Paul Harding – Tödliches Rätsel

Das geschieht:

London im Sommer 1380: Geldverleiher Bartholomew Drayton liegt mit einem Armbrustbolzen in der Brust in seiner leer geräumten Schatzkammer. Mit eingeschlagenem Schädel treibt Schreiber Edwin Chapler in der Themse. Sein Kollege Luke Peslep endet, während er sich auf der Latrine der Schenke „Zum Tintenfass“ erleichtert, unter den Degenstichen eines Meuchlers.

Für die Ermittlungen in allen drei Fällen ist Sir John Cranston, der Coroner (= Untersuchungsrichter) der Stadt London, zuständig; eine Kriminalpolizei gibt es noch nicht. An seiner Seite arbeitet Athelstan, ein Bruder des Dominikanerordens, der sowohl als Cranstons Sekretär fungiert als auch auf Grund seiner kriminalistischen Fähigkeit ein wertvoller Assistent sowie ein geschätzter Freund ist. Paul Harding – Tödliches Rätsel weiterlesen

Froideval, François Marcela / Ledroit, Olivier – Stunde der Schlange, Die (Die Chroniken des schwarzen Mondes Band 4)

Band 1: [Das Zeichen der Schatten 1625
Band 2: [Der Flug des Drachen 1638
Band 3: [Das Zeichen der Dämonen 1697

Nach zweiwöchiger Pause darf ich endlich weiterschmökern und nach dem ungeheuer spannenden Ende des dritten Bandes „Das Zeichen der Dämonen“ in Erfahrung bringen, wie die Geschichte um das intrigenreiche Kaiserreich Lhynn fortgesetzt wird.

_Story:_

Nach dem erfolgreichen Kampf gegen den Succubus hat dieser sich auf die Seite von Wismerhill geschlagen und ihm einen Treueeid geleistet, doch weiterhin ist die verdammte Seele Wismerhills nicht sicher, wer nun ihr wahrer Meister ist. Währenddessen hat der Kaiser die verräterischen Pläne seines ehemaligen Untertanen Fratus Sinister durchschaut und ist sich der Tatsache bewusst, dass der Krieg nahe bevorsteht. Deshalb sucht er auch Unterstützung bei den anvertrauten Drachen, die jedoch aus Abscheu vor politischen Machenschaften ihre Hilfe verwehren.

Der schwarze Mond mit seinem Anführer Hazeel Thorn stattet dem jungen Ritter Wismerhill zur gleichen Zeit einen Besuch ab und bringt den Succubus erneut in Verführung, sich für den richtigen Meister zu entscheiden. Darauf bedacht, das Kaiserreich Lhynn in Stücke zu reißen, schart er weitere Leute um sich, um gegen den Kaiser in den Krieg zu ziehen. Als eines Tages ein wundersamer Dunkelelf nach Dis in die neue Heimat Wismerhills reist und sich als sein lange gesuchter Vater entpuppt, ist dieser außer sich vor Freude, doch bevor er ihn überhaupt kennen lernen kann, wird er hinterrücks vor den Augen seines Sohnes ermordet. Geblendet vom Hass auf den Kaiser, dem Thorn die Verantwortung für diese Greueltat zuschiebt, startet Wismerhill Seite an Seite mit seinen treuen Gefährten einen Rachefeldzug und verschont dabei kein einziges Dorf, das dem Kaiser untergeben ist. Die dabei hinterlassene Blutspur wird immer größer, und als die Intrigen sich nach und nach aufzudecken scheinen und die Macht des schwarzen Mondes kaum noch zu bremsen ist, beginnt der unvermeidliche Krieg …

Der vierte Teil dieser Reihe ist ein wenig verwirrend gestaltet, weil die Szenerie beständig wechselt und die einzelnen Handlungspunkte nur selten abgeschlossen werden. Immer wieder wechselt das Geschehen zwischen der kaiserlichen Feste, der Heimat Wismerhills, der Verschwörung von Hazeel Thorn und den verräterischen Intrigen von Fratus Sinister, und wenn man sich nicht entsprechend konzentriert, fällt es ziemlich schwer, Verfasser Froideval bei der weiteren Entwicklung seiner Geschichte zu folgen.

Der Spannung tut dies jedoch keinen Abbruch, denn nach wie vor fesselt uns die Story um das erschütterte Kaiserreich Lhynn, und bei den besonders in diesem Buch genialen Zeichnungen Ledroits kann man auch völlig in der Geschichte versinken. Der Zeichner, der nunmehr zum vorletzten Mal bei dieser Serie in Erscheinung getreten ist, verdient speziell bei den mehrseitigen Illustrationen lautstarken Beifall, denn je größer die Bilder werden und je mehr Details Ledroit darin unterbringen kann, desto genialer sind die Zeichnungen auch. Seine bisherige Meisterleistung hat er schließlich mit der doppelseitigen Darstellung des Totentanzes abgeliefert, die wohl nur schwer zu übertreffen sein wird. Ausgerechnet dieses Bild ist dann auch das mit Abstand düsterste im ganzen Band, wohingegen die meisten ansonsten doch recht bunt und hell geraten sind und die in diesem Fall äußerst lebhafte Handlung passend untermalen.

Eine weitere Darstellung, die mir sehr gut gefallen hat, ist die Kriegserklärung sämtlicher Parteien auf der letzten Seite, die wunderbar mit den Texten Froidevals harmoniert und ebenfalls zu den Top-5-Illustrationen dieser Serie zu zählen ist.
Alleine von den Zeichnungen her ist „Die Stunde der Schlange“ mein bisheriger Favorit, doch auch die Handlung, deren einzelne Charaktere in diesem vierten Teil stellenweise eine enorme Entwicklung durchmachen (ganz besonders die Hauptfigur Wismerhill), gewinnt trotz einiger komplexer Wendungen mehr und mehr an Farbe und macht erneut Lust auf mehr. Der Krieg ist angesagt, die Spannung wächst und die Rollen sind anscheind zum ersten Mal klar verteilt: Ich kann es kaum noch abwarten, den nächsten Band zu lesen und werde genau das jetzt auch tun!

Elizabeth Kostova – Der Historiker

Verlagsinformationen zu Buch und Autorin:

Hier wird das Genre Dracula-Roman völlig neu erfunden: Elisabeth Kostova hat in ihrem Debüt historische Fakten und Fiktion zu einem hervorragend geschriebenen „Page Turner“ verwoben: Ein junges Mädchens findet in der Bibliothek seines Vaters ein merkwürdiges Buch. Es ist sehr alt. Die Seiten sind unbeschrieben; nur in der Mitte des Buches prangt der unheimliche Holzschnitt eines Drachen und das Wort „Drakulya“. In dem Buch liegen Briefe datiert 1930, adressiert an: „Meinen lieben und bedauernswerten Nachfolger …“ So beginnt eine unheimliche Reise quer durch Europa auf den Spuren von Vlad Tepes, genannt Dracula.

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Lukianenko, Sergej – Wächter der Nacht (Nochnoi Dozor)

Wieder einmal gerät ein Buch in die Schlagzeilen, das laut einigen Kritikern besser und spannender sein soll als „Der Herr der Ringe“ oder „Harry Potter“, doch den Vergleich gegen das große Werk von J.R.R. Tolkien haben vor Sergej Lukianenkos „Wächter der Nacht“ schon andere Bücher verloren. In Russland allerdings ist Lukianenkos Trilogie tatsächlich erfolgreicher als das meistverkaufte Fantasybuch, und auch der zugehörige [Film]http://www.waechter-der-nacht.de schlägt dort alle Rekorde. Inwiefern dieser Vergleich zwischen den verschiedenen Fantasybüchern überhaupt gerechtfertigt ist, wollen wir uns nun ansehen.

_Lichtgestalten_

In Moskau leben die Lichten und die Dunklen in einem wackligen Waffenstillstand, die Lichten sorgen als Wächter der Nacht in den dunklen Stunden für Ordnung, während die Dunklen tagsüber die Wache übernehmen. Anton arbeitet als lichter Magier bei der Nachtwache und muss eines Nachts beobachten, wie eine Vampirin den 12-jährigen Jegor anlockt, um dessen Blut zu trinken. Doch dies ist verboten, und so kann Anton gerade noch rechtzeitig einschreiten, doch sowohl der Junge als auch die Vampirin können fliehen. Viel beunruhigender sind allerdings andere Ereignisse: Auf seiner nächtlichen Runde hat Anton in der U-Bahn eine Frau beobachtet, die einen bedrohlichen schwarzen Wirbel über ihrem Kopf schweben hat. Im Grunde genommen sind solche Wirbel alltäglich und werden durch Flüche hervorgerufen. Die verfluchte Person wird nun einige Unglücke zu verkraften haben, doch der besagte Wirbel über dem Kopf der unbekannten Frau ist anders. Anton schafft es nicht, ihn aufzulösen, der Wirbel nimmt eher noch dramatischere Ausmaße an.

Antons Chef beschließt daraufhin, den schwarzen Wirbel von seiner Nachtwache aufhalten zu lassen, muss aber zusehen, wie dieser größer und größer wird und schließlich eine Höhe von über dreißig Metern annimmt. Dies würde eine Katastrophe bedeuten, die große Teile von Moskau zerstören und viele Menschenleben kosten würde. Schließlich kommt es zum Showdown, bei dem Anton eine große Rolle spielen wird.

_Der neue Tolkien?_

Vergleiche mit J.R.R. Tolkien versprechen immer einen Anstieg der Verkaufszahlen, auch wenn sie in den seltensten Fällen angebracht sind. Lukianenko schreibt zwar ebenfalls im Fantasygenre wie sein berühmter Vorgänger, doch da hören die Ähnlichkeiten fast schon auf. Während Tolkien mit Mittelerde eine ganz eigene Welt entworfen und seinen Elben sogar eine eigene Sprache verpasst hat, greift Lukianenko auf das bekannte und existente Moskau zurück und lässt dort lediglich die Anderen auf den Plan treten. Die Anderen sind Lichte oder Dunkle mit magischen Fähigkeiten, die zwar auf unterschiedlichen Seiten des Rechts kämpfen, doch beide ihre Schattenseiten haben. Das Zwielicht – die Schattenwelt – ist das Reich, in dem sie sich bewegen und wo sie unbeobachtet durch normale Menschen bleiben können. Lukianenko greift also auf das bekannte Erfolgsmuster zurück, nämlich auf den Kampf zwischen Gut und Böse, wobei allerdings die Grenzen in diesem Fall stark verwaschen sind. In „Wächter der Nacht“ haben auch die Lichten ihre dunklen Seiten. So intrigiert sogar der Chef der Nachtwache gegen seine eigenen Wächter. Und auch Anton tut nicht nur Gutes. Um an eigene Kraft zu gelangen, muss er Menschen ihre Freude nehmen. Bei Sergej Lukianenko gibt es erfreulicherweise also keine Schwarzweiß-Zeichnungen, auch wenn die Sympathien dennoch klar verteilt sind. Die gesamte Geschichte ist nämlich aus Antons Sicht erzählt, sodass er der Sympathieträger schlechthin ist.

„Wächter der Nacht“ hat weder mit dem „Herr der Ringe“ noch mit „Harry Potter“ viel gemeinsam, daher erscheint dieser Vergleich weit hergeholt. Dennoch muss sich Lukianenko nicht verstecken, sein Buch weiß zu unterhalten und präsentiert uns eine spannende Welt jenseits der uns bereits bekannten. Der unsichere Waffenstillstand zwischen Licht und Dunkel birgt genug Lesestoff für den langen ersten Teil der Trilogie, es werden uns insgesamt drei Episoden erzählt, in denen stets Anton, Swetlana – die Frau mit dem schwarzen Wirbel – und der kleine Jegor im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Welche Rolle diese drei Figuren im Gesamtkontext einnehmen, erahnen wir dabei erst nach und nach. Lukianenko versteht es gekonnt, uns zunächst im Dunkeln zu lassen und einige falsche Fährten auszulegen.

Die Welt, die Sergej Lukianenko uns präsentiert, ist düster und erscheint nahezu hoffnungslos. Wenn sich schon die Lichten und die Dunklen gegenseitig bekriegen, obwohl sie doch den Frieden bewahren sollen, wie soll es dann weitergehen? Viele Szenen spielen sich nachts ab, wenn die Wächter der Nacht ihren Dienst antreten – solcherart zeichnet Lukianenko ein bedrohliches und furchteinflößendes Bild Moskaus. „Wächter der Nacht“ kommt ganz ohne friedliche Oasen im Sinne des Auenlandes aus und auch märchenhafte Figuren wie die Elben fehlen völlig. Das vorliegende Buch wirkt dadurch auf der einen Seite realistischer, auf der anderen Seite fehlt ihm aber ein wenig vom magischen Glanz eines „Herr der Ringe“. Dennoch halte ich beide Bücher weiterhin für nicht miteinander vergleichbar, beide stehen nicht in Konkurrenz zueinander, da sie sich stark voneinander unterschieden und Lukianenko seine ganz eigene Fangemeinde um sich scharen wird.

_Einsamer Held_

Der erste Teil der Trilogie um die Anderen in Moskau ist aus Sicht Antons geschrieben, der seinen Dienst bei der Nachtwache angetreten hat, aber gleich vor große Aufgaben gestellt wird. Seine magischen Fähigkeiten sind zwar schon gut entwickelt, doch kann sein Chef bereits sehen, dass Anton nie über den zweiten Grad hinauskommen wird, die Laufbahn eines großen Magiers ist Anton also verwehrt. Trotzdem wird er mit wichtigen Aufgaben betraut, die die Zukunft der Lichten beeinflussen werden. Wir begleiten Anton dabei stets auf seinen Wegen, erfahren aber nicht alle seine Pläne. In der dritten Episode erfährt er Dinge über das Schicksalsbuch, die er uns vorenthält, und auch über sein Vorhaben lässt er uns im Dunkeln. So lernen wir Anton zwar kennen und freunden uns mit ihm an, eine gewisse Distanz wird dabei aber nie überbrückt. Nichtsdestotrotz mag ich mir gar nicht vorstellen, dass die nächsten beiden Teile der Trilogie vielleicht nicht mehr aus seiner Sicht erzählt sein könnten, denn dann würde mir definitiv etwas fehlen. Gerade durch seine kleinen Fehler und Eigenarten wirkt Anton authentisch und sympathisch. Manchmal ist er ein Einzelkämpfer, obwohl es neben ihm doch viel mächtigere Magier gibt. Dennoch versucht Anton manchmal das Unmögliche, hat dabei aber stets das Gute im Blick und möchte ebensolches bewirken.

Neben Anton spielen Jegor und Swetlana eine wichtige Rolle, doch tauchen sie in diesem Band noch nicht so häufig auf, werden aber sicherlich in den Folgebüchern noch größeres Gewicht erhalten. Sowohl Swetlana als auch Jegor bleiben für uns undurchsichtig, auch wenn Teile ihrer Zukunft deutlich dargelegt werden. Aber es scheint, als habe sich ihr Schicksal noch nicht entschieden, und so dürfen wir gespannt sein, wie sich Swetlana und Jegor in der Trilogie weiterentwickeln. Zumindest eines ist klar: Auch sie erhalten einen Teil der Lesersympathien, auch wenn sie uns lediglich aus Antons Sicht geschildert werden und wir die beiden daher nicht gut genug kennen lernen.

_Mehr davon_

„Wächter der Nacht“ ist der Auftakt zu einer Trilogie, die sich dem Schattenreich Moskaus widmet und bereits viele Fragen aufwirft. Das Buch ist zwar in sich abgeschlossen, dennoch erklärt es am Ende nicht alles und lässt uns mit einigen Spekulationen zurück. Schon jetzt dürfte daher die Ungeduld der Leser auf die zu erwartende Fortsetzung groß sein. Sprachlich bedient Sergej Lukianenko sich einfacher Mittel, schmückt aber mit ausführlichen Beschreibungen und fantastischen Details seine Geschichte aus. Man merkt dem Text an, dass kein wortverliebter Literaturprofessor am Werke war, sondern ein kreativer Autor, der seine Leser dennoch zu fesseln weiß und an einigen Stellen viel Sinn für Humor beweist. Das Buch zu lesen, bereitet viel Freude, da man sich in einer ganz fremden Welt verlieren kann, außerdem macht es neugierig auf die Fortsetzung, die hoffentlich bald in deutscher Sprache erscheinen wird.

|Siehe ergänzend hierzu auch die [Rezension 1828 von Dr. Michael Drewniok.|

Kurt Singer (Hg.) – Horror 1: Klassische und moderne Geschichten aus dem Reich der Dämonen

singer-horror-1-cover-klein14 Gruselgeschichten aus guter, alter Zeit. Es wird lustvoll handfest und ohne psychologische Sperenzchen gespukt, gerächt & gemordet, denn hier werden vor allem Storys aus der großen Zeit der US-amerikanischen Pulp-Magazine präsentiert. Echte Klassiker mischen sich unter vergessene Kleinodien des Genres, dazwischen muss man sich durch (wenig) Mittelmaß kämpfen.
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Niles, Steve / Burns, Breehn – Aleister Arcane

In den USA ist „Aleister Arcane“ als dreiteilige Miniserie herausgekommen, was ich bein einer Anzahl von 76 Seiten (in der europäischen Ausführung des Horror-Comics) schon erstaunlich finde, denn dann können die einzelnen Hefte wohl nicht wirklich dick gewesen sein. Wie auch immer, Autor Steve Niles und Zeichner Breehn Burns sind in ihrem Comic um den schrulligen Fernsehansager Aleister Green wirklich sehr darum bemüht, die Horror-Serien und -Filme der 50er und 60er in Ehren zu halten, und daraus machen sie in Form von Mehrfachnennungen gewisser Horror-Klassiker auch keinen Hehl. In der Hoffnung, mit der Geschichte um den verhassten und wiederauferstandenen Moderator Aleister Arcane ebenfalls einen Klassiker des Genres erschaffen zu haben, sind die beiden schließlich ins Rennen gegangen, haben ihr Ziel aber nur zum Teil erreichen können.

_Story:_

Aleister Green ist seit Jahren bei mehreren bekannten Fernsehsendern als Moderator für den Wetterbericht beschäftigt und hat dabei auch des Öfteren seinen Arbeitgeber gewechselt. Aleister weiß also nur zu gut, wie es ist, wenn man gefeuert wird. Außerdem machte Aleister während seiner Zeit bei den verschiedenen Stationen nie einen Hehl aus seiner Liebe für den Horrorfilm, was ihm eines Tages zur Anstellung als Moderator einer berüchtigten Horror-Serie verhilft, in der Aleister Green fortan unter dem Pseudonym Aleister Arcane Klassiker des Genres ansagt, diese Show aber mit immer abgedrehteren Methoden präsentiert. Arcanes Ansagen und Showeinlagen werden immer blutiger, was zwangsweise dazu führt, dass die Zensur innerhalb des Senders ihn dazu bringen möchte, sich lediglich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Doch Aleister lässt sich weder durch seine Kollegen noch durch wütende Elternvereinigungen von seinen seltsamen Einlagen abbringen und erntet dafür noch heftigere Kritik. Aleister ist trotzdem glücklich in seiner Rolle und glaubt, nach langer Zeit endgültig seine Berufung gefunden und ein glückliches Leben entdeckt zu haben – bis seine Frau eines Tages umgebracht wird und Aleister sich infolge dessen komplett zurückzieht.

Doch der Mythos lebt weiter, und so kommt es, dass in einer düsteren Halloween-Nacht Kinder den entmutigten Mann aufsuchen und Aleister neuen Lebensmut einhauchen. Doch der währt nicht lange, denn nach einer langen Krankheit stirbt der ehemalige Moderator. Doch mit seinem Tod fängt der Horror erst richtig an, denn seine Kritiker verwandeln sich plözlich in schreckliche Monster, die in der Umgebung umherwüten und alles töten, was sich ihnen in den Weg stellt – ganz so wie in den Filmen, die Aleister in seinem Programm immer gezeigt hat …

Auch wenn die Story nicht sonderlich spektakulär ist und im Grunde genommen im Eiltempo heruntergerasselt wird, selbst wenn die beiden Männer hinter diesem Comic mit Klischees nicht geizen und ihre Huldigung der alten Horror-Klassiker manchmal schon etwas übertrieben wirkt, so ist dieses 76 Seiten starke Heft doch für Genrefans eine Empfehlung wert, denn die Hochglanz-Zeichnungen, deren blasser Schimmer die düstere Atmosphäre wunderbar überträgt, sind wirklich sehenswert. Auch wenn Zeichner Breehn Burns im Grunde genommen nur aus einer sehr geringen Farbpalette schöpft, erzielt er damit im Endeffekt die maximale Wirkung, die uns bald über die etwas platte und jederzeit vorhersehbare Story hinwegtröstet. Genau hier treten der Tribut und die Ehrerbietung vor den Klassikern dieses Genres am deutlichsten hervor, nur dass „Aleister Arcane“ ganz klar ein moderner Stempel aufgedrückt wurde, der sich in erster Linie an den Gesichtszügen der beteiligten Charaktere ablesen lässt. Auch die Sprechblasen der Kinder, die den zurückgezogenen Aleister Green im zweiten Abschnitt des Comics aufsuchen, sind mit moderner Umgangssprache ausgeschmückt, was die gruselige Grundstimmung ein wenig durchbricht. Aber die Geschichte ist meiner Meinung nach eh nicht sonderlich spannend und daher ganz im Sinne der Hauptfigur Aleister Arcane auch nur B-Movie-Ware. Es sind auschließlich die sehr gelungenen Zeichnungen, die den Comic dennoch empfehlenswert machen, aber wenn man mal bedenkt, dass die Story bei einem solchen Unterfangen selten wirklich im Vordergrund steht, sollte man auf jeden Fall einen Blick in diese Veröffentlichung werfen, denn ich bin davon überzeugt, dass Genrefans hieran ihre Freude haben werden.

http://www.infinity-verlag.de/

March, Hannah – Als wär\’s der Teufel selbst

_Die Autorin:_

Hannah March wurde in Peterborough am Rande der englischen Fens geboren und wuchs auch dort auf. Sie studierte an der University of East Anglia und absolvierte einen Magister-Studiengang „Creative Writing“ u. a. bei Malcolm Bradbury und Angela Carter. Inzwischen hat sie eine Reihe von Romanen veröffentlicht.

In „Das Lied der Ringeltaube“ hat Hannah March den jungen Gelehrten Robert Fairfax bereits schon einmal zur Hauptfigur eines ihrer Romane gemacht, und der aufgeweckte und lebendige Geist, den Fairfax in diesem Roman verkörpert, hat sie wohl selber so sehr beeindruckt, dass sie mit „Als wär’s der Teufel selbst“ einen zweiten Kriminalroman mit diesem als Protagonisten geschrieben hat, der für mich bislang zu den spannendsten Krimis gehört, die ich mir bis dato zu Gemüte durfte.

_Story:_

1761. Robert Fairfax, eigentlich Privatlehrer, bekommt vom angesehenen Sir Edward den Auftrag, die Bibliothek seines verstorbenen Vaters zu katalogisieren. Gereizt von dieser für ihn spannenden Aufgabe – man sagt sich, dass in dieser Bibliothek viele wertvolle Einzelstücke gelagert werden -, macht sich der Gelehrte auf den Weg nach Northamptonshire, wo er irgendwann eine schreckliche Entdeckung macht: Mitten auf dem Weg liegt eine Postkutsche im Straßengraben, deren Insassen allesamt brutal ermordet wurden. Der Kutscher kann bei Fairfax‘ Ankunft gerade noch das Wort „Straßenräuber“ über die Lippen bringen, ehe er seinen schweren Verletzungen ebenso wie seine Gäste erliegt.

Sir Edward, Fairfax‘ Auftraggeber, nimmt sich als Friedensrichter der Sache an und ist sich auch ziemlich sicher, dass der seit einigen Monaten auf dieser Strecke herumstreunende, noch namenlose Straßenräuber für diese Tat verantwortlich ist, auch wenn Mord bislang nicht zu der Liste seiner Verbrechen gehörte. Lediglich die Frage, wer dieser Mann ist, muss noch beantwortet werden.

Doch Fairfax vermutet, dass mehr hinter dieser Sache steckt, denn einfach zu viele Ungereimtheiten bringt dieser Überfall mit sich. Einer der Toten hatte sich vor Antritt der Fahrt als Bankier Twelvetree ausgegeben, doch keiner kann genau sagen, warum Tom Honeyman diese Maskerade vollzogen hat. Weiterhin ist einer der Toten der verwirrte Jonathan Griggs, der jahrelang in der Obhut einer Irrenanstalt gewesen ist und kurz nach seiner Flucht nun tot aufgefunden wurde. Warum hat man ausgerechnet diesen armen Geist getötet? Und was ist mit der verschwundenen vierten Person, Magaret Parry, geschehen, die bei der Abfahrt der Kutsche ebenfalls mit dabei war?

Fairfax begibt sich selber auf die Suche nach Hinweisen, verliert abei aber seinen eigentlichen Auftrag, sehr zum Unmut von Sir Edward, aus den Augen. Dennoch lässt sich Fairfax nicht davon abbringen, überall herumzuschnüffeln und malt sich immer neue Visionen von möglichen Motiven und Tathergängen aus. Jeder der Verdächtigen scheint etwas zu verbergen, aber irgendwie kommt auch keiner so richtig in Frage, diesen grausamen Überfall begangen zu haben. Da wäre zum einen Joseph Fox, der ganz offenkundig um die Witwe Honeyman wirbt, aber dem der Stempel des Mörders gar nicht passen würde. Oder der Methodist Griggs, der Gottes Wort predigt und seinen Bruder Jonathan bei diesem Anschlag verloren hat. Oder William Parry, dessen Frau nach wie vor verschollen ist. Oder die Witwe Honeyman selber, der man deutlich anmerkt, dass sie nicht mit der ganzen Wahrheit herausrückt. Oder aber der Bankier Twelvetree, der in Stamford ohnehin nicht sonderlich beliebt ist und aus Geldgier schier alles unternehmen würde. Aber hätte er so etwas bei seinen Möglichkeiten überhaupt nötig? Da kommt schon eher sein verhasster Stiefsohn in Frage, der Twelvetree immer noch für den Tod seiner Mutter verantwortlich macht und vor seinem Verschwinden vor einigen Monaten Rache geschworen hat.

All diese Menschen passen irgendwie in eines der Schemen von Fairfax hinein, dann aber wiederum auch nicht. Kein Wunder also, dass es am Ende eine Aneinanderreihung von Zufällen ist, die den freiwilligen Ermittler auf die richtige Fährte bringt …

_Bewertung:_

Es mag eine recht persönliche Ansicht sein, aber gerade nach diesem Roman hat sich in mir wieder die Meinung gefestigt, dass die mit Abstand besten Krimis immer wieder aus England kommen. Irgendwie hat dieses Land auch etwas entsprechend Geheimnisvolles an sich, gerade im Hinblick auf die eigene Geschichte, und dies ergibt schließlich auch immer wieder den Grundstoff und das Potenzial für solche enorm spannende Erzählungen wie „Als wär’s der Teufel selbst“.

Hannah March ist es wahrhaft mitreißend gelungen, den Leser direkt mitten ins Geschehen zu bringen, ihn immer wieder auf neue Fährten zu locken, neue, unerwartete Charakterzüge der Hauptdarsteller vorzustellen, die Motive und möglichen Hergänge immer wieder in ein neues Licht zu rücken und dann mit einem Ende aufzuwarten, das dem Fass den Boden ausschlägt – wohlgemerkt erst auf den letzten Seiten.

Es ist schon sehr erstaunlich, wie detailliert March uns die einzelnen Personen nahe bringt und das zudem irgendwie gleichzeitig. Erfährt man beispielsweise von der Witwe Honeyman, hat man auch zugleich wieder den verhassten Bankier Twelvetree und ihren seltsamen Freund Joseph Fox im Hinterkopf. Denkt man an den Prediger Henri Griggs, grübelt man über seinen verstorbenen Bruder, die Anschuldigen von William Parry, Griggs habe eine Affäre mit seiner Frau gehabt, usw. Bei wirklich jedem feinen Schachzug, den sich Hannah March ausdenkt, um die Geschichte mit neuen Entwicklungen voranzubringen, geraten hintergedanklich mehrere Denkmechanismen in Bewegung, und man spinnt selber auch immer wieder die verschiedenen Möglichkeiten durch bzw. versetzt sich in die Lage von Robert Fairfax, um genau herauszufinden, was denn jetzt wirklich mit der attackierten Postkutsche, dem Stamford Flyer, geschehen ist.

Doch nicht nur dadurch, dass March alle Möglichkeiten bezüglich des Attentats offen lässt, gewinnt „Als wär’s der Teufel selbst“ ungeheuer an Spannung; auch die Tatsache, dass sich wirklich alle Charaktere nach und nach völlig verändern und in ungeahnte Richtungen entwickeln, fördert dies. Schlussendlich bleibt man an diesem Buch wirklich kleben, zumal March es auch sehr schön gelungen ist, die Zeit und Kultur des 18. Jahrhunderts in ihren Roman mit einfließen zu lassen. Sitten und Bräuche, die Eigenheiten der Kastengesellschaft und schließlich die klare Rollenverteilung der verschiedenen Klassen wurden authentisch übernommen und sind für den Verlauf der Geschichte auch von enormer Bedeutung. So gelten zum Beispiel die Aussagen eines Dienstmädchens gegen William Parry nichts gegen sein eigenes Wort, usw. Hier hat die Autorin wie auch in den übrigen Bereichen ganze Arbeit geleistet.

Unterm Strich bin ich von diesem Buch schlichtweg begeistert: „Als wär’s der Teufel selbst“ besitzt sämtliche Elemente, die für einen historischen Kriminalroman erforderlich sind. Das Buch ist äußerst spannend, hat einen hohen Zeit- und Gesellschaftsbezug und präsentiert Charaktere, mit denen man sich als Leser sofort anfreundet. Liebhabern solcher Geschichten wird bei diesem Buch ganz sicher das Herz aufgehen!

Schacht, Andrea – Werk der Teufelin, Das

Mit „Das Werk der Teufelin“ liegt mir nun der zweite Teil der historischen Krimiserie der deutschen Autorin Andrea Schacht vor. Altbekannte Charaktere, allen voran die etwas vorlaute Serienheldin Almut Bossart, eine junge Begine, und der leicht mürrisch wirkende Benediktiner Pater Ivo, geben sich ein chaotisches Stelldichein im Köln des Jahres 1376. Der Auftakt der Serie, [„Der dunkle Spiegel“, 369 haute mich seinerzeit nicht vom Hocker und ich war nun gespannt, ob das neuere Werk einiges mehr zu bieten hatte.

