Montgomery, L. M. / Gruppe, Marc / Bosenius, Stephan – Anne in Avonlea. Folge 5: Die neue Lehrerin

_Die falsche Kuh & der erste Schultag_

Kanada Ende des 19. Jahrhunderts. (Fortsetzung von „Anne auf Green Gables“.) Anne genießt ihre letzten Ferientage auf Green Gables. Mit Beginn des neuen Schuljahres wird sie die Lehrerstelle an der Dorfschule von Avonlea übernehmen. Für den kleinen Ort haben Anne und ihre Freunde ehrgeizige Pläne. Flugs wird ein Dorf-Verschönerungs-Verein gegründet. Überschattet werden die Spendensammel-Aktionen durch Probleme mit der Kuh Dolly und einem sehr wütenden neuen Nachbarn …

Pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum gibt es die Abenteuer des sympathischen Waisenmädchens Anne Shirley als Hörspiel-Serie, geeignet für die ganze Familie, gesprochen von den deutschen Stimmen vieler Hollywood-Stars.

_Die Autorin_

Lucy Maud Montgomery (1874-1942) war eine kanadische Schriftstellerin, die besonders durch ihre Jugendbücher um Anne Shirley bekannt wurde: „Anne of Green Gables“ und sechs Fortsetzungen.

Das Manuskript wurde zunächst von mehreren Verlagen abgelehnt, bevor es Montgomery gelang, es zu platzieren. 1908 war sie bereits 34 Jahre alt. Das Buch wurde zu einem Theaterstück verarbeitet, mehrmals verfilmt und in mehr als 40 Sprachen übersetzt.

Die erste Staffel: Anne auf Green Gables

Folge 1: [Die Ankunft 4827
Folge 2: [Verwandte Seelen 4852
Folge 3: [Jede Menge Missgeschicke 4911
Folge 4: Ein Abschied und ein Anfang

Die 2. Staffel: Anne auf Avonlea

Folge 5: Die neue Lehrerin
Folge 6: Ein rabenschwarzer Tag und seine Folgen
Folge 7: Eine weitere verwandte Seele
Folge 8: Das letzte Jahr als Dorfschullehrerin

Die 3. Staffel: Anne in Kingsport

Folge 9: Auf dem Redmond College
Folge 10: Erste Erfolge als Schriftstellerin
Folge 11: Die jungen Damen aus Pattys Haus
Folge 12: Viele glückliche Paare

_Die Inszenierung_

|Die Rollen und ihre Sprecher:|

Erzähler: Lutz Mackensy (Rowan Atkinson, Christopher Lloyd, Al Pacino)
Anne Shirley: Marie Bierstedt (Kirsten Dunst, Kate Beckinsale)
Marilla Cuthbert: Dagmar von Kurmin (Bühnenschauspielerin, Hörspiel-Regisseurin für |Europa|, Stammsprecherin für |Titania Medien|)
Rachel Lynde: Regina Lemnitz (Whoopi Goldberg, Kathy Bates, Diane Keaton)
Diana Barry: Uschi Hugo (Neve Campbell)
Gilbert Blythe: Simon Jäger (Josh Hartnett)
Jane Andrews: Cathlen Gawlich (Jaime King, Amy ‚Fred‘ Acker)
James A. Harrison: Heinz Ostermann (Kammerschauspieler)
Anthony Pye: Maximilian Artajo (‚Aang‘ in „Avatar“)
Premierminister: Marco Kröger (Liev ‚Sabretooth‘ Schreiber)
Und viele weitere.

Regie führten Stephan Bosenius und Marc Gruppe, der auch das „Drehbuch“ schrieb. Die Aufnahme leiteten Martin Wittstock und Kazuya. Die Illustration stammt von Firuz Askin.

_Handlung_

Anne Shirley hat sich als Dorfschullehrerin qualifiziert und soll ihre Stelle bald in Avonlea antreten, also ganz in ihrer Nähe. Sie träumt davon, einstmals den künftigen Premierminister Kanadas zu unterrichten. Doch ihr Freund Glibert Blythe lacht nur darüber. Was für eine Träumerin sie ist. Sie sollte lieber ihren Vergil übersetzen.

Die Bewohner von Seven Gables, Anne und ihre Pflegemutter Marilla Cuthbert, haben einen neuen Nachbarn. Mr. James A. Harrison stammt aus New Brunswick, das an die USA grenzt. Anscheinend ist er unverheiratet und, wie Gerüchte besagen, geizig. Immer wenn Annes Kuh Dolly sein Haferfeld zertrampelt, kommt er zeternd angerannt und gibt Anne die Schuld. Doch diesmal gibt sie ihm ordentlich Kontra: Er sollte stattdessen seine Zäune reparieren, wie sich das für eine Farm gehört. Als er sie wegen ihrer roten Haare als „Karotte“ beleidigt, wirft sie ihm „Glatzkopf“ an den Kopf. Empört zieht er von dannen. Na, das ist ja ein toller Anfang. Dolly wird fortan im Stall angebunden.

Auch Rachel Lynd, die Nachbarin und Gerüchteküche auf zwei Beinen, weiß nichts Gutes von Mr. Harrison zu berichten: Er habe ihre Bitte um eine Spende für den Dorfverschönerung brüsk zurückgewiesen. Rachel berichtet zudem von Neuzugängen unter den Kindern, die Anne zu unterrichten haben werde. Darunter sei ein ganz schlimmer Junge namens Anthony Pye. Paul Irving sei aber ein ganz liebes Kind. Anne hat jetzt schon mächtig Bammel vor ihrer Feuertaufe als frischgebackene Lehrerin.

Doch zuvor gibt es wieder Ärger mit Dolly, der Kuh, die offenbar schon wieder im Haferfeld Mr. Harrisons steht. Als Anne und Diana versuchen, die Kuh einzufangen, landen beide mit ihren schönen Kleidern im Matsch. Just in diesem Moment kommt Mr. Shearer des Weges und bietet erneut an, die Kuh zu kaufen. Anne willigt für 20 Dollar ein, und Mr. Shearer kann das renitente Vieh gleich mitnehmen.

Doch wie konnte sich Dolly überhaupt aus dem Stall befreien, wundert sie sich. Als sie nachschaut, steht Dolly friedlich kauend immer noch im Stall. Au weia, erkennt Anne siedendheiß, sie hat die Kuh von Mr. Harrison verkauft! Marilla redet dem Nervenbündel gut zu: Es hilft nichts, aber sie muss bei Mr. Harrison Abbitte und Wiedergutmachung leisten. Anne kommt sich vor wie beim Gang aufs Schafott. Dieser schreckliche Mensch wird ihr bestimmt den Kopf abreißen und sie anschließend vierteilen!

Doch es kommt alles ganz anders.

_Mein Eindruck_

Auch in ihrer fünften Folge wird Anne Shirley von Missgeschicken verschont, und ein Abenteuer jagt das nächste. Wenigstens sind diese Abenteuer, im Gegensatz zu denen der Männer, ungefährlich. Sie könnte höchstens gevierteilt werden. Aber auch dazu kommt es nicht, denn das Schicksal (und die Autorin) meinen es gut mit dem Rotschopf. Mr. Harrison ist ein ganz Lieber und will eigentlich bloß spielen. Hier beginnt allerdings ein Spannungsbogen, der erst in Folge 8 seinen Abschluss findet. Er beruht auf der Frage: Wieso um Himmelswillen lebt Mr. Harrison alleine und ist so ein Griesgram?

Diese Folge sieht noch den Beginn von Annes Unterricht in der Dorfschule sowie ihre Bekanntschaft mit Paul Irving, dem sie in Folge 8 ebenfalls zu neuem Glück verhelfen wird. Sie liebt es eben, Menschen glücklich zu machen, ganz besonders Menschen, die sie als „verwandte Seelen“ erkannt hat.

Doch was zeichnet eine „verwandte Seele“ aus? Offenbar handelt es sich um Menschen, die mit ihrer Phantasie über den Tellerrand der unmittelbaren, prosaischen Wirklichkeit hinaussehen können. Sie erträumen sich eine parallele Realität, die entweder irgendwie besser ist, oder es sind Menschen, die an einem Mangel leiden, wie ihn auch Anne täglich erlebt: Sie sind Waisen, Halbwaisen, oder wie im Fall von Lavender Lewis Menschen ohne jemanden, der sie von Herzen liebt. Alle solche Menschen haben ihre Bestimmung noch nicht erreicht, jene Bestimmung, die im Kennenlernen ihres (von Gott und dem Schicksal) vorbestimmten Geliebten besteht.

Das ist eine recht romantische Vorstellung, steht aber voll im Einklang mit christlichen Grundströmungen ihrer Zeit. Hier ist nichts von |Fin de siècle|-Langeweile zu spüren, ganz im Gegenteil: Die Sache nach „verwandten Seelen“ ist eine Lebensaufgabe und wird immer wieder aufs Neue belohnt. Es ist so, als würde man in eine Menschenmenge hineinsehen und eine „verwandte Seele“ finden, weil man erwartet, sie zu finden. Es hat etwas von einer selbsterfüllen Prophezeiung an sich.

