Michael Moorcock – Das Bordell in der Rosenstraße (Von Bek 3)

Der Zusammenbruch der westlichen Zivilisation

Ein kurzer, elegischer Roman aus der Familienchronik derer von Bek, die sich im 17. Jahrhundert mit Luzifer eingelassen hatten. Seine „realistische“ Handlung spielt am Fin de siècle anno 1900 und direkt vor dem Ersten Weltkrieg, der das alte Europa in Schutt und Asche versinken lässt. Für diese bedrohte Kultur steht das diskrete Bordell in der Rosenstraße der fiktiven Stadt Mürenburg, irgendwo dort, wo die Grenzen von Russland, Deutschland und Österreich zusammenstoßen. Das erinnert an die reiche, vielfältige Vorkriegskultur in Czernowitz, wo Schriftsteller wie Paul Celan und Rose Ausländer aufwuchsen.

Der Autor

Der Brite Michael Moorcock, geboren 1939 in London, ist mit seinen diversen Fantasyzyklen um den Ewigen Helden (Elric, Corum, Hawkmoon und andere) zu einer zentralen Figur in der Phantastik seines Heimatlandes geworden. Er ist ein entschiedener Gegner von katholischen Autoren wie Tolkien und C.S. Lewis, aber ein Verehrer von Autoren wie Franz Kafka, Thomas Mann, Grimmelshausen, Edgar Rice Burroughs, James Branch Cabell oder Mervyn Peake.

In den sechziger Jahren machte er sich mit seinem SF-Magazin „New Worlds“ zum Sprecher einer neuen Strömung innerhalb der SF, die Errungenschaften der modernen Hochliteratur verarbeitete – sehr zum Verdruss und Ärger der US-amerikanischen Traditionalisten. Mit manchen dieser Werke erregte er derart Anstoß, dass ihm britische Parlamentarier die Zuschüsse streichen wollten. Norman Spinrads „Champion Jack Barron“ gehört dazu, aber auch einer der Kurzromane von James Graham Ballard.

Moorcock selbst schrieb Popromane um seinen Helden Jerry Cornelius, aber auch durchschnittliches Fantasyfutter, das durch seine Verkäufe die anderen Romane finanzierte. In den letzten Jahren hat er mehrere Eternal-Champion-Zyklen in umgeschriebener Form zusammengefasst – darunter auch den Elric- und den Von-Bek-Zyklus – und sich dem Schreiben exzellenter Mainstream-Romane („Mother London“ und Fortsetzungen) zugewandt. In den Biografien wird seine Mitwirkung an der Rockband „Hawkwind“ niemals vergessen. Seine Homepage ist sehr umfangreich und weist sogar ein Forum auf, über das sich seine Fans austauschen können.

von Bek-Zyklus

1. The War Hound and the World’s Pain, Timescape Books 1981, ISBN 0-671-43708-9
Die Kriegsmeute, Heyne 1985, Übersetzer Peter Indermaur, ISBN 3-453-31166-3
2. The City in the Autumn Stars, Grafton 1986, ISBN 0-246-12843-7
3. The Brothel in Rosenstrasse: An Extravagant Tale, New English Library 1982, ISBN 0-450-04877-2
Das Bordell in der Rosenstrasse, Bastei Lübbe 1988, Übersetzer Michael Kubiak, ISBN 3-404-13157-6 (Quelle: Wikipedia.de)

Handlung

Italien zwischen den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Ricky von Bek, nun ein gealterter, schwerkranker Lebemann, verfasst seine Memoiren. Er beschwört das Bild der fiktiven, versunkenen Stadt Mürenburg in Osteuropa herauf, das von Reichen und Schönen, den gestaltenden und den Lebens-Künstlern jener Zeit, besucht und bewohnt wurde. Und mitten darin, von allen geachtet, das Bordell der Frau Schmetterling. Die nahende Kulturkatastrophe fördert hier die Ausschweifungen der „guten Gesellschaft“.

Hauptsächliches Thema der Memoiren ist die Entwicklung der Dreiecksbeziehung zwischen von Bek selbst, Alexandra, 16-jährige, erotische (und möglicherweise hermaphroditische) Kindfrau und Clara, Prostituierte im Etablissement. Das Fortschreiten ihrer Liebschaft sowohl auf sexuellem Gebiet als auch mental spiegelt die zunehmende Zerstörung Mürenburgs, die Umgestaltung der bekannten Welt wider.

Die verzweifelte, verinnerlichte Sinnlichkeit des Fin de siècle weicht einem zunehmend brutaler werdenden Realismus unter dem Schatten des kommenden Krieges. Selbst der Bürgerkrieg in Mürenburg findet seine Entsprechung im amourösen Bereich. Die zunächst zaghaft geschilderten zärtlichen Liebesszenen wandeln sich mit der Zeit zu Schilderungen von Brutal-Sexpraktiken. Dabei dienen dem Autor solche Szenen jedoch immer nur als Metapher zur schlaglichtartigen Beleuchtung der Epoche. Geschickt vermeidet er es, ins Pornografische abzugleiten.

Mein Eindruck

So gelingt es Moorcock, ein in seiner Fremdheit interessantes Sittenbild der damaligen Zeit zu zeichnen, das den Leser aufgrund seiner Intensität und Anschaulichkeit nicht mehr aus seinem Bann lässt. Im Bordell begegnen sich Traum und Realität: Phantasie kann Wirklichkeit werden und die Wirklichkeit zum Traum. Das ist weder Fantasy noch Science Fiction, sondern eine Phantastik, die einen versunkenen Kontinent, das gebildete Osteuropa, wieder zum Leben erweckt.

Eine eigenartig wehmütige Stimmung erfüllt die Memoiren des Ricky von Bek, die dekadente Stimmung einer Endzeit – eine beachtliche literarische Leistung, die Moorcock in seinem Zyklus, den er mit „Mother London“ begann, fortsetzen konnte. Die gleiche Stimmung findet man in den Magazinen des Londoner Fin de siècle, in „Yellow Book“ etwa.

Hinweis

Die Romane „Das Bordell in der Rosenstraße“ (1982; bei Bastei-Lübbe) und „The City in the Autumn Stars“ (1986, unübersetzt) sind quasi Fortsetzungen zu „Die Kriegsmeute“ (siehe meine Besprechung), da sie spätere Familienangehörige der von Beks in Europa präsentieren.

Taschenbuch: 222 Seiten
Originaltitel: The Brothel in the Rosenstrasse: An Extravagant Tale, 1986.
Aus dem Englischen von Michael Kubiak.
ISBN-13: 9783404131570

www.luebbe.de

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