Eingeführt in die Story werden wir dann auch gleich durch einen neuen Vertreter des Kirchenvereins, den Domherren Sigbert von Antorph, dem die Mannbarkeit durch für ihn unglückliche Umstände abgenommen wurde und der sich nun rasend vor Wut auf der Jagd nach der Übeltäterin befindet. Relativ schnell ist klar, dass dieser Herr nicht gerade ein Ausbund an Tugend und religiöser Demut ist, und Mitleid kommt daher gar nicht erst auf.

Die Bewohnerinnen des Beginenkonvent am Eigelstein in Köln sind allerdings für ihre Wohltätigkeit und ihre Hilfsbereitschaft gut bekannt, und so finden sich innerhalb weniger Tage auch drei neue Hausbewohner, die natürlich von der firmeneigenen Seherin Rigmundis in einer düsteren Vision mit Feuer und Unheil angekündigt werden: eine kleine schwarze Katze, Teufelchen getauft, die ehemalige Bademagd Johanna und das „Lämmchen“ Angelika, eine geflohene Nonne und dazu nicht einmal die hellste, wie sich schnell herausstellt. Während die Katze mit Almut noch am wenigsten Probleme hat, bringen die beiden Mädchen die Begine doch ins Grübeln, denn so wie das Lamm erst gar nicht den Mund aufbekommt und sich auch nicht nützlich in der Gemeinschaft machen möchte, bekommt sie auch aus Johanna kein Wort heraus, sobald es um deren Vergangenheit geht. Und dass beiden ein äußerst unangenehmer Schuh drückt, ist bald mehr als offensichtlich.

Pater Ivo indessen hat seine eigenen Problemchen, denn sein Novize Ewald ist verschwunden, anstatt seine ihm aufgetragene Buße zu entrichten. Und ausgerechnet dort, wo die Strafe abgebüßt werden sollte, bricht ein Feuer aus, und der Domherr Sigbert von Antorph wird von der herabstürzenden Glocke erschlagen – oder wäre er jedenfalls, wenn der blutverschmierte Dolch neben ihm nicht andeuten würde, dass er ermordet wurde. Und ärgerlicherweise flüstert der Domherrn in seinem letzten Atemzug dem Benediktiner auch noch zu, er solle die Teufelin bei den Beginen am Eigelstein suchen.

Noch ärgerlicher wird der Priester über die Tatsache, dass drei mögliche Kandidaten für die Entmannung in Frage kommen: die beiden Neuankömmlinge, Angelika – die erstens über ihre Herkunft eine saftige, nett ausgeschmückte Geschichte präsentiert, zweitens auf dem Weg zu den Beginen dem Domherrn begegnet sein könnte und drittens sowieso nur lammfromm tut -, Johanna – die als Bademagd oft genug das zweifelhafte Vergnügen hatte, den Domherrn zu Gnaden zu sein – und die schon alteingesessene Begine Thea – das Klageweib, die zu der fraglichen Zeit von einem Besuch ihrer Schwester nach Köln zurückkehrte und seitdem sehr, sehr missgelaunt durch die Gemeinschaft läuft.

Und für den Mord kommen diese drei auch in Frage, keine mehr oder weniger als die andere. Noch verzwickter wird die Sachlage, als zwischen den Resten der zerstörten Kirche noch ein halb verkohlter Leichnam gefunden wird, der sich als der Mann einer Weberin herausstellt, dessen Vater dem Domkapitel sein gesamtes Vermögen hinterlassen hatte. War er vielleicht der Mörder? Ein unbeherrschter, rachsüchtiger Bruder des Domherrn bringt den Vogt dann schließlich dazu, die Meisterin des Konvents in Haft zu nehmen, damit diese die Übeltäterin ausliefert. Almut findet sich daraufhin plötzlich in der Rolle der Chefin wider, die nun gezwungen ist, die Aufgaben der Meisterin und die Lösung des Falles zu koordinieren. Erschwerend kommt hinzu, dass sie sich offensichtlich eine Feindin unter den Beginen gemacht hat, die auch vor hinterhältigen Anschlägen nicht zurückschreckt – und natürlich kommen auch hierfür die drei äußerst verdächtigen Frauen in Frage. Wie gut, dass Almut wenigstens auf Pater Ivo, ihre Schwester Aziza, die taubstummen Trine und den Apotheker Meister Krudener vertrauen kann. Ach ja, und natürlich auf die Heilige Mutter Gottes Maria, die doch immer dafür sorgt, dass ihr loses Mundwerk nicht allzu viel Schaden anrichtet … Nun ja, fast immer!

Insgesamt ist die Story sehr turbulent; die Charaktere sind freudig begierig, der Auflösung des Rätsels holprige Steine in den Weg zu werfen und den Leser auch zwischendurch mit kleinen Plänkeleien zu beglücken, die natürlich in gewohnter Art und Weise hauptsächlich zwischen Almut und Pater Ivo stattfinden. Schade nur, dass die Weisheiten von Sirach – zitiert aus dem Buch Jesus Sirach, das ca. 132-117 v. Chr. entstand (Anm. d. Verf.) –, wohl als „running gag“ gedacht, nach einiger Zeit auf den Nerv schlagen, der Überreiztheit signalisiert. Ein bisschen weniger ist manchmal mehr.

Ist die Fortsetzung nun lesenswerter als sein Vorgänger? Diese Frage muss ich mit einem klaren Jein beantworten, denn während die erste Hälfte des Romans wie ein müdes, lustloses Bächlein dahinplätschert und die Protagonisten noch nicht wissen, wo sie eigentlich hinwollen, überschlagen sich die Ereignisse zum Ende der Story in einem fast schon zu rasanten Tempo. Ab da macht das Lesen richtig Spaß!

Die besondere Beziehung zwischen der Begine und dem Benediktiner kommt endlich langsam aber sicher ins Rollen, und Meister Krudener darf seinen etwas modrigen Humor – sehr zu meiner Freude – öfter zum Besten geben, wobei er leider ein wenig an Farbe verloren hat. Es wird deutlich, dass sich die Nebencharaktere der Zügel der Autorin wohl leicht entzogen haben, denn war der „Pitter“ – ein Straßenbube, der sich mit Botengängen und Stadtbesichtigungen für Fremde über Wasser hält – im ersten Buch eben nur ein Straßenbube, so avanciert dieser jetzt zu einem Lebensretter und Helfer im Notzustand. Nicht gerade unsympathisch, der Bursche, und von daher auch sehr gern gesehen. Die taubstumme Trine, die ihre Lehre beim Meister Krudener angetreten hat, darf nun ebenfalls öfter und dabei sehr geschickt bei der Ermittlung helfen.

Frau Schacht ist es gelungen, den handelnden Personen die benötigte Tiefe und ja, auch Ecken und Kanten zu verleihen, um für Sympathie und Antipathie beim Leser zu sorgen. Schade, dass dafür diesmal der Anfang der Geschichte leiden musste, denn für mich war es ausgesprochen mühselig, mich durch diese Passagen zu beißen. Doch immerhin legte ich das Buch mit dem Wunsch zur Seite, bald erfahren zu können, wie die Beziehungen der Dauermitspielenden weitergeht, denn der dritte Teil „Die Sünde aber gebiert den Tod“ wartet bereits auf mich und alle anderen Interessierten im Handel. Nun denn, eine Steigerung ist zu erkennen und somit gebe ich diese Serie noch nicht auf!

Wynes, Patrick / Gülzow, Susa – Kommissar X: Der Panther aus der Bronx

In Form von „Kommissar X“ haben sich |Maritim| an einen weiteren Krimi-Klassiker aus den Fünfzigern herangewagt und ihn als Hörspiel neu aufgelegt. Nach der Originalromanvorlage von Patrick Wynes ist so eine 63-minütige, arg kurzweilige Geschichte entstanden, die spannend erzählt wird, aber im Gegensatz beispielsweise zu den Hörspielen aus der Edgar-Wallace-Reihe nicht ganz das Flair dieser besonderen Zeit versprüht. Damit komplettiert der berüchtigte Kommissar nun sein Auftreten auf dem Büchermarkt, nachdem es bereits 1740 Titel gibt, die entweder als Heft, Buch oder eBook erschienen sind.

|Sprecher:|
Jo Walker: Robert Missler
Tom Rowland: Michael Weckler
April Bondy: Marianne Lund
u. a.

Romanvorlage: Patrick Wynes
Drehbuch und Regie: Susa Gülzow
Musik: Alexander Ester
Tonmeister: Carsten Berlin, Hans-Joachim Herwald, Peter Harenberg
Produktion: Nocturna Audio

Laufzeit: ca. 63 Minuten

_Story:_

In New York geht die Angst vor einem mysteriösen Serienmörder um. Ein schwarz gekleideter und maskierter Killer hat es auf all die Menschen abgesehen, die wegen Notzuchtverbrechen angeklagt waren, trotzdem aber freigesprochen wurden, nachdem ein gewisser Anwalt namens Lovelyn die jeweiligen Mandanten vertreten hatte. Dachten die fiesen Verbrecher zunächst noch, dass ihnen der Freispruch aus der Patsche helfen würde, mussten sie eines Tages erfahren, dass er gleichzeitig ihr Todesurteil bedeutete. Der maskierte Mörder, der von der Presse auch „Der Panther aus der Bronx“ genannt wird, rächt sich nämlich aus einem bislang noch unbekannten Motiv an den Frauenschändern und Vergewaltigern und schlägt jedes Mal völlig unerwartet zu. Auch die Art und Weise, wie er seine Opfer zur Strecke bringt, ändert sich individuell und reicht von einem Mord mit einem asiatiischen Langschwert bis hin zur Sprengung einzelner Gebäude.

Wie ein Phantom bewegt sich der Panther und hinterlässt nach seinen sauber geplanten Taten keine Spur außer dem typischen Erkennungszeichen, einem bltuigen Mal auf den Gesichtern der Toten, für das er anscheinend messerscharfe Krallen eingesetzt hat.

Kommissar Jo Walker, in Fachkreisen auch als Kommissr X bekannt, erhält eines Tages den Anruf einer verzweifelten Frau, die ihm eröffnet, dass ihr Sohn unter Verdacht steht, eine Frau vergewaltigt zu haben und somit auch vom Panther aus der Bronx gefährdet ist. Walker möchte zwar die Tat des jungen Mannes nicht decken, lässt sich aber trotzdem auf die Dame ein und übernimmt den Auftrag, ihn zu beschützen. Dies hätte er allerdings besser nicht getan, denn die unscheinbare Frau ist die Gattin eines berüchtigten Mafiabosses, der überdies nicht sonderlich darüber erfreut ist, dass Kommissar X plötzlich in seinem Umfeld als Privatdetektiv herumschnüffelt …

_Bewertung:_

Obwohl die Geschichte sehr spannend und mitreißend erzählt wird – Robert Missler, der den Kommissar X aus der Ich-Perspektive spricht, macht hier einen verdammt guten Job -, läuft sie nach der Hälfte der Zeit doch auf ein absehbares Ende zu, denn auch wenn das Motiv des Killers nicht klar ist, so kommen doch nur wenige Personen in Frage, die sich hinter der Tarnung des Panthers befinden könnten, und im Endeffekt scheiden bis auf eine dann alle aus. Trotzdem hat die Geschichte auf ihre Weise einen besonderen Reiz, der in erster Linie von der astreinen Darbietung der drei vertretenen Sprecher(innen) ausgeht. Auch wenn die Wortwahl teilweise ein wenig einsilbig ist und sich manche Sätze in ihrer Essenz alle paar Minuten wiederholen, gelingt es dem Ensemble, diese potenzialreiche Geschichte mit einem packenden Unterton zu versehen, der die gute Stunde Spielzeit im Flug vergehen lässt. Die Handlung ist von Anfang an sehr schlüssig, die unerwarteten Morde sorgen für die notwendigen Wendungen und die Vorlage an sich gibt auch einiges her. Lediglich die Atmosphäre ist nicht ganz so spannungsvoll geraten und kann auch durch die Hintergrundmusik nicht diesen Status erreichen. Manchma wird sogar das genau Gegenteil erreicht, nämlich dann, wenn als Zwischensequenz einige Klangmalereien kommen, die auch schon für die „Alf“-Hörspiele herhalten mussten. Irgendwie will das nicht so recht passen …

An so etwas möchte ich mich aber jetzt nicht hochziehen, denn mir hat die Erzählung wirklich Freude gemacht und ich habe mich von diesem Hörspiel bestens unterhalten gefühlt. „Kommissar X – Der Panther aus der Bronx“ ist deswegen noch lange nicht das Nonplusultra auf diesem Gebiet, aber ganz sicher eine Bereicherung des Krimi-Sektors, die man sich als Fan auch blind anschaffen kann – trotz vereinzelter Schwächen.

Banker, Ashok K. – Dämonen von Chitrakut, Die (Ramayana 3)

Für Rama könnte es jetzt so einfach sein. Sein größter Feinde Ravana lebt zwar noch, doch der Asuraherrscher Lankas liegt im Koma, seine Dämonen bekriegen sich gegenseitig und rotten sich dabei fast aus. Dasaratha, Ramas Vater, scheint es wenig besser zu gehen, und Sita, die tapfere Prinzessin aus Mithila, ist jetzt seine Frau.

Doch kaum ist er wieder zu Hause, gehen die Probleme los. Während des Willkommens-Rituals für die jungen Bräute stört Kaikeyi die Riten und besteht darauf, dass diese wiederholt werden – für die Paare ein Unglücksomen. Dasaratha hat einen Rückfall, von dem er sich kaum erholen kann. Und dann taucht Kaikeyi wieder auf und bittet den Maharadscha um die Einlösung eines alten Versprechens.

Was sie verlangt, bricht Dasarathas Widerstand vollkommen: Bharat, ihr Sohn, soll Thronfolger werden und Rama in die Verbannung in den gefürchteten Dämonenwald gehen. Dasaratha aber hat keine andere Wahl, als ihr ihre Wünsche zu erfüllen, nicht ahnend, dass die Hexe Manthara Macht über seine zweite Königin ausübt.

Rama geht klaglos in die Verbannung, Sita und Laksman folgen ihm unaufgefordert. Dasaratha stirbt noch am gleichen Abend, und der Weg für die Dämonen wäre jetzt frei, gäbe es da nicht auch noch Bharat …

Was Banker da vollbringt, grenzt ans Unmögliche. Und doch gelingt es ihm mit jedem Buch, die faszinierende Welt des alten Indien farbenprächtig und in neuer Sprache zu erzählen, ohne dass etwas verloren ginge. Eine Leistung, die ihn, und diesen Vergleich treffe ich wirklich nicht oft und schon gar nicht leichtfertig, fast auf eine Stufe mit Tolkiens Mittelerde stellt.

Natürlich gilt nach wie vor: Wer einfach gestrickte Fantasy ohne ein bisschen Kopfarbeit sucht, dem wird das Ramayana sicher nicht in die Hände fallen. Diese Fantasy geht weit über das übliche Spektrum dessen hinaus, was die großen Verlage bieten. Offensichtlich traut man entweder der Zielgruppe mehr zu oder man will endlich doch mal die Leser ansprechen, die aus dem Konzept herausfallen, das die großen Verlage ansonsten nach Schema F (mit kleinen und seltenen Ausnahmen, die aber umso wertvoller sind) verlegen. Ich wünschte mir wirklich, dass es dem Ramayana gelänge, ähnlich wie dem „Herrn der Ringe“, den Weg hinaus aus der „Schmuddelecke Fantasy“ zu schaffen und dadurch auch dafür zu sorgen, ein ganzes Genre „gesellschaftsfähiger“ zu machen.

