Padura, Leonardo – Labyrinth der Masken (Teniente Mario Conde 3)

|(Verlagstext) Im Bosque de La Habana wird am 6ten August, am Tag der Verklärung Jesu, die Leiche eines Transvestiten gefunden. Als sich herausstellt, dass es sich bei dem Toten um Alexis Arayán, den Sohn eines angesehenen kubanischen Diplomaten, handelt, will sich bei der Polizei keiner die Finger verbrennen. Nur Mario Conde, für sechs Monate zum Erkennungsdienst strafversetzt, ist froh, nicht länger Karteikarten ausfüllen zu müssen, und springt ohne zu zögern ein. Seine Ermittlungen führen ihn zu Marqués, einen exzentrischen und legendären Theaterregisseur, der als Homosexueller geächtet in einem zerfallenden Haus lebt. Kultiviert, intelligent, und mit feiner Ironie begabt, führt dieser Conde in eine verborgene Welt ein und treibt gleichzeitig ein listiges Verwirrspiel.|

Im dritten Roman des Havanna-Quartetts „Labyrinth der Masken“ wird Teniente Mario Conde mit der Untersuchung des Mordfalls an einem jungen Homosexuellen beauftragt, der in Frauenkleidern in einem öffentlichen Park gefunden wurde. Alexis Arayán wurde mit einer roten Seidenschärpe erdrosselt und zwei Peso-Münzen steckten in seinem After. Stammt der Mörder aus dem Homosexuellen-Milieu?
Für Mario Conde ist der Mordfall eine Chance zur Bewährung, denn er ist zum Erkennungsdienst sechs Monate strafversetzt worden. Seine Kollegen beneiden ihn nicht um diesen Fall, denn das Opfer ist der Sohn des angesehenen kubanischen Diplomaten Faustino Arayán. Politische Kontrolle und Druck scheinen deshalb vorprogrammiert zu sein. Und als wäre dieses nicht genug, schnüffelt „ein Bataillon von internen Ermittlern“ im Kommissariat herum. Besonderes Interesse zeigen die Ermittler an Mario Conde.

|“Weißt du eigentlich, wo mir der Kopf steht? Meinst du, es wäre leicht, seine Arbeit zu tun, wenn ein ganzes Bataillon von internen Ermittlern hier in der Zentrale rumschnüffelt? Weißt du, wie viele Fragen mir Tag für Tag gestellt werden? Weißt du, dass bereits zwei unserer Beamten wegen Korruption entlassen worden sind und zwei weitere wegen Nachlässigkeit im Dienst suspendiert werden? Und kannst du dir vielleicht vorstellen, wem all diese Geschichten angelastet werden? Mir natürlich!“|

Die Ermittlungen führen Mario Conde und seinen Kollegen Manolo zu dem Regisseur Alberto Marqués, bei dem Alexis Arayán gewohnt hatte, seit er aus dem elterliche Domizil nach seinem Coming-out verwiesen worden war. Alberto Marqués ist ebenfalls homosexuell und wegen seiner sexuellen Orientierung vor vielen Jahren aus dem Theater verbannt worden. Alberto Marqués ist eine faszinierende Persönlichkeit: ein Mann aus der Welt der Literatur und des Theaters, ein Intellektueller und ein Individualist. Dieses muss sich auch der homophobe Mario Conde eingestehen.
Weil alle Spuren des Mordfalls auf einen Mörder aus dem Homosexuellen-Milieu hindeuten, lässt sich Conde auf Alberto Marqués ein, um mehr über Alexis‘ Bekanntenkreis zu erfahren und dabei möglicherweise den Mörder aufzuspüren. Marqués lädt ihn zu einer Homosexuellen-Party ein und Mario Conde nimmt die Einladung trotz großer Bedenken an. El Conde ist von Alberto Marqués beeindruckt, und als dieser ihm seine persönliche Geschichte erzählt, über den Hinauswurf, das nachfolgende Berufsverbot, den Strafdienst in einer kleinen Bücherei und weshalb er seitdem kein Theaterstück mehr aufgeführt hat, wird aus Condes anfänglich ablehnender Haltung allmählich Sympathie und Verständnis.

|“Wie dem auch sei, dachte (Conde), (Marqués) ist schwul, das jedenfalls ist nicht gelogen. Aber ich mag ihn, auch das ist nicht zu leugnen.“|

Leonardo Padura zeigt in „Labyrinth der Masken“ eine kubanische Gesellschaft, in der jeder eine Maske trägt – aus den unterschiedlichsten Gründen: teils, weil etwas verborgen bleiben soll; teils, weil man eine Rolle spielt, die man spielen möchte oder von der man glaubt, sie spielen zu müssen.
„Labyrinth der Masken“ ist ein packender, eindringlicher und stiller Roman, der mit seiner Kriminalgeschichte Zeitgeschichte einfängt und erklärt. Anders als in den beiden früheren Havanna-Romanen „Ein perfektes Leben“ und „Handel der Gefühle“, tritt hier die Zeitgeschichte stärker in den Vordergrund. Der Krimiplot wird deshalb nur mit dem Wohlwollen des Lesers zu einem befriedigenden Ende geführt. Dieses ist aber kein Makel, denn Leonardo Padura hat mit seiner Figur Teniente Mario Conde einen eindrucksvollen und charismatischen Protagonisten geschaffen, der auf den nicht weniger eindrucksvollen und charismatischen Homosexuellen Alberto Marqués trifft. Padura besitzt einen genauen Blick für Orte, Menschen, Situationen und Geschichte. Es gelingen ihm eindringliche Milieuschilderungen sowohl des homosexuellen Untergrunds als auch des Stadtviertels, in dem Conde aufwuchs und das einem stetigen Wandel unterliegt. Der Autor zeichnet auch Nebenfiguren mit starken Pinselstrichen und erweckt sie zu lebendigen, eigenständigen Persönlichkeiten. Mit ihnen fängt Padura die vielen Facetten des gesellschaftlichen Umbruchs ein – in kleinen, oft nebenbei erzählten Geschichten:

– von dem dünnen Carlos, dessen Ex-Freundin im Exil lebte und ihn jetzt besuchen möchte;
– von dem Roten, der illegal Bier verkauft und dabei agieren muss, als wäre er ein Drogenhändler;
– von dem Geliebten Alexis Arayáns, der sich die Maske abreißt.

Mit seiner starken Figur Mario Conde nimmt uns der Autor mit auf eine Entdeckungsreise in die kubanische Gesellschaft und auf Spuren des großen Umbruchs. Reales Vorbild der Figur Alberto Marqués ist der kubanische Dramatiker Virgilio Piñera, der mit einem Berufsverbot belegt wurde, weil er die Künstlern und Erziehenden abverlangten revolutionären Parameter als ein Ergebnis des „Kultur- und Erziehungskongresses“ von 1971 nicht erfüllte – wegen seiner Homosexualität und seiner gelebten Individualität. Heute ist Homosexualität in der kubanischen Gesellschaft kein politisches Problem mehr. „Es scheint beinahe, als ob sie nie eines gehabt hätten, so als wäre ihre Geschichte vergessen.“ (Leonardo Padura) Trotzdem werden Homosexuelle noch immer als abartig und Homosexualität als widerlich angesehen. An diese jüngere kubanische Vergangenheit möchte Leonardo Padura mit Alberto Marqués erinnern und „diese Erinnerung aus einem menschlichen Blickwinkel bewahren.“
Das „Labyrinth der Masken“ ist ein faszinierender, großartiger Roman, dem man viele, viele Leser wünscht.

_Claus Kerkhoff_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|