O’Shea, Pat – Meute der Mórrígan, Die

Pat O’Shea, Jahrgang 1931, hat 13 Jahre an diesem Roman gearbeitet, und es hat sich gelohnt. 1985 erschien dieses wundervolle, heitere Buch für Kinder und Erwachsene bei |Oxford University Press|, 1995 erschien eine gebundene Fassung beim |Verlag Freies Geistesleben|, 2001 präsentierte es der |Deutsche Taschenbuch Verlag| auch denjenigen hiesigen Lesern, die Englisch nicht (so gut) beherrschen oder Originallektüre scheuen. Die lange Verzögerung hat das Werk nicht verdient, aber besser spät als nie. Freunde guter Kinderbücher werden es mögen, Freunde irisch-keltischer Mythologie ebenso.

Worum geht es? Eines Tages findet der zehnjährige Pidge in einem Antiquariat ein paar alte Blätter, eins davon zeigt ein kompliziertes Muster, das sich beim näheren Hinsehen als eine Schlange offenbart – die böse Schlange Olc-Glas. Es ist mit einem zweiten Blatt zusammengeklebt, auf dem ein Bannspruch des Heiligen Patrick höchstselbst geschrieben steht; aber nun lösen sich beide Blätter voneinander, und allerlei merkwürdige Ereignisse nehmen ihren Anfang. Seltsame dünne Leute mit spitzen Zähnen interessieren sich sehr für Pidge und seine fünfjährige Schwester Brigit, in ein benachbartes Glashaus ziehen die zwei merkwürdigen Damen Melody Mondlicht und Breda Ekelschön ein, und die neue Stute, die Pidges Vater just an diesem Tag gekauft hat, beherbergt eine unheimliche Präsenz. Schnell begreifen die Geschwister, dass sie das Schlangen-Blatt vor Feinden verbergen müssen. Eine fast unlösbare Aufgabe, denn Melody, Breda und das Wesen in der Stute (das diese zum Glück bald verlässt) sind Macha, Bodbh und die Mórrígan, drei Schlachtendämoninnen oder auch Kriegsgöttinnen, die eins sind. Sie bieten all ihre Kraft auf – nicht nur, um das Blatt zu bekommen, sondern auch, um Pidge und Brigit daran zu hindern, einen Stein mit dem Blut der Mórrígan zu finden. Oder besser: Sie wollen diesen Stein an sich bringen. Kann die Mórrígan ihn in die Hände kriegen, kann sie ihr schwach gewordenes Blut mit diesem Tropfen wieder stark machen, Olc-Glas töten und sich seine Bosheit einverleiben; die gesamte Schöpfung wäre dann von ihr bedroht. Gelingt es den Geschwistern, den Stein zu behalten, können sie mit dem Blut Olc-Glas vernichten und die Welt retten. Zum Glück helfen ihnen die guten Götter: der Dagda, Angus Óg, der Gott der Liebe, und Brigit, die Göttin des Herdfeuers; es helfen auch der mythische Held Cúchulain, viele Tiere und andere Geschöpfe.

Pat O’Shea schreibt mit einer geradezu übersprudelnden Fülle von Einfällen und mit ständig präsentem, feinsinnigem Humor, den Übersetzerin Bettine Braun gekonnt ins Deutsche übertragen hat. Die Diktion und der Reigen skurriler, liebenswerter Figuren erinnern stark an Lewis Carroll; wer Bücher wie „Alice im Wunderland“, „Der Zauberer der Smaragdenstadt“ oder „Der kleine Prinz“ mag, wird dieses Buch ebenfalls liebgewinnen. Es ist für Kinder zum Lesen oder Vorlesen geeignet, auch für kleinere, denn es bietet eine einfache und dennoch kunstvolle Sprache, hält mit den Geschwistern zwei starke Identifikationsfiguren bereit und beinhaltet – ohne zu moralisieren – sehr viel Lebensweisheit, auf fast beiläufige, aber einprägsame Art vorgetragen. Ein sehr schönes Beispiel ist die Unterhaltung mit dem Fuchs Curu, dem vielleicht besten Freund der Kinder, der sich bitter über die Fuchsjagd beklagt und beweist, dass Füchse nicht Schädlinge, sondern sehr nützlich sind, auch wenn sie einmal ein Huhn stehlen. (Wer danach noch immer ein Fan dieses Mordsports ist, dem kann nicht mehr geholfen werden.)

Spannung und auch gruselige Momente kommen natürlich nicht zu kurz, jedoch zerstören diese Szenen, bei allem Ernst, nicht den heiteren Zauber des Buches. Man erkennt die Sicht der Autorin: Zum Leben gehört auch das Gefährliche und Dunkle, ohne dass die Schönheit des Ganzen darunter leidet. Pidge und Brigit müssen viele Abenteuer und Gefahren bestehen, und manchmal wird sich beim Vorlesen ein kleines Kind vielleicht auch unter die Decke verkriechen, aber doch immer mit der festen Gewissheit, dass am Ende alles gut ausgeht. Und noch öfter wird geschmunzelt werden; zwar entbehrt dieser Roman jeder hemdsärmligen Comedy, doch der feine Humor ist überall präsent, bis in die liebevolle Zeichnung der Nebenfiguren hinein (einer davon, dem Wachtmeister, der am Ende geläutert wird, gehört sogar der Epilog). Selbst die Vertreterinnen des Bösen, zumindest Melody und Breda, haben lustige Szenen und wirken bisweilen eher skurril als finster. Es ist überhaupt erstaunlich, wie Pat O’Shea die Götter- und Heldengestalten Irlands zum Leben erweckt und dem Leser nahe bringt. Gleiches gelingt ihr mit der Landschaft der Grünen Insel, die auch die Landschaft der Anderswelt Tír-na-nÓg ist, in der die Geschwister den größten Teil ihrer Abenteuer bestehen müssen und die eine liebevoll gezeichnete Kulisse für die Handlung bildet, nicht in langen Schilderungen ausgewalzt, aber ständig präsent und einprägsam in den Details.

Kurzum: ein großartiges Buch!

|Orginaltitel: The Hounds of the Mórrígan
übersetzt von Bettine Braun|

_Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|