O’Neal, Tatum – Und mein Leben beginnt jetzt

1973 wird die Schauspielerin Tatum O’Neal mit einem „Oscar“ für den Film „Paper Moon“ ausgezeichnet. Niemals hat es eine jüngere Gewinnerin dieses wichtigen Preises gegeben. Doch der frühe Ruhm bringt dem Kind kein Glück. Ohnehin wächst es in desolaten Familienverhältnissen auf, wird von der süchtigen Mutter vernachlässigt und vom cholerischen Vater Ryan O’Neal – selbst ein bekannter Darsteller – nicht nur geschlagen, sondern auch mit Drogen versorgt.

So ist ein Lebensweg quasi vorgezeichnet, der zwischen strahlenden Auftritten als prominentes Mitglied der Hollywood-High-Society und einem zunehmend desaströsen Privatleben schlingert. Frühe Drogen- und Alkoholsucht, sexuelle Übergriffe, Kämpfe mit den gleichzeitig schwachen und herrschsüchtigen Eltern, Depressionen, die Flucht in eine Ehe, die sich als neuer Lebenskampfschauplatz erweist, und ein schmutziger Scheidungskrieg sind nur einige Stationen eines langen Absturzes ins persönliche und gesellschaftliche Nichts.

Erst spät kann sich Tatum O’Neal fangen. Der Rückweg in ein geordnetes Leben ist schwierig und schmerzhaft, aber er gelingt. Mit den meisten Dämonen der Vergangenheit vermag sich O’Neal zu arrangieren. Für die zweite Lebenshälfte sieht die Prognose deutlich besser aus als für die ersten vier Jahrzehnte eines verpfuschten doch gleichzeitig ungewöhnlich ereignisreichen und interessanten Lebens. Beide Aspekte finden Erwähnung in der Autobiografie, die Tatum O’Neal selbst verfasst hat und die hier in deutscher Übersetzung vorgelegt wird.

Reiches Kind, armes Kind … Wie oft haben wir diese Melodei eigentlich schon gehört? Besonders Hollywood scheint prädestiniert für Schicksale wie das der Tatum O’Neal. Filmreif klingt, was faktisch durchaus glaubwürdig erscheint. Das nährt gleichzeitig Misstrauen, zumal sich die O’Neal-Biografie ebenso eng wie letztlich zweifelhaft an jenen Spannungsbogen hält, den die US-Amerikaner so lieben: Da gerät jemand bis auf die Spitze der gesellschaftlichen Pyramide, ist reich, berühmt, beliebt, um anschließend genauso tief zu fallen. Grausiges reiht sich an Trauriges, und wenn man als bangender und leidender Leser schon glaubt, es geht nicht mehr und die arme Tatum endgültig verloren glaubt, kommt irgendwo doch ein Lichtlein her: Kraft fährt aus Wolke Sieben in das geplagte Menschenkind. Es besinnt sich uramerikanischer Tugenden, streift ab die Fesseln der Sucht und der Erniedrigung, findet zu sich, erschafft sich neu. Aus der Gosse erhebt sich gleich Phoenix die neue Tatum O’Neal, clean und schön, selbstsicher und erfolgreich, bereit und willens, sich dem Leben zu stellen.

Solche Storys lieben Amerikaner bzw. Zeitgenoss/inn/en mit einfach gestrickten Gemütern, denn sie projizieren selbstverständlich das eigene, zur Zeit womöglich nicht gerade günstige Geschick in die Lektüre und schöpfen Hoffung: Siehe, es geht doch; da steckt ein Mensch viel tiefer im Dreck als ich und hat es geschafft, sich zu befreien. Dass dieses Lehrstück womöglich nach dem Handbuch „Wie konstruiere ich einen Bestseller?“ inszeniert ist – als Genre fällt es in die Kategorie „Frauenschicksal“ -, scheint kaum eine Rolle zu spielen. Wie im Märchen geht die Geschichte gut aus; das ist es, was primär den Erfolg solcher Bücher ausmacht. Recht perfide ist, dass „Und mein Leben beginnt jetzt“ ganz und gar nicht als Rührspiel beginnt. Die Selbstreflexion bewegt sich auf einem niedrigen Niveau, aber als einfach gehaltener, lesbar geschriebener Bericht (keine Selbstverständlichkeit bei Autobiografien) über vier schauerlicher Jahrzehnte überzeugt O’Neals Autobiografie in der ersten Hälfte durchaus.

Dann aber wird’s wüst & wohlig schmutzig. Tatum schreibt schonungslos. Sex sells, doch solches profane Denken spielt hier selbstverständlich keine Rolle: Der gefallene Engel will beichten, um anschließend seine Absolution zu erfahren. Es fällt schwer nachzuvollziehen, welchen Aufklärungswert die einschlägigen Skandal-Anekdoten besitzen, mit denen die Leserschaft konfrontiert wird. In den US-Medien wurden aufgeregt gewisse „Stellen“ zitiert, die Tatum und einen schon damals offensichtlich psychisch derangierten Michael Jackson beim Techtelmechtel zeigen. Rabenvater Ryan prügelt neidisch die talentierte Tochter und macht sie mit diversen Drogen vertraut. Die junge Melanie Griffith soll die 12-jährige Tatum in Rom unter Drogen gesetzt und zu einer Orgie verführt haben. (Dieses Ereignis wird den deutschen Lesern indes unterschlagen – offenbar konnten Griffith’ Anwälte wenigstens für die Auslandsausgaben der O’Neal-Biografie eine Tilgung erstreiten …)

