Michael Tobias – Bestiarium

Beinahe ein Dan Brown für Tierschützer

Ein nächtlicher Anruf reißt Tierschützer Jean-Baptiste Simon aus dem Schlaf. Im Hafen von Antwerpen ist ein Tier aus einem Container ausgebrochen, der an die Vereinten Arabischen Emirate adressiert war. Die Dockarbeiter geben alle unterschiedliche Beschreibungen. Nur in zwei Punkten sind sie sich einig: Das Tier war weiß. Und es hatte nur ein Horn, mitten auf der Stirn… (Verlagsinfo)


Der Autor

Dr. Michael Tobias, geboren 1951, ist ein bekannter Ökologe, der an zahlreichen Universitäten über Umweltfragen gelehrt und in über 80 Ländern Feldforschung betrieben hat.

Er ist außerdem Autor von 35 Büchern und hat weit über 100 Dokumentar- und Spielfilme gedreht, geschrieben und/oder produziert. Sein Roman „Voice of the Planet“ wurde 1991 als zehnstündige TBS-Miniserie ausgestrahlt, mit William Shatner als desillusioniertem Ökologen und Faye Dunaway als Gaia, der Verkörperung des Planeten Erde. Sein Roman Fatal Exposure war die Grundlage für den Fernsehfilm Countdown: Der Himmel brennt (1998), basierend auf Tobias‘ Forschungen in der Antarktis.

Michael Tobias wurde 1996 für sein Engagement für Themen wie Überbevölkerung, Umweltzerstörung und Gewaltlosigkeit mit dem „Courage of Conscience Award“ ausgezeichnet, den vor ihm u. a. Muhammad Ali und Mutter Teresa erhielten. Tobias, der aus ethischen Gründen bekennnender Vegetarier ist, ist seit 1999 Vorsitzender und Geschäftsführer der Dancing Star Foundation, die sich für Tierschutz und den Erhalt der Artenvielfalt einsetzt. (Verlagsinfo) Mehr Info: http://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Tobias

Zum deutschen Titel, der, wie ich finde, etwas irreführend ist:

>> Ein Bestiarium (zu lateinisch bestia, „[wildes] Tier“) ist eine mittelalterliche Tierdichtung, die moralisierend tatsächliche oder vermutete Eigenschaften von Tieren, auch Fabelwesen, allegorisch mit der christlichen Heilslehre verbindet. Bestiarien sind oft reich illustriert.

Vorläufer der Bestiarien war der Physiologus aus dem 2. Jahrhundert, der im 12. und 13. Jahrhundert z. B. durch die Bestiarien Philippe de Thaons, Guillaume le Clercs und Gervaise de Fontenays wieder populär wurde.

In Pen-&-Paper-Rollenspielen werden Bücher über die in diesem Spiel auftretenden Kreaturen auch als ‚Bestiarium‘ bezeichnet.<< (Wikipedia.de) Man sieht also, dass noch heute Bestiarien eine, ähem, Rolle spielen.

Der Artikel auf http://bestiary.ca/index.html beeindruckt mit tollen Abbildungen!

Handlung

Jean-Baptiste Simon ist der Stellvertretende Direktor des Interpol Wildlife Secretariat (IWS), das Tierarten in aller Welt schützt – gegen Wilderer, Kidnapper usw. – und Verbrechen aufklärt. Sein Assi Hubert Mans reißt ihn am frühen Morgen aus dem Schlaf, um ihm zu melden, dass es im Hafen von Antwerpen einen mysteriösen Zwischenfall gegeben hat. Es muss ein Tier darin verwickelt gewesen sein, aber mittlerweile ist es verschwunden.

Antwerpen

Zusammen mit Paul Le Bon, einem Polizeiinspektor in Antwerpen, schaut sich Simon den Schiffscontainer an, aus dem das Tier ausgebrochen sein soll. Eins ist sicher: Anhand der Spuren ist abzulesen, dass beim Ausbruch nachgeholfen wurde. Aber was für ein Tier war es überhaupt, das da nach Dubai verschifft werden sollte? Die Beschreibungen der Dockarbeiter gehen weit auseinander, und keiner will für verrückt erklärt werden. Aber es sieht ganz so aus, als sei ein weißes Pferd ausgebrochen. Es hatte ein einzelnes Horn – mitten auf der Stirn. Ein Einhorn in Antwerpen? Unfug! Oder? Was die eingeritzten Buchstaben CSBP bedeuten sollen, ist Simon auch nicht klar.

Noch mysteriöser ist der Mord an einem 80 Jahre alten Museumsgärtner, der Simon wenig später gemeldet wird. Der Gärtner wurde mit einem einen Meter langen Horn durchbohrt – eine Geweihstange, ein Nashorn, der Stoßzahn eines Narwals? Doch das war nicht die Todesursache: Jacob Hythlodae, Angehöriger einer Familie, die seit dem 16. Jahrhundert in Antwerpen lebt, wurde erschossen. Mit Munition, die man für Wildschweine verwendet.

Dass es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden rätselhaften Fällen gibt, belegen die Videos der Überwachungskameras im ausgedehnten Hafengelände. Deutlich ist dort der geradezu antike Studebaker zu sehen, den Jacob Hythlodae sein Eigen nannte – und der jetzt wieder brav in seiner Garage steht. Simon fällt auf, dass sich der Direktor des Museums, Mijnheer Edouard Revere, höchst zurückhaltend verhält, so als ob ihn der Mord an seinem Bediensteten gar nichts anginge. Der Polizist beginnt unauffällig, das prachtvoll ausgestattete Innere des Hythlodae-Hauses zu filmen…

London

Am gleichen Tag erhält der Londoner Immobilienmakler Martin Olivier einen verstörenden Anruf seines Onkels James. Er hat von Onkel James, einem Zoologen, 25 Jahre lang nichts mehr gehört, aber Martin ist ein vielbeschäftigter Mann. Nun wird ihm eröffnet, dass sein Vater, der bekannte Vogelkundler Prof. Edward Olivier, schon vor einem halben Jahr verstorben sei. „Es ist anzunehmen, dass du verfolgt wirst“, raunt Onkel James unheilvoll.

Martin dürfe keine seiner Kredit- und Prepaid-Telefonkarten mehr benutzen, um keine digitale Spur zu hinterlassen. Er müsse allein 500 km nach Burgund fahren, auf das elterliche Anwesen in Du-weißt-schon-wo. Das Rätsel, das Onkel James ihm aufgibt, ist schnell gelöst – von Margaret, der klugen Frau Martins. Doch Martin besteht darauf, sich von Max Hardiman, seinem Fahrer, nach Burgund chauffieren zu lassen. Auf eigenes Risiko, versteht sich.

Onkel James scheint es mit den Sicherheitsmaßnahmen vor Ort etwas zu übertreiben, findet Martin, als er übernächtigt vor Ort ankommt: Die nächste Richtungsanweisung soll Martin durch einen abgerichteten Falken empfangen. Gehts noch? Martin, der Stadtmensch, übersteht auch dieses Abenteuer und gelangt so schließlich zum Chateau – und zu dessen bemerkenswertem Tiergehege, das sich über Meilen und Meilen hinweg erstreckt. Das erste Tier, das auf Tuchfühlung mit ihm gehen will, ist – ein Mammut…

Dijon

Drei Männer treffen sich in Dijon, der einst reichen Hauptstadt des alten Königreichs Burgund, das Ende des 15. Jahrhunderts sein Ende fand: Raoul, Le Bar und Berndt, der Schweizer. Sie haben zusammen schon einige Dinger gedreht, nun winkt Raoul, der für einen arabischen Prinzen in Dubai seltene Tiere beschafft, mit einem dicken Scheck. Eines der bestellten Tiere haben sie bereits aus dem Gehege des Chateaus geraubt. Aber um es züchten zu können, brauchen sie ein zweites. Dieser Coup soll in Kürze steigen.

Nur eine Sache bereitet Raoul ein wenig Bauchschmerzen. Im Gehege treibt sich ein Wildhüter herum, der mit Pfeil und Bogen bewaffnet ist. Er versteht sich also auf das lautlose Anschleichen und Schießen…

Mein Eindruck

Der Autor weiß offensichtlich alles über selten bzw. ausgestorbene Tiere, kennt aber auch die entsprechende Literatur, besonders jene aus dem 15. Jahrhundert, als Burgunds Kultur ihre Blütezeit hatte, bevor sie verging. Zu Burgund gehörten die Niederlande, und insbesondere die Handelsstadt Brügge zählte zu den reichsten Städten Europas. Hier nahm die holländische Renaissance ihren Anfang, mit Rubens, Van Eyck und Rembrandt. Aber was hat das alles mit den angeblich ausgestorbenen Tieren zu tun, die auf dem Grund und Boden des Chateaus geschützt werden?

