_Ein abenteuerlicher Ausflug zu seltsamen Tieren_
Der Autor Milne schrieb die Geschichten für seinen kleinen Sohn Christopher Robin Milne, dessen Stofftiere als Vorbilder für die Figuren des Buches dienten. Im Mittelpunkt steht Winnie der Pu alias Pu der Bär. Pu ist ein gutmütiger, etwas langsamer und vergesslicher Zeitgenosse, der in seiner Freizeit vor allem gefällige Lyrik verfasst und Honig nascht:
Singt Ho! Der Bär soll leben! / Es ist mir egal, ob Schnee oder Regen, / Meine Nase riecht Honig auf allen Wegen! […] Singt Ho! Leben soll Pu! / Er braucht einen kleinen Mundvoll ab und zu! (Pu der Bär, Hamburg 1989, S. 111)
Pus bester Freund ist „Ferkel“ (engl. Piglet), ein ängstliches, niedliches Schweinchen. In und um den Hundertsechzig-Morgen-Wald leben außerdem:
• die altkluge Eule „Oile“ oder „Eule“ (engl. Owl),
• der depressive und schnell gelangweilte Esel „I-Aah“ (engl. Eeyore),
• Kaninchen (engl. Rabbit), ein Kaninchen mit harter Schale, aber ausgesprochen weichem Kern,
• die Kängurumutter „Känga“ (engl. Kanga) und ihr Junges Klein-Ruh (engl. Roo),
• sowie der kleine Junge Christopher Robin als ursprünglicher Adressat der Geschichten.
http://en.wikipedia.org/wiki/Winnie-the-Pooh
_Der Autor_
Alan Alexander Milne, 1882 in London geboren und 1956 gestorben, war 1906 bis 1914 Journalist beim Satiremagazin „Punch“, Autor mehrerer Lustspiele und bedeutender englischer Kinderlyriker. Inspiriert zu den Pu-der-Bär-Geschichten wurde er von seinem Sohn Christopher Robin.
„Die Originalausgabe erschien am 14. Oktober 1926 im Londoner Verlag Methuen & Co. unter dem Titel Winnie-the-Pooh. Der zweite Band The House at Pooh Corner folgte 1928. Vom selben Autor erschienen die Kindergedichtbände „When We Were Very Young“ (1924) und „Now We Are Six“ (1927), die zum Teil auf demselben Figurenkosmos aufbauen. Alle vier Bände wurden von Ernest Shepard illustriert.
Die Geschichten um Pu wurden mit großem Erfolg in zahlreiche Sprachen übersetzt; auf Deutsch erschien Band 1 als „Pu der Bär“ bereits 1928, Band 2 als Pu baut ein Haus erstmals 1954. 1996 erschien eine Gesamt-Neuübersetzung von Harry Rowohlt. Die beiden Gedichtbände wurden 1999 in einem gemeinsamen Band unter dem Titel „Ich und Du, der Bär heißt Pu“ übersetzt.“ (Wikipedia)
_Die Geschichten_
Es ist nun mal so, dass Christopher Robin seinen Dad bittet, Winnie-der-Pu Geschichten zu erzählen. Und da Christopher Robin ein ganz lieber Junge ist und weil Pu-der-Bär am liebsten Geschichten über sich selbst hört, erzählt Dad Geschichten über Pu – der aber eigentlich Eduard Bär heißt und ein Teddy ist, der Christopher Robin gehört.
|1) Pu und die Bienen|
Es gibt nichts, was ein Bär lieber mag als Honig. Als Pu nun ein Gesumm hört und feststellt, dass sich das Gesumm hoch oben in einem Baum befindet und von Bienen stammt, schließt er daraus messerscharf, dass wo Bienen hoch oben sind, dort auch Honig sein muss – und er folglich hinaufklettern muss.
Bären sind wirklich große Denker, wie jedes Kind weiß. Aber nicht so gute Kletterer. Und deshalb bricht der Ast, auf den Pu klettert, und er fällt und fällt und fällt noch tiefer, bis er auf den Boden plumpst. Er denkt nach und hat eine Idee. Er bittet seinen lieben Freund Christopher Robin, ihm einen Luftballon zu leihen. Christopher Robin hat sogar zwei von einer Party übrig. Damit schwebt Pu auf die Höhe des Bienennestes – aber weiter kommt er nicht, denn es weht kein Wind. Was jetzt? Christopher Robin hat eine treffsichere Lösung …
|2) Pu und der Kaninchenbau|
Pu besucht seinen Freund, das Kaninchen, in seinem Bau. Kaninchen ist sehr vorsichtig, wie sich das für Tiere, die im Hundertsechzig-Morgen-Wald leben, gehört. Aber schließlich steckt Pu seinen Kopf durch den Vordereingang, so dass es sehen kann, wer es ist. Pu zwängt sich durch das Loch und isst. Weil das Essen bei Kaninchen so hervorragend ist, kommt er aber nicht wieder hinaus, sondern bleibt stecken. Was jetzt?
Der herbeigerufene Christopher Robin sagt ihm, dass er eine Woche warten müsse, bis er wieder so dünn sei, dass er durchpasse. Zum Glück hat jeder Kaninchenbau einen Hinterausgang, sonst wären für Kaninchen magere Zeiten angebrochen!
|3) Pu und Ferkel jagen ein Wuschel |
Pu besucht seinen Freund Ferkel im Wald. Es lebt in einer großen Buche und vor seiner Wohnung steht das Schild BETRETEN V. So habe sein Großvater geheißen, beteuert Ferkel. Soso. Und wie wärs mit einer Jagd auf Wuschel? Ferkel ist sofort dabei, und zusammen ziehen sie los, um Wuschelspuren zu suchen.
Tatsächlich stoßen sie fast sofort auf eine vielversprechende Spur in der Nähe der Buche. Als sie ihr neugierig, kommen erst eine Spur, dann noch eine und noch eine hinzu, bis sie vier Spuren folgen. Das sind aber eine Menge Wuschel hier! Bloß ist kein Einziges zu sehen. Das schon etwas müde Ferkel verabschiedet sich, um eine „Morgensache“ zu erledigen. Kaum ist es fort, als Pu von oben einen Pfiff hört. Es ist Christopher Robin, der auf einem Ast der Buche sitzt. Christopher Robin erklärt ihm, wie die vier Spuren der unsichtbaren Wuschels zustande gekommen sind. Pu nennt sich „verblendet“. Christopher Robin nennt ihn den besten Bär der ganzen Welt. Und wer könnte Christopher Robin widersprechen?
|4) I-Ah verliert einen Schwanz und Pu findet einen|
Pus Freund I-Aah, der alte graue Esel, weiß nicht, wie er sich fühlen soll: Er kann seinen Schwanz nicht finden. Pu ist ein feiner Kerl und verspricht, den verlorenen Schweif wiederzubeschaffen. Als Erstes geht er zu Eule, denn Eule weiß alles, was irgendjemand im Hundertsechzig-Morgen-Wald über irgendwas wissen kann.
Pu ist verblüfft von den zwei Schildern an Eules Tür im Baum. Wer klopft, signalisiert, dass er „KAINE NTWORT“ erwartet, und wer den Klingelzug betätigt, will, dass ihm NTWORT zuteilwird. Also tut Pu beides, nur um sicherzugehen. Eule erzählt, Christopher Robin habe die Schilder beschriftet. Das erklärt die Rechtschreibung. Eule meint, man müsse eine Belohnung auf den verlorenen Schwanz aussetzen, dann, wieso er sowohl eine Klingel als auch einen Türklopfer habe. Daraufhin schaut sich Pu den Klingelzug noch einmal GANZ GENAU an …
|5) Ferkel trifft ein Heffalump|
Christopher Robin bemerkt beim Picknick mit seinen Freunden Pu und Ferkel, er habe ein Heffalump gesehen. Die Freunde gehen nach Hause, rätseln aber, wie so ein Wesen aussehen mag. Um es herauszufinden, beschließt Pu, eines zu fangen. Aber wie, wenn man nicht weiß, was es mag, wo es lebt und wie groß es ist? Deshalb erbittet er Hilfe von Ferkel, der stolz darauf ist, dass Pu ihn fragt.
Sie beschließen, eine tiefe Grube zu graben und darin einen Köder aufzustellen. Da Pu Honig mag, dürfte das mysteriöse Heffalump auch nichts gegen Honig haben, und so holt er aus seinem Regal im Speisezimmer einen ganzen Topf voll Honig. Leider überlebt der Honig die Reise zur Grube nicht, denn Pu will sicher sein, dass nicht etwa ein Stück Käse am Boden des Topfes verborgen ist. Nur ein kleiner Rest am Boden des Topfes ist übrig.
In der Nacht findet Pu keinen Schlaf. Er träumt von riesigen Heffalumps, die sich über den Honigtopf hermachen. Er springt aus dem Bett, um die Grube zu kontrollieren. Am Morgen findet Ferkel tatsächlich ein schreckliches Wesen in der Grube, das schreckliche Laute ausstößt. Entsetzt eilt er zu Christopher Robin. Als der das „Heffalump“ erblickt, fängt er an zu lachen …
|6) I-Aah hat Geburtstag und bekommt zwei Geschenke|
I-Aah, der alte graue Esel, bläst Trübsinn am Bach. Als Pu das sieht und nach dem Grund fragt, erzählt I-Aah, dass er heute Geburtstag hat. Aber sieht Pu vielleicht Frohsinn und Tanz? Nein, denn es ist niemand da, um mit ihm diesen Anlass zu feiern. Da beschließt Pu, I-Aah mit einem Geschenk aufzumuntern, geht nach Hause und findet dort Ferkel vor der Tür. Dem erzählt er von I-Ads Trübsinn.
Während Pu einen Honigtopf besorgt – an dem sich Ferkel nicht beteiligen kann, danke – , überlegt Ferkel, was es dem alten Grauohr schenken kann, um ihn aufzumuntern. Einen Ballon vielleicht? Ja, einen schönen roten Ballon!
Doch als es bei I-Aah eintrifft, ist der Ballon nur noch einen geplatzter Fetzen und Pu bringt keinen vollen, sondern einen leeren Honigtopf. Dennoch freut sich I-Aah, dass sich so viele Leute an seinen Geburtstag erinnert haben. Und der leere Topf erweist sich in der Tat als nützlich: Der leere Ballon passt exakt hinein …
|7) Känga und Klein Ruh kommen in den Wald und Ferkel nimmt ein Bad|
Als Känga und ihr Kind Klein Ruh im Hundertsechzig-Morgen-Wald auftauchen, fragen sich die Tiere, woher sie kommen und was sie hier wollen. Sie beschließen, dass die beiden wieder verschwinden sollen. Kaninchen als der Schlaueste heckt einen genialen Plan aus, um dies zu erreichen. Sobald sie Klein Ruh entführt haben, wollen sie Känga dazu erpressen, wieder zu verschwinden, dann könne sie Ruhs Aufenthaltsort erfahren.
Für die Ausführung des Plans sind der Einsatz von Pu-Bär als Ablenkung und Ferkel als Ruh-Ersatz vorgesehen. Alles klappt wie am Schnürchen, doch als Ferkel in Kängas Wohnung eintrifft, während Ruh bei Kaninchen weilt, dreht Känga den Spieß um …
|8) Christopher Robin leitet eine Expotition zum Nordpohl|
Eines Tages beschließt Christopher Robin, mit allen seinen Freunden eine Expedition zu unternehmen, um den Nordpohl zu entdecken. „Was ist eine Expotition?“ will Pu wissen. Christopher Robin versucht es ihm zu erklären: „Alle gehen hintereinander, um etwas zu entdecken. Hol Proviant!“ „Proviant?“ „Sachen zum Essen.“ Das lässt sich Pu nicht zweimal sagen, und er sagt seinen Freunden, was abgeht und dass sie mitkommen sollen.
Nur einmal fragt Christopher Robin seinen Freund Kaninchen an einer Stelle des Weges heimlich: Wie sieht er aus, der Nordpohl?“ Kaninchen wusste es mal, beteuert er, aber er hat es vergessen. Pu singt ein Lied über die Expotition, das sehr schön ist, aber das Ferkel nicht versteht.
