Michael Swanwick – Vakuumblumen. Cyberpunk-Roman

Abenteuer in einem seltsamen Sonnensystem

Dies ist die Geschichte von Rebel Elisabeth Mudlark, der geklonten „Tochter“ einer biogenetischen „Zauberkünstlerin“. Sie kommt im Auftrag ihrer „Mutter“ von den Kometenwelten der Oortschen Wolke ins Innere Sonnensystem, wo sich sehr viel verändert hat. „Vakuumblumen“ ist ein farbenprächtiger, tempo- und einfallsreicher Abenteuerroman, der die raumfahrende Menschheit in einem ganz anderen Blickwinkel zeigt als die Hochglanzprospekte der NASA und der Lagrange-Gesellschaft. (Verlagsinfo)


Der Autor

Michael Swanwick ist in Wahrheit einer der intelligentesten Science Fiction-Autoren der Gegenwart. Allerdings ist er schon wieder so intelligent und gebildet, dass seine Bücher zwar die Kritiker regelmäßig in Ekstase versetzen, sich die Verkaufszahlen weiterhin im Keller bewegen. „Bones of the Earth“ ist z.B. Swanwicks Variante von Crichtons „Jurassic Park“ – eine sehr gute obendrein – aber weitaus anstrengender zu begreifen.

Andere Romane von Swanwick: „In Zeiten der Flut„, „Die Tochter des stählernen Drachen“, „Vakuumblumen“ (Cyberpunk) und „Jack Faust“. Er hat drei Storysammlungen veröffentlicht, z.B. „Engel der Schwerkraft„.

Romane

The Iron Dragon’s Daughter

• 1 The Iron Dragon’s Daughter, Millennium 1993, ISBN 1-85798-080-8 (Nominiert für den Clarke, den Locus Award in der Kategorie Fantasy und den World Fantasy Award, 1994)
o Die Tochter des stählernen Drachen, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5377 1996, Übersetzer Alfons Winkelmann, ISBN 3-453-09479-4
• 2 The Dragons of Babel, Tor 2008, ISBN 978-0-7653-1950-0 (nominiert für den Locus Award, 2009)
• 3 The Iron Dragon’s Mother, Tor 2019, ISBN 978-1-250-19825-9

Darger and Surplus

• Dancing With Bears, Night Shade Books 2011, ISBN 978-1-59780-235-2
• Chasing the Phoenix, Tor 2015, ISBN 978-0-7653-8090-6
• The Postutopian Adventures of Darger and Surplus, Subterranean Press 2020, ISBN 978-1-59606-936-7 (Sammlung)

Weitere Romane

• In the drift, Ace Books 1985, ISBN 0-441-35869-1
o Die Todesschneise, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5002 1993, Übersetzerin Irene Holicki, ISBN 3-453-06229-9
• Vacuum Flowers, Arbor House 1987, ISBN 0-87795-870-X
o Vakuumblumen, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #4636 1990, Übersetzer Peter Robert, ISBN 3-453-03898-3
• Griffin’s Egg, Legend / Century 1991, ISBN 0-7126-4578-0
o Eines Greifen Ei, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5094 1993, Übersetzerin Irene Bonhorst, ISBN 3-453-07257-X
• Stations of the Tide, William Morrow SFBC 1991, ISBN 0-688-10451-7 (Gewinner des Nebula Award, 1991, nominiert für den Hugo Award und den Campbell Award 1992, sowie den Clarke Award 1993)
o In Zeiten der Flut, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5890 1997, Übersetzer Norbert Stöbe, ISBN 3-453-12669-6
• Jack Faust, Avon Books 1997, ISBN 0-380-97444-4 (nominiert für den BSFA Award, 1997, sowie den Hugo und Locus, 1998)
• Bones of the Earth, Eos / HarperCollins 2002, ISBN 0-380-97836-9 (nominiert für den Nebula Award, 2002, sowie Hugo, Locus, und Campbell Award, 2003)
• City Under the Stars, Tor.com 2020, ISBN 978-1-250-75658-9 (mit Gardner Dozois)

