Dornröschen und die Hexe, Teil 2
Dornröschen wird vom Prinzen wachgeküsst – und die böse Tante, durch deren vergiftete Spindel sie in hundertjährigen Schlaf versetzt worden war, gibt wieder mal keine Ruhe. Klingt wie ein Alptraum? Genau: Und diese Story erzählt der Autor von Bestsellern wie „Ender“ und „Alvin Maker“ in spannender und höchst einfallsreicher Manier. Es war mir kaum möglich, das Buch aus der Hand zu legen.
Der Autor
Orson Scott Card wurde 1951 in Richland, Washington, geboren. Er erlangte einen legendären Ruf im Science-Fiction-Genre, als er mit den ersten beiden Bänden der ENDER-Serie zweimal hintereinander den Hugo- und den Nebula-Award gewann.
Er hat bislang über 60 Romane geschrieben, etliche Kurzgeschichten, ein Dutzend Theaterstücke, ein Musical, hunderte von Hörspielen und mehrere Drehbücher für Videospiele. Sein umfangreiches Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, er selbst kommt des öfteren zu Conventions in Europa. Und er hat, wie man hört, es geschafft, dass Andreas Eschbachs Roman „Die Haarteppichknüpfer“ im April 2005 in den USA erscheint – im Hardcover.
Er ist Vater von sechs Kindern , von denen eines an Zerebralparese starb. Heute lebt er mit seiner Frau Kristine und seiner jüngsten Tochter in Greensboro, North Carolina. Zwischenzeitlich stand er der „Kirche der Heiligen der letzten Tage“ (vulgo: Mormonen) nahe, hat sich aber inzwischen von ihr abgewandt. Aber es erklärt, warum er sich mit allen, selbst den obskursten Büchern der Bibel (Neues und Altes Testament sowie die Apokryphen) hervorragend auskennt.
Handlung
Als der junge Ivan auf die merkwürdige Lichtung in einem dichten Wald am Rande der ukrainischen Karpaten joggt, ändert sich sein Leben für immer. Jenseits einer schmalen, kreisförmigen Schlucht liegt eine junge Frau schlafend auf einem Podest – die schöne Prinzessin Katerina. Doch in den Blättern, die die Schlucht fast ganz füllen, bewegt sich ein unheimliches Wesen, das die schlafende Schönheit bewacht. Ivan flieht vor der unbekannten Gefahr, doch in seinen Träumen kehrt er immer wieder auf die Lichtung zurück.
Seine jüdische Familie leidet im sowjetischen Russland unter Repressalien und siedelt nach Amerika über. Dort studiert Ivan die alte russische Sprache und Literatur; er und sein Vater unterhalten sich in Proto-Slawonisch, während seine Mutter stets das Russisch aus Kiew spricht. Ivan hätte sich nie träumen lassen, dass auch sie Slawonisch versteht und eine Magierin ist.
Es kommt, wie es kommen muss: Zwar hat sich Ivan bereits mit einer Kommilitonin, der christlichen Amerikanerin Ruth, verlobt, doch er will für seine Doktorarbeit die alte Heimat besuchen und linguistische Forschung betreiben. Früher oder später landet er wieder in jenem alten, dichten Wald und erkundet die magische Lichtung. Diesmal flüchtet er nicht, sondern bezwingt das Ungeheuer, küsst die Prinzessin aus ihrem magischen Schlaf auf und folgt ihr über eine plötzlich erschienene Brücke, als sie ihn auffordert, ihr zu folgen. Er versteht sie perfekt, auch wenn sie seltsamerweise Proto-Slawonisch mit einem Akzent spricht. Und so landet Ivan nackt in Katerinas Königreich im 9. Jahrhundert. – Doch als die böse Zauberin bemerkt, dass ihr Bann gebrochen und ihr Ungeheuer bezwungen ist, macht auch sie sich auf, nach dem Rechten zu sehen. Ihr Name verbreitet Furcht und Schrecken unter alten wie auch modernen Russen: Es ist die Hexe Baba Yagá.
Mein Eindruck
Diese Inhaltsangabe gibt ungefähr die ersten 150 bis 200 Seiten wieder, also nicht einmal die Häfte dieses wunderbaren Garns. Card hat geschickt Magie und moderne Welt, Geschichte, Religion und Legende miteinander verwoben. Das Ergebnis ist eine abenteuerliche Liebesgeschichte über Zeiten, Kulturen und Sprachen hinweg. Völlig unterschiedliche Glaubens- und Wertesysteme müssen sich miteinander auseinandersetzen. Das ist ein ernstes, sehr aktuelles Thema.
Und doch fehlt auch der Humor nicht, so etwa als Katerina sich über Ivans Scham lustig macht, als er ihre Welt betritt. Er hat die Frechheit, ihre Frauenkleider auszuleihen, um seine Blöße zu bedecken – diesen Fauxpas wird er noch bereuen. Der Bösewicht in dieser Geschichte ist natürlich Baba Yagá.
Sie folgt dem Liebespaar selbst noch ins moderne Amerika und richtet dort nicht nur im Luftverkehr Unheil an. Man nimmt ihr die Bosheit ebenso ab wie die Macht, über die sie verfügt. Die arme Ruth, mit der neuen Gattin ihres Verlobten Ivan konfrontiert, wird ihr leichtgläubiges Opfer, das beinahe Ivans Tod herbeiführt. Und am Ende ist Baba Yagá keineswegs vernichtet, sondern nur geschwächt… (Gelegenheit für eine Fortsetzung?)
Hinweise
Der Roman wurde laut Wikipedia.de bislang noch nicht übersetzt. „Enchantment“ erfordert fortgeschrittene Englischkenntnisse und auch ein wenig Ahnung von der jüdischen Kultur. Alle sonstigen notwendigen Einzelheiten weiß der Autor mitzuliefern. Zur Leseprobe.
Taschenbuch: 415 Seiten
Sprache: Englisch
Originaltitel: Enchantment
Ballantine DelRey, New York City
ISBN-13: 978-0345416889
Ballantine Del Rey
Der Autor vergibt: