Der Sempai liest den Amerikanern die Leviten
Japan schickt sich an, die amerikanische Wirtschaft zu übernehmen.Vor dem Hintergrund einer gigantischen Wirtschaftsschlacht mit dem fernöstlichen Motto „Geschäft ist Krieg“ soll mit High-Tech-Methoden, massivem Einsatz von Geld und politischem Druck ein Mord vertuscht werden, der sich während der glanzvollen Eröffnung einer japanischen Konzernzentrale in Los Angeles ereignet hat. (Verlagsinfo)
Die Romanvorlage „Nippon Connection“ für Philip Kaufmans Film „Die Wiege der Sonne“ mit Sean Connery und Wesley Snipes in den Hauptrollen weicht in vielen Details vom Film ab. Dennoch gefiel mir der Film ((https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Wiege_der_Sonne)) besser, denn Crichton erweist sich als kein guter Erzähler. Er ist so etwas wie ein investigativer Journalist, der erzählen will. Ein zweiter Blick könnte sich lohnen.
Der Autor
Michael Crichton wurde 1942 in Chicago geboren und studierte in Harvard Medizin. Crichton, der seit Mitte der Sechzigerjahre Romane schrieb, griff immer wieder neueste naturwissenschaftliche und technische Forschungen auf. Für die international erfolgreiche TV-Serie „Emergency Room“ schrieb er das Drehbuch. Seine Thriller – darunter „Dino Park“, „The Lost World“, „Enthüllung“, „Der 13. Krieger“ und „Next“ – wurden auch als Filme Erfolge. 27 Romane und mehr als 100 Mio. verkaufte Bücher stehen für sein Werk. Er starb im November 2008 im Alter von 66 Jahren. (abgewandelte Verlagsinfo)
Handlung
Lieutenant Peter Smith (im Film: Wesley Snipes) ist beim L.A. Police Department sozusagen der Verbindungsoffizier für Ausländerfragen. Daher wird er gerufen, als im 46. Stockwerk der neu eingeweihten US-Niederlassung der japanischen Nakamoto Corporation die Leiche einer jungen Frau gefunden wird und ein Anrufer bei der Polizei anfragt, wie er die Leiche entsorgen soll. Wie Peter Smith bald zusammen mit seinem Kollegen Tom Graham (im Film: Harvey Keitel) herausfindet, handelt es sich um Cheryl Austin, eine junge Quasi-Prostituierte, die sich im Auftrag von Japanern um US-Politiker und andere Prominente „kümmerte“.
Jemand hat veranlasst, dass ein weiterer Polizeiangehöriger zu dem Fall hinzugezogen wird: John Connor (im Film: Sean Connery) hat schon mal in Japan gelebt und kommt mit seiner Art, die Japaner in diesem Mordfall zu behandeln, sehr gut voran. Er ist es, der sofort die Überwachungsvideos für den fraglichen Mordzeitraum anfordert – und sie auch später ausgehändigt bekommt.
Anders als im Film lastet jedoch die meiste Ermittlungsarbeit auf Peter Smith – und auch die meisten Probleme, als sich nämlich drei Interessengruppen bemühen, seine Ermittlungen zu manipulieren: der übereifrige Sicherheitschef von Nakamoto, Mr. Ishiguro; die Handlanger von Senator Morton, der einen politischen Standpunktwechsel vorhat; und im Hintergrund die Leute um Eddie Sakamura, der gegen Nakamoto operiert.
Bis Smith diesen Beziehungsdschungel durchschaut hat, dauert es eine Weile. Erst ab der Mitte des Buches gehen er und Connor der Sache auf den Grund: Es geht im Hintergrund um den Verkauf einer für die US-Computerindustrie strategisch wichtigen Firma namens MicroCon an eine japanische Tochter von Nakamoto. Senator Morton, der Vorsitzende des Finanzausschusses des Senats, wollte sein Veto gegen diesen Verkauf einlegen, doch leider sieht er sich nach dem sauber eingefädelten Mord an Cheryl Austin einem schlagenden Argument gegenüber…
Mein Eindruck
Leider belässt es Michael Crichton nicht bei dieser Handlungskonstruktion, die schon an die Grenze des Verwirrenden stößt: sehr viele Figuren scheinen auf Peter Smith & Co. einzudreschen, die Finger von der Sache zu lassen, darunter sogar seine Ex-Frau Lauren. Nein, Crichton benutzt dieses Buch, um zu dozieren. Wer etwas böswilliger ist, würde sagen: für Propaganda.
Der große Dozent in dieser Erzählung ist natürlich John Connor, der ältere ’sempai‘ für den jungen ‚kohai‘ Peter Smith. Es ist wirklich penetrant mitzuverfolgen, wie Smith als ahnungslos und ignorant hingestellt wird, damit ihm Connor alles haarklein über japanische Lebensart, Sünden und Unternehmensführung mitteilen kann. Dies tut Connor, das Sprachrohr des Autors, nicht etwa passend zum Augenblick, sondern seitenlang, wie es ihm gerade gefällt. Und der Stil seiner Ausführungen ist nicht etwa der eines normalen Sprechers im Alltag, sondern eben der eines Dozenten im Seminar. Ich vermute mal stark, dass Crichton hier einfach das wiedergibt, was die klugen Autoren, die er in seiner seitenlangen Bibliografie anführt, von sich gegeben haben. Dass diese Monologe den Rahmen der Erzählung ebenso sprengen wie sie den Handlungslauf verzögern, dürfte offensichtlich sein.
Als der Roman 1992 erschien, schlug er vermutlich wie eine Bombe ein, denn er beleuchtete eine prekäre Lage der amerikanischen Wirtschaft, die vielen TV-Zuschauern nicht bekannt war: der Ausverkauf der US-Industrie an Japan: Stahl, Schiffe, Radios, Fernseher, Hifi-Anlagen, Autos, Computer – alles machten die Japaner offenbar besser und richteten so die entsprechenden US-Industrien zugrunde.
Aber vielleicht machten es ihnen die schlampigen Amerikaner auch recht leicht, deutet Crichton an. Er ist nicht selbstgerecht. Er legt den Finger auf die Wunde, auch wenn dies Amerikanern unangenehm ist. Die Frage ist nur, ob er das Feindbild „rassistischer, anti-amerikanischer Japaner“ zu Recht aufbaut. Waren es damals Japaner, sind es heute fanatische Muslime. Dreimal dürfen wir raten, worum es im nächsten Crichton-Roman gehen wird.
Unterm Strich
„Wiege der Sonne“, das ich im Original gelesen habe, liest sich meistens flott, unterhaltsam und halbwegs spannend. Störend erweisen sich wie gesagt die Ausführungen des Herrn Connor und das umfangreiche Personal des Romans. Gegenüber der Filmversion ergeben sich zahlreiche Unterschiede.
Aber ich muss sagen, dass mir der Film trotz seiner Schwächen in der Logik wesentlich besser gefallen hat als das Buch. Den Film tragen nämlich zwei gute Schauspieler: Sean Connery und Wesley Smith. Deren kollegiale Kabbelei ergibt so manchen humorvollen Moment, der im Buch völlig fehlt. Dessen Humor macht sich nur durch feine Ironie bemerkbar.
Außerdem wird die Love Story zwischen Peter Smith und der behinderten Ex-Japanerin Theresa (Tia Carrere) im Buch nicht ausgespielt, und der Showdown auf der Chefetage von Nakamoto fehlt. Hier hat der Drehbuchautor gute Arbeit geleistet und filmgerechte Szenen erfunden, die durch ihre Dramatik wie ein Western anmuten. Und der Cowboy mit dem weißen Hut bekommt das Mädchen.
Taschenbuch: 430 Seiten
Originaltitel: Rising Sun, 1992
ISBN-13: 9783426602232
www.droemer-knaur.de
Der Autor vergibt: