Solide SF: Rendezvous mit den Aliens
Nach dem verheerenden Krieg um die letzten Ressourcen der technischen Zivilisation haben sich die Großmächte in die Rolle isolierter Agrarstaaten zurückgebombt. Die Wissenschaftler, angeblich schuld an der verhängnisvollen Entwicklung, werden verfolgt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Allen Chandliss riskiert sein Leben, um ein Radioteleskop zu betreiben und nach Signalen außerirdischer Zivilisationen zu suchen, die der Menschheit helfen könnten. Nach siebzehn Jahren vergeblichen Lauschens zahlt sich seine Geduld aus… (Verlagsinfo)
Der Autor
Der US-amerikanische Autor Michael Paul Kube-McDowell wurde 1954 geboren und schrieb zusammen mit Michael M. McDowell an Drehbüchern für die TV-Serie „Tales from the Darkside“. Um der Verwechslung vorzubeugen, integrierte er den Namen seiner Frau, Kube, in seinen Autorennamen. Seine erste Story erschien 1979: „The Inevitable Conclusion“ bezeichnete auch den Beginn seiner TRIGON-Trilogie (1985-1987, s.o.).
Nach TRIGON folgte „Alternities“ (1988), ein Roman über eine Reihe von Alternativwelten, und „The Quiet Pools“ (1990), ein Roman über einen Mann, der genetisch unfähig ist, die Erde zu verlassen, um den Weltraum zu erschließen. Noch etwas unverblümter kommt „Exile“ (1992) daher, dass die Geschehnisse auf dem Tienanmen-Platz anno 1988 aufgreift und eine düstere Zukunft des Determinismus und der Hegemonie entwirft, die eine Kolonialwelt vor eine bestürzende Wahl stellt.
Etwa zur gleichen Zeit hatte sich der Autor bereits in die Welt der Romanserien begeben, angefangen mit Isaac Asimovs „Robot City“ (ab 1987). (Quelle: „Encyclopedia of Science Fiction“) Von dort war es nur ein kleiner Schritt in die Welt von STAR WARS. 1999 schrieb Kube-McDowell zusammen mit seinem Vorbild Arthur C. Clarke den Thriller „The Trigger“.
Die Trigon-Trilogie
1) Das Wagnis
2) Das Geheimnis
3) Das Reich
Weitere Werke:
1) Exil (dt. bei Heyne)
2) Diaspora (dito)
Handlung
Kurz nach der Unschädlichmachung aller Atomwaffen haben sich die Staaten der Welt wieder auf alte Tugenden besonnen und einen dritten Weltkrieg mit „konventionellen“ Waffen ausgefochten. Das Ergebnis ist entsprechend verheerend: Industrie gibt es praktisch nicht mehr, Technik nur noch rudimentär, Landwirtschaft hält die stark dezimierte Bevölkerung über Wasser. Das Schlimmste aber: Die Überlebenden machen die Wissenschaftler, die diese Entwicklung in Gang gesetzt haben, für ihre Misere verantwortlich. Wissenschaftler sind fortan nicht bloß Scharlatane, sondern richtige Hexer und werden überall verfolgt und getötet.
Idaho
Allan Chandliss ist einer der Letzten seiner Art: ein Radioastronom. Er lebt verborgen in einem Bergtal in Idaho, wo er ein kostbares Radioteleskop hütet und es mit wertvollem Solarstrom betreibt. Auf diese Weise gelingt es ihm eines Tages, ein unbekanntes, aber starkes und vor allem regelmäßiges Signal aus dem Sternbild Cassiopeia zu empfangen. Doch damit diese Information jemandem nützt, braucht er Hilfe. Die bekommt er nur im nächsten Dorf.
Der „Radiomann“, ein Elektriker, hat das einzige funktionsfähige Telefon der Gegend – und er lässt sich dessen Nutzung fürstlich entgelten. Während es Allan gelingt, einen einzigen alten Kollegen in Großbritannien über seine Entdeckung zu informieren, entdeckt der „Radiomann“ in Allan Rucksack etwas viel Wertvolleres: ein kleines Solarpaneel. Kurz darauf sieht sich Allan von männlichen Fäusten umringt…
England
Leonard Eddington wuchs in einer betuchten Adelsfamilie auf, doch heute hält er sich gerade mal so über Wasser. Er scheut Risiken wie der Teufel das Weihwasser. Es ist seine Ex, die ihn moralisch unter Druck setzt, die Information, die ihm Chandliss gegeben hat, zu nutzen und mit anderen zu teilen. Wenn die Außerirdischen auf der Erde anrufen, sollte man ihnen gefälligst zuhören – wenn nicht sogar antworten!
Wenige Tage später sind mehrere ehemalige Bekannte und Freunde seiner Einladung gefolgt, als Astrologen getarnt. Mit ihrer Hilfe gelingt es ihm, das Signal komplett aufzuzeichnen und mit einem Code aus Buchstaben und Ziffern zu versehen. Aber was bedeutet er? Zum Glück ist Eddingtons Tochter Penny eine Kriminärrin – sie lässt sich „Agatha“ (nach Christie) nennen – und entschlüsselt den Code: „Er beginnt mit einer Begrüßung“ – auf Englisch! Und der Code endet mit einem Buchstabenwirrwarr, der sich als Frequenzbezeichnung herausstellt.
Leider hat Club-Mitglied Trevor Winston die ganze Unternehmung für verräterisch empfunden und den Behörden gemeldet. Der königliche Sicherheitsdienst ist zur Stelle, als der Club nach London fährt, um die „Alien-Botschaft“ irgendjemandem, den sie interessieren könnte, mitzuteilen. Immerhin haben die Außerirdischen ja praktisch ihr Kommen angekündigt. Als der Name des Königs fällt und von einem Spitzel aufgeschnappt wird, rücken die Agenten an und sacken die verdächtige Gruppe kurzerhand ein.
König William V.
Hinter den Mauern der Bürokraten herrscht strikte Doppelmoral: Nach außen hin wird ostentativ Desinteresse gezeigt, was die Botschaft betrifft, doch hinter verschlossenen Türen trägt man das Ereignis an den König weiter. Obwohl immer noch als „Kinderkönig“ verschrien, ist William doch auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Zwar kann er keine Gesetze verabschieden, verfügt aber über großen Einfluss und, was noch wichtiger ist, über einen eigenen Haushalt.
Der bereits zum Tode verurteilte „Verschwörer“ Aikens sieht sich flugs nach Neufundland expediert, wo er einem der letzten funktionsfähigen Radioteleskop das Tanzen beibringen soll. Cassiopeia ist ein großes Sternbild und seine Sonnen sind über Dutzende von Lichtjahre, von der Erde aus gesehen, verteilt. Dennoch gelingt ihm am entscheidenden Tag der Vorführung das schier Unmögliche: einzufangen, was Allan Chandliss – RIP! – einst als erstes zu hören bekam: das starke und regelmäßige Radiosignal der Außerirdischen, die ihr Kommen ankündigen. Die Quelle des Signals nähert sich mit der beachtlichen Geschwindigkeit von 0,06c, das ist etwa ein Sechzehntel der Lichtgeschwindigkeit.
Devaraja Rashuri
Auf der Geheimkonferenz, auf der König William das Geheimnis der Botschaft enthüllt, kommt es zu heftigen Reaktionen. Mehr als ein Abgesandter verlässt empört und wütend über diesen „illegalen Unsinn“ den Saal. Der Inder Dewaraja Rashuri bleibt allerdings und bietet seine Dienste an, um die geheime Weltraumorganisation des Königs zu gründen und zu leiten – gegen ein stattliches Entgelt, versteht sich. Die Chinesen agieren trickreicher: Sie tun erst empört, kehren dann aber hinter verschlossenen Türen zurück. Delegationsführerin Tai Chen hat die Gefahr sofort erkannt: „Wir müssen die Erde schützen!“ Und ein Raumschiff bauen. Und es mit 750 Mio. Dollar finanzieren. Was den Chinesen de facto eine führende Position in der Raumfahrtbehörde verschafft.
Jetzt braucht Rashuri nur noch Leute, die das Botenraumschiff, das die Aliens abfangen und fernhalten soll, konstruieren und mit allen Finessen programmieren, die man auf der verwüsteten Nachkriegserde überhaupt noch finden kann. Doch eines der Schiffe nach dem anderen scheitert bereits auf dem Boden. Während das Programm für den Aufbau eines weltumspannenden Antennennetzwerks namens Procomnet im Gange ist, droht die chinesische Präsidentin Tai Cheng, Rashuri den Stecker zu ziehen. Zum Glück überlegt er es sich anders und beugt sich ihren Wünschen, ein Netzwerk von Weltraumfestungen zu errichten. Dabei verfolgt er bereits einen Alternativplan…
Mein Eindruck
Die Handlung erstreckt sich über Jahrzehnte, bildet aber im Grunde nur das Vorspiel zu jenem Höhepunkt, mit dem der erste Band gipfelt: das Rendezvous mit den Aliens. Es ist nicht Rashuri, sondern seinem Sohn Charan vorbehalten, diese Expedition zu leiten. Charan hat eine umfassende Ausbildung erhalten und ist als einziger nicht mit einer Agenda versehen, die den Idealen des Pangaia-Konsortium seines Vaters widerspricht.