All die Literaturhinweise und Kunstverweise dienen dazu, eine Art europaweiter Verschwörung zu belegen, die sich über mehrere Jahrhunderte erstreckte. Offenbar legte Meister wie Rousseau und Beethoven Eide der Verschwiegenheit, um ein real existierendes Paradies zu schützen, sie ließen sich aber davon inspirieren. Rousseau entwickelte seine Philosophie der natürlich begründeten Freiheit, um so das Zeitalter der Aufklärung zu eröffnen, und Beethoven wurde zur Neunten Sinfonie inspiriert.

Diese Geistesbewegung wurde nur ermöglicht, weil das „Paradies“, eine Insel seltenster Tier- und Pflanzenarten, von entschlossenen Wächtern beschützt wurde, die ihrerseits von Personen in den höchsten Positionen protegiert wurden. Die Oliviers, zu denen Martin sich zählt, stammen direkt von den Königen Burgunds ab. Welche bessere Legitimation könnte es geben? Nur die Erfüllung der moralischen Pflicht zum Schutz dieses verborgenen „Paradieses“.

So kommt es, dass Martin mit seiner Gattin an seiner Seite in zahlreiche Geheimnisse eingeweiht werden. Außerdem erfährt er, dass das Paradies durch ein arabisches Industrieprojekt in nächster Nähe in Gefahr ist. Das trägt durchaus zu einer gewissen Spannung bei, unterhält aber nur begrenzt.

Hinzu kommt nun der Handlungsstrang um Inspektor Simon, der es mit entschlossenen und schwerbewaffneten Wilderern zu tun bekommt. Während er durch Meldungen verfolgt, wie sich ein echtes Einhorn quer durch halb Europa seinen Weg nach Burgund, ins entlegene Zentralmassiv, bahnt, versucht er herauszufinden, was Martin Olivier im Schilde führt. Handelt es sich um einen Schwerverbrecher, der ein Vermögen beiseite schaffen will? Um den König der Wilderer? Um den Moriarty der Immobilienspekulanten? Geschickt steuert der Autor die Spannung durch immer weitere Rätsel, die sich Simon stellen – bis er endlich Olivier persönlich trifft.

Schwächen

Der Autor behauptet, das „Paradies“ auf dem Boden des Chateaus sei ein Refugium, das es den Tierarten, die am Ende der letzten Eiszeit zu überleben versuchten – Mammuts etwa – erlaubte, ihre Art zu erhalten. Das ist schwerlich eine plausible These, und Zoologen würden nur müde lächeln. Denn mit den Tieren veränderte sich ja auch ihre Nahrungsgrundlage, seien es Pflanzen oder andere Beutetiere. Es gibt sogar Säbelzahntiger in den tiefen Wäldern des Chateaus.

Der Autor kennt natürlich diesen Einwand, lässt aber durchblicken, dass es sich um eine Art Utopia handle – und das ein gewisser Thomas Morus darüber geschrieben habe. Wir haben es also mit einem Gedankenexperiment zu tun, es soll aber als Anregung für reale Reservate dienen.

Schnitzeljagd

Im letzten Viertel begeben sich Martin Olivier und seine ebenso kenntnsireiche wie schlaue Gattin auf eine Schnitzeljagd quer durch Europa, von Paris und Burgund nach Wien und wieder zurück. Sie suchen jenes Buch, auf das eine exklusive Namensliste zu verweisen scheint – immer beschattet vom neugierigen Simon.

Aber da sie den Autor des Buches nicht kennen noch je eine Abbildung davon gesehen haben, krauchen sie an die unwahrscheinlichsten Orte der Donaumetropole – nur um schließlich mit leeren Händen dazustehen. Sie sind nur um eine Erkenntnis reicher: Der wahre Reichtum liegt nicht in diesem ominösen Buch, sondern auf dem Grund des Chateaus – das reale Paradies.

Erkenntnisse

Nur der Leser kratzt sich etwas düpiert am Kopf und fragt sich, was diese fruchtlose Jagd eigentlich für einen Sinn hatte. Reine Zeitverschwendung? Nicht ganz: Immerhin gewinnt er eine Ahnung davon, welche geheimnisse noch in den Archiven, Bibliotheken und verborgenen Gewölben von zugemauerten U-Bahn-Tunneln noch schlummern mögen. Europa ist voll davon, ganz besonders dort, wo die Städte nicht zerbombt oder – wie Leuven im August 1914 – niedergebrannt wurden.

