P. D. Baccalario – Cyboria: Die geheime Stadt

Reise mit Roboter: Das Geheimnis der Vergangenheit der Zukunft

Europa, 1910. Endzeitstimmung. Drei brillante Köpfe haben eine grandiose Idee: Sie wollen eine „ideale“ Stadt bauen, in der sie und einige Auserwählte den Untergang der bekannten Welt überleben können: Cyboria.

Pisa, heute: Der 13-jährige Otto ist ein Nachfahre des berühmten Atamante Folgore Perrotti, Mathematikgenie und Physiker, außerdem Anwärter auf einen Platz in der geheimen Stadt. Atamante hatte den Platz um der Liebe willen abgelehnt, sein Wissen um Cyboria jedoch verschlüsselt weitergereicht. Und nun erbt Otto die geheimnisvolle Schachtel mit dem Rätsel, dass sein Großvater nie lösen konnte … (Verlagsinfo)

 

Empfohlene Hintergrundlektüre: http://en.wikipedia.org/wiki/Futurism sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Futurismus (völlig verschiedene Artikel!).

Der Autor

Pierdomenico Baccalario wurde 1974 in Piemont geboren. Schon früh begeisterte er sich fürs Lesen und durchstöberte die riesige Bibliothek seiner Eltern nach abenteuerlichen Geschichten. An der literarischen Schule schrieb er selt Geschichten, erfand Rollenspiele und die dazu passenden Welten. Nach der Schule studierte er zunächst Jura, bevor er sich dem Journalismus und dem Schreiben zuwandte. Gleich für seinen ersten Fantasyroman „Die Straße des Kriegers“ wurde er ausgezeichnet. Seine Bücher werden weltweit in über 20 Sprachen übersetzt. Bekannt ist er auch unter dem Pseudonym „Ulysses Moore“.

Handlung

Otto ist mit 13 Jahren schon ein gewiefter Gymnasiast. Er fährt mit seinen Radfahrerkünsten seinen Feinden, die ihn auf Motorrollern verfolgen, einfach davon. Auch sonst ist er ein einfallsreicher Bursche, der seine Fantasie und Entschlossenheit von seinem großen Vorbild, Großvater Primo, geerbt hat. Doch nun liegt Opa im Sterben, was Otto sehr traurig macht. Doch mit seinem letzten Satz überträgt er Otto eine Aufgabe, von deren Dimensionen der Junge vorerst keine Ahnung hat: „Öffne die Schachtel!“

Erst als der arrogante und hinterhältige Graf Liguana auf Opas Totenfeier merkwürdige Fragen und zweideutige Bemerkungen macht, ahnt Otto, dass es in seiner Familie möglicherweise ein verborgenes Geheimnis gibt. Warum hat sich der Graf in Opas achteckiger Bibliothek so genau umgesehen und das Gemälde eines gewissen Zisch so eingehend begutachtet?
Das Rätsel wird keineswegs klarer, als der Notar das Testament vollstreckt. Neben dem üblichen Alleinerbe, das an seine Eltern fällt, wird aber auch Otto selbst bedacht. Da ist sie, die geheimnisvolle Schachtel. Darin findet er einen Brief und einen geometrisch geformten Körper, der sich wie ein Zauberwürfel verformen lässt und dessen dreieckige Flächen jeweils mit einer Zahl beschriftet sind: ein Ikosaeder.

Opa ist es laut Brief nie gelungen, das Gebilde, das er von Ottos Ururgroßvater Atamante Perotti Folgore geerbt hatte, zu entschlüsseln. Aber die damit verbundene Anweisung war und ist klar: „Geh du!“ Aber wohin? Otto versucht, die Zahlen zu nutzen, aber das bringt ihn genauso wenig weiter wie eine Untersuchung seines Stammbaums und eine Betrachtung des Zisch-Gemäldes. Erst ein Traum zeigt ihm die Zusammenhänge. Und so wendet er sich an Tante Medea.

Tante Medea ist Archäologin und lehrt an der Scuola Normale in Pisa. Zum Ärger von Ottos eigener Mama ist Medea unabhängig und unverheiratet, und das mit stattlichen 40 Jahren! Ihr feuerrotes Haar spricht Bände, und im Mittelalter hätte man sie garantiert als Hexe verbrannt. Aber Medea besitzt auf dem Dachboden ihres kleinen Häuschens einen alten Schatz: die Briefe und das Tagebuch ihrer Urgroßmutter Armilla, die mit Atamante seit 1916 verheiratet war.

Der Physiker und geniale Mathematiker Atamante gehörte der europäischen Bewegung des Futurismus an. Geschwindigkeit war ihr Credo und Erneuerung ihr Programm. Hinfort mit den alten Klamotten des 19. Jahrhunderts, neue Menschen braucht das Land! Ein gewisser Ettore Zisch, ein deutsch-italienischer Gelehrter, war angeblich ebenso in der Pisaner Gruppe wie Conte Liguana, der Vorfahre des heutigen Grafen Liguana, den Otto schon kennengelernt hat.

Doch im 1. Weltkrieg wurde der Anführer der Gruppe ebenso wie Zisch und Liguana bei einem U-Boot-Angriff auf ihren Dampfer getötet. Wirklich? Otto glaubt nicht so recht daran. Man könne seinen Tod auch vortäuschen, um einfach unbehelligt zu verschwinden, meint er zur erstaunten Medea. Und warum weigerte sich ausgerechnet Atamante, an dieser verhängnisvollen Reise teilzunehmen? Er wollte Armilla aus Liebe zu ihr nicht verlassen. Medea ist gerührt. Aber Otto findet das sonderbar.

Der wichtigste Hinweis ist jedoch Armillas eigener Name. Eine Armillarsphäre ist nämlich eine Kugel, die aus den Bahnen der Planeten besteht, abgebildet als Ringe aus Holz oder Metall, alle voll beweglich. Da alle Planetenkugeln über diese Ringe miteinander zusammenhängen, kann man durch Bewegen einer einzelnen Planetenkugeln sehr leicht herausfinden, wo sich die anderen Himmelskörper zu einem bestimmten Zeitpunkt, beispielsweise Neujahr, befinden würden.

Tante Medea, stets aufgeweckt, weiß auch, wo sich die allerberühmteste Armillarsphäre der Welt befindet: im Wissenschaftsmuseum zu Florenz. Als sie dort eintreffen, ahnen sie nicht, dass sie bereits von einem Schergen des Grafen Liguana beschattet werden. Inzwischen hat Otto auch das Rätsel des Ikosaeders gelöst: Alle Zahlen darauf gehören zu Planeten: Durchmesser, Umfänge, Umlaufzeiten ihrer Bahnen. Bei der Zahl 365,26 hätte bei ihm eigentlich der Groschen fallen müssen: Es ist die Länge des irdischen Jahres. Er würde sich am liebsten selbst in den Hintern treten.

Nun brauchte er nur noch die Flächen des Gebildes in der richtigen aufsteigenden Reihenfolge – gemäß der Planetenhierarchie der Renaissance mit der Erde an erster Stelle – einzudrücken. Das Gebilde verwandelte sich und setzte eine Energiequelle frei: einen bläulichen Blitz, wie er dem Familiennamen Folgore – italienisch für „Blitz“ – alle Ehre machte.

Als er nun dieses „Blitz-Dings“ auf Santuccis riesige Armillarsphäre in Florenz richtet, beginnt diese sich zu bewegen! Tante Medea gerät bereits in Panik: „Wenn uns jemand bei dieser Sachbeschädigung sieht, landen wir alle für Jahrzehnte im Kerker!“ Doch niemand kommt, denn sie hat den einzigen Wächter beruhigt und fortgeschickt. Und so kann Otto seelenruhig abwarten, was die in Bewegung geratene Sphäre macht.

Als diese mit Rotieren fertig ist, zeigt sich eine Öffnung. Dieser entsteigen erst ein Paar Füße, dann ein Paar Arme, schließlich ein spindeldürrer Körper und zu guter Letzt ein länglicher Kopf mit ein paar Löchern darin, die an Augen und einen Mund erinnern. Otto staunt: ein Roboter!

„Gestatten? Galeno, bitte“, steht sich die Maschine artig vor. Tante Medea würde am liebsten schreiend weglaufen, aber Otto grinst. Und erteilt Galeno den ersten Befehl. Denn Galeno ist der Führer, der ihn direkt zum Geheimnis der Familie Folgore leiten kann …

Mein Eindruck

Baccalarios turbulenter Jugendroman verarbeitet eine mittlerweile fast völlig vergessene Sturm-und-Drang-Zeit der italienischen, ja, der europäischen Geistesgeschichte: den Futurismus. (Siehe dazu die beiden o.a. Artikel in der Wikipedia.) Angeführt von ihrem Vordenker Marinetti, der 1909 in Paris das erste Manifest veröffentlichte (und dessen Zitate den Buchteilen vorangestellt sind), bemühten sich einige Visionäre um eine Ausrichtung des Menschen des neuen Jahrhunderts auf die Kultur der Maschine und der Technik. Sie wollten den neuen, den aufgeklärten, intelligenten Menschen schaffen – oder ihn wenigstens durch Planung und Vorbereitung ermöglichen.

Die Idealstadt

Der Anfang sollte, gemäß Baccalarios Darstellung, der Bau einer Stadt neuen Typs im Geheimen sein. Daher verwundert es nicht, dass so manche Passage in der Reise dorthin wie ein Auszug aus einem von Jules Vernes Zukunftsabenteuern wie „Robur“ anmutet. Roboter, also künstliche Helfer, und eine schier unerschöpfliche Energiequelle namens „Lumen“ (= Licht), die aus menschlichen Ausscheidungen und Abfall gewonnen wird, machen das neue, bestens versteckte Utopia möglich. Es ist autark und steuert sich selbst: ein Idealzustand. Aber auch Platons Idealstaat?

Terminatoren

Nichts Neues kann alleine bestehen bleiben, denn es muss sich stets mit dem Bestehenden auseinandersetzen und ein Gleichgewicht damit finden. 1939 war die Stadt Cyboria zwar fertig, aber leider fast völlig ohne Bewohner, von ihren drei Gründern und den Robotern mal abgesehen. Just als die zweite Phase, die der Besiedlung, beginnen sollte, brach der Zweite Weltkrieg aus und machte die Pläne der friedliebenden Gründer zunichte. Sie sandten fünf Killermaschinen aus, um die Führer der fünf kriegsführenden Nationen zu töten und den Krieg zu stoppen. Das erscheint heute reichlich naiv. Aber der Punkt ist, dass von diesen fünf Terminatoren einer noch völlig funktionsfähig ist und Otto unangenehme Bekanntschaft mit ihm macht.

Als Otto aufbricht, um mit Tante Medea und ihrem Verlobten Jago nach Cyboria zu suchen, ahnt er nicht, dass er sich in den hundert Jahre alten Konflikt zwischen den Perottis und den Liguanas begibt. Und die Liguana verfügen nun mal über den letzten Terminator. Dies alles wird nur ganz allmählich und sehr wirkungsvoll enthüllt, so dass jedes Kapitel mit einer Überraschung aufwarten kann. Schließlich kommt es auf der Insel, wo Cyboria verborgen liegt, zu einem actionreichen Showdown.

Innovationen

Die Handlung ist ein Vorwand, die zahlreichen Neuerungen der Futuristen vorzustellen. Dazu gehören ein Haus auf Stelzen, das mitten in Paris steht – und sich nach der Aktivierung durch Otto plötzlich auf den Weg macht, um seine Bewohner zu einem ganz bestimmten Punkt außerhalb der Seine-Metropole zu bringen: zu einem Luftschiff, das hier nach seinem Erfinder „Zischelin“ (statt „Zeppelin“) genannt wird.

Auch die Züge sind nicht ohne. Der „Zug des Südens“ rast mit 400 Sachen durch die Pampa, und dann auch noch über intelligente Brücken, die sich gerade im letzten Augenblick rechtzeitig erheben, um ihn drüberfahren zu lassen. Mit solchen Risiken hat Jago, der Galan von Tante Medea, seine liebe Not. Das Adrenalin macht ihm schwer zu schaffen. Bloß gut also, dass mit dem Roboter Galeno eine wahrhaft coole Persönlichkeit an den Kontrollen sitzt. An diesem Punkt trifft Baccalario sein Vorbild Isaac Asimov. Allerdings verliert er kein Wort über die drei Robotergesetze. (Vielleicht ist das aus Copyrightgründen auch besser so.)

Aufstand der Roboter

Cyboria ist nicht die neue Stadt der Zukunft, sondern auch völlig verlassen, wie Otto feststelle muss – bis auf ein Wesen, mit dem er und Galeno zuallerletzt gerechnet hätten: Theo ist der Wächter der verlassenen Stadt. Er hat seine ganz eigenen Ansichten, wie die Stadt ohne Bewohner zu verwalten ist und fortzubestehen hat. Beispielsweise hat er alle anderen Roboter um ihre Energiequellen beraubt, sie also quasi in einem Feldzug „getötet“ und ihre Batterien für sich gehortet: Kannibalismus oder purer Selbsterhalt? Isaac Asimov könnte uns dazu sicher einiges sagen.

Und nun kommen die Fremdlinge in SEINE Stadt, um sie zu übernehmen. Theo hat dagegen verständlicherweise gewisse Einwände und setzt sie alle einen nach dem anderen außer Gefecht. Fürsorge ist sein Programm – notfalls bis zum Exitus der so Bedachten. Theo ist weder gut noch böse, sondern einfach nur selbstsüchtig – er ist der „Gollum“ von Cyboria.

Galeno jedoch betrachtet sich als „Freund“ – ein völlig neuer Begriff für den Roboter – von Otto und beschützt ihn. Theo reagiert wie erwartet, bis Otto einschreitet. Zusammen müssen es die drei schließlich mit dem ultimativen „bösen“ Roboter aufnehmen, den Terminator, der auf den bezeichnenden Namen „Calibano“ hört.

Die Insel des Zauberers

Dieser Name ist ein deutlicher Hinweis auf Caliban, das Ungeheuer aus Shakespeares Stück „Der Sturm“, in dem Schiffsbrüchige auf eine unbekannte Insel gelangen und dort Bekanntschaft mit einem Zauberer (Prospero), seiner Tochter Miranda („O brave new world that has such men!“) machen. Prosperos Diener sind der gute, aber mutwillige Luftgeist Ariel und der verunstaltete Caliban, der Sohn der Hexe Sycorax (mit wem sie ihn wohl gezeugt hat? Dreimal darf man raten.).

Es wäre sehr reizvoll, Cyboria, die auf einer Insel liegenden Stadt der Zukunft, mit der Insel des Zauberers zu vergleichen. Dafür ist hier allerdings kein Platz. Auch ein Blick auf Tad Williams‘ Variation der Geschichte von Caliban, Prospero und Miranda könnte sich lohnen. Wie der Kampf der Verteidiger Cyborias gegen Caliban, den „Sohn“ des fiesen Grafen Liguria, der höchstpersönlich auftaucht, ausgeht, darf hier nicht verraten werden.

Die Übersetzung

Die Sprache des Jugendbuches musste so einfach wie möglich gestaltet werden, damit auch Kinder ab zwölf Jahren den Text verstehen. Und wie ich hoffentlich gezeigt habe, wartet dieser Text mit anspruchsvollen Ideen und Geschehnissen auf. Die Übersetzerin konnte diesen Spagat mitmachen und ermöglicht ein flüssiges Lesen, das das Verständnis erleichtert.

Sehr schön fand ich die typografischen Variationen des Textes. Angefangen beim Stammbaum der Perottis auf S. 43 nutzt der Text andere Schriftarten, um die historische oder persönliche Dimension eines Dokuments zu verdeutlichen. Das Tagebuch von Armilla etwa ist in einer Skript-Schriftart gedruckt, deren Entzifferung ebenso anspruchsvoll ist, als wäre dies ein echtes, handgeschriebenes Manuskript. Das ästhetische Gegenteil ist wohl ein Zeitungsartikel auf S. 254, der über das verschwundene Haus in Paris berichtet, das einfach auf und davon gegangen ist, als wäre es die Hütte der russischen Hexe Baba Jagá (die bekanntlich auf Hühnerbeinen umherstolziert).

Zweifelsfälle

Die Anzahl der Druckfehler lässt sich an den Fingern einer Hand abzählen, ist also vernachlässigbar. Kopfzerbrechen bereiteten mir ganz andere Dinge. So etwa wartet Otto auf S. 19 mit der exakten Länge eines Lichtjahres in Kilometern auf: Es sind 9463 Miliarden km, also 9,463 Billionen km. Mein Problem war, dass ich in einer englischen Story folgende Angabe gemerkt hatte: „9, 463 trillion kilometers“. Was war nun richtig? Die Antwort: beides! Die Erklärung: Im Englischen sind deutsche Billionen einfach „trillions“, denn so etwa wie „milliards“ oder gar „billiards“ kennt die englische Sprache nicht; es sind Wörter aus dem Französischen.

Eine weitere knifflige Sache war laut „Cyboria“ der Name der angeblichen Mitbegründerin des Futurismus, Elisabeth BUWLER-LYTTON. Ab S. 97 taucht er häufig auf. Das Problem: Es gibt einen berühmten britischen Autor und Politiker namens Edward BULWER-LYTTON, dessen Roman „Das kommende Geschlecht / The coming race“ 1871 nichts Geringeres als die Geburtsstunde der Science-Fiction darstellt: eine Gegen-Utopie mit einem kompletten Gesellschaftsentwurf. Diese Geschichte ist also eng mit „Cyborias“ Idealstaat verwandt.

Wie meine Recherche ergeben hat, hat Elisabeth BUWLER-LYTTON nie existiert. Hätte sie aber tun sollen, denn schließlich sollte auch eine Frau an einer wichtigen Bewegung teilnehmen. Elisabeth war in Cyboria zuständig für das Gesundheitswesen und Medizin. Dass ihr Name sich nur durch zwei getauschte Buchstaben von dem des großen Autors unterscheidet, deute ich als Hommage an die Ideen aus „Das kommende Geschlecht“.

Unterm Strich

In „Cyboria“ geht es um die Zukunft, um Befreiung aus alten Zwängen und den Entwurf einer neuen Zukunft, der inzwischen schon veraltet ist. Was ist also der Maßstab für die Zukunft? Genau dies müssen die Figuren dieses Romans herausfinden. Wie sie dies tun, ist höchst vergnüglich, einfallsreich und spannend zu lesen.

Dabei gelingt es dem Autor, die beiden verfeindeten Familien sowohl in Vergangenheit als auch Zukunft genau zu zeichnen und ihre Unterschiede deutlich zu machen. Die Perottis sind einfallsreich, aber nur in jeder zweiten Generation. Die Ligurias hingegen sind höchst merkwürdig: Graf Ligurias ist, obwohl mittlerweile über 110 Jahre alt, immer noch am Leben, eine lebende Leiche, die immer noch Befehle gibt. Sein Sohn, der Graf, will sich ebenso aus diesem Joch befreien wie sein Sohn Jago. Jago musste bisher immer bloß ja sagen und kuschen, nun hofft er, durch die Liebe zu der außergewöhnlichen Frau Medea Befreiung zu erlangen.

Als sein Vater seinen Ersatz-Sohn Calibano auf Otto hetzt, ahnt er nicht, dass er damit seinen eigenen Sohn Jago (ein weiterer Sohn aus dem Werk William Shakespeares, diesmal aus „Othello“) in Lebensgefahr bringt. Der Kampf um die Stadt Zukunft ist also sowohl ein Kampf zwischen Vätern und Söhnen wie auch zwischen Brüdern. Merke: Wer die Zukunft erringen will, muss erst einmal seine eigene Vergangenheit bewältigen.

Das war den visionären Vätern des Futurismus offenbar leider nicht bewusst. Baccalario kritisiert sie mit seinem Jugendroman und entwickelt einen eigenen Ansatz: Solange die Technik (Roboter etc.) dem Menschen dient und nicht umgekehrt, ist das in Ordnung. Aber dort, wo der Mensch in das Joch des Un-Menschlichen gespannt werden soll, kann keine menschenfreundliche Zukunft errichtet werden. Die Konsequenz sind entweder Exodus (zu anderen Welten) oder das Ende des Menschen, wie wir ihn kennen.

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 4,00 von 5)

Taschenbuch: 320 Seiten
Originaltitel: Cyboria – Il risveglio di Galeno (2009)
Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler
ISBN-13: 978-3843210416

www.luebbe.de