Michael Brandman: Robert B. Parker’s Damned If You Do. A Jesse Stone Mystery

Lawman und Don Quichotte: Kampf bis zum Showdown

Polizeichef Jesse Stone wird zu einem Tatort in einem Motel am Strand von Paradise, Massachusetts, gerufen. Das Opfer ist eine junge Frau, die ihm bekannt vorkommt, aber offenbar als Prostituierte arbeitete. Von Gentleman-Mafioso Gino Fish bekommt er einen Tipp. In Boston kommen sich zwei Zuhälter in die Quere und die junge Frau geriet eventuell zwischen die Fronten. Ungewöhnlich: Jesse Stone schwört, der jungen Frau Gerechtigkeit zu verschaffen. Das tut er in dem Fall seines früheren Steuerberaters Donnie Jacobs, der offenbar im Seniorenheim misshandelt wird.

Der O-Titel zitiert eine Hälfte des amerikanischen Sprichworts: „Damned if you do, damned if you don’t – either way you’re screwed.“ Vornehm ausgedrückt: „Egal, wie man sich entscheidet, man ist immer der Dumme.“

Der Autor Michael Brandman

Michael Brandman hat mehr als 30 Filme produziert und arbeitete dabei jahrelang mit Robert B. Parker zusammen, von der Spenser-TV-Serie bis zu den Jesse-Stone-Filmen, in denen Tom Selleck die Hauptrolle spielt. Brandman ist Koautor der Drehbücher für „Stone Cold“, „No Remorse“ und „Innocents Lost“. Er überwachte die Drehbuchadaptionen der Stone-Krimis „Night Passage“, „Death in Paradise“ und „Sea Change“. Er und Selleck fungierten als Ausführende Produzenten der Stone-Reihe. Brandman lebt in Kalifornien.


Der Autor Robert B. Parker

Der US-Autor Robert B. Parker, geboren 1932, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zu seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 50 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der Spenser-Reihe wohl seine neun Jesse-Stone-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird gerne vom ZDF gezeigt. Der ehemalige Professor für Amerikanische Literatur, der 1971 über die Schwarze Serie promovierte, lebte mit seiner Frau Joan in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen viele seiner Krimis.

Jesse-Stone-Krimis:

1) Night Passage (1997, „Das dunkle Paradies“)
2) Trouble in Paradise (1998, „Terror auf Stiles Island“)
3) Death in Paradise (2001, „Die Tote in Paradise“)
4) Stone Cold (2003, „Eiskalt“)
5) Sea Change (2006, „Tod im Hafen“)
6) Stranger in Paradise (2007)
7) High Profile (2008)
8) Night and Day (2009)
9) Split Image (2010)
10) Killing the Blues (M. Brandman)
11) Fool Me Twice (M. Brandman)
12) Damned If You Do (M. Brandman)
13) Blind Spot (von Reed Farrel Coleman)

Handlung

Mord

Die junge Frau auf dem Bett des schäbigen Strand-Motels am Rande von Paradise ist ihren Teenagerjahren kaum entwachsen. Die Schusswunde in ihrer Brust kommt jedenfalls sehr verfrüht, findet Polizeichef Jesse Stone. Irgendwie kommt sie ihm bekannt vor, so als ob er sie schon einmal gesehen hätte, vor langer Zeit. Aber sie arbeitete wohl als Prostituierte. Wer auch immer sie ist: Sie hatte es nicht verdient, so früh sterben zu müssen.

Cpt. Healy, der Chef der Staatspolizei von Massachusetts, kann ihm nicht bei der Identifizierung helfen, und Gino Fish, der rätselhafte Mafioso, der schon immer seine Finger in dem Prostituiertengeschäft hatte, lässt seinen alten Bekannten Jesse Stone wieder einmal aufs allerhöflichste auflaufen. Aber anonym gibt es ihm einen Namen und eine Nummer: Clarice Edgerson.

Miss Edgerson ist eine afroamerikanische Frau um die Vierzig, die man am besten als Callgirl der Oberklasse bezeichnen könnte. Sie nennt nicht nur ein nobles Haus ihr Eigen, sondern wird auch gut bewacht: von Thomas Walker, einem afroamerikanischen Zuhälter, der bewaffnet in der Gegend herumläuft – mit zwei Leibwächtern. Diese Nervosität liegt daran, dass Walker, ein Lude der alten Schule, neuerdings Konkurrenz von Fat Boy Nelly bekommen hat, einem jungen Zuhälter, der seine „Pferdchen“ schlauerweise per Internet anbietet.

Erst nach einigem Bohren bei Walker, Edgerson und einem Treffen mit Nelly wird Jesse klar, an wen ihn die junge Frau erinnert hat: an Janet Greeley, die er vor zwölf Jahren vom Drogenkonsum abgehalten hat. Ihre Mutter Martha hat wieder geheiratet und heißt inzwischen Becquer. Sie verstand sich mit ihrer rebellischen Tochter nie.

