Nichols, Peter – Allein auf hoher See. Abenteuer einer Weltumseglung

Sinnlos selbst gesetzte Hürden

Warum steigt der Mensch auf hohe Berge? Wieso taucht er in tiefe Meere? Aus welchem Grund durchquert er Wüsten auf Stelzen und trägt dabei mit den Zähnen einen Kanaldeckel aus Gusseisen? In der Regel einfach deshalb, weil es vor ihm (oder ihr) noch niemand getan hat! Unter uns tagarbeitenden und in der Freizeitgestaltung vergleichsweise fantasiearmen Zeitgenossen gibt es seit jeher Exoten, die es dazu drängt, eine ungewöhnliche Note in ihr Leben zu bringen. Nach Sinn und Logik darf man da nicht fragen, sondern muss das Phänomen als solches mit Interesse und Neugier zu Kenntnis nehmen. Man ist ja nicht zur Nachahmung verpflichtet.

In diese seltsame Welt eigentümlicher Individualisten, die sich heute gern selbst zu „Extrem-Sportlern“ adeln, entführt uns der Journalist und Segler Peter Nichols. Er hat eine bizarre Fußnote der Sporthistorie ausgegraben und erweckt dahinter eine fesselnde Geschichte zu neuem Leben. Die Chronik des „Golden Globe Race“ von 1968/69 wird von solchem Irrwitz geprägt, dass wir sie als Film mit Unglauben und Spott quittieren würden. Aber die Geschichte ist wahr, und als Sachbuch mit Thriller-Qualitäten glauben wir sie ihrem Verfasser, denn Nichols ist ein fabelhafter Schriftsteller.

Der Weg ist weit & wässrig

Schon die Vorgeschichte ist krude: Da setzt sich 1966 ein schon 65-jähriger Mann ganz allein in ein kleines Segelboot und schippert damit einmal um den Globus – eine Reise von mehr als 40.000 km (obwohl wir hier lieber in Seemeilen rechnen sollten)! Francis Chichester war nicht der Erste, dem dies gelang. (Das war Joshua Slocum, der von 1895 bis 1898 unterwegs war.) Neu war indessen die Verbissenheit, mit der sich dieser Solo-Segler dem Festland fernhielt: Fast ein Jahr war Chichester unterwegs, doch in der ganzen Zeit lief er nur ein einziges Mal einen Hafen an! Das war noch nie dagewesen und ungewöhnlich, und es sicherte dem alten Mann auf dem Meer die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner britischen Landsleute, die beinharte aber gescheiterte Abenteurer im Geiste Robert F. Scotts – jenes Weltreise-Dilettanten, der 1912 kläglich aber heroisch am Südpol verschmachtete – lieben und verehren. Sie bereiteten Chichester bei seiner Rückkehr einen wahrhaft königlichen Empfang; der Adelstitel ließ denn auch nicht mehr lange auf sich warten.

Eine Reise voller Strapazen und Entbehrungen und ohne rechten Sinn, dazu meist recht öde, weil die Möglichkeiten der Zerstreuung auf hoher See begrenzt sind: „Um die Welt! Das klingt, als müsse es stolze Gefühle wecken, aber wohin führt denn diese Erdumseglung? Nur durch zahllose Gefahren zurück zu dem gleichen Punkt, von dem wir einst losgefahren sind.“ Das ist ein treffendes Zitat aus „Moby Dick“, das Nichols auf S. 261 präsentiert. Herman Melville traf damit schon vor anderthalb Jahrhunderten den Nagel auf den Kopf, aber auch er unterschätzte den Widerhall, den ein unzweifelhaft echtes Abenteuer in einer Welt findet, die für kühne Taten längst zu eng geworden ist.

Die Steigerung des siegreich Sinnlosen

Kein Wunder also, dass 1968 so mancher romantische Zivilisationsflüchtling hellhörig wurde! Chichesters Glanzleistung schuf eine ganz bestimmte Situation: Für die Alleinfahrt um die Welt gab es nach ihm nur noch eine Steigerung: die Reise ohne Anlaufen eines Hafens! Nur wem dies gelang, konnte auf Ruhm und Ehre (und natürlich Geld) wie hoffen. Eine unglaubliche Herausforderung, der sich im Jahre 1968 nichtsdestotrotz neun Männer stellten. Ihre Geschichte ist es wahrlich wert erzählt zu werden, obwohl sie schon bald eine Wende ins Düstere nimmt und von Schrecken, Seenot und Tod kündet.

Peter Nichols geht ausführlich auf das Vorleben der neun seltsamen Segler ein. Das ist gut so, denn obwohl ihr Tun dadurch nicht an Sinn gewinnt, werden ihre Beweggründe dadurch einleuchtender. Schließlich erscheinen die Medien auf der Bildfläche, und aus einem sportlichen Wettkampf wird ein Ringen um schnöden Mammon. 5000 Pfund setzt die „Sunday Times“ für den aus, der die Welt am schnellsten umkreist. Zumindest einen Teilnehmer wird der verzweifelte Kampf um diese Prämie das Leben kosten.

Die Tragödie des Donald Crowhurst hat schon in vielen Büchern über die Seefahrt Erwähnung gefunden. Sie wird gern zitiert, wenn es darum geht, drastisch die Gefahren zu thematisieren, die der Landratte drohen, die sich in völliger Selbstüberschätzung zu weit hinaus aufs Meer wagt. Peter Nichols fügt der alten Moritat keine neue Strophe an, sondern rollt nüchtern und dadurch umso eindringlicher die wahren Ereignisse noch einmal auf. Darüber vernachlässigt er keineswegs die übrigen Teilnehmer, doch nimmt die Crowhurst-Saga aufgrund ihrer Dramatik eine Sonderstellung ein.

Allein mit mir: Schrecken der See

Ein hochintelligenter Mann, schon mehrfach im Leben gescheitert, glaubt dem neuerlichen Ruin entkommen zu können, indem er eine spektakuläre Leistung vollbringt: der ewige Wunschtraum jedes Spielers. Wie sich herausstellt, konfrontiert die völlige Abgeschiedenheit seiner Seereise diesen Donald Crowhurst mit dem schrecklichsten aller Ungeheuer: dem eigenen Ich. Als Segler zudem unerfahren und geschlagen mit einem Boot, das der Hochsee nicht gewachsen ist, entwickelt sich der harmlos-sportliche Wettkampf für Crowhurst zum grauenvollen Martyrium.

Zum Erfolg quasi verdammt, beginnt er an schließlich zu betrügen und den Törn um die Welt zu türken: Während er ziellos durch die Wogen treibt, segelt er auf dem Papier Rekordstrecken ab. Die ahnungslose Öffentlichkeit wird aufmerksam und beginnt den Außenseiter zu feiern, der sich immer tiefer in seinen Lügen verstrickt und genau weiß, dass ihn am Zielhafen eine genaue Überprüfung seines Logbuchs erwartet, die den Schwindel auffliegen lassen wird. Am Ende verfällt der verzweifelte Crowhurst dem Wahnsinn. Seine Aufzeichnungen werden zum beklemmenden Dokument des völligen Zusammenbruchs, den Crowhurst nicht überlebt.

Aber auch die übrigen Teilnehmer des „Golden Globe Race“ gehen nicht ungezeichnet aus dem absurden Rennen hervor. So manchen verfolgt sein Scheitern für den Rest des Lebens. Nichols verfolgt die weiteren Werdegänge seiner Protagonisten. Es gibt kein Happy-End: Wie fast immer im richtigen Leben winkten nur dem Sieger Reichtum und Popularität, aber wirklich glücklich ist auch er wohl nicht damit geworden.

Spannende Lektüre einer wahren Geschichte

„Allein auf hoher See“ ist für seinen Verfasser sichtlich mehr als ‚nur‘ ein Buch, sondern auch ein Stück Selbsttherapie. Peter Nichols hat auf dem Meer sein persönliches Waterloo erlebt. Als langjähriger Hochsee-Segler kennt er die Freuden und die Tücken dieses Sports genau. In die Recherche der „Golden-Globe-Race“-Geschichte hat er viel Zeit und Mühe investiert, wie sich der ausführlichen Danksagung entnehmen lässt. Der Leser hat da längst gemerkt, dass er hier ein Sachbuch der oberen Güteklasse in Händen hält: spannend, vorzüglich geschrieben und sorgfältig übersetzt. (Seltsam indes: Während der Originaltitel – „Eine Reise für Verrückte“ – sehr anschaulich ankündigt, was sich auf 320 Seiten abspielen wird, wählte man hierzulande eine eher nichtssagende, vermeintlich ‚seriösere‘ Überschrift.)

Inhaltlich ist Nichols’ Buch ein Werk, das man einfach gern in die Hand nimmt. Das ist heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit; so mancher ‚Bestseller‘ wird mit erschreckender Lieblosigkeit buchstäblich auf den Markt geworfen. „Allein auf hoher See“ gehört nicht zu dieser Ex-und-Hopp-Lektüre. Mit diesem Buch lehnt man sich zurück in seinen Lesesessel und geht mit auf große Fahrt.

Mit Abbildungen wurde allerdings geknausert. Wir können die (Alb-) Traumfahrten unserer Segler auf vielen Karten verfolgen, müssen aber auf Porträts oder Fotos der Boote, die Nichols mit fast menschlichen Zügen ausstattet, verzichten. Das lässt sich angesichts der vielen Vorteile aber leicht verschmerzen.

Taschenbuch: 320 Seiten
Originaltitel: A Voyage for Madmen (New York : HarperCollins Publishers, Inc. 2001)
Übersetzung: Hans Link
http://www.luebbe.de

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