Im dritten Band des Zyklus lässt Banker es diesmal, ganz nach der Vorlage, ein wenig ruhiger angehen, wenn auch der erste Teil sehr rasant wirkt und die Handlung sich zu überschlagen scheint. Aber spätestens, wenn Rama wirklich loszieht in die Verbannung, nimmt der Autor sich mehr Zeit dafür, die Umgebung zu schildern, die Hindernisse, die den jungen Prinzen auf seinem Weg erwarten. Ebenso hervorragend gelungen sind die verschiedenen Charakterstudien der drei Hauptprotagonisten Rama, Sita und Laksman. Vor allem der Unterschied zwischen den beiden Brüdern tritt im Verlauf der Handlung immer klarer zu Tage, etwas, was mir im Original nicht so ins Auge gefallen ist.

Aber trotz der augenscheinlichen Ruhe gärt es weiter. Kaum wagt man als Leser, das Buch aus der Hand zu legen. Denn früh ist klar: Was auch immer Rama und seine Gefährten in den vierzehn Jahren ihrer Verbannung erwarten mag, es wird nicht sonderlich angenehm und sicherlich spannend. Da stört es auch nicht, dass der Titelheld sich von Kampf und Waffen abwenden will. Man spürt, es kommt noch etwas hinterher.

Und tatsächlich taucht eine schon vertraute Gestalt aus dem ersten Buch wieder auf. Doch seinerzeit noch im Auftrag Ravanas als Spionin unterwegs, ist sie jetzt in eigener Sache aktiv. Und wie eine echte Rakshasa würde sie dafür sogar über Leichen gehen.

Der Cliffhanger, den Banker diesmal einbaut, tötet mir jetzt schon den letzten Nerv, denn das vierte Buch ist noch gar nicht angekündigt. Und gerade hier und jetzt wäre es beinahe lebenswichtig – so scheint es zumindest – zu wissen, wie es denn nun weitergeht und ob die drei Gefährten überleben. Aber jetzt ist das lange Warten auf den vierten Band angesagt, oder die entsprechende Lektüre des „alten“ Ramayanas.

Mein Fazit ist auch hier wieder: Außergewöhnliche Fantasy, außergewöhnliche Geschichte, außergewöhnliche Bilder. Ein außergewöhnliches Buch, das aber keine leichte Kost ist. Dennoch lohnt es sich auf jeden Fall. LESEN!

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Lewis, Clive Staples – König von Narnia, Der (Die Chroniken von Narnia, Band 2)

Rechtzeitig vor Kinostart des gleichnamigen Walt-Disney-Films „Der König von Narnia“ bringt der |Brendow|-Verlag dieser Tage erneut die immer wieder gern aufgelegten „Chroniken von Narnia“ neu auf den Markt, dieses Mal jedoch in einer sehr schön und aufwendig gestalteten Taschenbuch-Edition, bei der ganz abseits der Handlung zunächst die schöne Covergestaltung gefällt. Die Geschichten von Clive Staples Lewis sind ja bereits vor einem halben Jahrhundert erschienen und erfreuen sich seitdem auch größter Beliebtheit, weshalb es schon fraglich ist, warum sich bislang noch keine Company um die Filmrechte gekümmert hatte. Vermutlich brauchte es erst die Pionierarbeit der „Herr der Ringe“-Trilogie, die ja auf Tolkiens Werk basiert, der interessanterweise auch ein Freund von Prof. Lewis war. Wie auch immer, der aus sieben Büchern bestehende Zyklus gehört definitiv zu den Klassikern der Märchen- und Fantasy-Literatur und kann sich auch im Jahre 2005 noch erfolgreich behaupten.

_Story:_

Peter, Edmund, Suse und Lucy wohnen im Haus eines seltsamen Professors und erkunden jeden Tag neue Winkel dieser verzweigten Räumlichkeiten. Eines Tages entdeckt Lucy beim Versteckspiel in einem unscheinbaren Schrank das Tor in eine andere Welt, in der sie den unglücklichen Faun Tumnus trifft, der im Auftrag der bösen Hexe Kinder fangen soll, Lucy aber trotz der drohenden Strafe doch wieder gehen lässt. Als Lucy schließlich wieder in die ’normale‘ Welt zurückkehrt, will ihr natürlich niemand ihr Erlebnis glauben, zumal dort die Zeit nicht weitergelaufen ist. Als kurze Zeit später jedoch auch Edmund die Welt Narnia entdeckt und dort Bekanntschaft mit der gutmütig erscheinenden Hexe macht, sieht die Sache schon anders aus. Auch wenn sich die Kinder gegenseitig in den Rücken fallen, kommen sie schließlich doch hinter das Geheimnis des Wandschranks und landen alle in Narnia.

Dort finden sie heraus, welche Missstände durch den Machtmissbrauch der Hexe vorherrschen, und freunden sich recht schnell mit den Tieren aus Narnia an, die sich vor der Hexe fürchten, sich aber zugleich durch die Ankunft Aslans neue Hoffnungen machen. Dieser legendäre Löwe ist der Einzige, der der Hexe noch Paroli bieten kann, und dementsprechend sieht diese sich auch vor dem erhabenen Löwen vor.

Vor seiner Ankunft lernen die vier Kinder aber erstmal eine Biberfamilie kennen und leben kurzzeitig bei ihr, bis Edmund sie dann aus reiner Begierde nach der Erfüllung der Versprechen der Hexe verrät und verschwindet. Von da an sind alle Lebewesen in Narnia in Gefahr, denn jetzt weiß die Hexe von der Existenz der vier Kinder und droht, sie umzubringen. Nur Aslan kann noch für Gerechtigkeit sorgen, doch dieser erklärt sich überraschend bereit, sich dem Bösen zu opfern, um für Frieden in Narnia zu sorgen. Die Hexe wähnt sich bereits siegessicher, doch nach Aslans offenbarem Tod hat sie noch lange nicht freie Bahn …

„Der König von Narnia“ ist in dieser Reihe der zweite Band (im Original jedoch der erste; die neu festgelegte Erzählreihenfolge richtet sich nach einer Empfehlung, die Prof. Lewis aussprach) und demnächst wahrscheinlich auch der populärste, denn die Geschichte um den Wandschrank und die Entdeckung Narnias durch die vier Kinder wird schließlich von Walt Disney mit dem bislang größten Filmbudget der Firma verfilmt. Eine gute Wahl, wie ich finde, denn die Romanvorlage gibt eine Menge her und sollte die Phantasie merklich anregen. Auch wenn die Elemente wie sprechende Tiere, eine mit böser Magie ausgestattete Hexe und schließlich ein Löwe als Beschützer der Gerechtigkeit in Fantasy-Romanen immer wieder eingesetzt werden, so erreicht C. S. Lewis mit seiner schlichten, umangssprachlichen und überaus lockeren Erzählweise sein Publikum sofort.

„Der König von Narnia“ ist nun einmal ganz klar ein Buch für Kinder und Jugendliche, und in diesem Stil hat der Autor die Geschichte dann auch verfasst. So ist die Handlung nicht zu komplex und leicht verständlich, nicht mal ansatzweise brutal und irgendwie auch anders als das, was man sonst in diesem Bereich so zu lesen bekommt. Fantasy sollte da sein, um Träume zu wecken und die Vorstellung von Übersinnlichem zu erweitern, zumindest ist das meine Ansicht dazu, und getreu diesem Maßstab hat Lewis auch diesen Zyklus entstehen lassen. Das ist der Stoff, aus dem Märchen gemacht sind, und auch wenn die Geschichte bereits ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat, so wirkt sie dennoch modern und aktuell.

Eine Geschichte über Freundschaft, Treue, Liebe, Glauben und all das, was das phantasievolle Kinderherz beschäftigt. Das soll natürlich nicht heißen, dass man dieses Buch als Erwachsener nicht lesen dürfte, denn ich kann jetzt aus eigener Erfahrung berichten, dass ich diese erste Erzählung regelrecht verschlungen habe und mich neben dem Inhalt vor allem am frischen Erzählstil erfreut habe. Daher rate ich auch all denjenigen, die noch keinen Einblick in diesen Siebenteiler hatten, zumindest diesen Band vor dem Kinostart des Filmes zu lesen, denn es macht wirklich Spaß, Clive Staples Lewis‘ Worten und Geschichten zu folgen.

Die Reihe in der Erzählfolge:
* 1956 Das Wunder von Narnia (engl. The Magician’s Nephew)
* 1950 Der König von Narnia (engl. The Lion, the Witch and the Wardrobe)
* 1954 Der Ritt nach Narnia (engl. The Horse and His Boy)
* 1951 Prinz Kaspian von Narnia (engl. Prince Caspian)
* 1952 Die Reise auf der Morgenröte (engl. The Voyage of the Dawn Treader)
* 1953 Der silberne Sessel (engl. The Silver Chair)
* 1956 Der letzte Kampf (engl. The Last Battle)

Veröffentlichungsreihenfolge:
* 1950 Der König von Narnia (engl. The Lion, the Witch and the Wardrobe)
* 1951 Prinz Kaspian von Narnia (engl. Prince Caspian)
* 1952 Die Reise auf der Morgenröte (engl. The Voyage of the Dawn Treader)
* 1953 Der silberne Sessel (engl. The Silver Chair)
* 1954 Der Ritt nach Narnia (engl. The Horse and His Boy)
* 1956 Das Wunder von Narnia (engl. The Magician’s Nephew)
* 1956 Der letzte Kampf (engl. The Last Battle)

Website des Verlags zur Narnia-Welt: http://www.narnia-welt.de/

|Siehe auch unsere Rezension zur [Hörbuchfassung 356 dieses Bandes.|

Gaiman, Neil / McKean, Dave – Wölfe in den Wänden, Die

Neil Gaiman ist ein faszinierend vielseitiger Autor. Er schreibt für Erwachsene wie auch für Kinder, er schreibt Romane, Bilderbücher und Comics und zeichnet sich dabei immer wieder durch eine blühende Phantasie aus. Skurrile Figuren, sonderbare Halbwelten, irgendwo zwischen (Alb-)Traum und Wirklichkeit – das sind Gaimans unverkennbare Stärken.

Auch „Die Wölfe in den Wänden“ passt da ins Konzept und ist doch ein gänzlich eigenständiges Werk: Ein Bilderbuch, das dank der Illustrationen von Dave McKean ein so schöner visueller Augenschmaus ist, dass man es gerne mehrmals zur Hand nimmt, auch wenn die Geschichte schnell erzählt ist.

Lucy lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem alten Haus. Immer wieder hört sie aus den Wänden merkwürdige Geräusche und glaubt zu wissen, wer dafür verantwortlich ist: Wölfe, die in den Wänden wohnen. Natürlich glaubt ihr niemand. Was soll dort schon durch die Wände krabbeln? Mäuse vermutlich, schlimmstenfalls Ratten, aber doch keine Wölfe!

Doch eines Nachts wird die Familie eines Besseren belehrt und es passiert genau das, was Lucy befürchtet hat: Die Wölfe kommen aus den Wänden. Die Familie flieht in Panik in den Garten, fügt sich ohne Widerspruch in ihr Schicksal und überlässt den Wölfen das Feld. Jedes Kind weiß schließlich, dass alles vorbei ist, wenn die Wölfe aus den Wänden kommen. Nur Lucy ist nicht bereit, das lieb gewonnene Heim aufzugeben. Sie will nicht tatenlos mit ansehen, wie die Wölfe die Herrschaft über das Haus übernehmen. Also schmiedet Lucy einen Plan …

„Die Wölfe in den Wänden“ klingt zunächst einmal wieder nach einem Märchen mit typisch Gaiman’schem Gruselfaktor. Ähnlich wie bei [„Coraline“,]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=1581 steht im Mittelpunkt der Handlung ein kleines Mädchen, das sich dem Schrecken in den eigenen vier Wänden stellt. Scheinbar furchtlos stellt sich Lucy den Wölfen entgegen, ähnlich furchtlos, wie Coraline den Kampf mit der falschen Mutter aufnimmt. Doch während Coraline sich auf ein Kräftemessen mit ungewissem Ausgang einlassen muss, ist das Problem für Lucy schnell beseitigt, nachdem es erst einmal angegangen wird.

„Die Wölfe in den Wänden“ ist eben nur ein 56-seitiges Bilderbuch und kann somit kaum die erzählerische Komplexität eine Romans erreichen. Gaiman erzählt von Lucys Kampf gegen die Wölfe in wenigen, aber durchaus einprägsamen Worten. Auch wenn sich die Geschichte auf den ersten Blick nicht unbedingt durch eine erzählerische Tiefe auszeichnet, so liegt in den wenigen Seiten mit den intensiven Bildern und den punktgenauen Sätzen dennoch eine unverkennbare Botschaft, aus der der Leser seine Lehren ziehen kann.

Während Lucys Eltern sich in ihr Schicksal fügen, ohne etwas gegen die Invasion der Wölfe unternehmen zu wollen, während sie sich erst gar keine Hoffnungen machen, die enttäuscht werden könnten, weil ja alle sagen, dass es sich nicht lohnt, sich Hoffnungen zu machen, zeigt Lucy, dass man mit Mut und Tatendrang etwas bewegen kann. Sie zeigt, dass sich bestimmte ideelle Werte nicht so einfach ersetzen lassen, dass es sich lohnt, um das zu kämpfen, was einem am Herzen liegt.

Bilder und Text vermitteln die enthaltene Botschaft sehr eindringlich. Die sprachlichen und die visuellen Mittel fügen sich sehr überzeugend zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Es ist nicht die erste Zusammenarbeit von Neil Gaiman und Dave McKean, und dass die beiden sich sehr gut ergänzen, macht „Die Wölfe in den Wänden“ zu einem besonderen Lesevergnügen.

McKeans Zeichnungen sind gleichzeitig sonderbar realistisch und plakativ. Gesichter wirken ein wenig zweidimensional, teilweise blass oder gar leer, dennoch wird Lucys Angst vor den Wölfen, die sie in den Wänden hört, greifbar. Einzelne Bildbestandteile sind Fotos entliehen und sie geben den Zeichnungen ihren teils sonderbar realistischen Charakter. Unterbrochen wird dieser Stil immer wieder von wüsten Schraffuren, die den Ausbruch der Wölfe begleiten. Die Farben sind insgesamt eher düster gehalten, so dass die Geschichte durchaus eine unheimliche und finstere Seite entwickelt. McKeans Stil ist schon eigenwillig und von einer Art, die den Grusel der skurrilen Halbwelten im Stile eines Neil Gaiman sehr gut ergänzt.

Was bei der Lektüre indes nicht so ganz klar wird, ist die Zielgruppe des Buches. Von der Einfachheit der Texte und der Botschaft der Geschichte ausgehend, ist „Die Wölfe in den Wänden“ durchaus eine kindgerechte Erzählung. Sie enthält sicherlich einige Szenen, bei denen so manches Kind sich fürchten mag, ist aber insgesamt nicht ganz so gruselig wie „Coraline“, das Gaiman ebenfalls für Kinder geschrieben hat. Der Verlag hält sich mit Altersangaben bedeckt und bietet bei einer Orientierung somit keine Hilfestellung, dennoch erscheint mir „Die Wölfe in den Wänden“ eher als ein Märchen für Kinder, das auch Erwachsene lesen können, als dass es auf eine ältere Zielgruppe zugeschnitten ist.