So geht das weiter, während der Tonfall der Erzählerin falsch zu klingen beginnt. Den Entbehrungen der Jugend, welche sie objektiv erleiden musste, folgen die erwachsenen Jahre. Hier ist es nun nicht mehr möglich, Alleinschuld auf die feindliche Umwelt abzuschieben. Tatum O’Neal, ohne Zweifel seelisch schwer geschädigt, begibt sich auf einen Höllentrip, bei dem sie selbst am Steuer sitzt. Das passt nur bedingt zum Bild der von Gott, der Welt & der Familie gebeutelten Frau. O’Neal versucht einen Spagat: Sie leugnet ihre Exzesse nicht, Schuld sind jedoch weiterhin die Anderen. Die arme Tatum möchte doch weiter nichts als mit ihren vergötterten Kindern in Ruhe gelassen werden und hier und da einen Film drehen, weil Geld nun einmal zu den Konstanten eines stabilen Lebens gehört. Sie selbst benötigt natürlich nichts außer Liebe und Anerkennung und was der positiven Folgen einer Wiedergeburt mehr sind.

Für Tatum O’Neal mag die Niederschrift ihrer Autobiografie ein Akt der Befreiung und eine Form der Selbsttherapie gewesen sein. Da sie nach eigener Auskunft seit vielen Jahren Tagebuch führt, dürfte ihre Rückschau der Wahrheit entsprechen; sie ergibt ein Leben, das man seinem ärgsten Feind nicht wünscht. Doch Wahrheit ist etwas Subjektives. Sie besitzt zwei Seiten, von denen man hier nur die eine hört. So ungeheuerlich sind die Erinnerungen der Tatum O’Neil, dass diejenigen, die Erwähnung finden, praktisch chancenlos bleiben, sollten sie widersprechen. Ex-Ehemann John McEnroe hat es mit dem zu erwartenden negativen Ergebnis versucht. Zur Zeit gilt als „wahrer“ McEnroe primär O’Neals McEnroe, ein labiler, selbstsüchtiger, brutaler usw. Zeitgenosse. So gefällt es den Medien und jenen Tugendbolden, die es empörend finden, dass ein cholerischer Widerling gleichzeitig ein Sportass sein kann.

Noch komplizierter wird es, wenn der Drang, die „Wahrheit“ zu berichten mit sehr menschlichen Irrtümern kollidiert. „Und das Leben beginnt jetzt“ ist vor allem ein Dampfablassen der Verfasserin. (So interpretiert es übrigens auch der bloßgestellte Vater Ryan.) Die historischen Fakten sollte man hingegen lieber nicht auf die Goldwaage legen. So behauptet O’Neal u. a., der sich weiterhin in unerwiderte Liebe zu ihr verzehrende Michael Jackson habe nach ihrer Trennung den Klagesong „She’s out of my Life“ geschrieben. Das fügt sich wunderschön zur Story, ist aber falsch: Das Lied stammt aus der Feder des Komponisten und Musikers Tom Bahler.

So ist „Und das Leben beginnt jetzt“ nur eine hoffentlich heilsame Abrechnung im Gewand einer weiteren Skandalbiografie geworden. Die deutsche Ausgabe setzt dem durch den schwachsinnig „übersetzten“ Titel ein trübes Glanzlicht auf. „A Paper Life“ nennt Tatum O’Neal ihre Lebensgeschichte im Original. Sie spielt damit auf ihren ersten und größten Filmerfolg „Paper Moon“ von 1973 an, der ihr Leben in jeder Hinsicht veränderte.

Tatum Beatrice O’Neal wurde 1963 als Tochter der Schauspieler Ryan O’Neal und Joanna Cook Moore geboren. Die Eltern lassen sich wenige Jahre später scheiden. Tatum wächst bei der Mutter auf, deren Alkoholismus und Drogensucht eine kindgerechte Erziehung praktisch unmöglich machen. Vater Ryan nimmt die verwilderte Tochter später auf, erweist sich jedoch als – gelinde ausgedrückt – unkonventioneller Vater.

1973 ist er einverstanden, als Regisseur Peter Bogdanovich für sein Filmprojekt „Paper Moon“, die Geschichte einer Vater-Tochter-Beziehung im Amerika der Depressionszeit, Tatum und ihn als Schauspieler verpflichten möchte. Der Film wird ein Riesenerfolg und Tatum O’Neal erhält mit zehn Jahren den „Oscar“ als beste Darstellerin des Jahres – die jüngste Gewinnerin dieses Preises überhaupt.

Weitere Filmerfolge: „The Bad New Bears“ (1976; dt. „Die Bären sind los“), eine Baseball-Komödie mit Walter Matthau, für die Tatum O’Neal die bisher höchste Gage für eine Kinderdarstellerin erhält, sowie „Nickelodeon“ (1976), eine zwar gefloppte aber von der Kritik hoch gelobte Komödie über die Anfänge der amerikanischen Filmindustrie.

Das schwierige Privatleben beeinträchtigt die Karriere der Schauspielerin, die sich nach der Geburt dreier Kinder während ihrer Ehe mit dem Tennisspieler John McEnroe (1986-1994) weitgehend ins Privatleben zurückzieht. Persönliche Probleme lassen O’Neal, die schon früh Erfahrungen mit Rauschgift gemacht hatte, erneut der Sucht verfallen. Erst nach mehrfachen Klinikaufenthalten gelingt es der Schauspielerin, von den Drogen freizukommen. Das Auf und Ab ihres Lebens hält Tatum O’Neal 2004 in ihrer Autobiografie „A Paper Life“ fest, die als Skandalchronik große Aufmerksamkeit erfährt, die Bestsellerlisten erklimmt und Tatum O’Neal den Weg zurück ins Rampenlicht ebnet.