Nancy Kress – Moskito. Zukunftsroman

SF-Thriller: Moskitos als rassistische Biowaffe

In der Region um Washington, D.C., bricht eine Seuche unter der schwarzen Bevölkerung aus. Der Erreger dieser schrecklichen Malaria, die zum Gehirnschlag führt, ist jedoch genmanipuliert. Handelt es sich also um eine Biowaffe? Doch wer hat sie entwickelt? Die Regierung, das Militär, Terroristen, Saddam Hussein, Nordkorea?

Obwohl der Roman bereits 1998 erschien, wirkt er heute geradezu prophetisch. Er beruht auf einem realen Experiment der US-Regierung und er ist außerdem spannend zu lesen. Ich habe ihn in drei Tagen verschlungen..

Die Autorin

Die 1948 geborene Amerikanerin Nancy Kress gehört bereits zur ersten Garde der wichtigen Science Fiction Autoren. Nachdem sie zunächst (ab 1981) mit drei ungewöhnlich konstruierten Fantasyromanen debütiert hatte, errang sie 1988 mit dem Science Fiction-Roman „Fremdes Licht“ erste Auszeichnungen. Darin erforschen Aliens die Aggressivität der menschlichen Spezies anhand der Auseinandersetzungen zwischen zwei Menschengruppen in einer Versuchsanordnung.

In „Schädelrose“ erforschte sie die Konsequenzen einer AIDS-ähnlichen Krankheit, die Erinnerungen dezimiert. Ein neuartiges Experiment soll Abhilfe schaffen, allerdings um einen hohen Preis. Ihr bestes Werk bislang ist jedoch die Trilogie „Bettler in Spanien“, „Bettler und Sucher“ und Bettlers Ritt“. Darin treten genetisch veränderte junge Menschen, die fortan keinen Schlaf benötigen, gegen den Rest der Menschheit an. Die Autorin erörtert die ethische Verpflichtung, die solch eine genetisch bedingte Überlegenheit mit sich bringt, eingebettet in eine spannende Handlung.

Die Romane „In grellem Licht„, „Verico Target“ und dessen Fortsetzung „Moskito“ stellen ebenfalls das gesellschaftskritische Engagement der Autorin unter Beweis. Obwohl diese Romane als kriminalistische Thriller aufgebaut sind, hebt Kress damit doch erfolgreich warnend die Hand und sagt uns: „Geht hier besser nicht entlang.“ In dieser Haltung, diesem Anliegen trifft sie sich mit einem der besten britischen Science Fiction Autoren, John Brunner. Dessen Öko-Horrorvision „Schafe blicken auf“ vermag auch heute noch, 30 Jahre nach der Veröffentlichung, heftig zu berühren.

Werke

Bettler-Trilogie

(Beggars in Spain. 1991)
Bettler in Spanien. 1997 ISBN 3-453-12655-6 (Beggars in Spain. 1993), erweiterte Romanfassung
Bettler und Sucher. 1997 ISBN 3-453-12656-4 (Beggars and Choosers. 1994)
Bettlers Ritt. 1999 ISBN 3-453-14005-2 (Beggars Ride. 1997)

Probability-Trilogie

Sternspringer 2005 ISBN 3-86552-008-1 (Probability Moon. 2000)
(Probability Sun. 2001)
(Probability Space. 2002)

Kreuzfeuer

Kontakt. 2005 ISBN 3-404-24345-5 (Crossfire. 2003)
Feuerprobe. 2006 ISBN 3-404-24353-6 (Crucible. 2004)

„Yesterday’s Kin“-Trilogie
Tomorrow’s Kin, Tor, 2017
If Tomorrow Comes, Tor, 2018

außerdem:

1981: Prince of the Morning Bells (dt. Der Weg zum Herz der Welt, 1982 ISBN 3-442-23815-3)
1984: The Golden Grove (dt. Der goldene Hain, 1985 ISBN 3-442-23872-2)
1985: The White Pipes (dt. Schalmeienklänge, 1985 ISBN 3-442-23864-1)
1985: The Price of Oranges
1987: An Alien Light (dt. Fremdes Licht, 1995 ISBN 3-453-08576-0)
1989: Brainrose (dt. Schädelrose, 1994 ISBN 3-453-07771-7)
1993: The Aliens of Earth (Kurzgeschichtensammlung)
1996: Oaths and Miracles (dt. Verico Target, 1998 ISBN 3-453-13326-9)
1998: Maximum Light (dt. In grellem Licht, 2000 ISBN 3-453-16187-4)
1998: Stinger (dt. Mosquito, 2001 ISBN 3-453-19658-9)
1998: Beakers Dozen (Kurzgeschichtensammlung)
1998: Dynamic Characters
1999: Yanked
2003: Nothing Human
2008: Dogs (dt. Hundewahn, 2012 ISBN 978-3-936922-20-2)
2008: Nano Comes to Clifford Falls and Other Stories (Kurzgeschichtensammlung)
2009: Steal Across the Sky
2020: Sea Change

(Quelle: Wikipedia)

Handlung

Eines Tages bekommt Robert Cavanaugh, ein uns bereits aus „Verico Target“ (s.o.) bekannter Special Agent des FBI, einen besorgten Anruf einer Krankenschwester: Ob er sich wohl mal darum kümmern könnte, warum in letzter Zeit so viele Schwarze mit Gehirnschlag eingeliefert würden? Ob das nicht etwas zu besagen habe? Da Cavanaugh in seinem neuen Büro in Maryland Süd, wo sehr viele Schwarze leben, sowieso nichts Wichtigeres zu tun hat, kümmert er sich darum – und sticht in ein Wespennest.

Schon nach wenigen Tagen sind bereits mehrere Dutzend Menschen an völlig überraschend aufgetretenem Gehirnschlag gestorben oder liegen mit schwerer Hirnschädigung im Koma. Es handelt sich ausnahmslos um Farbige oder Inder aus einer bestimmten Gegend. Doch erst als ein farbiger Präsidentschaftskandidat, der Senator von Pennsylvania, an einem Gehirnschlag stirbt, kümmert sich auch die Medizin intensiv um die Aufklärung der Ursache des Phänomens. Im eilends einberufenen Krisenstab sitzt auch Robert Cavanaugh.

Die Fakten

Die Fakten sind folgende: Nach 50 Jahren ist wieder einmal die Malaria in den USA ausgebrochen. Als wäre diese Nachricht nicht schreckenerregend genug, findet die Seuchenspezialisten heraus, dass der Malariaerreger genmanipuliert ist: Er greift ausschließlich Träger der sogenannten Sichelzellenanlage an, die ihren Träger eigentlich vor Malaria schützen soll. Der Erreger zerstört solche roten Blutkörperchen, die eine Sichelform aufweisen und das entsprechende Gen haben, von innen heraus und verursacht gezielt im Gehirn eine Blutung: Der Tod schlägt aus heiterem Himmel zu, so etwa mitten auf der Autobahn.

Dass eine derart raffinierte Tötungsmethode auf eine natürliche Mutation zurückzuführen sein soll, geht auch der Seuchenspezialistin Melanie Anderson vom Seuchenzentrum in Atlanta nicht in den Kopf. Die farbige Wissenschaftler sieht nicht nur sich selbst, sondern ihre Brüder und Schwestern (sie war mal bei den Black Panthers) bedroht. Für sie ist der Ausbruch der Epidemie, die von der Anopheles-Mücke übertragen wird, ein Biowaffenkrieg, der von der Regierung gesteuert wird. Mögliches Ziel: der Völkermord an einem Teil der schwarzen Bevölkerung, eventuell auch in Afrika.

Was tun?

Leider hat sie dafür keinerlei Beweise. Robert Cavanaugh greift jedoch den Hinweis auf. Dummerweise bekommen die Medien Wind von der Geschichte, und schon bald überschlagen sich die Ereignisse: Die Politik des FBI verlangt, dass die kompetentesten Leute, wie etwa Cavanaugh, die unnützesten Jobs erledigen müssen, aber die unnützesten Leute an die große Glocke gehängt werden. Die FBI-Führung demonstriert ihre Besorgnis, hat aber selbst nach Wochen nur einen einzigen unschuldigen Verdächtigen vorzuweisen. Die Aussagen gegen den Wissenschaftler Donohue sind fingiert. Brisantes Detail: Er ist selbst zu einem Teil ein Schwarzer – warum sollte er seine Brüder umbringen wollen?! Cavanaugh darf inzwischen sämtliche rassistischen Radikalengruppen Marylands abgrasen.

Die Spur

Nach wenigen Wochen sind bereits über hundert Menschen gestorben, und eine neue Malaria-Ausbreitungswelle steht bevor. Da kommt Robert Cavanaugh ein aufgeweckter (schwarzer) Schuljunge zu Hilfe, der ein ernsthaftes Faible für die kleinen Plagegeister hat: Moskitos sind Earl Lesters Steckenpferd. Die Spur führt zu einem nahegelegenen Militärstützpunkt – und zur CIA, die dort ein Geheimlabor unterhält…

Mein Eindruck

Wie immer hat Nancy Kress auch diesmal ihre Story klug ausgedacht und spannend inszeniert, so dass ihr Roman es mit den Könnern des Thrillergenres durchaus aufnehmen kann – Leuten wie Jeffery Deaver etwa. Mit diesem teilt sie sich auch die Vorliebe für wissenschaftliche Detailarbeit. Ein Indiz führt zum nächsten, bis ein Puzzle entstanden ist, dessen Bild bzw. Schlussfolgerung unausweichlich ist. Und dennoch warten auch in dieser Phase noch Überraschungen auf die Helden.

