Michael Tsokos – Zerschunden

Die Handlung:

Ein Serienkiller, der europaweit in der Nähe von Flughäfen zuschlägt. Er ist schnell, er ist unberechenbar, und er ist nicht zu fassen. Seine Opfer: alleinstehende Frauen, auf deren Körper er seine ganz persönliche Signatur hinterlässt. Ein Fall für Rechtsmediziner Fred Abel vom Bundeskriminalamt, der plötzlich tiefer in den Fall involviert ist, als er möchte. Denn der Hauptverdächtige ist ein alter Freund, dessen kleine Tochter im Sterben liegt.( Verlagsinfo)

Autor und Einruck:

Absolut schaurig und passend kommt schon das Cover des ersten Thrillers von Michael Tsokos daher: Ein gräulich-düsterer Umschlag mit fühlbar eingearbeiteter Naht an der Vorderseite lässt gleich an eine Obduktion denken. Dazu der Hinweis, dass es sich um einen „True-Crime-Thriller“ handelt. Eine Anspielung darauf, dass der Autor weiß, wovon er spricht bzw. schreibt. Michael Tsokos ist seit 2007 Leiter des Institutes für Rechtsmedizin der Berliner Charité und des Landesinstitutes für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin. Als Autor von Sachbüchern über die Fallarbeit in der Rechtsmedizin machte er sich einen Namen und schaffte es auf die Bestsellerlisten. Nach dem gemeinsamen Romanprojekt „Abgeschnitten“ mit Sebastian Fitzek ist „Zerschunden“ nun sein erster eigener Roman, den Tsokos mit Unterstützung des Literaturwissenschaftlers Andreas Gößling verfasst hat.

Der Thriller ist in beinahe hundert, nicht allzu lange Kapitel gegliedert, die jeweils mit dem genauen Ort, Datum und der Uhrzeit der Geschehnisse überschrieben sind. Die eigentliche Handlung erstreckt sich lediglich über etwa zehn Tage, doch die einzelnen Kapitel folgen teilweise im Abstand weniger Minuten aufeinander – was an sich schon einen gewissen Temporeichtum mit sich bringt. Der Protagonist Dr. Fred Abel, Rechtsmediziner beim BKA , wird zu einem Mordfall hinzugerufen. Eine ältere Dame wurde offenbar verfolgt und anschließend in ihrer Wohnung erwürgt. Ein Sexualdelikt kann ausgeschlossen werden, aber handelt es sich hier um einen gewöhnlichen Raubmord? Details am Tatort lassen die Ermittler zweifeln und Abel hinzuziehen. Die Fremd – DNA unter den Fingernägeln des Opfers reicht zwar nicht für ein komplettes DNA – Muster aus. Die Y-chromosomalen, also mannspezifischen Merkmale können aber immerhin Angehörige einer männlichen Linie eingrenzen und führen die Ermittler zu einem Tatverdächtigen.

Seine Größe, Statur, Hautfarbe, Alter und auch noch das fehlende Alibi in Kombination mit der Übereinstimmung des DNA – Haplotypen machen die Angelegenheit für Lars Moewig brenzlig. Er ist ein früherer Bundeswehrkamerad von Abel und hat ausgerechnet jetzt ganz andere Sorgen. Seine Tochter Lilly ist an Leukämie erkrankt und wird nur noch wenige Tage zu leben haben, als Moewig nach einem zweiten Mord an einer Seniorin festgenommen wird. Wieder hat er kein Alibi und war sogar nachweislich ganz in Tatortnähe. Abel befasst sich zunehmend mit den Ermittlungen und kommt dabei ins Grübeln. Wie gut kennt er seinen früheren Bundeswehrkameraden eigentlich noch? Dessen Lebenslauf scheint eine Menge Fragen aufzuwerfen und auch Abel wird das Gefühl nicht los, dass Lars nicht nur ein liebender Familienvater ist. Schon früh im Thriller gibt es immer wieder einzelne Kapitel, die offenbar eine weitere Person bei ihren zwanghaften Greueltaten begleitet. Diese liegen einige Jahre zurück und lassen den Leser zunächst noch im Unklaren. Als die Morde an alleinstehenden Seniorinnen weitergehen, wird Abel vor besondere Herausforderungen gestellt. Denn nach einem Mord in Berlin und einem in London scheint der Killer sich in ganz Europa zu bewegen, ohne natürlich sein nächstes Ziel preiszugeben. Zum Glück gibt es ein europaweites Netzwerk von Rechtsmedizinern und Abel kennt einige von ihnen bereits von gemeinsamen Kongressen sehr gut. Als schließlich alle Fäden in Frankreich zusammenlaufen, kommen ihm seine guten Sprachkenntnisse zugute und er steht auch hier Seite an Seite mit den Ermittlern vor Ort. Wie realistisch das tatsächlich sein mag, sei mal dahin gestellt. Die europäische Zusammenarbeit auf polizeilicher Ebene wird jedenfalls als nicht optimal dargestellt und trifft es sicher auch. Nicht immer finden Datenbankabgleiche zeitnah genug statt und letztlich gibt es in den Justizbehörden auch länderspezifische Regelungen, die die Zusammenarbeit zusätzlich erschweren. Ob es Abel dennoch gelingen kann, diesen scheinbar unberechenbaren Mörder zu fassen und gleichzeitig die Unschuld seines alten Freundes Moewig zu beweisen, ist rätselhaft und macht „Zerschunden“ zu einer sehr, sehr spannenden Lektüre.

Mein Fazit:

Eine geniale Kombination: Hier haben wir es nicht nur mit der geballten Kompetenz eines eingefleischten Rechtsmediziners zu tun, sondern dank der Unterstützung des Co – Autoren Dr. Andreas Gößling offenbar auch zusätzlich mit jemandem, der es wahrlich versteht, den Leser auf eine spannende und atemlose Reise mitzunehmen. Die kurzen Kapitel, die zum Teil in der Vergangenheit spielen und zunächst nur erahnen lassen, wer dahinter steckt, fügen sich nach und nach ohne Verwirrung in das Gesamtbild der aktuellen Geschehnisse – mosaikartig und fast so, wie es den Ermittlern beim Lösen eines Falles gehen muss.

„Zerschunden“ ist ein rasanter und ausgeklügelter Gänsehautthriller mit einer sympathischen Hauptfigur. Fred Abels Privatleben kommt recht kurz, aber nicht zu kurz – für meinen Geschmack ist hier genau die richtige Dosierung getroffen! Sowohl rechtsmedizinische Hintergründe als auch Details aus dem Polizeialltag sind hervorragend in den Plot eingebaut, ohne etwa belehrend zu wirken. Im Gegenteil: in seiner Danksagung geht Tsokos noch auf die wahren Fälle ein, die für die Entstehung dieses True-Crime-Thrillers quasi Modell gestanden haben. Auch bekommen wir eine Idee dazu, ob und wie es mit dem Rechtsmediziner Abel weitergehen wird – ich bin gespannt darauf.

Wer noch eine Geschenkidee zu Weihnachten sucht: „Zerschunden“ von Michael Tsokos ist genau das Richtige für den anspruchsvollen Krimileser und Hobbyermittler mit Interesse an rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Abläufen.

Broschiert: 432 Seiten
ISBN-13: 978-3426517895

www.droemer-knaur.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)