Etwas bedauerlich bleibt, dass das Lesevergnügen aufgrund der Kürze der Geschichte so schnell vorbei ist. Das ist umso bedauerlicher, wenn man den doch sehr hohen Preis von € 18,- für dieses dünne Büchlein im Hinterkopf behält. Der dürfte vermutlich dafür sorgen, dass „Die Wölfe in den Wänden“ einen geringeren Bekanntheitsgrad erlangen wird, als das Buch eigentlich verdient hätte.

„Die Wölfe in den Wänden“ ist ein schönes, faszinierendes, eigenwilliges und skurriles Bilderbuch. Ein Märchen mit dem gewissen Etwas und eine Geschichte, die eine unverkennbare Botschaft transportiert. Ein Büchlein, das gleichermaßen für Kinder wie für Erwachsene geeignet ist, und eine Geschichte, über die man am Ende nachdenken und reden kann. Nur schade, dass das Buch aufgrund des hohen Anschaffungspreises wohl höchstens eingefleischte Gaiman-Fans erreichen wird. Wirklich schade, eigentlich.

Jim Kelly – Tod im Moor

In der englischen Provinz tauchen die bizarr zugerichteten Leichen nie gefasster Krimineller auf. Ein vom Leben gebeutelter Journalist und ein überforderter Polizeibeamter stoßen auf die Spur eines alten, nie geklärten Verbrechens, das zu neuem, gewalttätigem Leben erwacht … – Ausgezeichnetes Krimi-Debüt eines neuen Autoren; spannend und düster aber mit trockenem Witz erzählt und mit sympathischen, einprägsamen Figuren besetzt: ein Lese-Spaß ohne gravierende Einschränkungen.
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Radford, Irene – Glasdrache, Der (Der Drachen-Nimbus 1)

Bei |Bastei Lübbe| erscheint dieser Tage eine neue Trilogie der jungen Autorin Irene Radford, die sich des nicht gerade sonderlich originellen Themengebietes der Drachen-Fantasy angenommen hat, diesen Schwerpunkt aber von einer wiederum eher ungewöhnlichen Seite angegangen ist und somit, das kann ich vorab schon einmal zum ersten Part des dreiteiligen „Drachen-Nimbus“ sagen, eine recht interessante Story zusammengebastelt hat, bei der es lediglich an der etwas komplizierten stilistischen Herangehensweise der Autorin ein wenig hakelt.

_Story:_

Seit vielen Jahrhunderten hat man in Coronnan Zugriff auf die Kunst der Magie, die einst von Drachen erschaffen wurde und heute von einer erlesenen Schar von Magiern aus diesem Drachen-Nimbus entzogen werden kann. Dabei haben die Drachen jedoch auch einen Eid geleistet, demzufolge die Magie niemals missbraucht und nur zum Besten des Landes eingesetzt werden darf. Auch die Königsfamilie von Coronnan ist eng an die heimischen Drachen gebunden, so dass sich selbst ihr Wohlbefinden an dem der Drachen orientiert.

Doch in letzter Zeit haben sich Dinge in Bewegung gesetzt, die zur Folge hatten, dass der Status der Drachen rapide gesunken ist und man viele ihrer Art getötet hat. Nur noch ein einziges Weibchen hat dieses Massaker überlebt und ist die einzige Hoffnung der Königsfamilie von Coronnan, weil von ihr die Fortpflanzung einer ganzen Gattung abhängt. Irgendjemand aus dem Bund der Magier von Coronnan muss seine Kräfte und die Magie für seine Zwecke genutzt und somit den Eid missachtet haben, so dass selbst die undurchdringliche Barriere des Landes nicht mehr länger standhalten konnte.

Außerhalb der Grenzen sammeln sich bereits einzelne Feinde, um die aktuelle Schwäche von Coronnan und dessen Herrscherfamilie zu nutzen. Die Kommune der Magier wehrt sich gegen diesen Zustand und entsendet einzelne Lehrlinge, um herauszufinden, was sich im Königreich abspielt. Einer von ihnen ist Jaylor, der die Wichtigkeit seiner Mission anfangs noch gar nicht richtig einschätzen kann; er glaubt sogar daran, dass sein Vorgesetzter Baamin ihn auf eine Prüfung geschickt hat. In dem Moment aber, in dem er zum ersten Mal mit der düsteren Magie Bekanntschaft macht, versteht Jaylor, welche Bedrohung tatsächlich auf Coronnan lastet. Als er anschließend auf die Hexe Brevelan trifft und mit ihr in Harmonie im Wald lebt, erfährt er von weiteren Schicksalen aus dem direkten Umfeld der Königsfamilie und begibt sich zusammen mit ihr und ihrem Schoßtier, dem Wolf Brevelan, auf den Weg zur Drachin Shayla, um sie zu schützen. Doch das Team kommt zu spät und muss schnell realisieren, dass ihnen nur noch sehr wenig Zeit bleibt, um den Fortbestand der Drachen und damit auch des Königshauses von Coronnan zu sichern …

_Bewertung:_

Inhaltlich hat der erste Teil des „Drachen-Nimbus“ zweifellos eine Menge zu bieten, auch wenn viele Stilelemente auf verwandten Fantasy-Geschichten basieren. Sprechende Tiere, wundersame Kräuter und an Magie gebundene Drachen sind jedenfalls nichts Neues und werden von Irene Radford auch sehr zweckdienlich und intelligent eingesetzt. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite steht jedoch eine sehr konfuse Erzählweise, die einen besonders auf den ersten 150 Seiten kaum durchblicken lässt, was denn nun gerade wirklich vor sich geht bzw. welche Parts der Erzählung jetzt tatsächlich wichtig sind. Vor allem die Charakterisierung des stets unsicheren und mit sich selbst hadernden Jaylor hätte in dieser Ausführlichkeit gar nicht sein müssen und führt zu ersten Längen direkt zu Beginn. Stattdessen hat Radford die für den Hintergrund der Geschehnisse unheimlich wichtige Vorgeschichte der Hexe Brevelan ziemlich unzufrieden stellend hervorgehoben und sie auch nur sehr oberflächlich erzählt; man könnte also sagen, dass die Autorin erst einmal gar nicht zu wissen scheint, wo sie nun Prioritäten setzen soll.

Nach der unnötig komplexen und verwirrenden Einleitung findet Radford aber irgendwann doch zur eigentlichen Handlung und beginnt von da an auch, die ganze Sachen spannend zu gestalten. Erst dort gelingt es ihr auch, die verschiedenen Stränge aus Coronnan, dem Umfeld von Jaylor und Brevelan sowie aus dem Sektor des unheimlichen Magiers passend und schlüsig miteinander zu verknüpfen, ohne dass man wieder den Faden verliert. Auch die zwischendurch schon mal angeführten Berichte in Form einer Ich-Erzählung von Seiten eines bis dato mysteriösen Charakters gliedern sich sehr schön in die eigentliche Geschichte ein, werfen Fragen auf und tragen zur wachsenden Spannung bei. Dieser Teil ist der Autorin wirklich gut gelungen. Schade ist lediglich, dass die Geheimniskrämerei mancherorts mit einem Schlag aufgelöst wird, so zum Beispiel in den gar nicht so versteckten Andeutungen in Bezug auf Brevelans Hauswolf Darville. Radford hätte an so einigen Stellen die Spannung noch durchaus weiter hinauszögern können, und komischerweise ist das gerade in den Abschnitten anzuprangern, in denen die Beschreibungen nicht mehr ganz so konfus geraten sind.

Wie auch immer; hat man sich durch die knapp 450 Seiten gekämpft, ist man letztlich dennoch zufrieden und gespannt auf die Fortsetzung, denn sobald man einmal in der Story drin ist, gefällt diese auch. Das Problem ist nur, dass man das halbe Buch schon gelesen hat, bis es endlich klick! macht und man diesen Zustand erreicht hat. Nun ja, zumindest kann einem das dann bei den Fortsetzungen in dieser Form nicht mehr passieren … Man darf jedenfalls gespannt sein, was aus Jaylor, Brevelan und der Drachin Shayla werden wird!

Baltscheit, Martin / Schwarz, Christine – Ich bin für mich

Lesen ist wieder „in“: Wenn Elke Heidenreich im Fernsehen Buchtipps gibt und mit glänzenden Augen von ihren Lieblingsbüchern berichtet, dann verkaufen sich diese Bücher daraufhin meist erstklassig. Verfolgt man im Anschluss an ihre Sendung „Lesen!“ die Bestsellerlisten, so wird sich der Großteil ihrer Empfehlungen recht weit oben anfinden, so auch „Ich bin für mich“, ein nur 40-seitiges Bilderbuch mit wenig Text, das in Deutschland aktueller denn je ist. Denn bei den Tieren herrscht Wahlkampf, genau wie bei uns.

Alle vier Jahre wird im Reich der Tiere der Löwe einstimmig zum König gewählt, doch in diesem Jahr kommt alles anders. Die kleine Maus muckt nämlich auf und beschwert sich, dass es immer nur einen Kandidaten gäbe und man somit ja kaum von einer Wahl sprechen könne. Daraufhin beschließen die Tiere, weitere Kandidaten aufzustellen. Aus jeder Tiergruppe tritt jemand vor, um eine flammende Wahlkampfrede zu halten. So versprechen die Mäuse, dass von nun an keine Katze mehr eine Maus verspeisen solle, sondern dass es andersrum kommen werde. Wird die Maus gewählt, dann jagen fortan die Mäuse die Katzen. Die Katze verspricht das genaue Gegenteil, nämlich dass es nie mehr an Mäusefleisch mangeln solle und dass die Jagd auf die Maus eröffnet sei. Auch der Karpfen schwingt sich zu einer Rede auf, wird unter Wasser aber von niemandem verstanden. Der Strauß zeichnet blühende Bilder seiner kommenden Regentschaft, möchte einen teuren Flughafen mit allerlei Schnickschnack erbauen lassen, steckt aber schnell den Kopf in den Sand, als jemand sich anmaßt, danach zu fragen, wie das denn finanziert werden solle. Auch bei den Tieren läuft es also nicht viel anders als bei uns Menschen.

Der Tag der Wahl rückt näher und bringt ein überraschendes Ergebnis (vertrauenswürdig durch den Maulwurf ausgezählt …), denn jedes Tier – außer dem Löwen – hat für sich selbst gestimmt. Fortan regieren daher mehrere Könige gleichzeitig, das Chaos ist vorprogrammiert …

In wunderschönen und mehr als treffenden Bildern präsentieren uns Martin Baltscheit und Christine Schwarz eine vordergründig so lustige Geschichte, die uns zum Schmunzeln bringt, aber auch eine Geschichte, hinter der sich mehr verbirgt. „Ich bin für mich“ überzeichnet die Problematik im Wahlkampf zwar deutlich und verkürzt alles auf nur knapp 40 Seiten, doch erkennt der Leser viele wirkliche Probleme wieder. Dort lassen sich nämlich Tiere bzw. Tierparteien aufstellen, die nur ihre eigenen Interessen vertreten wollen und die natürlich auch im krassen Gegensatz zu den Interessen einer anderen Partei stehen. So sind die Schwierigkeiten natürlich vorprogrammiert, wenn am Ende die Mäuse neben den Katzen herrschen, denn ihre beiden Wahlversprechen sind nicht miteinander vereinbar. Auch bei den Tieren werden also mitreißende Reden geschwungen, die für die potenziellen Wähler das Paradies auf Erden versprechen, aber nicht so weit denken, wie das denn finanziert werden solle oder wie realistisch solche Pläne überhaupt sein können. Zunächst geht es nur darum, genug Wähler zu überzeugen und die Wahl zu gewinnen. Erst im Anschluss bemerken die Tiere, dass es solcherart wohl doch nicht geht, denn im Tierreich bricht die Anarchie aus.

„Ich bin für mich“ vermittelt in Grundzügen das Prinzip der Demokratie, und die kleine Maus ist es in diesem Buch, die bemerkt, dass man von einer richtigen Wahl gar nicht sprechen könne, wenn es gar keinen Gegenkandidaten gibt. Da ist wohl etwas Wahres dran. Zwar könnte man den Löwen immer noch abwählen, aber wenn das Tierreich dann unregiert wäre, kämen ganz andere Probleme auf die Tiere zu. Was also tun? Die Lösung ist ganz einfach: Neue Kandidaten müssen her und werden auch schnell gefunden. Aber der Lernprozess für die Tiere ist bitter, denn die erste Lösung ist offensichtlich auch nicht die beste, wenn am Ende jeder Kandidat genau eine Stimme bekommt und somit auch kein eindeutiger König gefunden ist. Und wieder ist es die kleine Maus, die auf den Plan tritt und versucht, die Situation im Tierreich wieder in den Griff zu bekommen. Auch dort scheinen Neuwahlen die einzige Lösung zu sein. Ohne Mehrheit regiert es sich offensichtlich selbst bei den Tieren schlecht.

Auf amüsante Weise und mit einem Augenzwinkern dargeboten, führen uns die Tiere vor, wie man es besser nicht machen sollte. „Ich bin für mich“ ist dabei durchweg farbig bebildert und macht somit auch einfach Spaß beim Durchblättern, selbst wenn man den Text dabei nicht liest. Dabei verdeutlichen die Bilder auf eindrucksvolle Weise in der Mimik und Gestik der Tiere, wie diese sich fühlen und was sie momentan denken. So sieht man beispielsweise auf dem ersten Bild den glücklichen Löwen, wie er stolz seine Krone trägt und in den Händen einen Bierkrug und eine angebissene Bockwurst hält, die es zur Feier seiner Wiederwahl gab. Auf einem anderen Bild erscheint uns der Löwe dagegen ängstlich, als er das professionelle Wahlplakat der Mauspartei entdeckt, das sein eigenes Plakat deutlich übertrifft. Nach der verloren gegangenen Wahl ist der Löwe in bedrückter Pose auf einer Wiese abgebildet, dieses Mal jedoch ohne seine Krone. Immer unterstreichen die Bilder auf treffende Weise den nebenstehenden Text. Herzallerliebst sieht auch das kahle Schaf aus, das für sein Recht auf Wolle plädiert und darauf besteht, dass fortan Pullover selbst gestrickt werden müssen. Der Schäferhund dagegen, der für Recht und Ordnung steht, zeichnet sich durch einen strengen und fast schon gemeinen Gesichtsausdruck aus. Alle Bilder sind wirklich sehr gelungen und tragen zum schönen Gesamteindruck des Buches bei.

Geeignet ist „Ich bin für mich“ für Jung und Alt, wobei Kinder sicherlich die Hintergründe nicht so gut verstehen können, sich aber dennoch an den hübschen Bildern erfreuen können. Auch wenn der Preis für die wenigen Seiten recht hoch erscheint, so rechtfertigen die schönen Zeichnungen und das Din-A4-Format des Buches diesen doch wieder. Das Buch ist sehr schnell durchgelesen und durchgeblättert, doch nach dem ersten Durchlesen und einer kleinen Überraschung am Buchende beginnt man eigentlich gleich von vorne, um alle Bilder nochmals genau unter die Lupe zu nehmen. „Ich bin für mich“ ist ein Buch, das gerade hochaktuell ist und damit umso empfehlenswerter, zumal man es immer wieder gerne durchblättert. Ausnahmsweise kann ich mich Elke Heidenreich daher nur anschließen: „Ich bin für mich“ sollte man definitiv lesen!

