Nigel Marven & Jasper James – Monster der Tiefe. Im Reich der Urzeit

Eine Zeitreise in sieben Etappen führt einen wagemutigen Tierfilmer in die Meere der irdischen Vergangenheit. Im Auftrag des Lesers taucht Nigel Marven in geheimnisvolle Tiefen, um deren gewaltige Bewohner aufzuspüren. Im Ordovizium (vor 450 Mio. Jahren) treffen wir auf Seeskorpione und Monumental-Tintenfische in schultütenspitzen Schutzschalen, im Devon (vor 360 Mio. Jahren) auf einen Albträume verursachenden, brechscherenkiefrigen Knochenpanzerfisch. In der Trias (vor 230 Mio. Jahren) erobern die Dinosaurier die Ozeane, im Jura (vor 155 Mio. Jahren) beherrschen sie diese, in der Kreide (vor 75 Mio. Jahren) verwandelt eine Flut bizarrer Riesensaurier die Weltmeere in das Aquarium des Teufels. Im Eozän (vor 36 Mio. Jahren) haben ebenfalls nicht handzahme Säugetiere diesen Lebensraum übernommen, aber im Pliozän (vor 4 Mio. Jahren) lehrt sie ein omnibusgroßer Haifisch das Fürchten.

Alle diese Wesen eint eine Eigenschaft: Sie sind groß, sie sind seltsam, sie sind „Monster“, die in der Gegenwart nicht mehr existieren und den meisten Menschen unbekannt sind. Das ist schade, denn sie würden selbst den naturwissenschaftlichen Laien faszinieren, der freilich in der Regel nur glaubt was er sieht. Deshalb haben Fachleute diese Kreaturen mit Hilfe modernster Computertechnik zu neuem Leben erweckt. Nicht bleiche Knochen werden auf unzähligen großformatigen Fotos präsentiert, sondern quicklebendige Unterwasser-Schrecken aus „Fleisch“ und „Blut“.

Abgerundet wird die informative Einheit aus Text und Bild durch bebilderte Info-Boxen, die wissenschaftliche Befunde vorstellen, welche die Rekonstruktionen überhaupt erst ermöglichten. Der Forschung bietet sich hier die Möglichkeit, ihre Arbeit in Gelände, Labor und Museum zu erläutern. Weitere Tiere, die unser Zeitreisender nur „nebenbei“ entdeckt, werden kurz vorgestellt, ihr Verhalten wird entschlüsselt. Karten und Grafiken leiten den Leser sicher durch Zeiten und Meere.

Durch die Augen eines vor Ort anwesenden Tauchers „sieht“ der Leser fremdartige Welten, die ihm (und ihr) in einfachen Worten geschildert und erläutert werden: ein interessantes Konzept, das angesichts des beschriebenen Aufwands doch sicherlich voll aufgegangen ist? Jein, denn sobald die Bewunderung ob der glänzenden Fassade abklingt, stellt sich dahinter Stirnrunzeln ein.

Wie populär muss bzw. darf Wissenschaft heutzutage sein? Angesichts des vorliegenden Werks stellt sich diese Frage mit unüberhörbarer Lautstärke. Informationen sollen vermittelt werden – aber hat dies unter der Prämisse „Koste es was es wolle“ zu geschehen? Ergreift denn der Durchschnittsbürger tatsächlich die Flucht, wenn sich ihm Wissensvermittler nicht in Begleitung (oder Verkleidung) von Zirkusclowns nähern?

Die BBC ist Ende der 1990er Jahre mit der Serie „Im Reich der Urzeit“ gut gestartet; die revolutionäre Optik ihrer Dinosaurier-Filme hielt sich mit dem Informationsgehalt etwa die Waage. Man erfuhr wirklich etwas über die Welt/en der Urzeit, während man gleichzeitig glänzend unterhalten wurde.

Dann wurde die Reihe fortgesetzt – und eine Entscheidung getroffen. War der Sensationseffekt in unseren flatterhaften Zeiten schon verpufft? Musste nachgelegt werden? Das Special „Die Geschichte von Big Al“ sah 2000 bereits den ersten Auftritt des fotogenen Nigel Marven, der in seine BBC-Zeitmaschine sprang und einem Allosaurier durch den Jura-Dschungel nachschlich. Aus der ohnehin hochdramatisierten Dokumentation wurde ein dokumentarischer Spielfilm, der freilich angenehm spielerisch mit dieser Mischlingsform kokettierte.

„Monster der Tiefe“ geht mehr als einen Schritt weiter – oder tiefer – in Richtung Science-Fiction, wenn man hart urteilen möchte. Das Buch zum Fernsehereignis – die Bezeichnung „Film“ kann dem zirzensischen Charakter des Projekts nicht mehr gerecht werden – verstärkt diesen Eindruck noch. Die echten Informationen sind unzweifelhaft noch da, aber sie beschränken sich auf das Notwendigste und werden in einer Art Pidgin-Fachsprache mitgeteilt. Zwischendurch werden dramatische Szenen des Films nacherzählt, was in einem Sachbuch ziemlich fehl am Platze ist.

Ohnehin ist der Anteil des Textes gegenüber den Bildern im Vergleich zu den früheren Begleitbänden der Serie weiter zurückgegangen. Ein Bilderbuch ist „Monster der Tiefe“ geworden. Die „Fotos“ der rekonstruierten Urtiere sind die Betrachtung wahrlich wert. Auch das noch einmal vergrößerte Buchformat kommt dem entgegen. Was irritiert, ist das grelle, effekthascherische Beiwerk. Was soll eine Hitparade der „sieben tödlichsten Meere aller Zeiten“? Welchen Zweck erfüllen „Hinweise“ wie „Was man beim Tauchen im Devon tun und lassen sollte“? Was anderes als pures Entertainment sind Tipps zur Herstellung eines „Geruchsanzugs“ gegen Meeressaurier, die penetrant zu „Monstern“ degradiert werden?

Aufregend soll es zugehen. Schließlich hat man nicht umsonst einen menschlichen Moderator in die Urzeit „geschickt“. Nigel Marven schwimmt auch im Buch zwischen fiesen und kuriosen Biestern. Der Rest, d. h. die weniger spektakuläre Tierwelt, glänzt weitgehend durch Abwesenheit. Im Text findet manchmal Erwähnung, dass damals wie heute die Welt keine Geisterbahn voller „Monster“ war. Den Bildern ist das schwerlich zu entnehmen. Hier gilt es schrecklich auszusehen, zu kämpfen und zu fressen. Die Qualität der Spezialeffekte ist bewundernswert, ihr Missbrauch, ihre Vergeudung indessen beklagenswert.

Oder liegt es daran, dass „Monster der Tiefe“, das Buch, aus einem knapp 90-minütigen Serienspecial gequetscht werden musste? „Dinosaurier – im Reich der Giganten“ sowie „Die Erben der Saurier“ waren BBC-Serien, die umfangreiche und informationsdichte Begleitbände ermöglichten. „Monster der Tiefe“ ist bei nüchterner Betrachtung dagegen ein dreist aufgeblasenes Nichts von einem Sachbuch.

„Monster der Tiefe“ ist trotzdem kein langweiliges, nicht einmal ein „schlechtes“ Buch. Was an Information den Weg hinein gefunden hat, ist das Lesen & Lernen wert. Die Kritik richtet sich hauptsächlich gegen das plump eingestanzte Beiwerk, das anbiedernd den größten gemeinsamen Nenner sucht. Wissen möglichst breit zu streuen ist ein ehrenvoller Auftrag, dies auf (Privat-)Fernseh-Niveau zu tun freilich kaum die Lösung.

Nigel Marven ist ein Botaniker und Zoologe, der seit 1984 für die „Natural History Unit“ der BBC tätig ist. Dort inszenierte und produzierte er zahlreiche Tierfilme. Seit 1998 steht er auch als Moderator vor der Kamera. Der Weg zum schauspielernden Dinosaurierköder war dann anscheinend nur noch kurz. Die Uniform des Leierkastenaffens überzustreifen, hat sich für ihn offenbar gelohnt, denn wir werden Marven sicherlich an prominenter Stelle in neuen „gefährlichen Abenteuern“ wieder begegnen.

Jasper James wurde 1993 Marvens Kollege in der BBC-Wissenschaftsabteilung, wo er ebenfalls als Regisseur und Produzent aktiv war. 1997 wurde er die treibende Kraft hinter „Dinosaurier – Im Reich der Giganten“. Der außerordentliche Erfolg dieser Serie ließ ihn seine Nische im „Dokumentarfilm“ finden: Jasper lässt – ab 2001 in der eigenen Firma „Impossible Pictures“ – so ziemlich jede Urzeit-Kreatur wieder aufleben, um sie in virtuellen Vergangenheits-Kulissen spannende Abenteuer erleben zu lassen.

Gebunden: 167 Seiten
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