Rache ist süß. Ob Sekretärin, Putzfrau oder Hausfrau, wenn sie zu sehr gedemütigt werden und ihnen der Kragen platzt, dann zahlen sie es ihren Chefs, ihren Herrschaften, ihren Pantoffelhelden heim. (Verlagsinfo)
Die Buchvorlage erschien im Jahr 2000 im Diogenes-Verlag.
Die Autorin
Ingrid Noll wurde 1935 in Schanghai geboren, also kurz vor der japanischen Invasion, und studierte in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. Nachdem ihre drei erwachsenen Kinder das Haus verlassen hatten, begann sie, Kriminalgeschichten zu schreiben, die allesamt Bestseller wurden. „Die Häupter meiner Lieben“ wurde mit dem Glauser-Preis ausgezeichnet, und „Kalt ist der Abendhauch“ sowie „Die Apothekerin“ wurden verfilmt.
Weitere Noll-Hörbücher:
– Die Häupter meiner Lieben
– Die Apothekerin (verfilmt)
– Kalt ist der Abendhauch (verfilmt)
– Stich für Stich
– Selige Witwen
– Der Hahn ist tot
Die Sprecher
Ursula Illert, 1946 in der Nähe von Frankfurt/M. geboren und aufgewachsen, ist eine Schauspielerin mit Erfahrung bei Theater, Funk und Fernsehen. Als passionierte Sprecherin hat sie für Steinbach Sprechende Bücher bereits zahlreiche Hörbücher gelesen. Ihre Begeisterung gilt Lesungen mit musikalischer Begleitung vor Publikum.
Jochen Nix wurde 1943 in Frankfurt/M. geboren. Seit 1968, dem Abschluss seines Schauspielstudiums an der Staatlichen Schauspielschule Frankfurt/M., hat er sich als Theater- und Fernsehschauspieler sowie durch Regiearbeiten am Theater und beim Rundfunk einen Namen gemacht. Vielfältige Sprechrollen im Hörfunk und zahlreiche Literatur-Lesungen weisen ihn als ausgezeichneten Rezitator aus. (Verlagsinfo)
Regie und Aufnahmeleitung hatte Gerlinde Engelhardt.
Handlung der Storys
Die Sekretärin (11:20 min, gelesen von U. Illert)
Die Freundin Eva ruft an und bittet um einen kleinen Gefallen. Eva ist Redakteurin beim Fernsehen und bereitet eine Live-Talkshow mit dem Industriellen Sigmar Bollberg – genannt „Bolle“ – vor. Ob sie nicht ein kleines Statement geben möchte – in der Sendung, versteht sich, und natürlich live? Ach ja, und das natürlich gegen eine kleine – wie soll man’s ausdrücken? – „Erfolgsprämie“?
Die Erzählerin zögert einzuwilligen. Eigentlich war sie ja von Bolle als junges Ding schwer ausgenutzt worden. Kaum seine Sekretärin geworden, durfte sie mit ihm schon ins Bett hüpfen – genau wie alle Sekretärinnen vor und nach ihr. Aus Liebe ließ sie sich dann von ihm ausbeuten.
Nachdem sie über den Vorschlag geschlafen hat, entdeckt sie die Gelegenheit, wie sie es nicht nur Bolle heimzahlen, sondern außerdem noch seine derzeitige Frau und seine Gespielin bloßstellen kann. Sie würde Bolle samt Anhang komplett in die Wüste schicken. Auf geht’s!
Goldener Löffel (12:21 min, gelesen von U. Illert)
Schon Pilars Tante Josefa war Putzfrau in der Mallorciner Villa der Gräfin gewesen. Die Deutsche zieht sich regelmäßig nach Mallorca zurück und lädt dann zu allem Überfluss ihre lästige Verwandtschaft ein. Nach Tante Josefas Tod an einem Herzinfarkt übernimmt Pilar den Job, überlegt sich aber, diese Plackerei nur ein Jahr lang machen zu wollen. Nur Esteban, der Gärtner, hilft ihr.
Früher war die Gräfin schön, jung und reich, heute ist sie nur noch reich. Doch ihre Verwandtschaften sind allesamt ungehobelte Proleten aus Hessen. Am schlimmsten ist Sascha, der Erbe in spe, mit seinem sabbernden Köter. Doch diesmal fehlt nach Abzug der hessischen Bagage ein goldener Dessertlöffel. Panik! Chaos! Alles wird auf den Kopf gestellt, aber nichts gefunden.
Da stößt Pilar auf den Löffel in der Schürze, die sie gerade waschen will. Sie geht in die Villa, um ihn als ehrliche Finderin zurückzugeben, doch dort telefoniert die Gräfin gerade: Sie redet schlecht über die „dumme“ Pilar und dann auch noch über die selige Josefa! Pilar überlegt es sich anders und schmiedet einen Plan.
Beim nächsten Familientreffen kommen schon weniger Leute, doch zwei weitere Löffel fehlen. Es scheint zu funktionieren. Mal sehn, wie viele Löffel verschwinden müssen, bevor auch der eklige Sascha nicht mehr eingeladen wird …
Herr Krebs ist Fisch (ca. 49 Min., gelesen von J. Nix)
Studienrat Thomas Krebs hat es eigentlich gut: In seiner Wohnung, die er sich mit Greta teilt, wird er gut bekocht und sie wäscht seine Wäsche. Dafür muss er eben mit ihren kleinen Marotten klarkommen: Sie hat einen Esoterik-Tick und glaubt an das, was das Horoskop ihr sagt. Zudem muss bei ihr das Essen stets monochrom sein: alles grün, oder alles orange usw.
Im Musik-Leistungskurs von Herrn Krebs sitzt die schnuckelige Ursula. Er ist in die blonde Siebzehnjährige völlig verschossen. Wie kriegt er sie nur ins Bett? Er gibt ihr private Übungsstunden, unter dem Vorwand, das brauche sie fürs anstehende Abi. Nach wenigen – ergebnislosen – Stunden schon wird Greta misstrauisch. Nun färbt sie auch schon das Schnitzel blau: eine deutliche Warnung! Sie dreht den Spieß um und wendet Krebs‘ Lügen gegen ihn selbst. Alarmsignal: Sie lädt seinen Studienfreund Dankwart zum Essen ein und amüsiert sich verdächtig gut mit ihm.
Für Krebs wird die Lage kritisch, als die blonde Ursula ihre Plastiktüte im Flur vergisst. Darin befinden sich nicht nur unverfängliche Noten, sondern auch ihr Terminkalender. Zu spät versucht Krebs, Greta diesen dicken Fisch zu entreißen. Ihre Rache wird gar fürchterlich.
Mein Eindruck
Rache ist Blutwurst, und sie kommt unausweichlich, mal früher, mal später. Ungerechtigkeit, dein Name ist Mann, aber nicht immer. Die Verachteten, Verschmähten, Missbrauchten, Entwürdigten – bei Ingrid Noll finden sie Gelegenheit, es ihren Peinigern heimzuzahlen. Das macht die Geschichten wahrscheinlich so befriedigend, kann sich der ebenfalls gepeinigte Leser – besonders der weibliche – doch sogleich mit dem Opfer in einer Geschichte solidarisch fühlen und ihm die süßeste Rache wünschen, die ihm nur einfällt.
Lektionen der Vergeltung
Doch hier liegt der Hund begraben. Die knifflige Kardinalfrage lautet nämlich: Wie rächt man sich so wirkungsvoll wie möglich, aber gleichzeitig so deutlich, dass der oder die so Bedachte die Botschaft auch mitkriegt? Daraus folgt mithin, dass jede Vergeltungsmaßnahme quasi ein Kunstwerk darstellt, das in zwei Richtungen zu zielen hat: Effektivität und Erkennbarkeit.
Geschichte Nummer 1
In dieser Hinsicht lässt die Sekretärin in der titelgebenden Geschichte nichts zu wünschen übrig. Dies ist sozusagen der Idealtypus einer erfolgreichen Vergeltungsmaßnahme (wie spät auch immer ausgeführt). Ihre Rache trifft nicht nur ihren früheren Chef, sondern auch dessen aktuelle Gattin und obendrei seine aktuelle Geliebte, die sich – köstlich! – unbedachterweise selbst als solche outet und dadurch die ahnungslose Gattin düpiert. Die Medien feiern ein Fest, als sie am nächsten Tag den Industriekapitän Bolle in der Luft zerreißen. Applaus!
