Michael Cadnum – Totenlicht

Leonard, in dessen Oberstübchen große Unordnung herrscht, ist bei der Untersuchung eines angeblichen Geisterhauses verschwunden. Auf Bitten der Mutter macht sich Cousin Paul in die Wildnis auf, um ihn zu suchen, stößt dabei jedoch auf Leonards Großvater, der nachweislich schon lange tot ist … – Gelungene Mischung aus Psychothriller und Horror; der Mensch bzw. sein Hirn bilden die Quelle des eigentlichen Schreckens, was erfreulich überzeugend in Szene gesetzt ist.

Das geschieht:

Die reiche, zurückgezogen lebende Witwe Mary Lewis ruft ihren Neffen, den Restaurant-Kritiker Paul Wright, zu sich. Seit zwei Monaten hat sie nichts mehr von ihrem Sohn Leonard gehört. Der talentierte, aber psychisch labile Fotograf geht seit einiger Zeit einem eigenartigen Hobby nach: Er lichtet des Nachts Gräber ab und hofft, dabei die Geister der Verstorbenen aufzunehmen. Nur die Mutter weiß, wie weit seine bizarre Faszination für den Tod inzwischen gediehen ist. Ihrem Neffen verschweigt sie vorsichtshalber, dass Leonard den Sarg seines verehrten, lange verstorbenen Großvaters geöffnet und die entstellte Leiche fotografiert hat.

So macht sich Paul, begleitet von seiner Freundin Lise, ahnungslos zur Parker-Hütte auf. Gerüchte, die sich um das uralte Gemäuer ranken, lockten Leonard Wright hierher. In der Hütte soll es spuken, und eine ganze Reihe von Menschen kam an diesem Ort unter seltsamen Umständen zu Schaden oder gar zu Tode. Doch als Paul und Lise ihr Ziel erreichen, finden sie die Hütte, die auf einer kleinen Insel inmitten eines durch Hochwasser angeschwollenen Flusses steht, leer. Leonard ist verschwunden, doch sein Gepäck und seine Kamera ließ er zurück. Paul rechnet mit dem Schlimmsten, aber der Cousin – oder seine Leiche – bleibt unauffindbar.

In der Nacht müssen Paul und Lisa feststellen, dass sie nicht allein auf der Insel sind. Jemand – oder Etwas – kappt die Stromkabel der Hütte durch, stiehlt den Wagen und lässt die Brücke einstürzen. Das Paar ist auf der Insel gefangen.

Inzwischen mag Mary Lewis nicht mehr abwarten. Ihr wird bewusst, dass sie ihren Neffen und seine Gefährtin womöglich in eine gefährliche Situation gebracht hat. Deshalb macht sie macht sich ebenfalls auf den Weg zur Parker-Hütte. Spät in der Nacht erreicht sie ihr Ziel und kommt gerade rechtzeitig, um Paul und Lisa beizustehen: Sie kämpfen mit einem unheimlichen, feindseligen Wesen – die Leiche von Leonards Großvater scheint voller böser Absichten ihrem Sarg entstiegen zu sein …

Loblied auf vergessene Qualität

„Totenlicht“ ist ein kleiner, aber feiner Horror-Roman. Er ist schon einige Jahre alt und stammt aus einer „guten, alten Zeit“, an die man sich als Liebhaber des Unheimlichen voller Wehmut erinnert: Praktisch jeder Buchverlag brachte um 1990 monatlich mehrere einschlägige Titel auf den Markt brachte. Heute hätte ein Roman wie „Totenlicht“ wohl kaum eine Chance auf ein Erscheinen. Der Autor hat keinen Namen wie Stephen King oder Dean Koontz, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrades nie Schwierigkeiten hatten (und haben), nicht nur unheimliche Geschichten zu veröffentlichen.

Dabei liefert Michael Cadnum mit seinem Roman-Debut solide Arbeit ab. Er hält den Kreis seiner Figuren klein; auch die Zahl der Schauplätze ist überschaubar, die Handlung wenig spektakulär. „Totenlicht“ könnte durchaus als Bühnenstück funktionieren. Hauptsächlich spielt sich die Geschichte in einer Hütte im Wald ab. Die freiwillige Beschränkung ist beabsichtigt und ein kluger Schachzug, denn der noch unerfahrene Autor kann sich so auf seine Geschichte konzentrieren, die jenseits überzogener und womöglich (noch) nicht realisierbarer Ansprüche gut unter Kontrolle gehalten wird.

