Michael Swanwick – Die Tochter des stählernen Drachen (Drachentrilogie 1)

Aufstand des Wechselbalgs

Jane ist in einer Parallelwelt ein Wechselbalgmädchen, das in einer Drachenfabrik der Faerie schuften muss. Sie hat teil magische, teils kybernetische Monster herzustellen, die als Krieger mit Düsenantrieb eingesetzt werden. Erfolgreich proben die Sklaven den Aufstand, und Jane entkommt auf ihrem Drachen. Nach einer gewissen Zeit der Reifung steigt sie in der herrschenden Klasse auf, nur um den nächsten Teil ihres Plans anzugehen: die Vernichtung der Göttin, die dem ganzen repressiven System ihren Segen gibt und seine Macht verleiht…

Der Autor

Michael Swanwick, der einen vom hinteren Umschlag wie ein verurteilter Finsterling ablickt, ist in Wahrheit einer der intelligentesten Science Fiction-Autoren der Gegenwart. Allerdings ist er schon wieder so intelligent und gebildet, dass seine Bücher zwar die Kritiker regelmäßig in Ekstase versetzen, sich die Verkaufszahlen weiterhin im Keller bewegen. „Bones of the Earth“ ist z.B. Swanwicks Variante von Crichtons „Jurassic Park“ – eine sehr gute obendrein – aber weitaus anstrengender zu begreifen.

Andere Romane von Swanwick: „In Zeiten der Flut„, „Die Tochter des stählernen Drachen“, „Vakuumblumen“ (Cyberpunk) und „Jack Faust“. Er hat drei Storysammlungen veröffentlicht, z.B. „Engel der Schwerkraft„.

Romane

The Iron Dragon’s Daughter

• 1 The Iron Dragon’s Daughter, Millennium 1993, ISBN 1-85798-080-8 (Nominiert für den Clarke, den Locus Award in der Kategorie Fantasy und den World Fantasy Award, 1994)
o Die Tochter des stählernen Drachen, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5377 1996, Übersetzer Alfons Winkelmann, ISBN 3-453-09479-4
• 2 The Dragons of Babel, Tor 2008, ISBN 978-0-7653-1950-0 (nominiert für den Locus Award, 2009)
• 3 The Iron Dragon’s Mother, Tor 2019, ISBN 978-1-250-19825-9

Darger and Surplus

• Dancing With Bears, Night Shade Books 2011, ISBN 978-1-59780-235-2
• Chasing the Phoenix, Tor 2015, ISBN 978-0-7653-8090-6
• The Postutopian Adventures of Darger and Surplus, Subterranean Press 2020, ISBN 978-1-59606-936-7 (Sammlung)

Weitere Romane

• In the drift, Ace Books 1985, ISBN 0-441-35869-1
o Die Todesschneise, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5002 1993, Übersetzerin Irene Holicki, ISBN 3-453-06229-9
• Vacuum Flowers, Arbor House 1987, ISBN 0-87795-870-X
o Vakuumblumen, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #4636 1990, Übersetzer Peter Robert, ISBN 3-453-03898-3
• Griffin’s Egg, Legend / Century 1991, ISBN 0-7126-4578-0
o Eines Greifen Ei, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5094 1993, Übersetzerin Irene Bonhorst, ISBN 3-453-07257-X
• Stations of the Tide, William Morrow SFBC 1991, ISBN 0-688-10451-7 (Gewinner des Nebula Award, 1991, nominiert für den Hugo Award und den Campbell Award 1992, sowie den Clarke Award 1993)
o In Zeiten der Flut, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5890 1997, Übersetzer Norbert Stöbe, ISBN 3-453-12669-6
• Jack Faust, Avon Books 1997, ISBN 0-380-97444-4 (nominiert für den BSFA Award, 1997, sowie den Hugo und Locus, 1998)
• Bones of the Earth, Eos / HarperCollins 2002, ISBN 0-380-97836-9 (nominiert für den Nebula Award, 2002, sowie Hugo, Locus, und Campbell Award, 2003)
• City Under the Stars, Tor.com 2020, ISBN 978-1-250-75658-9 (mit Gardner Dozois)

Handlung

Jane ist etwas sehr Seltenes, nämlich ein Mensch. Sie wächst unter Gnomen, Kobolden, Elfen, Wasserspeiern und Basilisken mit seltsamen Namen auf und arbeitet in der Drachenfabrik der Faerie. Die Drachen sind aus Stahl und voll kybernetisch ausgerüstet, so dass sich der Pilot mit dem Bewusstsein des Drachen zusammenschalten kann. Nachdem die Kinderarbeiter erfolgreich den Aufstand gegen ihre Aufseher durchgeführt haben, flüchtet Jane mit ihrem persönlichen Drachen, den sie wieder hergerichtet hat, in ein neues Leben.

Aufstieg

Als Ladendiebin hat Jane besondere Erfolge vorzuweisen, denn die magischen Alarmanlagen werden von ihr nicht ausgelöst. Sie gewinnt Freunde und an Einfluss. Sie wird sexuell initiiert und à la Circe mit sexueller Macht ausgestattet, verliert ihren Freund und macht Bekanntschaft mit den oberen Zehntausend, den gefährlichen Faerie bzw. Elfen. Aus der Außenseiterin wird allmählich eine arrivierte Dame des Establishments, die auf Drogen und „innovativen“ Sex steht: In der Regel überleben ihre Lover das Liebesspiel nicht.

