Ed McBain – Eine große Hand zum Gruß

Die Polizei findet eine Menschenhand. Ist ihr ‚Besitzer‘ tot, womöglich ermordet? Die Ermittlungen geraten ständig in Sackgassen, bis die Nerven der Kriminologen bloßliegen. Sie müssen auf weitere Leichenteile warten, was die Untersuchung freilich keineswegs einfacher macht … – Der 11. Krimiklassiker aus McBains legendärer, mehr als ein halbes Jahrhundert laufender Serie um das „87. Polizeirevier“ gerät zum unwiderstehlichen Cop-Thriller mit frühem „CSI“-Plot, der mit Spannung, Menschlichkeit und lakonisch-rauem Witz erzählt wird.

Das geschieht:

In Isola, einer Großstadt an der Ostküste der USA, findet der Vorfrühling nur im Kalender statt. Dauerregen zerrt an den Nerven der Bürger, zu deren Schutz Streifenpolizist Richard Genero unverdrossen seine Runden dreht. Sein Eifer lohnt sich: An einer Bushaltestelle findet er eine Tasche, darin nach neugieriger Überprüfung eine abgehackte Männerhand!

Das 87. Polizeirevier ist zuständig für den Fall, die Detectives Steve Carella und Meyer Meyer machen sich, unterstützt vom Neuling Bert Kling, an die Arbeit. Leider ist eine Hand kein besonders aussagekräftiges Ermittlungsobjekt. Ein Verbrechen wurde begangen; dies beweist die Tatsache, dass die Fingerkuppen mit ihren Abdrücken sorgfältig entfernt wurden. Allerdings könnte der einstige Besitzer der Hand noch leben. Die üblichen Verdächtigen werden befragt, fragwürdige Stadtviertel aufgesucht. Carella und seine Kollegen finden ehebrüchige Seeleute, Striptease-Tänzerinnen, ‚Fotomodelle‘, rauschgiftsüchtige Musiker und andere verdächtige Zeitgenossen, denen jedoch nichts nachzuweisen ist.

Wie die Beamten den Fall auch drehen und wenden, sie wissen genau, dass ihnen eigentlich nur eine Möglichkeit bleibt: Der Rest der potenziellen Leiche muss auftauchen. Genau das geschieht jedoch nicht. Die Untersuchung tritt auf der Stelle, die Nerven liegen blank, neue Verbrechen fordern Aufklärung. Leichenteile werden aus dem Fluss gefischt und den entnervten Ermittlern präsentiert, doch das makabre Puzzle will sich nicht fügen, bis in einer Mülltonne eine zweite Hand aufgespürt wird, die endlich ‚passt‘. Der Fall wird anschließend noch absurder, und als er sich endlich auf grausige Weise löst, wünschen sich die Polizisten fast, dass sie weiterhin im Ungewissen geblieben wären …

Der Tod ist aus sicherer Entfernung spannend

Unterschätzt die alten Meister nicht! Zu den Krimi-Erfolgen des 21. Jahrhunderts gehören die drei originalen „CSI“-Fernsehserien und ihre zahllosen, mehr oder weniger offen abgekupferten Klone. Auch auf den Buchmarkt schwappte die Flut der Hightech-Indizien- und Leichenschnüffler mit ungebrochener Macht über. Deshalb fällt es schwer zu glauben, dass dieses vor allem in seinen Seziertisch-Episoden recht detailliert und in seinen Beschreibungen rüde Subgenre keine Neuschöpfung ist, sondern bereits auf eine eigene zumindest einige Jahrzehnte alte Geschichte zurückgreifen kann.

Nicht einmal an Deutlichkeit lassen es die älteren Vorgänger fehlen, denn so drückt es Ed McBain im hier besprochenen Roman auf S. 16/17 treffend aus: „Aber machen wir uns doch nichts vor: Der Tod ist eine wirklich unappetitliche Angelegenheit … Schön ist es nicht, den menschlichen Körper – sei es Mann oder Frau, Kind oder Erwachsener – im Zustand der Auflösung zu sehen.“ Dem folgt eine Auflistung überaus verständlicher Schrecken, die eine in Stücke geschnetzelte, von Kugeln durchlöcherte, allmählich verrottende Leiche um sich verbreitet. Zur Erinnerung: „Eine große Hand zum Gruß“ entstand 1960, d. h. in der ‚guten‘, alten Zeit, als derartig (geschmacklose) Ehrlichkeit angeblich noch unbekannt war.

Nicht nur aus diesem Grund haben sich Ed McBains Krimis viele Jahren gehalten, sind nicht gealtert, sondern wie guter Wein gereift: Der Verfasser nannte seit jeher die Dinge beim Namen. Im Unterschied zu manchen Epigonen tat er es jedoch nicht, um bloß zu schocken. McBain wollte etwas deutlich machen: Die Gewalt gehört zum Großstadtleben. Sie ist verwerflich und zu verfolgen, sollte aber nicht beschönigt werden. Deshalb sind die zahllosen Scheußlichkeiten, die sich um die Ermittlungen in einem Fall, der nur eine abgehackte Hand als Anhaltspunkt bieten kann, nicht isoliert zu betrachten. McBain integriert sie jederzeit in seine Geschichte, die insgesamt nicht nur vorzüglich geplottet ist, sondern flott und mit der für den Verfasser typischen, recht einmaligen Mischung aus Melancholie und schwarzem Humor abläuft.

Polizeiarbeit vor dem digitalen Zeitalter

Polizeiarbeit besteht in der Hauptsache aus Laufereien, Befragungen ohne Ergebnis und frustrierenden Fehlschlägen. Mit bemerkenswerter Deutlichkeit vermag McBain – nicht umsonst gilt er als Großmeister des „police procedural“ – dies seinen Lesern vor Augen zu führen, die sich dennoch niemals gelangweilt fühlen, denn sie werden entschädigt durch ein Panorama des großstädtischen Alltagslebens, das der Rezensent beinahe geneigt ist ‚literarisch‘ zu bezeichnen, würde es nicht die Gefahr in sich bergen, dieses Buch auf eine Ebene zu hieven, für die es nicht geschrieben wurde und die es nicht benötigt.

Natürlich bleiben nostalgische Lesemomente nicht aus. Amüsant wirkt heute McBains Schilderung der Arbeitsmethoden in der Vermissten-Abteilung der Kriminalpolizei von Isola. Bernd Kling, der hier recherchiert, wird von den dort tätigen Beamten durchaus ernst ermahnt, die dort gesammelten Fakten nicht durch rüde Behandlung zu entwerten – sie werden auf Karteikarten festgehalten, die weder verschmutzt noch geknickt werden dürfen … Die digitale Revolution liegt noch in weiter Ferne.

Cops und Menschen

Die Romane um das 87. Revier gewinnen ihren Reiz neben der durchdachten Handlung stets auch durch die Meisterschaft, mit der ihr Verfasser den Menschen der Stadt Isola Gesichter zu geben versteht. Nie wird dem Leser beispielsweise die Absurdität bewusst, dass Steve Carella und seine Kollegen, die zwischen 1956 und 2005 Dienst taten, nicht altern, während die Welt vorsichtig ins 21. Jahrhundert fortschreitet. Jedes Mal wirken sie absolut authentisch, weil McBain ihnen vom Alter unabhängige Biografien schafft: Der Steve Carella in „Eine große Hand zum Gruß“ (1960) ist bereits ein anderer Mann als vier Jahre zuvor in „Cop Hater“ (dt. „Polizisten leben gefährlich“), und er entwickelt sich weiter, bis wir 2005 in „Fiddlers“ (noch keine dt. Übersetzung) Abschied von ihm nehmen müssen.

Wie man es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus … Auch diese uralte Binsenweisheit füllt McBain mit Leben. Viele Randexistenzen scheuchen die Beamten des 87. Reviers bei ihren Ermittlungen auf. Ebenso kurz wie scharf charakterisiert der Verfasser sie als Pechvögel, Kriminelle aus Not oder verirrte Seelen, ohne darüber ihre potenzielle Gefährlichkeit vergessen zu lassen. Im Grunde hat auch jeder ‚redliche‘ Mensch etwas zu verbergen. Dies vom aktuellen Fall zu trennen fällt den Beamten um Steve Carella schwer, denn ihr Job hat sie chronisch misstrauisch und auch zynisch gemacht.

Dennoch gibt es noch den Punkt, an dem Routine umschlägt in Unglauben und Entsetzen. Die Lösung des Falls der unbekannten Hand ist gleichzeitig schrecklich und theatralisch absurd. McBain versteht es, beide Aspekte zu betonen und sogar noch Verständnis für den Mörder zu wecken: Die Welt ist ein harter Ort, das Leben entsprechend schwierig, und manchmal schafft es ein Mensch nicht sich dem zu stellen. Stattdessen klinkt er sich aus und ist plötzlich unaussprechlicher Taten fähig. Der Triumph, den die Polizisten des 87. Reviers üblicherweise bei der Festnahme eines Täters fühlen, bleibt dieses Mal aus: Sie sind Mensch genug geblieben um zu spüren, dass hier die ihnen gleichsam heiligen Gesetze nicht mehr greifen können – eine Auflösung, die leicht ins Rührselige und Unglaubhafte abgleiten könnte, wäre es nicht Ed McBain, der unsentimental und sanft zugleich das Unfassbare in Worte fasst und dem Genre Kriminalroman ein weiteres Highlight aufsteckt.

Autor

Ed McBain wurde als Salvatore Albert Lombino am 15. Oktober 1926 geboren. Dies war in den USA in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg kein Name, der einem ehrgeizigen Nachwuchsschriftsteller hilfreich gewesen wäre. Also ‚amerikanisierte‘ sich Lombino 1952 zu Evan Hunter und schrieb ‚richtige‘ Bücher, d. h. Literatur mit Botschaft und Anspruch, darüber hinaus Kinderbücher und Drehbücher.

Da sich der Erfolg in Grenzen hielt, wählte Vollprofi Hunter ein neues Pseudonym und verfasste als „Ed McBain“ den ersten der von Anfang an als Serie konzipierten Kriminalromane um das 87. Polizeirevier. Schnelles Geld sollten sie vor allem bringen und ohne großen Aufwand zu recherchieren sein. Deshalb ist Isola mehr oder weniger das Spiegelbild von New York, wo Lombino im italienischen Getto East Harlems groß wurde. Aber Hunter bzw. McBain kochte nicht einfach alte Erfolgsrezepte auf Er schuf ein neues Konzept, ließ realistisch gezeichnete Polizisten im Team auf ‚richtigen‘ Straßen ihren Job erledigen. Das Subgenre „police procedural“ hat er nicht erfunden aber entscheidend geprägt.

1956 erschien „Cop Hater“ (dt. „Polizisten leben gefährlich“). Schnell kam der Erfolg und es folgten bis 2005 54 weitere Folgen dieser Serie, der McBain niemals überdrüssig wurde, obwohl er ‚nebenher‘ weiter als Evan Hunter publizierte und als McBain die 13-teilige Serie um den Anwalt Matthew Hope verfasste. Mehr als 100 Romane umfasste das Gesamtwerk schließlich – solides Handwerk, oft genug Überdurchschnittliches, geradlinig und gern fast dokumentarisch in Szene gesetzt, immer lesenswert -, als der Verfasser am 6. Juli 2005 einem Krebsleiden erlag.

Taschenbuch: 158 Seiten
Originaltitel: Give the Boys a Great Big Hand (New York : Simon and Schuster 1960)
Übersetzung: Charlotte Richter
http://www.ullsteinbuchverlage.de

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