Kellerman, Jonathan – Pathologe, Der

Jeremy Carrier hält sich für keinen besonderen Menschen – zumindest bis Jocelyn auftaucht und eine heftige Beziehung mit ihm beginnt. Doch dann wird Jocelyn brutal ermordet und Jeremy steht ganz oben auf der Liste der Verdächtigen.

Ein halbes Jahr später werden drei Protituierte ermordet, und wieder wird Jeremy, der sich gerade von dem Schock erholt hat, von der Polizei verdächtigt. Da tritt der Pathologe Arthur Chess an Jeremy heran und führt ihn in eine geheimnisvolle Gruppe ein. Nach dem abendlichen Treffen verschwindet Chess plötzlich, dafür erhält Jeremy merkwürdige Botschaften, die ihn wohl alle in eine Richtung stoßen sollen.

So beginnt Jeremy seine eigenen Nachforschungen, während die Polizei ihn noch immer verdächtigt und teilweise auch beschattet. Der Chirug Dirgrove erweckt sein Misstrauen, nachdem dieser seine neue Freundin Angela Rios belästigt. Jeremy findet heraus, dass Dirgroves Vater ein überführter Serienmörder gewesen ist.

Doch dann verschwindet Angela plötzlich spurlos. Dirgrove hat ein Alibi, denn er wurde von Jeremy bei einem heimlichen Stelldichein mit einer Internistin beobachtet, als andernorts eine weitere Prostituierte grausam ermordet wurde.

Wer ist der wahnsinnige Serienmörder, dessen Spur sich über fast alle Kontinente nachvollziehen lässt? Und in welchem Verhältnis steht dieser zu dem verstorbenen Serienmörder, der Dirgroves Vater war?

Ein besserer Titel für dieses Buch würde wohl „Die Sünden der Väter“ lauten. Kellerman stellt unbewiesene Theorien vor, die manch unbedarften Menschen erschrecken könnten. Und vor allem tut er zwei Dinge: Er erzählt schlecht und kennt sich offensichtlich nicht in dem Metier aus, über das er schreibt.

Nur so kann ich erklären, dass Jeremy Carrier im Klappentext und auch zwischendurch immer wieder als Psychologe betitelt wird, anderenorts dann wieder als Psychiater auftritt – zwei völlig verschiedene Berufszweige. Und wenn dann noch Freud herbeigezogen wird, zweifle ich daran, ob der Autor wusste, was er da alles zusammenmengte.

Kellermans Schreibstil ist noch mit viel Wohlwollen als provokant und schnodderig zu betiteln, seine Charakterzeichnungen schwanken zwischen archetypisch und unglaubhaft. Was er versucht, mit Trauer zu erklären, ist außerhalb des guten Geschmacks. Alles andere, Beschreibungen (die ohnehin das äußerliche Maß nie überschreiten), Erklärungen und Dialoge lassen den Roman langatmig und langweilig werden. Keineswegs Thrillereigenschaften.

Ich möchte es nicht beschreien, aber offensichtlich zehrt Jonathan Kellerman vom Ruf seiner Frau, der Krimikönigin Faye Kellerman, anders kann ich mir sein Renommé nicht erklären. Da sollte er das Schreiben wohl doch besser seiner Gemahlin überlassen.

Alles in allem ist „Der Pathologe“ ein mehr als enttäuschendes Buch, dessen Titel mal wieder irreführt. Das Klinikmilieu geht vollkommen unter, dafür gibt grauenhafte Figuren und eine zähe Handlung, die irgendwie nie wirklich weitergeht. Nicht zu empfehlen.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Louis Weinert-Wilton – Die weiße Spinne

Weinert-Wilton Spinne Cover kleinDas geschieht:

Zwölf kleine gläserne Spinnen wurden dem Geschäftsmann Richard Irvine vor einem Jahr ins Haus geschickt. Kurze Zeit darauf war er tot, vor einen U-Bahnwaggon gestürzt, eine der besagten Spinnen krampfhaft umklammernd. Die anderen elf waren verschwunden, tauchen aber nach und nach wieder auf: Jedes Mal hält sie ein anderes Mordopfer in der Hand.

Scotland Yard setzt Inspektor Dawson, seinen besten Mann, auf den Fall an. Verbissen geht der alte Haudegen den schwachen Spuren nach. Seine Hauptverdächtige ist Muriel Irvine, Richards Witwe, die nach dem Tod des Gatten eine hohe Versicherungssumme einstrich. Dass sie leugnet, von den Spinnen zu wissen, wird ihr Verhängnis, denn Dawson weist ihr dies als Lüge nach. Bevor er seine Fahndung intensivieren kann, wird er allerdings umgebracht. In seiner Hand: eine der Spinnen!

Louis Weinert-Wilton – Die weiße Spinne weiterlesen

McKenna, Juliet E. – Ryshads Rache (Die Welt von Einarinn)

„Ryshads Rache“ ist nach „Diebesgut“ der zweite Roman aus der „Welt von Einarinn“. Die einzelnen Bände beziehen sich zwar aufeinander, sind aber auch unabhängig voneinander lesbar.

Aus den Trümmern eines gefallenen Imperiums versuchen die Menschen des Festlandes nun, das alte Wissen – auch und vor allem über die Magie – wieder zu bergen. Doch sie sind nicht alleine. Die Elietimm, ein Volk aus dem hohen Norden, sind ebenfalls auf der Jagd nach Artefakten und bereit, skrupellos und grausam ihre eigene Magie einzusetzen und über Leichen zu gehen.

Ryshad, eingeschworener Mann des Hauses D´Olbriot, wird dazu abgestellt, den Zauberern von Einarinn weiter zu dienen, nachdem ihn der Erzmagier persönlich angefordert hat. Denn Ryshad besitzt durch einen früheren Auftrag schon Erfahrung im Aufspüren von alten Artefakten und in Begegnungen mit den Elietimm.

Diesmal haben er und der Magier Shivvalan die Aufgabe, einen alten Zauberer aus seinem Exil zurückzuholen und zu den Magiern zu bringen, denn er besitzt Wissen über eine Enklave von Überlebenden aus früheren Zeitaltern. Doch auch die Elietimm sind auf der Jagd …

Deshalb bitten Ryshad und Shiv nun auch wieder Livak um Hilfe, die Diebin und Spielerin, die ihnen schon einmal so hilfreich zur Seite stand. Während die junge Frau eher unwillig ist, scheint ihre Freundin Halice um so interessierter. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg.

Doch dann wird Ryshad von seinen Freunden getrennt und in die Sklaverei verschleppt. Während seines Lebens als Diener auf dem Aldabreshin-Archipel muss er nicht nur mit der fremdartigen Kultur zurecht kommen, sondern auch mit Entsetzen feststellen, wie weit die Macht der Elietimm bereits reicht.

Und nicht zuletzt erweist sich sein Schwert als letzter wertvoller Schlüssel, um die Enklave zu finden und die dort Eingeschlossenen vor dem mörderischen Eisvolk zu retten. Ryshad muss es nur gelingen, der Gefangenschaft zu entfliehen und nach Hause zurückzukehren …

„Ryshads Rache“ ist ein Fantasy-Abenteuer, das ohne exotische Wesen auskommt, aber allein schon durch die allgegenwärtige Magie und die fremden Kulturen einen farbenprächtigen Hintergrund bietet. Man merkt zwar, dass man den Teil einer Serie vor sich hat, da die Bedrohung durch die Elietimm nicht verschwindet, auch wenn es Ryshad und Co. wieder gelingt, ihnen eine Schlappe zuzufügen, die Handlung ist aber in sich geschlossen und bietet ein zufrieden stellendes Ende.

Juilet E. McKenna gelingt es, ihren Figuren durch Schwächen und eigensinnige Marotten Leben einzuhauchen und gleichermaßen glaubwürdige Männer- wie auch Frauencharaktere zu erschaffen, die die Handlung durch ihre Aktionen vorantreiben, auch wenn sie manchmal ein wenig zu geschwätzig sind.

Dazu kommt ein gesundes Maß an Action, so dass Leser, die spannende Fantasy-Abenteuer mögen, eine unterhaltsame Lektüre vorfinden werden.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Jackson, Shirley / Gruppe, Marc – Spuk in Hill House (Gruselkabinett 8 & 9)

_Ein Großvater unter den Geisterhäusern._

Shirley Jacksons „Spuk in Hill House“ hat seit seinem Erscheinen 1959 schon einige Wiedergeburten hinter sich gebracht, unter anderem die beiden Verfilmungen „Bis das Blut gefriert“ (1963) und „Das Geisterschloss“ (1999). 2005 also hat sich [Titania Medien]http://www.titania-medien.de/ des Klassikers angenommen und ihn auf zwei CDs in ein melancholisch düsteres Klanggewand gehüllt.

Seinen Klassiker-Status hat „Spuk in Hill House“ nicht umsonst, finden sich doch darin all die Elemente, die noch heutzutage mannigfaltig variiert werden, um dem Gruselsüchtigen eine viktorianische Gänsehaut zu verpassen; Jacksons Roman ist geradezu ein Archetyp der Geisterhaus-Geschichte:

Hill House ist ein uraltes Herrenhaus, in dem sich nachts niemand aufzuhalten wagt; selbst die beiden Haushälter Dudley kehren vor Anbruch der Dämmerung in den Ort zurück, um den Spukerscheinungen des Gemäuers nicht ausgesetzt zu sein.

Das ist für Dr. John Montague ein gefundenes Fressen. Der Professor der Philosophie und Anthropologie ist brennend an der Erforschung übernatürlicher Phänomene interessiert, er erhofft sich von der psychischen Aktivität des Hauses Ergebnisse, die seinen zweifelnden Kollegen das Hohnlachen vom Gesicht wischen sollen. Zu diesem Zweck hat er zwei Versuchspersonen um sich geschart, die mit ihm die Nächte in Hill House verbringen sollen: Theodora, eine quirlige Exzentrikerin, die in dem Ruf steht, telepathische Fähigkeiten zu haben, und Eleanor Vance, eine sensible junge Frau, die mit Poltergeist-Phänomenen in Verbindung gebracht wird.

Mrs. Gloria Sanderson, die aktuelle Eigentümerin von Hill House, zeigt sich mit dem Vorhaben von Dr. Montague einverstanden, knüpft allerdings die Bedingung daran, dass ihr Neffe Luke ebenfalls in die Forschergruppe aufgenommen wird. Ein charmanter Tunichtgut sei er, erklärt sie dem Doktor, der mit sinnvoller Beschäftigung von seinem Dandy-Dasein abgebracht werden soll.

Als dann die erste Nacht heranbricht, haben sich zwischen den Teilnehmern bereits sympathische Bande geknüpft und das ist auch gut so: Schon jetzt beginnt sich unheimliches Leben in dem Haus zu regen …

_Ein Hauch von Moder._

Eine solche Story klingt heutzutage natürlich etwas staubig, aber andererseits auch nostalgisch und charmant. „Spuk in Hill House“ ist eine Wanderung in die Tiefe: Je tiefer die Forschungsgruppe in die Vergangenheit des Hauses taucht, desto tiefer taucht der Zuhörer in die Vergangenheit der Figuren. Besonders die verletzliche Seele von Eleanor Vance arbeitet sich schärfer heraus, ebenso wie die düsteren Seiten ihrer selbst. Aber auch die Beziehungen der Figuren untereinander differenzieren sich aus, sie entwickeln eine eigene Dynamik, die von den Phänomenen in Hill House vorangetrieben werden.

Das ist dann auch der entscheidende Unterschied zu Jan de Bonds Interpretation „Das Geisterschloss“: Auch wenn sich die Verfilmung ziemlich nah am Original hält, stehen dort die Geistererscheinungen von Hill House im Mittelpunkt; die Quelle dieser Erscheinungen wird ergründet, während die Figuren zwar wichtig sind, aber bei weitem nicht den Stellenwert einnehmen, wie sie es in dieser Hörspiel-Adaption tun.
Aus diesem Gruselgeschichten-Blickwinkel mag der Zuhörer dann vielleicht etwas enttäuscht sein, denn wo „Das Geisterschloss“ den Erscheinungen Namen gibt, bleiben die Ursachen in dieser Version verborgen; der Hörer muss sich mit den Spekulationen begnügen, die sich die Forschungsgruppe erarbeitet.

Über das Finale möchte ich hier natürlich nicht allzu viele Worte verlieren, aber so viel sei gesagt: Von der abgerundeten Konstruktion der 1999er Verfilmung ist es weit entfernt. Ob das nun gut oder schlecht ist, muss der geneigte Hörer entscheiden, beide Versionen befriedigen, wie ich finde, nicht völlig.

_Ohrenkino der Oberliga._

Tontechnisch haben |Titania Medien| hier eine exzellente Leistung vollbracht. Die Musik und die Sounds sorgen für genau die Atmosphäre, die diese Geschichte braucht: ruhig, düster und melancholisch. Man kann das Holz und das Kaminfeuer fast riechen, ständig entstehen Bilder im Kopf und das Echo der Hill House´schen Hallen scheint sich bis ins Wohnzimmer auszubreiten. Wer sich nicht auf mein Wort verlassen möchte, mag sich auf die Homepage von |Titania| begeben, dort nämlich gibt es eine Hörprobe zum kostenlosen Download.

Auch die Wahl der Sprecher ist hervorragend: |Titania Medien| haben für ihre Hörspiele hauptsächlich illustre Stimmen verpflichtet und diese zudem perfekt auf die zu sprechenden Figuren ausgewählt: Da haben wir die freche und selbstbewusste Theodora (Arianne Borbach, u. a. Sprecherin für Catherine Zeta Jones), die schüchterne Eleanor (Evelyn Maron, die u. a. Kim Basinger ihr hauchendes Organ leiht), den sympathisch eloquenten Luke (David Nathan, u.a. Johnny Depp & Christian Bale) oder Dr. John Montague (Christian Rode, u. a. Sean Connery), dessen herrlich knorriges Organ den weisen Wissenschaftler gibt, wie ihn wohl kaum ein anderer hinbekommen hätte.

Zwar kommt, wie gesagt, die Story mit einem Hauch von Gilb und einem schwächelnden Finale daher, aber diese professionelle Produktion lässt einen darüber locker hinweghören. „Spuk in Hill House“ lädt einfach dazu ein, sich behaglich in den Sessel fallen zu lassen, um sich durch eine ruhig erzählte Geschichte tragen zu lassen. Ein wunderbares Mittel gegen die schon jetzt aufkeimenden Ausläufer der Winter-Depression, und ein passender Zeitvertreib für verregnete Abende.
Das „Grusel Kabinett“ von Titania sollte man jedenfalls weiterhin im Auge behalten!

|Infos und Bestellmöglichkeit bei amazon.de:|
[Teil I]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3937273131/powermetalde-21
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_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)

von Grote, Alexandra – Tod an der Place de la Bastille – Maurice LaBréas zweiter Fall

Relativ kurz nach dem Debüt ihres neuen Serienhelden Maurice LaBréa meldet sich Alexandra von Grote auch schon mit einem zweiten Band des Pariser Kriminalkommissars zurück. In „Tod an der Place de la Bastille“ setzt die Autorin die Lebensgeschichte des verwitweten Polizeibeamten und seiner Tochter Jenny fort und steigt einige Monate nach dem letzten wichtigen Mordfall von LaBréa wieder mit einem neuen Fall ins Geschehen ein. Dieses Mal hat von Grote sich allerdings für ein noch heftigeres Thema entschieden und setzt damit die Tendenz des letzten mit brutalen Morden gespickten Romans [„Mord in der Rue St. Lazare“ 1834 fort. In „Tod an der Place de las Bastille“ wird die Geschichte eines skrupellosen Sexualmörders erzählt, der vor keiner noch so perversen und abscheulichen Tat zurückschreckt.

_Story:_

Maurice LaBréa und seine Tochter Jenny haben sich mittlerweile ganz gut in Paris eingelebt, und von den anfänglichen Reibereien des Umzugs in die Weltstadt ist kaum noch etwas zu spüren. Besonders der Vater des jungen Mädchens fühlt sich pudelwohl und ist nach den Schrecken des zurückliegenden Mordes an einer Frau wieder so weit auf dem Damm, dass er sich auf eine Beziehung mit seiner Nachbarin Celine einlassen kann.

Der neue Frieden wird aber abrupt gestört, als die Abteilung des Kommissars auf einen Mann angesetzt wird, der eine unscheinbare Putzfrau übel zugerichtet, vergewaltigt und schließlich ermodet hat. Der Mörder hat lediglich ein Blatt mit der Abbildung eines ägyptischen Fußes sowie Spuren seines Spermas als Beweismaterial hinterlassen und den Haustürschlüssel vor die Türschwelle gelegt, damit das Opfer möglichst bald gefunden wird. LaBréa glaubt daran, dass der Mörder aus dem Umfeld der Dame stammt; als dann jedoch wenige Häuser weiter eine Studentin auf genau dieselbe Art und Weise umgebracht wird, wird dem Kommissar schnell klar, dass man es hier mit einem Serienkiller zu tun hat. Schon jetzt zieht die Polizei Parallelen zu Guy Georges, einem Sexualmörder, der vor einigen Jahren die Stadt in Atem gehalten hat. Damals waren die Ermittlungen seitens der Polizei vor allem deswegen erfolglos gewesen, weil die Bevölkerung infolge einer Pressesperre zu spät gewarnt wurde und der Mörder unbeobachtet weiter morden konnte. Doch dieses Mal will man geschickter vorgehen, alarmiert die Presse zunächst dennoch nicht, weil man sich sicher ist, dass der Aufruhr den Mörder nur noch weiter motivieren würde.

Als dann aber eine weitere Frau getötet wird, die Beamten jedoch weiterhin nicht den Hauch einer Spur haben, schmiedet LaBréa einen gefährlichen Plan: Seine Kollegin Claudine soll den Lockvogel des Mörders spielen und sich abends mit ausreichend Polizei in der Nähe und Funkkontakt zu ihren Kollegen an der Place de la Bastille herumtreiben. Da Claudine in Sachen Kampfsport Expertin ist, erhofft sich LaBréa, dass sie im Notfall den Mörder selber zur Strecke bringen kann. Der Plan geht aber nicht auf, eine weitere Frau stirbt und Claudine ist in höchster Gefahr – vom Mörder ist dennoch weit und breit keine Spur zu finden …

Wer den Vorgängerband gelesen hat, ist mit den Hauptcharakteren der Geschichte bereits vertraut – dem konservativen Kollegen Franck, der aufgeweckten Tochter Jenny, der liebevollen Celine, dem muffigen Polizeipräsidenten, der jede Aktion mit einem Zitat eines berühmten Dichters kommentiert, dem schrillen und stets bunt gekleideten Jean-Claude und natürlich dem arbeitswütigen Kommissar Maurice LaBréa. Diese Vorkenntnis wird dem Leser grundsätzlich hilfreich sein, ganz besonders aber zu Beginn des Buches, wo immer mal wieder Rückblicke in vergangene Szenarien vorgenommen werden, die man dementsprechend auch besser deuten und verstehen kann.

Andererseits steht „Tod in der Place de la Bastille“ als Geschichte ganz klar für sich. Heftig, erschreckend und ohne Blende erzählt die Autorin eine Geschichte, bei der man zwischendurch schon mal öfter tief Luft holen muss. Die Beschreibungen der einzelne Morde sind nämlich recht eklig und gehen sehr tief ins Detail. Messerstiche in Brustwarze, Vagina und Hals, dazu Blut- und Spermaspuren überall – von Grote weiß, wie man den Leser schockiert, benutzt dies jedoch glücklicherweise nicht als effektheischendes Mittel, um von einer eventuell belanglosen Geschichte abzulenken. Dieser Roman ist nämlich das genaue Gegenteil des Begriffes ‚langweilig‘ und bleibt bis zur (tatsächlich) letzten Seite spannend. Von Grote schildert die Morde dabei sowohl aus der Sicht des Täters als auch aus dem Blickwinkel der Ermittler und fügt diese beiden Seiten schließlich wunderbar zusammen. Bis zum letzten Kapitel wird nie zu viel verraten und genau so lange tappt der Leser auch im Dunkeln, was Motiv und Person der mordenden Bestie anbelangt.

In dem Moment, wo die Polizei endlich eine Spur zu haben glaubt und eine Kollegin an den Platz der Bastille schickt, legt von Grote allerdings erst so richtig los. Ich habe die letzten 250 Seiten bis tief in die Nacht hinein gelesen, und aufgrund der fesselnden Atmosphäre der Pariser Nacht wurde mir manchmal – ich gebe es zu – vor Schaudern ganz anders. Die Jagd auf den Mörder bzw. deren Darstellung ist der Autorin bis ins letzte Detail wirklich super gelungen, und wie sie schließlich die verschiedenen Charaktere in die Erzählung mit einbezieht, ist schon ganz große Klasse und in diesem Sinne noch einmal weitaus gelungen besser als im ersten Roman um Kommissar LaBréa.

Lediglich eine Schwachstelle hat „Tod an der Place de la Bastille“, und das ist das Hinzufügen einer Profilerin, die plötzlich in der Geschichte auftaucht und versucht, die Psyche des Mörders zu analysieren. Dabei ist leider nur ein ziemlich klischeehaftes, wenig tief greifendes Bild entstanden, das sich der Leser auch selber hätte machen können. Es bleibt lediglich bei einem unnötigen und letztendlich gescheiterten Versuch, das Phänomen hinter einer solchen Person zu beschreiben, und insgesamt bringt das die Handlung ganz und gar nicht voran.

Davon ist aber dann bei der Endbewertung wieder abzusehen. Als Krimi ist „Tod an der Place de la Bastille“ wirklich sehr empfehlenswert, besonders wenn man schon mit den einzelnen Charakteren schon vertraut ist. Die in Südfrankreich ansässige Autorin hat das Flair ihrer Wahlheimat erneut prima eingefangen und sich in Sachen Spannung noch einmal enorm steigern können. Meinetwegen darf es schon sehr bald wieder einen neuen Roman aus dem Umfeld von Kommissar LaBréa geben!

Lewis, Clive Staples – Wunder von Narnia, Das (Die Chroniken von Narnia, Band 1)

Jede Geschichte hat einen Anfang, und im Falle der als Fantasy-Edition neu aufgelegten „Chroniken von Narnia“ beim |Brendow|-Verlag lautet dieser Anfang „Das Wunder von Narnia“. Das im Original 1955/56 erschienene Buch gehört als Teil der Gesamtausgabe zu den beliebtesten Kinder/Fantasy-Romanen aller Zeiten und erfreut sich ja zum Weihnachtsgeschäft zum ersten Mal überhaupt der Ehre, als filmische Disney-Adaption im Kino gespielt zu werden. Ein optimaler Zeitpunkt also, um diese Buchreihe noch einmal neu anzuschieben, und die fein aufgemachte Taschenbuchversion dieses Verlags ist da sicherlich eine der schönsten Ausgaben, die es von dieser Geschichte auf dem deutschen Büchermarkt bislang gibt.

_Story:_

Während eines verregneten Sommers begegnen sich die beiden Kinder Polly und Digory und freunden sich prompt miteinander an. Der sehr selbstbewusste Digory, dessen Mutter mit einer schweren Krankheit im Sterben liegt, erzählt seiner neuen Weggefährtin von seiner neuen Heimat, dem Haus seines Onkels Andrew, der allgemein als skrupelloser Sonderling bekannt ist. Polly kennt die Gegend, in der dieser Andrew wohnt, und weiß auch von einem benachbarten, leer stehenden Haus. Als die beiden sich über die Dächer der Stadt auf den Weg dorhin machen, landen sie versehentlich im Arbeitszimmer des mysteriösen Wissenschaftlers Andrew. Der nutzt wiederum die Gunst der Stunde und schenkt der verwirrten Polly einen gelben Ring, bei dessen Berührung diese vor Digorys verblüfften Augen plötzlich verschwindet. Widerwillig folgt der Junge seiner neuen Freundin, und gemeinsam entdecken sie dabei ein zerstörtes Königreich, in dem einzig und allein die grausame Herrscherin zurückgeblieben ist. Jene wünscht, mit den beiden zurück in deren Welt zu reisen, und obwohl sich die Kinder heftigst zur Wehr setzen, gelingt es Königin Jadis, mit Hilfe eines grünen Ringes zur Erde zu gelangen.

Dort richtet die furchtbare Herrscherin alsbald ein riesiges Chaos an und versucht ihren Ansprüchen als Tyrannin erneut gerecht zu werden. Digory kann mit Müh und Not das Schlimmste verhindern, und mit einem erneuten Sprung zwischen den verschiedenen Dimensionen gelangt sie zusammen mit Jadis, Onkel Andrew und einem Pferdekutscher irgendwo ins Nichts. Mittendrin in einer noch leeren Welt wird diese Gruppe Zeuge davon, wie der geheimnisvolle Löwe Aslan mit seinem Gesang das Leben in diese neue Welt ruft. Binnen weniger Stunden ist aus der dunklen und menschenleeren Welt ein paradiesischer Garten entstanden, in dem Menschen und Tiere in Frieden miteinander leben. Doch da ist auch noch die Hexe, die auf der Suche nach der ewigen Jugend erneut Unheil anrichtet …

Clive Staples Lewis‘ Geschichte wird nicht selten mit dem Alten Testament verglichen, weil es in „Das Wunder von Narnia“ sehr viele Parallelen zur biblischen Entstehungsgeschichte unserer Erde gibt – nur dass der 1898 in Belfast geborene Schriftsteller eben mit sehr viel Symbolik arbeitet. In seinem Roman sind Kinder und Tiere die Helden, und natürlich weicht die Geschichte insofern ab, als dass der hier vom gottähnlichen Löwen Aslan geprüfte Digory im Gegensatz zum irdischen Adam der Verlockung, einen Apfel von einem geheimnisvollen Baum zu pflücken, widersteht, nachdem er durch das Betätigen des Glockenschlags einige Zeit vorher schon die grausame Königin zu neuem Leben erweckt und so nach seinem ersten Fehler dazugelernt hat. An anderer Stelle kann der gierige Andrew gar nicht verstehen, was sich in der Welt Narnia in kürzester Zeit abspielt. Für ihn wirkt alles wie ein schlechter Traum, und weil ihm die Dinge, die er sieht, nicht geheuer sind und er nicht an sprechende Tiere glaubt, gibt Aslan ihm auch nicht die Möglichkeit, mit den anderen Wesen zu kommunizieren und sie zu verstehen. Und solche Beispiele und Anspielungen auf das Alte Testament gibt es in diesem Buch noch weitaus häufiger. Man kann daher schon sagen, dass Lewis in dieser Erzählung mit dem Mittel der Moral arbeitet, was aber nie besserwisserisch wirkt.

Auf der anderen Seite ist „Das Wunder von Narnia“ aber natürlich auch ein spannender Roman mit ganz normalen Helden, bösen Charakteren und vielen verschiedenen Szenenwechseln, die letztendlich auch des Öfteren mit einer gesunden Prise Humor gesegnet sind. Darüber hinaus hat Mr. Lewis einen sehr lebensnahen und oft sehr umgangssprachlichen Schreibstil, der erstmal mit gar nichts anderem in diesem Bereich zu vergleichen ist. Der Autor schreibt sich die Sachen ganz locker von der Hand, quasi vom Gedanken direkt aufs Papier, ohne allzu viele Überlegungen zu möglichst stilsicheren Formulierungen und dergleichen. Das erleichtert zum einen den Einstieg in die Geschichte, weil dieser Stil irgendwie sympathisch wirkt, und zum anderen ist die Handlung so auch für jedermann einfach verständlich.

Auf den bereits erwähnten Humor möchte ich aber noch einmal besonders eingehen: Egal, ob es nun der wachsende Karamelbonbonbaum, der eingepflanzte Onkel Andrew, eine Laterne, die wie ein Baum wächst (und im nächsten Buch noch an Bedeutung gewinnen soll), oder so mancher Spruch des jungen Digory ist – Clive Staples Lewis‘ Humor hat auch ein halbes Jahrhundert nach der Erstveröffentlichung dieses Romans nichts von seinem Charme eingebüßt und ist in der Tat zeitlos. Auf jeden Fall gelingt ihm der Balanceakt, diese Erzählung wachsen zu lassen, ohne dabei befürchten zu müssen, dass der eine oder andere überzeugte Christ sich auf den Schlips getreten fühlt.

Reichhaltige positive Erfahrungen während meiner Lektüre dieses Buches führen schließlich zu einem ganz klaren Gesamtergebnis: „Das Wunder von Narnia“ ist nicht umsonst ein Klassiker und eines der besten und wertvollsten Werke der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenliteratur; will heißen: ein Buch für jedermann, nicht nur für den Nachwuchs.

Die Reihe in der chronologischen Erzählfolge:
* 1956 Das Wunder von Narnia (engl. The Magician’s Nephew)
* 1950 [Der König von Narnia 1758 (engl. The Lion, the Witch and the Wardrobe)
* 1954 Der Ritt nach Narnia (engl. The Horse and His Boy)
* 1951 Prinz Kaspian von Narnia (engl. Prince Caspian)
* 1952 Die Reise auf der Morgenröte (engl. The Voyage of the Dawn Treader)
* 1953 Der silberne Sessel (engl. The Silver Chair)
* 1956 Der letzte Kampf (engl. The Last Battle)

Veröffentlichungsreihenfolge:
* 1950 Der König von Narnia (engl. The Lion, the Witch and the Wardrobe)
* 1951 Prinz Kaspian von Narnia (engl. Prince Caspian)
* 1952 Die Reise auf der Morgenröte (engl. The Voyage of the Dawn Treader)
* 1953 Der silberne Sessel (engl. The Silver Chair)
* 1954 Der Ritt nach Narnia (engl. The Horse and His Boy)
* 1956 Das Wunder von Narnia (engl. The Magician’s Nephew)
* 1956 Der letzte Kampf (engl. The Last Battle)

Website des Verlags zur Narnia-Welt: http://www.narnia-welt.de/

Narnia-Filmseite: http://www.narnia.de

John Dickson Carr – Die Tür im Schott

Das geschieht:

In Mallingford, einem Dörflein in der englischen Grafschaft Kent, üben Sir John Farnleigh, Baronet von Mallingford und Soane, und seine Gattin, die liebliche Lady Molly, mit starker aber gütiger Hand das ihnen von Gott und König verliehene Privileg aus, dem Volk Führung und Schutz vor den zweifelhaften Segnungen des 20. Jahrhunderts angedeihen zu lassen. Die Idylle platzt, als den fernen USA ein Mann namens Patrick Gore auftaucht, der sich erdreistet, Sir John Titel, Besitz und sogar den Namen streitig zu machen!

Als Jüngling ein Satanist (!) und Wüstling, wurde dieser John Farnleigh 1912 vom Vater verstoßen und in die ehemaligen Kolonien. Eingeschifft wurde der missratene Spross auf einem Dampfer namens „Titanic“. Bevor deren Reise vorzeitig an einem Eisberg endete, lernte Jung-John einen heimatlosen Zirkus-Artisten gleichen Alters kennen und schätzen: den wahren Patrick Gore nämlich, der dem faszinierten Adelssohn vorschlug, die Identitäten zu tauschen, um die Karten ihrer zukünftigen Leben neu zu mischen. John Dickson Carr – Die Tür im Schott weiterlesen

Sage, Angie – Septimus Heap – Magyk

Im Fahrwasser von „Harry Potter“ erleben Fantasybücher für Kinder einen Boom, den man vor einigen Jahren wohl kaum für möglich gehalten hätte. Alles, was nur irgendwie mit Magie und Zauberei zu tun hat, erlangt in der Kinderbuchsparte hohe Aufmerksamkeit und hat Bestsellerpotenzial. Beispiele sind die Verkaufsschlager „Eragon“ und [„Bartimäus“. 353 Nun gesellt sich eine neue Fantasyfigur dazu, die bei ihrer Erstveröffentlichung in den USA glatt Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times erstürmte: „Septimus Heap“. Auch „Septimus Heap – Magyk“ hat Hitpotenzial und das nicht nur, weil es sich um den ersten Teil einer Trilogie handelt, sondern auch, weil die Autorin Angie Sage hier eine recht eigenständige und absolut kindgerechte Fantasywelt erschaffen hat.

Septimus Heap ist der siebte Sohn eines siebten Sohnes und das ist etwas ganz Besonderes, denn als solcher verfügt er über besondere magische Kräfte. Doch Septimus Heap wurde bereits am Tag seiner Geburt ein tragisches Schicksal zuteil. Als vermeintlich toten Säugling entführt die Oberhebamme ihn. Seine Familie glaubt auch Jahre später noch, dass der Junge am Tag seiner Geburt gestorben ist. Sein Schicksal bleibt verborgen.

Doch am gleichen Tag wurde in der Burg noch ein Kind geboren, das ein ebenso tragisches Schicksal erleidet: Die Tochter der Königin, deren Mutter am Tag der Geburt ermordet wird. Das Kind wird dank der Geistesgegenwart der beim Mord anwesenden Zauberin Marcia Overstrand verschont. Sie versteckt das Kind, das wenig später von Silas Heap, dem Vater von Septimus, gefunden wird. Die Zaubererfamilie Heap nimmt das Kind unbekannter Herkunft bei sich auf.

Zehn Jahre nach dem Mord an der Königin haben längst andere das Sagen im Land und die junge Jenna Heap, wie die Königstochter mittlerweile heißt, ist in Gefahr. Der Oberste Wächter, der die Macht an sich gerissen und die Zauberei verboten hat, ist auf der Suche nach dem Kind der Königin. Er weiß, dass es lebt, und dank einer Spionin weiß er nach zehn Jahren endlich auch wo. Die Familie Heap ist in großer Gefahr. Marcia, die mittlerweile zur Außergewöhnlichen Zauberin und damit zur wichtigsten Zauberin im Land aufgestiegen ist, nimmt sich der Sache an und bringt zusammen mit Silas das Königskind in Sicherheit. Für Jenna, die Familie Heap und Junge 412 von der Jungarmee, dem Marcia während ihrer Flucht das Leben rettet, beginnt damit ein aufregendes und ereignisreiches Abenteuer außerhalb der Burgmauern …

„Septimus Heap“ ist in vielerlei Hinsicht eine recht klassische Fantasygeschichte. Es gibt die altbekannte Schwarz/Weiß-Skizzierung der Welt, mit guter und böser Magie. Es gibt den altbekannten Kampf zwischen den guten (vertreten von Marcia Overstrand) und den dunklen Mächten (vertreten von DomDaniel, dem dunklen Magier und seinen Helfershelfern rund um den Obersten Wächter). Ähnlich wie beim „Herr der Ringe“ überschattet eine dunkle Bedrohung die Welt. Die dunklen Mächte strecken ihre Finger nach der absoluten Herrschaft aus.

DomDaniel thront über all dem als dunkler Mythos und ähnelt damit der Figur des Voldemort aus den „Harry Potter“-Büchern. Es findet sich so manche Parallele zu bekannten Fantasyerzählungen, und als Leser mag man erst einmal laut aufstöhnen, als Junge 412 während der abenteuerlichen Reise mit Marcia und den Heaps ganz zufällig auf einen mysteriösen magischen Ring stößt. Dennoch, „Septimus Heap“ als Abklatsch erfolgreicher Fantasyromane zu sehen, täte der Sache großes Unrecht.

Angie Sage schafft eine Welt, die recht eigenständig wirkt. Anders als bei „Harry Potter“ ist Sages Welt in sich geschlossen. Es besteht keinerlei Bezug zum Hier und Jetzt. Die Welt wirkt eher wie etwas Vergangenes. Manche Schilderungen erinnern an mittelalterliche Geschichten, insbesondere die Schilderungen des Lebens innerhalb der Burgmauern. Sage serviert also quasi ein Mittelalter mit einer saftigen Prise Magie.

Was man als Leser von vorneherein nicht vergessen darf ist, dass „Septimus Heap“ ein Kinderbuch ist. Wenn man die Handlung als Erwachsener relativ leicht durchschaut, dann kann man das schwerlich der Autorin ankreiden, nur weil sie, anders als beispielsweise J. K. Rowling, eine recht eng umrissene Zielgruppe hat. Wer mit einer Harry-Potter-Erwartungshaltung an die Lektüre von „Septimus Heap“ geht, der könnte somit enttäuscht sein, aber das macht das Buch nicht schlechter. „Septimus Heap“ ist eben ein „echtes“ Kinderbuch und damit auch wirklich in erster Linie für Kinder zwischen 10 und 12 Jahren geeignet.

Die Sprache ist recht einfach und leicht verständlich gehalten. Sage erzählt aber nicht nur kindgerecht, sondern auch auf sehr liebevolle Art und mit einem Augenzwinkern. Immer wieder regen Szenen zum Schmunzeln an, immer wieder erheitert Sage den Leser mit kleineren Tollpatschigkeiten der Figuren, mit witzigen Wendungen der Geschichte und einer feinen Prise Ironie.

Gleichzeitig entwickelt das Buch (zumindest für die junge Leserschaft) auch eine gewisse Spannung. Die Flucht von Marcia, Silas, Junge 412, Jenna und ihrem Halbbruder Nicko ist schon recht spannungsgeladen. Die Verfolger sind ihnen dicht auf den Fersen. Das Tempo der Handlung wird dadurch stetig angeheizt. Auch wenn der Handlungsverlauf für den erwachsenen Leser eher wenige Überraschungen bietet, so dürfte das Buch für Kinder durchaus fesselnd sein.

Wenn ich so an meine eigenen Kindertage zurückdenke, bin ich mir sicher, dass ich „Septimus Heap“ geliebt hätte. Es ist phantasievoll, gewitzt und spannend zugleich und damit für den kindlichen Leser hochgradig unterhaltsam. Hätte es das Buch damals schon gegeben, Angie Sage hätte gute Karten gehabt, Astrid Lindgren in meiner persönlichen Gunst den Rang abzulaufen.

Was „Septimus Heap“ obendrein so gelungen abrundet, sind die Figuren. Sage spickt ihre Handlung nicht nur mit einer intensiven Atmosphäre und phantasievollen Einfällen, sondern erschafft auch Figuren, die dem Leser schnell ans Herz wachsen. Von den Hauptfiguren geht viel Sympathie aus, die den Leser ansteckt. Man fiebert dadurch mit den liebevoll skizzierten Hauptfiguren mit. Liebenswert kehrt Sage die Macken der einzelnen Figuren heraus, besonders bei Marcia Overstrand und Silas Heap, und so, wie man über die Figuren schmunzelt, fühlt man auch mit ihnen.

Man kann „Septimus Heap – Magyk“ letztendlich gleichzeitig als Einzelwerk betrachten wie auch als Auftakt zu einer Trilogie. Die Handlung ist in sich relativ abgeschlossen, wenngleich der neugierige Leser natürlich wissen will, wie sich die Figuren weiterentwickeln und wie die Geschichte weiterverläuft. Man gewinnt halt nicht nur die Hauptfiguren lieb, sondern auch all die phantasievollen Geschöpfe, die in Angie Sages Welt sonst noch so herumgeistern: fleißige, gewissenhafte Botenratten, gutmütige Boggarts, pflichtbewusste, loyale Panzerkäfer und gemütliche, handzahme Steintiere.

Alles in allem ein gelungenes und phantasievolles Kinderbuch, das sich nicht hinter anderen Fantasywerken im Kinderbuchbereich zu verstecken braucht. Angie Sage weiß den Leser zu unterhalten. Die Figuren sind allesamt sympathisch (logischerweise abgesehen von den Bösewichten) und Sages Erzählstil ist leicht verständlich, aber auch mit einer gewissen Portion Witz ausgestattet. Fazit: schöne, kindgerechte Fantasyliteratur für Kinder und Junggebliebene, die neben anderen Werken wie [„Eragon“, 1247 „Harry Potter“ und Co. durchaus ihre Daseinsberechtigung hat. Wenn einem solche Bücher in die Hände fallen, möchte man gerne noch einmal Kind sein.

Website zum Buch: [septimusheap.de]http://www.septimusheap.de

McDevitt, Jack – Omega

Die Protagonistin dieses Buches, Priscilla ‚Hutch‘ Hutchins, ist auch schon in drei anderen Romanen von Jack McDevitt aufgetaucht. „Gottes Maschinen“ (1996), „Die Sanduhr Gottes“ und „Chindi“ (beide 2004) lauten die Titel, in denen die weibliche Heldin bereits in Erscheinung getreten ist. Beim erstgenannten Buch erinnere ich mich sogar noch daran, das Teil recht begeistert zur Zeit meines Abiturs gelesen zu haben, über die anderen beiden Bücher kann ich indes keine Aussage machen. Wie auch immer, „Omega“ ist nun der vierte Band über die feminine Abenteurerin, jedoch bin ich von Euphorie oder etwas Vergleichbarem meilenweit entfernt.

_Story:_

Schon sehr lange weiß die Menscheit von den gefährlichen Omega-Wolken, die in ungefähr 900 Jahren zur ernsthaften Bedrohung für die Menschheit werden sollen. Hierbei handelt es sich um riesige Wellen tödlicher Energie, die beim Eintreten in die Atmosphäre wohl den gesamten Globus zerstören würden. Die Bevölkerung von heute interessiert diese Bedrohung jedoch noch herzlich wenig, schließlich ist man ja selber nicht mehr von den gefährlichen Wolken betroffen. Dann jedoch meldet ein Raumschiff, dass eine der Wolken vom Kurs abgekommen ist und eine prä-industrielle Zivilisation komplett zu zerstören droht. Erst jetzt ist die Menschheit dazu gezwungen, sich dem fernen Problem zu stellen und die Gefahr der Omega-Wolken zu bannen. Das Problem: Wegen mangelnder Vorbereitung scheint es fast unmöglich, die bereits sehr nahe Wolke noch vom Kurs abzubringen …

Nun, ich weiß gar nicht, wo ich mit meiner Kritik zuerst ansetzen soll; auf jeden Fall bietet dieses Buch eine Menge Angriffsfläche. Fangen wir also mal bei den Charakteren an: Wo sind hier die echten Superhelden? Was ist mit Priscilla Hutchins? Die Dame taucht zwar in dem Roman als eine der prägnantesten Figuren auf, aber die Heldenrolle – sofern man überhaupt davon reden darf – übernehmen in „Omega“ andere. Überhaupt sind die in diesem Roman beschriebenen Personen eher langweilige Zeitgenossen, die auch kaum Freiraum haben, um sich im Laufe der Story weiterzuentwickeln. In diesem Punkt hat Jack McDevitt also schon mal ganz klar versagt.

Dann kommen wir zur eigentlichen Handlung. Originell ist das Ganze sicher nicht; eine Bedrohung von außerhalb steuert auf die Erde zu und droht sie zu zerstören. Gut, dieses Mal sind es statt Kometen oder fremden Völkern so genannte Omega-Wolken. Aber sonst? Kennt man alles schon zur Genüge, und das dann zumeist auch noch deutlich besser erzählt und interessanter beschrieben. Dass die Geschichte darüber hinaus immer durchschaubar bleibt und viel zu wenig Platz für Überraschungen oder plötzliche Wendungen birgt, ist eine Folge des ideenlosen Konzeptes von McDevitt.

Und sonst? Alles sehr nüchtern. Menschen, die in Ehre sterben, deren Tod aber total unwichtig zu sein scheint, nicht mal eine geringe Spur von Pathos, ziemlich oberflächliche und in diversen Szenarien vollkommen unpassende Dialoge und ein Ende Marke Hollywood. Das soll die Science-Fiction der Zukunft sein? Tut mir Leid, aber nach 700 Seiten, die mehr und mehr zur Qual wurden, weil der weitere Verlauf ohnehin jederzeit absehbar war, bin ich mir ziemlich sicher, dass dem nicht so ist. „Omega“ ist ein bestenfalls durchschnittlicher Roman, der aufgrund seines großen Seitenumfangs nicht einmal als Happen für zwischendurch taugt.

Szerb, Antal – Halsband der Königin, Das

Der bekannte ungarische Literaturprofessor Antal Szerb feiert zur Zeit international seine Wiederentdeckung. Nachdem mit Erfolg seine beiden Romane „Die Pendragon-Legende“ und „Reise im Mondlicht“ wieder aufgelegt worden sind, veröffentlicht der |dtv| nun Szerbs Geschichtszeugnis „Das Halsband der Königin“, in welchem der Autor seinen Lesern in eigenen Worten die damalige [Affäre]http://de.wikipedia.org/wiki/Halsbandaff%C3%A4re mitsamt seinen Protagonisten vorstellt.

Zunächst spricht uns Antal Szerb persönlich an und teilt uns seine Absichten mit, er möchte mit seinem Buch nämlich nicht allein die inzwischen geklärte Skandalgeschichte um das berühmte Kollier erzählen, sondern diese nur als Ausgangspunkt nehmen, um uns mehr zu berichten vom damaligen Leben kurz vor der Französischen Revolution. So passt es auch wunderbar ins Bild, dass sich Szerb zunächst ausführlich den Hauptfiguren der zu erzählenden Geschichte widmet. In langen Kapiteln stellt er uns den Kardinal Rohan vor, der am Ende eine wenig glückliche Figur in der Affäre abgeben wird, aber auch die Hochstaplerin Jeanne de Valois erhält genug Raum, damit sich ihre Handlungsweise und ihr Charakter für uns erschließen. Selbst der zwielichtige Magier [Cagliostro]http://de.wikipedia.org/wiki/Alessandro__Cagliostro wird uns von Antal Szerb präsentiert, obwohl er in der eigentlichen Angelegenheit nur am Rande eine Rolle spielt.

Natürlich vergisst Szerb auch nicht, sich umfassend der französischen Königin [Marie Antoinette]http://de.wikipedia.org/wiki/Marie__Antoinette zu widmen, die im Volk nicht sonderlich beliebt war, allein schon, weil sie in Österreich geboren wurde. Die Halsbandaffäre schließlich brachte sie noch mehr in Verruf, da damals nicht genau geklärt werden konnte, ob sie wirklich nur das unwissende Opfer war, oder ob sie diesen Vorfall selbst inszeniert hat, um Kardinal Rohan in Misskredit zu bringen und in die Bastille sperren zu lassen. Im vorliegenden Buch wird uns Marie Antoinette als Modekönigin geschildert, die sich aber auch leidenschaftlich für Theater und Opernbälle erwärmen konnte, sie war laut Szerb darüber hinaus eine spöttische und kritische Königin mit einem destruktiven Geist.

Nach einer sehr umfassenden Präsentation der Hauptcharaktere, die schon ein wunderbar farbenfrohes Bild der damaligen Zeit entwirft, widmet sich Antal Szerb der eigentlichen Halsbandaffäre, die ihren Lauf nimmt, als die beiden Juweliere Boehmer und Bassenge das besagte Kollier nicht verkaufen können. Auch Marie Antoinette lehnt den Kauf ab, weil ihr der Preis zu hoch erscheint. Einige Zeit später ersinnt Jeanne de Valois ihre Intrige und redet Kardinal Rohan ein, die Königin wolle durch seine Vermittlung das Kollier heimlich erwerben. Stattdessen behält Jeanne es selbst, zerlegt es in seine Einzelteile und verkauft die Steine mit Hilfe ihres Mannes, um von dem dadurch gewonnenen Reichtum in Saus und Braus zu leben.

Als der Skandal auffliegt, werden einige hochrangige Persönlichkeiten in die Bastille gebracht. Der darauf folgende Prozess erregt großes allgemeines Interesse in der Bevölkerung und macht nochmals deutlich, wie sehr die Franzosen ihre Königin verachtet haben.

Gut recherchiert und von offenkundiger eigener Faszination motiviert, erzählt uns Antal Szerb von der Halsbandaffäre, die für ihn Sinnbild der Zeit kurz vor der Französischen Revolution ist. Er nimmt diesen Skandal als Aufhänger für seine Erzählung, hat aber darüber hinaus noch so viel mehr zu berichten. So nutzt Antal Szerb die Gelegenheit, um uns vor allem die Hauptcharaktere so ausführlich vorzustellen, dass sie uns fast wie lebendige Menschen vor Augen stehen. Viele ihrer Eigenarten erfahren wir und auch Dinge und Handlungen, die sie ausgezeichnet und berühmt gemacht haben. In diesen Vorstellungen werden auch bereits Lesersympathien verteilt, obwohl der Autor sich bemüht, alle Figuren möglichst neutral zu charakterisieren. Dennoch wird schnell deutlich, dass die geldgierige Jeanne de Valois zwar gerissen und schlau war, aber auch verlogen und hinterhältig. Am Ende steht sie als die Hauptschuldige da, was historisch durchaus auch erwiesen ist.

Zunächst empfand ich diese lange Vorstellung der wichtigen Personen als unnötig und anstrengend, da Szerb mir zu viel Zeit brauchte, um zum Punkt zu kommen. Am Ende muss aber auch ein skeptischer Leser wie ich einsehen, dass dies mehr als beabsichtigt ist und notwendig erscheint, wenn man ein derart ausführliches und umfassendes Bild des ausklingenden 18. Jahrhunderts entwerfen will. Erst auf der Hälfte des Buches widmet der Autor sich der eigentlichen Affäre, und auch diese Erzählung unterbricht er, um weitere Figuren auf den Plan zu bringen. Doch obwohl es über weite Strecken eigentlich nicht um das Kollier geht, geschehen so viele Dinge, dass Szerbs Bericht nicht langweilig wird. Zudem bemüht der Autor sich, uns die Fakten und Ereignisse so einfach wie möglich zu schildern, auch wenn dies angesichts der Fülle von Informationen nicht immer gelingen kann. Historisch weniger bewanderte Leser werden ihre Schwierigkeiten haben, die Übersicht zu behalten, da Szerb viele Fakten, Personen und Episoden nennt, doch lernen wir hierbei ganz nebenbei auf unterhaltsame Weise etwas über französische Geschichte.

„Das Halsband der Königin“ ist ein Abbild der Zeit Ludwig des XVI. Szerb bringt uns das damalige Hofzeremoniell, die Sitten und Gepflogenheiten näher, er berichtet umfangreich von den handelnden Personen, sodass sie im Laufe der Geschichte immer plastischer werden und sich in das Gesamtbild einfügen. Er nimmt sich Zeit, um etwas über Musik und Kunst zu erzählen und sorgt auf diese Weise dafür, dass wir das Gefühl bekommen, als wären wir mittendrin in der Halsbandaffäre und würden Kardinal Rohan und Jeanne de Valois auf ihrem Weg begleiten. Dieses Buch ist kein Roman im eigentlichen Sinne, da Szerb sich auf die bekannten Fakten stützt und es hierbei belässt, er dichtet keine eigene Geschichte um die früheren Geschehnisse herum. Dies führt dazu, dass sich „Das Halsband der Königin“ nicht so leicht lesen lässt wie beispielsweise Szerbs Erfolgsromane, auch finden wir keine wörtliche Rede, da es sich lediglich um eine Nacherzählung handelt. Für historisch interessierte Leser gibt es in diesem kleinen Werk allerdings viel zu entdecken. Ich bin mir sicher, dass man auch bei mehrfachem Lesen immer neue Informationen aufsammeln kann, wenn man sich auf Szerbs Erzählweise einlässt und sich von ihm in die Zeit der Halsbandaffäre entführen lässt.

Weitere Rezensionen zu Antal Szerbs Werken bei |Buchwurm.info|:
[„Die Pendragon-Legende“ 955
[„Reise im Mondlicht“ 1292

Meijer, Fik – Gladiatoren. Das Spiel um Leben und Tod

Das Kolosseum in Rom, größte Gladiatorenarena der antiken römischen Welt, bildet Dreh- und Angelpunkt der Darstellung des Niederländers Fik Meijer. Er ist bemüht, sich einem der seltsamsten und auch düstersten Kapitel der an blutigen Episoden nicht gerade armen Menschheitsgeschichte objektiv zu nähern: Mehr als ein halbes Jahrtausend ergötzten sich die Bewohner des römischen Imperiums an perfekt auf Schauwert organisierten Tierhatzen, Massenhinrichtungen und Zweikämpfen auf Leben und Tod. Sie saßen bequem in riesigen, eigens für diesen Zweck er- und eingerichteten Arenen und schauten zu, wie Mensch und Tier im Sekundentakt grausam zu Tode kamen.

Keine einfache Aufgabe, wie Meijer bereits in seiner Einleitung deutlich macht. Er erläutert dem Leser deshalb eindringlich eine grundsätzliche Prämisse der historischen Forschung: Moralische Regeln sind wandelbar. Was heute in der Rückschau abgelehnt wird, war für die Zeitgenossen womöglich rechtens und ethisch begründbar. Sie hätten unsere Abscheu gar nicht verstanden. Das menschliche Handeln muss deshalb stets vor seinem jeweiligen zeitlichen Hintergrund betrachtet und gewertet werden.

In einem ersten Kapitel geht Meijer auf „Ursprung und Entwicklung der Gladiatorenspiele …“ ein. Ersterer liegt weitgehend im Dunkel, unser Wissen ist notgedrungen lückenhaft. Dennoch steht fest, dass Theateraufführungen und Wagenrennen am Anfang der späteren Schlachtfeste standen. Sie wurden zu Ehren der Götter oder verdienter Mitglieder der oberen Stände ausgerichtet und – der Mensch liebt Spektakel – allmählich immer größer und aufwändiger. Von sportlichen Wettkämpfen bis zum Kampf Mann gegen Mann ist der Weg gar nicht weit. Meijer beschwört das Bild einer römischen Gesellschaft herauf, für die Gewalt dem Feind und Härte sich selbst gegenüber zum Alltag gehörte.

Da der Mensch des 1. nachchristlichen Jahrhunderts keinesfalls dümmer als seine Nachfahren war, standen schließlich zweihundert Arenen in allen Teilen des Reiches. Bis ins Detail ausgefeilte Kämpfe fanden hier statt, für deren Realisierung eine ausgeklügelte Logistik erforderlich war, über die uns Meijer kundig ins Bild setzt. „Die Hauptdarsteller“ nennt er zu Recht jenes Kapitel, in dem er sich mit den Gladiatoren beschäftigt. Wer waren diese Männer (sowie einige Frauen!), die sich einer solchen Tortur unterziehen mussten oder gar freiwillig unterzogen? Herkunft, gesellschaftliche Stellung, Ausbildung, „Arbeitsalltag“ und Liebesleben sind nur einige Aspekte, die hier abgehandelt werden.

Dem „Spielfaktor Mensch“ wird das Tier als unbedingt erforderliches Element des Gladiatorenkampfes gegenübergestellt. Der „Verbrauch“ an Lebewesen aller Art war enorm und trug zum Aussterben ganzer Gattungen bei. Löwen, Leoparden, Bären, Elefanten, Nilpferde, Nashörner und alles, was beißen, kratzen und töten konnte, wurde von einschlägigen Spezialisten vor Ort gefangen und zu den Arenen gekarrt. Manchmal zu Tausenden mussten die Kreaturen dort ihr Leben lassen, wurden „gejagt“, aufeinander gehetzt, als Henker für renitente Sklaven, Christen und andere Feinde des Staates missbraucht.

„Der Ort der Handlung“ bezeichnet die Arena, in der gekämpft und gestorben wurde. Meijer wählt hier das Kolosseum in Rom als Beispiel. Er berichtet von dessen Bau, erläutert die Sicherheitsmaßnahmen – das Töten sollte gefälligst die Zuschauerreihen aussparen – und deckt die bemerkenswerten Einrichtungen auf, mit denen zahlreiche „Spezialeffekte“ realisiert werden konnten: Seeschlachten in einer Stadtarena würden wohl selbst heute Aufsehen erregen.

„Ein Tag im Kolosseum“ stellt den Versuch dar, ein „typisches“ Spiel in Roms größter Arena zu rekonstruieren. Zeitgenössische Texte, Mosaiken oder Vasenmalereien bilden die Grundlage; ergänzt werden sie durch Funde, die vor allen in den Gladiatorenschulen von Pompeji gemacht wurden, welche beim Ausbruch des Vesuvs 79 v. Chr. verschüttet wurden und praktisch im Originalzustand erhalten blieben.

Ein unappetitliches Kapitel beschäftigt sich mit der nahe liegenden Frage, wie denn mit den unzähligen Leichen und Kadavern verfahren wurde, die jedes Gladiatorenspektakel mit sich brachte. Wie Meijer deutlich macht, wurde hier ebenso rigoros wie praktisch verfahren, die umgekommenen Menschen „entsorgt“, die Tiere an die Armen der Stadt der verfüttert – der alte und angemessene Spruch von „Brot & Spielen“ bekommt hier eine neue Note.

Im vierten nachchristlichen Jahrhundert begannen Gladiatorenspiele aus der Mode zu kommen. Sie wurden für das in Bedrängnis geratende Römische Reich zu kostspielig. Die christliche Religion setzte sich durch; sie verdammte selbstverständlich die blutigen Frivolitäten, nachdem allzu viele frühe Christen dabei unfreiwillig als Darsteller fungieren mussten. Wiederum am Beispiel des Kolosseums schildert Meijer, wie die Spiele in Vergessenheit gerieten und die Arenen als Steinbrüche für spätere Bauwerke dienten.

Ein Exkurs beschäftigt sich mit „Gladiatoren im Film“. Zwei Beispiele werden vorgestellt: „Spartakus“ mit Kirk Douglas in der Hauptrolle, ein Meisterwerk und Höhepunkt der „Sandalenfilme“, die in den 1950er und 60er Jahren für volle Kinos sorgten, und „Gladiator“, jener Blockbuster des Jahres 2000, der die ungebrochene Attraktivität des Themas unter Beweis stellte. Meijer stellt Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus und kommt zu dem gut begründeten Schluss, dass beide Filme fabelhaft unterhalten aber unter wissenschaftlichem Aspekt ein wüstes Gemenge fehlinterpretierter und ignorierter historischer Fakten darstellen.

Ein ausführlicher Anhang liefert ein Glossar der lateinischen Fachbegriffe, enthält den Anmerkungsapparat, bietet Bild- und Literaturnach- und Hinweise, präsentiert eine Zeittafel sowie ein Verzeichnis der bedeutendsten Amphitheater.

Das Thema Gladiatoren ist – Hollywood sei Dank – wieder im Gespräch. Es fasziniert und schreckt ab, lässt schaudern über eine glücklicherweise überwundene Phase der menschlichen Geschichte und bietet die gern genutzt Gelegenheit, in grausigen Details zu schwelgen. Vor allem solchem Halbwissen hat Fik Meijer den Kampf angesagt. Die Gladiatorenkämpfe sind integraler Bestandteil der Historie, kein isoliertes Element, und die Geister, die in der Arena geweckt werden, sind auch heute durchaus noch aktiv. Eindringlich beschwört der Verfasser mit Hilfe antiker Texte das Bild eines Menschen herauf, der den Spielen ablehnend gegenübersteht, sich widerwillig überreden lässt als Zuschauer teilzunehmen – und in einen Blutrausch gerät, der ihn begeistert und später beschämt zurücklässt: Der von der Gewalt berauschbare Voyeur steckt in uns allen und kurz ist der Schritt zum Täter, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Die nüchterne Feststellung und Begründung dieser wenig schmeichelhaften Tatsache ist ein großer Verdienst dieses Sachbuchs. Er geht über die reine Darstellung der antiken Gladiatorenspiele hinaus, welche jedoch ebenfalls in klaren Worten festhält, was nun einmal gewesen ist oder gewesen sein könnte – nicht alle Details sind geklärt. Meijer spielt mit offenen Karten, enthält seiner Leserschaft nicht vor, wo und wie er Lücken mit Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten füllt.

Ähnlichkeiten mit den zahlreichen Gladiatorenbüchern, die seit dem Filmerfolg von Ridley Scott im Jahre 2000 auf die Buchmärkte gebracht wurden (vgl. u. a. Thomas Wiedemann, „Kaiser und Gladiatoren. Die Macht der Spiele im antiken Rom“, in deutscher Übersetzung erschienen im Primus Verlag, Marcus Junkelmann, „Das Spiel mit dem Tod. So kämpften Roms Gladiatoren“, Zabern Verlag, oder Alan Baker, „Gladiatoren. Kampfspiele auf Leben und Tod“, Goldmann Verlag), bleiben natürlich nicht aus. Vor allem gegenüber dem letzten Titel kann Meijer punkten, weil er es konsequent vermeidet, die Geschichte künstlich zu dramatisieren. Sein „Tag im Kolosseum“ ist keine fiktive Nacherzählung, sondern bleibt sachliche Beschreibung ohne Personsalisierungen, was sehr zu empfehlen ist, zumal die meisten Sachbuchautoren keine verkannten Romanciers sind, wie sie selbst oft anzunehmen scheinen.

„Gladiatoren“ ist ein kostengünstiges Sachbuch. Das macht sich jedoch nur in einer Hinsicht negativ bemerkbar: Das Bildmaterial ist rar und ausschließlich schwarz-weiß, die Abbildungen sind zu klein, die Wiedergabequalität lässt zu wünschen übrig. Dass Meijer wie bereits erwähnt nur einen Überblick bieten kann und möchte, ist dagegen hoffentlich klar: Die Lektüre seines Buches stellt einen Einstieg in die Materie dar. Wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen will, kommt um weitere Lektüre nicht herum.

Fik Meijer ist Professor für Alte Geschichte an der Universität von Amsterdam. Als solcher veröffentlichte er eine Fülle wissenschaftlicher Artikel und Fachbücher, unter denen seine (mit Marius West besorgten) Übersetzungen von Flavius Josephus’ antiken Geschichten der Juden herausragen.

Daneben bemüht sich Meijer um die historisch interessierten Laien außerhalb des universitären Elfenbeinturms. Er hat keine Scheu, gesichertes aber schwer zugängliches Wissen in verständliche Worte zu fassen, ohne dabei an den Fakten zu rütteln. Dafür wurde er z. B. 2005 mit dem niederländischen OIKOS-Publikumspreis ausgezeichnet. Weiterhin ist ihm klar, dass sich der Mensch von Heute auch oder sogar vor allem für das Menschliche/Allzumenschliche oder das Alltägliche der Vergangenheit interessiert. Meijer trägt dem u. a. mit Büchern Rechnung, in denen er über Wagenrennen und Schifffahrt schreibt. Zu seinen großen Erfolgen gehört ein Sachbuch, das den verheißungsvollen Titel „Kaiser sterben nicht im Bett“ trägt und die römische Kaiserzeit aus einem Winkel betrachtet, der puristischen Altertumskundlern schwerlich behagen dürfte.

Johannes Thiele (Hg.) – Gänsehaut garantiert

Thiele Gänsehaut Cover kleinInhalt:

Dreizehn Gruselgeschichten, sortiert nach den drei klassischen Kategorien dämonische Verfolgung, Rache aus dem Jenseits und Tod durch Geisterhand:

Dämonische Schatten

– Richard Matheson: Die Beute (The Hunt, 1952), S. 9-26: Ignoranz kann sich rächen, wenn man wie diese junge Frau als Geburtstagsgeschenk ausgerechnet eine magische Jägerfigur aus Afrika erwirbt, die auch in ungewohnter Umgebung nicht von ihrem Auftrag lassen mag.

– Eleanor Scott: Die Gestalt am Strand (The Cure, 1929), S. 27-51: Natürlich lässt sich ein wackerer Engländer nicht von abergläubischen bretonischen Küstenbewohnern daran hindern, einen verwunschenen Strandabschnitt zu durchwandern, was dessen gruselige Bewohner freudig zur Kenntnis nehmen. Johannes Thiele (Hg.) – Gänsehaut garantiert weiterlesen

Finn, Thomas – Greifenopfer, Das (Das Schwarze Auge)

„Das Greifenopfer“ ist der 62. Roman aus der Fantasywelt Aventurien des Rollenspiels „Das Schwarze Auge“ (DSA). DSA ist die größte und am besten beschriebene Spielewelt Deutschlands. Die Romane richten sich daher natürlich hauptsächlich an Rollenspieler.

_Handlung_

Mayla ist eine halbelfische Adeptin der „Akademie der Verformung“ zu Lowangen. Die Magierin ist eine sehr hübsche aber auch etwas weltfremde und arbeitswütige Vertreterin ihrer Zunft. Nachdem sie wieder einmal in der Bibliothek beim Studieren eingeschlafen war, wird sie zum Leiter der Magierakademie, Magister Elcarna, gerufen und erfährt von diesem, dass ihr tot geglaubter Freund aus Kindertagen, Greifwin, angeblich wieder nach Lowangen gekommen ist. Aber die Sache hat einen Haken, denn jener wird des Diebstahls dreier Bilder beschuldigt. Eins soll er direkt aus dem Schlafgemach von Magister Elcarna gestohlen haben, was diesen natürlich entsprechend erzürnt.

Die drei Bilder, die entwendet wurden, gehören zu einer Reihe von vier Bildern, die den Namen „Lowanger Jahreszeiten“ trägt. Das Frühlingsbild, das Sommerbild und das Winterbild sind bereits gestohlen worden. Das Herbstbild aber ist bei einem elfischen Maler, also wird Mayla zur Bewachung des „Lowanger Herbstes“ abgestellt.

Greifwin, ein Geweihter des Phex (Gott der Händler und Diebe), wurde beauftragt, die „Lowanger Jahreszeiten“ an sich zu bringen und deren Geheimnis zu ergründen. Beim Diebstahl des letzten Bildes kommt es zu Zwischenfällen, die er nur mit Hilfe der Magierin Mayla lebendig übersteht. Vom Schicksal aneinander gekettet, machen sich die beiden gemeinsam auf ins Orkland – denn diesen Weg weisen die Bilder -, um das Geheimnis zu lüften.

Dort treffen sie auf den Trollschamanen Krallulatsch, mit dem sie schon bald mehr verbindet, als ihnen lieb ist. Doch sie müssen trotz dessen Unterstützung vorsichtig sein, denn der Ort, den sie suchen, ist von uraltem Schrecken erfüllt und ihre Feinde sind zahlreich und mächtig …

_Mein Eindruck_

Ich habe schon etwa 50 dieser DSA-Romane gelesen und muss sagen, dass kein wirklich schlechter darunter war. „Das Greifenopfer“ gehört dabei zweifellos zu den besseren der bisher erschienen Romane.

Zum einen sind die Eindrücke über die Trolle – die Darstellung des Krallulatsch ist sehr gut gelungen – und die Orks sehr interessant. Besonders bei den Orks sprechen die Namen Saddrack Whassoi und Aikar Brazoragh wohl für sich. Dies ist besonders erwähnenswert, da speziell der Aikar Brazoragh in den bisherigen Publikationen immer nur sehr kryptisch erwähnt wurde. Doch auch die beiden Protagonisten Mayla und Greifwin sind äußerst sympathisch und deren Zusammenarbeit wegen ihrer unterschiedlichen Charaktere ziemlich amüsant.

Thomas Finn schafft es in „Das Greifenopfer“, alle Faktoren zu vereinen, die einen starken DSA-Roman ausmachen, nämlich Humor, Action und den Lesewert für den Spieler. Das bedeutet, dass die ausführlichen Beschreibungen der Charaktere nach der Lektüre dem Rollenspieler oder Spielleiter deren Darstellung merklich erleichtern. Damit taucht man immer tiefer in die Welt von DSA ein.

Insbesondere kann ich das Buch den Spielern empfehlen, die die Abenteuer „Das vergessene Volk“ und/oder die „Simyala-Trilogie“ hinter sich gebracht haben, da sie sich an einigen Punkten mit dem Roman berühren und so den Lesern noch einmal so viel Freude bereiten. Unbedingt möchte ich noch den Schluss des Romans erwähnen. Zwar werde ich ihn selbstverständlich nicht verraten, doch kann ich mit Fug und Recht behaupten: Er ist fulminant! Selber lesen!

_Der Autor_

Thomas Finn, geboren 1967 in Chicago, hat schon einige Publikationen im Rollenspielgenre vorzuweisen. Neben einigen DSA-Abenteuern (die alle wirklich zu empfehlen sind) und -Quellenbänden sind auch CTHULHU-Quellenbände von seiner Hand sowie die Mitarbeit bei der Entstehung des „Plüsch, Power & Plunder“-Regelwerks erwähnenswert.

Auch als Theater- und Drehbuchautor ist er erfolgreich und hat schon an einigen ARD-, Sat.1- und NDR-Produktionen Anteil gehabt. Weitere Bücher sind bei Piper, Heyne, Ravensburger und Fantasy Productions erschienen.

Wer mehr über Thoman Finn erfahren möchte, kann gerne seine Homepage http://www.thomas-finn.de besuchen, die ich nur empfehlen kann.

|Mit freundlicher Unterstützung von Fantasy Productions Gmbh,
http://www.fanpro.com und http://www.f-shop.de.|

Stock, Birgit & Rainer – Biercomic, Der

Fast parallel zur letztjährigen Münchener Wiesn-Saison hat das Ehepaar Birgit und Rainer Stock einen Comic gezeichnet, der sich mit der Entstehung des Münchener Hofbräuhauses befasst. Auf knapp 50 Seiten erzählen die beiden die Geschichte von einem Klosterbruder und einem Narren, die im Auftrag des Herzogs auszogen, um für den landeseigenen Hof den besten Braumeister ausfindig zu machen. Entstanden ist ein wirklich witziger Band, bei dem sich die Autoren auch einzelne Seitenhiebe auf die Münchener Promi-Szene nicht verkneifen konnten.

_Handlung:_

München anno 1589: Mal wieder ist die bayerische Staatskasse leer. Um dem Abhilfe zu verschaffen, ordnet der in Saus und Braus lebende und recht verschwenderische Herzog an, dass man sich hofintern Gedanken machen soll, wie die Kassen wieder gefüllt werden können. Dabei treten der Hofnarr Fidelius und Mönchsbruder Benedikt auf den Plan, die dem Hofrat vorschlagen, eine eigene Brauerei aufzubauen, weil auch das Bier in München recht furchtbar schmeckt. Mit Zustimmung des Herzogs zieht das ungleiche Paar durch die Lande. Bruder Benedikt platzt jedoch alsbald der Kragen, denn der unsittliche Hofnarr raubt ihm mit seinen dämlichen Kommentaren den letzten Nerv. Dennoch finden die beiden nach einigem Hin und Her ein zünftiges Bier und machen sich vereint mit dem ehemaligen Hofschneider Rudolf auf den Weg nach Geisenfeld, wo der bekannte Braumeister Heimeran Pongraz lebt. Sie können den Frauenhelden tatsächlich überzeugen, mit ihnen nach München zu kommen, und so baut der beliebte Heimeran das erste Münchener Hofbräuhaus.

Wie das Thema dieses Comics schon vermuten lässt, gibt es auf den rund 50 Seiten von „Der Biercomic“ eine ganze Menge zu lachen. Die Geschichte ist vom Aufbau her ein wenig mit den Asterix-Comics zu vergleichen, und auch der Stil der Zeichnungen scheint von den französischen Ikonen inspiriert zu sein. Dennoch ist der Wortwitz in „Der Biercomic“ um einiges eleganter und der Inhalt zusammen mit den Illustrationen weitaus witziger – und das will schon was heißen!

Einen großen Anteil daran hat die Einbeziehung der bayerischen Promi-Welt. Rudolf Moshammer als Hofschneider sowie Stoiber und TV-Ärztin Kühnemann in Nebenrollen verleihen dem eh schon genialen Comic die finale Würze. Dazu kommen einzelne Anspielungen auf die heutige Politik, zum Beispiel beim Bau eines Turmes, der von ausländischen Gastarbeitern getätigt wird, dabei aber vollkommen die deutsche Kultur außen vor lässt. Oder etwa ein gelb-rotes Wirtshaus, das sehr stark von einem großen gelben ‚M‘ inspiriert zu sein scheint und mit der Mahlzeit-Bewertung „Ich liebe es“ kommentiert wird. Das ist absoluter Kult, prächtig in Szene gesetzt und wirklich toll geschrieben.

Da sich die beiden Ideengeber auch sehr genau an die exakten Daten gehalten haben und so auch noch ein echtes Stück bayerischer Geschichte erzählen (und satirisch aufs Korn nehmen), gibt es hierfür noch ein Zusatzlob von meiner Seite. „Die Geschichte vom Hofbräuhaus in München“ ist ein einmaliger Lesespaß und unbedingt empfehlenswert – gerade jetzt nach dem Ende der Wiesn!

Mehr Infos gibt’s auf http://www.biercomic.de.

Sakuishi, Harold – Beck (Band 6)

Mittendrin in eine Manga-Serie einzusteigen, ist gar nicht mal so einfach, gerade wenn schon eine recht lange Vorgeschichte vorausgeht. Dementsprechend schwer habe ich mich bei dem mir zugesandten Exemplar damit getan, mich in die aktuelle |Tokyopop|-Reihe „Beck“ hineinzufinden, zumal mir immerhin schon der sechste Band der auf insgesamt 20 Folgen angesetzten Serie vorliegt.

Autor Harold Sakuishi erzählt in diesem Fortsetzungs-Manga die Geschichte des jungen Yukio ‚Koyuki‘ Tanaka, einem 14-jährigen Losertyp, der bis auf das Singen in einer Karaokebar absolut keine Talente vorweisen kann. Das Leben dieses jungen Mannes soll sich jedoch ändern, als er den merkwürdigen Mischlingshund Beck und dessen Besitzer Ryusuke Minami kennen lernt. Dieser ist nämlich der coole Gegenpart zu Yukio, ist in den Vereinigten Staaten aufgewachsen und hat dort auch schon mit einigen bekannten Bands zusammen gespielt. Ryusuke ist Gitarrist und für seinen jungen neuen Freund ein großer Einfluss, was das Musikalische betrifft, und so ist er auch dabei, als der coole Draufgängertyp und Frauenheld eines Tages die Band „Beck“ aus der Taufe hebt. Zusammen mit seinem neuen Kumpel erkämpft sich ‚Koyuki‘ langsam aber sicher Anerkennung und befindet sich auf dem besten Wege, seinem neuen Idol Ryusuke als Musiker nachzueifern.

_Story in Band 6_

In Yukios Schule steht ein Bandcontest an, für den der junge Gitarrist eine Band zusammenstellen möchte. Die verschiedenen Bewerber stellen sich jedoch nicht gerade als das heraus, was Yukio sich erwünscht hat, doch mangels anderer Kandidaten sagt er ihnen schließlich zu und startet mit ihnen die Band „Ciel Bleu“. Schnell muss er jedoch feststellen, dass der Wettbewerb unter keinem guten Stern steht und die Konkurrenten mit allen Mitteln versuchen, den Auftritt von „Ciel Bleu“ zum Desaster verkommen zu lassen. Verursacht durch die Hyodo-Bande, die ebenfalls mit einer Band am Start ist, gibt es so im Vorfeld bereits eine Menge Ärger. Doch Yukio und die Musiker, die nach einem Sabotage-Akt übrig geblieben sind, lassen sich davon nicht abhalten, und können trotz anfänglicher „Buh“-Rufe die Massen überzeugen. Dennoch hat der Erfolg mit der Band für Yukio ein übles Nachspiel; die verlorene Zeit als Musiker hat dazu geführt, dass seine schulischen Leistungen rapide schlechter geworden sind. Die Bewerbung für ein prestigereiches College steht auf dem Spiel. Weil der Junge allerdings Band und Schule unter einen Hut bekommen und sich gleichzeitig auch noch eine neue Gitarre finanzieren möchte, ist er rund um die Uhr wach und muss seinem anstrengenden Tagesablauf bald Tribut zollen.

Unterdessen interessiert sich Ryusuke für den angeblichen Selbstmord der schwarzen Sängerin Erika Blige und malt sich in Gedanken die Hintergründe aus. Ryusuke hat einen sehr guten Überblick über das gesamte Musikbusiness und scheint mehr zu wissen, als er zunächst zugeben will …

Wie schon oben angeführt: Es hat mir einige Schwierigkeiten bereitet, einen sofortigen Einstieg zu finden, denn immer wieder beziehen sich einzelne Passagen auf bereits Geschehenes. Zum Glück gibt es als Einleitung eine kurze Übersicht über die bisherige Geschichte von Yukio und Ryusuke, ohne die man wahrscheinlich aufgeschmissen wäre und so manchen Zusammenhang nicht verstehen würde.
Andererseits ist die Story jetzt aber auch nicht so komplex, dass sich hier noch weitere Probleme ergeben würden. Sobald man sich nämlich einigermaßen zurechtgefunden hat, ist man auch mittendrin in der Welt des jungen Gitarristen und seiner Kontrahenten und Neider.

Was dabei erst noch wie eine recht banale Geschichte typisch asiatischer Machart ausschaut, entpuppt sich nach wenigen Seiten als eine sehr weit reichende Story mit vielen Nebenhandlungen und wirklich toll dargestellten Charakteren. Vor allem der mysteriöse Ryusuke übernimmt einen sehr guten Part und wird von Sakuishi immer wieder passend und gut in Szene gesetzt. Die Illustrationen sind dem Mann hinter diesem Comic allerdings im Gesamten sehr gut gelungen, seien es nun die Hauptfiguren oder die in Yukios Visionen erscheinenden toten Musiker Freddie Mercury, Bob Marley und Kurt Cobain.

Aber noch einmal zur Story: Hier passiert innerhalb der 200 Seiten wirklich eine ganze Menge; Sakuishi wechselt sehr häufig die Szenarien, was stellenweise aber auch dazu führt, dass man kurz den Überblick verliert. Es gilt immer wieder, eine große Anzahl von Informationen zu verarbeiten, was einem, sobald man einzelne Zusammenhänge endlich begriffen hat (hier redet erneut der Neueinsteiger), aber zunehmend leichter fällt. Abes es soll halt nicht verschwiegen werden, dass die Geschichte trotz massiver Rock-Klischees alles andere als ein simpel strukturierter Kinder-Comic ist.

Insgesamt gefällt mir der sechste Band dieser Reihe sehr gut und macht auch direkt Lust auf mehr. Vorerst gilt es aber jetzt noch, die ersten Bücher zu lesen, dann wird vieles sicherlich noch gründlicher zu verstehen sein. Dies ist dann natürlich auch meine Empfehlung an die verehrte Leserschaft; von vorne anfangen und in die Welt des Rock & Roll-Mangas abtauchen – mit „Beck“ gelingt dies wirklich prima!

Einen Tipp habe ich dann auch noch: Greift möglichst schnell zu, denn der sechste Band hat in der limitierten Erstauflage noch eine Bonus-Musik-CD als Extra, auf er man fünf Songs der hier präsentierten Band nachhören kan. Und ehrlich gesagt klingt die Mischung aus Mainstream-Hardrock und alternativem Garagenrock gar nicht mal so übel … Auf geht’s!

Weitere Informationen gibt es [hier.]http://www.tokyopop.de/buecher/manga/beck/index.php

Agatha Christie – Mord im Orientexpress

Auf der Zugfahrt von Istanbul nach Calais wird Mr. Ratchett erstochen. Sein Mörder muss sich unter den Passagieren befinden. Meisterdetektiv Hercule Poirot ist an Bord, beginnt die Anwesenden zu verhören und deckt ein unglaubliches Rachekomplott auf … – Zu Recht ein großer Klassiker der Kriminalliteratur, in dem kaum etwas geschieht, sondern viel geredet und spannend gelogen wird, bis Schicht um Schicht das eigentliche Geheimnis offengelegt ist.
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Masterton, Graham – Opferung, Die

_All die Kinder, oh du Graus, nunmehr sind sie Jenkins Schmaus …_

Brown Jenkin ist für mich eines der furchterregendsten Geschöpfe, die H. P. Lovecraft jemals auf seine Leser losgelassen hat. So groß wie eine Ratte sei es, beschrieb der Meister einst, mit einem pelzigen Gesicht, dessen Züge etwas bösartig Menschliches aufwiesen, während seine schrecklich kichernde Stimme in allen Zungen sprechen konnte …

Dabei ist es der subtile Terror, der Brown Jenkin ausmacht: Es ist kein kriechendes Chaos, das die gesamte Menschheit aus den Abgründen der Zeit heraus zu vernichten versucht, und es ist auch kein tentakelbewehrter Dämon aus den Tiefen äonenalter Ozeane; ein kicherndes kleines Scheusal ist es, das in den fiebrigen Träumen der Bürger von Bonchurch herumkriecht, und zwischen den verfluchten Wänden von Fortyfoot House.

Lovecraft hatte den teuflischen Hybriden schon 1881 durch Gilmans „Träume im Hexenhaus“ schleichen lassen, Graham Masterton indes lässt Brown Jenkin in unserer Zeit wieder auftauchen und verbeugt sich mit „Die Opferung“ tief vor der Ikone des angedeuteten Übels:

_Von nächtlichen Lichtern und menschlichen Ratten._

David Williams hat gerade eine schwere Trennung hinter sich und sucht sich eine zurückgezogene Arbeit, die ihn auf andere Gedanken bringen soll. Zu diesem Zweck scheint Fortyfoot House geradezu einzuladen: Ein altes, viktorianisches Gemäuer, das David renovieren soll. Kurzentschlossen schnappt er sich seinen Sohn Danny und zieht dort ein; Warnungen um nächtliche Lichter und mysteriöse Geschehnisse, die ihm von den Dorfbewohnern entgegenbranden, ignoriert er.

Schon in der ersten Nacht allerdings wird er von nächtlichen Geräuschen um den Schlaf gebracht. Ratten, dessen ist er sich sicher, treiben sich in den Zwischenwänden herum und verleiden ihm eine durchgängige Nachtruhe. Also steigt er auf den Dachboden, um den Ruhestörern den Kampf anzusagen, und auch wenn es überflüssig ist, das anzumerken: Ratten findet er dort keine.

Empfänglicher für übernatürliche Schwingungen, durchforstet David am nächsten Morgen den Garten und findet dort neben einer unheimlichen Kapelle einen Friedhof, auf dem nur Kinder bestattet liegen – die seltsamen Erscheinungen, die ihn schon jetzt heimzusuchen beginnen, schreibt er noch seiner überreizten Fantasie zu.

Dann trifft er Liz. Sie ist eine junge Studentin, und wollte sich aus Geldmangel im verlassenen Fortyfoot House einnisten. David ist heilfroh über einen „vernünftigen Geist“ und lädt das Mädel dazu ein, ihm und seinem Sohn Gesellschaft zu leisten, so lange es möchte – ein Vorschlag, dem Liz nur zu gerne zustimmt.

Schon bald aber bröckelt die Idylle: Die unerklärlichen Erscheinungen werden häufiger und rücken den Bewohnern von Fortyfoot House immer dichter auf den Leib, so dicht, bis David beginnt, Nachforschungen anzustellen, um den Ursachen auf den Grund zu kommen. Hat er die Ängste der Dorfbewohner anfangs noch für maßlose Übertreibungen gehalten, so muss er jetzt einsehen, dass diese nur an der Oberfläche des Schreckens schaben, der hinter dem verrotteten Gemäuer lauert: Raum und Zeit stehen Kopf, Brown Jenkin wird zur Schachfigur eines kosmischen Grauens, das in Fortyfoot House seinen Anfang und seine Vollendung finden soll …

_Frischer Wind in alten Gemäuern._

„Die Opferung“ ist Geisterhaus-Grusel, wie er typischer nicht sein könnte, Punktum.
Ganz im Sinne seines kauzigen Vorbildes lockt Masterton den Leser von Andeutung zu Andeutung, konfrontiert ihn mit verschlossenen Dorfbewohnern, die sich kaum Informationen aus der Nase ziehen lassen, und lässt den Schrecken hinter den Mauern von Fortyfoot House nur schemenhaft erscheinen: Der Leser weiß, dass es sich bei all den Unheimlichkeiten nur um die Spitze des Leichenberges handelt, und fragt sich bange, wann David Williams vollends vom Grauen verschlungen werden wird, das durch seine Ankunft aufgeweckt wurde.

Einen Originalitätspokal bringt das nicht, aber das macht nichts: Es geht um Atmosphäre, und die gibt es in „Die Opferung“ satt. Masterton weiß genau, wie man den Leser nach einem nächtlichen Lesevergnügen dazu bringt, das Licht nur mit Unbehagen zu löschen. Vor allen Dingen die erste Hälfte des Buches zeichnet sich durch das Ungesagte aus, das höchstens im Augenwinkel auftaucht, und damit umso verstörender wirkt. „Die Opferung“ ist eine Story wie ein kühler Abendwind: Geheimnisvoll, frisch und man bekommt eine Gänsehaut davon.

_Schlaglöcher auf der Zielgeraden._

Masterton, der 1946 in Edinburgh geboren wurde, muss ein wahrer Schreib-Besessener sein: Nach [„Manitou“ 754 (1975) hat er 72 weitere Romane veröffentlicht (wenn ich richtig gezählt habe) und dabei habe ich nicht die Sex-Ratgeber berücksichtigt, die er in ebenfalls schwindelerregender Zahl verfasst (über 30) und verkauft (über drei Millionen) hat.

Ein derart gigantischer Output verlangt natürlich auch eine flotte Schreibe, und zu deren Gunsten hat Masterton im letzten Drittel des Buches ein wenig die Sorgfalt vermissen lassen: Er möchte zu einem Ende kommen, das merkt man besonders daran, dass David Williams nicht immer, sagen wir, lebensnahe Entscheidungen trifft. Auch das Schlachtermesser, das zum Schluss Regie führt, hätte es nicht unbedingt gebraucht.

Dem Lesespaß fügt das aber keinen nennenswerten Schaden zu, denn der Gruselfaktor bleibt enorm. Die vielen Anspielungen auf das Lovecraft-Universum entschädigen überdies für die gelegentlichen Naivitätsanfälle von David Williams und für die Abkehr vom Subtilen.

Masterton kann sich außerdem das eine oder andere Augenzwinkern nicht verkneifen und verdeutlicht somit, dass es eben dieser Spaßfaktor war, der ihn beim Schreiben angetrieben hat: „Die Opferung“ ist somit kein bierernstes Schauermärchen, sondern gruseltechnisches Popkorn-Kino.

_Finale: unbefriedigend befriedigend._

Das wiederum hat zur Folge, dass die Schaueratmosphäre nicht bis zur letzten Seite durchhält. Wo Lovecraft einen verstörten Leser zurücklässt, der die Fundamente seiner vernünftigen Welt plötzlich als bröckelnde Fassaden wahrnimmt, hinterlässt Masterton einen Leser, der mit einem zufriedenen Schaudern sein Buch zuschlägt. „Die Opferung“ ist rund und ausgewogen, es bleiben keine Fragen offen und jeder Handlungsstrang schließt sich. Selbst Brown Jenkin bekommt eine Ursprungserklärung auf den Leib geschneidert. Oh, die ist nicht schlecht, aber die genaue Betrachtung seiner „Kinderstube“ zerstört alles Mystische, das hauptsächlich für sein Grauen verantwortlich war. Man könnte sagen, dass Masterton seinen Stil wechselt: Von anfänglichem Suspense zu schlussendlichem Splatter.

Eine würdige Verbeugung vor dem Meister bleibt „Die Opferung“ dennoch, und auch wenn Masterton damit sicher nicht in der Lovecraft-Liga spielt, hat er dem Horrorfan trotzdem eine kleine Genre-Perle geschenkt, die alles bietet, was das schauerlustige Herz begehrt. Ein Lob also an den |Festa|-Verlag, der mit sicherer Hand in die Klassiker-Kiste gegriffen hat, um etwas zu entstauben, das man sich ruhigen Gewissens ins spinnwebverhangene Gruselregal stellen kann. Wer in „Die Opferung“ hineinschnuppern möchte, kann das auf der [Homepage]http://www.festa-verlag.de/ des |Festa|-Verlages tun, wer Masterton näher kennen lernen möchte, mag sich auf dessen Seite begeben: http://homepage.virgin.net/the.sleepless/masthome.htm.
Lohnen wird sich beides.

Walter Satterthwait – Eskapaden

Das geschieht:

Schloß Maplewhite in der englischen Grafschaft Devon ist im August des Jahres 1921 Schauplatz eines außergewöhnlichen Ereignisses: Lord Robert Purleigh, der Hausherr, lädt ein zur Séance mit dem berühmten Medium Madame Sosostris. Unter den illustren Gästen: Sir Arthur Conan Doyle, Schriftsteller und geistiger Vater des unsterblichen Sherlock Holmes, privat ein unverbesserlicher und recht leichtgläubiger Anhänger des Okkulten.

Dies trifft auf Harry Houdini, den außergewöhnlich begabten und maßlos von sich eingenommenen Zauber- und Entfesselungskünstler nicht zu. Er kennt die Tricks seiner Kolleginnen und Kollegen. In den letzten Jahren hat er sich verhasst gemacht, weil er falsche Magier und Medien entlarvt. Madame Sosostris‘ Karriere ist Houdini schon lange ein Dorn im Auge; sie will er auf Maplewhite beenden. Houdini ist außerdem auf der Flucht. Chin Soo, ein verärgerter Rivale, hat ihm den Tod geschworen. Houdini wird daher von Phil Beaumont vom Detektivbüro Pinkerton begleitet. Walter Satterthwait – Eskapaden weiterlesen

Morus, Thomas – Utopia

_Der Schöpfer der utopischen Insel_

Thomas Morus gilt als einer der größten Freidenker der britischen Geschichte und wird als einer der wichtigsten Philosophen und Schriftsteller seiner Zeit eingeordnet. Erasmus von Rotterdam sagte über Morus (dessen eigentlicher Name Thomas More war), dass |“dessen Seele reiner war als der reinste Schnee, dessen Genius so groß war, wie England nie einen hatte, ja nie wieder haben wird, obgleich England eine Mutter großer Geister ist“|.

Morus wurde am 7. Februar 1477 oder 1478 (nicht genau bekannt) in London geboren und genoss nach der Erziehung am Hofe des Lordkanzlers und Erbischofs von Canterbury, Jorn Morton, ein Studium am Canterbury College. 1492 kehrte er für ein Jahr nach London zurück, um dort eine juristische Ausbildung zu absolvieren. Sieben Jahre später trifft er zum ersten Mal auf Erasmus von Rotterdam. Kurze Zeit später verwirft Morus seine Pläne von einem Leben als Priester im Kloster und wird Mitglied des Parlaments. Dort macht er 1510 zunächst als Vertreter des Sheriffs in Rechtsangelegenheiten (in London) und später als Sprecher des Parlaments Karriere. 1529 schließlich tritt Morus die Nachfolge des abgesetzten Lordkanzlers Thomas Wolseys an, legt diesen Posten jedoch aus Protest gegen die antipäpstliche Politik von König Heinrich VIII. wieder nieder. 1535 wird Thomas Morus im Tower von London enthauptet.

Genau 400 Jahre später, nämlich 1935, wird Thomas Morus von Papst Pius XI. heilig gesprochen.

_Der Klassiker_

Das lateinische Urwerk „Utopia“ wurde von Thomas Morus 1516 veröffentlicht und diente dem Zweck, die zeitgenössische Politik in der Heimat durch fiktive Überspitzung anzuprangern. Erst 16 Jahre nach seinem Tod wurde das Buch in der englischen Sprache herausgegeben.

_Wohlstand und leichte Arbeit für alle …_

…, ein Liebesleben ohne Konflikte und Kultur von Kindesbeinen an – dies sind nur einige wenige der revolutionären Gedanken, die Morus in „Utopia“ erdachte. Morus erzählt in seinem zweiteiligen Buch die Geschichte des seefahrenden Philosophen Raphael Hythlodaeus, der zufällig auf die Insel Utopia gestoßen ist und diesen Ort als besonderen Hort der Harmonie kennen gelernt hat – dies alles zu einer Zeit, in der seine britischen Zeitgenossen von Krieg und Armut bedrängt waren.

Morus hat insgesamt eine überaus satirische Fassung des modernen Lebens erschaffen und in diesem Sinne auch keinen Unterpunkt des zwischenmenschlichen Miteinanders oder der gängigen Kultur ausgelassen. So beschreibt er in Person des Raphael Hythlodaeus die zu dieser Zeit revolutionäre Regierungsform, die gerechte Arbeitsteilung sowie Nichtigkeiten wie Ehebruch und Verbrechungen in relativ kurzen Abhandlungen und widmet sich weitaus detailreicher der Tugend und der Lust sowie dem Umgang mit den Staatseigentümern, dem Kriegswesen und dem Wert der Religion für die Beziehungen der Menschen auf Utopia.

Morus formuliert in „Utopia“ seine Idealvorstellung einer Gesellschaft, die nicht in einzelne Kasten aufgeteilt ist, sondern stattdessen mit gleichen Rechten, gleichen Voraussetzungen und einem hohen Maß an Lebenslust ausgestattet ist. Gleichermaßen betont Morus, dass diese Gesellschaftsform trotz der zu befürchtenden Konflikte problemlos funktioniert und Schändlichkeiten wie Verbrechen oder aber Neid nur in ganz wenigen Fällen auftreten und daher quasi als ’nicht existent‘ betrachtet werden dürfen.

Auf der anderen Seite äußert der Autor dadurch, dass er beschreibt, was „Utopia“ nicht ist, die Kritik an der Regierungsform und der Klassengesellschaft im Europa des 16. Jahrhunderts, ganz besonders in seinem Heimatland England. Dies war damals ein gewagter und natürlich von vielen kritisierter Schritt, den sich Morus aber als gebildeter Freidenker, einflussreicher Politiker und Idealist erlauben durfte. Leider konnte der Mann den Ruhm seines Werkes zu Lebzeiten nicht mehr ernten, der Wert des Inhalts ist aber dennoch bis heute unumstritten genial.

_Das Hörspiel_

Die hier vorgestellte Version ist nicht die einzige ihrer Art. Erst kürzlich hat es eine 4-CD-Version, gelesen von Hans Eckhardt, gegeben, die sich mit dem Gesamtwerk „Utopia“ beschäftigte. Die über den LIDO-Verlag erschienene Neuversion hingegen läuft unter dem Kommentar ’sorgsam gekürzte Fassung‘ und enthält in 173 Minuten nur das zweite Besuch, also die eigentliche Charakterisierung der Insel Utopia und ihrer Menschen. Ulrich Matthes als Vorleser wirkt zunächst noch ein wenig blass, weil er stets in derselben Tonlage spricht und – so meint man zunächst – die Vorlage nur so herunteredet, um die Zeit zügig abzuarbeiten. Doch genau dieses Trockene und Emotionslose zeichnet diese Lesung schließlich auch aus. „Utopia“ ist nämlich ein Bericht und keine spannende Erzählung. Und als Reisebericht vom Besuch einer seltsamen Insel, auf der die Welt so wunderbar und schön ist wie nirgendwo anders, auf der die Menschen frei von Problemen sind und wo man sich keine Sorge um das Durchstehen des nächsten Tages machen muss, eignet sich Ulrich Matthes‘ Stil wirklich perfekt.

_Der Vorleser_

Ulrich Matthes wurde in Berlin geboren. Nach ein paar Semestern Germanistik und Anglistik entschied er sich für die Schauspielerei. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den renommierten Gertrud-Eysoldt-Ring. Zuletzt war er in der Rolle des Joseph Goebbels im Kinoerfolg „Der Untergang“ sowie in Volker Schlöndorffs Film „Der neunte Tag“ zu sehen, für den er als bester Hauptdarsteller für den Deutschen Filmpreis 2005 nominiert wurde.

_Unterm Strich_

Leider liegt mir die andere oben angesprochene Hörbuch-Version von „Utopia“ nicht vor, um einen direkten Vergleich vorzunehmen. Unabhängig davon kann ich dieses 2-CD-Set nur wärmstens weiterempfehlen; zum einen, da es sich ausschließlich auf den Kern der Handlung beschränkt, und zum anderen, weil Vorleser Matthes mit seinem Vortrag dieses Klassikers der Weltliteratur eine tadellose Vorstellung gibt.

Linktipp: [Digitale Reproduktion]http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/more/utopia/ der Baseler Ausgabe von 1518.

Haas, Marc Alexander – Dunkelheit der Tage, Die

|“Viele hatten sich anfangs ein organisches Dunkel vorgestellt, eine pulsende Bauchhöhle der Metropole, eine tropfende, schleimabsondernde Peristaltik, die nach Licht und Zellen griff, die sich von Ausscheidungen nährte und nie gesehene blasse Kreaturen gebar, um eine erdabgewandte Seite zu bevölkern. Nässe und Moder hatten sie erwartet, rätselhafte Geschöpfe, transparente Schädellose, die in schwarzen Pfützen wimmelten, Altäre der Nacht metertief unter der Stadt.“|

Marc Alexander Haas‘ Roman „Die Dunkelheit der Tage“ erzählt die Geschichte einer Stadt und seiner eigentlich so alltäglichen Bewohner. Wir begegnen Maria, die sich nach der Trennung von Eric zu ihrer Freundin Greta in deren Kneipe flüchtet und die bei einem kleinen Zwischenfall im Supermarkt nicht nur den Obdachlosen Elias kennen lernt, sondern auch Henri, in den sie sich verliebt. Henri ist nach einem Brand arbeitslos und nimmt daher gezwungenermaßen einen Aushilfsjob auf dem Schrottplatz an. Er ist zu stolz, um auf das Angebot seines Freundes Tito zurückzugreifen, für ihn zu arbeiten. Maria und Henri nähern sich einander ganz allmählich an, und im Laufe des beschriebenen Jahres erleben wir Höhen, aber auch einige Tiefen ihrer Beziehung mit.

In der Geschichte treffen wir auf Greta, die in Scheidung von Paul lebt, der ihr zunächst noch hinterherläuft, dann aber bald eine neue Freundin hat. Greta ist die Einzige, die an Vincent herankommt. Er ist vielleicht der geheimnisvollste Charakter in der „Dunkelheit der Tage“, denn er taucht nur ganz sporadisch auf, eigentlich ist er stets auf der Suche nach dem tätowierten Mörder seiner geliebten Freundin Lara. Vincent ist ein undurchsichtiger Charakter, an den wir nicht herankommen, da auch seine Bekannten ihn nicht durchschauen können. Dennoch geht von ihm eine Faszination aus, der sich niemand entziehen kann.

Wir lernen Elias kennen, der in einer kleinen Baracke haust, aber immer wieder zugegen ist, wenn sich kleine Dinge ereignen; so passiert ihm im Supermarkt ein kleines Missgeschick, welches nur Henri durch sein beherztes Eingreifen ausbügeln kann. Elias möchte keine Hilfe seiner Freunde und Bekannten annehmen und feiert daher sogar Weihnachten und Silvester bei eisiger Kälte im Freien, aber immer wieder zeigt er seine Hilfsbereitschaft, er assistiert bei einer Geburt und hilft einer gehässigen Frau nach einem Sturz in ihren Rollstuhl hinein.

Dies sind nicht die einzigen Charaktere, die uns vorgestellt werden. Auf weniger als 400 Seiten stellt Marc Alexander Haas uns eine Vielzahl von verschiedenen Menschen vor und erzählt Teile ihrer Lebensgeschichte. So erfahren wir viele ihrer Eigenarten, Episoden aus ihrer Vergangenheit, aber wir erleben auch ihr aktuelles Leben mit. Im Laufe des Jahres in dieser dunkel gezeichneten Stadt werden Menschen begraben, aber wir schauen auch bei einer Geburt zu. Während die Jahreszeiten wechseln, findet also auch ein kleiner Wechsel der Generationen statt. Die Beziehung zwischen Maria und Eric ist vorbei, doch gibt es nach dem Kennenlernen zwischen Maria und Henri neue Hoffnung. So trostlos, wie Marc Haas uns die unbekannte Stadt präsentiert, baut er auch immer wieder kleine Oasen der Zuversicht ein, die die Geschichte leichter verdaulich machen, auch wenn wir sowohl Armut und Obdachlosigkeit als auch Arbeitslosigkeit und Beziehungskrisen miterleben müssen.

„Die Dunkelheit der Tage“ ist die Biografie einer Stadt samt einem Teil seiner Bewohner, viele völlig unterschiedliche Charaktere verfolgen wir und lernen dabei auf der einen Seite den armen Elias kennen, der für sein Überleben betteln gehen muss, aber wir treffen auch Tito, der von seinem vielen Geld Häuser kauft, die er einfach nur verfallen lassen möchte. Der Roman ist ein Wechselspiel aus Zuversicht und Verzweiflung. Nehmen wir beispielsweise Maria und Henri, die sich kennen lernen, als es Maria nach der Trennung von Eric nicht gut geht. An dieser Stelle muss Henri seine Arbeitslosigkeit verkraften, während es für Maria neue Hoffnung auf dem Arbeitsmarkt gibt, da Gretas Exmann ihr eine Ausstellung in Aussicht stellt. Aber kaum hat dieser eine neue Freundin, löst sich diese Hoffnung in Luft auf. Doch Henri kann helfen, denn er weiß sofort, dass Tito Maria helfen kann. Schon geht es mit den beiden bergauf, doch dann muss Henri den Aushilfsjob auf dem Schrottplatz annehmen und erfahren, dass sein neuer Arbeitgeber dubiose Geschäfte tätigt. Wir erleben alleine an diesem Teil der Geschichte ein ständiges Auf und Ab kennen.

Marc Alexander Haas gelingt der Aufbau einer dichten Atmosphäre und die authentische Zeichnung unterschiedlicher Charaktere. Allerdings fordert er viel von seinen Lesern, er überfrachtet seine Erzählweise völlig, sodass wir einen langen Atem brauchen, um uns durch das Dickicht an Adjektiven, Schachtelsätzen und Metaphern zu kämpfen. Viele Kunstworte werden eingefügt, um eine Sprache zu schaffen, die vielleicht in den Kontext passen mag, die ich aber nicht wie andere Rezensenten als musikalisch bezeichnen möchte, sondern als schwafelig und ermüdend. Auch ist die Geschichte völlig zerpflückt durch den ständigen Wechsel der Schauplätze. Kaum begleiten wir eine Figur auf einem Teil ihres Weges, springen wir schon zu einer anderen Person und erleben mit dieser eine Episode. Dieser ständige Wechsel ohne jeglichen roten Faden führt zu Verwirrung und dazu, dass wir Haas‘ Gedankengängen nicht so recht folgen können.

Meiner Meinung nach hätte der Autor sich auf die Zeichnung einiger weniger Charaktere konzentrieren sollen, dann wären sie uns vielleicht näher gebracht worden, aber Haas versucht die Vorstellung zahlreicher Personen auf wenig Raum und unterbricht seine Erzählung oftmals durch Einschübe, die uns inhaltlich nicht voranbringen, sondern in schier unerträglich schwülstiger Art und Weise eine Szenerie beschreiben wollen:

|“Schilf raschelt spröde; blasse, sehnsuchtsvolle Geschöpfe schälen sich aus der Finsternis, während drüben, im Dunkel des anderen Ufers, der Angler kauert. Geduldig bringt er seine Rute aus, schält das Gebein, aus dem er seine Haken schnitzt. Er zieht harlekineske Fische aus dem stillen Gewässer, und neben ihm hockt friedfertig der Tod. Verirrte Gestalten in der formlosen Dämmerung, vertraut und unvorstellbar fern zugleich, wie Karrenspuren aus der Bronzezeit. Ein Nachen liegt für den Wanderer bereit, er schwoit vor einer pulsenden Höhle, einem Gebirge aus Rauchquarz, von einer rätselhaften Lichtsystole durchblutet.“|

Wer sich von derart überladener Sprache nicht abschrecken lässt, sondern sie womöglich als Kunst bezeichnet, und wer die Geschichte einer Stadt und seiner Figuren kennen lernen möchte, der mag sich mit der „Dunkelheit der Tage“ anfreunden können, ich persönlich bin mit der Erzählung nicht warm geworden. Zu zerpflückt erschien mir der Text, zu schwafelig die Sprache und auch das Schicksal der Charaktere berührte mich nicht. Das vorliegende Buch ist kein Unterhaltungsroman, sondern ein schwer verdauliches Stück Literatur, das seine Leser herausfordert und viel Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen benötigt. Leider wird man nicht durch eine interessante Geschichte belohnt, sondern nur durch kleine Episoden verschiedener Charaktere, mit denen man sich nur halbwegs anfreunden kann.