Michael Schmidt (Hrsg.) – Zwielicht Classic (1)

Horror und zwielichtige Phantastik reizen nicht nur Kinogänger, obwohl man in dem Bereich wohl die weiteste Akzeptanz für diesen Teil der phantastischen Literatur findet. Nicht zuletzt H.P.Lovecraft schuf mit seinen Erzählungen die Basis für literarischen Grusel. In Deutschland scheint diese Plattform vor allem durch die Thriller namhafter Autoren meist englischsprachiger Herkunft besetzt zu sein, sieht man von dem Engagement mehrerer kleiner Verlage und Gruppen ab, die sich meist mit der Kurzform der Erzählung beschäftigen. Von den Publikumsverlagen startete Bastei Lübbe einen Versuch auf diesem Gebiet mit der Novellenreihe »Horror Factory«, die leider nach kaum 15 Bänden eingestellt wurde.

Michael Schmidt, einer der Veranstalter der Horror-Auszeichnung »Vincent Preis«, sammelt nun unter dem Label »Zwielicht« Kurzgeschichten und Novellen, die teilweise als Erstveröffentlichung, teilweise (so in der »Classic«-Reihe) preisgekrönte oder besondere Erzählungen vereint, herausgegeben werden und so ein Format vorliegt, das sich nicht, wie meist üblich, um Phantastik im Allgemeinen, sondern vor allem um Horror im Besonderen bemüht. Erweckt auch der Beiname »Classic« den Anschein, sich um die Neuveröffentlichung alter Geschichten zu kümmern, handelt es sich hier eher um bereits verdiente Vertreter des Genres.

Mit »Zwielicht Classic 1« liegt uns nun der erste dieser inzwischen auf 11 Bände angewachsenen Reihe vor:

Besessen

Den Anfang macht Torsten Scheib mit der 2010 erschienenen Geschichte. Es geht um Exorzismus, ein altes, reales Thema, doch Scheib zelebriert eine wahnhafte Geschichte zum Anfassen: Er wirft uns in das Innere des Protagonisten, der uns täuscht, wie er auch sich selbst und sein Umfeld täuscht. Wir fiebern mit ihm um das Leben seiner unschuldigen Schwester – und finden uns in einer Welt wieder, die aus dieser Story mit ihrem unerwarteten Ende einen Schock macht.

Blind Date

Malte S. Sembten gewann mit dieser Geschichte den Kurd-Laßwitz-Preis 1998, und daran erkennt man die verschwommenen Genregrenzen. Die Auflösung bietet sich dem nervösen Leser zwar schon in der Geschichtenmitte an, jedoch bringt Sembten zum Ende noch den unerwarteten Twist und erzeugt das Kribbeln des Bestiariums.

Sembten verstarb im Jahr 2016 viel zu früh im Alter von 50 Jahren. Ruhe in Frieden.
www.mssembten.de

Der erste Tag der Ewigkeit

Christian Weis bewegt sich mit seinen Kurzgeschichten durch die phantastischen Genres; diese Erzählung folgt ihm darin. Stilistisch erzeugt sie die typische Spannung und das Rätsel, und ihre Auflösung bringt den Ruck, der sie in diese Anthologie brachte.

Die fehlende Stunde

Wieder eine Erzählung, die deutlich macht, dass Horror und Science Fiction oft dicht beieinander liegen. Tobias Bachmann baut in wechselnden Schlaglichtern eine Welt, die uns schon so erschreckend nah ist und hoffentlich unerreichbar fern. Aus ihren Eigenarten gewinnt die Geschichte eine Komplexität, die der Protagonist nicht zu begreifen vermag. Die Katastrophe folgt unausweichlich. Für den Leser verketten sich die Sequenzen zu einem Bildausschnitt einer hoffnungslosen Zukunft.

Der neue Nachbar

Andreas Schuhmacher erzählt die Geschichte eines einsamen Mannes – in einer Welt, die merkwürdig anmutet. Schuhmacher versteht es ausgezeichnet, den Leser durch die Perspektive in die Irre zu führen, geleitete durch die Normen und Vorstellungen unserer Gesellschaft und dem, was man zu kennen glaubt. Daraus entwickelt er einen Handlungsverlauf, der fortschreitend skurriler wirkt – bis am Ende das Verständnis über einem zusammen bricht.

Das Tor nach Cloon

Und wieder verschwimmen die Grenzen zur SF, doch das Szenario, das Andreas Gruber entwickelt, ist von intensivem Schrecken über die Unmenschlichkeit des Menschen. Dabei schickt auch er den Leser erst in eine falsche Richtung, ehe er seine Lösung anbietet.

Kein Abschied hält ewig

Diese Geschichte hat es in sich. Christian Endres verknüpft die allbekannte Geschichte um ein Mädchen und seine Begegnung mit dem Zauberer von Oz mit dem Schrecken, dem dieses Mädchen in der realen Welt ausgesetzt ist – und was es mit ihm macht. Eine aus dem Kindermärchen entwickelte Horrorgeschichte als Fortsetzung des Klassikers, die ihren Schatten auch über die Erinnerung an das Original auszubreiten sucht.

Hell dunkel, dunkel hell

»Sehr SF-lastig«, nennt Michael Schmidt diese Story von Nina Horvath. Da ist wieder das Setting auf der einen Seite und die Ausrichtung der Erzählung auf der anderen. Horvath erzählt von einer depressiven jungen Frau. Ihre psychische Belastung führt zu Wahnvorstellungen und Handlungen, und der Leser erlebt ihre Sicht der Katastrophe mit. Bis ihr Wahnsinnsbild über ihr zusammen bricht und die Geschichte ihre Auflösung bekommt. Das Setting und die Auflösung sind einfach und logisch verknüpft, die Erzählung jedoch von dichter Atmosphäre und ein würdiger Abschluss für diese kurzweilige Sammlung.

Insgesamt bringt jede Geschichte ihren eigenen Ton mit, jede einzelne verursacht beklemmende Gefühle im Leser und zum Teil zeigen sie in Horrorszenarien eine Zukunftsperspektive, die tatsächlich vorstellbar ist. Kurzgeschichten sind nicht Jedermanns Sache, und gerade unter der Last heutiger Romane, die selten unter Ziegelsteinformat daher kommen, hat die Kurzform keinen leichten Stand. Lesergeschmäcker werden durch den großen Markt geschult, doch lohnt es sich, der Kurzform, zumal in einer Sammlung wie der vorliegenden, etwas Aufmerksamkeit zu zollen. Horror muss nicht mit Splatter, stroboskopischem Szenenwechsel und schmierigen Aliens einhergehen, die Kunst in der Literatur liegt vielmehr im Erzeugen des Schauers, der bei der Erkenntnis der Unausweichlichkeit entsteht.

In dieser Sammlung findet man Geschichten und Autoren, die mit wenigen Wörtern das erzeugen können, was unsere Ur- und Zukunftsängste berührt. Abgerundet wird die Sammlung durch Artikel, die sich mit der Horrorszene in Deutschland beschäftigen. Michael Schmidt beweist hier ein glückliches Händchen in der Auswahl des Stoffes und ein beachtliches Engagement für die Kurzform der phantastischen Literatur.

Taschenbuch, 174 Seiten
Createspace 2013

ISBN: 9781483970509

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