Unter all dieser Jagd nach wissenschaftlichen und anderen Indizien könnte der Human Interest verloren gehen, so befürchtet man. Doch eine Reihe von kurzen Kapiteln, die als „Interim“ betiteln sind, schildert schlaglichtartig Aspekte und wichtige Ereignisse aus dem Leben der von der Malaria Betroffenen. (So etwa den Gehirnschlag des Fahrers eines Touristenbusses mitten auf der Autobahn, was natürlich zu einer Katstrophe führt.) Auch dies ist ein Kniff, dessen sich John Brunner in seiner großen Romanen bedient hat, besonders in „Morgenwelt“ (Stand on Zanzibar, 1968).

Die Story ist besonders zu Beginn sehr spannend erzählt, geradezu filmreife Szenen folgen in raschem Tempo aufeinander. Doch dann gerät die Handlung in ruhigeres Fahrwasser, und menschliche Aspekte der Ermittler Cavanaugh und Anderson treten in den Vordergrund. Weil sie aber allen Widrigkeiten trotzen, denen sie begegnen, ist ihnen letzten Endes ein Erfolg gegönnt. Der Leser ist überrascht, wie die Lösung lautet.

Aktuelle Warnung

Die Aktualität des Romans ist – anno 2001 und später – durchaus gegeben. Das Buch erschien in den USA 1998, also lange vor dem für die USA so schrecklichen Jahr 2001, aber bei uns rund vier Wochen nach dem 11. September. Zuerst ereigneten sich die vier Anschläge in New York City und Washington, D.C., dann kurz darauf tauchten die Anthrax-Briefe auf und töteten weitere Menschen. Anthrax ist eine Biowaffe wie die im Roman erfundene genamanipulierte Malaria.

Nun braucht man nur 2 und 2 zusammenzuzählen: Würden ausländische Terroristen mit Sympathisanten in den USA (wie al-Kaida oder IRA) auf amerikanischem Boden eine solche Biowaffe entwickeln, könnten sie jederzeit zuschlagen – etwa um zahlreiche Schwarze zu treffen und so üble Rassenunruhen auslösen.

Kress zeigt auf, dass es genügt, einen bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung zu töten, um eine Regierung zu stürzen. Nicht nur in USA, sondern auch in London oder in einem Land Afrikas. Dass dies keine leere Behauptung ist, dürften die Geschehnisse in mehreren Staten Zentral- )Kongo, Ruanda) und Westafrikas (Liberia) belegen. Die AIDS-Epidemie führt bereits jetzt dazu, dass die Regierungsstreitkräfte kaum noch in der Lage sind, ihre Sollstärke zu halten. Gefährdet ist besonders Botswana.

Heldenhafte Wissenschaft?

Nun könnte man wie die Medien in dem Roman meinen, dass die Wissenschaftler vom Seuchenzentrum in Atlanta die Seuche eingedämmt haben. Tatsächlich war es vor allem die Army. Aber immerhin finden Earl Lester und seine beiden Freunde heraus, was die Wahrheit hinter der Seuche ist. Doch Melanie Anderson ist es schnuppe, ob sie nun gefeiert wird oder nicht: Sie sieht ihre Pflicht vielmehr dort, wo es Not tut: am neuesten Krisenherd an der Seuchenfront, in Gabun, Nigeria oder sonstwo. Und auch Cavanaugh wird rehabilitiert. (Er war zwischenzeitlich ein Opfer der FBI-Bürokratie geworden, doch mit den richtigen Leuten am Ruder lebt er wieder auf.)

Unterm Strich

Nancy Kress ist ein spannender und kompetent geschriebener Wissenschafts-Thriller gelungen. Allerdings ist sie weit entfernt von Autoren wie Tom Clancy oder Michael Crichton, die auf Schockeffekte setzen und zudem einen Alleskönner als Helden präsentieren (z.B. Jack Ryan). Bei ihr sind Idealisten am Werk, die Gutes tun wollen, aber von den Umständen daran gehindert werden.

Dass die von einer Biowaffe verursachte Seuche ihre Horroreffekte hat, ist nicht zu leugnen. Aber diese Szenen werden nicht ausgeschlachtet, um Sensationsgier zu befriedigen. Im Mittelpunkt steht die Puzzlearbeit von Kriminalisten und Epidemiologen. Das ist der Grund, warum sich der Roman nur eingeschränkt für Leser ohne Vorstellung von wissenschaftlicher Arbeitsweise eignet. Aber ein wenig Anspruch darf schon sein. Dass ihr Roman so prophetisch wirkt, hat die Autorin wohl selbst nicht geahnt.

Taschenbuch: 462 Seiten
Originaltitel: Stinger, 1998;
Aus dem Englischen von Biggy Winter.
ISBN-13: 9783453196582

www.heyne.de

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