O-Ton: „Nach kurzer Zeit waren alle oben im Wald versammelt, und die Expotition fing an. Zuerst kamen Christopher Robin und Kaninchen, dann Ferkel und Pu; dann Känga mit Ruh in ihrem Beutel und Eule; dann I-Ah; dann, zum Schluss, Kaninchens sämtliche Bekannten-und-Verwandten.“
Als sie sich am Bach ausruhen, geht Klein Ruh, der Sohn von Känga, ins Wasser, um sich zu waschen. Und kaum hat man sich’s versehen, schwimmt er auch schon davon! Känga schreit auf, er werde ertrinken, und alle beeilen sich, den Kleinen zu retten. Bis es Pu gelingt, einen Stock über den Bach zu halten, an den sich Klein Ruh klammern und an dem er herausklettern kann.
Während Klein Ruh jubelt, dass er erstmals geschwommen sei, schaut Christopher Robin Pu genau an und fragt ihn, woher den Stock genommen hat. Pu weiß es nicht. Christopher Robin erklärt, dass Pu den Nordpohl gefunden hat und stellt ein Schild auf, um dies zu dokumentieren. Ein historischer Augenblick im Hundertsechzig-Morgen-Wald.
|9) Ferkel ist völlig von Wasser umgeben|
Es regnet und regnet und regnet, tagelang. So lang, bis Ferkel in seiner Baumwohnung völlig von Wasser umschlossen ist. Es fühlt sich einsam. Was jetzt wohl seine Freunde machen? Mit einem Freund wäre es viel angenehmer. Da fällt ihm ein, was Christopher Robin machen würde: eine Botschaft in einer Flasche verschicken! Diese Flaschenpost verschickt Ferkel als Hilferuf. Wird sie ankommen?
Jedenfalls nicht so bald. Denn Pu, der glorreiche Entdecker des Nord-Pohls, schläft den Schlaf der Gerechten, dann wartet er auf einem Ast, auf dem ihm zahlreiche Honigtöpfe Gesellschaft leisten. Es regnet weiter, bis sich der Fluss auch zu Christopher Robin ausgebreitet hat, der plötzlich auf einer Insel lebt!
Pu entdeckt Ferkels Flaschenpost, und weil er nur den Buchstaben P in „PFERKEL“ lesen kann (er ist ja von kleinem Verstand), denkt er, sie sei für ihn. Was völlig zutreffend ist. Mit einem kleinen Schiff namens „Der Schwimmende Bär“, das aus einem leeren Honigtopf besteht, segelt er zu seinem besten Freund. Christopher Robin liest sie ihm vor. Ferkel ruft sie zu Hilfe! Doch wie sollen sie zu Ferkel gelangen?
Da hat Pu erneut einen umwerfenden Gedankenblitz. Und Christopher Robins Regenschirm spielt dabei eine wichtige Rolle …
|10) Christopher Robin lädt zu einer Pu-Party ein|
Weil es Pu gelungen ist, sowohl den Nord-Pohl zu entdecken als auch Ferkel zu retten, will Christopher Robin Pu zu Ehren eine Party feiern. Eule soll alle Freunde einladen. Was der weise Freund auch tut, auch wenn sich der griesgrämige alte I-Aah sehr darüber wundert. Alle, alle kommen. Christopher Robin hat für Pu ein tolles Geschenk. Das kann er ihm aber erst überreichen, nachdem sich I-Aah, der ein wenig verwirrt ist, für diese Feier zu SEINEN Ehren bedankt hat …
_Mein Eindruck_
Die Tiere in diesem kleinen Arkadien des Hundertsechzig-Morgen-Waldes (auf der gleichen Farm übrigens, auf deren Anwesen Rolling-Stones-Gitarrist Brian Jones den Tod fand) erinnern an kleine Erwachsene. Sie haben ihre Eigenarten und werden durch sie charakterisiert. Der kindliche Leser kann sie leicht als verkappte Erwachsene durchschauen: I-Aah ist der einsame Griesgram, Eule verbirgt sein Nichtwissen hinter langen, komplizierten Wörtern und Kaninchen ist praktisch die Schlange im Paradies. Es ist das einzige Wesen, das kein Vertrauen für Fremde und Zugezogene aufbringt (in der Känga-Episode).
