Kastura, Thomas – geheime Kind, Das

Nach „Der vierte Mörder“ und „Das dunkle Erbe“ legt Thomas Kastura mit „Das geheime Kind“ sein drittes Buch mit Kommissar Klemens Raupach vor.

Raupach wird zusammen mit seiner Kollegin Photini Dirou zu einem Mord in einer Schrebergartenanlage gerufen. Otto Wintrich, ein arbeitsloser Alkoholiker, wurde dort auf einem Grundstück erschlagen. Neben ihm findet man einen Brocken Haschisch. Ein Mord im Drogenmilieu? Immerhin: Der Neffe der Besitzer des Grundstücks arbeitet nicht nur als Taxifahrer, sondern dealt auch, aber eine Verbindung zu Wintrich lässt sich zuerst nicht herstellen.

Doch auch Wintrichs Familie – seine Lebensgefährtin Vera Bahlinger und ihre drei Kinder – scheint ihre Geheimnisse zu haben. Tödliche Geheimnisse? Oder hat vielleicht Veras Ex-Mann, ein zwielichtig wirkender Gastronom, etwas mit dem Mord zu tun? Von Otto schien er jedenfalls nicht besonders begeistert gewesen zu sein. Raupach und seine Kollegen ermitteln in alle Richtungen, doch erst, als eine Babyleiche am Rhein gefunden wird, ergibt sich eine Spur …

Kastura hat mit „Das geheime Kind“ einen ruhigen, aber dennoch mitreißenden Krimi geschrieben, der sich nicht weit von seinem Genre entfernt, innerhalb dessen aber durchaus herausragt. Der Autor erzählt den Fall geradlinig und lenkt nur selten davon ab. Er deckt nach und nach Verdächtige auf, von denen jeder ein Motiv haben könnte. Der Leser kann gut mitraten, die Spannung baut sich allmählich auf. Doch obwohl der Täter tatsächlich unter den Verdächtigen zu finden ist, macht Kastura es nicht so einfach. Die Auflösung erfolgt stückweise und hält noch einige gelungene Überraschungen parat.

Das Privatleben von Raupach und Dirou wird ebenfalls beleuchtet, allerdings nie in einem störenden Ausmaß. Der Fall steht im Vordergrund, doch Raupachs Gedanken und Gefühle werden neben der Ermittlungsarbeit ebenfalls dargestellt. Kastura macht allerdings nicht den Fehler, seinen Kommissar zu nachdenklich zu zeichnen. Raupach hat zwar den einen oder anderen melancholischen Gedanken, wirkt aber trotzdem geerdet und aufgeschlossen. Photini Dirou hat zwar weniger Auftritte als ihr Chef, hat aber trotzdem eine tragende Rolle inne. Vor allem aus dem Zusammenspiel zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten entstehen tolle Momente im Buch.

Zusammengehalten wird die Geschichte von Kasturas gekonntem Schreibstil. Dass der Autor auch als Journalist tätig ist, merkt man. Er beherrscht es mit einem verständlichen, großen Wortschatz, Sachverhalte treffend zu beschreibend. Mit wenigen Worten bringt er das, was er sagen möchte, stets auf den Punkt. Er wirkt aber dabei nie distanziert oder zu nüchtern. Im Gegenteil ist das Buch sehr locker geschrieben, manchmal auch unterschwellig humorvoll. Gelungen ist auch die Perspektive von Nicolas, Veras an Asperger-Syndrom leidenden Sohn. Der Autor erzählt sehr anschaulich, was in dem Jungen vorgeht.

