Michael Crichton – Welt in Angst

Ein Öko-Thriller mit Diskussionsrunden

Der Millionär und Lebemann George Morton kommt einer unglaublichen Verschwörung auf die Spur. Die Umweltorganisation NERF, die er mit großzügigen Spenden unterstützt, macht gemeinsame Sache mit skrupellosen Ökoterroristen. Ihr neuester Plan: Durch ein künstlich ausgelöstes Seebeben wollen sie ganz Kalifornien überfluten, um die Aufmerksamkeit der Welt auf die von NERF organisierte Klimakonferenz zu lenken. Morton setzt alles daran, diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten, doch die Terroristen sind ihm immer einen Schritt voraus … (Verlagsinfo)

Der Autor

Michael Crichton wurde 1942 in Chicago geboren und studierte in Harvard Medizin. Crichton, der seit Mitte der Sechzigerjahre Romane schrieb, griff immer wieder neueste naturwissenschaftliche und technische Forschungen auf. Für die international erfolgreiche TV-Serie „Emergency Room“ schrieb er das Drehbuch. Seine Thriller – darunter „Dino Park“, „The Lost World“, „Enthüllung“, „Der 13. Krieger“ und „Next“ – wurden auch als Filme Erfolge. 27 Romane und mehr als 100 Mio. verkaufte Bücher stehen für sein Werk. Er starb im November 2008 im Alter von 66 Jahren. (abgewandelte Verlagsinfo)

Handlung

In Paris findet ein Wissenschaftler einen mysteriösen Tod. Nur ein kleiner Einstich weist auf die Injektion eines tödlichen Gifts hin. Die Polizei entdeckt, dass sich ein amerikanisches Pärchen für seine einmalige Anlage eines Wellenerzeugungsapparates interessiert hat.

In Calgary, Kanada, findet der Verleiher von Unterwasserrobotern und -fahrzeugen einen ebenso mysteriösen Tod. Nur ein kleiner Einstich weist auf eine nicht natürliche Todesursache hin. Eines seiner Unterseeboote bleibt unauffindbar verschwunden. Und in der Antarktis findet unbemerkt ein kleiner Wechsel der Identität unter den US-Forschern statt…

Große Männer

In Los Angeles ist der junge Rechtsanwalt Peter Evans das Mädchen für alles, wenn es um die Angelegenheit zweier wichtiger Männer geht, die beide Klienten seiner Kanzlei sind. George Morton ist ein philanthropisch tätiger Millionär, der Nicholas Drake, dem anderen Klienten, jährlich Millionen spendet. Den Drake leitet National Environmental Resource Fund (NERF), der einen spektakulären Jahrhundertprozess vorbereitet: Als sich Peter beruflich dafür interessiert, erfährt er, dass NERF beweisen will, dass menschliche Aktivitäten zur Erwärmung der irdischen Atmosphäre beitragen, so dass es zu Überflutungen, Stürmen und vielen weiteren negativen Erscheinungen kommt. Aber wen will NERF eigentlich verklagen? Das ist ihm nicht so recht klar.

Ende August 2004 stößt Mortons Buchhalter auf eine merkwürdige Überweisung von 250.000 USD, die sich erst um mehrere Ecken zu den Cayman Inseln zurückverfolgen lässt, wo bekanntlich alle Steuersünder ihren Milliarden bunkern. Er erhält einen Tipp, dass der letztendliche Empfänger eine neue Organisation von Ökoterroristen sei, die sich Environmental Liberation Front (ELF) nennt. Drake kennt diese zwar, dementiert aber jede Verbindung zu diesen Radikalen.

Ableben

Es folgt eine wochenlange, unerklärte Abwesenheit seines Hauptklienten, der offenbar überall in der Welt herumreist. Aber zu welchem Zweck? Peter ist durch die Abwesenheit abgelenkt und wird ebenso nervös wie Drake und Mortons Assistentin Sarah. Daher ist seine Erleichterung groß, als Morton zurückkehrt und für Anfang Oktober eine Rede aus Anlass einer Preisverleihung ankündigt. Den Preis will ihm Drake selbst verleihen.

Doch die Gala endet in einem Fiasko: Erst betrinkt sich Morton bis zur Besinnungslosigkeit, dann steigt er in seinen zehnten Ferrari, um alleine nach Hause zu fahren. In diesem Zustand? Peter versucht vergeblich, ihm dieses Ansinnen auszureden, sondern fährt mit Sarah hinterher. Der Ferrari wird als rauchendes Wrack an der Steilküste gefunden, die Leiche findet man erst viele Tage später. Ist Morton wirklich tot? Falls ja, wem fällt dann sein Vermögen zu? Peter könnte sich da einige Geier vorstellen, allen voran Nicholas Drake…

Post mortem

Ein zwielichtiger Mann namens John Kenner interessiert sich auf einmal für Peter, Sarah und die ganze Gruppe um Morton herum, vor allem aber für NERF und ELF. Kenner hat von Morton angeblich eine letzte Botschaft erhalten, die aber vor allem aus kryptischen Koordinaten und Codewörtern zu bestehen scheint, etwa „Scorpio“ und „Terror“. Mit seinem militärisch wirkenden Helfer Sanjong dechiffriert Kenner die Angaben und erhält drei Standorte: Yosemite Park, Antarktis und die Solomon-Inseln.

Als Erstes nimmt Kenner Peter und Sarah in Mortons Privatjet mit nach Antarctica, wo in der McMurdo-Forschungsstation. Hier wird gemessen, wie weit sich das Eis von den Inlandgebirgen zu den Eisschelfen an der Küste bewegt. Als Kenner auf eine Kette von Sprengladungen stößt, ahnt Peter nicht, was auf ihn zukommt. Offenbar will jemand einen gigantischen Eisberg absprengen, um zu beweisen, dass die globale Erwärmung reale Auswirkungen hat.

In der Klemme

Auf der Flucht vor schlechtem Wetter gerät der Motorschlichten, in dem Peter und Sarah sitzen, auf Abwege und stürzt in eine Gletscherspalte. Solche Spalten können hunderte Meter tief sein, hat sie ihr Führer gewarnt. Aber ist er überhaupt ihr Führer? Er hat ihnen verdächtig fröhlich zum Abschied zugewunken…

Mein Eindruck

Wie stets in seinen Wissenschaftsthriller ist der Autor bemüht, um den wissenschaftlich-spekulativen Teil eine spannende und unterhaltsame Handlung zu stricken. Diesmal hat er sich einen besonders harten Brocken als Sujet herausgepickt, der obendrein überhaupt nicht nach Spekulation aussieht: „globale Erwärmung“, was heute unter dem harmlos klingenden Etikett „Klimawandel“ firmiert und suggeriert, dass Wandel ja auch zu etwas gut sein könne – nur eben nicht für rund 80 Länder, die Ende des 21. Jahrhunderts von der Landkarte verschwunden sein werden. Pech gehabt, Leute!

Thema Klimawandel

Dass das Thema schon (oder schon wieder seit 1958) anno 2004 diskutiert wurde, verhalf dem Autor zu einem leichteren Einstieg in seinen Roman. Man konnte annehmen, dass die gebildeteren Zeitgenossen schon vom Klimawandel gehört hatte. Stellvertretend für diesen Bevölkerungsanteil gibt Peter Evans den Otto Normalverbraucher – und wird sukzessive eines besseren belehrt. Wie in vielen von Crichtons Romanen macht mindestens eine Hauptfigur eine Wandlung durch und wird verantwortungsbewusster. Zu Anfang noch ein Volltrottel wie du und ich, der an viele Irrlehren bezüglich Klimawandel glaubt, ist Evans am Ende bereit, Mortons geistiges (und finanzielles) Erbe anzutreten, mit Sarah an seiner Seite, die mit ihm durch Dick und Dünn gegangen ist.

Abenteuer

Und diese Abenteuer haben es wirklich in sich: Den Sturz in eine Gletscherspalte zu überleben, mag ja als nicht so großes Ding erscheinen, doch der Sturz unter die Fleischfresser auf den Solomon-Inseln ist da ein anderes Kaliber. Ach so: „Fleischfresser“ klingt so harmlos, ich hätte korrekterweise „Kannibalen“ sagen sollen. Die Szene, in der dem ignoranten Darsteller des US-Präsidenten – quasi stellvertretend für den realen Volksvertreter – die Wange vom zuckenden Gesicht geschnitten wird, dürfte so manchem Leser auf den Magen schlagen.

Aber der Autor macht (ausnahmsweise) keine Gefangenen: Der Darsteller wird komplett zu Futter verarbeitet, und als nächste sind Peter, Sarah und die mysteriöse Agentin Jennifer an der Reihe. Ob diese Jennifer wirklich Kenners „Nichte“ ist, wie er behauptet (und er behauptet vieles, wenn der Tag lang ist), darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Sie befreit Sarah und Peter, bis Kenner und Sanjong die „Zivilisten“ retten kommen.