Känga und Ruh sind eine alleinstehende Mutter und ihr Kind – etwas sehr Ungehöriges in postviktorianischen Zeiten. Vielleicht dachten sich die erwachsenen (Vor-) Leser, sie sei eine Soldatenwitwe, deren Mann im 1. Weltkrieg fiel. Und dann sind da noch das kleine Ferkel und natürlich die Titelfigur Pu. Ferkel ist so klein und schutzbedürftig, dass er praktisch zu Pus kleinem Neffen oder Patenkind wird.
Pu ist „ein Bär von sehr wenig Verstand“, wie er behauptet, aber eine um die andere Episode belegt, dass dies ganz und gar nicht der Fall ist. Er hat zwar ein sehr kurzes Gedächtnis, aber dafür ein großes Gemüt und einige geniale Geistesblitze, so etwa die Sache mit dem Regenschirm, der als Boot dienen kann. Pu ist auch ein feiner Dichter. Seine Verse sind zwar sehr schlicht, aber für jedes Kind nachvollziehbar.
Und er sorgt dafür, dass die Komödie nicht zu kurz kommt. Durch seine Gier nach dem letzten Rest Honig, der sich in dem als Köder aufgestellten Honigtopf befinden muss, fällt er in die selbstgegrabene Grube, stülpt sich den Topf übern Kopf – und torkelt unversehens als schröckliches „Heffalump“ herum. Das kindliche Ferkel ist zu jung, um Bär und Heffalump zu unterscheiden, Christopher Robin ist jedoch alt und klug genug, den Bär im Heffalump zu erkennen.
Für seine Tiere spielt der etwa vier Jahre alte Christopher Robin den Vater, aber auch Freund und Partner. Er kann zwar keine Rechtschreibung – statt „Nord-Pohl“ schreibt er „Not-Pohl“ – , aber dafür leitet er Partys und „Expotitionen“. Wie viele Kinder fallen ihm fiktive Dinge ein, so etwa Heffalumps und Wuschel, denn die Welt ist noch ein magischer Ort.
|Das Rätsel|
Der eigentliche Knackpunkt des Buches ist jedoch die Erzählsituation. Sie ist ebenso merkwürdig, wie die Geschichten erzählt sind. Christopher Robins Vater hat früher schon Geschichten von Pu erzählt (in „When We Were Very Young“ und „When We Were Six“), denn Pu ist bekanntlich Christopher Robins Teddybär. Aber diesmal bittet ihn sein Sohn, Geschichten FÜR Pu zu erzählen.
Bisher dachte Vater, dass Pu „Eduard Bär“ geheißen habe, aber jetzt erfährt er von Christopher Robin, dass Pu jetzt „Winnie DER Pu“ heiße und sich „J. Sanders“ nenne, weil dieser Name an seiner Wohnung stehe. Hm, was für ein Durcheinander, denkt Vater vielleicht insgeheim, aber er will seinem lieben Sohn keinen Wunsch abschlagen und beginnt, ihm Geschichten ÜBER und MIT Pu zu erzählen.
Der Schluss ist ebenso seltsam. Ohne jeden Übergang springt der Erzähler, also Vater, zusammen mit Christopher Robin aus der letzten Geschichte heraus und wieder zurück in die Erzählsituation. 18 Zeilen sind diesem Epilog, der eigentlich keiner ist, reserviert. Christopher Robin geht zurück zur Tür, den Teddybär Pu hinter sich herziehend. Jetzt heißt es genau aufpassen! Und dann geht erst Christopher Robin die Treppe hoch, eine Sekunde später jedoch auch Pu hinter ihm her, rumpeldipumpel. Ist Pu nun lebendig oder nicht? Diese Frage muss der kleine Leser selbst entscheiden.
|Abenteuer|
Nur scheinbar leben Pu und seine Freunde abgeschieden am Waldrand. Es ist ein idealisiertes Britannien, wie man es nur südlich und westlich von London findet, in den sogenannten „Home Counties“, also Gründer-Grafschaften Sussex, Essex, Surrey, Berkshire (und früher gab es auch Middlesex). Die Endsilbe -sex weist auf die Sachsen hin, die das Gebiet eroberten und besiedelten. Das Königreich Wessex hat nur in der Literatur existiert, etwa bei Thomas Hardy.