Geschichte Nummer 2
Das genaue Gegenteil dieser mit maximaler Publicity vollzogenen Rache leitet die Putzfrau und Haushälterin Pilar auf Mallorca in die Wege. Stellt das Finale von „Die Sekretärin“ quasi eine abgeschossene Kanone dar, so kann man sich die Vergeltung Pilars für die Schmähung und Ausbeutung quasi als ein schleichendes Gift vorstellen, das nur in sorgfältig verabreichten Dosen seine zersetzende Wirkung entfaltet. Das Ergebnis ist beinahe das gleiche. Bravo!
Geschichte Nummer 3
Die dritte Geschichte passiert weder öffentlich noch heimlich wie die anderen, sondern ergeht sich in einem riskanten Versteckspiel, einem Schlagabtausch auf der emotionalen Ebene der Beziehungen. Als Greta, die Herrn Krebs für sich beansprucht, – warum sonst sollte sie ihn bekochen? – herausbekommt, dass ihr Angebeteter es mit einem blonden Backfisch zu treiben gedenkt, ist sie zunächst recht gnädig und gibt ihm zwei Chancen: Blaue Schnitzel (sehr einfach durch Rotkohlsaft zu erzielen) sind schon deutliche Warnzeichen. Aber als Krebs nicht angemessen reagiert, wird größeres Geschütz aufgefahren: Ein Stelldichein mit Dankwart sollte eigentlich bei ihm alle Alarmglocken schrillen lassen.
Sie bleiben offenbar ungehört. Entweder ist Krebs zu dämlich oder zu verliebt. Wie auch immer, sobald Greta das verhängnisvolle Notizbuch Ursulas in die Klauen bekommt, ist Krebs verloren. Was sie mit diesen Informationen anstellt, ist schon erfinderisch. Er kann sich nur noch Ausmaß, Art und Weise seines Untergangs heraussuchen. Vielleicht nicht einmal das. Gretas Pizza, die er noch mitnehmen darf, ist selbstverständlich kohlschwarz.
Die Sprecher
Ursula Illert kann sich sehr gut in die Lage der beiden weiblichen Protagonisten hineinversetzen. Mit Verve trägt sie ihre Geschichten vor, mit deutlicher Aussprache und der Betonung auf die richtigen Stellen. Allerdings ist die Titelgeschichte so kurz, dass man sie vielleicht noch einmal anhören sollte.
Jochen Nix versucht uns mit redlicher Anstrengung die Position des männlichen Protagonisten, Herrn Krebs, nahe zu bringen. Dass ihm dies beinahe gelingt, ist umso gemeiner, als Krebs eigentlich der Schurke im Stück ist. Doch wenn Greta, die Rachegöttin der monochromen Küche, unseren Blickwinkel bestimmen würde, so wäre dies ein kapitaler Fehler: Erstens wäre ihr Ziel schon bald klar und zweitens würde sie als unmoralisch, weil möglicherweise ungerechtfertigt handelnde Akteurin erscheinen – ihre Position wäre sehr schwach.
Durch die geänderte Erzählperspektive nehmen wir jedoch Anteil an Krebs‘ wenig heroischem Untergang, den er zu einem Gutteil selbst verschuldet hat. So gesehen, ist die Geschichte schon fast wieder auf Versöhnung angelegt, verstehen wir Männer den traurigen Helden doch allzu gut. Das hilft ihm aber nix: Rache darf keine Gnade walten lassen, um erfolgreich zu sein.
Unterm Strich
Bei dieser dreistufigen Lektion in erfolgreichen Vergeltungsmaßnahmen ist es eigentlich kein Wunder mehr, wenn sich vor allem Frauen ein Vergnügen daraus machen, Ingrid Noll zu lesen – und nun auch zu hören. Die Erzählungen stehen in literarischer Qualität und krimineller Energie den Romanen der Autorin nicht nach. Besonders die beiden längeren Geschichten wissen voll zu überzeugen.
Die Sprecher bringen sie voll zur Geltung und beeinträchtigen die Botschaft der Autorin in keiner Weise. Das Hörbuch kann einem Zuhörer durchaus einen schönen Nachmittag bereiten: Rache ist – solange sie einen nicht selbst trifft – nicht nur Blutwurst, sondern auch süß.
1 Audio-CD