Ein Verrückter, der Tod und Verwesung liebt, seine herrschsüchtige Mutter, ein einsames Spukhaus sowie zwei ahnungslose Helden, die als Katalysator den bisher mühsam gebändigten Wahnsinn unfreiwillig zum Ausbruch bringen: Die Elemente dieses Thrillern sind wahrlich nicht neu, aber im selbst gewählten, eng gesteckten Rahmen weiß Cadnum sie wirksam einzusetzen.

Das Grauen im eigenen Schädel

Die Auflösung des Plots bietet zwar kein Überraschungen, doch dies liegt auch daran, weil seit der Veröffentlichung viele weitere (Drehbuch-) Autoren auf Cadnums Plot zurückgegriffen, aber diesen deutlich weniger geschickt entwickelt haben. Cadnum lockt seine Leser auf eine falsche Fährte, aber das ist ein legitimer Trick, dessen sich Schriftsteller seit jeher bedienen. Der heraufbeschworene Horror ist ein menschliches und sehr diesseitiges Phänomen, das umso nachhaltiger wirkt, weil sich Cadnum mit der Materie spürbar auskennt. Der nachhaltige Eindruck wird durch den nüchternen, manchmal fast dokumentarischen Tonfall – der in der Übersetzung erhalten blieb – unterstrichen.

Weil es sich um ein Debut-Werk handelt, kann man dem Verfasser diverse Fehler nachsehen. Das Privatleben von Paul und Lise legt Cadnum zu breit an; die Figuren werden dadurch nicht plastischer, und für den Gang der Handlung sind viele Informationen schlicht überflüssig. Die Familiengeschichte der Wrights wird zwar glaubhaft als Quelle potentiellen Wahnsinns dargestellt, aber wieso ausgerechnet Leonards Großvater herumspuken sollte, wird niemals wirklich klar. Ungeklärt bleibt auch die Frage, wieso Paul, Lise und Mary ständig derselbe Albtraum – in einer Hütte, die sich später (ebenso unerklärlich) als das Parker-Spukhaus erweist, werden die Träumenden von einer unbekannten Macht bedroht – plagt. Wie kann dies sein, wenn Leonard ein ‚normaler‘ Irrer ist, der beileibe keinen Draht zum Jenseits besitzt? Solche (und einige andere) Ungereimtheiten fallen indes wenig ins Gewicht; es überwiegt das Positive dieses Romans, der nichts will als zu unterhalten, ohne dabei mit dem Blick auf die Verkaufszahlen die unheimliche, aber letztlich ‚logisch‘ aufzuklärende Geschichte einer Remmidemmi-Zombie-Plotte zu opfern.

„Totenlicht“ kann (und will) sich nicht mit „den besten Werken von Arthur Machen, Algernon Blackwood, ja, sogar Edgar Allan Poe“ vergleichen, wie der nicht ohne Hintergedanken zitierte „Kirkus Review“ auf der Rückseite des Einbands bauernfängerisch tönt. Legt man die Latte niedriger auf, kommt man auf jeden Fall auf seine Kosten. Cadnum selbst verspricht niemals mehr, als er zu halten vermag. Für die Übertreibungen seiner Verleger sollte man ihn nicht verantwortlich machen.

Autor

Michael Cadnum wurde am 3. Mai 1949 in Orange, einer Stadt im US-Staat Kalifornien, geboren. Der Highschool folgte ein Studium, das Cadnum simultan an der University of California in Berkeley und der San Francisco State University absolvierte. Außerdem schrieb er Gedichte, für die er u. a. einen „National Endowment for the Arts“ erhielt. Eine Sammlung seiner Poesie war folgerichtig Cadnums erste Veröffentlichung (1982), der weitere Gedichtbände folgten.

Parallel zu seiner anfänglich langsam anlaufenden Schriftsteller-Karriere arbeitete Cadnum u. a. für eine Hotline, die sich gezielt an selbstmordgefährdete Personen richtete. Seine Erfahrungen verarbeitete Cadnum in seinem ersten Roman („Nightlight“, dt. „Totenlicht“), der 1990 erschien. „Calling Home“ (dt. „Mit fremder Stimme“) wurde 1991 Cadnums erster, von der Kritik gut aufgenommener und erfolgreicher Roman für ein jugendliches Publikum.

In den folgenden Jahren veröffentlichte Cadnum fantastische Romane, Thriller und seit Ende der 1990er Jahre verstärkt Historienromane. Gemeinsam ist seinen Werken ein ausgerägter psychologischer Unterton, der die Deutung des Geschehens unterstützt.

Taschenbuch: 285 Seiten
Originaltitel: Nightlight (New York : St. Martin’s Press 1990)
Übersetzung: Sonja Hauser
Cover: Thomas Lüttge
http://www.michaelcadnum.com
http://www.randomhouse.de/goldmann

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