Der chinesische Vertreter, von Tai Cheng persönlich ausgesucht, ist paranoid und aggressiv. Die junge Frau Joanna ist von zur Weltkirche angewachsenen Sekte namens „Kirche der Wiederkehr“ auserkoren worden, die Engel, die von den Sternen kommen, zu begrüßen. Um ein Haar wird sie von dem Chinesen vergewaltigt und sucht später Schutz bei Charan. Und Albert Rankin ist in den Vorgaben seiner Wissenschaftsdisziplinen gefangen, um einen Alternativplan zu haben, als die Aliens auf Tuchfühlung gehen.
Als das nahezu lichtschnelle Raumschiff „Pride of Earth“ die Flugbahn der anfliegenden Aliens schneidet, geht es auf einen Abfangkurs und dann quasi längsseits – in sicherer Entfernung. Die Mannschaft erlebt eine dicke Überraschung: Die Aliens sehen aus wie Menschen. Wie kann das sein? Das Lösen dieses Rätsels nimmt einen beträchtlichen Teil des letzten Viertels ein. Dann fällt Charan eine Entscheidung, die alle Beteiligten verblüfft, aber den Weg in eine friedliche Koexistenz mit den „Aliens“ öffnet.
Mein Leseerlebnis
Obwohl die Story relativ einfach ist und geradlinig erzählt wird, so setzt der Autor doch einige astronomische Kenntnisse voraus. Die Übersetzung unternimmt nicht das Geringste, den Leser, der nicht weiß, was beispielsweise ein AE ist, aufzuklären. Immerhin unternimmt es der Autor darzulegen, was für einen merkwürdigen Antrieb er der „Pride of Earth“ verpasst hat. Eine Erklärung würde an dieser Stelle zu weit führen.
Viel bedeutsamer für die Aussage des Buches ist jedoch die Beschreibung der gesellschaftlichen Folgen eines bevorstehenden Alien-Rendezvous‘ auf die Weltbevölkerung. Dass eine kleine US-amerikanische Sekte schließlich über eine Milliarde Mitglieder zählt, spricht für die Anziehungskraft von positiven Heilsversprechen: Der Sektenführer prophezeit nichts Geringeres als die Wiederkehr des auferstandenen Jesu, zumindest aber die Ankunft seiner Boten, der Engel (denn das griechische Wort „angelos“ bedeutet „Bote“ und daher „evangelion“ eben „die gute Botschaft“). Wieder andere Leute fabulieren von den MyMännern, die von MY Cassiopeia zur Erde kämen, um hier alles besser zu machen. Offenbar handelt es sich um eine gesteuerte Propaganda – bloß keine Panik!
Der Konflikt zwischen dem Pangaia-Konsortium und der chinesischen Präsidentin Tai Cheng bezeichnet die Ebene der politischen Konflikte. Aber auch innerhalb des Konsortiums geht es nicht ohne Reibereien ab. Wer baut den Antrieb, wer konstruiert das Schiff, wer bildet die Besatzung aus? Am Schluss muss es ganz paritätisch zugehen. Nachdem Rashuri, die Chinesen und die Sekte ihren jeweiligen Kandidaten vorgestellt haben, wird das Los gezogen…
Aggression
Nur zur Warnung sei erwähnt, dass dies kein Kinderbuch ist, sondern ein erwachsenes Publikum anspricht. Einerseits ergibt sich dies aus der Materie der Astronomie, andererseits aus der Fülle an Gewaltszenen. Der arme Chandliss, Entdecker der Botschaft, wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt, als wäre er ein Hexer. Die junge Joanna wird nicht etwa deshalb von der Kirche als Besatzungsmitglied ausgewählt, weil sie eine heiligmäßige Vision gehabt hätte, sondern weil sie eine Märtyrerin ist: Sie durchlitt eine Massenvergewaltigung. Man sieht also: Der Autor ist keineswegs zimperlich oder legt sich Scheuklappen an, was die brutale Realität auf der Erde anbelangt.
Offene Fragen
Wer erwartet, dass sich die Besucher von den Sternen als Aggressoren aufführen, wie sie das noch in den 1930er und 1940er Jahren getan hätten, wird angenehm enttäuscht. Sie sind vielmehr friedlich eingestellt und wollen zur Erde, um ihre Dankbarkeit unter Beweis stellen. Dankbar wofür, Beweisen womit? Und überhaupt: Wieso sind sie menschlich? Diese und viele weitere Fragen müssen an dieser Stelle offen bleiben, aber Antworten finden sich hoffentlich in den Folgebänden.
