Astrid Meirose / Volker Pruß – Schattenreich 2: Finstere Fluten (Hörspiel)

Gothic-Musikmenü mit Story-Dessert

Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt wird der junge Kulturwissenschaftler Christian Wagner in mysteriöse Todesfälle verwickelt. Der Äygptologe Prof. Jan Erik Walberg, der Christian anrief und treffen wollte, ist unauffindbar: Wurde er entführt? Oder hat er sich absetzen müssen, weil seine Forschungen an Mumien alle moralischen Grenzen überschritten haben? Ein grausiger Fund, den Christian Wagner in Walbergs Labor macht, lässt Schreckliches erahnen. Welchem sinistren Zweck diente das Labor?

Die Autoren

Als Autoren zeichnen Astrid Meirose und Volker Pruß verantwortlich.

Folge 1: Die Nephilim
Folge 2: Finstere Fluten
Folge 3: Spur in die Tiefe
Folge 4: Nachthauch

Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Christian Wagner – Alexander Scheer
Alexa Voss – Sandra Speichert
Dr. Bruno Schwab – Volker Brandt
Adrian Bloch – Norman Matt
Geheimnisvolle Frau – Daniela Hoffmann
Hagerer, bleichgesichtiger Typ – Dero („Oomph!“)
Tina Müller – Anna Thalbach

sowie David Turba, Clara Nicolai, Manfred Lehmann, Joachim Höppner, Regina Lemnitz, André Sander, Santiago Ziesmer.

Alexander Scheer (geboren am 1. Juni 1976 in Ost-Berlin) verließ nach dem 11. Schuljahr die Schule und jobbte die folgenden vier Jahre als Friedhofsgärtner, Postbote, Barkeeper und als Darsteller in einigen Werbefilmen. Er überzeugte den Regisseur Leander Haußmann bei einem Casting zum Film Sonnenallee, seiner ersten Kinofilmerfahrung, sodass Haußmann ihm die Rolle des Protagonist Michas anbot. Nach den Dreharbeiten zu „Sonnenallee“ folgte er Leander Haußmann, der Intendant am Schauspielhaus war, nach Bochum. Dort spielte er Rollen in Theaterstücken wie Viel Lärm um Nichts, Leonce und Lena oder Faust ist tot. Im Film „Viktor Vogel – Comercial Man“ trat er neben Götz George, Julien Lambroschini, Nele Mueller-Stöfen und Maria Schrader auf.

Anna Thalbach (eigentlich: Anna Maria Joachim genannt Thalbach) steht seit ihrem sechsten Lebensjahr vor der Kamera, dabei war der Weg zur Schauspielerei nicht so gerade, wie man es bei der Tochter von Katharina Thalbach annehmen könnte. Sie beginnt nach dem Abschluss der Mittleren Reife zunächst eine Hospitanz als Kostümbildnerin am Schillertheater. Doch der Hang zum Schauspiel überwiegt, und bald schon feiert sie selbst große Bühnenerfolge, so auch an der Seite ihrer Mutter in „Mutter Courage“. Mittlerweile war sie in rund dreißig Kino- und TV-Filmen zu sehen.

Sandra Speichert (geboren am 22. Januar 1971 in Basel) wurde als Tochter deutscher Eltern aus Lörrach geboren und wuchs in den Niederlanden, Belgien und Frankreich auf. Sie spricht neben Deutsch, Französisch und Englisch auch Flämisch und Schweizerdeutsch. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr erhielt sie Ballett-Unterricht. Danach machte sie am Internationalen Gymnasium St. Germain-en-Laye das Abitur. Von 1990 bis 1992 nahm sie Schauspielunterricht am Cour Florent in Paris und trat unter anderem in La Traviata, Carmen und Bolero auf. Im Marais-Viertel, in dem sie lebt, ist sie seit Ende der 80er Jahre regelmäßig auf Theater-Bühnen zu finden. Sie spielte in „Profil Bas“, „Die Halbstarken“, „Der Campus“ und „Kai Rabe gegen die Vatikankiller“.

Dero wurde am 16. April 1970 in Wolfsburg geboren. In der Band |Oomph!|, die 1989 gegründet wurde, ist er der Mann für den Gesang, die Texte, Drums und Kompositionen. Der Weg zur Musik sah laut eigener Aussage für Dero so aus: „Auf diversen Familienfeiern in den 70ern wurde ich ‚gezwungen‘, mit meinem Vater (Gitarrist, Sänger) alle nur erdenklichen Elvis-Songs in grauenhaftem Englisch rauf und runter zu schmettern.“

Daniela Hoffmann ist die deutsche Stimme von Julia Roberts, Volker Brandt die von Michael Douglas.

Die Musik:

|Secret Discovery|: „Follow Me“ / „Away“
|Anti Doctrine|: „Downfall“
|ASP|: „Ich will brennen“
|Letzte Instanz|: „Tanz“
|Oomph!|: Gott ist ein Popstar
|Garden of Delight|: „Play Dead (Sanctus Fortis)“
|Vigilante|: „The Other Side“
|De/Vision|: „The End“
|Qntal|: „Ozymandias 1“
Das Berliner Filmorchester und Kammerchor

Regisseur Simon Bertling und Tonmeister Christian Hagitte von |STIL| sorgten für die gute Produktion, die Musik und die Sounds; ihnen half Cornelia Schilling. Die Produzenten sind Marc Sieper von |Lübbe Audio| sowie Oliver Ihrens von |Radar Media|, Bochum. Das interessante Booklet-Design stammt von Kai Hoffmann.

Handlung

PROLOG

„Ich bin alles, was gewesen ist, was noch ist und was sein wird. Und meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet.“ Man meint die gute Frau wohl, wer sie ist? Wir erfahren es nicht.

Haupthandlung

Christian Wagner, seines Zeichens Kulturwissenschaftler und kürzlich nach fünf Jahren im Ausland in seine Heimatstadt zurückgekehrt, sitzt im Zug. Wieder einmal erinnert er sich an seine tote Geliebte Billie (bürgerlich Sibylle Scholl), die mit ihm Mitglied der Elitegruppe der „Titanen“ war.

Christian sucht den Ägyptologen Prof. Jan Erik Walberg. Er hat gesehen, wie der Prof offenbar kurz vor Beginn seines Vortrags über Mumien verschleppt wurde. Allerdings glaubt keiner Christian Beobachtung, schon gar nicht seine Ex Alexa Voss, die nicht mehr bei der Kripo, sondern fürs Bundeskriminalamt (BKA) arbeitet, das die Ermittlungen an der Mordserie in der Stadt übernommen hat. Schon drei Ex-Titanen sind tot, und Christian könnte der nächste sein.

Die Lokaljournalistin Tina Müller setzt sich neben ihn. Leider kann er die Klappe nicht halten und äußert schwere Zweifel an den offensichtlichen Vertuschungsmanövern des BKA. Das findet Tina natürlich mega-interessant, und so schließen die beiden Freundschaft. Was für ein Zufall: Sie fährt ebenfalls zu Walberg, um dessen Labor zu bewundern – und zu fotografieren. So ein medizinisch gebildeter Ägyptologe kommt ihr fast wie Dr. Frankenstein vor. Was es da wohl Schauriges zu finden gibt? Per Handy bekommt sie eine Einladung zu einem „Dark Halloween Event“ an ihrem Zielort.

Sie besorgt Christian ein Dracula-Kostüm, mit dem er dann alleine auf der Party aufkreuzt. Was sollen bloß all die vielen Kürbisse hier? Von einem halbnackten Knochenmann mit Bodypainting bekommt er einen scharfen Drink, der voll reinhaut. Ein paar hübsche Mädels reichen ihm einen Joint, der noch mehr reinhaut: Endlich kann die Chose losgehen. Es wird eine Nephilim-Orgie, was sonst. Dass Nephilims negative Titanen sind, stört ihn beim Anblick zweier textilfreier Mädels herzlich wenig. Ob wohl auch Tina hinter einer der Masken steckt?

Am nächsten Morgen kriegt Christian kaum seine Knochen aus dem Bett. Da klingelt schon sein Handy: Tina will ihn abholen, um Walbergs Haus zu besuchen. Sie sagt rein gar nichts über die Orgie am Vorabend, und er geniert sich, das Thema anzuschneiden. Wer weiß schon, welche Sauereien er mit ihr angestellt hat?

Das ehemalige Gutshaus steht am Fuße einer bedrohlich aufragenden Staumauer. Auf ihr Klopfen öffnet niemand; da die Tür offen ist, treten sie ein. Hinter einer Stahltür stoßen sie auf Walbergs Labor. Hier soll er angeblich Gehirne von Mumien seziert haben. Das ist nach Christians Meinung völliger Schwachsinn, den ägyptischen Mumien wurde stets das Gehirn entnommen. Nur das Herz verblieb im Körper.

Als Tina den Kühlschrank öffnet, schreckt sie zurück: Da steckt ein Kopf in einem Glas! Christian kennt den Kopf: Er gehörte Robert „Robbie“ Gruber, einem der „Titanen“ in seiner Gruppe. Er lässt Tina Fotos davon machen. Im Rechenzentrum finden sie eine Liste, auf der nur Christians Stammbaum ausgedruckt ist. Das findet Christian seltsam, denn woher soll Walberg ihn so genau kennen? Sind es die Finanziers von Walbergs Projekt, die die Verbindung bilden?

Auf einmal hört Tina ein mächtiges Donnern, und als sie zur hinteren Tür hinausschauen, sehen sie eine Wasserwand auf sich zurasen. Der Stausee läuft über!

Mein Eindruck

Allmählich wird die Handlung so dünn, dass sie auf einen Notizzettel passt. Vor lauter Andeutungen beginnt der Zuhörer allmählich daran zu zweifeln, dass Christian wirklich mal auf ein handfestes Skandälchen stößt. Ein Totenkopf im Kühlschrank? Genau passend zu Halloween, oder?!

Apropos Halloween: Der ganze Kurztrip zu Walberg ist vielleicht nur die Tarnung für einen Abstecher zu einer zünftigen Orgie in der Provinz, und was dabei vernascht wird, sind wohl keine Kürbisköpfe. Wie schon in der ersten Episode finden diverse weibliche Leckereien auf zwei Beinen heftigen Zuspruch, und da Christian, unser Superdetektiv, bis zur Halskrause zugedröhnt ist, lässt er dabei nichts anbrennen. So lieben wir unsere Gothic-Helden: Immer bereit, einen draufzumachen und die Sau rauszulassen. Die Mumien werden ihm schon nicht weglaufen, oder?

Die Anleihen bei „Sakrileg“ sind nicht zu übersehen: Christian ist ein Kollege von Robert Langdon, aber Gott sei Dank wesentlich weniger verklemmt. Auch scheint Christian nicht unbeteiligter Beobachter zu sein, sondern ein Teil des Rätsels, das das Schicksal der gemeuchelten Titanen umgibt. In einem weiteren bekifften Moment glaubt er sogar, Prof. Walberg bei Bruno Schwab, seinem Mentor, zu sehen, aber das kann ja wohl nicht sein, oder? Die Folgen sind ausdenkbar. Da könnte Christian ja gleich alle ehemaligen Kameraden verdächtigen.

Auch die Audioserie „Offenbarung 23“ lässt schön grüßen. Dort wurde der mystische Hintergrund hinsichtlich Stonehenge und die Weltverschwörung der Mithrasanhänger weidlich ausgeschlachtet (besonders in „Machiavelli“). Auch diesmal wälzt Christian Verschwörungsgedanken, die von seinem besseren Ich Alexa Voss natürlich sofort als Paranoia abgeschmettert werden. Aber hat Alexas BKA nicht gerade eine Mordserie vertuscht? Wie so oft, wird das Publikum im Ungewissen gelassen, was es denn nun glauben soll. Da hilft nur eines: weiterhören! Die nächsten zwei Episoden (siehe oben) kommen bestimmt.

Die Inszenierung

Die Geräuschkulisse des Hörspiels ist nicht allzu realistisch. Man hört nicht jede Tasse klappern, nicht jedes Auto vorbeirauschen. Vielmehr stehen die Kommunikationsmittel im Vordergrund: Handys, Telefone, Türklingeln, fehlen nur noch Türklopfer und Megafone. Ein Wecker nervt mit seinem Ticken, und die Krähe am Anfang nervt noch mehr. Kein Wunder, dass Christian ständig an Kopfschmerzen und Schlafmangel leidet.

Alexander Scheers raue Raucherstimme passt zum Möchtegerndetektiv à la Philip Marlowe, der nur per Zufall zum Kulturwissenschaftler geworden zu sein scheint. Sein Gegenteil, ein Ausbund an Disziplin und Pflichtbewusstsein, bildet die Rolle der Alexa Voss, gesprochen von Sandra Speichert. Sie tritt in dieser Episode hinter der kindlich-eifrigen Tina Müller, gesprochen von Anna Thalbach, zurück.

Den thrillergemäßen Höhepunkt der Episode bildet die Szene in Walbergs Labor. Es ist wie bei Dr. Frankenstein. Entsprechend unheimlich ist das soundmäßige Ambiente. Als die Stahltür des Labors zuschlägt, erschrickt der Zuhörer ob des gehörigen Donnerschlags. Das ist aber noch gar nichts gegen das Donnern der Wasserwand, das die Szene beendet, während unsere zwei Supernasen weggespült werden.

Die Musik

Spätestens nach einer halben Stunde des Anhörens verhärtet sich im Zuhörer der Verdacht, dass diese ganze ausgeklügelte Handlung eigentlich nur ein Vorwand ist. Nämlich der Vorwand, um möglichst viel deutsche Neo-Gothic-Musik abspielen zu können. Die oben aufgeführte Interpretenliste ist nur die Spitze des Eisbergs dessen, was den Zuhörer erwartet. Es verwundert nicht, dass in die Produktion des Hörspiels Firmen wie |Radar Media|, |Stil| (für die professionelle Soundproduktion) und das Musikmagazin „Sonic Seducer“ eingebunden sind.

Letzteres hat sich mit einem Aufkleber auf der Hülle verewigt. |Radar Media| ist im Booklet mit einer ganzen Seite Werbung vertreten: „Schattenreich Vol. 3: Die Kult-Kompilation als 2CD [sic!] und DVD u.a. mit Rammstein, Oomph!, Marilyn Manson […] und unveröffentlichten TV-Sessions [!!] mit „Camouflage“, „In Extremo“ und anderen Specials“. |Radar| hat das Copyright und die Markenrechte für „Schattenreich“ inne, folglich war die Firma auch an der Produktion beteiligt. Und da es in ihrem Interesse liegt, die Bands wie |Rammstein|, |Oomph!| usw. zu vermarkten, packte sie natürlich so viel Musik wie möglich auf die Silberscheibe. Jedes Mal eine Disko-Session in die Handlung einzubauen – egal wie –, war daher obligatorisch, und das merkt man auch in Episode 2.

Diese Dinge sollte man wissen, wenn man die Musikeinlagen des Hörspiels bewertet. Plötzlich wird aus der Handlung nicht das Hauptgericht, sondern lediglich die Beilage. Deshalb dröhnt unvermittelt der Leadsong „Follow me“ durch die Boxen, nachdem bereits ein Donnerschlag den Zuhörer aus seiner Bürgerruhe aufgescheucht hat. Es gibt anschließend kaum eine ruhige Minute, in der keine Musik erklingt. Hier hat |Radar Media| ganze Arbeit geleistet. Und wer sich nun verstört fragt, wer denn bitte schön |Rammstein|, |Marilyn Manson| und |Oomph!| seien, der sei auf die aktuellen Albumcharts verwiesen. Und wer mich nun fragt, was für eine Sprache dieser seltsam mystische Chor da singt, dem kann ich nur achselzuckend antworten, ich hätte keine Ahnung. Es klingt jedenfalls ein ganz klein wenig nach Hebräisch (aber das sage ich ohne Gewähr).

Hinweis: Auf http://www.schattenreich.net findet man das Tagebuch einer Figur, um die es immer wieder im Hörspiel geht. Ich tippe als Autorin auf Sibylle Scholl, die angeblich beim Brand ihrer Klinik umgekommene Billie, Christians Geliebte. Das Tagebuch bietet zusätzliche Hintergrundinformationen.

Unterm Strich

Die Story von „Schattenreich 2“ ist, wie gesagt, so dünn, dass sie auf einen Post-it-Zettel passt. Darüber nachzugrübeln ist der Mühe nicht wert. Der Plot enthält Elemente einer Serienhandlung, die Anleihen bei „Sakrileg“ und „Offenbarung 23“ sind. Die Story wartet aber mit genügend Rätseln auf, dass der Zuhörer bei der Stange bleibt. Ansonsten ist zu konstatieren, dass dieser Plot als Vorwand für a) Sex und b) jede Menge Musik-Marketing dient. Daran trägt der Produzent |Radar Media| die Verantwortung. Und wenn die Handlung nicht in die Gänge kommt, dann liegt es an willkürlich eingebauten Szenen wie der in der Dorf-Disco „Alte Mühle“ (hey, so heißt ja meine!), die nur dem Aufgeilen des Publikums dient, aber ansonsten keinen geistigen Nährwert besitzt.

Wie bei allem, was das Studio |STIL| produziert, ist das Produkt hinsichtlich Sound und Optik vom Feinsten. Immerhin erreichen das Studio und der |Lübbe|-Verlag eine neue Zielgruppe, die mit „Offenbarung 23“ nur unzureichend bedient wird: die Gothic-Rockfans, die auf Bands wie |Rammstein|, |Oomph!| und |ASP| stehen. Diesbezüglich kann „Offenbarung 23“ glatt einpacken. Wer die Songs runterladen will, findet auf http://www.schattenreich.net den Link dorthin.

67 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3785731703
www.luebbe.de/luebbe-audio