Walter Satterthwait – Eskapaden

Das geschieht:

Schloß Maplewhite in der englischen Grafschaft Devon ist im August des Jahres 1921 Schauplatz eines außergewöhnlichen Ereignisses: Lord Robert Purleigh, der Hausherr, lädt ein zur Séance mit dem berühmten Medium Madame Sosostris. Unter den illustren Gästen: Sir Arthur Conan Doyle, Schriftsteller und geistiger Vater des unsterblichen Sherlock Holmes, privat ein unverbesserlicher und recht leichtgläubiger Anhänger des Okkulten.

Dies trifft auf Harry Houdini, den außergewöhnlich begabten und maßlos von sich eingenommenen Zauber- und Entfesselungskünstler nicht zu. Er kennt die Tricks seiner Kolleginnen und Kollegen. In den letzten Jahren hat er sich verhasst gemacht, weil er falsche Magier und Medien entlarvt. Madame Sosostris‘ Karriere ist Houdini schon lange ein Dorn im Auge; sie will er auf Maplewhite beenden. Houdini ist außerdem auf der Flucht. Chin Soo, ein verärgerter Rivale, hat ihm den Tod geschworen. Houdini wird daher von Phil Beaumont vom Detektivbüro Pinkerton begleitet. Walter Satterthwait – Eskapaden weiterlesen

Morus, Thomas – Utopia

_Der Schöpfer der utopischen Insel_

Thomas Morus gilt als einer der größten Freidenker der britischen Geschichte und wird als einer der wichtigsten Philosophen und Schriftsteller seiner Zeit eingeordnet. Erasmus von Rotterdam sagte über Morus (dessen eigentlicher Name Thomas More war), dass |“dessen Seele reiner war als der reinste Schnee, dessen Genius so groß war, wie England nie einen hatte, ja nie wieder haben wird, obgleich England eine Mutter großer Geister ist“|.

Morus wurde am 7. Februar 1477 oder 1478 (nicht genau bekannt) in London geboren und genoss nach der Erziehung am Hofe des Lordkanzlers und Erbischofs von Canterbury, Jorn Morton, ein Studium am Canterbury College. 1492 kehrte er für ein Jahr nach London zurück, um dort eine juristische Ausbildung zu absolvieren. Sieben Jahre später trifft er zum ersten Mal auf Erasmus von Rotterdam. Kurze Zeit später verwirft Morus seine Pläne von einem Leben als Priester im Kloster und wird Mitglied des Parlaments. Dort macht er 1510 zunächst als Vertreter des Sheriffs in Rechtsangelegenheiten (in London) und später als Sprecher des Parlaments Karriere. 1529 schließlich tritt Morus die Nachfolge des abgesetzten Lordkanzlers Thomas Wolseys an, legt diesen Posten jedoch aus Protest gegen die antipäpstliche Politik von König Heinrich VIII. wieder nieder. 1535 wird Thomas Morus im Tower von London enthauptet.

Genau 400 Jahre später, nämlich 1935, wird Thomas Morus von Papst Pius XI. heilig gesprochen.

_Der Klassiker_

Das lateinische Urwerk „Utopia“ wurde von Thomas Morus 1516 veröffentlicht und diente dem Zweck, die zeitgenössische Politik in der Heimat durch fiktive Überspitzung anzuprangern. Erst 16 Jahre nach seinem Tod wurde das Buch in der englischen Sprache herausgegeben.

_Wohlstand und leichte Arbeit für alle …_

…, ein Liebesleben ohne Konflikte und Kultur von Kindesbeinen an – dies sind nur einige wenige der revolutionären Gedanken, die Morus in „Utopia“ erdachte. Morus erzählt in seinem zweiteiligen Buch die Geschichte des seefahrenden Philosophen Raphael Hythlodaeus, der zufällig auf die Insel Utopia gestoßen ist und diesen Ort als besonderen Hort der Harmonie kennen gelernt hat – dies alles zu einer Zeit, in der seine britischen Zeitgenossen von Krieg und Armut bedrängt waren.

Morus hat insgesamt eine überaus satirische Fassung des modernen Lebens erschaffen und in diesem Sinne auch keinen Unterpunkt des zwischenmenschlichen Miteinanders oder der gängigen Kultur ausgelassen. So beschreibt er in Person des Raphael Hythlodaeus die zu dieser Zeit revolutionäre Regierungsform, die gerechte Arbeitsteilung sowie Nichtigkeiten wie Ehebruch und Verbrechungen in relativ kurzen Abhandlungen und widmet sich weitaus detailreicher der Tugend und der Lust sowie dem Umgang mit den Staatseigentümern, dem Kriegswesen und dem Wert der Religion für die Beziehungen der Menschen auf Utopia.

Morus formuliert in „Utopia“ seine Idealvorstellung einer Gesellschaft, die nicht in einzelne Kasten aufgeteilt ist, sondern stattdessen mit gleichen Rechten, gleichen Voraussetzungen und einem hohen Maß an Lebenslust ausgestattet ist. Gleichermaßen betont Morus, dass diese Gesellschaftsform trotz der zu befürchtenden Konflikte problemlos funktioniert und Schändlichkeiten wie Verbrechen oder aber Neid nur in ganz wenigen Fällen auftreten und daher quasi als ’nicht existent‘ betrachtet werden dürfen.

Auf der anderen Seite äußert der Autor dadurch, dass er beschreibt, was „Utopia“ nicht ist, die Kritik an der Regierungsform und der Klassengesellschaft im Europa des 16. Jahrhunderts, ganz besonders in seinem Heimatland England. Dies war damals ein gewagter und natürlich von vielen kritisierter Schritt, den sich Morus aber als gebildeter Freidenker, einflussreicher Politiker und Idealist erlauben durfte. Leider konnte der Mann den Ruhm seines Werkes zu Lebzeiten nicht mehr ernten, der Wert des Inhalts ist aber dennoch bis heute unumstritten genial.

_Das Hörspiel_

Die hier vorgestellte Version ist nicht die einzige ihrer Art. Erst kürzlich hat es eine 4-CD-Version, gelesen von Hans Eckhardt, gegeben, die sich mit dem Gesamtwerk „Utopia“ beschäftigte. Die über den LIDO-Verlag erschienene Neuversion hingegen läuft unter dem Kommentar ’sorgsam gekürzte Fassung‘ und enthält in 173 Minuten nur das zweite Besuch, also die eigentliche Charakterisierung der Insel Utopia und ihrer Menschen. Ulrich Matthes als Vorleser wirkt zunächst noch ein wenig blass, weil er stets in derselben Tonlage spricht und – so meint man zunächst – die Vorlage nur so herunteredet, um die Zeit zügig abzuarbeiten. Doch genau dieses Trockene und Emotionslose zeichnet diese Lesung schließlich auch aus. „Utopia“ ist nämlich ein Bericht und keine spannende Erzählung. Und als Reisebericht vom Besuch einer seltsamen Insel, auf der die Welt so wunderbar und schön ist wie nirgendwo anders, auf der die Menschen frei von Problemen sind und wo man sich keine Sorge um das Durchstehen des nächsten Tages machen muss, eignet sich Ulrich Matthes‘ Stil wirklich perfekt.

_Der Vorleser_

Ulrich Matthes wurde in Berlin geboren. Nach ein paar Semestern Germanistik und Anglistik entschied er sich für die Schauspielerei. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den renommierten Gertrud-Eysoldt-Ring. Zuletzt war er in der Rolle des Joseph Goebbels im Kinoerfolg „Der Untergang“ sowie in Volker Schlöndorffs Film „Der neunte Tag“ zu sehen, für den er als bester Hauptdarsteller für den Deutschen Filmpreis 2005 nominiert wurde.

_Unterm Strich_

Leider liegt mir die andere oben angesprochene Hörbuch-Version von „Utopia“ nicht vor, um einen direkten Vergleich vorzunehmen. Unabhängig davon kann ich dieses 2-CD-Set nur wärmstens weiterempfehlen; zum einen, da es sich ausschließlich auf den Kern der Handlung beschränkt, und zum anderen, weil Vorleser Matthes mit seinem Vortrag dieses Klassikers der Weltliteratur eine tadellose Vorstellung gibt.

Linktipp: [Digitale Reproduktion]http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/more/utopia/ der Baseler Ausgabe von 1518.

Haas, Marc Alexander – Dunkelheit der Tage, Die

|“Viele hatten sich anfangs ein organisches Dunkel vorgestellt, eine pulsende Bauchhöhle der Metropole, eine tropfende, schleimabsondernde Peristaltik, die nach Licht und Zellen griff, die sich von Ausscheidungen nährte und nie gesehene blasse Kreaturen gebar, um eine erdabgewandte Seite zu bevölkern. Nässe und Moder hatten sie erwartet, rätselhafte Geschöpfe, transparente Schädellose, die in schwarzen Pfützen wimmelten, Altäre der Nacht metertief unter der Stadt.“|

Marc Alexander Haas‘ Roman „Die Dunkelheit der Tage“ erzählt die Geschichte einer Stadt und seiner eigentlich so alltäglichen Bewohner. Wir begegnen Maria, die sich nach der Trennung von Eric zu ihrer Freundin Greta in deren Kneipe flüchtet und die bei einem kleinen Zwischenfall im Supermarkt nicht nur den Obdachlosen Elias kennen lernt, sondern auch Henri, in den sie sich verliebt. Henri ist nach einem Brand arbeitslos und nimmt daher gezwungenermaßen einen Aushilfsjob auf dem Schrottplatz an. Er ist zu stolz, um auf das Angebot seines Freundes Tito zurückzugreifen, für ihn zu arbeiten. Maria und Henri nähern sich einander ganz allmählich an, und im Laufe des beschriebenen Jahres erleben wir Höhen, aber auch einige Tiefen ihrer Beziehung mit.

In der Geschichte treffen wir auf Greta, die in Scheidung von Paul lebt, der ihr zunächst noch hinterherläuft, dann aber bald eine neue Freundin hat. Greta ist die Einzige, die an Vincent herankommt. Er ist vielleicht der geheimnisvollste Charakter in der „Dunkelheit der Tage“, denn er taucht nur ganz sporadisch auf, eigentlich ist er stets auf der Suche nach dem tätowierten Mörder seiner geliebten Freundin Lara. Vincent ist ein undurchsichtiger Charakter, an den wir nicht herankommen, da auch seine Bekannten ihn nicht durchschauen können. Dennoch geht von ihm eine Faszination aus, der sich niemand entziehen kann.

Wir lernen Elias kennen, der in einer kleinen Baracke haust, aber immer wieder zugegen ist, wenn sich kleine Dinge ereignen; so passiert ihm im Supermarkt ein kleines Missgeschick, welches nur Henri durch sein beherztes Eingreifen ausbügeln kann. Elias möchte keine Hilfe seiner Freunde und Bekannten annehmen und feiert daher sogar Weihnachten und Silvester bei eisiger Kälte im Freien, aber immer wieder zeigt er seine Hilfsbereitschaft, er assistiert bei einer Geburt und hilft einer gehässigen Frau nach einem Sturz in ihren Rollstuhl hinein.

Dies sind nicht die einzigen Charaktere, die uns vorgestellt werden. Auf weniger als 400 Seiten stellt Marc Alexander Haas uns eine Vielzahl von verschiedenen Menschen vor und erzählt Teile ihrer Lebensgeschichte. So erfahren wir viele ihrer Eigenarten, Episoden aus ihrer Vergangenheit, aber wir erleben auch ihr aktuelles Leben mit. Im Laufe des Jahres in dieser dunkel gezeichneten Stadt werden Menschen begraben, aber wir schauen auch bei einer Geburt zu. Während die Jahreszeiten wechseln, findet also auch ein kleiner Wechsel der Generationen statt. Die Beziehung zwischen Maria und Eric ist vorbei, doch gibt es nach dem Kennenlernen zwischen Maria und Henri neue Hoffnung. So trostlos, wie Marc Haas uns die unbekannte Stadt präsentiert, baut er auch immer wieder kleine Oasen der Zuversicht ein, die die Geschichte leichter verdaulich machen, auch wenn wir sowohl Armut und Obdachlosigkeit als auch Arbeitslosigkeit und Beziehungskrisen miterleben müssen.

„Die Dunkelheit der Tage“ ist die Biografie einer Stadt samt einem Teil seiner Bewohner, viele völlig unterschiedliche Charaktere verfolgen wir und lernen dabei auf der einen Seite den armen Elias kennen, der für sein Überleben betteln gehen muss, aber wir treffen auch Tito, der von seinem vielen Geld Häuser kauft, die er einfach nur verfallen lassen möchte. Der Roman ist ein Wechselspiel aus Zuversicht und Verzweiflung. Nehmen wir beispielsweise Maria und Henri, die sich kennen lernen, als es Maria nach der Trennung von Eric nicht gut geht. An dieser Stelle muss Henri seine Arbeitslosigkeit verkraften, während es für Maria neue Hoffnung auf dem Arbeitsmarkt gibt, da Gretas Exmann ihr eine Ausstellung in Aussicht stellt. Aber kaum hat dieser eine neue Freundin, löst sich diese Hoffnung in Luft auf. Doch Henri kann helfen, denn er weiß sofort, dass Tito Maria helfen kann. Schon geht es mit den beiden bergauf, doch dann muss Henri den Aushilfsjob auf dem Schrottplatz annehmen und erfahren, dass sein neuer Arbeitgeber dubiose Geschäfte tätigt. Wir erleben alleine an diesem Teil der Geschichte ein ständiges Auf und Ab kennen.

Marc Alexander Haas gelingt der Aufbau einer dichten Atmosphäre und die authentische Zeichnung unterschiedlicher Charaktere. Allerdings fordert er viel von seinen Lesern, er überfrachtet seine Erzählweise völlig, sodass wir einen langen Atem brauchen, um uns durch das Dickicht an Adjektiven, Schachtelsätzen und Metaphern zu kämpfen. Viele Kunstworte werden eingefügt, um eine Sprache zu schaffen, die vielleicht in den Kontext passen mag, die ich aber nicht wie andere Rezensenten als musikalisch bezeichnen möchte, sondern als schwafelig und ermüdend. Auch ist die Geschichte völlig zerpflückt durch den ständigen Wechsel der Schauplätze. Kaum begleiten wir eine Figur auf einem Teil ihres Weges, springen wir schon zu einer anderen Person und erleben mit dieser eine Episode. Dieser ständige Wechsel ohne jeglichen roten Faden führt zu Verwirrung und dazu, dass wir Haas‘ Gedankengängen nicht so recht folgen können.

Meiner Meinung nach hätte der Autor sich auf die Zeichnung einiger weniger Charaktere konzentrieren sollen, dann wären sie uns vielleicht näher gebracht worden, aber Haas versucht die Vorstellung zahlreicher Personen auf wenig Raum und unterbricht seine Erzählung oftmals durch Einschübe, die uns inhaltlich nicht voranbringen, sondern in schier unerträglich schwülstiger Art und Weise eine Szenerie beschreiben wollen:

|“Schilf raschelt spröde; blasse, sehnsuchtsvolle Geschöpfe schälen sich aus der Finsternis, während drüben, im Dunkel des anderen Ufers, der Angler kauert. Geduldig bringt er seine Rute aus, schält das Gebein, aus dem er seine Haken schnitzt. Er zieht harlekineske Fische aus dem stillen Gewässer, und neben ihm hockt friedfertig der Tod. Verirrte Gestalten in der formlosen Dämmerung, vertraut und unvorstellbar fern zugleich, wie Karrenspuren aus der Bronzezeit. Ein Nachen liegt für den Wanderer bereit, er schwoit vor einer pulsenden Höhle, einem Gebirge aus Rauchquarz, von einer rätselhaften Lichtsystole durchblutet.“|

Wer sich von derart überladener Sprache nicht abschrecken lässt, sondern sie womöglich als Kunst bezeichnet, und wer die Geschichte einer Stadt und seiner Figuren kennen lernen möchte, der mag sich mit der „Dunkelheit der Tage“ anfreunden können, ich persönlich bin mit der Erzählung nicht warm geworden. Zu zerpflückt erschien mir der Text, zu schwafelig die Sprache und auch das Schicksal der Charaktere berührte mich nicht. Das vorliegende Buch ist kein Unterhaltungsroman, sondern ein schwer verdauliches Stück Literatur, das seine Leser herausfordert und viel Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen benötigt. Leider wird man nicht durch eine interessante Geschichte belohnt, sondern nur durch kleine Episoden verschiedener Charaktere, mit denen man sich nur halbwegs anfreunden kann.

David Hewson – Die Strohpuppe

Das geschieht:

Einige tüchtige Schläge hat das Schicksal der armen Alison Fenway bereits versetzt. Im Vorjahr war sie in ihrer Heimatstadt Boston nur knapp einem Großfeuer entronnen, hatte dabei allerdings ihr ungeborenes Kind und kurz darauf den Verstand verloren. Nach mehreren im Sanatorium verbrachten Monaten schien ein Tapetenwechsel ratsam. Ein glücklicher Zufall fügte es, dass Alisons Gatte Miles, ein gebürtiger Brite, von einer alten Tante Priory High, ein feudales Landhaus in den südostenglischen Downs, geerbt hat. Seinem Job als Bänker kann er auch dort nachgehen, und Alison ist einverstanden; sie will nur gesund und vor allem endlich Mutter werden, was bei ihr durchaus zur fixen Idee geworden ist.

Beulah, das kleine Dorf in den Hügeln der Downs, ist ein seltsamer Ort, in dem in gewisser Weise die Uhr stehengeblieben ist. Hier hält man es noch nicht mit der christlichen Kirche, sondern mit den uralten Naturgottheiten, die von den keltischen Vorfahren der braven Bürger verehrt wurden. „Burning Man“ ist eines der orgiastischen Feste, die man in Beulah feiert, wobei eine Strohpuppe im Rahmen eines Erntedankes verbrannt wird. Alison glaubt allerdings, in der Asche des Scheiterhaufens einen menschlichen Fingerknochen gefunden zu haben, was ihr arges Kopfzerbrechen bereitet. David Hewson – Die Strohpuppe weiterlesen

Chabon, Michael – letzte Rätsel, Das

89 Jahre ist Meisterdetektiv im Ruhestand Sherlock Holmes in diesem Jahr 1944 alt – ein immer noch hellwacher Geist in einem gebrechlichen Körper. Auf seinem kleinen Ruhesitz in der englischen Grafschaft Sussex lebt er auch im fünften Jahr des II. Weltkriegs geruhsam und züchtet Bienen, als ihn eines schönen Tages eine seltsame Begegnung aus seinem Trott reißt: Linus Steinman gehört zu jenen jüdischen Waisenkindern, die aus Nazi-Deutschland gerettet werden konnten, indem sie ins Ausland verschickt wurden. Die erlebten Schrecken haben den Jungen stumm werden lassen. Umso gesprächiger ist dagegen Papagei Bruno, der stets auf Linus’ Schulter sitzt und seinen Herrn begleitet. Bruno singt Lieder und zitiert Gedichte. Vor allen krächzt er immer wieder lange Zahlenreihen in deutscher Sprache. Sie scheinen ohne Sinn zu sein.

Doch Linus und Bruno stehen unter Beobachtung. In der Pension der Pfarrersfrau Panicker, wo man sie einquartiert hat, behält sie Mr. Shane, angeblich ein Handelsvertreter, genau im Auge. Shane wird wiederum vom misstrauischen Mr. Parkins, einem weiteren Gast, beschattet. Dann verschwindet Bruno, Mr. Shane liegt mit zertrümmerten Schädel neben seinem Wagen und der junge taugenichtsige Reggie Panicker jr. gilt als Mörder. Das ist zu viel des Stresses für den schlichten Landpolizisten Bellows, der sich plötzlich des alten Detektivs in der Nachbarschaft erinnert, von dessen Können und Hilfsbereitschaft ihm sein Großvater früher so oft erzählte. Holmes mag zwar erst nicht aus seiner Höhle kommen, doch eigentlich weiß er schon länger, dass ihm seine Bienenzucht als intellektuelle Herausforderung nicht genügt. Sherlock Holmes will wieder sein Spiel beginnen lassen, nur: Kann er es noch nach so vielen Jahren des Pausierens …?

Sherlock Holmes ohne Dr. Watson? Ermittelt wird nicht im nebligen London der Königin Victoria, sondern auf dem Höhepunkt des Kriegs gegen Nazi-Deutschland in einem Nest irgendwo auf dem Land? Mr. Holmes ermittelt nicht in tausend Masken, sondern ist ein schwacher Greis, der sich vor einer gebrochenen Hüfte fürchtet? Kann denn so eine „untypische“ Sherlock-Holmes-Geschichte überhaupt funktionieren?

Das kann sie sogar sehr gut, wenn ein Schriftsteller wie Michael Chabon sie schreibt, der einerseits intelligent mit dem Holmes-Mythos spielt, während er ihn andererseits kundig & liebevoll fortspinnt und ihn in eine (sorgfältig übersetzte) Prosa gießt, von der selbst Arthur Conan Doyle nur träumen könnte. Der Plot ist klug ausgetüftelt, ansprechend kompliziert und wird schlüssig aufgelöst. Zudem ist er zeitgemäß, d. h. er rankt sich um das ernste Thema des Naziterrors, ohne dass darüber die Krimi-Atmosphäre leidet. Viel ruhiger, trockener Humor ist im Spiel, immer wieder gibt es Überraschungen. Das Kapitel mit der Lösung des Rätsels wird gar aus der Sicht des Pagageis erzählt …

„The Final Solution“: Der Titel erinnert an die Originalstory „The Final Problem“, in der sich Doyle 1893 seines Helden entledigen wollte, indem er ihn in einen Wasserfall stürzte. Durch viel Geld gelockt, ließ ihn der Schriftsteller Jahre später wieder auferstehen. 1917 verfasste er die chronologisch letzte Holmes-Geschichte („His Last Bow“; dt. u. a. „Seine Abschiedsvorstellung“), in der ein gealterter Detektiv ein letztes Mal aus dem Ruhestand zurückkehrt. Auch der müde & melancholisch gewordene Holmes dieser Erzählung fließt in Chabons Kurzroman ein.

Zum Roman gehören die auch in der deutschen Ausgabe abgedruckten Zeichnungen des Künstlers Jay Ryan. Schon die originalen Holmes-Geschichten waren berühmt für ihre Illustrationen; Sidney Paget war es beispielsweise, der Holmes zu jener hageren Gestalt mit Deerstalker und Meerschaumpfeife machte, in der man ihn noch heute sieht. Sie kommentieren einerseits das Geschehen, ironisieren und konterkarieren es jedoch auf einer zweiten Ebene, indem sie Elemente dieser Bilder so verfremden, dass sie nicht abbilden, sondern kommentieren.

Sherlock Holmes als Greis, den ein mysteriöser Fall zu neuem Leben erweckt: Das ist eine Geschichte, die sogar noch interessanter zu lesen ist als das eigentliche kriminelle bzw. kriminalistische Geschehen. Anfangs lernen wir einen Holmes (er wird vom Verfasser übrigens niemals mit seinem Namen, sondern stets als „der alte Mann“ angesprochen) kennen, dessen Welt klein geworden ist. Ungern verlässt er seine warme Stube, weil ihn seine Körperkräfte verlassen; Demenzattacken erschrecken ihn, er verkriecht sich in seine Bücher und bereitet sich auf den Tod vor.

Doch tief in Holmes schlummert immer noch der alte Spürhund. Er ist spannend und rührend, wie Chabon sein allmähliches Erwachen beschreibt. Es hat sich viel verändert in der Welt. Richtig bewusst wird es Holmes selbst erst, als er zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren in das inzwischen von Görings Bombern und von Brauns Raketen verwüstete London zurückkehrt. Schritt für Schritt findet der eingerostete Meisterdetektiv zurück in seine alte Rolle. Er gewinnt an Vertrauen und Zuversicht und findet zurück zum intellektuellen Vergnügen, das er einst in die unsterblichen Worte fasste: „Das Spiel beginnt!“

Der Junge Linus Steinman erweist sich weniger als zweite Hauptfigur. Stattdessen fungiert er als Katalysator, der Holmes reaktiviert, indem er sein Interesse erregt – seit jeher das wirksamste Mittel, den auch im Alter immer noch informationshungrigen bzw. –gierigen Ermittler in Bewegung zu bringen. Linus ohne Bruno wäre Holmes zudem wahrscheinlich gar nicht aufgefallen. Ein Papagei, der scheinbar dummes Zeug plappert, hinter dem sich zufällig aufgeschnappte und brisante Geheiminformationen verstecken: Auf einer Liste von Plot-Klischees dürfte dieses sehr weit oben stehen. Chabon setzt es bewusst ein, zumal alle Beteiligten – Holmes lange eingeschlossen – bis zuletzt irren: Die von Bruno memorierten Zahlen verbergen kein militärisches Geheimnis, sondern ein schreckliches Verbrechen einer „final solution“, was sich auch als „Endlösung“ übersetzen lässt …

Michael Chabon wurde am 24. Mai 1963 in Washington, D. C./USA) geboren. Aufgewachsen ist er in Columbia/Maryland. Seine Kurzgeschichten erschienen in hoch gelobten Anthologien und renommierten Zeitungen & Zeitschriften sowie im „Playboy Magazine“. Noch erfolgreicher ist Chabon als Romanschriftsteller (u. a. „The Mysteries of Pittsburgh“; dt. „Die Geheimnisse von Pittsburgh“, “Wonderboys”). Für „The Amazing Adventures of Kavalier & Clay“ (dt. „Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay“) wurde er 2000 mit dem PEN/Faulkner Award, dem Pulitzer-Preis, dem Los Angeles Times Book Prize und weiteren Preisen ausgezeichnet. Mit seiner Familie lebt und arbeitet der Autor in Berkeley, Kalifornien.

Michael Chabon hält eine angemessen nostalgisch und kauzig gestaltete Website: http://www.michaelchabon.com.

Yves Jansen – Platzeks Häutung

Für viele mag Goethes „Faust“ eine recht angestaubte Angelegenheit sein. Dass sich aus dem Stoff eine lesenswerte Lektüre zaubern lässt, die gar nicht mal anstrengend sein muss, belegt Yves Jansen mit seinem Debütroman „Platzeks Häutung“.

Erik Platzek ist ein mittelmäßiger, eher unscheinbarer Mensch. Von der Ehefrau verlassen, lässt er seine Zahnarztkarriere hinter sich, um fortan in einer mitteldeutschen Kleinstadt als Buchantiquar zurückgezogen vor sich hin zu leben. An Wochenenden gönnt der Eigenbrödler sich immer wieder mal ein entspannendes Wochenende im Luxushotel „Baseler Hof“. Genau dort verbringt er eines Tages eine wilde Nacht mit der mysteriösen Lilith. Zu dem schüchternen Mittvierziger mag das so gar nicht passen.

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Dart-Thornton, Cecilia – Geheimnis der schönen Fremden, Das (Die Feenland-Chroniken 2)

Band 1: [„Im Bann der Sturmreiter“ 1521

Der zweiten Band der Feenlandchronik setzt unmittelbar und nahtlos am Ende des ersten Bandes an. Imrhien ist inzwischen bei Maeve Einauge. Nur scheint es, dass das junge Findelkind dort nicht sicher ist, die Hütte wird beobachtet. Imrhien muss aber nach Caermelor, um den Hochkönig zu sprechen. Maeve Einauge greift zu einer List …

So reist Imrhien in adliger Verkleidung und unter dem Namen Rohain Tarrenys von den Trauerinseln in die Hauptstadt. Doch trotz dieser Aufmachung hat der Hochkönig keine Zeit für den unerwarteten und auch ein wenig seltsamen Besuch. Es bleibt keine andere Wahl, als das Geheimnis dem Herzog von Roxburgh anzuvertrauen. Der Herzog muss jedoch bald Richtung Norden reisen, da die Unruhen in der Provinz Navarre immer mehr zunehmen. An seine Stelle tritt der Herzog von Ercildoune, mit dem Rohain sich schon bald anfreundet.

Die geheime Nachricht, die Rohain überbracht hat, war für die Krone äußerst wertvoll. Plötzlich winken eine Baronie und ein eigenes Lehen, ganz zu schweigen von einer Belohnung in Gold. Die Hofclique um Lady Dianella, die Rohain bisher verächtlich und gemein behandelt hat, benimmt sich plötzlich höchst freundlich und zuvorkommend. Der schöne Schein trügt. Rohain muss bald erkennen, dass sich unter den höflichen Masken mächtige Feinde verstecken, und das nicht nur bei Hofe! Woher nur rührt all diese Feindseligkeit? Erneut wird dem Findelkind bewusst, dass es endlich das Rätsel um seine Vergangenheit lösen muss …

Da sich Imrhien am Ende des ersten Bandes von allen Gefährten trennt, um Maeve Einauge aufzusuchen, und all diese Gefährten wie auch viele andere Personen nach der Trennung von Imrhien in der Versenkung verschwinden, sind neue Charaktere nötig, um die Geschichte fortzuführen.

Einer der wichtigsten ist Thomas Ercildoune, ein sympathischer, warmherziger Mann mit einem ausgeprägten Faible für das Volk der Faeran, das Elfenvolk. Kaum jemand weiß so viel über die Faeran wie er. Das ist kein Wunder, schließlich ist er der Barde des Königs. Er wird zu Rohains bestem Freund, zumindest, bis der Hochkönig ins Feld zieht und Ercildoune zu seinem Stellvertreter ernennt. Dennoch traut das Findelkind sich nicht, ihm die Wahrheit über seine Vergangenheit zu erzählen, zu groß ist seine Angst, in Ungnade zu fallen.

Lady Dianella ist überaus eitel und deshalb eifersüchtig auf Rohains Stellung, denn vor Rohains Ankunft drehte sich alles nur um sie. Deshalb will sie den unbequemen Gast so schnell wie möglich wieder loswerden. Allerdings ist die Lady nicht gerade besonders intelligent, ihre kleinen Intrigen bleiben oberflächlich und entbehren jeder Rafinesse.

Weit gefährlicher ist da schon Prinz Morragan, der Rabenprinz der Faeran. Als Bruder des Elfenkönigs besitzt er eine Machtfülle, der kaum jemand etwas entgegenzusetzen hat. Der Stolz der Elfen, den die Menschen oft genug als Hochmut empfinden, ist bei ihm besonders ausgeprägt. Und auch er ist eifersüchtig, und zwar auf seinen Bruder, der ein Menschenfreund ist. Morragan dagegen verabscheut die Menschen und will nichts mit ihnen zu tun haben. Am liebsten wäre es ihm, alle Tore zwischen Elfen- und Menschenwelt würden für immer geschlossen, doch ist er dem Torhüter der Elfen gegenüber nicht weisungsbefugt. Also greift auch er zu einer List …

Leider bleiben die genannten Charaktere alle ziemlich blass. Man erfährt kaum etwas von den einzelnen Personen, sie haben keine Geschichte, keine Gedanken, kaum Gefühle. Das mag zum einen daran liegen, dass ausschließlich aus Rohains Sicht erzählt wird, andererseits hätte Cecilia Dart-Thornton durchaus die Möglichkeit gehabt, von dieser Sichtweise abzuweichen. Abgesehen davon: Natürlich ist Rohain völlig unerfahren, was das Hofleben und seine großen und kleinen Täuschungen angeht, aber deswegen noch lange nicht dumm. Dennoch vermisste ich jegliche Beobachtungsgabe, und diese Oberflächlichkeit passt eigentlich nicht zum übrigen Charakter.

Ein weiterer Punkt ist Rohains Verliebtheit. Zwar schreibt die Autorin romantische Fantasy im klassischen Sinne. Die Formulierungen im Zusammenhang mit Rohains Liebe schrammen allerdings nur haarscharf am Kitsch vorbei, und lediglich die Tatsache, dass die Autorin sich diesbezüglich kurz gefasst hat, verhindert, dass die entsprechenden Passagen auf das Niveau von Groschenromanen abrutschen. Dazu kommt, dass diese Liebe anscheinend lediglich auf der Schönheit der geliebten Person beruht, jedenfalls wird allein diese in den Gedanken Rohains genannt. Niemals beziehen die Gedanken sich auf irgendwelche Charaktereigenschaften oder die Erinnerung an besondere Ereignisse, die beide gemeinsam erlebt haben. Noch eine Oberflächlichkeit, die nicht ins Bild passt.

Allein Rohains Verhalten wirkt auch diesmal glaubhaft und echt. Das naive Findelkind, das keinerlei Ahnung von feinem Benehmen und Etikette hat, fühlt sich inmitten des übertriebenen Pomps unwohl und völlig fehl am Platz. Von Natur aus aufrichtig, ist es der boshaften Hinterhältigkeit der Höflinge nicht gewachsen. Sein Selbstwertgefühl ist aufgrund seiner Entstellung so gut wie gar nicht ausgeprägt. Rohain spürt seinen wackligen Stand innerhalb dieser Gesellschaft der Äußerlichkeiten, doch das bequeme Leben des Adels missen zu müssen und in den Schmutz und die Armut zurückzukehren, ist dennoch ein äußerst unangenehmer Gedanke. Rohain kann sich nicht von diesem neuen Leben losreißen.

Das kann es letztlich aber nicht mehr rausreißen, und so lässt die Charakterzeichnung insgesamt diesmal doch etwas zu wünschen übrig. Auch die Tatsache, dass die Autorin die im ersten Band lose gebliebenen Fäden der Burg Isse nochmals aufgenommen hat, kann darüber nicht hinwegtrösten, denn die im Grunde vielversprechend angelegten Charaktere von Ustorix und Mortier verpuffen lediglich als Episode am Rande: Von Ustorix bleibt nichts als ein eitler Pfau übrig, und Mortier ist ein Opfer seiner Beziehungen zu den Unseelie geworden und taucht nicht einmal persönlich auf. Dabei war der Abstecher nach Burg Isse für die Handlung durchaus nicht unwichtig. Leider ging diese hier in den unwichtigen Details völlig unter.

Das gilt übrigens nicht nur für diesen Teil der Handlung. Auch die Geschehnisse in der Hauptstadt und auf der Insel Tamhania verlieren sich in ausschweifenden Beschreibungen von Nebensächlichkeiten aller Art. Cecilia Dart-Thornton scheint ein Faible für Prunk zu haben. Zwar hat sie auch die Landschaften im ersten Teil durchaus detailliert und poetisch geschildert, doch bleibt dies weit hinter dem zurück, was die Autorin an Ausführlichkeiten für Kleidung und Raumausstattung übrig hat! Sie schwelgt geradezu in den Einzelheiten von Stoffen, von denen ich noch nie im Leben etwas gehört habe, von Edelsteinen, deren Namen ich zwar immerhin kenne, deren Aussehen ich aber erst einmal nachschlagen müsste, und von Möbeln und Geschirr, das im Großen und Ganzen überall gleich aussieht und genau genommen total unwichtig ist. Ganze Seiten wendet sie dafür auf, den Ablauf von Festessen inklusive sämtlicher Gänge oder einen Imbrol-Ball sowie die Beziehungen zwischen Menschen und Meeresgeistern wie Silkies oder Meerjungfern darzustellen.

Auf Dauer ist das ungeheuer ermüdend, vor allem, weil es sich ständig zu wiederholen scheint. Der durchschnittliche Leser hat garantiert bereits nach dem ersten Festessen begriffen, wie übertrieben prunkvoll, üppig und dekadent das Hofleben ist.
Eine weitere Bremse für den Handlungsverlauf stellen die Legenden und Geschichten über Seelie und Unseelie dar, die ebenfalls wieder in großer Zahl Platz gefunden haben. Manche kannte ich sogar schon und empfand sie deshalb als doppelt lästig. Wenn ich die Geschichte des Rattenfängers oder die vom Elfenkind lesen will, nehme ich mir ein Märchen- oder Sagenbuch, und lese sie dort nach.
In diesem Fall wollte ich allerdings die Geschichte von Imrhien/Rohain lesen. Von der bleibt aber nach Abzug all der Weitschweifigkeiten und handlungsfernen Nebensachen nicht mehr viel übrig. Ich schätze, die eigentliche Geschichte von Imrhien könnte man locker auf der Hälfte der Buchseiten unterbringen.

Ich muss daher sagen, dass dieser zweite Band die Hoffnungen, die ich nach dem ersten Band in ihn gesetzt hatte, nicht erfüllt hat, eher im Gegenteil.

Mit den vielen zusätzlichen Legenden und Sagen allein hätte ich mich, auch wenn sie in keinem Zusammenhang mit Rohains Geschichte stehen, vielleicht noch abgefunden angesichts dessen, dass die Feenwelt gegen Ende tatsächlich noch an Bedeutung gewinnt und endlich mit der eigentlichen Geschichte verwoben wird. Aber auch in den übrigen Punkten wurde ich enttäuscht. Der Verlauf der Handlung wurde nicht gestrafft, sondern eher noch weiter aufgebläht, sodass der Spannungsbogen oft genug völlig durchhängt. Die Charakterzeichnung wurde nicht intensiver, sondern flacher. Da es sich bei diesem Zyklus erklärtermaßen um romantische Fantasy und nicht um Action handelt, erscheint mir das Verhältnis zwischen innerer und äußerer Handlung zu unausgewogen, Rohains Gedanken- und Gefühlswelt kommt eindeutig zu kurz. Der ohnehin schon geringe Anteil an eigenen Ideen hat sich nicht vergrößert. Der Zyklus verkümmert zu einer Sammlung von Volksmärchen in dem unpassenden Kleid einer Liebesgeschichte.

Immerhin lässt das Ende des zweiten Bandes, an dem das Feenreich und sein vielversprechender Prinz endlich ans Geschehen andocken, darauf hoffen, dass im dritten Band doch nochmal sowas wie Bewegung und damit auch mehr Spannung aufkommen wird. Sollte Prinz Morragan allerdings ebenso wie Dorn und Ustorix im Klischee versinken, wäre das wirklich ein Verlust! Und für mich das K.o.-Kritierium für weitere Bücher dieser Autorin.

Cecilia Dart-Thornton, selbst ein Findelkind, wuchs in der Nähe von Melbourne auf. Aus ihrer Feder stammt außer den Feenlandchroniken auch der Crowthistle-Zyklus, von dem bisher die ersten beiden Bände auf Englisch erschienen sind: „The iron tree“ und „The well of tears“. Wann Bände dieses Zyklus auf Deutsch erscheinen, ist noch nicht absehbar, und auch das Erscheinungsdatum des dritten Teils der Feenlandchroniken steht noch nicht fest.

Neben dem Schreiben widmet sich Cecilia Dart-Thornton außerdem der Musik und der Fotographie.

http://www.dartthornton.com

Dela Cruz, Arthur – Kissing Chaos – Nonstop Beauty

Nach dem Erfolg des [ersten Teils 1817 der Miniserie „Kissing Chaos“ hat Arthur Dela Cruz kurze Zeit später bereits eine vierteilige Nachfolgereihe erschaffen, die jedoch den rätselhaften Inhalt dieser Comics noch mysteriöser erscheinen lässt. Dela Cruz hat nämlich keinen direkten Nachfolger erstellt, sondern lässt den Plot mit völlig neuen Charakteren aufleben, folgt dabei weiterhin den komplexen Strukturen des ersten Parts und schafft es, durch versteckte Hinweise schließlich, den Zusammenhang mit der ersten Serie herzustellen. Folglich ist „Kissing Chaos – Nonstop Beauty“ ebenfalls ganz heftige Kost und daher auch gar nicht so leicht zu erfassen. Das wird man auch beim Überblick über die Handlung feststellen:

_Story_

Ashley ist gerade dabei, die Kontrolle über ihr Leben vollends zu verlieren. Als sie eines Tages eine Mail von ihrer verschollenen Freundin Angela bekommt, deren Anhang sie jedoch nicht versteht, führt sie das über einen Chatroom zu einer Person namens Everett. Dieser Kerl ist ganz wild auf diese Datei und kann Ashley dazu überreden, sich mit ihm zu treffen. Doch dieses Treffen geht über den normalen Smalltalk zweier junger Erwachsener hinaus und endet im Chaos. Zwei Männer in dunklen Anzügen tauchen plötzlich auf und verfolgen Everett. Seine Begleiterin, noch ganz verblüfft und verständnislos wegen der seltsamen Flucht vor den Unbekannten, reagiert entsprechend sauer und will sich von Everett loseisen. Doch dann entdeckt sie, dass ihre gesamte Wohnung durchwühlt und die rätselhafte Datei Angelas‘ mitsamt dem Computer gestohlen wurde. Deshalb sieht sich widerwillig dazu gezwungen, Everett erstmal zu begleiten, obwohl sie den Geschichten über Verschwörungen und Geheimorganisationen nicht ganz folgen kann. Ashley selber gehört nämlich ebenfalls einer anarchistischen Geheimorganisation an, die gerade dabei ist, eine künstlerische Revolution bei einem Rockkonzert anzuzetteln. Schließlich weiß sie nicht mehr, wo ihr der Kopf steht, und die alles dominierende Frage lautet: Kann sie ihr plötzlich so turbulentes Leben in den Griff bekommen, oder wird sie von den Ereignissen überrollt?

Wie auch schon beim ersten Teil, so hat es auch hier eine ganze Weile gedauert, bis ich die Handlung überschauen konnte. Durch die ständigen Szenenwechsel hat Aerthur Dela Cruz nämlich eine noch kompliziertere Struktur festgelegt, und da die Geschehnisse bei der Revolution, das Treffen von Everett und Ashley sowie die Annäherungsversuche von Eric und Kim (ebenfalls Mitglieder der anarchistischen Künstlerbewegung unter der Führung des egozentrischen Jersey) quasi alle parallel erzählt werden, obwohl sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden, verliert man schon einmal schnell den Überblick. Hinzu kommt, dass der Autor fortlaufend mit versteckten Hinweisen zur vorangegangenen Serie arbeitet, die für die weitere Geschichte der „Kissing Chaos“-Comics noch von besonderer Bedeutung sein wird. Den Namen Angela kennt man ja bereits aus dem ersten Teil, ebenfalls den seltsamen Everett, der auch dort schon hinter einem jungen Mädchen her war. Auch über Ashley hat man damals schon kurze Hinweise gefunden, die dort aber noch nicht wichtig erschienen.

Wenn man all diese Fakten ordnet und gleichzeitig hinter den neuen Plot gestiegen ist, verweben sich die Fäden allmählich, auch wenn im Nachhinein noch so vieles unklar bleibt. Doch man begreift so langsam den Zusammenhang zwischen Angela und Ashley, die Rolle von Everett, den „Matrix“-ähnlichen Trenchcoat-Gestalten und der Person des Damien, den Everett in versteckten Beschreibungen ebenfalls ins Spiel bringt.

Um diesen großen Strang herum hat Dela Cruz aber erneut ein sehr großes Augenmerk auf die Emotionen und das Gefühlsleben der einzelnen Charaktere gelegt. Neben der zerstreuten und unsicheren Ashley beschreibt er hier hauptsächlich die Verbindung zwischen dem schüchternen Eric und der selbstbewussten Kim, die zwar mit dem Bandenführer Jersey zusammen ist, aber auch Gefühle für Eric hat. Der Zeichner und Autor konzentriert sich insgesamt sehr stark auf das Zwischenmenschliche in Extremsituationen, ähnlich wie beim ersten Teil. Das macht es für den Leser allerdings nicht einfacher, den gesamten Wert dieses Werkes zu begreifen. Um eine kleine Hilfestellung zu geben, hat Dela Cruz zum Ende hin die Geschichte noch mal kurz zusammengefasst und die einzelnen Verbindungen aufgelistet. Spätestens dort begreift man dann, welche Tragweite, vor allem aber welches Potenzial „Kissing Chaos“ hat. Dela Cruz könnte die Geschichte beliebig weit ausdehnen, ihm stehen in der Tat noch viele Möglichkeiten offen, und dennoch ist es dann wahrscheinlich, dass er nicht alle geöffneten Handlungsebenen wieder vollständig abschließen kann.

Nachdem mich bereits die erste Serie begeistern konnte, bin ich nun bei „Kissing Chaos – Nonstop Beauty“ vollkomen überwältigt. Arthur Dela Cruz hat eine Welt und insbesondere Charaktere erschaffen, deren Leben den Leser so schnell nicht wieder loslässt. Man kann nur sehnlichst hoffen, dass Dela Cruz sich noch viel Raum für die Fertigstellung dieser Gesamtreihe lässt, die er zunächst für 2005 angekündigt hatte. Bis dahin kann man sich aber auch noch den Kopf über die verschiedenen unklaren Nebenstorys zerbrechen. Daher auch mein Tipp: Die ersten beiden Bände sollte man aufmerksam und in Ruhe direkt hintereinander lesen, das erleichtert das Verständnis ungemein. Zum Schluss noch einmal eine ganz deutliche Empfehlung für einen Autor, der bereits wieder an neuen Projekten arbeitet.

Mehr Infos unter http://www.kissingchaos.com.

Goebel, Joey – Vincent

|Per aspera ad astra| – sinngemäß: ohne Leid kein Preis. Kunst kommt von Können, sagen die einen. Grundlage künstlerischen Schaffens ist das Leiden, sagen andere. Leid als Quelle der Inspiration. Für Vincent, die titelstiftende Hauptfigur in Joey Goebels Roman „Vincent“ (Originaltitel: „Torture the artist“), sieht so der Alltag aus. Goebels Roman überspitzt das Treiben der Unterhaltungsindustrie auf der Suche nach einem Weg zurück zu Kunst und Qualität.

Foster Lipowitz ist ein alter Medientycoon. Als Vorstandsvorsitzender des größten globalen Unterhaltungskonzerns hat er jahrzehntelang die Menschheit mit seichten Belanglosigkeiten in Form von Musik, Filmen und Fernsehserien überschüttet. Der oberflächliche Müll der Unterhaltungsindustrie, die immer gleich klingenden Popsongs, der immer gleich aussehenden Popsternchen und die sinnentleerten Leinwandspektakel aus Hollywood haben ihn reich gemacht. Doch vom Krebs gebeutelt, plagen den Mann auf dem Totenbett Gewissensbisse.

Nichts von dem, das er geschaffen hat, ist wirklich von Wert, nichts ist es wert, dass sich die Nachwelt daran erinnern wird, nichts hat die Kulturlandschaft wirklich bereichert. Aber Lipowitz hat einen Plan und die Macht, das zu ändern. Und so hebt Lipowitz ein neues Projekt aus der Taufe: New Renaissance. Das Ziel: Aus hochbegabten Kindern werden Künstler herangezogen, die wahre Meisterwerke erschaffen. Mit ihnen will Lipowitz Qualität und Kunst wieder dem unkritischen und anspruchslosen Mainstream zugänglich machen. Unterhaltung soll wieder niveauvoller werden.

Doch um wirklich große Kunst zu schaffen, müssen die Künstler leiden, denn woher sollen sie sonst ihre Inspiration nehmen. Und so stellt Lipowitz dem jungen Vincent, seinem vielversprechendsten Schüler, Harlan als Manager zur Seite. Der ist fortan als dunkler Schutzengel dafür verantwortlich, dass Vincent ordentlich was zu leiden hat. Dank Harlans gutem, aber stets fürsorglichem Händchen im Quälen und dank Vincents ausgesprochen großartiger Fähigkeiten im Leiden scheint das Projekt ein voller Erfolg zu werden.

Je mehr Vincents Leben in Kummer und Traurigkeit versinkt, desto brillanter wird seine Kunst. Seine Songs werden Hits, seine Fernsehserien Quotengaranten. Bei so viel Leid einerseits und so viel Erfolg andererseits ist das Leben für Vincent ein Wechselbad der Gefühle. Wie soll er dabei sein eigenes Glück verwirklichen? Hat das überhaupt eine Chance?

„Vincent“ ist ein Roman, der sich nicht so leicht in eine Schublade stopfen lässt. Ein eigenwilliges Buch, das sich jeder Kategorisierung zu widersetzen scheint. Die Marketingstrategen in den Chefetagen der Unterhaltungsindustrie, die Goebel mit seinem Roman kräftig aufs Korn nimmt, würden sein Buch wohl als „Tweener“ abstempeln. Ein Buch, das irgendwo einsam zwischen allen Zielgruppen umhertreibt. Keine Chance, so etwas zu vermarkten.

„Vincent“ ist von allem ein bisschen. Ein großer Löffel Satire, eine Prise Utopie, ein Spritzer thrillerhaftes Drama, abgeschmeckt mit einer Messerspitze Herz-Schmerz. „Vincent“ ist ein Roman, der sich jeglichem Vergleich zu entziehen scheint und der auf seine Art einzigartig ist. Nicht zuletzt auch deswegen ist die Lektüre ein ausgesprochener Genuss.

Wer vom Fernsehen enttäuscht ist, wer lieber Stille erträgt als das ewig gleich klingende Radiogedudel und wer im Kino beim Besuch des Action-Blockbusters des Jahres nur müde gähnt, der dürfte sich in „Vincent“ verstanden fühlen. Endlich mal ein Buch, das schonungslos und unterhaltsam den Finger in die Wunde der modernen, globalisierten Unterhaltungsindustrie legt. Alle, denen der Mainstream zuwider ist, werden ihre Abneigungen gegen Pop und Kommerz in diesem Buch manifestiert finden.

Auch Joey Goebel scheint einer dieser Mainstream-Verachter zu sein. Seinen ganzen Frust über die Belanglosigkeiten der Unterhaltungsindustrie scheint er in dieses Buch gelegt zu haben. Gnadenlos zieht er über Popkultur und Fernsehlandschaft her, verreißt Musiker und Fernsehshows und lässt dabei einen gnadenlosen Realitätsbezug erkennen. Diese Aufgabe fällt im Roman meist Harlan zu. Harlan scheint das fiktive Pendant zu Joey Goebel zu sein, was sich auch schon anhand biographischer Parallelen offenbart. Beide touren in jungen Jahren mit einer Band durch den Westen der USA. Beiden bleibt der musikalische Durchbruch verwehrt.

Harlan ist nach seinen ersten Gehversuchen als Musiker von der Unterhaltungsindustrie zutiefst enttäuscht. Seine Plattenkritiken für ein Musikmagazin fallen immer so brutal negativ aus, dass sein Arbeitgeber ihn schließlich feuert. Genau deswegen werden die Macher von New Renaissance auf ihn aufmerksam. Hier bekommt Harlan endlich die Chance, sich seinen Idealen entsprechend zu verwirklichen – als Don Quijote der Unterhaltungsindustrie. Natürlich bringt das moralische Bedenken mit sich. Die Förderung eines begabten Künstlers mag ein noch so edles Ziel sein, die Mittel von New Renaissance sind mehr als fragwürdig.

Harlan mag dafür eingestellt worden sein, Vincent zu quälen, dennoch kümmert er sich stets fürsorglich um den jungen Nachwuchskünstler. Das Verhältnis der beiden hat dadurch einen recht merkwürdigen Charakter. Man schließt Harlan als Leser dennoch ins Herz. Er ist sympathisch und man versteht ihn irgendwie. Harlan ist die eigentliche Hauptfigur. Er erzählt die Geschichte aus seiner Sicht.

Vincent bleibt mehr oder weniger blass. Eine gewisse Distanz bleibt zwar zu beiden Figuren bestehen, da auch Harlan sich nicht bis in den letzten Winkel seiner Seele schauen lässt, doch während man für Harlan in seiner Zwickmühle als Handlanger der Unterhaltungsindustrie und als Retter der Kultur noch Sympathie empfinden kann, bleibt Vincent ein wenig fremd und abstrakt. Das ist nicht unbedingt ein Nachteil. Man kennt genügend leiderprobte Künstler, um sich ein Bild von ihm zu machen. Das Kurt-Cobain-Bild auf dem Buchdeckel ist da nur eine mögliche Assoziation, die sich aufdrängt.

Zu Beginn mag man „Vincent“ in erster Linie für eine Satire halten. Der Roman hat seine unverkennbar humoristischen und sarkastischen Seiten. Wenn Harlan in der Chefetage des weltweit wichtigsten Medienkonzerns durch die Fernsehkanäle zappt und gnadenlos über alles herzieht, was dort zu sehen ist, während ihm gegenüber die Menschen sitzen, die genau diesen Unsinn verzapft haben, so ist das schon ganz besonders erheiternd.

Aber darüber hinaus ist „Vincent“ auch die Geschichte einer besonderen Freundschaft zwischen Künstler und Mentor, eine Geschichte um wahre Kunst und echte Künstler und nicht zuletzt ein Drama um Liebe, Schwermut, Verlust, Enttäuschung und Ausbeutung. „Vincent“ ist ein Roman, der wunderbar vielschichtig ist, der gleichermaßen unterhält und nachdenklich stimmt, der zum Lachen ermuntert und den Leser rührt.

Dass diese Mischung so gut aufgeht, ist besonders auch Goebels Stil zu verdanken. Ein wenig nüchtern mag er manchmal wirken. Immer wieder streut er Briefe ein oder E-Mails und Texte, die Vincent geschrieben hat. Wie Beweismittel in einem Gerichtsverfahren führt er diese Textschnipsel in seine Erzählung ein, die dadurch einen ganz eigentümlichen und authentischen Charme erhält. Als würde Harlan seine Beichte ablegen. Figuren werden immer wieder anhand ihrer Lieblingsband, ihrer Lieblingsfernsehsendung und ihres Lieblingsfilms vorgestellt und es ist erstaunlich, wie viel das über die jeweiligen Personen aussagt. Hier und da könnte Goebel seinen Stil sicherlich noch weiter verfeinern, aber auch so weiß er schon zu gefallen. Außerdem ist der Mann erst 25, was für die Zukunft noch auf einiges hoffen lässt.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass „Vincent“ ein außerordentlich erfrischendes und unterhaltsames Buch ist. Eine originelle Geschichte, die sehr gelungen mit einer Mischung aus Satire und Dramatik umgesetzt wurde. Für mich zählt das Buch schon jetzt zu den Toptiteln des Jahres. Joey Goebel ist ein Autor, den man sich ruhig merken sollte.

von Grote, Alexandra – Mord in der Rue St. Lazare – Maurice LaBréas erster Fall

Mit „Mord in der Rue St. Lazare“ beginnt Alexandra von Grote eine neue Krimireihe, in deren Mittelpunkt der Pariser Kriminalkomissar Maurice LaBréa steht. Hierbei handelt es sich um einen vom Schicksal geplagten Mann, dessen Frau erst vor einem halben Jahr und nur wegen einer fast schon lächerlich geringen Geldsumme überfallen und kaltblütig ermordet wurde. Alexandra von Grote schildert die Person des Kommissars und die stetigen Albträume, mit denen LaBréa ständig zu kämpfen hat – auch bei seinen Ermittlungen.

_Story:_

Nach wie vor klammert sich Kommissar LaBréa in seinen Träumen an die schrecklichen Visionen vom Verlust seiner Gattin Anne. Lediglich die Verantwortung seiner Tochter Jenny gegenüber treibt ihn dazu, sich seine Niedergeschlagenheit nicht anmerken zu lassen. In seinem Job wird Maurice LaBréa aber dennoch tagtäglich mit dem Tod konfrontiert, und jedes Mal keimen auch die Erinnerungen an den Tag, an dem Anne ermordet wurde, wieder auf. So auch in dem Moment, als Kommissar LaBréa die Leiche des brutal ermordeten und mit einem Golfschläger vollkommen entstellten Produzenten Molin auffindet. Einen Tag vor dieser Tat hat der Beamte Molin noch kurz kennen lernen können und schon dabei gemerkt, dass der Kerl ein sehr unangenehmer Zeitgenosse war.

Und genau dies vermutet die Pariser Polizei demnächst auch als Tatmotiv: Zwiste mit seinen Angestellten, die gerade erst mit den Dreharbeiten zum neuen Molin-Streifen „Mord in der Rue St. Lazare“ begonnen haben, und darüber hinaus Affären mit mehreren Karrieredamen in der Filmbranche, die Molin zum Verhängnis geworden sein könnten. LaBréa und sein Team, bestehend aus dem konservativen Franck, der seine Wochenenden auf der Pferderennbahn verbringt, und dem Paradiesvogel John-Marc, dem das Kollegium aufgrund seines schillernden Auftretens auch Kontakte zur Homosexuellen-Szene nachsagt, beginnen alsbald die Ermittlungen in diesem Fall und stoßen dabei auch auf eine ganze Reihe Verdächtiger.

Die erste Spur führt die Beamten direkt in das Team bei den Dreharbeiten, denn wie sich herausstellt, ist der kaltblütige Mord am Produzenten von „Mord in der Rue St. Lazare“ dem ursprünglichen und später abgeänderten Drehbuch nachempfunden worden. Als dann jedoch genau einen Tag später auch Molins Frau umgebracht wird, verliert die Kripo zunächst den Überblick. Dazu kommen einige seltsame Kontakte, deren Spur bis hin zu einem Chemiekonzern nach Kapstadt führen, an dem Molin ebenfalls beteiligt gewesen sein soll. Darüber hinaus rätseln LaBréa und seine Kollegen auch noch, ob es überhaupt einen direkten Zusammenhang zwischen den beiden Morden gibt. Bevor die Spuren jedoch im Sande verlaufen können, bekommt der Kommissar langsam aber sicher ein genaues Bild von den Affären, Betrügereien und Intrigen, in die Molin jahrelang verwickelt war, und kommt so dem Tatmotiv und den beteiligten Personen ebenso schleppend auf die Schliche wie es ihm gelingt, zu seiner Nachbarin Celine den ersten intensiveren zwischenmenschlichen Kontakt nach dem Tod seiner Frau aufzubauen.

Alexandra von Grote ist unter anderem schon als Drehbuchautorin und Regisseurin tätig gewesen und hat sich ihre Erfahrungen in dieser Branche auch für den Auftakt ihrer neuen Krimiserie zunutze gemacht. Dementsprechend ist „Mord in der St. Lazare“ auch voll von Fachbegriffen rund um die Filmbranche und zudem mit einigem Hintergrundwissen im Hinblick auf technische Belange in der Kinoindustrie gespickt. Das verleiht dem Buch von Anfang an die nötige Authentizität bezüglich der inhaltlichen Materie, ohne dass das Ganze in irgendeiner Weise belehrend klingen würde. Erstaunlicherweise macht die Autorin dabei aber auch vor brutalen Fakten nicht Halt, schildert des Öfteren, mit welchen skrupellosen Methoden die Verantwortlichen teilweise umgehen, beschreibt den zweifelhaften Aufstieg so mancher Nachwuchsschauspielerin und stellt die Szenerie im Großen und Ganzen in ein sehr negatives und relativ düsteres Licht.

Doch dies ist nicht das einzige Fachgebiet der Autorin. Als Wahl-Französin ist es ihr auch fabelhaft gelungen, das besondere Flair, das die Stadt Paris umgibt, in der Atmosphäre der Erzählung zu verankern. Hier wird ein Stück französische Kultur, mit allem was dazu gehört, geboten, vom Wein über das Baguette bis hin zu den eigenwilligen Erscheinungsbildern der Hauptfiguren, die man getrost als ‚typisch französisch‘ bezeichnen darf. Die Erzählung um das ermordete Ehepaar kann von diesen Hintergrundinformationen bzw. vom Auffangen der speziellen Atmosphäre der „Stadt der Liebe“ merklich profitieren und bekommt so auch deutlich Farbe, und das noch bevor von Grote mit der eigentlichen Handlung so richtig losgelegt hat.

Sobald die Autorin den Leser aber dann mitten in die Umgebung der beiden seltsamen Mordfälle versetzt, legt sie ein sehr rasantes Erzähltempo vor und steuert in der Mitte des Buches schon auf eine partielle Auflösung zu – die aber dann später wieder komplett verworfen wird. Diesen Teil finde ich persönlich jedoch nicht so gelungen, denn somit schränkt von Grote den Kreis der möglichen Attentäter sehr stark ein. Ebenfalls weniger geglückt ist die Einbeziehung von bis kurz vor Schluss unerwähnten Fakten im Bezug auf die Verbindungen der Familie Mloin nach Südafrika. Dies hätte man schon von vorneherein in die Geschichte integrieren sollen, denn so wirkt das Ganze – obwohl es von Grote letztendlich prima gelingt, die Fäden allesamt zusammenlaufen zu lassen – ein wenig zu aufgesetzt und quasi an die eigentliche Story gehängt. Eigentlich steht der (oder die?) Mörder auf Seite 250 schon fest, dann folgt aber noch einmal ein kompletter Rundumschlag, der alles (und meiner Meinung nach auch zu viel) wieder über den Haufen wirft, und dessen Hintergründe zum Schluss hin auch nicht ganz aufgeklärt werden. Vielleicht geschieht dies ja in der ebenfalls schon veröffentlichten Fortsetzung …

Ansonsten gefällt die Geschichte aber sehr gut, zumal von Grote mit dem eigenwilligen und recht sturen Kommissar LaBréa einen wirklich guten Hauptcharakter eingeführt hat, dessen Charme alleine schon einen großen Reiz ausübt und die Lektüre des Buches zusätzlich belebt. Und sieht man mal von den leichten oben geschilderten Mängeln ab, ist „Mord in der Rue St. Lazare“ über alle Maße hinaus spannend, und das bis zur letzten Seite – und das ist doch genau das, was man von einem guten Krimi erwartet, oder?

Sergej Lukianenko – Wächter der Nacht

Das geschieht:

Diese Welt ist nicht nur der Ort, den wir ahnungslosen Menschen kennen. Da gibt es auch das „Zwielicht“, eine Sphäre, die nur von den „Anderen“ wahrgenommen und betreten werden kann: gefährliche Wesen, die als Vampire, Werwölfe, Schwarzmagier oder Hexen bekannt sind, aber auch Zauberer und Gestaltwandler, die im Frieden mit den Menschen leben.

Licht und Dunkel wetteifern seit Äonen um die Vormacht. Das Gleichgewicht muss unbedingt gewahrt bleiben, sonst gerät die Welt aus den Angeln. Vor vielen Jahren war es einmal fast soweit. Die Mächte des Lichts und die Mächte der Dunkelheit hätten einander ausgelöscht, wäre nicht in letzter Sekunde ein Waffenstillstand zu Stande gekommen. Seither halten auserwählte „Lichte“ als „Wächter der Nacht“ zwischen Sonnenuntergang bis -aufgang ein Auge auf die Dunklen, während diese folgerichtig einen eigenen Orden, „Wächter des Tages“ genannt, die Aktivitäten der „Lichten“ kontrollieren lassen. Sergej Lukianenko – Wächter der Nacht weiterlesen

Roszak, Theodore – Schattenlichter

Ob man einem Autor dieser Tage einen Gefallen tut, wenn man ihn auf dem Buchdeckel mit dem aktuell wohl faszinierendsten Bestseller-Autor Dan Brown vergleicht, möchte ich einmal in Fragen stellen. Das katapultiert die Erwartungshaltung an das jeweilige Buch nämlich direkt in schwindelerregende Höhen, die es aber im Regelfall nicht erreichen kann. Dies darf man im übertragenen Sinne auch auf „Schattenlichter“ von Theodore Roszak anwenden, denn das in den Vereinigten Staaten bereits als Kultroman verehrte Buch kann trotz der mysteriös erscheinenden Themenwahl und des hohen Potenzials seines Plots nicht mit der Spannungskurve eines Brownschen Schnitzeljagd-Thrillers konkurrieren, auch wenn man Roszak definitiv zugestehen muss, dass er eine Geschichte kreiert hat, die sich anregend und gewinnend lesen lässt.

_Story:_

Jonathan Gates, junger Filmstudent und Cineast, ist regelmäßiger Besucher des |Classic|, eines heruntergekommenen Underground-Kinos im Herzen von Los Angeles. Dort sieht er seinen ersten Max-Castle-Film. Castle – ursprünglich Maximilian von Kastell – war in den Zwanzigern ein begabter UFA-Regisseur, der später nach Hollywood übersiedelte, um sich dort mit zweitklassigen Horrorfilmen über Wasser zu halten. Doch richtig groß herauskommen konnte er nie, weshalb der Mann auch schnell wieder in Vergessenheit geriet.

Jonathan bekommt ein gänzlich anderes Bild von Castle und ist sich fortan sicher, dass er es hier mit allem zu tun hat, aber sicher nicht nur mit einem B-Movie-Regisseur. Castle war offenbar ein ganz außergewöhnlicher Filmemacher, der die Zuschauer mit subtilen Effekten in den Bann ziehen wollte. Das ist aber nicht die einzige Entdeckung, die Jonathan macht; zudem erfährt er von Castles Mitgliedschaft im „Orden der Sturmwaisen“. Hierbei handelt es sich um eine religiöse Vereinigung, deren Geschichte bis weit vor die Zeit Jesu Christi datiert, und die immer wieder dann an der Oberfläche erscheint, wenn von ‚Bewegten Bildern‘, also der Frühform des modernen Kinos, die Rede ist.

Der Orden existiert auch heute noch und bildet nach wie vor seine Schüler in den verschiedenen Arten des Filmhandwerks aus. Doch keiner versteht, was die Ursache dieser Arbeit und der Existenz des Ordens ist. Was bezwecken die Sturmwaisen? Welches Geheimnis verbergen sie? Jonathan macht sich auf, diesen mysteriösen Zusammenhängen nachzugehen und findet alsbald heraus, dass es sich hierbei um eine Verschwörung handelt, die seit Jahrhunderten andauert und nur ein Ziel verfolgt: Das Ende der Geschichte, so wie wir sie kennen …

Nun, Theodor Roszak wagt sich an eine sehr bizarre Materie heran, bezieht sich dabei aber über die Person des jungen Filmstudenten Jonathan Gates auf mehrere bekannte Verschwörungstheorien. Man merkt dem Buch an, dass der Autor sich sehr intensiv mit dem Stoff auseinandergesetzt hat, und nicht umsonst überschreitet „Schattenlichter“ deutlich die 800-Seiten-Marke. Aber in dieser übertriebenen Detailverliebtheit besteht auch die Schwäche dieses Romans, denn irgendwann artet die Angelegenheit so weit aus, dass von der anfangs durchaus noch formidablen Spannung mittendrin und gerade zum Ende nicht mehr viel übrig bleibt. Das Ziel, den Leser mit einer prinzipiell klug inszenierten Rahmenhandlung zu erreichen und ihn dabei für den mysteriösen Orden der Sturmwaisen zu begeistern, verfehlt Roszak zwar nicht ganz, denn immerhin bleibt man auf den ersten 150 Seiten noch ziemlich eifrig an der Lektüre. Doch mit wachsender Seitenzahl verliert „Schattenlichter“ den Wert eines unterhaltenden Romans. Roszak schweift zu häufig ab, und das jeweilige Rätsel oder der Kernpunkt des Mysteriösen wird dabei einfach zu oft aus den Augen verloren.

Stattdessen wird die Geschichte immer mehr zu einer Infoveranstaltung für Verschwörungstheoretiker. Die Katharer und der Vatikan werden erwähnt, das Nazi-Regime als Mitinitiator des Weltendes genannt und der Vatikan als hilflose Institution charakterisiert. Obwohl Roszak das Ganze sehr ausschweifend beschreibt, geht er aber nie so richtig in die Tiefe. Es gibt zahlreiche Stellen im Buch, an denen der Autor lange um ein Thema herumschreibt, aber einfach nie auf den Punkt kommen will – vielleicht ja, weil er vermutet, diesen mit zunehmender Seitenzahl und Handlungsverwirrung ohnehin schon irgendwo getroffen oder zumindest tangiert zu haben. Ich möchte behaupten, dass die Geschichte mit der Hälfte der Seiten wesentlich packender herübergekommen wäre und der Kern des Ganzen ohne Umschweife viel besser hätte beschrieben werden können.

Andererseits verläuft die Geschichte auch immer mehr in eine recht seltsame Richtung, und trotz der rätselhaften Geheimnisse um den Orden der Sturmwaisen weiß man einfach ab einer gewissen Stelle, auf welches Ende Roszak mit seine Erzählung abzielt. Dies ist dann auch der letzte Fakt, den es zu krisieren gilt. Hier wird so viel geschrieben, es kommen so viele Informationen zu den verschiedenen beteiligten Organisationen an die Oberfläche, die von jahrelanger Recherche zeugen, und schlussendlich kann man sich doch denken, wohin die Sache tendiert. Spätestens dann gibt man entnervt auf und liest den Rest des Buches nur noch, weil man ja bereits so weit gekommen ist. Und das kann ja nicht das Ziel eines Buches sein, schon gar nicht, wenn Konkurrenz wie Dan Brown im Hintergrund herumschwirrt …

Ich war zwischendurch auch mehrfach der Versuchung erlegen, aufzugeben, aber ich lese grundsätzlich jedes Buch zu Ende, und mit diesem Prinzip wollte ich auch bei „Schattenlichter“ nicht brechen. Aber zumindest kann ich jetzt mein Wissen weitergeben und die Geschichte, die ganze 14 Jahre gebraucht hat, bis sie ins Deutsche übersetzt wurde, als zweifelhaft spannend und ziemlich langatmig deklarieren. Zu viele Fakten und in Relation zur Seitenstärke zu wenig richtige Handlung – so lautet mein kurzes Fazit, untermauert dadurch, dass es im Hinblick auf religiöse Verschwörungen so viel besseren Stoff gibt, der hier vorzuziehen wäre. Wie war das noch mit Dan Brown? Nun, zumindest ist die Grundidee sehr gut: Ein Cineast, der über das Interesse für den klassischen Film zu einem scheinbar vergessenen, aber heute noch bedrohlichen Orden findet und dabei eine unglaubliche Entdeckung gemacht. Leider ist Roszak insgesamt zu weit übers Ziel geschossen und hat den wichtigsten Faktor der modernen Belletristik vergessen: Die Kunst, die Erzählung unterhaltsam zu gestalten. Als Kultbuch wird „Schattenlichter“ jedenfalls stark überbewertet.

_Der Autor_

Theodore Roszak, 1933 geboren, ist Professor für Geschichte an der Universität Kalifornien. Neben zahlreichen Sachbüchern – darunter „Gegenkultur“, dem Standardwerk über die Protestbewegungen der 60er Jahre – hat er auch etliche Romane veröffentlicht, zuletzt „Die Memoiren der Elizabeth Frankenstein“. „Schattenlichter“ ist sein berühmtester Roman und gilt in den USA als Kultbuch.

|Originaltitel: Flicker, 1991
Übersetzt von Friedrich Mader
Paperback, ca. 896 Seiten, 13,5 x 20,6 cm|

de Sá Moreira, Régis – geheime Leben der Bücher, Das

„Schmeckt nicht jedem“, diesen Slogan gibt es seit einiger Zeit für eine große Zigarettenmarke. Einen ähnlichen Slogan sollte es auch für Régis de Sá Moreiras dritten Roman „Das geheime Leben der Bücher“ geben. Für wen Bücher nur Gebrauchsgegenstände sind, die am Bahnhofskiosk erworben werden, um eine langweilige Zugfahrt zu überbrücken, für den wird Moreiras Liebeserklärung an die Welten zwischen zwei Buchdeckeln nichts anderes sein als knappe 200 Seiten unverständliches Geschwafel. Für die jedoch, die liebevoll über ihre Reihen von Büchern streichen, Stunden über dem richtigen Ordnungsprinzip der eigenen Sammlung grübeln und Bücher zur Hand nehmen, nur um ihnen etwas Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, für die wird „Das geheime Leben der Bücher“ ein kleines poetisches Meisterwerk sein, das sie in ihrer eigenen Liebe bestärkt.

Der in Paris lebende Moreira hat vor „Le Libraire“, wie der Roman auf Französisch heißt, bereits zwei Bücher geschrieben, doch erst jetzt wurde er ins Deutsche übersetzt. Der |Droemer|-Verlag hat ihn in seiner Reihe „Profile“ herausgebracht, ein Programm für „anspruchsvolle Leser“, wie der Verlag selbst es nennt. Und das beginnt schon bei der Aufmachung: Im schmucken Hardcover kommt der schmale Band daher, mit Goldschrift und in liebevollem Satz. Ein Buch, das man gern zur Hand nimmt und bei dem man erwartungsvoll die Luft anhält, bevor man die erste Seite aufschlägt.

Moreira stellt uns einen namenlosen Buchhändler vor, in einer (ebenfalls namenlosen) Stadt, in der es vor konkurrierenden Buchhandlungen nur so wimmelt. Doch selbst in einem so bibliophilen Ort ist dieser Buchhändler ein Anachronist. Zwischen (vermutlich) Bertelsmann und Weltbild, Hugendubel und Lagerverkauf, besitzt er einen anheimelnen kleinen Laden, der eher eine Erweiterung seines Wohnraumes ist denn ein wirkliches Geschäft. Und so kommt es auch, dass sein Laden immer geöffnet hat und dass er am Schreibtisch seines Buchladens einschläft, wenn der letzte Kunde gegangen ist und aufwacht, wenn der erste Kunde mit einem „Dingelingdingeing“ das Geschäft betritt. Er hat eine sehr eigene Verkaufsphilosophie: Um zu verhindern, dass er versehentlich Schund verkauft, gibt es bei ihm nur Bücher, die er selbst gelesen hat. Darum ist seine Auswahl natürlich begrenzt. Zwar hat er ganze Regalreihen voller Fremdsprachenlehrbücher und ein Regal nur für Ausgaben von „Anna Karenina“, doch nur einen einzigen Reiseführer. Überhaupt fühlt sich der Buchhändler seinen Büchern verpflichtet. Er bietet ihnen ein Heim, er schreitet nachts seine Regalreihen ab, um sie zur Nachtruhe zu betten, er schlägt sie auf, um in ihnen zu lesen … seine Bücher sind seine Freunde und Begleiter und seine einzige Verbindung zur Außenwelt. Und manchmal verweigert er auch einem Kunden ein Buch, wenn er meint, es sei bei diesem nicht gut aufgehoben.

Überhaupt, die Kunden. Sie sind die treibende Kraft in „Das geheime Leben der Bücher“. Wir erleben nämlich einen Tag im Leben dieses außergewöhnlichen und einsiedlerischen Buchhändlers. So ein Tag läuft nach einem festgeschriebenen Prinzip ab: Ein Kunde betritt den Laden und nachdem er wieder gegangen ist, trinkt der Buchhändler einen Kräutertee. Die Menschen, welche die Buchhandlung betreten, sind skurril, urig, liebenswert. Da wären zum Beispiel die Zeugen Jehovas, die täglich in den Laden kommen, um dem Buchhändler von der Schönheit des Lebens zu erzählen. Oder Gott, der auch schon mal eingeschnappt ist und hinter sich die Tür zuschlägt. Oder die Floristin, die ihre Blumensträuße gegen Bücher tauscht. In kurzen Kapiteln erzählt Moreira so immer eine kleine Geschichte, schildert eine Szene, zeigt uns eine Momentaufnahme.

„Das geheime Leben der Bücher“ ist kein großer Roman, stattdessen ist es eine leise Sammlung von Vignetten um einen Buchhändler, die sich durch ihre Poesie und Einfachheit in das Herz des Lesers schleichen. Von einer Handlung kann hierbei keine Rede sein, es gibt keinen Konflikt und somit auch keine Lösung. Das Buch beginnt und endet – einfach so. Gerade deshalb werden es Buchliebhaber mögen. Es ist eine unaufdringliche Liebeserklärung an die Welt der Bücher, den staubigen Geruch einer alten Buchhandlung und die unerwarteten Entdeckungen, die man zwischen Buchdeckeln findet. Wem diese Gefühlswelten fremd sind, der sollte besser die Finger von de Sá Moreira lassen und sich einer geradlinigeren Lektüre widmen. Alle anderen jedoch werden in Moreira und seinem Buchhändler Verbündete ihrer Leidenschaft finden und „Das geheime Leben der Bücher“ regelmäßig aus dem Regal nehmen – einfach, um ihm Aufmerksamkeit zu schenken.

Hillenburg, Steven u. a. – Spongebob Schwammkopf – Freunde für immer

Im zweiten Comic-Band, der begleitend zur erfolgreichen Fernsehserie veröffentlicht worden ist, dreht sich alles um die Freundschaft zwischen SpongeBob und seinem besten Kumpel, dem dicken, rosanen und dummen Patrick, der, das soll nicht unerwähnt bleiben, mein Lieblingscharakter in dieser Serie ist. Wiederum haben |Tokyopop| vier Geschichten, die sich ausschließlich mit diesem Thema auseinandersetzen, ausgewählt und in Comic-Form veröffentlicht – und wieder mal haben die Zeichner hierbei ganze Arbeit geleistet!

_Bademeister SpongeBob_
SpongeBob und Patrick liegen am Strand von Bikini Bottom und bewundern den dort tätigen und allseits beliebten Bademeister Larry. Der kleine Schamm träumt zu Patricks Erstaunen ebenfalls von einer solch rasanten Karriere, wie sie die Baywatch-Krabbe gemacht hat, und bekommt zufällig von Larry die Chance, sich als Bademeister zu bewähren. Doch der Job ist weitaus stressiger, als SpongeBob sich dies vorher erträumt hätte, und nach wenigen Minuten in Larrys Abwesenheit herrscht bereits Chaos am Strand.

_Superhelden im Ruhestand_
Patrick und SpongeBob verehren seit jeher die beiden Superhelden Meerjungfraumann und Blaubarschbube und spielen ihre Abenteuer von Zeit zu Zeit nach. Eines Tages machen sie sich auf, herauszufinden, was aus den beiden Männern geworden ist. Dabei treffen sie auf ein paar gealterte Helden, die sich bereits im Ruhestand befinden und auf Abenteuer gar nicht gut zu sprechen sind. Trotzdem gelingt es den beiden Meeresbewohnern, die Superhelden so lange zu provozieren, bis diese wieder ihr Kostüm überstreifen.

_Freunde und Nachbarn_
Als Patrick und SpongeBob eines Tages recht albern mit Seifenblasen spielen, fühlt Thaddäus sich genervt und stachelt einen Streit zwischen den beiden an. Diese jedoch wissen nicht, dass Thaddäus der Verursacher des Zwistes ist und giften sich im Folgenden immer mehr an. Dabei kämpfen sie beide darum, Thaddäus als neuen besten Freund zu gewinnen. Dieser ist sehr schnell von den ehemaligen Kumpels genervt und versucht, die Sache wieder zu bereinigen.

_Anstreicher_
Mr. Krabs beauftragt SpongeBob und Patrick damit, seine Wohnung neu zu streichen, warnt sie jedoch davor, auch nur einen Farbklecks der wasserunlöslichen Farbe an die falsche Stelle zu bringen. Der Job scheint zu gelingen, bis SpongeBob dann auf dem ersten Dollar, den Krabs je verdient hat, einen Farbstreifen entdeckt. Daraufhin versuchen die beiden alles Mögliche, um das Unglück zu vertuschen und hoffen, dass ihr Boss nichts bemerken wird. Doch der ist wie immer ziemlich wachsam …

Von den drei bislang erschienenen Mangas über SpongeBob ist dieser hier mein persönlicher Favorit, weil wirklich jede Geschichte über eine ganze Reihe von Lachern verfügt, die man aber wie immer auch nur dann lustig finden wird, wenn man die Materie an sich liebt. Alleine zu sehen, dass der dumme Patrick plötzlich mit einigen ‚gebildeten‘ Ausdrücken herausrückt, ist jedes Mal wieder eine Wonne, und das machen sich die verantwortlich Zeichnenden dieses Comics daher auch immer wieder zunutze. In diesem Fall sind es aber auch die Szenen, in denen die Kumpels die beiden gealterten Helden triezen oder in denen sie Thaddäus zum wiederholten Male zur Verzweiflung bringen, bei denen die Mundwinkel steil nach oben gehen. Oder aber die Situation, in der SpongeBob und Patrick die Strafe von Mr. Krabs fürchten – das ist einfach total komisch und von den Zeichnern wieder sehr schön und mit dem Blick fürs Wesentliche umgesetzt worden. Diese Mangas, und ganz besonders „Freunde für immer“, bieten kurzweilige Unterhaltung, und man darf sich jetzt schon auf die weiteren bereits angekündigten Bände von |Tokyopop| freuen. Viel Spaß aber erstmal mit diesem schönen Cine-Manga!

http://www.tokyopop.de/

Wolf Serno – Hexenkammer

Der Autor:

Wolf Serno hat lange als Werbetexter in großen Agenturen und 20 Jahre lang als Creative Director in einer großen Hamburger Agentur gearbeitet. 1997 beschloss Wolf Serno, nicht mehr für andere, sondern für sich selbst zu schreiben. Das Ergebnis war der Bestseller „Der Wanderchirurg“, dem später noch der Folgeband „Der Chirurg von Campodios“ und ganz aktuell „Die Mission des Wanderchirurgen“ folgen sollten. Der Autor lebt heute mit seiner Frau und seinen Hunden in Hamburg.

Die Geschichte:

Wolf Serno – Hexenkammer weiterlesen

Ian Fleming – James Bond 007: Moonraker

Das geschieht:

Er ist ein Kriegsheld, einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner seiner Zeit, märchenhaft reich, ein Philanthrop, der mit Spendengeld um sich wirft. Jetzt finanziert und konstruiert Hugo Drax seinem britischen Heimatland sogar die modernste Rakete der Gegenwart, die Atombomben an jeden Ort der Erde tragen kann, wo Kommunistenpack oder anderer Abschaum sich gegen die freie Welt des Westens verschwören will.

„Moonraker“ ist für die auch in diesem Jahr 1955 notorisch klamme Regierung Ihrer Majestät ein Geschenk des Himmels. An der englischen Küste nahe Dover wird die Wunderrakete gebaut und in Stellung gebracht. Zwischenfälle sind unerwünscht. Umso peinlicher, dass ausgerechnet M, der die 00-Abteilung des Secret Service – zuständig für ganz besonders diffizile Geheimdienstaufgaben – leitet, den in seinem Lieblingsclub zockenden Drax als Falschspieler entlarvt. Guter Rat ist teuer, um einen Skandal zu vermeiden. So bittet M James Bond, Dienstnummer 007, um Hilfe. Ian Fleming – James Bond 007: Moonraker weiterlesen

Lovecraft, H. P. – kosmische Schrecken, Der

„Der kosmische Schrecken“ ist ein Sammelband mit den besten Kurzgeschichten und Novellen von Howard Phillips Lovecraft, dem sogenannten Tolkien der Horrorliteratur. Er gilt noch heute als einer der Vordenker und Begründer der klassischen Horrorliteratur und ist zusammen mit Edgar Allen Poe wohl auch der bekannteste Autor dieses Genres. Wer mehr über den Autor erfahren möchte, sollte unbedingt die unten stehenden Links beachten.

Seine bekanntesten und in diesem Band versammelten Werke sind „Der Schatten über Innsmouth“, „Die Ratten im Gemäuer“ sowie „Das Ding auf der Schwelle“. Desweiteren enthält „Der kosmische Schrecken“ die Kurzgeschichten „Dagon“, „Der Flüsterer im Dunkeln“ und „Der Außenseiter“ sowie Anmerkungen, Notizen und eine verworfene Fassung zur Geschichte „Der Schatten über Innsmouth“.

Der Sammelband erschien in „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ des |Festa|-Verlags und ist edel gebunden und von hoher Qualität, sowohl inhaltlich als auch materiell.

Ich möchte nunmehr die Geschichten kurz vorstellen, wobei ich „Dagon“ und „Der Außenseiter“ bewusst auslasse, da diese beiden den Begriff Kurzgeschichte mit sieben beziehungsweise neun Seiten durchaus wörtlich zu nehmen wissen.

_Die Ratten im Gemäuer_

Ein Amerikaner namens Delapore bezieht den neu renovierten Stammsitz seines Clans in England, die Exham Priory. Das Gemäuer stand seit 1610 leer, da ein Vorfahre nach Virginia auswandern musste. Warum, ist dem Neuankömmling noch unklar. Doch schnell merkt er, dass er von den Einwohnern der umliegenden Dörfer gemieden wird und zahlreiche Schauergeschichten über die Exham Priory und das Geschlecht derer De la Poer(so hießen sie vor der Auswanderung) kursieren.

Delapore stellt Nachforschungen an und findet heraus, dass seine Vorfahren und er als Geschlecht erbranker Dämonen dargestellt werden, gegen die Gilles de Rais und der Marquis de Sade wie blutige Anfänger wirken. Besonders lebhaft allerdings bleibt ihm die Geschichte von einer Rattenarmee im Gedächtnis, die sich aus dem Haus ergossen haben soll und vielen Tieren und einigen Menschen aus der Umgebung den Tod brachte. Er bringt außerdem in Erfahrung, dass die Grundmauern seines Hauses noch aus der Römerzeit stammen und dort der dunkle Kult der Magna Mater seine Riten praktizierte.

Nachdem Delapore nun eine Woche in Exham gewohnt hat, geschieht etwas Merkwürdiges. Seine zahlreichen Katzen spielen verrückt, einschließlich seines Katers Nigger, denn hinter den Wänden des Herrenhauses ist das Tippeln von unzähligen Ratten zu hören. Bei den Nachforschungen zu diesem Vorfall, die er zusammen mit seinem Bekannten Captain Norrys betreibt, entdeckt er im Keller einen Altar der Fruchtbarkeitsgöttin Kybele.

Zusammen mit einigen eiligst eingeladenen Archäologen untersuchen sie das Steingebilde und finden darunter einen Gang. Sie wissen nicht, dass der Schrecken, der dort unten lauert, weit älter ist als die Römerzeit und seine Finger schon nach Delapore ausgestreckt hat …

_Das Ding auf der Schwelle_

|Es ist wahr, dass ich meinem besten Freund sechs Kugeln durch den Kopf gejagt habe, und dennoch hoffe ich mit dieser Aussage zu beweisen, dass nicht ich sein Mörder bin.| (Auszug aus dem Buch)

Der Berichterstatter und ausführendes Organ dieser Tragödie, Daniel Upton, berichtet, wie es zu ebenjener kam. Der Freund, den er erschoss, hieß Edward Pickaman Derby und war zu Lebzeiten ein Student des Okkulten an der Miskatonic-Universität in Arkham, Neuengland. Da er allerdings von weichem Gemüte war und den Campus nicht verlassen wollte, studierte er mit seinen 38 Jahren noch immer dort. Das wurde ihm zum Verhängnis, als er die junge Asenth White kennen und lieben lernte.

Nach kurzer Zeit heirateten Edward und Asenath. Von nun an bekommt Upton seinen Freund nur noch selten zu sehen, und wenn doch, ist er stark verändert. Der Wandel Derbys vom schwachen Lethargiker zum schwungvollen, energiegeladenen Bonvivant macht Upton misstrauisch. Daher beginnt er, Nachforschungen über Asenath White und deren Vergangenheit anzustellen.

Asenaths Vater ist der im Wahnsinn verstorbene Hexenmeister Ephraim White, der um 1850 in Innsmouth einen Pakt mit seltsamen Wesen aus dem Meer geschlossen haben soll (siehe auch „Der Schatten über Innsmouth“ weiter unten). Sie scheint erstaunliche Gaben von ihrem Vater geerbt zu haben, denn sie ist eine begnadete Hypnotiseurin und vermag das Bewusstsein zweier Personen kurzfristig auszutauschen.

Die Jahre vergehen, und Ed Derby wird immer dynamischer und jünger, doch als Upton zufällig Asenath durch ein Fenster erblickt, bekommt er einen Schreck. Sie sieht alt und krank aus und scheint von ihrem Ehemann im ersten Stock eingesperrt worden zu sein. Wenige Tage später bekommt der Protagonist einen Anruf, in dem er erfährt, dass Edward Derby völlig verwirrt im Wald aufgefunden wurde. Upton holt ihn ab und auf der Heimfahrt eröffnet Edward ihm Ungeheuerliches.

Seine Frau würde mit ihm immer wieder die Seelen tauschen und ihn dann in Asenaths Körper einsperren. Außerdem sei es gar nicht Asenaths Seele, sondern die von ihrem Vater Ephraim White, die in ihrem Körper wohne. Er habe nämlich schon im Kindesalter die Kontrolle über seine Tochter übernommen und sucht jetzt einen männlichen Körper, da der weibliche nicht ausreichend für seine Zwecke sei. Daher hat er vor, die Seelen dauerhaft mit Derby zu tauschen.

Kurze Zeit später tötet Derby seine Frau und ein Ding klopft an Uptons Türe und fordert einen letzten Gefallen ein.

_Der Flüsterer im Dunkeln_

Albert N. Wilmarth ist Literaturprofessor an der Miskatonic-Universität. Er wird gebeten, einen Artikel über merkwürdige Sichtungen bei einer Überschwemmung in Vermont anno 1927 zu schreiben. Bei dieser wurde von krustentierartigen Wesen mit Flügeln berichtet, die tot in den Fluten trieben. Der Professor tut dies als Aberglauben ab, da die Beschreibungen außergewöhnlich gut zu alten Sagen und Volksmärchen aus dieser Gegend passen.

Kurze Zeit darauf erhält er einen Brief von einem gewissen Henry W. Akeley, der ihn bittet, die öffentliche Diskussion über die Sichtungen einzustellen, da die Leute von den Bergen Vermonts ferngehalten werden müssten. Er führt aus, dass es diese Wesen wirklich gebe und er ihm sogar Beweise zukommen lassen würde, wenn Wilmarth das wolle. Zudem behauptet er, die Wesen seien eine außerirdische Rasse, die in den Bergen Vermonts Rohstoffe abbaue und sehr ungehalten auf Störungen reagiere. Wilmarth stimmt dem Versand der Beweise zu und erhält ein Tonband, auf dem die Stimmen der Wesen aufgezeichnet sind, sowie Fotos von deren Fußabdrücken.

Die beiden Herren schreiben sich immer häufiger, und Akeley berichtet von menschlichen Spionen der Außerirdischen, dass er von diesen Wesen bedrängt würde und dass er seine Sicherheit nur seinen Wachhunden zu verdanken habe. Seine Briefe werden immer ängstlicher, doch er lehnt kategorisch ab, dass Wilmarth ihm zu Hilfe kommt, da er ihn nicht ebenfalls in Gefahr bringen möchte.

Doch nach einige merkwürdigen Vorfällen berichtet Akeley, dass er sich mit dem Wesen verständigt habe und lädt Wilmarth in sein abgelegenes Landhaus in die Berge von Vermont ein …

_Der Schatten über Innsmouth_

Ein junger Mann bereist im Jahre 1927 Neuengland. Auf seiner Reise hört er Geschichten über einen Ort namens Innsmouth, der allerdings auf keiner Straßenkarte verzeichnet ist. Dies weckt seine Neugier und er beschließt, diesem Städtchen einen Besuch abzustatten, trotz der Warnungen der Bevölkerung umliegender Dörfer. Dort seien die Menschen degeneriert und unchristlich und so mancher Fremder sei nicht mehr von dort zurückgekehrt.

Als der Ich-Erzähler in Innsmouth ankommt, erwartet ihn, was ihm beschrieben wurde: Eine halb verfallene und heruntergekommene Gemeinde, abweisende froschgesichtige Bewohner und einen unchristlichen Kult, der sich die Kirche des Dagon nennt.

Neugierig macht sich der junge Mann auf die Suche nach Informationen und erhält sie auch von einem 96-jährigen alkoholsüchtigen Kauz. Zadok Allen, wie dieser Kerl heißt, erzählt ihm mit lallender Zunge, dass ein hier ansässiger Kapitän einen Teufelspakt mit fischartigen Kreaturen aus dem Meer geschlossen habe und seitdem deren Gott Cthulhu Menschenopfer darbringe. Doch das ist noch nicht alles, denn die Rassen, Meereswesen und Menschen, haben angefangen sich zu vermischen, und die meisten Bewohner von Innsmouth seien mittlerweile hybride Mischwesen, die aus dieser ungeheuerlichen Verbindung hervorgegangen seien.

Dass es sich bei dieser Erzählung des Alten nicht um seniles Gerede handelt, merkt der Protagonist schnell, denn jetzt wird unerbitterlich Jagd auf ihn gemacht …

_Mein Eindruck_

Lovecraft versteht es meisterlich, trotz relativ absehbarer Handlung, den Leser zu überraschen. Die Geschichten sind alle in der Ich-Perspektive geschrieben und beschreiben alle, bis auf „Der Außenseiter“, vergangene Ereignisse. Dadurch erhalten sie eine Spannung und Direktheit, die den Leser fesselt. Sie fesseln nicht durch Action, wie das viele der heutigen Horrorgeschichten tun, sondern durch die Atmosphäre und den hintergründigen Schrecken. Interessant ist, dass das Ende der Geschichte meist schon zu Beginn feststeht; es ist also der Weg zu diesem Ende, der so spannend ist.

Auch die Zusammenstellung des Sammelbandes ist hervorragend. „Die Ratten im Gemäuer“, „Das Ding auf der Schwelle“, „Der Flüsterer im Dunkeln“ und „Der Schatten über Innsmouth“ zählen zweifellos zu den besten Kurzgeschichten Lovecrafts. Die Auflockerungen durch die wirklich kurzen „Dagon“ und „Der Außenseiter“ sind eine willkommene Abwechslung, und speziell erstere Geschichte passt stimmig zusammen mit „Der Schatten über Innsmouth“, schließlich heißt der dortige Kult nicht zufällig „Kirche des Dagon“.

Allerdings muss man Lovecraft auch durchaus kritisch bewerten. Schließlich ist das Frauenbild, das er in seinen Geschichten, speziell in „Das Ding auf der Schwelle“, präsentiert, alles andere als fortschrittlich. Wenn ein Hexer einen männlichen Körper sucht, weil der weibliche nicht über genügend geistige Kapazität verfügt, spricht das Bände. Auch der fremdenfeindliche Unterton in „Der Schatten über Innsmouth“ oder solche Dinge wie der Name des Katers (Nigger) in „Die Ratten im Gemäuer“ sind nicht zu leugnen. Doch meine ich, man sollte sich erst bewusst machen, dass erstens die Geschichten zwischen 70 und 80 Jahren alt sind und einer anderen Kulturepoche entstammen, und dass zweitens Lovecraft ziemlich eigenbrötlerisch und fremden Dingen allgemein wenig aufgeschlossen war.

Wer über diese Dinge hinwegsehen kann, wird mit diesem Sammelband seine wahre Freude haben. Doch auch wer schon einige der Kurzgeschichten besitzt, sollte eine Anschaffung erwägen, denn das Zusatzmaterial zu „Der Schatten über Innsmouth“ ist äußerst interessant, und Lovecrafts Notizen lassen durchaus auch auf seinen Charakter schließen sowie Zugang zu den Gedanken finden, die er sich über seine Geschichten gemacht hat.

So bleibt zu sagen, dass sich dieser Band sowohl für Lovecraft-Neulinge als auch für Fans eignet und einen guten Überblick über das Schaffen dieses bedeutenden Phantastik-Autors vermittelt.

Wer noch mehr über Lovecraft und seine Werke erfahren möchte, sollte sich ergänzend diese Besprechungen näher anschauen:

[Schatten über Innsmouth 506

[H. P. Lovecraft – Eine Biographie 345

Weitere Rezensionen zu Lovecraft-Werken bei |Buchwurm.info|:

[Der Cthulhu-Mythos (LPL-Hörbuch) 524

[Cthulhu: Geistergeschichten 1421

[Das Ding auf der Schwelle & Ratten im Gemäuer (LPL-Hörbuch) 589

[Der Fall Charles Dexter Ward 897

[Der Schatten über Innsmouth (LPL-Hörbuch) 424

[Die Katzen von Ulthar und andere Erzählungen 1368

Kotteder, Franz – Billiglüge, Die – Die Tricks und Machenschaften der Discounter

Mal Hand aufs Herz: Jede/r von uns war schon mal bei Aldi, Lidl, Schlecker und Konsorten einkaufen, oder? Und vor nicht allzu langer Zeit hat selten eine Werbekampagne die Käufermentalität besser auf den Punkt gebracht als: Geiz ist geil! Die Discounter sind, ob wir´s wollen oder nicht, immer stärker auf dem Vormarsch. Aldi zum Beispiel ist Marktführer bei PCs und Laptops, Seidenstrumpfhosen, Toilettenpapier und sogar beim Kaffee die Nummer drei in Deutschland. Der Marktanteil der Discounter beträgt 40 Prozent. Tendenz: Steigend!

Der Autor des Buches, Franz Kotteder, hat sich da so seine Gedanken gemacht, wie zur Zeit die Einkaufsmentalität (nicht nur der Deutschen) beschaffen ist, und welcher Rattenschwanz hinter den „Schnäppchen“ steckt. Hauptberuflich ist er seit 1991 Redakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“ mit dem Schwerpunkt Kultur, hat sich aber auch als Autor von politischen Sachbüchern einen Namen gemacht.

Dabei fällt auf, dass sich das Buch sehr gut lesen lässt und recht kurzweilig geschrieben ist. Das Thema wird von seinen unterschiedlichsten Seiten beleuchtet. Der Schwerpunkt wird von der Discounterseite auf Aldi, Lidl und Schlecker gelegt. Natürlich gibt es erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Nachahmer, doch die Erstgenannten sind nunmal die Marktführer. Interessant sind vor allem die Persönlichkeiten hinter den „Billigheimern“: Karl und Theo Albrecht (Aldi), Dieter Schwarz (Lidl) und Anton Schlecker (Schlecker). Die Personen hinter den Kulissen passen wie die günstigen Preise zu den einzelnen Ketten. Manch eine Tugend, die man normalerweise unter einer Marotte abtun würde, sieht man angesichts der Milliardenschwere der Gründer unter einem ganz anderen Blickwinkel. Es ist schon interessant, wie sparsam die Gründer sind, denn anders lässt sich ihre Mission, den günstigsten Preis herauszuholen, nicht erklären. Vor allem ist es interessant zu erfahren, wie die Preise zustande kommen bzw. welche Tricks und Kniffs die Ketten dabei anwenden.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Behandlung des Personals und warum die Discounter alles andere als darauf erpicht sind, einen Betriebsrat zuzulassen. Dass z. B. bei Rewe genauso viel Personal jeweils hinter der Fleisch-, Bäcker- und Käsetheke steht wie beim Aldi in einem ganzen Markt, ist sehr bezeichnend. Anders lässt es sich nicht erklären, warum die Mitarbeiter bei Aldi z. B. fleißig wie die Bienen ackern müssen, um den Markt in Schwung zu halten. Natürlich werden sie dabei gut entlohnt, doch welchen Preis müssen die meisten Mitarbeiter bei den Discountern zahlen?

Natürlich kommen auch grundlegende Dinge, wie z. B. die Herkunft der Billig-Eier, unter welchen Bedingungen Kakao geerntet wird und die „Produktion“ von Hähnchen und Puten zur Debatte. Danach überlegt man es sich mehr als einmal, ob beim nächsten Einkauf die Ware der Discounter die erste Wahl darstellt. Dasselbe trifft (leider) natürlich auch auf Garnelen zu, und den Preis für diese Produkte zahlt die Umwelt beziehungsweise am Ende der Kette der Verbraucher mit seiner Gesundheit. Die aufgeführten Beispiele bilden leider die Regel, was wohl auf absehbare Zeit nicht gestoppt werden kann.

Dass es aber trotzdem Wege aus der „Geizfalle“ gibt, wird in dem letzten Kapitel aufgezeigt. Interessant ist dabei, wie man das System „Discount“ auch auf einen Biodiscounter übertragen kann. Dabei handelt es sich um den Biodiscounter „Erdkorn“, der vom ehemaligen Aldi-Manager Thomas Hinz gegründet wurde. Die Vorgehensweise ist dabei wie beim Discounter, nur mit dem Unterschied, dass die Mitarbeiter besser behandelt werden und es sich ausschließlich um Bioprodukte handelt. Natürlich haben auch die ihren Preis, ohne Frage, doch kann die Kette die zwar guten, aber sehr teuren Reformhäuser preistechnisch unterbieten.

Alles in allem sind die aufgeführten Fakten schon bezeichnend, denn gerade aktuell wird das Thema in den Medien sehr stark hochgekocht. Seien es die Proteste der Gewerkschaft gegenüber Lidl oder die Einfuhrbeschränkung für aus China stammende Textilien: Das Thema ist aktueller denn je und wird wohl auch in Zukunft mächtig Staub aufwirbeln. Was das Buch angeht, so ist es meiner Meinung nach gut geschrieben, aber die Meinung, die dort vom Autor vertreten wird, ist sehr einseitig. Natürlich ist es leicht, die Discounter an den Pranger zu stellen und sie für vieles verantwortlich zu machen, was sie auch ohne Frage sind. Aber auf der anderen Seite kann ich´s mir nicht erklären, warum dieselbe Hähnchenbrust von „Kupfer“ bei Rewe doppelt so teuer ist wie beim Aldi, obwohl es sich um dasselbe Produkt handelt. Auch in Sachen „Bio“ sind die Discounter auf dem Vormarsch, wo auch hier wieder Aldi Pionierarbeit leistet. Das sind einige Punkte, die mir auch nach zweimaliger Lektüre des Buches nicht unbedingt einleuchten wollen.

Das Beste aber ist es, wenn ihr euch selbst das Buch zulegt, um euch ein eigenes Bild von den „Zuständen“ bei den Discountern zu machen. Spannend ist es auf jeden Fall, und wer Cents, ähm, ich mein Blut geleckt hat, dem seien noch folgende Bücher als Ergänzung empfohlen:

Dieter Brandes, „Die 11 Geheimnisse des Aldi-Erfolgs“, Frankfurt/Main 2003

Dieter Brandes, „Konsequent einfach – Die Aldi-Erfolgsstory“, München 2001

Andreas Hamann und Gudrun Giese, „Schwarz-Buch Lidl – billig auf Kosten der Beschäftigten“, herausgegeben von Verdi, Berlin 2004

Naomi Klein, „No Logo – Der Kampf der Global Players um Marktmacht“, München 2001

Dela Cruz, Arthur – Kissing Chaos

„Kissing Chaos“ ist das Comic-Debüt von Arthur Dela Cruz, der 2002 für einen |Eisner Award| nominiert wurde – als Talent, das größere Aufmerksamkeit verdient hat. Die erste Miniserie, die in diesem Band gesammelt vorliegt, wurde außerdem von |Ain’t Cool News/Gray Haven Magazine| als eine der zehn besten Comic-Serien des Jahres ausgezeichnet.

Dela Cruz ist einer dieser aufstrebenden Zeichner, die in ihren Büchern Emotionen, Gewalt, Action und Tiefgang darstellen und somit auch ein gewises Maß an Melancholie kreieren. Bei „Kissing Chaos“ ist es dem Autor und Zeichner dabei gelungen, düstere Schwarzweiß-Ilustrationen mit einer wirklich sehr guten Geschichte zu verknüpfen, die darüber hinaus gar nicht mal so leicht durchschaubar ist – und das, obwohl Dela Cruz sich weitestgehend der Umgangssprache bedient.

_Story:_

Angela, Damien und Raevyn könnten von ihrer Ausstrahlung her kaum verschiedener sein. Erstere strahlt eine fast schon unheimliche innerliche Ruhe aus und spricht nicht ein Wort. Doch der äußere Schein trügt, denn Angela trägt ein schreckliches Geheimnis in sich, von dem nicht mal ihr Engel, der geliebte Damien, weiß. Damien ist ein ziemlich übler Draufgänger-Typ, dem jedes Mittel recht zu sein scheint – egal in welcher Hinsicht. Angela hat er nur zufällig getroffen, doch hat diese kurze Zeit schon gereicht, um ein Zeichen in ihrem Leben zu hinterlassen, das sich nicht mehr entfernen lässt. Raevyn hingegen ist eine ziemlich eigenbrödlerische Zicke mit einem übertriebenen Selbstbewusstsein, die ab und zu durch ihre flotten Sprüche Ärger provoziert. Sie war zudem einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort und gerät mitten in eine recht chaotische Geschichte hinein.

Doch jetzt haben die drei Charaktere eines gemeinsam: Allesamt sitzen sie in einem gestohlenen Auto und fliehen darin vor der jüngeren und älteren Vergangeheit – und vor der Polizei, die den Mörder eines älteren Geschäftmannes sucht und ihn in diesem Wagen vermutet. Doch ihre Flucht verläuft alles andere als problemlos: Alle drei werden wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt, treffen dabei auf skrupellose Killer, Personen, die sie eigentlich nie wieder sehen wollten und geheimnisvolle Männer in Trenchcoats, die scheinbar überall anzutreffen sind. Und alle beherbergen sie nach wie vor ein individuelles, unheimliches Geheimnis …

Arthur Dela Cruz hat mit diesem Werk eine ziemlich komplexe und sehr tief greifende Geschichte entwickelt, bei der ich jetzt schon froh darüber bin, dass ich sie in diesem Sammelband komplett vorfinde. Ansonsten hätte man sicherlich ziemlich schnell den Faden verloren, denn der Autor und Zeichner wechselt fast beständig die Szenarien und schwenkt dabei immer wieder zwischen Vergangenheit, Illusion und Gegenwart hin und her.

Im Mittelpunkt steht dabei ganz klar die verlegene Angela, die unsterblich in ihren Begleiter Damien verliebt ist. Warum das so ist, kann man anfangs nur erraten, jedoch wird man im Laufe der Erzählung immer mehr mit dem gemeinsamen Geheimnis und ihrer seltsamen Verbindung konfrontiert. Angela spricht in diesem Buch nicht einen Satz, bekommt aber durch die verschiedenen illsutrierten Gedankengänge genügend Raum, um ihre Gefühle und Emotionen darzustellen. Die von Dela Cruz charakterisierte hübsche Frau wirkt dabei sehr zerbrechlich; erst blind aus Liebe, dann immer mehr von Selbstzweifeln geplagt und schließlich zu allem bereit, um die Illusion ihres Helden, ihres Engels aufrecht zu erhalten.

Und genau dieses Dilemma ist auch der Kernpunkt der Geschichte und wird durch die einzelnen Zwischenüberschriften beziehungsweise die poetisch vorgetragenen Übergänge zwischen den Kapitel deutlich verstärkt.

Es geht nämlich nicht in erster Linie um die fast schon oberflächlich erscheinende Flucht, sondern eher um die Umstände, die dazu führten. Sehr wohl beschäftigt sich „Kissing Chaos“ aber in gewisser Weise mit der Flucht vor Vergangenem und somit auch vor der Realität, und genau das wird durch die Gegenwartshandlung symbolisch geschildert.

Dela Cruz hat dabei als Autor, vor allem aber auch als Zeichner, der einen sehr guten Blick fürs Wesentliche hat und sich nicht mit unwichtigen Details aufhält, ganze Arbeit geleistet. Dies verraten auch die ganzen Hintergrundinformationen, die diesem Sammelband angehängt wurden. Hier bekommt Dela Cruz Gelegenheit, die einzelnen Charaktere noch einmal aus seiner Sicht vorzustellen und ihre Entstehungsgeschichte darzulegen. Dazu gibt es einzelne entfallene und alternative Sequenzen, welche die Geschichte dann nochmal in ein etwas anderes Licht rücken und Anlass zum Nachdenken geben.

Schlussendlich muss man jedenfalls sagen, dass hier das gesamte Paket ausgezeichnet ist, sowohl die Zeichnungen und die Story als auch die Aufmachung dieses edlen Bandes. Wer über den normalen Comic hinaus eine komplexe Story mag, der findet in „Kissing Chaos“ sicherlich das, wonach er sucht.

http://www.eidalon.de/

Robert Charles Wilson – Die Chronolithen

Wer ist Kuin?

Wissen Sie das? Nein? Nun, keiner weiß, wer Kuin ist. Aber jeder kennt ihn. Seit dem Tag, an dem der erste „Chronolith“ im thailändischen Chumphon erschien. Ein blauer Obelisk aus einem unbekannten, nicht analysierbaren und anscheinend auch unzerstörbaren Material mit einer Inschrift, die den Sieg der alliierten Streitkräfte Kuins über Süd-Thailand und Malaysia preist – am 21. Dezember 2041. Zwanzig Jahre in der Zukunft. Spätestens aber, nachdem ein wesentlich größeres Exemplar in Form einer stilisierten menschlichen Gestalt explosionsartig Bangkok entkernt und zahllose Todesopfer gefordert hat. Und das war erst der Anfang …

Robert Charles Wilson – Die Chronolithen weiterlesen