Michael Connelly – The Dark Hours. Ein Ballard & Bosch Thriller (Band 4)

Rape as a service: Bosch & Ballard gegen die Midnight Men

An Silvester 2020 wird Detective Renee Ballard zu einem Toten gerufen, der auf der Westseite der Straße der Filmstudios von einer Kugel in den Kopf getroffen wurde. Javier Raffa war Besitzer einer Autowerkstatt. Sie stößt auf seine dunkle Vergangenheit, und eine der Spuren führt sie zu einem alten Fall, den Detective Harry Bosch bearbeitete. Gleichzeitig ermittelt sie mit ihrer Kollegin Lisa Moore gegen die sogenannten „Midnight Men“, die bislang drei Frauen vergewaltigt haben.

Der Autor

Michael Connelly, geboren 1956 in Philadelphia, studierte zunächst Journalismus und Kreatives Schreiben in Florida. Anschließend (ab 1980) arbeitete er für verschiedene Zeitungen in Fort Lauderdale und Daytona Beach, wo er sich auf Polizeireportagen spezialisierte. Nachdem 1986 eine seiner Reportagen für den Pulitzer Preis nominiert worden war, wechselte er als Polizeireporter zur „Los Angeles Times“.

Für sein Thrillerdebüt, „Schwarzes Echo“, den ersten Band der Harry-Bosch-Serie, erhielt er 1992 auf Anhieb den Edgar Award, den renommiertesten amerikanischen Krimipreis. Zahlreiche Bestseller folgten, die ihn zu einem der erfolgreichsten Thrillerautoren der USA machten. Heute lebt er mit seiner Familie wieder in Florida. (Verlagsinfo)

Bücher mit Harry Bosch

• 1992 The Black Echo
• Schwarzes Echo, dt. von Jörn Ingwersen; Frankfurt am Main/Berlin: Ullstein 1994, ISBN 3-550-06713-5.
• 1993 The Black Ice
• Schwarzes Eis, dt. von Norbert Puszkar; München: Heyne 1996, ISBN 3-453-10819-1.
• 1994 The Concrete Blonde
• Die Frau im Beton, dt. von Norbert Puszkar; München: Heyne 1997, ISBN 3-453-12511-8.
• 1995 The Last Coyote
• Der letzte Coyote, dt. von Norbert Puszkar; München: Heyne 1998, ISBN 3-453-13094-4.
• 1997 Trunk Music
• Das Comeback, dt. von Norbert Puszkar; München: Heyne 1999, ISBN 3-453-14737-5.
• 1999 Angels Flight
• Schwarze Engel, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2000, ISBN 3-453-17858-0.
• 2001 A Darkness More Than Night
• Dunkler als die Nacht, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2002, ISBN 3-453-19611-2.
• 2002 City Of Bones
• Kein Engel so rein, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2003, ISBN 3-453-87417-X.
• 2003 Lost Light
• Letzte Warnung, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2005, ISBN 3-453-43153-7.
• 2004 The Narrows
• Die Rückkehr des Poeten, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2005, ISBN 3-453-01311-5.
• 2005 The Closers
• Vergessene Stimmen, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2006, ISBN 3-453-01431-6.
• 2006 Echo Park
• Echo Park, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2008, ISBN 978-3-453-26560-8.
• 2007 The Overlook
• Kalter Tod, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2008, ISBN 978-3-453-43342-7.
• 2008 The Brass Verdict
• So wahr uns Gott helfe, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2010, ISBN 978-3-453-26636-0.
• 2009 Nine Dragons
• Neun Drachen, dt. von Sepp Leeb; München: Droemer Knaur 2011, ISBN 978-3-426-50789-6.
• 2010 The Reversal
• Spur der toten Mädchen, dt. von Sepp Leeb; München: Knaur 2011, ISBN 978-3-426-50790-2.
• 2011 The Drop
• Der Widersacher, dt. von Sepp Leeb; München: Knaur 2014, ISBN 978-3-426-51135-0.
• 2012 The Black Box
• Black Box, dt. von Sepp Leeb; München: Droemer HC 2014, ISBN 978-3-426-19990-9.
2014 The Burning Room
Scharfschuss, dt. von Sepp Leeb; München: Droemer HC Dezember 2016, ISBN 978-3-426-28143-7.
2015 The Crossing (mit Michael Haller)
Ehrensache, dt. von Sepp Leeb; München: Droemer HC Januar 2018, ISBN 978-3-426-28159-8.
2016 The Wrong Side of Goodbye (mit Michael Haller)
Die Verlorene, dt. von Sepp Leeb; München: Droemer HC August 2018, ISBN 978-3-426-28192-5.
2017 Two Kinds of Truth (mit Michael Haller)
2018 Dark Sacred Night (mit Renée Ballard)
Night Team, dt. von Sepp Leeb; Zürich: Kampa Verlag, Februar 2021, ISBN 978-3-311-12536-5.
2019 The Night Fire (mit Renée Ballard)
Glutnacht, dt. von Sepp Leeb; Zürich: Kampa Verlag, Juli 2022, ISBN 978 3 311 12561 7.
2021 The Dark Hours (mit Renée Ballard)

