Evelyne Okonnek – Die Tochter der Schlange

Hohlbeins Segen für die Weiße Schlange.

Ein beachtlicher Einstieg, den Evelyne Okonnek da hinlegt: ein Debütroman, der nicht nur mit dem Wolfgang Hohlbein-Preis gekürt wurde, sondern sogar in die Hall of Fame des |Überreuter|-Verlages aufsteigen konnte, die Reihe „Meister der Fantasy“. Entstanden während einer einjährigen Arbeitspause, herausgearbeitet aus einem dreiseitigen Plot, entführt uns der erste Roman der Tübinger Autorin in das Reich der Weißen Schlange.

Der Fluch der Verantwortung.

Da war einst ein zermürbender Krieg, der die beiden Reiche Lenahar und Aquir beinahe dem Erdboden gleich gemacht hätte. Die kärgliche Anzahl Überlebender sammelte sich, um fürderhin ohne Krieg zu Leben, sie schworen sich, kein Blut mehr zu vergießen, und die Herrschaft nur noch Frauen zu überlassen, da sie der festen Überzeugung waren, „dass diejenigen, die Leben hervorbringen, es auch schützen würden.“

Klingt nach Feministen-Fantasy? Hihi, keine Bange, der Eindruckt täuscht. Aber kommen wir vom Prolog zur eigentlichen Geschichte, die dreht sich nämlich um die sympathische junge Liahnee, die demnächst zur neuen Hüterin der Schlange gekrönt werden soll. Als Hüterin hat sie mit ihrer Magie über ihr Volk zu wachen, und um ihre magische Kraft zu beweisen, muss sie in einem Ritual verhindern, dass sie als Mittagessen für die Weiße Schlange endet.

Dumm nur, dass Liahnee nicht das geringste magische Talent zu haben scheint. Während ihrer gesamten Jugend gaukelte sie dem Volk großartige Zauberkunst vor, obwohl die von ihrem Bruder Minohem im Hintergrund gewirkt wurde. Immer gab sich Liahnee der Hoffnung hin, dass sie das Nötige noch lernen würde, wenn der große Tag kommt.

Und so überschlagen sich die Ereignisse nach der Krönungszeremonie: Ihr Bruder entfremdet sich von ihr, Menschen verschwinden, Ungeheuer tauchen auf, schreckliche Geheimnisse über den Tod ihrer Eltern werden enthüllt, und zu allem Übel kreuzt da noch ein eingebildeter und nervtötender Prinz auf, der Liahnee mit Juwelen und Geschenken zu beeindrucken versucht.

Aber sie ist die Tochter der Schlange. Sie muss all dem Einhalt gebieten, versucht herauszufinden, wo plötzlich die Schwärme von Ungeheuern herkommen und entdeckt Unglaubliches. Da ist es aber schon zu spät, das verantwortliche Böse schleudert sie durch ein Tor in eine andere Welt, eine düstere Welt, in der Liahnee erwacht, ohne sich an ihren Namen zu erinnern oder sonst irgendetwas aus ihrer Vergangenheit. Sie wird von einem Stamm Fremder gefunden und aufgenommen, langsam nähert sie sich deren Sitten an und lernt ihre Sprache. Dann aber bricht die Erinnerung bruchstückhaft aus ihr hervor, und sie macht sich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit.

Klebrige Gaumenfreude.

„Zuckrige Zauberstabfantasy“, eigentlich habe ich diesen Begriff schon arg abgenutzt, aber „Die Tochter der Schlange“ ist eben genau das: eine schüchterne Heldin, die durch einen Schicksalsschlag zu ihren Stärken findet, ein böser, böser Bösewicht, der von der ganzen Welt mit gleichem, gerechtfertigtem Ingrimm bekämpft wird, Heilzauber, Freundschaften, Liebschaften, Magische Aktionen, mit Lichtern durchwirkt und knallbunt wie Jahrmarktsfeuerwerk.

Schlecht? Wer sagt das?! Nun, es ist schon so, dass die Motive vieler Figuren sehr klischeehaft sind, und dass sich manche Entwicklungen bereits von weitem abzeichnen. Außerdem hält Okonnek Konflikte nicht lange aus, neigt zu überstürzten Versöhnungen und schallmauersprengenden Annäherungen, aber irgendwie stört das überhaupt nicht, im Gegenteil. „Die Tochter der Schlange“ ist ein angenehmer Herzwärmer. Die Autorin betrachtet ihre Figuren aus klar weiblichem Blickwinkel, legt viel Wert auf Gefühle, auf Romantik und verborgene Zwischenströmungen. Es ist nicht alles glaubwürdig, was geschieht, und die Story selbst revolutioniert das Genre auch nicht, aber irgendwie will man nicht aufhören zu lesen, weil einem die Figuren ans Herz wachsen – gerade wegen ihrer Naivität. Wenn man die Seiten dann doch zuschlägt, hat man ein wohlig warmes Gefühl in der Magengegend.

Kolbenfresser vor der Ausfahrt.

Schade nur, dass sie dieses Niveau nicht über die ganzen 348 Seiten halten kann. Ab dem zweiten Drittel des Buches fangen die Dinge nämlich an, sich in die Länge zu ziehen. Im Großen und Ganzen weiß man, was geschehen wird, und kämpft sich durch ein paar Abenteuer, die den unvermeidlichen Showdown eigentlich nur herauszögern, auch wenn das Schicksal nicht ständig auf der Seite der „Guten“ ist. Ich wage einfach mal zu behaupten, dass dem Buch 80 Seiten Abmagerungskur ganz und gar nicht schlecht getan hätte.

Dazu kommt, dass Action-Szenen nicht unbedingt die Stärke von Evelyne Okonnek sind, ebenso wenig wie rasend Spannendes. Genau das will aber der Schwerpunkt im letzten Drittel des Buches sein, und was die Autorin am besten kann, Atmosphäre schaffen, hat hier kaum noch einen Stellenwert. Dann wären da noch diverse romantische Konflikte, die die Grenzen zum Kitsch gefährlich strapazieren …

Süßer Happen für Stimmungs-Naschkatzen.

„Die Tochter der Schlange“ ist zwar kein „Meisterwerk der Fantasy“, liest sich aber angenehm und flüssig, stellt keine allzu hohen Ansprüche an die Leser, ist aber trotz aller Konventions-Nähe kein platter Standard-Aufguss. Das Finale umschifft die heraufbeschworenen Kitsch-Untiefen übrigens gar nicht mal so unelegant.

Ein schönes Buch für zwischendurch jedenfalls, ideal für den Urlau oder den entspannten Lesegenuss in der Hängematte, darüber hinaus ein hervorragendes Gegengift, falls man sich eine Überdosis pechschwarzer Dark-Fantasy eingefahren hat. Ein solides Debüt außerdem, und ich bin gespannt, womit Okonnek ihre Leser verzaubern wird, wenn sie sich erst mal richtig freigeschwommen hat.

Gebundene Ausgabe: 350 Seiten
www.ueberreuter.at