Attacke

Dennoch bewahrt Jane stets ihre eigene Perspektive auf die Verhältnisse: die eines Drachenpiloten. Und sie steht voll hinter dem Plan ihres Drachen, diese Welt der Unterdrückung zu zerstören. Dazu soll die Göttin in ihrem Spiralschloss hinter den höchsten Wolken vernichtet werden. Und so geschieht es auch: Nach einem Angriff auf die Luftwaffen-, d.h. Drachenbasis der Elfen geht’s auf zum Schloss der Göttin.

Dimensionswechsel

Leider schaffen Jane und ihr Drache es nicht, ihre Attacke mit Erfolg zu krönen, denn die Göttin hat sich gut geschützt. Jane stürzt durch eine Art Dimensionstor und wacht in unserer Welt wieder auf. Als junge Frau beginnt sie ein neues Leben. Der erste interessante Mann, den sie entdeckt, erinnert sie stark an ihren verstorbenen Freund, was schon mal ein vielversprechender Anfang ist…

Mein Eindruck

Dieser nun nicht gerade umwerfenden Story von der Rebellion einer Sklavin wird auch nicht geholfen durch eine Erzählstruktur, die Spannung aufbauen könnte. Der Plot von Janes Geschichte ähnelt einer Spirale, denn Ereignisse und Figuren tauchen laufend in neuen Schauplätzen und Konstellationen auf. Die Handlung beschränkt sich somit auf schlaglichtartige, aber beliebig erscheinende Episoden aus Janes (Liebes-) Leben.

Hätte Swanwick seiner Figur frühzeitig einen ernstzunehmenden Gegenspieler entgegengestellt, wäre ein die Handlung tragender Spannungsbogen nicht erst am Schluss – beim Angriff auf die Göttin – entstanden. Aber so bleibt es bei punktuellen Kraftproben, die kaum interessieren, weil sie nicht folgerichtig zu entstehen scheinen. Die Zielrichtung wird nur spät klar: Die Spirale nähert sich dem Kern des Systems, nämlich dem Sitz der Macht der Göttin. Vielleicht sollte man sie aber auch nur ganz schnell hintereinander lesen, so dass der Eindruck eines aus Szenen montierten Films entsteht.

Hommage und Kritik

Der Roman unterminiert laufend Fantasy-Klischees und die bekannten Archetypen: Queste, Held, böse Drachen, Aufstand gegen Gott usw. Der Autor hat zugegeben, seinen Roman als Hommage an JRR Tolkien geschrieben wie auch als Antwort auf jene AutorInnen, die in seinen Augen Tolkiens Sekundärschöpfung ausbeuten und die Phantasie der Leser mit formelhafter, kommerzieller Fantasy malträtieren. Aus den Wildern seiner Kindheit sei quasi eine Vorstadt aus vorgestanzten, aber klapprig errichteten Siedlungen gemacht worden.

Hinweis:

Der Drache Melanchthon hat seinen Namen von dem deutschen Reformationstheologen Philipp Melanchthon ((https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Melanchthon)) erhalten, der in Wittenberg ein Verbündeter von Martin Luther ((https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luther)) war. Dieser Name ist ein weiterer Hinweis des Autors darauf, dass Janes Rebellion nicht nur sozial ist, sondern auch in religiöser Hinsicht relevant.

Unterm Strich

Michael Swanwicks Science-Fantasy-Roman belegte 1994 immerhin den 2. Platz bei den LOCUS-Awards, wurde aber ansonsten 1994 und 1995 völlig links liegen gelassen, wenn es um Auszeichnungen ging. Das dürfte wohl zum Teil daran liegen, dass das Buch weder eindeutig der Fantasy noch der Science Fiction zuzuordnen ist und dass dem Leser erst spät im Laufe der Handlung klar wird, dass die geschilderte Welt nicht der Fantasy angehört, sondern parallel zu unserer existiert, die vorkommenden Wesen aber mit Hilfe von magischen Techniken in unsere Welt wie in einen Traum wechseln können. Diese Uneindeutigkeit verhinderte wohl einen größeren Erfolg.

Zielgruppe?

Man kann den Roman nicht als Jugendbuch für Minderjährige weiterempfehlen, weil der Autor in der Beschreibung der Sexszenen kein Blatt vor den Mund nimmt, doch sehen sich erwachsene Leser, denen man es eventuell empfehlen könnte, andererseits mit einer Handlung und einer Heldin für ein Teenager-Buch konfrontiert. Nicht Fisch, nicht Fleisch, verfehlt „Die Tochter des stählernen Drachen“, der als Hardcover doch auf die Bibliotheken abzielte, die allermeisten Lesergruppen. Dennoch ließ der Autor bis 2019 noch zwei Fortsetzungen folgen: The „Dragons of Babel“ und “ The Iron Dragon’s Mother“.

Hardcover: 540 Seiten
Originaltitel: The iron dragon’s daughter, 1994
Aus dem Englischen von Alfons Winkelmann
ISBN-13: 9783453094796

www.heyne.de

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