Michael McCollum – Lebenssonden

Die Menschheit ist nicht die einzige intelligente Spezies im Weltraum. Die „Schöpfer“ entdeckten, lange bevor der Mensch überhaupt existierte, zahlreiche andere intelligente und hoch entwickelte Rassen, doch mit keiner konnte man wirklich kommunizieren, eine gemeinsame natürliche Barriere trennte alle Rassen: Die Lichtgeschwindigkeit.

Selbst die schnellsten Raumschiffe und Funksignale benötigen Jahrhunderte oder gar Jahrtausende, um viele Lichtjahre entfernte Planetensysteme zu erreichen. Seit mehreren hunderttausend Jahren entwickelt man sich technologisch weiter, aber der Traum, schneller als das Licht zu fliegen, bleibt eine Utopie. Schließlich wird die Frage, ob es möglich ist, schneller als das Licht zu fliegen, existenziell: Die Rohstoffe im System der Schöpfer werden knapp. Man startet das Projekt der LEBENSSONDEN, die nur eine Aufgabe haben, nämlich Kontakt zu anderen Spezies herzustellen, ihre Erkenntnisse zu speichern und zurückzubringen. Man erhofft sich davon entscheidende Impulse in der Forschung; Kontakte mit anderen Rassen führten in der Vergangenheit oft zu Quantensprüngen in der technologischen Entwicklung. Im Idealfall würde eine Sonde eine Rasse mit überlichtschnellem Antrieb entdecken und mit dieser, sofern sie ihr nicht als Bedrohung der Schöpfer erscheinen, ins Geschäft kommen.

Lebenssonde 53935 erreicht das Sonnensystem und nimmt Kontakt mit der Menschheit auf, obwohl sie diese als potenziell gefährlich einstuft und die Koordinaten der Heimatwelt der Schöpfer deshalb verbirgt. Dennoch ist sie bereit, das Risiko einzugehen und der aggressiven Menschheit technologisch unter die Arme zu greifen. Denn im nahen Procyon-System, das die Sonde aus eigener Kraft nicht mehr erreichen kann, hat sie Signaturen festgestellt, die nach Ansicht der Erbauer auf einen Überlichtantrieb schließen lassen. Die Sonde will die Menschheit mit genügend Wissen füttern, um eine Expedition zum Procyon zu ermöglichen, gerät aber in politische Machtspiele und Interessenkonflikte: Die verschiedenen Machtblöcke der Erde wollen das Wissen der Sonde für sich beanspruchen und buhlen um ihre Gunst und exklusive Sonderrechte. Politischer und militärischer Sprengstoff, bei dem die Lunte bereits glimmt.

|Heyne| veröffentlicht mit „Lebenssonden“ einen aus den 1983 beziehungsweise 1985 erschienenen Romanen „Lebenssonde 53935“ (Life Probe) und „Planetensystem Procyon“ (Procyon’s Promise) des Autors Michael McCollum bestehenden Sammelband. Der zweite Band setzt nahtlos an den ersten an, beide gehören zusammen, insofern ist diese Entscheidung als gelungen zu betrachten. |Heyne| hat zuvor bereits McCollums Antares-Trilogie in „Der Antares-Krieg“ zusammengefasst.

Über „Planetensystem Procyon“ möchte ich nicht zu viel verraten. Es gelingt tatsächlich, eine menschliche Kolonie auf Procyon zu errichten. Die Alphaner genannten Nachkommen der Siedler können aus den Hinterlassenschaften des aufgegebenen Außenpostens einer fremden Zivilisation tatsächlich das Geheimnis des überlichtschnellen Raumflugs bergen und ein solches Raumschiff bauen. Man fliegt zur Erde, beseelt von einer fast zur Religion gewordenen Idee der Alphaner: Die verlorene Position der Heimatwelt der Schöpfer finden und mit ihnen das Geheimnis des Überlichtantriebs teilen. Auf der Erde ist die Freude über diese Entdeckung jedoch geteilt, auch ist man nicht ganz der Meinung der Alphaner, man müsste dieses Wissen, das auch als Waffe verwendbar wäre, unbedingt teilen …