Instrumente des Terrors

Die Szene mit dem anschließenden Mehrfach-Tsunami wirkt wie eine prophetische Vorwegnahme des asiatischen Tsunamis, der zu Weihnachten 2004 die Küsten Sumatras, Thailands, Indiens und sogar Ostafrikas verwüstete. Jeder von uns denkt an die TV-Bilder zurück, die eine unaufhaltsam vordringende Wasserwand zeigen, die alles in ihrem Weg verschlingt. Es gibt aber diesmal einen gravierenden Unterschied: Der fiktive Tsunami ist von Menschen gemacht worden.

Die Technik des Kavitationsmotors ist völlig real und taucht bereits in Ken Folletts Öko-Thriller “ The Hammer of Eden“ aus dem Jahr 1998 auf. Richtig eingesetzt, lässt sich damit und ein paar strategisch platzierten Sprengsätzen einiges in Bewegung setzen: ein Eisberg in der Antarktis, ein unterseeischer Bergrutsch in der nicht ganz so idyllischen Südsee und vieles mehr.

Interessant fand ich auch ein anderes Instrument des Ökoterrorismus, das der Autor aufbietet, um seine Figuren in Lebensgefahr zu bringen: Mit Raketen werden Stürme herbei „gezogen“ und verstärkt. Die anschließende Springflut in einem ansonsten harmlosen Bächlein dürfte mittlerweile auch braven schwäbischen Häuslebauern bekannt sein – sie entfaltet eine verheerende Wucht, gegen die kaum etwas bestehen kann. Sieht so die klimatologisch-meteorologische Zukunft aus, brauchen wir keine Ökoterroristen mehr – wir sind selber welche.

Zensur

Wie ein aufmerksamer Leser auf Amazon.de schreibt, der die englische mit der deutschen Fassung verglichen hat (sehr löblich), hat der Blessing-Verlag Zensur geübt. Eine Stelle über „Involution“ auf S. 450/451 wird angeführt, die gekürzt wurde. Ich bin keineswegs überrascht, ist es doch bei manchen Verlagen immer noch gängige Praxis, schwierige Passagen einfach zu kürzen. Schwierig in welcher Hinsicht, ist die Frage. Ist die Übersetzung zu schwierig – oder die Aussage des Autors nicht genehm? Letzteres wäre allerdings zu verurteilen, schon aus Unrecht gegenüber dem Autor.

Ich habe die Taschenbuchausgabe von 2009 gelesen, in der sich mehrere erhellende Anhänge sowie ein umfangreicher Apparat finden. Der Autor verweist selbst auf die Zensur, die binnen fünf Jahren (2004-2009) in seinen QUELLEN vorgenommen worden ist: Temperaturdaten der US-amerikanischen Wetterbehörde reichen jetzt nicht mehr vor das Jahr 1880 zurück…

Das fand ich schon ziemlich bemerkenswert: Denn die Einschränkung auf den Zeitraum bis 1880 bedeutet ja eine viel steilere Temperaturkurve und ignoriert jegliche Entwicklung vor diesem Zeitpunkt. Schon die Indianer fingen ja an, für ihre Landwirtschaft Wälder zu roden, nicht erst die Weißen. Von „Wildnis“ konnte schon um das jahr 1600, als die Siedler aus Europa kamen, keine Rede mehr sein, wie Mattiolis Buch „´Verlorene Welten“ (Klett-Cotta 2017) nachweist. Obendrein hatte schon der Spanier Fernando de Soto zu diesem Zeitpunkt bei seiner Expedition im frühen 16. Jahrhundert eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

Unterm Strich

Mir hätte der Thriller vollauf genügt. Der ist nämlich ziemlich gut. Doch der Autor will viel mehr erreichen: Er will den Informationsstand des Lesers mit den tatsächlichen Daten konfrontieren. Peter Evans steht stellvertretend Rede und Antwort, wird eines Besseren belehrt und desillusioniert. Diese Dialoge mit dem besonders gut informierten Agenten Kenner sind ellenlang und nerven, aber sie warten mit soliden Diagrammen und zahlen auf.

So weit, so schön, aber auch dies reicht dem Autor nicht: Er zieht viele Umwelt- und Wohltätigkeitsorganisationen ebenso in Zweifel wie deren Organisatoren und Geldgeber. Man stelle sich vor: Bill Gates gelingt es, die Malaria tatsächlich auszumerzen – ist das gut oder schlecht für die Welt als Ganzes? Wird man Bill Gates anno 2050, wenn sich an die zehn Milliarden Menschen auf Mutter Erde drängen und ernährt werden wollen, für einen Trottel oder einen Helden erklären?

Ein Buch, das sowohl unterhält als auch informiert – ein echter Crichton. Und für manche Leser immer noch ein – wahrscheinlich längst überholter – Aufreger.

Gebundene Ausgabe: 608 Seiten
www.randomhouse.de/Verlag/Blessing

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