Die Suche ist das Abenteuer, die Entdeckung, nicht das Erhaschen von Beute. Und so ist wohl auch zu verstehen, dass auf der zoologischen Ebene das Gleiche zu beobachten ist: Die Entdeckungen, die in der Tierwelt möglich wären, sollen uns anspornen, eben diese bedrohte Tierwelt zu gut wie möglich zu schützen. Die Existenz des Paradieses ist ohne das Denken an das Paradies und seinen aktiven Schutz nicht möglich. Aber wer glaubt denn überhaupt noch an das Paradies?

Die Übersetzung

S. 103: „die Ottomanen“ – gemeint sind die Türken.

S. 186: „ein Geheimnis, das vor uns schon zig, ja, Hunderte von Milliarden Jahren existierte“. Wahrscheinlich sind Millionen statt Milliarden gemeint, denn selbst das Universum hat erst 14,5 Milliarden Jahre auf dem Buckel.

S. 209: „Chere Père…“ Der Brief J.J. Rousseaus an einen der Oliviers wird im originalen Französisch abgedruckt. Hoffentlich versteht ihn jeder Leser ohne Übersetzung.

S. 256: „der hohe Belfried der Tuchhallen [von Brügge]“: >> Als Belfried (nl. Belfort, frz. Beffroi oder Belefroi) wird ein hoher, schlanker Glockenturm bezeichnet, der besonders für flämische Städte typisch ist. Sie wurden von den weltlichen Stadtbehörden oder den Zünften bzw. Gilden als Symbol der bürgerlichen Macht errichtet, auch gegenüber jener der Kirche. In der Regel ist der Belfried mit dem Rathaus verbunden oder befindet sich freistehend daneben.

Als sicherster Ort einer Stadt beherbergte der Turm in seinem Innern meist das Stadtarchiv, die Schatzkammer und oft auch ein Gefängnis. Darüber hinaus diente er als Wachturm (um Feinde, aber auch Stadtbrände schnell zu entdecken) und zum Ausrufen öffentlicher Angelegenheiten. Diese Aufgaben wurden vom Türmer wahrgenommen. Eine Stadtglocke, ab dem 16. Jahrhundert auch das Carillon, dessen Hauptverbreitungsgebiete ebenfalls in Belgien, Nordfrankreich und den Niederlanden liegen, strukturierte die Zeit und gab das Signal zum Öffnen und Schließen der Stadttore, markierte Anfang und Ende der Arbeitszeit oder läutete zu Festivitäten. (Wikipedia.de) Der Belfried von Brügge hat die enorme Höhe von 83 Metern, während die meisten anderen Türme nur knapp 50 Meter erreichen. Nur die Türme von Gent, Antwerpen, Lille und Mechelen sind etwas höher. Auf die Spitze führen exakt 366 Stufen. (http://de.wikipedia.org/wiki/Belfried)

S. 257: „Wie geht es Ihne?“ – Da fehlt doch was, oder?

Mehrmals wird ein „Iridiumtelefon“ erwähnt: Es besteht nicht etwa aus dem chemischen Element Iridium, sondern ist schlicht ein Satellitentelefon, das den Verbund des Iridium-Netzwerks nutzt.

Unterm Strich

Ich habe diesen flott erzählten Roman in nur wenigen Tagen gelesen. Die Kapitel sind ziemlich kurz (manchmal nur eine Seite), was der ganzen Lektüre Tempo verleiht. Außerdem hat sich der Verlag große Mühe mit diesem Titel gegeben: Das Titelbild weist Holdprägung auf, der Übersetzer Michael Kubiak ist ein ausgewiesener Experte, die Namensliste lässt den Leser den Überblick behalten.

Aufwendige Aufmachung

Und last but not least wird jedes der 55 Kapitel mit einer Grafik eingeleitet, sei es das Foto einer Burg, die Darstellung eines Gemäldes oder – und das ist das häufigste Motiv – ein Auszug aus einem alten Dokument wie etwa einem Buch. So staunte ich über die Tatsache, dass es wirklich ein „Treatise on Paradyse“ gibt, also eine Abhandlung, die sich mit dem (biblischen?) Paradies befasst. Aber auch der Buchrücken von Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“ ist abgebildet, und das nicht von ungefähr: Darin wimmelt es von ausgestorbenen bzw. ausgestorben GEGLAUBTEN Kreaturen wie dem Dodo…

Grenzliteratur

Anfangs dachte, einen gewöhnlichen Whodunit-Krimi vor mir zu haben: Wer hat das Einhorn geklaut, dürfte sich Inspektor Simon fragen. Doch das Einhorn spielt im späteren Verlauf nicht die geringste Rolle, außer mal als Statist, der durch die belgische und französische Pampa rast – in den Meldungen, die Simon erhält (Kap. 51). Martin Olivier ist der Protagonist, erst behutsam aufgeklärt von Onkel James, später verstärkt durch Gattin Margaret, die Kunsthistorikerin.

Ihre Gegenspieler sind nur indirekt ein Trupp Wilderer, denn diesen treten bereits die Wächter des „Refugiums“ entgegen: bewaffnete Schützen wie etwa ein Ökologe oder Martins Fahrer, der sich urplötzlich als Ex-Spezialtruppen-Kämpfer entpuppt – aber auch Säbelzahntiger der Marke „Smilodon“, die ihr Territorium mit (sehr langen) Zähnen und Klauen verteidigen. Auch diese spannenden Szenen zeigt der Autor nur indirekt, was jeder Actionfan bedauern dürfte.

Dan Brown und Umberto Eco

Statt dessen beschreitet der Autor die ausgetretenen Pfade, die bereits Umberto Eco in „Der Name der Rose“, ein gebildeter Klosterkrimi, und Dan Brown gebahnt haben – nicht ohne Erfolg, wie man beachten sollte. Aber warum ist dann „Bestiarium“ nicht ebenfalls so erfolgreich geworden, wenn es doch die gleiche Formel anwendet, fragt sich der etwas verwirrte Leser, der dachte, er bekommt a) einen Krimi oder b) einen Fantasyroman.

Dabei ist „Chateau Beyond Time“ lediglich die eingedampfte Schwundstufe eines potentiell großartigen Kultur-Thrillers à la Dan Brown, der nur das Problem hat, dass alles zwei Nummern kleiner und in einem genretechnischen Grenzgebiet erzählt wird. Wäre der Roman doppelt so lang (was natürlich doppelt so viel Geld und Zeit erfordert hätte), wäre er womöglich auf den Bestsellerlisten gelandet. Nun wurde er dankenswerterweise von Bastei-Lübbe im Hauptprogramm veröffentlicht, um nicht völlig unterzugehen.

Gute Grundidee

Denn die Botschaft und die Grundidee des Romans sind weiterhin wichtig und interessant. Wir brauchen Refugien für aussterbende Tierarten. Denn nicht nur die Welt wird sonst ärmer, sondern vor allem auch der Mensch. Philosophien wie die von Rousseau, Sinfonien wie die Neunte von Beethoven und womöglich auch „Alice im Wunderland“ würden – so die Botschaft – ohne das Refugium des Chateaus gar nicht existieren.

Deshalb wurde dieser Roman geschrieben: Um zu zeigen, dass wir diesem Refugium und allen anderen zoologischen Entdeckungen nicht nur genetisches Erbe verdanken, sondern auch einen ganzen geistigen Kosmos. Der Mensch es geschafft, sich selbst aus dem Paradies zu vertreiben – nun muss er es vor sich selbst bewahren, um nicht zu verkümmern – so die Botschaft.

Schwächen

Über die Plausibilität des Entwurfs des Refugiums als irdisches Utopia und Paradies habe ich mich oben bereits geäußert. Und die fruchtlose Schnitzeljagd am Schluss war einigermaßen unnötig und frustrierend für mich als Leser. Dass die Wilderer im Abseits ausgeschaltet werden und das spannend eingeführte Rätsel des Einhorns erst im Kap. 51 kurz vor Schluss erklärt wird, war dann schon nicht mehr so lustig.

Der optimale Leser für dieses Buch ist ein Bücherwurm, der Geschichte – insbesondere Literatur- und Kulturgeschichte – über alles liebt und beim Geruch von Bücherleim aus dem 18. Jahrhundert in Verzückung gerät. Weniger optimale Leser sind natürlich Tierschützer und die Freunde von Fabelwesen in jeder Form und Größe. Wer einen Thriller erwartet, sollte woanders suchen.

Taschenbuch: 334 Seiten
Info: Chateau Beyond Time, 2008
Aus dem Englischen von Michael Kubiak
ISBN-13: 978-3404165308

www.luebbe.de

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