Michael Moorcock – Gloriana oder Die unerfüllte Königin (revidierte Fassung)

Preisgekrönte Fantasykomödie

In einem England des 16. Jahrhunderts, das es nie gab, lebt die unerfüllte Königin Gloriana. Obwohl ihr Reich sich bis nach Asien erstreckt und die Wissenschaft floriert, ist sie unglücklich: Sie kommt nie zum Höhepunkt. Das will Quire ändern, einer der zahllosen Geheimagenten des Lordkanzlers Montfallcon. Quire verbündet sich mit dem ärgsten Feind des Kanzlers und verführt die Königin, um das Reich zum Einsturz zu bringen. Doch er hat nicht mit Glorianas Reaktion gerechnet…

Der Roman wurde mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet.

Der Autor

Der Brite Michael Moorcock, geboren 1939 in London, ist mit seinen diversen Fantasyzyklen um den Ewigen Helden (Elric, Corum, Hawkmoon und andere) zu einer zentralen Figur in der Phantastik seines Heimatlandes geworden. Er ist ein entschiedener Gegner von katholischen Autoren wie Tolkien und C.S. Lewis, aber ein Verehrer von Autoren wie Franz Kafka, Thomas Mann, Grimmelshausen, Edgar Rice Burroughs, James Branch Cabell oder Mervyn Peake.

In den sechziger Jahren machte er sich mit seinem SF-Magazin „New Worlds“ zum Sprecher einer neuen Strömung innerhalb der SF, die Errungenschaften der modernen Hochliteratur verarbeitete – sehr zum Verdruss und Ärger der US-amerikanischen Traditionalisten. Mit manchen dieser Werke erregte er derart Anstoß, dass ihm britische Parlamentarier die Zuschüsse streichen wollten. Norman Spinrads „Champion Jack Barron“ gehört dazu, aber auch einer der Kurzromane von James Graham Ballard.

Moorcock selbst schrieb Popromane um seinen Helden Jerry Cornelius, aber auch durchschnittliches Fantasyfutter, das durch seine Verkäufe die anderen Romane finanzierte. In den letzten Jahren hat er mehrere Eternal-Champion-Zyklen in umgeschriebener Form zusammengefasst – darunter auch den Elric- und den Von-Bek-Zyklus – und sich dem Schreiben exzellenter Mainstream-Romane („Mother London“ und Fortsetzungen) zugewandt. In den Biografien wird seine Mitwirkung an der Rockband „Hawkwind“ niemals vergessen. Seine Homepage ist sehr umfangreich und weist sogar ein Forum auf, über das sich seine Fans austauschen können.

Handlung

Im England des 16. Jahrhunderts, aber angesiedelt in einer Parallel- oder Fabelwelt à la „Faerie Queene“, lebt Königin Gloriana in der weitläufigen Burg, die sie von ihrem Vater Hern geerbt hat. Der Autor flicht zahlreiche Verweise ein, dass diese unübersichtliche Burg, insbesondere ihre schummrigen Verliese, eine Menge gemeinsam hat mit der Seele und dem Bewusstsein der Königin: ein Symbol für ihr Innenleben also.

Sie herrscht über ein Albion, das von den Amerikas bis nach Asien reicht. Ein neues Goldenes Zeitalter des Friedens, der Aufklärung und des Wohlstands ist angebrochen. Gloriana ist Albion und Albion ist Gloriana: Sollte eines fallen, stürzt auch das andere. Die Nächte der Königin sind weiß Gott nicht besonders erfreulich. War ihr Vorbild, Elisabeth I, eine Virgin Queen, so ist Gloriana „unfulfill’d“, also sexuell unerfüllt.

Natürlich sucht sie Abhilfe für diesen unhaltbaren Zustand, und es treten eine ganze Reihe von Angehörigen des Hofstaats auf: Elric von Melniboné, Erekose, Hawkmoon und Corum – sie alle sind Verkörperungen des Ewigen Helden. Lord Montfallcon, ihr Kanzler, weiß mit den Scharen seiner Geheimagenten jede Menge schmucke Galane herbeizuzaubern.

Seltsam, dass Gloriana dennoch Bedarf für die Dienste von John Dee hat, einer historisch verbürgten Gestalt am elisabethanischen Hofe des 16. Jahrhunderts. Er ist Magier und treibt Umgang mit allerlei zwielichtigem Gelichter. Er rundet das Gefolge ab, das sich wie auf einem Maskenball des Mittelalters die Ehre gibt, um Gloriana zu helfen oder ihr zu schaden. So eine Königin hat’s wahrlich nicht leicht.

Doch als sich Montfallcon mit einem dieser Agenten, Quire, entzweit, setzt er eine verhängnisvolle Entwicklung in Gang. Quire ist ein kaltherziger Verführer und der Mörder jeglicher Unschuld. Quire verbündet sich mit dem ärgsten Feind des Kanzlers und verführt die Königin, um das Reich Albion zum Einsturz zu bringen, Gloriana zu ruinieren und das Goldene Zeitalter zu beenden.

Doch selbst der absolut skrupellose Quire versteht nicht ganz, was in Gang gesetzt hat, als er die Königin dazu überredet, sich in ihn zu verlieben und mit ihm zu schlafen…

Mein Eindruck

Der Roman, der 1992 in revidierter, erweiterter (von 421 auf 558 Seiten) Fassung mit einem anderen Finale erschien, wurde 1979 mit den Literaturpreisen World Fantasy Award (s.o.) und John W. Campbell Memorial Award ausgezeichnet. Aber Achtung: „Gloriana“ ist keine heroische Fantasy, sondern eine Komödie der Sitten im Stil eines James Branch Cabell oder P.G. Wodehouse. Am Ende steht Glorianas Verführung, zumindest in der revidierten Fassung. In der ersten Fassung wird sie von Quite vergewaltigt, was auf heftigen Widerspruch der Feministinnen stieß.

Zahlreiche Anspielungen verweisen auf Edmund Spensers elisabethanisches Fantasy-Epos „Faerie Queene“ und die „Gormenghast“-Trilogie (bis 1959) des englischen Fantasy-Autors Mervyn Peake, dem dieses Buch gewidmet ist. In „Gormenghast“ schildert der Autor einen uralten, verwinkelten Palast, der selbst mit seinen verborgenen Winkeln und Geheimnissen selbst schon ein Hauptdarsteller im Plot ist. Welche Chance könnte das der junge Titus Groan haben, sich gegen die Stein gewordene Last der Vergangenheit zu behaupten?

Dennoch mangelt es dem Buch – zumindest in der ersten Fassung, welche ich gelesen habe – entschieden an Handlung und Spannung, vielleicht sein größter Fehler. Doch wer auf phantasievolle Schauplätze und Charaktere Wert legt, wird hier bestens bedient. Die zahlreichen Illustrationen der ersten Fassung evozieren genau das Ambiente eines Palastes, in dem jedes Verbrechen möglich ist. Das Vorwort von Tad Williams konnte bei mir nur Verständnis, aber keine Begeisterung wecken.

Taschenbuch: 558 Seiten
Originaltitel: Gloriana or The Unfill’d Queen, 1978
Aus dem Englischen von Walter Brumm.
ISBN-13: 9783453863682

www.heyne.de

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