Weitere Bücher

• 1996 The Poet (Roman)
o Der Poet, dt. von Christel Wiemken; München: Heyne 1998, ISBN 3-453-13853-8.
• 1998 Blood Work (Roman)
o Das zweite Herz, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 1999, ISBN 3-453-15999-3.
• 2000 Void Moon (Roman)
o Im Schatten des Mondes, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2002, ISBN 3-453-86501-4.
• 2003 Chasing the Dime (Roman)
o Unbekannt verzogen, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2004, ISBN 3-453-00081-1.
• 2005 The Lincoln Lawyer (Roman)
o Der Mandant, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2007, ISBN 3-453-01434-0.
• 2007 Crime Beat: A Decade of Covering Cops and Killers (Sammlung von Zeitungsartikeln)
o L.A. Crime Report, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2007, ISBN 3-453-81095-3.
• 2009 The Scarecrow (Roman)
o Sein letzter Auftrag, dt. von Sepp Leeb; München: Heyne 2011, ISBN 978-3-453-26645-2.
• 2011 The Fifth Witness (Roman)
o Der fünfte Zeuge, dt. von Sepp Leeb; München: Knaur 2013, ISBN 978-3-426-51122-0.
• 2013 The Gods of Guilt (Roman)
o Götter der Schuld, dt. von Sepp Leeb; München: Droemer 2016, ISBN 978-3-426-28121-5.
• 2020: Fair Warning (mit Reporter Jack McEvoy aus DER POET)

Infos zur kompletten Harry-Bosch-Reihe: hhttps://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Connelly#B%C3%BCcher_mit_Harry_Bosch

Handlung

An Silvester 2020 wird Detective Renee Ballard zu einem Toten gerufen, der auf der Westseite der Straße der Filmstudios von einer Kugel in den Kopf getroffen wurde. Javier Raffa war Besitzer einer Autowerkstatt. Sie stößt auf seine dunkle Vergangenheit, und eine der Spuren führt sie zu einem alten Fall, den Detective Harry Bosch bearbeitete. Denn die Patronenhülse, die findet, passt zur gleichen Pistole, die laut NIBIN-Datenbank für den Mord an einem gewissen Albert Lee verwendet wurde.

Wie Bosch erzählt, hatte Albert Lee zwar eine gute Geschäftsidee, aber sehr viel Pech damit. Er vermiete ein Studio an Rapper, die Songs aufnehmen wollten. Leider blieben ihm die Halbgangster die Miete fürs Studio schuldig und er musste sich Geld von einem Partner borgen, um seine Schulden abstottern zu können. Dieser Partner war ein Zahnarzt namens James William James. Leider ist der nun auch schon ermordet worden. Vor sieben Jahren erhielt er zwei Schüsse in den Kopf, ebenfalls mit einer 22er. Seine Praxis ging in die Hände seiner Frau Jennifer über, ebenso wie sein Anteil an einem Labor, das Goldkronen usw. herstellte..

Zurück zu Jaffa. Der hatte sich aus seiner Mitgliedschaft bei den Las Palmas 13, an deren Territorium die Gower Street grenzt, für 25.000 Dollar freigekauft. Woher hatte er das Geld, um die Gangster loszuwerden, fragt sich Ballard. Er hatte es bestimmt nicht bei einer Bank erbeten. Es war Dennis Hoyle, ebenfalls ein Zahnarzt. Und James‘ Partner. Wie auch immer: Nach einem Dutzend Jahren und der Gründung einer Familie ereilte Jaffa sein Schicksal. Zusammen mit Bosch geht Ballard dieser Spur nach, obwohl dieser Mord eigentlich gar nicht in ihre Zuständigkeit fällt. Sie hat nur ein Wochenende Zeit, um den Fall zusammen mit Bosch zu knacken. Sie hofft, sich als Detective zu rehabilitieren. Als sich Hoyle beim Trauergottesdienst für Jaffa blicken lässt, nehmen sie ihn in die Zange, doch er verduftet in seinem Mercedes, als würde er von Furien gehetzt.

Die Midnight Men

Denn derzeit ist sie auf der „shit list“ des Polizeipräsidiums und dazu verdonnert, Vergewaltiger zu jagen. Die Vergewaltiger schlagen immer zu zweit und um Mitternacht zu, wenn sie alleinstehenden Frauen nachstellen, in das jeweilige Domizil eindringen und die Frau auf verschiedenste Weise missbrauchen. Cindy Chamberlain ist das dritte Opfer – und Ballard bekommt sie ganz frisch zugeteilt. Wobei „frisch“ nicht ganz zutrifft: Cynthia, die Besitzer einer Kaffeebude in Ballards Nachbarschaft, hat sich einen ganzen Tag Zeit gelassen, bevor sie die Cops informierte. Und da sie in der Zwischenzeit ein Bad genommen hat, hat sie damit sämtliche Spuren der Tat, wie etwa Sperma, Blut usw. komplett vernichtet.

Cindy ist mit den Nerven fertig, als sie Ballard befragt wird, aber sie kann sich als einziges Opfer an wichtige Details erinnern, weil ihre Augenbinde nicht richtig saß: Einer der beiden weißen Männer hatte rotes Haar, der andere schwarzes. Sie trugen verschiedenfarbige Masken, eine grün, die andere blau. Und sie machten Fotos von ihr. Zu welchem Zweck, darüber ließe sich nur spekulieren. Ballard wundert sich, wie der erste Mann eindringen konnte, um dem zweiten zu öffnen. Der erste wartete offenbar in Cindys begehbarem Kleiderschrank, nachdem er über die Garage eingedrungen war. Später entdeckt Ballard, dass die Straßenlaterne vor Cindys Haus, das am Ende einer Sackgasse liegt, absichtlich sabotiert worden ist: Ein Draht ist durchgeschnitten worden. Da kannte sich jemand sehr gut mit Laternenelektrik aus.

Tiefer – und dunkler

Zusammen mit Bosch muss Ballard entdecken, dass wichtige Mordakten aus dem zentralen Archiv des LAPD verschwunden sind. In einem Fall hat der Ausleiher der Akten, ein gewisser Larkin, eine Karte hinterlassen, aber das war vor fünf Jahren. Ist im LAPD ein Maulwurf am Werke? Und noch etwas beginnt zu stinken. Das LAPD hatte eine Informantin in der Gang der Las Palmas 13. Als Ballard den zuständigen Officer unter Druck setzt, darf sie die Informantin treffen. Die Frau war damals die Freundin des Bandenchefs, der inzwischen im Landkreisgefängnis von L.A. einsitzt. Sie nennt sich „Darla“ und wohnt in einem schicken Haus direkt am Pazifik.

Ihr Führungsoffizier denkt, er hätte Ballard ausgetrickst, indem er ihren Wagenschlüssel klaut, doch glücklicherweise hat Bosch diesen Trick vorausgesehen und verfolgt den Wagen, in dem die Informantin sitzt, zu ihrem Haus. Dort können Bosch und Ballard sie befragen. Sie verrät den Namen des Cops, der das Geld von Dennis Hoyle über Javier Raffa an Humberto Viera vermittelte: 25.000 Dollar. „Darla“ will das Geld gesehen haben. Doch wer ist dieser korrupte Cop, der das Geldgeschäft einfädelte, das für Hoyle nach Raffas Ermordung die Übernahme von Raffas Geschäft und Grundbesitz bedeutet? „Darla“ sagt es ihr und warnt sie…

Nicht tief genug

Ballard erwacht aus einem tiefen Schlaf, den sie endlich in ihrer Wohnung hat genießen können. Sie spürt eine starke, die ihren Mund verschließt und ihr die Luft abdrückt. Weil sie ihre Schlafmaske trägt, kann sie den Angreifer nicht sehen. Der schwere Mann setzt sich auf ihren Oberkörper, was sein erster Fehler ist. Er will ihr ihre eigene Dienstpistole in den Mund stecken, damit der beabsichtigte Schuss wie Selbstmord aussieht. Das ist sein zweiter Fehler. Adrenalin schießt durch Ballard wie Feuer und sie geht zum Gegenangriff über…

Mein Eindruck

Ermittlungen in Zeiten von Corona: Da bedeutet, ständig eine Maske zu tragen. Das kommt den Verbrechern natürlich sehr entgegen, die nun ihre Identität besser verbergen können. Das bedeutet aber auch, dass ganz normale Bürger der Polizei mit Misstrauen entgegentreten. Das gilt besonders für die Zeit nach der Ermordung von George Floyd durch Polizeigewalt. Ballard erfährt es jeden Tag am eigenen Leib: Die Amerikaner sind eine gespaltene Gesellschaft. Und das eröffnet Verbrechern und anderen zwielichtigen Gestalten eine ganze Menge neuer Geschäftsmodelle. Dazu gehört beispielsweise „Teach Her A Lesson“, eine Agentur die Vergewaltigung und anderen Missbrauch (Folterung, Fotografieren, öffentliche Diffamierung usw.) als Dienstleistung im Dark Net anbietet.

Dies ist der Erzählstrang, der sich um die Midnight Men dreht, und er durchzieht das ganze Buch, bis es zu einem äußerst dramatischen und actionreichen Finale kommt. Dagegen nimmt sich der „Cold Case“ um Javier Raffa und Albert Lee relativ harmlos aus. Doch im Kern ist die Erzählstrang purer Sprengstoff: Ein ehemaliger Cop hat sich auf die Erpressung reicher Mitbürger wie dem Zahnarzt Dennis Hoyle verlegt. Wer nicht zahlt, wird erledigt. Doch hat das LAPD seine Veteranen auf dem Kieker? Ganz im Gegenteil: Die „alten Jungs“ halten zusammen wie Pech und Schwefel. Weil der Ex-Cop gewarnt worden ist, fällt er über Ballard her, um eine lästige Verfolgerin loszuwerden. Auch diese Actionszene endet mit einem verblüffenden Ausgang.

Die Ermittler

Dass Connellys Romane immer auch Geschichten über die Ermittler sind, dürfte der Fan schon herausgefunden haben. In „The Late Show“ stellte uns der Autor eine neue Ermittlerin als Hauptfigur vor. Ballard besitzt etwas, das Bosch sofort auffällt: Sie hat Biss und bleibt an einer Sache dran. Die Ursache dafür ist vielleicht die Tatsache, dass sie ihren Vater verlor, als er beim Surfen vor Hawaii, von wo sie stammt, spurlos verschwand. Ist das etwa gerecht? Im Lauf der Ermittlungen wird klar, dass der Mörder darauf zählt, dass kein Hahn danach kräht, wenn ein Mensch verschwindet. Da irrt sich der jeweilige Übeltäter gewaltig – auch in den inneren Reihen der Polizei.

Mittlerweise ist klar, dass Bosch ein Auslaufmodell ist: in Pension, vom Dienst suspendiert, als Privatdetektiv arbeitslos, folgt er nur noch seiner ewigen Mission: Wenn jeder zählt, muss er jedem Fall nachgehen und für eine wie auch immer geartete Form von Gerechtigkeit sorgen. Ballard hat eine ganz klare Meinung dazu: Das Gesetz hat Vorrang. Auf diesem Niveau ergänzen die beiden Ermittler einander, um dafür zu sorgen, dass kein Mörder darauf zählen kann, dass ein Leben nichts wert sei. „Everybody counts or nobody counts“, pflegt Bosch zu sagen. Dem schließt sich Ballard voll und ganz an. Und das bedeutet, dass sie aussteigt, wenn sich ihr die eigene Truppe in den Weg stellt.

Der Aufstand

Der dritte teil des Romans trägt den Titel „The Insurrection“. Dieser Aufstand findet auf zwei Ebenen statt: national und individuell. Ballard hat zusammen mit Bosch den Diebstahl von zwei Mordakten entdeckt sowie den verrat durch ihre Kollegin Lisa Moore (s.o.) und durch einen Veteranen aushalten müssen. Jetzt soll sie nicht nur den Fall „Javier Raffa“ an die zuständige Mordkommission von West Hollywood abgeben und in die Sexverbrechenabteilung wechseln, um dort die nur noch widerwillig arbeitende Lisa Moore zu ersetzen. Der Autor bringt Verständnis für Lisas lasche Haltung auf: Die Polizei allgemein und das LAPD im Besonderen werden nach dem Mord an George Floyd etc. nicht nur kritisiert und durch den Dreck gezogen, sondern um ihr Budget gebracht. Lisa und nach ihr Ballard überlegen sich ernsthaft, doch lieber was ganz anderes zu machen.