Der 1946 in Phoenix, Arizona, geborene Michael McCollum ist Raumfahrtingenieur und hat an vielen amerikanischen Raumfahrtprojekten mitgearbeitet. Ein solides wissenschaftliches Fundament zeichnet – wie bereits den „Antares-Krieg“ – daher auch diesen Roman aus. Wieder steht die Frage, wie man überlichtschnell reisen könnte, im Mittelpunkt; an die Stelle von Wurmlöchern tritt dieses Mal zwar ein Antrieb, aber die Konsequenzen sind in etwa dieselben. Besonders der zweite Teil, „Planetensystem Procyon“, erinnert stark an die Erkundung des Weltraums durch die ANS Discovery im „Antares-Krieg“. Insbesondere die Kommandanten der beiden Raumschiffe sind sich sehr ähnlich.

McCollum ist ein sehr konstanter, geradezu berechenbarer Autor. Viele seiner Romane drehen sich um die politischen und sozialen Konsequenzen und die Wunder interstellarer Reisen. Seine bekanntere |Antares|-Trilogie ist im Grunde genommen nur eine Weiterentwicklung der hier angesprochenen Problematiken. Der erste Teil, „Lebenssonde 53935“, hat jedoch einige sehr interessante Ideen. Teilweise schreibt McCollum aus der Sicht der SONDE, welche die Menschheit beurteilt. Die Beschreibung ihrer Reise sowie die Entwicklung eines speziell auf die Menschheit zugeschnittenen und unabhängigen Teils ihrer selbst, STELLVERTRETER, konnten mich faszinieren. Die politisch und schließlich sogar militärisch eskalierenden Konflikte sind ebenfalls nachvollziehbar und sogar unterhaltsam, das gegenseitige Misstrauen sowie zur Eskalation führende Spionage und Sabotage lockern das vermeintlich dröge Ränkespiel deutlich auf und machen es sehr genießbar, dank leichter Anleihen beim Thriller-Genre.

„Planetensystem Procyon“ schlägt in die Kerbe Raumschiff Enterprise, Erforschung der unendlichen Weiten des Weltalls, kombiniert mit der Suche nach den Schöpfern. McCollum gelingt es exzellent, ein Entdeckergefühl im Leser zu wecken; die politischen und sozialen Aspekte treten dafür in den Hintergrund, was der Handlung zwar gut tut, aber auch einen etwas flauen Nachgeschmack hinterlässt, denn es steht im Kontrast zum in dieser Hinsicht ausgeklügelten ersten Teil. Die Kolonisten verstehen und bauen innerhalb kürzester Zeit mit einer limitierten industriellen Basis zwei überlichtschnelle Raumschiffe, die Skepsis der Erdbewohner gegenüber den fortschrittlicheren Besuchern verfliegt sehr schnell und man macht sich gemeinsam auf eine groß angelegte Suche nach den Schöpfern. Diese Suche ist zu einer Art Quasireligion geworden, der Alphaner aller Konfessionen huldigen. Es gibt zwar Widerstände auf der Erde, aber diese wischt McCollum schnell beiseite, schließlich geht es darum, endlich den Weltraum zu erkunden. Dabei konzentriert er sich auf technische Aspekte, wie zum Beispiel darauf, was passieren würde, wenn der Antrieb zwischen den Sternen ausfällt – wie würde man Hilfe holen? Die Kommandostruktur ist klassisch: ein starker Kommandant und los geht die faszinierende Reise ins Unbekannte – die in sehr interessanten Erkenntnissen mündet.

McCollum überzeugt mit seinen Ideen, Visionen und Konzepten. Seine Schwäche sind die blassen Charaktere. SONDE ist der einzige Charakter, an den man sich nach einiger Zeit noch namentlich erinnern kann. Alle Figuren ordnen sich der Handlung unter, gewinnen wenig Profil und wirken klischeehaft und austauschbar. Das hat dieser Sammelband mit dem „Antares-Krieg“ gemeinsam; ein Wortakrobat oder Schöpfer von beeindruckenden Heldencharakteren ist McCollum einfach nicht. Allerdings ist er auch ein intelligenter und analytischer Autor mit faszinierenden Ideen, die er dem Leser interessant und verständlich nahe bringt. „Lebenssonden“ ist ein empfehlenswerter Sammelband, dessen einzige Schwäche ist, dass er dem besseren Sammelband „Der Antares-Krieg“ oft sehr ähnelt.

Taschenbuch: 752 Seiten
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