Meijer, Fik – Gladiatoren. Das Spiel um Leben und Tod

Das Kolosseum in Rom, größte Gladiatorenarena der antiken römischen Welt, bildet Dreh- und Angelpunkt der Darstellung des Niederländers Fik Meijer. Er ist bemüht, sich einem der seltsamsten und auch düstersten Kapitel der an blutigen Episoden nicht gerade armen Menschheitsgeschichte objektiv zu nähern: Mehr als ein halbes Jahrtausend ergötzten sich die Bewohner des römischen Imperiums an perfekt auf Schauwert organisierten Tierhatzen, Massenhinrichtungen und Zweikämpfen auf Leben und Tod. Sie saßen bequem in riesigen, eigens für diesen Zweck er- und eingerichteten Arenen und schauten zu, wie Mensch und Tier im Sekundentakt grausam zu Tode kamen.

Keine einfache Aufgabe, wie Meijer bereits in seiner Einleitung deutlich macht. Er erläutert dem Leser deshalb eindringlich eine grundsätzliche Prämisse der historischen Forschung: Moralische Regeln sind wandelbar. Was heute in der Rückschau abgelehnt wird, war für die Zeitgenossen womöglich rechtens und ethisch begründbar. Sie hätten unsere Abscheu gar nicht verstanden. Das menschliche Handeln muss deshalb stets vor seinem jeweiligen zeitlichen Hintergrund betrachtet und gewertet werden.

In einem ersten Kapitel geht Meijer auf „Ursprung und Entwicklung der Gladiatorenspiele …“ ein. Ersterer liegt weitgehend im Dunkel, unser Wissen ist notgedrungen lückenhaft. Dennoch steht fest, dass Theateraufführungen und Wagenrennen am Anfang der späteren Schlachtfeste standen. Sie wurden zu Ehren der Götter oder verdienter Mitglieder der oberen Stände ausgerichtet und – der Mensch liebt Spektakel – allmählich immer größer und aufwändiger. Von sportlichen Wettkämpfen bis zum Kampf Mann gegen Mann ist der Weg gar nicht weit. Meijer beschwört das Bild einer römischen Gesellschaft herauf, für die Gewalt dem Feind und Härte sich selbst gegenüber zum Alltag gehörte.

Da der Mensch des 1. nachchristlichen Jahrhunderts keinesfalls dümmer als seine Nachfahren war, standen schließlich zweihundert Arenen in allen Teilen des Reiches. Bis ins Detail ausgefeilte Kämpfe fanden hier statt, für deren Realisierung eine ausgeklügelte Logistik erforderlich war, über die uns Meijer kundig ins Bild setzt. „Die Hauptdarsteller“ nennt er zu Recht jenes Kapitel, in dem er sich mit den Gladiatoren beschäftigt. Wer waren diese Männer (sowie einige Frauen!), die sich einer solchen Tortur unterziehen mussten oder gar freiwillig unterzogen? Herkunft, gesellschaftliche Stellung, Ausbildung, „Arbeitsalltag“ und Liebesleben sind nur einige Aspekte, die hier abgehandelt werden.

Dem „Spielfaktor Mensch“ wird das Tier als unbedingt erforderliches Element des Gladiatorenkampfes gegenübergestellt. Der „Verbrauch“ an Lebewesen aller Art war enorm und trug zum Aussterben ganzer Gattungen bei. Löwen, Leoparden, Bären, Elefanten, Nilpferde, Nashörner und alles, was beißen, kratzen und töten konnte, wurde von einschlägigen Spezialisten vor Ort gefangen und zu den Arenen gekarrt. Manchmal zu Tausenden mussten die Kreaturen dort ihr Leben lassen, wurden „gejagt“, aufeinander gehetzt, als Henker für renitente Sklaven, Christen und andere Feinde des Staates missbraucht.

„Der Ort der Handlung“ bezeichnet die Arena, in der gekämpft und gestorben wurde. Meijer wählt hier das Kolosseum in Rom als Beispiel. Er berichtet von dessen Bau, erläutert die Sicherheitsmaßnahmen – das Töten sollte gefälligst die Zuschauerreihen aussparen – und deckt die bemerkenswerten Einrichtungen auf, mit denen zahlreiche „Spezialeffekte“ realisiert werden konnten: Seeschlachten in einer Stadtarena würden wohl selbst heute Aufsehen erregen.

„Ein Tag im Kolosseum“ stellt den Versuch dar, ein „typisches“ Spiel in Roms größter Arena zu rekonstruieren. Zeitgenössische Texte, Mosaiken oder Vasenmalereien bilden die Grundlage; ergänzt werden sie durch Funde, die vor allen in den Gladiatorenschulen von Pompeji gemacht wurden, welche beim Ausbruch des Vesuvs 79 v. Chr. verschüttet wurden und praktisch im Originalzustand erhalten blieben.

Ein unappetitliches Kapitel beschäftigt sich mit der nahe liegenden Frage, wie denn mit den unzähligen Leichen und Kadavern verfahren wurde, die jedes Gladiatorenspektakel mit sich brachte. Wie Meijer deutlich macht, wurde hier ebenso rigoros wie praktisch verfahren, die umgekommenen Menschen „entsorgt“, die Tiere an die Armen der Stadt der verfüttert – der alte und angemessene Spruch von „Brot & Spielen“ bekommt hier eine neue Note.

Im vierten nachchristlichen Jahrhundert begannen Gladiatorenspiele aus der Mode zu kommen. Sie wurden für das in Bedrängnis geratende Römische Reich zu kostspielig. Die christliche Religion setzte sich durch; sie verdammte selbstverständlich die blutigen Frivolitäten, nachdem allzu viele frühe Christen dabei unfreiwillig als Darsteller fungieren mussten. Wiederum am Beispiel des Kolosseums schildert Meijer, wie die Spiele in Vergessenheit gerieten und die Arenen als Steinbrüche für spätere Bauwerke dienten.

Ein Exkurs beschäftigt sich mit „Gladiatoren im Film“. Zwei Beispiele werden vorgestellt: „Spartakus“ mit Kirk Douglas in der Hauptrolle, ein Meisterwerk und Höhepunkt der „Sandalenfilme“, die in den 1950er und 60er Jahren für volle Kinos sorgten, und „Gladiator“, jener Blockbuster des Jahres 2000, der die ungebrochene Attraktivität des Themas unter Beweis stellte. Meijer stellt Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus und kommt zu dem gut begründeten Schluss, dass beide Filme fabelhaft unterhalten aber unter wissenschaftlichem Aspekt ein wüstes Gemenge fehlinterpretierter und ignorierter historischer Fakten darstellen.

Ein ausführlicher Anhang liefert ein Glossar der lateinischen Fachbegriffe, enthält den Anmerkungsapparat, bietet Bild- und Literaturnach- und Hinweise, präsentiert eine Zeittafel sowie ein Verzeichnis der bedeutendsten Amphitheater.

Das Thema Gladiatoren ist – Hollywood sei Dank – wieder im Gespräch. Es fasziniert und schreckt ab, lässt schaudern über eine glücklicherweise überwundene Phase der menschlichen Geschichte und bietet die gern genutzt Gelegenheit, in grausigen Details zu schwelgen. Vor allem solchem Halbwissen hat Fik Meijer den Kampf angesagt. Die Gladiatorenkämpfe sind integraler Bestandteil der Historie, kein isoliertes Element, und die Geister, die in der Arena geweckt werden, sind auch heute durchaus noch aktiv. Eindringlich beschwört der Verfasser mit Hilfe antiker Texte das Bild eines Menschen herauf, der den Spielen ablehnend gegenübersteht, sich widerwillig überreden lässt als Zuschauer teilzunehmen – und in einen Blutrausch gerät, der ihn begeistert und später beschämt zurücklässt: Der von der Gewalt berauschbare Voyeur steckt in uns allen und kurz ist der Schritt zum Täter, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Die nüchterne Feststellung und Begründung dieser wenig schmeichelhaften Tatsache ist ein großer Verdienst dieses Sachbuchs. Er geht über die reine Darstellung der antiken Gladiatorenspiele hinaus, welche jedoch ebenfalls in klaren Worten festhält, was nun einmal gewesen ist oder gewesen sein könnte – nicht alle Details sind geklärt. Meijer spielt mit offenen Karten, enthält seiner Leserschaft nicht vor, wo und wie er Lücken mit Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten füllt.

Ähnlichkeiten mit den zahlreichen Gladiatorenbüchern, die seit dem Filmerfolg von Ridley Scott im Jahre 2000 auf die Buchmärkte gebracht wurden (vgl. u. a. Thomas Wiedemann, „Kaiser und Gladiatoren. Die Macht der Spiele im antiken Rom“, in deutscher Übersetzung erschienen im Primus Verlag, Marcus Junkelmann, „Das Spiel mit dem Tod. So kämpften Roms Gladiatoren“, Zabern Verlag, oder Alan Baker, „Gladiatoren. Kampfspiele auf Leben und Tod“, Goldmann Verlag), bleiben natürlich nicht aus. Vor allem gegenüber dem letzten Titel kann Meijer punkten, weil er es konsequent vermeidet, die Geschichte künstlich zu dramatisieren. Sein „Tag im Kolosseum“ ist keine fiktive Nacherzählung, sondern bleibt sachliche Beschreibung ohne Personsalisierungen, was sehr zu empfehlen ist, zumal die meisten Sachbuchautoren keine verkannten Romanciers sind, wie sie selbst oft anzunehmen scheinen.

„Gladiatoren“ ist ein kostengünstiges Sachbuch. Das macht sich jedoch nur in einer Hinsicht negativ bemerkbar: Das Bildmaterial ist rar und ausschließlich schwarz-weiß, die Abbildungen sind zu klein, die Wiedergabequalität lässt zu wünschen übrig. Dass Meijer wie bereits erwähnt nur einen Überblick bieten kann und möchte, ist dagegen hoffentlich klar: Die Lektüre seines Buches stellt einen Einstieg in die Materie dar. Wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen will, kommt um weitere Lektüre nicht herum.

Fik Meijer ist Professor für Alte Geschichte an der Universität von Amsterdam. Als solcher veröffentlichte er eine Fülle wissenschaftlicher Artikel und Fachbücher, unter denen seine (mit Marius West besorgten) Übersetzungen von Flavius Josephus’ antiken Geschichten der Juden herausragen.

Daneben bemüht sich Meijer um die historisch interessierten Laien außerhalb des universitären Elfenbeinturms. Er hat keine Scheu, gesichertes aber schwer zugängliches Wissen in verständliche Worte zu fassen, ohne dabei an den Fakten zu rütteln. Dafür wurde er z. B. 2005 mit dem niederländischen OIKOS-Publikumspreis ausgezeichnet. Weiterhin ist ihm klar, dass sich der Mensch von Heute auch oder sogar vor allem für das Menschliche/Allzumenschliche oder das Alltägliche der Vergangenheit interessiert. Meijer trägt dem u. a. mit Büchern Rechnung, in denen er über Wagenrennen und Schifffahrt schreibt. Zu seinen großen Erfolgen gehört ein Sachbuch, das den verheißungsvollen Titel „Kaiser sterben nicht im Bett“ trägt und die römische Kaiserzeit aus einem Winkel betrachtet, der puristischen Altertumskundlern schwerlich behagen dürfte.