Ballard weigert sich, die Tagschicht zu übernehmen, aber Sexverbrechen – da ist ja in Sachen „Midnight Men“ dran. Als ihr Vorgesetzter entdeckt, dass sie etwas zu selbständig – zusammen mit Bosch – agiert, suspendiert er sie vom Dienst. Schreckt das eine Ballard etwa ab? Mitnichten! Ballard kündigt und will Partnerin des Privatdetektivs Bosch werden, der als einziger unter den Gesetzeshütern Haltung zeigt und einem strengen Codex folgt. Nur in dieser Lage ist es Ballard möglich, es mit den Midnight Men persönlich aufzunehmen, ohne dafür bestraft zu werden.

Ihr Aufstand gegenüber der eigenen Truppe spiegelt sich auf der nationalen Ebene wider. Schockiert verfolgt die suspendierte Polizistin im TV, wie das Capitol, die Volksvertretung, vom eigenen Volk erstürmt wird und es zu Todesfällen kommt. In was für einem Zustand befindet sich ihr Amerika eigentlich, fragt sie sich bestürzt. Emotionalen Halt geben ihr nur ein Lover aus den Reihen der Notfallsanitäter und ein neuer Hund (ihre Lola hat es nicht geschafft).

Unterm Strich

In diesem vierten Ballard & Bosch-Krimi tritt uns eine absolut glaubwürdige und sogar bewundernswerte Renee Ballard gegenüber. In ihrer Integrität und Hartnäckigkeit beim Dienst an Recht und Gesetz bildet sie ein Vorbild. Sie verteidigt die Werte, für die Amerika steht, im Kontrast zu den Ultrarechten, die mit einem Volksaufstand („insurrection“) Unrecht begehen. Ballards Verhalten ist ein Kommentar auf diese Erstürmung des Capitols: Sie verteidigt das Gesetz und übt Gerechtigkeit statt beides mit Füßen zu treten (denn die Capitol-Erstürmung war ein Putschversuch).

Weil Ballard unter anderem ein Frau, ist es ihr ein herzensanliegen, den bislang drei überfallenen und vergewaltigten Frauen in L.A. Gerechtigkeit zu verschaffen und die vierte zu beschützen. Das ist gar nicht so einfach, denn immer wieder schlägt ihr Misstrauen gegen Cops entgegen. Die eh schon geschädigten Opfer erwarten, dass die Polizisten sie ein zweites Mal stigmatisieren und so emotional missbrauchen. Diese Dialoge sind für Empathie-Praktikanten wirklich kaum zu ertragen, denn sie zeigen, dass die vergewaltigten Frauen sich zum Teil selbst die Schuld geben. Und jetzt suchen Cops auch noch Hinweise, dass das auch stimmt, oder? Diese Szenen zeigen, dass Amerika nicht nur national und persönlich am Ende ist, sondern im Innersten beschädigt und zerrissen.

Authentisch bis zum i-Tüpfelchen

Worauf es ihm offenbar immer wieder ankommt, ist, dass jede einzelne seiner Angaben über die Vorgehensweise eines der Ermittler und Juristen – sei es Ballard, Bosch, Haller oder andere – so nachprüfbar authentisch wie möglich ist. Hier wird an keinem Punkt geflunkert. Dafür hat der Autor eine Reihe von Fachleuten eingespannt, die jeden einzelnen Punkt von Ballards irregulären Ermittlungsmethoden aufzeigt und beurteilt. So bleibt der Leser an keiner Stelle im Dunkeln und weiß, dass der Autor sich keine Schleichwege und „Abkürzungen“ erlaubt.

Für Bosch-Fans ist es bestürzend zu erfahren, dass er mittlerweile an Leukämie erkrankt ist. Seit er zehn Jahre zuvor bei einem Fall radioaktives Material angefasst hat, ist der Krebs bei ihm ausgebrochen. Natürlich ist er in Behandlung, doch wird er noch Zeit haben, seinen „Weißen Wal“, den Fall Finbar McShane, zu erlegen und den Fall zu lösen? Diese Frage wird wahrscheinlich erst im allerletzten Bosch-Krimi beantwortet werden. Der 1956 geborene Autor ist erst 66 Jahre alt und hat hoffentlich viele weitere produktive Jahre vor sich.

Taschenbuch: 465 Seiten
ISBN-13: 9781409186182

www.orionbooks.co.uk

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