Michael Marshall Smith – Hannah Green and Her Unfeasibly Mundane Existence

Hannah und der Ingenieur des Teufels

Hannah Green ist elf Jahre alt und mit ihrer Gesamtsituation relativ unzufrieden. Ihre Mutter ist in England bei einem anderen Mann, ihr Vater hat sich verdünnisiert und die Entdeckung, dass ihr Großvater der Uhrmacher des Teufels ist, muntert sie auch nicht gerade auf. Ganz davon zu schweigen, dass der Teufel selbst auftaucht, weil er ein Problem hat: Die Maschine, die Mr. Green vor 200 Jahren für ihn gebaut hat, lenkt nicht mehr die für die Hölle bestimmten Seelen in die Hölle, sondern auf die Erde. Des Teufels Herrschaft wird in Frage gestellt, und zwar von seinen engsten Mitarbeitern – den Gefallenen Engeln. Um ihm zu helfen, alles wieder ins Lot zu bringen, öffnet Hannah Green das Tor zur Hölle. Doch es ist eine höchst sonderbare Unterwelt…


Der Autor

Michael Marshall Smith, (* 3. Mai 1965 in Knutsford, Cheshire) ist ein englischer Roman- und Drehbuchautor. Only Forward, sein erster Roman, gewann den Philip K. Dick (SF) und den August Derleth Award (Horror). Die Filmrechte an den beiden Fortsetzungen SPARES und ONE OF US sind von Hollywood-Studios erworben worden.

Smith eroberte mit dem Thriller „Der zweite Schöpfer“, dem Auftakt der „Straw Men“-Trilogie, weltweit die Bestsellerlisten. Sein Roman „The Intruders / Die Eindringlinge“ wurde von der BBC als TV-Serie verfilmt. Aufgewachsen in Großbritannien (s.o.), lebt er mittlerweile mit seiner Frau und seinem Sohn in Kalifornien. Seine Webseite ist http://www.michaelmarshallsmith.com/.

Werke (unter sämtlichen Pseudonymen)

• 1994 Only Forward (dt. Titel: Stark, der Traumdetektiv; Bastei-Lübbe)
• 1996 Spares – Der sechste Klon (Geklont)
• 1998 One of Us – (REM)
• 2002 The Straw Men (Der zweite Schöpfer)
• 2004 The Lonely Dead (UK)/The Upright Man (US) (Engel des Todes)
• 2005 Blood of Angels
o deutsch: Blutsbruder, Knaur Taschenbuch-Verlag München 2010 ISBN 978-3-426-63444-8
• 2007 The Intruders
o deutsch: Die Eindringlinge, Knaur Taschenbuch-Verlag, München 2011 ISBN 978-3-426-50117-7
• 2007 The Servants
• 2009 Bad Things
• Hannah Green and her Unfeasibly Mundane Existence (2017)

As M.M. Smith:

• The Servants (2007)

As Michael Marshall:

• The Straw Men (2001)
• The Lonely Dead (2004) – Released in the US under the title The Upright Man
• Blood of Angels (2005)
• The Intruders (2007)
• Bad Things (2009)
• Killer Move (2011)
• We Are Here (2013)

As Michael Rutger:
• The Anomaly (2018)

Novellen
• The Vaccinator (1999)

Story-Sammlungen

• When God Lived in Kentish Town (1998)
• What You Make It (1999)
• Cat Stories (2001)
• More Tomorrow & Other Stories (2003)
• This is Now (2007)
• Everything You Need (201

Handlung

Hannah Green sehnt sich nach dem gewöhnlichen Leben, doch eben dieses Leben hat anderes mit ihr vor. Die Elfjährige hat mit Steve einen überarbeiteten und frustrierten Drehbuchautor zum Vater und mit Kristen eine berufstätige Firmenvertreterin zur Mutter, die sich gerade nach London abgesetzt hat, um einen anderen Mann zu treffen. Der Ort Santa Cruz in Kalifornien, wo Hannah lebt, ist zwar nicht der Nabel der Welt, aber genau richtig, wenn man Picknicks unter Redwood-Bäumen und Besuche in der Künstlerkolonie Big Sur mag.

Mister Teufel und seine Maschine

Diese Tage enden, als ihr Dad verschwindet und stattdessen Großvater zu Besuch kommt und einen düsteren Typen mitbringt, den er als den Teufel vorstellt. Echt jetzt?, fragt Hannah frech. Echt, antwortet Großvater und beginnt, seine Geschichte zu erzählen. Er selbst sei im Leipzig des 18. Jahrhunderts aufgewachsen und dort als ein erfolgreicher Uhrmacher reich geworden. Bis ihm dann eines Tages der Teufel ein Angebot machte, das er nicht ablehnen konnte: Unsterblichkeit.

Die Gegenleistung: eine Maschine zu konstruieren, mit deren Hilfe die Seelen der bösen Menschen in die Hölle gelenkt werden konnten. Es dauerte eine Weile, bis Großvater Grün solch ein Wunderwerk hinbekam, aber er schaffte es. Nun gibt es mit dem Maschinchen leider ein Problem: Offenbar hat es jemand so manipuliert, dass die bösen Taten nicht mehr in der Hölle landen, sondern auf der Erde. Was natürlich die Situation des Teufels als Beherrscher der Sünder unhaltbar macht.

Feindliche Übernahme

Glücklicherweise gibt es mehrere direkte Zugänge zur Hölle, sozusagen Wartungsschächte. In Begleitung von Großvater, des Teufels, eines Dämons für unglückliche Zufälle sowie eines Eichhörnchen, das sich „Schicksal“ nennt, begibt sich Hannah gleichzeitig auf zwei verschiedene Missionen: auf die Suche nach der Opfermaschine und nach ihrem verschwundenen Vater. Ihre schräge Tante Zo erweist sich als wenig hilfreich. Als dann auch noch aus Florida vier Ganoven auftauchen, die die Opfermaschine aus ihrem Versteck stehlen, ist guter Rat teuer. Die Ganoven, so findet Mr. Teufel heraus, sind von den elf Gefallenen Engeln angeheuert worden, um Mr. Teufel endgültig aus dem Geschäft mit dem Bösen zu verdrängen – quasi eine feindliche Übernahme.

Das Tor zur Hölle

Zwar haben Hannah und Tante Zo inzwischen Dad gefunden – natürlich in Big Sur -, und Mom Kristen ist inzwischen auch wieder zurückgekehrt, nur um sofort gefangengenommen zu werden. Mal von von Kristens Rettung abgesehen, gibt es für Hannah noch etwas zu tun: den Rest der Welt zu retten. Der Teufel sagt Hannah, dass sie zu diesem Zweck das Tor zur Hölle öffnen muss. Das ist eine relativ neuartige Erfahrung für die Elfjährige, doch inzwischen hat sie einige Zusammenhänge begriffen.

In Begleitung von Tante Zo und dem Minderwertigen Unglücksdämon begibt sie sich an einen Ort, den Mr. Teufel als das „Behind“ bezeichnet und wo die Dinge und Wesen ganz anders funktionieren als auf der Erde (naja, an den meisten Orten). Der Haken dabei: Genau hier haben die Gefallenen Engel auf Hannah gewartet…

Mein Eindruck

Dies ist ein Kinderbuch, und diese Tatsache sollte man nie außer Acht lassen. Obwohl Teufel, Dämonen und Ganoven auftauchen, so kann dies doch die freche, intelligente Elfjährige nicht erschüttern, deren Hauptziel doch die Wiedervereinigung ihrer dysfunktionalen Familie ist. Der Teufel macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Um dieses hehre Ziel endgültig zu erreichen, muss sie auch die Welt retten. Wir begreifen: Diese zwei Ziele sind ein und dasselbe.

Kinderbuch

Da sich das Buch an Elfjährige wendet, kommt auch niemand zu Schaden. Nicht wirklich, aber die Geschichte führt natürlich etliche Krisen herbei, in denen es um Leben und Tod geht. Wenn der Ganove einen Revolver auf Großvater richtet und droht, ihn umzulegen, wird er erst einmal ausgelacht. Doch Großvater hat nicht lange zu lange, als der Ganove auf seinen Sohn, Steve, anlegt. Die Familie, so lernen wir, ist eben noch das Wichtigste, das allen Greens am Herzen liegt. Diese Botschaft dürfte jeden jungen Leser dies- und jenseits des Atlantiks erfreuen.

Das ist wohl die kritischste, brenzligste Situation, sieht man mal vom Auftreten großer schwarzer Wölfe und hämisch lachender Gefallener Engel ab. Dennoch sterben keine Wesen, sieht man mal von den erwartbaren Untaten des Teufels und seiner Dämonen ab – die Opfer haben es ausnahmslos verdient. Ein erfahrener, erwachsener Leser erkennt in Figuren wie den Dunkelengeln, den Wölfen usw. Metaphern für die darin verkörperten Ängste, die die Seele eines jungen Mädchens heimsuchen, wenn sie gerade ihre beiden Eltern verloren zu haben glaubt.

Unterhaltungsebene

Der Autor, der schon auf zahlreiche Horror-Romane für Erwachsene zurückblicken kann, versucht sich meines Wissens erstmals an einem Kinderbuch. Während so mancher erwachsene Kritiker wünscht, in Smith würde ein zweiter Stephen King erstehen, so legt der Autor doch ganz andere Ziele an den Tag. Dazu gehören erstens Unterhaltung, indem er das „gewöhnliche“ (engl. „mundane“) Leben eines Mädchens auf den Kopf stellt, die Mächte der Hölle entfesselt und durch zahlreiche Wendungen den Handlungsverlauf unvorhersehbar macht – genau das, was eine Abenteuergeschichte mitbringen muss.

Die zweite Ebene

Diese an der Oberfläche so turbulente Geschichte hat eine belehrende zweite Ebene. Hier werden die Gefühle des Verlustes, des Loslassens, des Wiederfindens ausgezeichnet dargestellt und dazu benutzt, in konkreten Phänomenen aufzutreten, die dem Literaturkenner wohlbekannt sind. An einer Stelle im „Behind“ muss Hannah ihr eigenes „Heim“ nach ihrer Mutter durchsuchen. Es wird immer kälter, denn das Behind ist das Gegenteil eines angenehmen Ortes.