Die Übersetzung
…ist stark ausbaufähig, wie die Liste der Fehler belegt.
S. 127: „die eigenartigen Seiches des glitzernden [Genfer] Sees“: Der Sinn des Wortes „Seiches“ ist dunkel, fürwahr.
S. 158: „bevor Aikens mit ihren reden konnte“. Es ist wahrscheinlich „mit ihnen“ gemeint.
S. 209: AE wird nicht erklärt. AE = Astronomische Einheit, der (mittlere) Abstand zwischen Erde und Sonne, ca. 150 Mio. km oder 8 Lichtminuten.
S. 244: „Dieses Geheimnis [haben] wird nur deshalb gehütet…“. Das Wort „haben“ ist überflüssig.
S. 270: „Bereit euch auf das Entzücken vor.“ Das ist eine Eins-zu-eins-Übersetzung von „the rapture“. Damit meinen Fundamentalchristen die Heimholung der Seelen ins himmlische Reich, auch von lebenden (!) Menschen. Üblicherweise wird „rapture“ mit „Verzückung“ übersetzt.
S. 308: „Auf eine Schule in Britannien, aber nicht au[ch]f eine britische.“ Statt „auch“ sollte es „auf“ heißen.
S. 314: Der Begriff „Telugu“ wird nicht erklärt.
S. 319: „Transportfähre, mit dessen Hilfe…“. Da eine Fähre weiblich ist, muss das Relativpronomen „deren“ statt „dessen“ lauten.
S. 378: „RSVP2. Wird nicht übersetzt, heißt aber im Volltext „Respondez s’il vous plait“. Wird im Deutschen üblicherweise mit „U.A.w.g.“ abgekürzt: „Um Antwort wird gebeten“.
S. 426: „Das Ergebnis wäre im jeden Fall“ ist falsche Grammatik. Korrekt sollte es „in jedem Fall“ heißen.
Unterm Strich
Dieser Auftaktband berichtet vom ersten Fremdsignal über dessen Folgen für die Erde bis zum Rendezvous mit den Sendern. Dabei wird klar, dass es um einen Nachrichtenaustausch geht: Der empfangenen Botschaft folgt die Entsendung eines irdischen Boten, eben eines neuartigen Raumschiffs. Dass dieses Raumschiff umfangreich mit Sprengstoff versehen worden ist, hat Rashuris Sohn Charan den Chinesen zu verdanken, die hier durchweg als aggressiv und paranoid dargestellt werden. Charan macht den Sprengstoff unschädlich und macht so sein Schiff wehrlos. Ist das ein kluger Schachzug?
Wäre dies ein Krimi, so könnte man die Handlung als Ermittlungsbericht sehr traditionellen Stils bezeichnen. Man kann eine Handlung kaum geradliniger und minutiöser erzählen: vom Anfang bis zum vorläufigen Ende. Diese Erzählweise erzeugt wenig Spannung, auch wenn am Schluss einige unvorhergesehene Wendungen eintreten. Und wenig Spannung erzeugt im Leser, der sich mit der Materie nicht oder nur widerwillig befassen will, bald Langeweile. Meinen ersten Durchhänger erlebte ich bereits am Ende des ersten Teils, einen zweiten um die Seite 200 herum. Da fast schon die Hälfte geschafft war, sagte ich mir, dass ich noch den Rest schaffen könnte. Ich habe es nicht bereut.
Wie schon oben angedeutet, ist die Mission der „Pride of Earth“ auf vielerlei Weise gefährdet, von innen ebenso wie von außen. Etliche unerwartete Wendungen – der Autor scheint sich auf seine Pflichten zu besinnen – halten den Leser bei der Stange und sorgen bis zuletzt für Überraschungen. Der Epilog enthüllt ein weiteres Detail über das Schicksal der Besatzung des Raumschiffs und weckt so den Appetit auf die Fortsetzung im zweiten Band, der den Titel „Das Geheimnis“ trägt.
Wer auf solide, wissenschaftlich fundierte Science Fiction à la Arthur C. Clarke – an dessen Erzählstil viele Passagen erinnern – der liegt bei „Das Wagnis“ richtig. Wer laute, schnelle Action sucht, wird sicherlich woanders fündig.
Taschenbuch: 447 Seiten
Originaltitel: Emprise, 1985
Aus dem Englischen von Barbara Slawig
ISBN-13: 9783453109230
www.heyne.de
Der Autor vergibt: