_Eine Detektivin des Herzens: Der Tod kommt auf vier Rädern_
Georgia Kane, eine freischaffend tätige Krankenschwester, verlässt 1923 das neblige London, um die Betreuung eines Kranken in den Hügeln an der südenglischen Steilküste zu übernehmen. In dem einsam gelegenen Farmhaus ihrer Auftraggeber findet sie eine angespannte Atmosphäre vor, die durch merkwürdige Heimlichkeiten und ein seltsames Ritual geprägt ist. (erweiterte Verlagsinfo)
_Die Autorin_
Edith Nesbit (1858-1924) war eine englische Autorin, deren Werke für Kinder im englischen Original unter dem „geschlechtslosen“ Namen E. Nesbit veröffentlicht wurden. Sie verfasste über 40 Kinderbücher. Einige davon wurden später verfilmt. (Wikipedia)
Werkverzeichnis auf Wikipedia:
• Die Schatzsucher (The Story of the Treasure Seekers; Bastable-Trilogie 1; 1899)
• Der Club der guten Taten (The Would-Be-Goods; Bastable-Trilogie 2; 1901)
• Das rote Haus / Die lustige Ehe (The Red House; 1902)
• Fünf Kinder und zehn Wünsche / Der Sandelf (Five Children and It, Psamead-Trilogie 1; 1902)
• Der Phönix und der Teppich / Feuervogel und Zauberteppich (The Phoenix and the Carpet; Psamead-Trilogie 2; 1904)
• New Treasure Seekers (Bastable-Trilogie 3; 1904)
• Die Eisenbahnkinder ( The Railway Children; 1905)
• The Story of the Amulet (Psamead-Trilogie 3; 1906)
• Das verzauberte Schloß (Enchanted Castle; 1907)
• Die Kinder von Arden (House of Arden; 1908)
• Der Traum von Arden (Harding’s Luck; 1909)
• Die verzauberte Stadt (Magic City; 1910)
• Meereszauber (Wet Magic; 1913)
_Die Sprecher/Die Inszenierung_
|Die Rollen und ihre Sprecher|
Georgia Kane: Solveig Duda
Marian Eldrige: Doris Gallart
Robert Eldrige: Eckart Dux
Mr. Dawson: Roland Hemmo
Amanda Dawson: Monika Barth
Milly Dawson: Sophia Abtahi
Chauffeur: Michael Schwarzmaier
Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden in den Planet Earth Studios und im Fluxx Studio statt. Die Illustrationen trug Firuz Askin bei.
_Handlung_
Georgia Kane sehnt sich nach den Downs an der englischen Südküste zurück. Und dort soll sie heute ihre neue Stelle als Krankenpflegerin antreten. Als sie im nebligen November 1923 am Londoner Bahnhof steht. Findet sie Gelegenheit, der kleinen Tochter von Amanda Dawson zu helfen, die, wie sich herausstellt, eine Nachbarin von Georgias neuen Arbeitgebern ist. Zusammen fahren sie im Zug und als niemand Georgia abholt, nimmt Amanda sie einfach mit. Amanda ist Witwe und lässt sich chauffieren. Als sie aber den Namen des Anwesens „Charlestown“ hört, wird ihre Freundlichkeit zurückhaltend.
Über den Grund wundert sich Georgia noch, als sie dort an die Haustür der Eldridges klopft, bei denen sie jetzt arbeiten soll. Es dauert ewig, bis jemand öffnet, und bis dahin ist Georgia vom Regen pitschnass. Eine alte Frau öffnet, um sie einzulassen, dann kommt ein alter Mann hinzu. Es handelt sich um Marian und Robert Eldridge. Als Erstes gibts natürlich wärmenden Tee, schließlich ist man ja in England.
In Einzelgesprächen wird Georgia allerdings zunehmend verwirrt: Wen sie denn nun pflegen – Marian oder Robert? Jeder meint, es müsse sich um den anderen handeln. Marian meint, Robert phantasiere, weil er Erscheinungen wahrnehme, die gar nicht da seien. Und als Georgia en passant erwähnt, sie habe Amanda Dawson kennengelernt, lässt er tatsächlich vor Schreck die Tasse fallen. Etwas stimmt hier nicht. Doch Fragen weicht das Ehepaar aus.
Als Georgia m nächsten Morgen meint, dass sie sie gar nicht benötigten, widerspricht Marian. Sie hätten ihre Tochter Bessie verloren, die sie sehr liebten. Sie wurde von einem violetten Automobil auf der Landstraße überfahren. Nun sei ihr Leben sinnentleert, und Georgia würde ihnen helfen, es zu bewältigen.
Jeden Tag führt das Ehepaar eine Art Ritual aus, zu dem Georgia nicht eingeladen ist. Sie gehen stets um die gleiche Uhrzeit Richtung Klippen spazieren und kehren stets verstört und aufgewühlt zurück. Eines Tages kehrt Georgia aus dem Dorf zurück und kann die beiden belauschen. Er sagt zu ihr, sie solle ausweichen, er höre, wie es komme, doch sie streitet dies ab. Dann gibt sie nach und weicht aus. Aber vor was? Robert prophezeit, dass bald etwas geschehen werde …
_Mein Eindruck_
Edith Nesbitt ist eigentliche für ihre vielen Kinder- und Jugendbücher bekannt, doch die vorliegende Geschichte spielt unter Erwachsenen. So wie die Autorin im Kinderbuchbereich „erwachsene“ Themen einführte, so schreckt sie auch hier nicht vor dem Thema Sterben, Schuld und Erlösung zurück.
Die beiden Eldridges wirken zunächst wie Goethes harmonisches altes Ehepaar Philemon und Baucis aus „Faust II“. Doch je mehr Georgia Kane sie kennenlernt, desto mehr wird der fundamentale Unterschied sichtbar: Robert sieht ein Auto, das für Marian nicht existiert. Sein Problem: Er fühlt sich als Mörder. Und das Auto ist sein Schicksal. Erst wenn er dieses Schicksal besiegelt und seine Schuld beglichen hat, kann seine Seele Ruhe finden. Doch warum und wie?
|ACHTUNG, SPOILER|
Roberts Tochter Bessie wurde seinerzeit vom violetten Automobil auf der Landstraße angefahren. Dessen Besitzer war als Mr. Dawson bekannt, der immer zu schnell fuhr, weil er nicht aus der Gegend kam. Hier geht es gemächlich zu, keiner hat es eilig, schon gar nicht im Nebel. Bis er und die Automobile kamen.
Robert fand seine verletzte Tochter, so dass sie ihm noch sagen konnte, wer der Fahrer war: Dawson. Als ihn Dawson einmal im Nebel nach dem rechten Weg fragte, rächte sich Robert und nannte ihm die falsche Richtung: immer geradeaus, direkt über die Klippen ins Meer. Dawson starb, und seitdem hält sich Robert für einen Mörder.
Tag für Tag stellt er sich an die Landstraße, um auf ein Auto zu warten, das nur er sehen kann. Wirklich? Eines Tages muss Georgia Marians Stelle einnehmen, weil sich die alte Frau den Fuß verstaucht hat. Wird auch sie das Auto sehen können? Und wenn ja, was wird dann passieren?
_Die Sprecher/Die Inszenierung_
|Die Sprecher|
Im Zentrum des Stückes stehen im Grunde nur drei Figuren, nämlich die beiden Eldridges und Georgia, die ihre Ersatztochter und Erbin wird. Sie bilden eine gestörte Idylle, die in Ordnung sein könnte, wenn da nur nicht das violette Automobil wäre, das nur Robert sehen kann. Es ist lediglich ein Symbol für sein Schuldbewusstsein – und für den Tod.
Doris Gallart als Marian Eldrige und Eckart Dux als Robert Eldrige harmonieren ausgezeichnet. Man nimmt ihnen ab, dass sie eigenständige Persönlichkeiten sind, aber bereits so weit aufeinander eingespielt, dass sie sich praktisch wortlos verständigen können. Natürlich haben sie auch ihre Differenzen, gerade in der Sache mit dem Auto.
Solveig Ducha als Georgia Kane hat eine angenehme Stimme in Mittellage, die sie weder als naives Dummchen noch als herrische Gouvernante erscheinen lässt, sondern genau dazwischen: vernünftig, aber gefühlvoll und einfühlsam. Georgia ist schwer von Amanda Dawson (Monika Barth) zu unterscheiden, die vor allem durch ihre Mutterrolle charakterisiert ist. Sophia Abtahi spricht die kleine Milly Dawson ganz natürlich, als hätte sie ihren lebtag nichts anderes getan.
|Geräusche|
Die Geräusche sind genau die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut. Das geht schon bei der Bahnhofsszene los, wo die Dampflok im Hintergrund schnauft und Stimmengewirr herrscht. Georgia in einem donnernden Gewitter mit plätscherndem Platzregen an und bibbert zum Gotterbarmen.
Die heimeligen Geräusche des Eldridge-Heims werden von den Küstenlauten kontrastiert, als da wären Möwengeschrei, Windblasen und Brandungsrauschen. In dieser harmonischen Polarität wirkt das violette Automobil wie der Fremdkörper, der es von Anfang ist.
|Musik|
Die Musik entspricht der eines Scores für ein klassischen Spielfilm, also nicht zwangsläufig für einen Horrorstreifen. Klassische Instrumente wie Violine, Cello und Kontrabass werden manchmal von elektronisch erzeugten Effekten ergänzt. Schnelle Musik deutet Dynamik und Dringlichkeit an, langsame Musik entspannt und manchmal endet eine Szene in einem dramatischen Crescendo. Das ist aber hier weniger der Fall, außer im Finale. Insgesamt ist dieses Hörspiel sehr stimmungsbetont.
Musik, Geräusche und Stimmen wurde so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.
|Das Booklet|
Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS verzeichnet sowie Werbung für Firu Askin zu finden. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf. Ein zweites Booklet listet sämtliche Titel von Titania Medien auf, und zwar auch alle Neuerscheinungen bis Mai 2012.
Hinweise auf die nächsten Hörspiele:
Nr. 59: Edith Nesbit: Das violette Automobil (November 2011)
Nr. 60: Robert E. Howard: Der Grabhügel (ab März 2012)
Nr. 61: Arthur Conan Doyle: Der Ring des Thot (ab März)
Nr. 62: Nathaniel Hawthorne: Rappaccinis Tochter (April)
Nr. 63: Robert E. Howard: Besessen (April)
Nr. 64: Francis Marion Crawford: Der schreiende Schädel (Mai)
Nr. 65: Mary Elizabeth Braddon: Gesellschafterin gesucht (Mai)
_Unterm Strich_
Mir hat das atmosphärisch dichte Hörspiel gut gefallen, denn es baut eine durchgehend wehmütige Stimmung auf, die von einem vergangenen und einem kommenden Unglück etwas überschattet wird. Georgia Kane findet heraus, um was es geht, wie eine Detektivin des Herzens. Das erzeugt sowohl Spannung als auch Mitgefühl für die beiden Hauptfiguren.
Das Problem des Stücks ist natürlich, dass praktisch nichts passiert, sich aber einiges entwickelt. Daher lebt es von der gespannten Erwartung, die dem ansteigenden Schuldgefühl Roberts entspricht. Eines nahen Tages muss sich diese Anspannung entladen und hoffentlich lösen. Ob Robert wirklich Mr. Dawson auf dem Gewissen hat, muss jeder Zuhörer selbst beurteilen. Doch wer eigentlich dieses verhängnisvolle violette Automobil STEUERT, das soll hier nicht verraten werden.
|Das Hörspiel|
Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Besonders gut gefielen mir die beiden zentralen Figuren, die sich wirklich Zeit lassen, das richtige und wichtige Wort genau zu platzieren.
Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling.
Wer jedoch mit Dramatik und Romantik absolut nichts am Hut hat, sich aber trotzdem zünftig gruseln will, der sollte zu härterer Kost greifen. Die Hörbücher der „Necroscope“-Reihe von Brian Lumley dürften dem Hörer eine ausreichend starke Dosis verabreichen. Leider hat LPL diese Reihe schon längst endgültig eingestellt.
Audio-CD mit 69 Minuten Spielzeit
ISBN-13: 978-3-7857-4530-4
www.titania-medien.de