Janet war schon damals smart gewesen und war es bis zu ihrem Tod immer noch: Sie verhandelte sowohl mit Thomas Walker als auch mit Fat Boy Nelly darüber, für wen sie künftig anschaffen gehen würde. Darüber kam es zwischen den Zuhältern zum Streit. Und diesen weiterhin schwelenden Streit bringt nun Jesse als Katalysator zum Ausbruch…

Misshandlung

Unterdessen ermittelt er in einem sehr traurigen Fall von Misshandlung wegen Donnie Jacobs, einem alten Mann, der in ein Seniorenheim namens „Golden Horizons“ gegangen war. Donnie war früher Jesses Steuerberater und Buchhalter, doch wegen Alzheimers kann er sich nicht mehr an seinen Klienten erinnern.

Die Leitung des Pflegeheims lehnt es ab, irgendetwas für Donnie oder gar für Jesse zu tun, der sich um den alten Mann, der ruhiggestellt und ans Bett gefesselt wurde, kümmern will. In einer Eilaktion und gegen den Widerstand der muskulösen Pfleger befreien die Polizei und Donnies Tochter Emma den Patienten und bringen ihn ins Krankenhaus.

Der Fall wirbelt viel Staub auf. Jesses Recherche ergibt, dass „Golden Horizons“ kein Einzelfall ist. Das Heim gehört der Firma eines gewissen Philip Connell, der offenbar einen regelrechten Reibach macht, wenn er solche ruhiggestellten Privatpatienten abzockt und gleichzeitig die Heime vergammeln lässt.

Merkwürdigerweise hat es Connell geschafft, alle Anschuldigungen seitens der Gesundheitsbehörde und der Staatsanwalt mit seinen Anwälten abzuschmettern. Als Jesse drei Inspektionen des Heims in einer Woche – von Feuerwehr, Gebäudeschutz und Gesundheitsbehörde – initiiert, kommt Connell höchstpersönlich vorbei, um ihn zu treffen.

Der Manager macht ihm ein Angebot, das Jesse (fast) nicht ablehnen kann…

Mein Eindruck

Robert B. Parkers Stil ist offenbar unnachahmlich. Man sieht es an den Fortsetzungen an, die der Produzent Michael Brandman geschrieben hat: „Killing the Blues“ und „Fool Me Twice“. (Beide sind noch nicht bei uns erschienen.) Wie bei Parker besteht die Handlung vor allem aus Dialogen, die zwischen den Zeilen alles verraten, was der Leser wissen muss.

Das ist der Stil von Raymond Chandler und Dashiell Hammett, die das Krimi-Genre revolutionierten und über die Parker promoviert hatte, bevor er seinen eigenen Stil entwickelte. Das wichtigste Merkmal: Der Autor urteilt weder über die Guten noch die Bösen. Aber wenn es endlich zum Action-Finale kommt, dann mit Schmackes und unweigerlich viel Blut. Das passiert auch hier.

Ständige Begleiter

Es ist ratsam, zur Lektüre auch dieses Brandman/Parker-Krimis ein wenig Vorwissen mitzubringen, denn die Figuren in Paradise werden kaum noch eingeführt. Der Jesse-Stone-Fan kennt sie wie die Hauptrollen jener TV-Serie, zu denen sie mittlerweile geworden sind. Hier treten also wieder die obligatorischen Nebenfiguren auf, so etwa Molly Crane, jesses weibliches Gewissen, oder Captain Healy, Jesses männliches Gewissen. Endlich durfte ich mich auf ein Wiedersehen mit Dix freuen, dem Gesprächstherapeuten Jesses. Da er früher mal ein Cop war, wendet sich der Polizeichef an ihn, um Rat zu erbitten.

Wiedersehen

Eine der bewegendsten „Episoden“ in der Jesse-Stone-Reihe ist „Death in Paradise/“Die Tote in Paradise“)“ (Nr. 3). Darin geriet eine junge Frau auf Abwege ins Nuttenmilieu von Boston, kreuzte aber dabei den Weg einer modernen Nonne. Sister Mary Jone freut sich auch jetzt wieder, Chief Stone wiederzusehen und bekommt ein Abendessen spendiert. Durch eines ihrer „Schäfchen“ gelingt Jesse der Durchbruch: Sein Mordopfer geriet ebenso an Thomas Walker wie diese misshandelte, aber entkommene junge Frau. Er und Sister Mary verhelfen ihr zur Flucht nach Kalifornien. Endlich weiß er, weshalb ihm das Opfer im Motel so bekannt vorkam: Er kannte sie, als sie noch ein Teenie war (in einem seiner frühesten Fälle in Band 1 oder 2).

Über die Bande spielen

Parallel zu dem Handlungsstrang um Donnie Jacobs und Philip Connell, der sich zuspitzt, nimmt es Jesse mit Thomas Walker, dem brutalen Luden, auf. Dabei nutzt er dessen Rivalen Fat Boy Nelly ein wenig aus. Er hetzt sie nicht direkt aufeinander, sondern spielt einfach nur den Katalysator, indem er Walkers „Freundin“ Clarice Edgerson bearbeitet. Diese Leute tun zwar schlimme Dinge, aber sie werden so unparteiisch gezeichnet, wie dies bereits Raymond Chandler tat: Sie mögen zwar Schurken sein, aber es gibt auch nützliche Leute darunter. Und Jesse hegt immer ein Fünkchen Hoffnung, dass sich diese Leute ändern können – genau wie er es ja auch selbst geschafft hat.

Sowohl im Fall Donnie Jacobs als auch mit Thomas Walker kommt es zu einem dramatischen Showdown. Im Nachhinein schützt Jesse die „richtigen“ Leute, was doch eines gewissen Humors nicht entbehrt. Auch wenn die Situation noch so komisch ist, so gebietet es doch der unparteiische Erzählstil, stets ernst zu bleiben. Der Parker-Leser ist also gut beraten, möglichst mitzudenken. Wer zu faul dafür ist, dem dürften alle Parker-Romane ziemlich seltsam vorkommen.

Schwächen

S. 48: Der Ausdruck „mishigas“ wird nicht erklärt. Da Donnie Jacobs ein Jude ist und den Ausdruck gebraucht, könnte es sich um ein hebräisches oder jiddisches Wort handeln. Tatsächlich handelt es sich laut „Yourdictionary.com“ um eine andere Schreibweise von „meshugas“, also um Verrücktheit. Davon ist das deutsch-jiddische Wort „meschugge: verrückt“ abgeleitet.

S. 67: „Then he headed for the elevator?“ Das Fragezeichen ist hier fehl am Platz.

S. 86: „Strange?“ [Jesse] said.“ Auch hier ist das Fragezeichen fehl am Platz.

Unterm Strich

Nach dem etwas laschen und Glamour-orientierten „Fool Me Twice“ besinnt sich Michael Brandman in „Damned If You Do“ wieder auf die Tugenden des Hardboiled-Krimis: schnelle, harte, listige Handlung auf der einen Seite, wenn es um die Aufklärung eines Mordes geht – und mitfühlende Action auf der anderen Seite, wenn es um Donnie Jacobs‘ Rettung und um den Kampf gegen Philip Connell geht.

In beiden Fällen scheint Jesse Stone auf verlorenem Posten zu stehen. Er bekommt ein ums andere Mal gesagt – sogar vom Bezirksstaatsanwalt -, dass sein Kampf gegen Connell aussichtslos sei und ihn vernichten werde. Auch die Einmischung in einem Revierkampf zweier Luden könnte Jesse Stone zu einer akuten Bleivergiftung verhelfen. Genau diese Gefahren und der Kampf gegen angebliche Windmühlen verschaffen diesem Krimi eine doppelte Dosis Spannung. Stone ist Lawman und Don Quichotte, eine Kombination wie in einem Western.

Schön fand ich auch, mit welchem Ernst sich der Autor des Privatlebens der Hauptfigur annimmt. Gegen Schurken ist Stone unnachgiebig, aber gegen Opfer voll Mitgefühl und Engagement, vor allem, wenn sie Frauen, Kinder oder Senioren sind. Es sind die Wehrlosen und Schwachen, für die er sich einsetzt. Nicht nur Molly Crane ist ein Spiegel seiner Seele, sondern auch Mildred Memory, seine Katze – in Ermangelung einer Bettpartnerin.

Das Thema der wehrlosen, misshandelten Senioren mag wohlfeil und für einen Krimi unpassend erscheinen, aber der Autor erinnert daran, dass in wenigen Jahren die Hälfte der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein wird, nur um dann unweigerlich durch die Alzheimersche Krankheit dement oder debil zu werden.

Dieser nationale Notstand bahnt sich auch bei uns bereits seit geraumer Zeit an. Die Last, sich um die Alten zu kümmern, wird dann auf den Schultern der Jungen liegen. Und sie müssen ihre Eltern und Großeltern gegen gierige Geschäftemacher vom Schlage eines Philip Connell in Schutz nehmen – sofern sie das überhaupt wollen oder können. Jesses Maßnahmen zeigen, dass es trotz der Heerscharen von Anwälten, die die Gegenseite aufzubieten weiß, gelingen kann, den Kampf zu gewinnen. Denn jeder von uns hat das Recht, in Würde zu sterben – und nicht wie ein Kadaver entsorgt zu werden.

Das Englischniveau

Der Leser sollte mittelgute Kenntnisse in amerikanischem Englisch mitbringen. Die Sätze sind extrem einfach formuliert. Auffällig häufig werden sogar Standardformulierungen wie „He didn’t say anything“ oder „She looked at him“ verwendet, die dem unparteiischen Erzählstil geschuldet sind. Es liegt also nur am Vokabular in den Dialogen, dass der Leser etwas nachzuschlagen hat.

Taschenbuch: 190 Seiten
Sprache: Englisch
ISBN-13: 978-1843443513

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