Dort, wo es am kältesten ist, findet Hannah endlich ihre Mutter: unter dem Bett, denn Kristen hat große Angst davor, dass Hannah noch einmal „Ich hasse dich!“ zu ihr sagen könnte. Die äußere Kälte entspricht der inneren. Es ist Hannahs Aufgabe, die emotionale Kälte zu vertreiben. Inzwischen vollbringt Tante Zo eine Heldentat, die niemand von der chaotischen Egozentrikerin erwartet hätte. Sie nimmt es mit einem gefallenen Engel auf…

Vorbilder?

Die Frage scheint also zu lauten: Gaiman oder Pratchett? Welches Vorbild ist es, dem Mr. Smith nachzueifern versucht? Antwort: Weder noch! Für Gaiman-Fans, die seine SANDMAN-Storys für ihren grimmigen, schwarzen Humor bewundern, ist das Kinderbuch viel zu brav. Und für Pratchett-Fans, die die versteckte moralische Botschaft hinter all den skurrilen Ereignissen und Figuren entdeckt haben, ist der Teufel und alle seine Begleiter ein definitives No-go. Auf der Scheibenwelt sind selbst die Vampire, Assassinen und Trolle recht nett.

Sprachliche Probleme

Ich hatte Smith für einen US-amerikanischen Autor gehalten. Werch ein Illtum! Deshalb wunderte ich mich ständig, wie ein amerikanischer Erzähler, der über amerikanische Gegenden wie Kalifornien und Florida berichtet, einen dermaßen großen Wortschatz aufweist, der weit über dem Niveau der High-School liegt. Des Rätsels Lösung: Smith ist waschechter Brite und in Kalifornien derzeit nur zu Gast. Daher ist nicht nur sein Vokabular, sondern auch sein Humor britisch. Sobald ich das mal begriffen hatte, fühlte ich mich in gewohnt viktorianischem Fahrwasser.

Teufels Küche

Einen furchteinflößenden, finsteren amerikanischen Teufel, der reihenweise Seelen versucht und zur Hölle schickt, würde er nie hinbekommen, denn er könnte ihn gar nicht ernst nehmen. Sein Teufel ist ein garstiger alter Kerl, der ein allzu menschliches Problem hat: Seine Maschine tut nicht, was sie soll. Ungefähr wie ein Porsche, der nicht anspringen will (nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, ich weiß). Das Auftreten eines Ingenieurs des Satans ist daher eher eine Idee, die dem Steampunk entstammt, wo es vor Ingenieuren wie Lord Kelvin (K.W. Jeter) oder dem Uhrwerkmann (Mark Hodder) nur so wimmelt.

Steampunk

Dass der Höhepunkt der Geschichte von diesem Ingenieur herbeigeführt wird, indem er eine Achterbahn auf unerlaubte Geschwindigkeiten beschleunigt und so die Fahrgäste ins höllische „Behind“ befördert, ist eine typische Steampunk-Idee. Natürlich hält das die Achterbahn nicht lange aus und löst sich allmählich in ihre Bestandteile auf – das Geräusch von Nieten, die auf das Dach von Hannahs Heim im „Behind“ prasseln, ist ein komisch-makabrer Soundeffekt, der typisch für Smiths Erzählweise ist.

Unterm Strich

So unterhaltsam und makaber doch diese ver-teufelte Kindergeschichte zu lesen war, so fühlte ich mich doch als Erwachsener deutlich unterfordert. Im ersten Drittel scheint sich eine Steampunk-mäßige Maschine & Teufel-Story auf spannendste Weise anzubahnen, doch der eigentliche Plot besteht darin, dass Hannah ihre Eltern zurückgewinnt und mal ganz nebenbei die Welt rettet. Dass ihr alle Greens dabei helfen müssen, versteht sich von selbst.

Offenbar wendet sich der Autor mit dieser anrührenden, wenn auch sentimentalen Botschaft an ein jüngeres Publikum, als es Stephen King oder Dean R. Koontz normalerweise – in den USA – adressieren. Auch die Briten Neil Gaiman und Terry Pratchett erweisen sich als unpassende Vorbilder, und so lautet das Resümee: Mister Smith bleibt sich selbst treu. Ob er dabei mit seinem Buch auch auf dem amerikanischen Kinderbuchmarkt landen kann, bleibt abzuwarten. Wer weiß? Vielleicht werden Hannahs makabre und übernatürliche Abenteuer schon bald von Netflix verfilmt.

Schade, dass es bislang noch keine deutsche Übersetzung dieses netten, einfallsreichen Kinderbuches gibt. Dieses Crossover aus düsterer Gutenachtgeschichte, Seelenparabel à la „Pilgrim’s Progress“ und Steampunk muss sich ein deutscher Verlag erst einmal zutrauen.

Taschenbuch: 357 Seiten
Sprache: Englisch
Originaltitel: Hannah Green and Her Unfeasibly Mundane Existence, 2017
ISBN-13: 9780008237943

www.harpervoyagerbooks.co.uk

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