Weil die Suche aber ein quasi-göttlicher Auftrag ist und das Glücklichmachen dieser Seelen zur Aufgabe gehört, bemüht sich Anne ständig, andere Menschen, insbesondere verwandte Seelen, zu ihrem ihnen zustehenden Glück zu verhelfen. Wenn sie dabei, wie in Folge 6, frustriert wird, ist sie natürlich umso unglücklicher.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Die Hauptrolle der Anne Shirley wird von Marie Bierstedt, der deutschen Stimme von Kirsten Dunst und vielen anderen jungen Schauspielerinnen, mit Enthusiasmus und Einfühlungsvermögen gesprochen. Obwohl Bierstedt wesentlich älter ist als die siebzehnjährige Heldin, klingt ihre Stimme doch ziemlich jugendlich. Manchmal darf sie aber auch ein wenig langsamer und überlegter sprechen, besonders mit „verwandten Seelen“.

Sehr gut gefiel mir auch Heinz Ostermann, der Sprecher des Mr. Hamilton. Er legt ihm ein ganzes Spektrum von Grantigkeit, Freundlichkeit und schließlich sogar Zärtlichkeit in den Mund, dass man fast einen gerundeten Charakter vor sich hat. Witzig fand ich den krächzenden Papagei, der immer „Karotte!“ ruft, um Anne zu triezen.

Unter den weiteren weiblichen Sprecherinnen ragen die der Marilla Cuthbert (Dagmar von Kurmin) und der Rachel Lynde (Regina Lemnitz) heraus. Dagmar von Kurmin muss wie Heinz Ostermann sowohl Strenge als auch Freundlichkeit verkörpern. Regina Lemnitz ist die Inkarnation der Plaudertasche und der wandelnden Gerüchteküche. Außerdem scheint ihre Rachel Lynde Vorsitzende des Dorfverschönerungsvereins zu sein und hat entsprechend viele Sorgen um die Ohren. Und sie ist natürlich die beste Freundin von Marilla Cuthbert, die die Witwe in Folge 8 in ihr Haus aufnimmt.

|Geräusche|

Die Geräusche im Hintergrund sorgen für die Illusion einer zeitgenössischen Kulisse für das Jahr 1879, doch sind sie so sparsam und gezielt eingesetzt, dass sie einerseits den Dialog nicht beeinträchtigen, andererseits den Hörer nicht durch ein Übermaß verwirren. Deshalb erklingen Geräusche in der Regel stets nacheinander.

Auffällig häufig ist jedoch die Kombination aus Brandung und Vogelgezwitscher zu hören. Das ist eine Besonderheit der meerumtosten Inselumgebung. Selbstredend erklingen zahlreiche Vogelstimmen, wenn Anne mit ihren Freunden durch den Wald spaziert. Um die Epoche zu verdeutlichen, ist natürlich kein einziges Auto zu hören, sondern nur diverse Kutschen und Karren.

|Musik|

Die Musik ist ebenfalls ziemlich romantisch, voller Streichinstrumente, Harfen und Pianos. Das Klavier wird meist für melancholische Passagen eingesetzt, und diese sind ebenso wichtig wie die heiteren. Der kontrastreiche Wechsel zwischen Heiterkeit, Drama und Melancholie sorgt für die emotionale Faszination beim Zuhörer. Die Musik steuert die Emotionen und untermalt die wichtigsten Szenen, kommt aber nicht ständig im Hintergrund vor. Ebenso wie mit den Geräuschen darf man es nicht übertreiben.

Als Intro erklingt die Erkennungsmelodie der Serie: In einem flotten Upbeat-Tempo lassen Streicher, Holzbläser und ein Glockenspiel Romantik, Heiterkeit und Humor anklingen. Alle diese Elemente sind wichtige Faktoren für den Erfolg des Buches gewesen. Warum sollten sie also ausgerechnet im Hörspiel fehlen?

_Unterm Strich_

Besonderen Wert hat die Dramaturgie diesmal auf die Komik gelegt. Die Kuh des neuen Nachbarn zu verkaufen, ist ja schon ein „Meisterstück“. Der Gang nach Canossa bzw. Mr. Hamiltons Farm ist die logische Folge dieser Untat, doch es stellt sich alles als halb so schlimm heraus, denn Anne wird wirklich nicht gevierteilt – sonst müssten wir ja auf ihre weiteren Abenteuer verzichten. Denn es bahnen sich etliche Veränderungen in Annes Leben auf Green Gables an.

Besonderes Vergnügen hat mir die akustische Umsetzung des Buches bereitet. Hörbaren Spaß haben die Sprecher an ihren Rollen, und insbesondere die Hauptfigur ist von Marie Bierstedt ausgezeichnet gestaltet. Sie schluchzt, lacht, schmollt, flüstert und quasselt, dass man sich wundern muss, woher diese Vielseitigkeit stammt. In den „Spider-Man“-Filmen ist Kirsten Dunst nie so vielseitig. Bierstedts Anne muss sich nicht nur durch Höhen und Tiefen des Herzens lavieren, sondern auch noch weiterentwickeln.

|Basierend auf: Anne of Avonlea, 1909
ISBN-13: 978-3-7857-3633-3|

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