Jensen, Jens – Schicksal der Pamir, Das. Biografie eines Windjammers

Sie ist ursprünglich kein besonderes Schiff – nur ein Windjammer wie viele andere, ein Frachtsegler, gebaut 1905 von |Blohm & Voss| in Hamburg für die legendäre Reederei |Laeisz|. Mit den zu diesem Zeitpunkt bereits dominierenden Motorschiffen soll sie konkurrieren, Salpeter und Guano aus dem südamerikanischen Chile nach Europa schaffen, nicht schnell, aber billig. Nüchtern ist sie, aus Stahl gebaut, ganz sicher nicht luxuriös, aber das Produkt einer Jahrhunderte alten Handwerkskunst, gebaut für das Meer und den Wind und daher elegant und mit ihren 114 Metern Länge und vier himmelhohen Masten wahrlich eindrucksvoll.

Die „Pamir“ erlebt das übliche Schicksal eines Schiffes ihrer Epoche. Im Ersten Weltkrieg entgeht sie dem Schicksal vieler Salpetersegler, aufgebracht oder versenkt zu werden, weil sie in neutralen Gewässern auf den Kanaren liegt. Sie wechselt den Besitzer, wird auf der Weizenfahrt zwischen Australien und Neuseeland eingesetzt. Die Neuseeländer beschlagnahmen die „Pamir“ im Zweiten Weltkrieg und befördern mit ihr kriegswichtiges Material in die USA.

Nach dem Krieg ist die „Pamir“ eigentlich fällig, denn die Zeit der Frachtsegler ist unwiderruflich vorbei. Doch während die letzen Windjammern abgewrackt werden, ist diesem Schiff erneut das Glück hold: Nach ihrer Rückkehr nach Europa wird die „Pamir“ ein Schulschiff. Angehende Offiziere lernen hier den Umgang mit den Elementen ohne moderne Technik. Außerdem wird Fracht geladen, was die „Pamir“ zum endgültig letzten Segler ihrer Art werden lässt.

Mit dem Glück ist es im September 1957 vorbei. Die „Pamir“ gerät mitten auf dem Atlantik in einen Hurrikan – ein Jahrhundertsturm, der ihr zum Verhängnis wird. Mit 80 meist jungen Männern wird sie binnen weniger Minuten in die Tiefe gerissen.

Auf 190 (großzügig) bedruckten Seiten lebt die faszinierende Epoche der großen Segelschiffe neu auf. Dies geschieht hauptsächlich in schlichten, aber gut gewählten Worten, zu denen sich einige wenige, doch aussagekräftige Bilder gesellen. Mit sensationellen neuen Erkenntnissen kann Verfasser Jensen nicht aufwarten. Sein Werk ist schon älter, der Untergang der „Pamir“ gilt im Großen und Ganzen als geklärt, Geheimnisse ranken sich nicht darum. Der Schiffbruch steht auch gar nicht im Zentrum der Darstellung. Fünf Jahrzehnte deutscher Seefahrt werden präsentiert – Geschichte, für die unsere „Pamir“ hauptsächlich als Beispiel und roter Faden dient.

Darüber hinaus geht es noch um etwas Anderes: die Beschwörung bestimmter Gefühle. Die „Biografie eines Windjammers“ (von englisch „to jam“ – pressen; romantische Seeleute leiten den Namen vom Geräusch des Winds in den Segeln ab) ist eine Mischung aus Sachbuch und Roman. Präzision in den historischen Ausführungen wird konterkariert durch nostalgische Seebären- (oder Blaubären?) Geschichten. Der Verfasser ist selbst Seemann, geboren um 1900; er hat die Seefahrt in der Phase ihres vielleicht größten Umbruchs kennen gelernt, als die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende währende Tradition der windgetriebenen Schiffe sich ihren Ende zuneigte.

Eine ganze Welt ging damit unter bzw. verwandelte sich in ein mystisches Reich. Noch heute wird „Seefahrt“ nicht mit den hochmodernen, computergesteuerten, reizlosen Containerschiffen oder Öltankern der Gegenwart gleichgesetzt, sondern mit den großen Segelschiffen der Vergangenheit und den Männern, die auf ihnen fuhren. Damit war es wie gesagt spätestens 1945 vorbei. So kommt der „Pamir”“eine besondere Bedeutung zu: Sie ist die würdige Repräsentantin einer verklärten, „besseren“ Vergangenheit. Die „Pamir“ weckt Gefühle, die mit der grauen Realität – das Schiff wurde erbaut, um Vogelmist billig um die Welt zu segeln – rein gar nichts mehr zu tun haben.

Diesen Aspekt der „Pamir“-Story weiß Jen Jensen kräftig zu bedienen. Vor Klischees schreckt er dabei nicht zurück; Seeleute sind bei ihm alte, harte, wortkarge, erfahrene, kauzige, bewunderte Männer, die in gemütlich verkommenen Hafenkneipen ihr Garn spinnen – eine besondere Klasse Mensch, die im Besitz besonderer Weisheiten und Erfahrungen ist, die ihnen „das Meer“ vermittelt hat (wo offensichtlich die Nazis nie vertreten waren, wenn man dem Chronisten Glauben schenken möchte …). So mag es früher freilich tatsächlich gewesen sein, zumal Jensen sich umgehend vom Nostalgiker zum Realisten verwandelt, wenn es darum geht, den recht unromantischen Arbeitsalltag auf der „Pamir“ zu beschreiben. Bei Windstärke 11, Eisregen und kirchturmhohen Wellen die Segel zu reffen, ist außerdem ein Job, von dem man sich lieber bei einem guten Glas Grog erzählen lässt.

Das zweite Leben der „Pamir“ als Segelschulschiff sicherte ihr endgültig die Unsterblichkeit. Mit ihr fuhren 1957 nicht „nur“ Matrosen, sondern junge Seeleute aus aller Welt, die zukünftige Elite ihres Standes, in das nasse Grab. Dies lud ein zwar schreckliches, aber in der Seefahrt kaum ungewöhnliches Ereignis emotional auf. Dass die „Pamir“ noch 1957 wieder eingemottet werden sollte, weil das Geld für ihren Unterhalt ausging, geriet darüber in Vergessenheit – was blieb, war die Erinnerung an ein stolzes Schiff mit ebensolcher Mannschaft, die ein tragisches Ende nahmen.

Hier wird unsere Geschichte nun fast zu schön, um wahr zu sein. Jens Jensen hat sie schon vor langer Zeit niedergeschrieben. Er ist quasi ein Zeitgenosse der „Pamir“, wuchs Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Arbeiterviertel am Hamburger Hafen auf. Welcher Zufall: Dieses Schiff kannte er, seit es auf Kiel gelegt wurde; der eigene Vater hat es mit erbaut. Später fuhr Jensen selbst zur See, wenn auch nie auf der „Pamir“. Und jetzt wird’s mystisch: In den 1960er Jahren soll Jensen als Kapitän eines Segelschoners in die Südsee gereist sein – und ward nie wieder gesehen. Glücklicherweise hatte er sein Buch über die „Pamir“ bereits verfasst; das Manuskript erhielt der |Europa|-Verlag aus Jensens Hamburger Nachlass und veröffentlichte 2002 dieses Buch, das nun auch bei |Bastei Lübbe| erschien. Tja …

Allende, Isabel – Zorro

Eigentlich war ich bisher der Meinung, Zorro habe es schon immer gegeben. So wie Robin Hood beispielsweise. Stattdessen ist der Rächer mit der Maske noch nicht einmal hundert Jahre alt und stammt aus der Feder des findigen Amerikaners Johnston McCulley, der seiner Figur in einer stattlichen Anzahl |Dime Novels| zu erstem Ruhm verhalf. Ältere Semester erinnern sich vielleicht an diverse Filme und Serien, doch für mich beginnt der Kult um Zorro mit George Hamilton und seinen quietschbunten Zorro-Kostümen. Und auch Antonio Banderas‘ Darstellung des Rächers kann diesen ersten Eindruck nicht wirklich überschatten.

Wie gerade Isabel Allende an einen Stoff wie Zorro gelangt ist, wird wohl bei vielen ihrer Fans für Verwunderung gesorgt haben. Doch natürlich gibt es dazu eine Legende: Man erzählt sich, dass eines Tages fünf Leute vor ihrer Tür standen, die die Rechte an der Figur des [Zorro]http://de.wikipedia.org/wiki/Zorro besaßen und Allende anboten, doch einen Roman über ihn zu schreiben. Allende lehnte ab, schließlich ist sie eine ernsthafte Autorin. Doch die fünf Leute ließen eine Kiste mit Material zurück, das schließlich das Interesse der Autorin weckte. Ganz passend dazu gibt es ab November auch einen neuen Zorro-Film mit oben erwähntem Antonio Banderas („Das Geisterhaus“ und „Von Liebe und Schatten“ wurden beide mit Antonio Banderas verfilmt) und da war es wohl um sie geschehen. In nur drei Monaten hat sie, während neben ihrem Computer zur Inspiration ein gerahmtes Bild von Antonio stand, „Zorro“ heruntergeschrieben. „Es ist sehr einfach zu schreiben, wenn man sich dabei Antonio Banderas vorstellt“, meint Allende. Scheinbar sollten sich viel mehr Autoren dessen Bild auf den Schreibtisch stellen …

Das befremdliche Gefühl beim Aufschlagen des Romans bleibt trotzdem und ich bin ziemlich überzeugt, dass ich an dem Buch etwas auszusetzen haben werde. Umso überraschender, dass ich die Lektüre durchaus genossen habe. Es muss meine heimliche Leidenschaft für wilde Plottwists, überlebensgroße Leidenschaften, bunte Panoramen und schillernde, plakative Charaktere sein, die sich beim Lesen breit machte. Darum sei vorneweg gesagt: „Zorro“ ist lange kein perfektes Buch und erst recht keine „echte“ Isabel Allende. Magischen Realismus sucht man vergebens, auch das zeitliche Panorama ist für ihre Verhältnisse stark zurückgenommen. Und doch macht der Roman Spaß. Wie könnte er auch nicht: Es gibt Männer mit schwarzen Umhängen, unglückliche Liebschaften, Piraten, wilde Duelle und das alles eingepackt in Allendes überbordende Erzähllust.

Doch fangen wir von vorn an, so macht das auch Isabel Allende. Ihr „Zorro“ ist eine Chronik der frühen Jahre. Wir erfahren einiges über seine Eltern, über die politische Situation in Kalifornien (da gab es nichts außer Indianern, Kühen und Missionaren, meint die Autorin in einem Interview), über seine Geburt und seine Erziehung. Wir könnten das überspringen, wäre es nicht gerade der Kernpunkt der Erzählung. Irgendwann während der Lektüre muss man akzeptieren, dass das Buch den Weg von Diega de la Vega, einem spanischen Adligen, zu Zorro dem Rächer beschreibt. Wir sehen also viel von Diego, aber viel weniger von Zorro.

Klein Diego wächst in Kalifornien im kultururellen Mischmasch von spanischen Einwanderern, Indianern und Missionaren auf. Zusammen mit seinem Milchbruder Bernardo, der verstummt ist, seit er den Mord an seiner Mutter mit ansehen musste, wird er als Jugendlicher nach Spanien an die Universität geschickt. Und dort geht die Geschichte dann so richtig los. Natürlich verliebt sich Diego prompt unsterblich in die unerreichbare Juliana, er lernt Fechten beim genialen Manuel Escalante, durch den er auch Kontakt zu einem Geheimbund bekommt, der (was auch sonst) für Gerechtigkeit eintritt. Und da ein würdiger Gegenspieler ebenfalls nicht fehlen darf, heftet sich der Spanier Rafael Moncada fortan an Diegos/Zorrors Fersen, da er dieselbe Frau begehrt. Im Übrigen erfährt man auch (falls man es noch nicht wusste), was „Zorro“ eigentlich bedeutet und wie Diego zu diesem Namen gekommen ist.

Kurzum: Die Handlung schreitet flott voran und ist reichlich actiongeladen. Es gibt Gefängnisausbrüche und Schwertkämpfe, Überfälle und wilde Fluchten durch ganz Spanien. Isabel Allende legt in ihrem Roman ein stolzes Tempo vor und das heißt für den Leser: Dranbleiben! Ein Manko hat der Roman allerdings: Seine Nebencharaktere sind fast durchweg sympathischer als seine Protagonisten. Da wäre zum Beispiel Don Diego (Zorro) selbst. Er sieht gut aus und hat perfekte Zähne (das erläutert uns Allende gleich mehrmals), dafür hat er abstehende Ohren (daher die Maske, die unbedingt die Ohren verdecken muss). Er ist eitel, bis zu einem gewissen Grade arrogant und etwas arg von sich eingenommen. Aus irgendeinem Grunde ist er in die langweilige und oberflächliche Juliana verliebt, an der ein durchschnittlicher Leser so überhaupt nichts Anziehendes finden kann. Ihre kauzige kleine Schwester Isabel allerdings, von Diego ständig übersehen, bleibt da schon eher im Gedächtnis: Sie schielt, hat eine wilde Mähne und lernt mit Diego fechten. Auch Bernardo, Diegos stummer Bruder, ist eine Figur, die beim Leser hängen bleibt. Das Gleiche gilt für Diegos Mutter Regina, eine zur westlichen Kultur bekehrte Indianerin. Warum Allendes Nebencharaktere solche prägnanten Persönlichkeiten sind, während Diego von Zeit zu Zeit einfach schrecklich unleidlich daherkommt, wird wohl das Geheimnis der Autorin bleiben. Vielleicht liegt es auch einfach am Kultstatus der Hauptfigur …

Allendes „Zorro“ ist also ein seltsames Werk. Auf der einen Seite lässt es einen großen Teil dessen vermissen, was ihre Bücher so speziell macht; nämlich den magischen Realismus. Auf der anderen Seite tobt sich Allende in gewohnter Manier in ihrer Geschichte aus: Sie schmückt ihre Schauplätze bunt aus und malt farbenfrohe Charaktere. Somit werden sowohl Neueinsteiger als auch Langzeitfans ihrer Romane gut mit „Zorro“ klarkommen. Und mal ehrlich, wer kann einem Mann ganz in Schwarz schon widerstehen?

Website zum Buch: http://www.allende-zorro.de/
Homepage der Autorin: http://www.isabelallende.com/

Franzen, Jonathan – Schweres Beben

Jonathan Franzen hat sich mit den [„Korrekturen“ 1233 einen Namen gemacht als großartiger Erzähler, der seine Leser auch in Büchern epischer Länge mit nur wenig Inhalt zu unterhalten und zu fesseln weiß. Seine Stärken liegen in einer scharfen Beobachtungsgabe und einem fantastischen Erzähl- und Formuliertalent, die zum Erfolg seines Bestsellerromans deutlich beigetragen haben. Aus verkaufsstrategischen Gründen ist es nur verständlich, dass nun auch Jonathan Franzens frühere Werke ins Deutsche übersetzt werden. „Schweres Beben“ wurde bereits im Jahre 1992 in den USA veröffentlicht und damit neun Jahre vor den „Korrekturen“, sodass man als Leser seine Erwartungen niedriger halten sollte. Allerdings ist dies nach der mehr als erfreulichen Lektüre der „Korrekturen“ nur schwer möglich …

_Erschütternd_

In Massachusetts bebt die Erde. Kaum ist Louis Holland in die Nähe seiner ungeliebten Schwester Eileen gezogen und kaum hat er sich mit seiner Stiefgroßmutter Rita Kernaghan verabredet, platzt dieses Date auch schon wieder, da Rita das einzige Opfer des kleinen Erdbebens geworden ist. Louis‘ Mutter Melanie erbt daraufhin große Aktienpakete des Chemiekonzerns Sweeting-Aldren im Wert von etwa 20 Millionen Dollar. Doch das Unternehmen gerät in die Schlagzeilen, als behauptet wird, dass Sweeting-Aldren seine schädlichen Abwässer nicht korrekt entsorgt. Mehrfach erschüttern kleine Beben die Stadt, manchmal sind die Beben so schwach, dass Louis sie gar nicht bemerkt.

Zufällig lernt der 23-jährige Louis die sieben Jahre ältere Seismologin Renée Seitchek kennen, die eine interessante Theorie hat. Bei einer umfassenden Literaturrecherche hat sie nämlich Hinweise darauf gefunden, dass das Chemie-Unternehmen über tiefe Bohrlöcher verfügt, über die eigentlich nach Erdöl gesucht werden sollte. Doch Renée glaubt nicht daran. Sie ist der Überzeugung, dass Sweeting-Aldren seine Abwässer in den Boden pumpt und dadurch diese Erdbeben hervorruft. In den 70er Jahren hatte es bereits eine erste Erdbebenwelle gegeben, die ganz plötzlich aufgehört hat.

Louis und Renée verlieben sich ineinander, doch als die beiden Louis‘ Sachen aus seiner Wohnung holen, damit er bei seiner neuen Freundin einziehen kann, steht plötzlich eine alte Bekannte vor der Tür. Überraschend taucht nämlich Lauren auf, in die Louis einst verliebt war. Geblendet von ihren optischen Reizen, mit denen die bereits 30-jährige Renée nicht mithalten kann, entscheidet sich Louis daher für Lauren. Renée versucht daraufhin auf eigene Faust, Sweeting-Aldren zu überführen und begibt sich damit in große Gefahr. Doch das Schlimmste steht der Gegend rund um Boston noch bevor, denn eine weitere (Natur-)Katastrophe wird die Erde erbeben lassen …

_Franzen goes Brockovich_

Während das erste Erdbeben zunächst noch völlig harmlos wirkt, zumal es so schwach ist, dass kaum jemand es wahrnimmt und es auch nur ein Todesopfer zu beklagen gibt (welches zufällig im angetrunkenen Zustand auf einem Barhocker gestanden und sich beim Sturz tödlich verletzt hat), so spitzen sich die Ereignisse schnell zu, als eine Folge von Erdbeben zu verzeichnen ist. Darüber hinaus scheint mehr hinter den Beben zu stecken als eine natürliche Ursache, denn Renée Seitchek kann anhand wissenschaftlicher Veröffentlichungen plausibel machen, dass Sweeting-Aldren seine schädlichen Abwässer in den Boden pumpt und dadurch die Erdbeben auslöst. Doch das Chemieunternehmen ist mächtig, und somit begibt Renée sich unwissentlich bald in Lebensgefahr.

Thematisch zieht sich die Aufdeckung eines großen Umweltskandals durch das ganze Buch und hält ein wenig die losen Handlungsfäden zusammen. Immer wieder entdeckt Renée neue Hinweise auf die dubiosen Machenschaften des Chemiekonzerns und immer wieder bebt die Erde und erinnert die Menschen an die drohende Gefahr. In Art einer Erin Brockovich versucht auch Renée Seitchek, andere Leute von ihrer zunächst abwegig klingenden Theorie zu überzeugen. Die Beweise sind dünn, dennoch verdichten sie sich im Laufe von Renées Nachforschungen.

Jonathan Franzen greift sich hier ein Thema heraus, das auch heute noch brandaktuell ist, da nach wie vor das Problem einer umweltgerechten Entsorgung von schädlichen Abwässern besteht. Unternehmen standen schon häufig unter dem Verdacht, heimlich ihren Müll so einfach wie möglich zu entsorgen. Welche Auswirkungen dies haben kann, zeigt Franzen in „Schweres Beben“ auf.

_Familiengeschichte_

Aber es geht um mehr: Die Umweltthematik taucht zwar immer wieder auf und hat dem Buch auch seinen Titel verliehen, doch wäre Jonathan Franzen nicht Jonathan Franzen, wenn er nicht auch die Geschichte einer auseinander brechenden Familie erzählen würde. In diesem Falle erfahren wir die Geschichte der Familie Holland, die nach dem ersten kleinen Beben einen unerwarteten Geldsegen zu verkraften hat. Während das Erbe den Marihuana-rauchenden Vater kaum interessiert, zerbricht Mutter Melanie fast an der Angst, das Geld wieder zu verlieren. Und während Eileen sich von ihrer nun reichen Mutter gleich eine teure Eigentumswohnung sponsern lässt, geht Louis wieder einmal leer aus. So weit ist dies für den männlichen Holland-Sprössling nichts Neues, denn Eileen kam noch nie mit ihrem eigenen Geld aus und bettelte schon immer (erfolgreich) ihre Mutter an. Aber dieses Mal kommen auch private Probleme hinzu, denn nach einer anfänglich glücklichen Liebelei mit Renée lässt Louis sich zu schnell von der hübschen Lauren den Kopf verdrehen. Auch beruflich läuft es für Louis alles andere als erfolgreich, denn seinen Job bei einem kleinen Radiosender hat er verloren, nachdem ein fanatischer Abtreibungsgegner den Sender gekauft hat. Louis’ Leben hat also ebenfalls schwere Beben zu verkraften, zeitgleich gehen sein Privat- und Berufsleben den Bach herunter und von seiner Familie kann er auch kaum Rückhalt erwarten. Wäre Louis zumindest an seiner privaten Misere nicht selbst schuld, könnte er einem fast leidtun.

Anders als in den „Korrekturen“ setzt Franzen seinen Schwerpunkt ganz klar auf die Vorstellung nur eines Protagonisten, nämlich die von Louis Holland, über den Rest seiner Familie lesen wir nur ganz nebenbei etwas. Neben Louis erhalten auch Renée Seitchek und ihr Kollege Howard Chun eine ausführliche Präsentation, doch während Renée im Laufe des Romans eine wesentliche Rolle spielt, bleibt Howard immer nur im Hintergrund und ist für die Handlung nicht wirklich wichtig. Warum Franzen sich also viel Zeit nimmt, um auch Howard darzustellen, ist mir nicht klar geworden.

_Thematische Überfrachtung_

Jonathan Franzen scheint ein Faible für lange Romane zu haben, „Schweres Beben“ füllt in der deutschen Übersetzung ganze 685 Seiten und ist voll gepackt mit Informationen über die handelnden Personen, die Spekulationen über mögliche Umweltsünder, über Episoden, die die Handlung ausschmücken und auch bestückt mit allerhand Beiwerk. Die Geschichte wirkt etwas zusammenhanglos. An einer Stelle braucht Franzen einen etwa 50-seitigen Exkurs, bei dem er sogar einen Schlenker über die Geschichte der Indianer macht, um Louis zu erklären, welche familiären Verwicklungen die Familie Holland mit dem Chemiekonzern aufzuweisen hat. Oft entsteht der Eindruck, dass Franzen nicht genug zu sagen hat, als dass es 685 Seiten spannend füllen könnte. Während er sein Meisterwerk mit liebevoller Figurenzeichnung ausgestattet hat, die gerne eien solchen Umfang einnehmen konnte, schafft er es nicht, uns die Familie Holland so zu präsentieren, dass sie uns ans Herz wachsen könnte. Familie Lambert war einfach etwas Besonderes, wir haben sie lieb gewonnen, weil sie eigen und ein wenig chaotisch, aber doch so normal war. An Familie Holland ist kaum etwas normal, auch werden einem die Menschen kaum sympathisch, da sie immer wieder von einem Unglück ins nächste geraten und sich dies meist selbst eingebrockt haben.

Kurz: Der Funke mag nicht so recht überspringen. Der Leser wird nicht recht warm mit dem Buch und auch die Figuren erscheinen uns teilweise sehr nervig (wie Lauren) oder unentschlossen (wie Louis). Besonders Louis‘ Verhalten bleibt meist nicht nachvollziehbar, er dreht sich wie die Fahne im Wind und scheint gar nicht zu wissen, was er eigentlich möchte. Zwar ist er erst 23, dennoch würde ich einem selbstständigen jungen Mann in diesem Alter doch etwas mehr Entschlossenheit zutrauen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Franzen oftmals unangekündigt in der Zeit hin- und herspringt. Wir bleiben über lange Strecken stets bei Louis Holland und begleiten ihn überall hin, allerdings auch in seine gedanklichen Ausflüge in die eigene Vergangenheit. So ist es eine echte Herausforderung für den Leser, an jeder Stelle den Überblick zu behalten über die Zeit, in der die momentane Handlung spielt.

_Wortgewandt_

Während Franzen leider keine so mitreißende (Familien-)Geschichte zu erzählen hat, wie ich es mir erhofft hatte, so punktet er deutlich im sprachlichen Bereich. Schon 1992 in seinem zweiten Roman beweist Franzen, dass er mit Sprache umgehen kann. Lange Schachtelsätze, die sich teilweise über ganze Absätze ziehen, sind keine Seltenheit, doch sind sie stets so formuliert, dass man beim Lesen nie den Überblick verliert. „Schweres Beben“ ist wunderbar zu lesen und macht auf sprachlicher Ebene auch einfach Spaß.

An einigen Stellen zeigt Franzen auch hier, dass er den geübten Blick für Kleinigkeiten hat. So beobachtet er oftmals Dinge, die den meisten Menschen gar nicht auffallen würden. Diese Eigenart hat die „Korrekturen“ zu etwas Besonderem gemacht, im vorliegenden Buch ist davon leider noch zu wenig zu spüren. Man merkt einfach, dass Jonathan Franzen erst eine Entwicklung durchmachen musste, bevor er zu solch überzeugendem Erzähltalent gelangen konnte, wie er es in seinem Bestseller bewiesen hat.

_Warten auf einen neuen Franzen_

„Schweres Beben“ kann praktisch nur enttäuschen, will man es doch mit seinem Nachfolgeroman vergleichen. So ungerecht der Vergleich mit einem so viel jüngeren Buch auch ist, so gerechtfertigt erscheint er doch angesichts der Begeisterung, die die „Korrekturen“ ausgelöst haben. Das vorliegende Buch zeigt in Ansätzen, wo Jonathan Franzens Stärken liegen. Natürlich steht auch hier eine kuriose Familiengeschichte im Mittelpunkt des Geschehens, wobei die Handlung zusammengehalten wird durch den vermuteten Umweltskandal der Firma Sweeting-Aldren. Thematisch hat Franzen sein Buch etwas überfrachtet, oftmals schweift er in seiner Erzählung ab und verlangt von seinen Lesern dadurch einen langen Atem. Inhaltlich ist „Schweres Beben“ durchaus interessant und auch hochaktuell, dennoch weiß das Buch nicht mitzureißen. Für die 685 Seiten sind Ausdauer und Durchhaltevermögen erforderlich. Auch wenn „Schweres Beben“ sicherlich nicht schlecht ist, gehört es nicht zu den Büchern, die man unbedingt gelesen haben muss.

Fleming, Ian – James Bond: Casino Royale

_Das geschieht:_

Royale-les-Eaux war einst ein mondäner Ferienort an der französischen Kanalküste. Jetzt – d. h. Anfang der 1950er Jahre – ist nur noch das Casino einen Besuch wert. Viel Geld wechselt hier ohne besonderes Aufsehen den Besitzer: Dies ist ein Umfeld, nach dem Le Chiffre gesucht hat. Der hinterhältige Meisterspion der Sowjets hat sich mit einigen Nebenbei-Geschäften verspekuliert und dabei Geld aus der Portokasse genommen; sehr viel Geld, um genau zu sein, was für Le Chiffre ein Problem ist. Der russische Geheimdienst bringt sehr wenig Verständnis für solche Eskapaden auf und wird ihm womöglich die Terror-Truppe „Smersch“ auf den Hals hetzen, die vom Kurs abgekommene Kommunistenspitzel sehr rüde zu behandeln pflegt.

In seiner Not beschließt Le Chiffre, ein Vermögen am Spieltisch zu gewinnen. Auf diese Situation hat der britische Secret Service lange gewartet. Le Chiffre soll ruiniert und als Agent außer Gefecht gesetzt werden. Der richtige Mann dafür ist James Bond, dessen Kennziffer „007“ dem Eingeweihten verrät, dass dieser ungewöhnliche Staatsbeamte die Lizenz zum Töten besitzt. Das war bisher zweimal nötig, und auch sonst ist mit diesem Bond nicht gut Kirschen essen, denn er liebt seinen Job und hasst die Roten.

Umgehend macht sich 007 auf nach Royale. Dort trifft er die ihm zugewiesene Kontaktfrau Vesper Lynd, die recht unprofessionell wirkt aber immerhin ausgesprochen ansehnlich ist. Doch erst die Arbeit, dann das Vergnügen, so Bonds strenge Regel. In einem nervenaufreibenden Bakkarat-Duell mit Le Chiffre obsiegt Bond. Der Triumph lässt ihn unvorsichtig werden. Le Chiffres Schergen kidnappen Vesper und locken 007 in eine Falle. Sein Widersacher foltert ihn auf brutalste Weise, um sein Geld zu erpressen.

Aber Le Chiffre hat die Rechnung ohne den Smersch-Wirt gemacht, und Bond kommt an Leib und Seele schwer gezeichnet frei. Allerdings freut er sich zu früh, denn seine eigentliche Prüfung erwartet ihn noch …

_Hitzkopf für den Kalten Krieg_

„Casino Royale“ ist ein rasanter, lakonischer, gewalttätiger Thriller, der noch heute die Aufregung spüren lässt, die er 1953 bei denen hinterließ, die ihn unvorbereitet lasen. (Allerdings lag die Erstauflage bei gerade 4.750 Exemplaren.) Für die betulichen Fans von Edgar Wallace oder Agatha Christie muss damals das Ende der Welt nahe gewesen sein. Aber auch die Schnüffler vom Schlage eines Philip Marlowe oder Lew Archer sahen alt aus gegen James Bond, den Agenten des Secret Service, der finanziell und ausrüstungstechnisch üppig ausgestattet gegen die Feinde der westlichen Zivilisation zu Felde zog.

Dem ‚heißen‘ II. Weltkrieg folgte ab 1945 ein ‚kalter‘ Krieg der beiden Supermächte USA und UdSSR. Er wurde heimlich aber erbittert ausgefochten. Das Verbrechen gewann eine neue, politische Dimension: Nicht Raub oder Mord aus Gier oder Rache waren die Motive im „Großen Spiel“ der Regierungen. Die (angeblich) legitime Abwehr und Schwächung heimtückischer Feinde des jeweiligen Systems standen im Vordergrund. Menschen und Opfer wurden zu Spielfiguren und Zahlen. Unsicherheit bestimmte das Zwielicht hinter den Kulissen. Wer war Freund, wer Feind? Galten diese Klassifizierungen überhaupt noch?

Natürlich bot die Welt der Geheimdienste nur eine grobe Schablone, vor der Ian Fleming 1953 James Bond 007 agieren ließ. Zwar konnte der Verfasser (s. u.) auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, die er jedoch aufs Spektakuläre zuspitzen musste: Auch Agentenarbeit ist primär langweilige Routine. Als Schriftsteller war Fleming zudem Neuling. Das merkt man einer Geschichte an, die deutlich in drei Teile zerfällt: Bonds Vorbereitungen zum grandiosen Kartenspiel-Gefecht mit Le Chiffre im Casino Royale (sehr gelungen), die anschließende Gefangennahme, Folter und Rettung von Bond (unbehaglich intensiv) sowie schließlich der tragisch gemeinte aber recht missglückte, weil an einen bereits abgeschlossenen Spannungsbogen anknüpfen wollende Epilog vom großen Verrat der Vesper Lynd.

|Aller Anfang ist (erstaunlich) zäh|

Für Bond-verwöhnte Kinobesucher geschieht erstaunlich wenig in diesem Roman. Es gibt eine Bombenattacke, eine Autoverfolgungsjagd und eine ausgiebige Folterszene. Das war’s an Action. Raffinierte Agententechnik aus dem Hause Q glänzt durch Abwesenheit. Bond fährt einen Bentley Baujahr 1933 und benutzt eine Beretta Kaliber 25. (Später informierte ein Waffenexperte Fleming, dass diese als Damenpistole galt. Danach wechselte 007 schleunigst zur Walther PPK.)

Was „Casino Royale“ (neben nostalgischen Gründen) immer noch lesbar macht, ist Flemings offensichtliches Bemühen, dem Getümmel eine dritte Dimension zu verleihen. Auffällig sind die ausführlichen Beschreibungen von Kleidern, Speisen, Möbeln usw. Ian Fleming verstand sich als Mann mit Stil, und das gab er an seinen James Bond weiter. Diesen sah er darüber hinaus als Muster für den Menschen der Gegenwart und deshalb rasch und notgedrungen rücksichtslos im Denken und Handeln.

Vergessen ist spätestens seit der Ära des 007-Clowns Roger Moore, dass James Bond ein Produkt des II. Weltkriegs ist. Fleming geht mehrfach auf dessen prägende Kriegserlebnisse ein. (Dies brachte ihn später in Schwierigkeiten, da er Bond zunächst ’normal‘ und dann langsamer altern ließ, bis dieser eigentlich bereits als Schuljunge ins Feld gezogen sein musste, wenn man nachrechnete.) Auch deshalb ist der 007 aus „Casino Royale“ uns heute recht fremd.

|Das Bond-Universum in seiner Steinzeit|

Ian Flemings James Bond war lange ein vom Kino-007 völlig konträre Figur. Die beiden ersten Filme („James Bond jagt Dr. No“, 1961, und „Liebesgrüße aus Moskau“, 1963) mit Sean Connery kamen dem eiskalten, beinahe fanatisch auf sein Ziel fixierten und dabei buchstäblich über Leichen gehenden Bond aus „Casino Royale“ nahe.

Selbst Fleming milderte die schroffe Persönlichkeit seines Helden rasch ab; der spätere James Bond ist nicht milder im Handeln aber psychisch stabiler. Er wird weniger deutlich von gar zu offensichtlichen Selbstzweifeln und unterdrückten Emotionen bestimmt, die er hinter der Maske des 007 zu verbergen trachtet. Erst 2006 trat im „Casino-Royale“-Film – der gleichzeitig zum Reboot der 007-Saga wurde – dieser Aspekt wieder stärker in den Vordergrund.

Bonds Frauenbild ist ein unverfälschtes Spiegelbild seiner Zeit. Er lehnt weibliche Agenten ab, weil sie seiner Meinung nach niemals dieselbe Konsequenz wie ein Mann aufbringen können. Prompt versagt Vesper Lynd, und Bond flucht sie in die Rolle der Ehefrau und Mutter zurück. Schlafen will er aber unbedingt mit ihr, das steht auf seiner Liste – sobald er den Job erledigt hat: Diesen Bond kennen wir gut.

Allerdings verliebt sich 007 später in Vesper und macht ihr einen ernstgemeinten Heiratsantrag. Sogar aus dem Agentengeschäft will er sich zurückziehen. Aber Vesper ist eine Doppelagentin und die Welt schlecht. Damit sie nicht zu allem Überfluss rot wird, macht es in Bonds Hirn „Klick“. |“Das Biest [= Vesper] ist tot“|, wird nach London gemeldet, und dann wirft sich 007 wieder in den Kampf mit dem Reich des Bösen.

|Die Schöne und das Biest|

Vesper Lynd ist paradoxerweise emanzipierter als eigentlich alle Kino-Bond-Girls bis in die Gegenwart. Sie wirft sich weder bereitwillig in 007s starke Arme, noch wälzt sie sich (zuschauerfrei ab 12 Jahre) mit ihm auf einem Eisbärenfell. Ihre Vergangenheit ist tragisch, ihr Schuldgefühl echt, ihr Ende rührt, selbst wenn dieser Effekt von Fleming vor allem konstruiert wurde, um Bond noch einmal als harten Kerl dastehen zu lassen.

Le Chiffre ist bereits der erste der überlebensgroßen Bösewichter, die später typisch für den Bond-Kosmos wurden. Noch greift er nicht nach der Weltherrschaft, sondern ist mehr oder weniger Handlanger der (realen) Sowjetmacht. Aber in seinem Folterkeller legt er bereits die Bond-typische Mischung aus Sadismus und Größenwahn an den Tag. Sein Ende ist schrecklich gewöhnlich – ein Fehler, den Fleming und vor allem die Kinofilme später vermeiden werden.

Überhaupt hat Fleming den Löwenanteil seiner Fehler bereits in diesem ersten Bond-Roman begangen. Er lernte schnell und besserte nach, was er zu Recht negativ kritisiert fand. Schon „Live and Let Die“ (dt. „Leben und sterben lassen“), dem 1955 erschienenen zweiten Bond-Thriller, hatte das Zeug zum echten Klassiker.

_Autor_

Ian Fleming (1908-1964) blickte im „Casino Royale“-Jahr 1953 auf eine inspirierend abenteuerliche Vergangenheit zurück. Er war ein typisches Oberschicht-Gewächs des spätimperialistischen Großbritannien mit erstklassiger Schulbildung (Eton) und der sprichwörtlichen „steifen Oberlippe“. Im II. Weltkrieg lernte Fleming als Mitarbeiter des Marine-Geheimdienstes die geheimnisvolle Halbwelt kennen, die er später so effektvoll zu dramatisieren wusste. Einige wagemutige Kommandounternehmen im Mittelmeer werden ihm zugeschrieben. Den Globus hatte Fleming schon vor dem Krieg als Journalist (u. a. in Moskau) bereist, was er nach 1945 als Auslandskorrespondent der „Sunday Times“ fortsetzte. Er zog die Sonne dem englischen Regen vor und ließ sich an der Nordküste der damals noch britischen Inselkolonie Jamaica nieder.

1951 erschütterte der Cambridge-Skandal das Empire: Zwei hochrangige britische Diplomaten entpuppten sich als langjährige Spione im Dienst der UdSSR. Niemand hatte damit gerechnet, dass sich zwei „old boys“ dafür hergeben würden. Aber im Krieg der Spione gibt es weder Ehre noch Moral. Diese Erkenntnis beeindruckte Ian Fleming tief. Er hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, einen Roman zu schreiben und nun seinen Aufhänger gefunden. Im James Bond aus „Casino Royale“ hallt der Schock über den Verlust traditioneller Werte und die daraus resultierenden Unsicherheiten deutlich wider.

Den Namen „James Bond“ entlieh Fleming einem gleichnamigen Vogelkundler, der die gefiederten Bewohner der westindischen Inselwelt erforschte. Eine kluge Wahl, denn wer könnte – sehr ratsam für einen guten Spion – unauffälliger wirken als ein solcher Zeitgenosse?

Der eigentliche Erfolg des Schriftstellers Ian Fleming kam nur allmählich, der Quantensprung zum Superseller gelang erst in den 1960er Jahren, als der Kino-Bond zum modernen Mythos wurde. Damit hatte Fleming nur noch mittelbar zu tun. Er war gern gesehener Gast am Drehort und kassierte gutes Geld für seine Figur, die er in insgesamt zwölf Thrillern und zwei Kurzgeschichten-Sammlungen mehr oder weniger aufregende Abenteuer erleben ließ, wobei er (zum Unwillen der Leserschaft) durchaus mit seinem Helden experimentierte.

Nach 1960 begann Flemings Gesundheit zu verfallen. Er weigerte sich, seinen Lebensstil zu ändern, d. h. seiner Herzkrankheit entsprechend zu leben. Folgerichtig erlag er – immerhin stilvoll – auf dem Royal St. George’s Sandwich-Golfplatz in Kent am 12. August 1964 einem Herzinfarkt.

|Anmerkung|

„Casino Royale“ ist der erste der James Bond-Romane, die der Cross-Cult-Verlag anlässlich des 50. ‚Geburtstags‘ des Kino-Helden 007 neu übersetzt, ungekürzt und mit sehr schönen ‚Retro‘-Titelbilder herausbringt: eine gute Gelegenheit, den „Ur-007“ neu oder womöglich zum ersten Mal kennenzulernen.

|Taschenbuch: 240 Seiten
Originaltitel: Casino Royale (London : Jonathan Cape 1953)
Übersetzung: Stephanie Pannen/Anika Klüver
ISBN-13: 978-3-86425-070-5|
[Verlagshomepage]http://www.cross-cult.de

(Michael Drewniok)

Pfanner, Thomas – T 73: Das KrogiTec-Komplott

In seinem neuen Buch „T 73: Das KrogiTec-Komplott“ zeichnet Thomas Pfanner die gar nicht mal so unrealistische Zukunftsversion einer Welt, die von einer Handvoll globalisierter Mega-Konzerne beherrscht wird, und in der die Werte des einzelnen Menschen vollständig unter den Tisch gekehrt werden. Idealismus und Demokratie sind dieser Welt fern, auch wenn einige wenige sich immer noch für die scheinbar veralteten Normen einsetzen: Gegen das allmächtige Herrscher-Monpol sind die Bewohner machtlos und fügen sich dementsprechend dem ungerechten System, ohne sich dabei irgendwie aufzuraffen, um den illegalen Machenschaften Paroli zu bieten.

Man könnte das Buch jetzt entfernt eine politische Satire nennen, denn die einzelnen Extreme werden von Pfanner schon mit einem Schmunzeln im Hintergrund dargestellt, aber wenn man mal ehrlich ist, dann kann man gar nicht verleugnen, dass trotz so mancher überspitzter Versinnbildlichung ein kleines Fünkchen Realismus mit in die Geschichte einfließt und die Entwicklung im Zuge der Globalisierung mit einigen Vorstellungen, die in diesem Roman beschrieben werden, durchaus konform geht. Davon mal abgesehen, ist „T 73: Das KrogiTec-Komplott“ aber auch eine kurze und spannende Unterhaltungsbroschüre, die einen gedanklich mal wieder wachrüttelt …

_Story:_

Die Welt in zwanzig Jahren: Einige wenige globalisierte Mega-Konzerne vereinigen alle denkbaren illegalen und legalen Geschäfte auf sich, opfern Wohlstand, Gesundheit und Sicherheit der Menschheit ihrem Profitstreben unter und entmachten die staatlichen Behörden. Diesen bleibt nur noch die Möglichkeit, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben – und dieser heißt in diesem Falle T 73, eine von der UNO beauftragte Firma, die mit ähnlich skrupellosen Mitteln wie die aktuellen Machthaber gegen die Konzerne vorgeht und die Zivilisation wieder retten soll. Dort arbeiten auch so zwielichtige Gestalten wie Drusus Uslar und Saskia Johimbe, gefühlskalte Atheisten und unberechenbare Killer, die unter den Konzernen Angst und Schrecken verbreiten. Während der Erste einfach nur durch seinen generellen Menschenhass abschreckt, ist sein weibliches Pendant vor allem bei der Art der Verbrechen im Sinne der Gerechtigkeit unglaublich brutal. Selbst beim Liebesspiel mit einem ihrer Feinde vergisst sie jegliche Moral und bringt ihren zeitweiligen Gefährten um.

Dies ist auch dem Führer des Mega-Konzerns KrogiTec bekannt, der seinerseits versucht, die Konkurrenz auszubooten und die Weltherrschaft an sich zu reißen. Dazu hat er sich mehrere Mittel ausgesucht: Zunächst erfindet (!) er einen Wissenschaftler, dann geht er ein Bündnis mit den übelsten Terroristen ein, und schließlich kümmert er sich um die Ausradierung von T 73. Aber die Sache ist nicht so einfach, wie der Mann sich das vorstellt …

Deutschland in Endzeitstimmung, mit dieser symbolischen Darstellung erzielt Thomas Pfanner in diesem Buch eine wirklich abschreckende Wirkung. Das vorgelegte Erzähltempo – Pfanner geht von Anfang an aufs Ganze – unterstützt diese bedrohliche Atmosphäre, die sich durch den gesamten Roman zieht, und spiegelt auch die sehr direkte und unverfälschte Erzählweise des Autors wider. Hier wird schonungslos aufgedeckt und erklärt, und irgendwie gelingt es Pfanner auch immer wieder, für diesen oder jenen Missstand eine angebrachte Erklärung zu finden und herzuleiten, was wann wo schief gelaufen ist.

„T 73: Das KrogiTec-Komplott“ ist zweifellos ein starkes Stück Gesellschaftskritik, gefüllt mit einer Menge Sarkasmus und inszeniert in einem radikalen Rundumschlag, bei dem jede Organisation und Volksgruppierung ihr Fett weg bekommt, seien es nun Politiker, Gangster oder doch die im Mittelpunkt der Anklage stehenden Konzerne. Teilweise wird Pfanner bei seinen Darstellungen auch richtig bösartig, schießt aber nie über das Ziel hinaus, sondern bedient sich lediglich seiner arg zynischen Stilelemente, mit denen er das Buch auf jeder der 218 Seiten schmückt. Geschrieben und erzählt ist die Geschichte dementsprechend auch sehr originell, denn hier wird nicht einfach nur plump gegen jeden, der Angriffsfläche bietet, geschossen. Der Autor hat die Sache sehr intelligent verpackt und bietet trotz der oberflächlich erscheinenden Storyline eine Menge Tiefgang zwischen den Zeilen.

Schade finde ich nur, dass er sich diese Besonderheit durch die arg zweifelhafte Umgangsweise der beiden Hauptcharaktere miteinander zerstört. Wie in einem schlechten Krimi machen sich die beiden Ermittler immer wieder von der Seite an und entwickeln dabei eine Hassliebe, ohne die ihre Zusammenarbeit aber auch nicht funktionieren würde. Im Grunde genommen ist die Idee ja gar nicht so schlecht, die Umsetzung in Form von einigen gegeneinander ausgeteilten Breitseiten aber eher mangelhaft und der einzige Schwachpunkt des Buches.

Ansonsten gibt es aber nichts auszusetzen: eine Welt, in der Verbrechen von Verbrechern bekämpft wird, illegale Machenschaften durch Morde gerade gerückt werden und kein Teil der Gesellschaft sich mehr sicher fühlen kann, all das beschreibt Thomas Pfanner in diesem Buch – und spannt den Bogen beim überraschenden Ende bis zur Schöpfungsgeschichte; aber hierzu möchte ich jetzt nicht mehr verraten. Besorgt euch dieses Buch, es lohnt sich, auch wenn das Cover eher schlicht und uninteressant wirkt!