Handlung

Während die Menschen im Raum, zwischen Mond und der Oortschen Wolke, in zahllosen Gruppen und Gesellschaften ein mehr oder weniger individualistisches Leben führen, ist es auf der Erde zu einer folgenschweren Entwicklung gekommen: Die Milliarden Erdbewohner sind zum „Einschluss“ geronnen, einem zentral gesteuerten Kollektivwesen mit zahllosen Augen, Ohren und Händen, das eifersüchtig über seine Einflusssphäre wacht und nicht selten in selbstmörderischen Aktionen darüber hinausgreift, um an Daten heranzukommen und Einfluss zu nehmen.

Dies ist die Geschichte von Rebel Elisabeth Mudlark, der geklonten und aufgezeichneten Tochter“ einer biogenetischen „Zauberkünstlerin“. Sie kommt im Auftrag ihrer „Mutter“ von den Kometenwelten der Oortschen Wolke ins Innere Sonnensystem.

Körperwechsel

Nach einem Unfall findet sie sich im Körper der verstorbenen Eucrasia Walsh wieder, einer Testperson der Deutsche Nakasone GmbH, die ihre Persönlichkeit aufzeichnen und daraus ein neues Persönlichkeitsprofil für Millionen potentielle Käuferinnen entwickeln will, zu Unterhaltungszwecken. Das allerdings würde Rebels „Tod“ bedeuten.

Rebel entkommt, indem sie den Körper eben dieser Eucrasia Walsh übernimmt. Eucrasia vermietet sich selbst zeitweilig, damit an ihr Tests von Wetware-Programmierung ausgeführt werden können. Während Rebel der Nakasone Corporation entkommt, beginnt sich Eucrasias Persönlichkeit stärker bemerkbar zu machen.

Seltsame Blumen

Auf der Flucht vor den Häschern der Deutsche Nakasone führen Rebels Abenteuer sie quer durch das kolonisierte Sonnensystem. Anfangs lebt sie in den Lebensblasen, die die Sonne auf einem Trojaner-Orbit umkreisen. Hier arbeitet sie manchmal als Unkrautjäterin an den Schleusen, doch es handelt sich um Vakuumblumen: Neuzüchtungen, die außerhalb der schützenden Hülle einer künstlichen Welt blühen und gedeihen können, im luftleeren Raum.

Liebe oder so

Wenn sie die aufgezeichnete Persönlichkeit nutzt, stößt sie auf etliche Lücken. Deshalb muss sie Fremde um Hilfe bitten, wenn sie auch keinem davon vertrauen kann. Rebels lernt Wyeth kennen und lieben, einen Anführer, dessen Persönlichkeit umprogrammiert worden ist, so dass sie ein Team aus vier verschiedenen, sich ergänzenden Personas bilden.

Fronten und Allianzen

Zusammen bilden sie eine labile Allianz mit dem „Einschluss“, einem Schwarmbewusstsein, das die Erde regiert und das seine Aktivitäten bis zu den Marsmonden und den Asteroidensiedlungen ausdehnt. Rebel und Wyeth begegnen sogenannten Dyson-Weltlern, die auf genetisch veränderten künstlichen Kometen leben, den Dyson-Bäumen. Zusehends gerät sie mit Wyeth in die Auseinandersetzung zwischen diesen Raumbewohnern und dem „Einschluss“…

Mein Eindruck

1987 veröffentlicht, ist „Vakuumblumen“ ein früher Vertreter des Cyberpunk-Genres und demonstriert eine der ersten Anwendungen des Konzepts Wetware. Dieses wurde 1988 von Rudy Rucker in seinem gleichnamigen Roman (ISBN 3-453-04995-0) verarbeitet.

In diesem Cyberpunk-Roman verbindet Michael Swanwick, der schon mit William Gibson zusammengearbeitet hat, die Genres Space-Thriller und Erotik. „Vakuumblumen“ ist ein farbenprächtiger, tempo- und einfallsreicher Abenteuerroman, der die raumfahrende Menschheit in einem ganz anderen Blickwinkel zeigt als die Hochglanzprospekte der NASA und der Lagrange-Gesellschaft.

Die Idee einer Künstlichen Schwarm-Intelligenz (KI) wie dem „Einschluss“ war allerdings bereits von Gibson in „Neuromancer“ (1983) verwendet worden. Auch der Plot der Bewegung von außen nach innen im Bereich der bewohnten Menschenwelten war schon 1983 in „Schimatrix“ von Bruce Sterling vorweggenommen worden, einem Roman, der in seinem Former-Mechanisten-Universum spielt. Alle diese Romane tauchen wieder in Norman Spinrads Nachwort auf. Daher lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen.

Das Nachwort von Norman Spinrad

In seinem informativen Nachwort vom Oktober 1987 schildert der SF-Autor Norman Spinrad den Verlauf der kollektiven Schöpfung und Darstellung von künstlichen Welten, wie sie in „Vakuumblumen“ zuhauf auftreten. Von den oben erwähnten künstlichen Mittelstandsutopien der O’Neil- und Lagrange-Gesellschaft, die zwischen Erde und Mond positioniert sind, über die Kuppeln im Asteroidengürtel, wo sich seit Heinlein das neue Grenzland für Pioniere befinden soll, bis hin zu den fragmentierten Koloniewelten, die sich über das gesamte Sonnensystem und sogar jenseits der es umgebenden Oort’schen Wolke – dort, wo die Dyson-Welten schweben und von woher die Kometen stammen.

Den entscheidenden Unterschied macht natürlich der jeweils dort lebende Mensch. Sind es bei O’Neil und seinen Jüngern (Alexis Gilliland, Larry Niven, Jerry Pournelle, evtl. auch John Varley) Protofaschisten aus dem US-amerikanischen Mittelstand, so verwandelt sich mit dem Machtverlust des Mittelstands Anfang der achtziger Jahre die Orbitalwelt in ein Dreckloch. Hier schlagen sich Straßentypen wie Rebel und Wyeth durch. Sie definieren nicht nur ihre eigene Menschlichkeit anders als ihre Vorväter, sondern haben auch ein problem mit Begriffen wie Identität, Persönlichkeit, Einzigartigkeit und Überlebensfähigkeit. Rebel und Wyeth verbünden sich sogar mit dem „Einschluss“, der den äußeren Welten feindlich gesonnen ist.

Denn weder Gibson noch Sterling der beiden Herrschaften hatte, soweit ich informiert bin, die Idee des Personen-Chips benutzt, der austauschbaren Persönlichkeit. In seiner genialen Story „Ginungagap“ (1980, deutsch 1983) hatte Swanwick den kulturellen Hard-Science Fiction-Schauplatz für „Vakuumblumen“ bereits vorgeformt und für eine überzeugende, anrührende Handlung verwendet.

Unterm Strich

Mir hat diese Weiterführung der in „Die schönsten SF-Stories des Jahres“ (1983) abgedruckten „Ginungagap“-Novelle (1980) sehr gefallen, und an keiner Stelle langweilte ich mich. Die Erotik, die vom Marketing vielfach herausgestellt wird (siehe Cover), hat mich alles andere als abgestoßen. Aber die Druckfehler hätten wesentlich weniger sein können.

Das Nachwort ist nicht nur ein Überblick über die SF der künstlichen Welten seit 1941 und davor, sondern auch gespickt mit Heynes Eigenwerbung: Die komplette Cyberpunk-Reihe ist hier in den Fußnoten vertreten. Und deren Herausgeber Michael Nagula („Atomic Avenue“) ist nicht ganz zufällig auch der Übersetzer dieses Nachworts. Immerhin ist auf diese Weise auch für Sachkompetenz gesorgt.

Taschenbuch: 381 Seiten
Originaltitel: Vacuum Flowers, 1987
Aus dem Englischen von Peter Robert
ISBN-13: 9783453038981

www.heyne.de

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