Diese Gegend scheint so sicher zu sein, sicherer geht’s gar nicht. Und doch gibt es Gefahren. Da ziehen Fremde wie Känga und ihr Klein Ruh zu, werden gleich verdächtigt und Opfer einer Kindesentführung. Eine riesige Überschwemmung macht alle zu vereinsamten Opfern – was den ewigen Pessimisten I-Aah überhaupt nicht aus der Fassung bringt. Nur gute Einfälle wie die Flaschenpost Ferkels und die zwei „Schiffe“ Pus helfen den Bewohnern.
Auch Expeditionen bringen nicht immer nur Freude. Klein Ruh nutzt sie beispielsweise, um schwimmen zu lernen. Schon wieder spielt Wasser eine unheilvolle Rolle: Es nimmt ihn mit auf eine Reise, die ihn das Leben kosten könnte. Ein Glück, dass ihn die solidarische Hilfe der Freunde aus dem Fluss klettern lässt – an jenem Pfahl, der wenig später zu solchem Ruhm als der „Nord-Pohl“ kommen soll. Und Pu ist sein Entdecker! (Mehr zum „Pohl“ unter „Übersetzung“.)
Gegenseitige Hilfe aus Freundschaft und Solidarität ist die positive Kraft in dieser kleinen Gemeinschaft. Aber es gibt auch entgegengesetzte Kräfte. Pus unersättlicher Appetit auf Honig entfremdet ihn sich selbst und lässt ihn als „Heffalump“ erscheinen. Die Angst vor Fremden führt zur Kindesentführung, unter der Känga zu leiden hat. Und die alten Gestalten Eule und I-Aah sind nicht wirklich eine Hilfe, sondern verwirren lediglich den Verstand.
_Die Übersetzung_
Harry Rowohlt hat das Buch kongenial erzählt, mit viel Lautmalerei wie „rumpeldipumpel“ oder „holterdiepolter“. Auch Pus Gedichte fand ich sehr gelungen. Aber nicht immer erschließt sich einem der Wortwitz des englischen Originals. Das beste Beispiel ist die Sache mit dem Nord-Pohl.
Im Englischen bezeichnet das Wort „pole“ sowohl einen Pfahl als auch einen Pol. Der Autor machte daraus ein Wortspiel, das im Deutschen nur dann nachzuvollziehen ist, wenn man ein Norddeutscher ist. Denn dort bezeichnet „Pohl“ einen Pfahl, wie es der Übersetzer auch an einer Stelle gleichsetzt. Wenn also Christopher Robin den Nordpohl mit einem Pfahl (Pohl) bezeichnet und das zugehörige Schild daran mit „Notpohl“ beschriftet, so ist das nichts als die reine Wahrheit.
_Schilder_
Überhaupt Schilder. Es gibt in diesem Kinderbuch jede Menge davon, viel mehr als in jedem anderen Kinderbuch, das ich kenne. (Man erinnert sich vielleicht an Bilbo Beutlins Schild am Garteneingang „Betreten verboten. Außer für Verwandte.“) Aber von diesen Schildern ist kein Einziges ernstzunehmen, was auf die satirische Absicht des Autors schließen lässt.
Alle Aufschriften sind nämlich entweder bruchstückhaft und erhalten darum eine andere, erdichtete Bedeutung. Oder sie sind so unkorrekt geschrieben, dass sie jeden Sinn verlieren (wie „Notpohl“). Hier führt der Autor erwachsenes Streben nach Ordnung ad absurdum. Der Gipfel in dieser Hinsicht bildet das Schild „J. Sanders“ an der Tür von Pus Wohnung: Es hat rein gar nichts mit dem Bewohner zu tun.
Semiotiker hätten ihre helle Freude daran: Das Bezeichnete (Pu) stimmt mit dem Bezeichnenden (Schild) nicht überein und überführt so den Bezeichner (Urheber) als Narren – oder als spielenden Schalk.
_Die Zeichnungen_
Dieses Buch war von Anfang ohne die Zeichnungen von Ernest H. Shepard undenkbar. Die meist niedlichen kleinen Figuren sind zur Inkarnation der erzählten Figuren geworden, ähnlich wie die Figurenzeichnungen Tenniels zu den beiden ALICE-Büchern. Aber es gibt auch große Zeichnungen, so etwa ganze Bäume, die so hoch wie die Seite sind. Das wird etwa nötig, wenn Pu zu den Bienen hinaufkraxelt oder wenn Christopher Robin Eule besucht.
Manchmal sind auch ganze Handlungsabläufe zu bewundern, die fast an ein Daumenkino erinnern. Das wird besonders deutlich, wenn man sich anschaut, wie Pu versucht, auf einem Honigtopf Boot zu fahren. Die beiden können sich nicht entscheiden, wer oben sein und steuern soll. Dinge entfalten unversehens eine geheime Tücke des Objekts. Das passt bestens zur Erzählung.
Die einzige Figur, die nie in Erscheinung tritt, ist der Erzähler selbst: Christopher Robins Vater. Vielleicht war das der Grund, warum der Autor eifersüchtig auf den Zeichner wurde, wie Peter Hunt in „An Introduction to Children’s Literature“ (siehe meinen Bericht) auf Seite 114 (Anmerkung 18) berichtet. Und da Christopher Robin eine echte Person war, hat er zeit seines Lebens unter den Pu-Geschichten zu leiden, das Opfer des Kults, den sein Vater ausgelöst hatte (ebenda, Anmerkung 19).
_Unterm Strich_
Ich bespreche die Ausgabe der Süddeutschen Zeitung von 2005. Sie folgt der Ausgabe des Züricher Atrium-Verlags von 1987 sowie des Dressler-Verlags von 1999 und umfasst sowohl die Gedichte und Kapitelüberschriften als auch sämtliche klassischen Zeichnungen von Ernest H. Shepard. Es handelt also um eine Fassung, die dem Original und dessen Bestandteilen so nahe wie möglich entspricht.
Man findet Versionen, die viel modernere Zeichnungen aufweisen. Aber kaum eine kommt mit dem lebhaften Sprachduktus daher, den Harry Rowohlt seinem Text verliehen hat. Bei der „verrückten Teeparty“ im letzten Kapitel etwa „knallt“ Christopher Robin seinen Löffel auf den Tisch, statt dezent damit zu klopfen. Sofort herrscht Schweigen in der seltsamen Tier-Runde.
Es gäbe noch zahlreiche weitere Beispiele. Aber es zeigt, dass der Text zum VORLESEN gedacht und auch entsprechend übersetzt worden ist. Bei seinen Lesungen hat Rowohlt wohl auch die Tierstimmen entsprechend nachgemacht: das Brummen von Pu, das griesgrämige Wiehern von I-ah, das Quieken von Ferkel, die Stottern und Zischen von Eule, das schnelle Mümmeln von Kaninchen usw. Er hat mehrere Hörbücher aufgenommen, die bestimmt sehr lustig sind.
Die Eigenarten dieser Figuren ergeben ein kleinen Mikrokosmos, in dem zunächst alles harmlos idyllisch zu sein scheint, Doch die Idylle trügt: Hier finden Kindesentführungen, Expeditionen, Rettungsaktionen, ein Honigraub sowie Überschwemmungen statt. Fallgruben werden ebenso gebaut wie riskante Flugexpeditionen unternommen.
Der einzige Souverän in diesem Land ist ein Mensch, nämlich das Kind Christopher Robin. Erwachsene haben hier nichts zu melden, wie ihre absurden Schilder beweisen. Deshalb tritt der Erzähler auch nie selbst auf, allenfalls in der Einleitung und am Schluss. Hier gibt es für das kleine Kind viel zu lernen, es wird dargeboten auf fantasievolle, schalkhafte Art und Weise. Es ist so viel zu lernen, dass ich jedes Mal nur ein oder zwei Kapitel zu lesen wagte, um ordentlich darüber nachdenken zu können. So hat die Lektüre mehrere Tage gedauert. Aber sie war den Ausflug in den sonderbaren Hundertsechzig-Morgen-Wald wert.
Hinweis: Es gibt zwei Fortsetzungen, nämlich „Pu baut ein Haus“ und „Warum Tieger nicht auf Bäume klettern“.
|Gebunden: 135 Seiten
Originaltitel: Winnie the Pooh, 1926
Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Harry Rowohlt
ISBN-13: 978-3866151024|
_|A. A. Milne bei |Buchwurm.info|:_
[„Das Geheimnis des roten Hauses“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5617