Roman allzu federleicht daherkommen, als eine Art romantischer Komödie. Doch der Schein trügt: Martin erzählt zwar in diesem Ton, und die Handlung liest sich zuweilen wie ein Drehbuch dafür, doch die aktuelle Realität zwischen den Geschlechtern scheint immer wieder durch. Materialismus und Egoismus gibt es zunehmend auf beiden Seiten, und die Ehrlichkeit, auf die Mirabelle besteht, ist selten und wertvoll geworden.

Und für eine seichte Komödie wäre es äußerst ungewöhnlich, wenn sich die Figuren der Geschichte so stark verändern würden, wie es die drei genannten Hauptpersonen tun. Da fragt man sich, ob der Autor nicht doch über mehr Lebenserfahrung und Weisheit verfügt als so mancher Bestsellerautor. Außerdem nimmt er wirklich kein Blatt vor den Mund, wenn es um intime Details geht. Und das sucht man bei den zensierten Autoren der Bestsellerlisten meist vergebens.

Mir hat das Buch gut gefallen, weil es so ehrlich und unverzagt die altbekannte Dreieckskonstellation behandelt. Nette Momente wie etwa Verwechslungen werden frei Haus dazugeliefert.

|Originaltitel: Shopgirl, 2000
Aus dem US-Englischen übertragen von Detlev Ullrich|