„Das geheime Kind“ von Thomas Kastura ist ein sehr gut geschriebener, spannender Krimi, der jeden Krimi-Fan überzeugen sollte.

|Gebunden: 376 Seiten
ISBN-13: 978-3-426-19864-3|
http://www.droemer.de

Mankell, Henning – Chinese, Der

_Eine winterliche Mordnacht_

In einer Winternacht im Jahr 2006 geschieht im kleinen Dorf Hesjövallen das grausamste Verbrechen, das es in Schweden je gegeben hat. Nahezu alle Dorfbewohner werden am nächsten Morgen brutal abgeschlachtet aufgefunden – ganze Familien ausgelöscht. Nur ein Ehepaar und eine verwirrte Frau haben diese Mordnacht überlebt. Die Polizei ist geschockt, findet aber schnell den vermeintlich Schuldigen. Der gesteht die bestialische Tat, erhängt sich aber im Gefängnis, bevor die Polizei sein angebliches Tatmotiv aufgedeckt hat.

Auch die Richterin Birgitta Roslin aus Helsingborg wird auf dieses unglaubliche Verbrechen aufmerksam. Sie entdeckt, dass vermutlich auch die Pflegeeltern ihrer Mutter unter den Getöteten sind. Da Birgitta ohnehin krank geschrieben ist und über ungewohnte Freizeit verfügt, macht sie sich auf eigene Faust an die Nachforschungen und pfuscht der Polizei in Hesjövallen mitunter kräftig ins Handwerk, indem sie beispielsweise des Nachts Tagebücher aus dem Elternhaus ihrer Mutter entwendet. Durch Zufall führt ein rotes Band, das nach der Mordnacht im Dorf gefunden wird, sie zu einem geheimnisvollen Chinesen, der eines Abends in Hesjövallen aufgetaucht ist, in einem Chinarestaurant gespeist und in einem kleinen Hotel übernachtet hat und anschließend wieder vom Erdboden verschwunden ist. Obwohl die Polizei inzwischen ihren Verdächtigen dingfest gemacht hat, gibt Birgitta Roslin nicht auf, da sie nicht an die Schuld dieses Mannes glauben kann. Ihre Nachforschungen führen sie schließlich gar bis nach Peking, wo sie im Vorfeld der Olympischen Spiele eine unglaubliche Entdeckung macht und dabei langsam dem Motiv für das grausame Verbrechen in Hesjövallen auf die Spur kommt …

_Eine Geschichte der Rache_

Ein hungriger Wolf führt uns zu Beginn dieser Geschichte in das verwaiste Dorf, in dem fast alle Bewohner auf grausamste Weise ums Leben gekommen sind. Kurz darauf werden diese Verbrechen entdeckt und wir befinden uns praktisch mitten im Geschehen. Mit hohem Tempo entwickelt Henning Mankell zunächst seine Erzählung und präsentiert uns insbesondere die Hauptfigur des Romans – Birgitta Roslin. Diese eigensinnige Richterin ist der Polizei von Anfang an ein Dorn im Auge, da sie auf eigene Faust Ermittlungen anstellt und den ermittelnden Beamten immer mindestens einen Schritt voraus ist. Doch dann präsentiert die Polizei der Öffentlichkeit einen Verdächtigen, an dessen Schuld Birgitta Roslin von Anfang an nicht glauben kann. Das spornt sie immer mehr an, dem Geheimnis dieser grausamen Tat auf die Spur zu kommen. Da kommt es ihr gerade Recht, dass ihr Arzt sie krank schreibt und sie zudem etwas Abstand von ihrem Ehemann braucht, da ihre Ehe deutlich abgekühlt ist. Die Tagebücher, die Birgitta Roslin im Elternhaus ihrer Mutter entwendet, führen sie auf eine wichtige Spur, nämlich den Eisenbahnbau in den USA im 19. Jahrhundert, wo viele Chinesen unter widrigsten Bedingungen ihre Arbeit verrichtet haben. Wie allerdings diese Geschichte mit den Morden in Hesjövallen zusammen hängt, begreift Birgitta Roslin erst, als sie eine Freundin nach Peking begleitet und sich dort auf die Suche nach dem Chinesen macht, der in der besagten Mordnacht in der Nähe von Hesjövallen in einem Hotel abgestiegen ist.

Nach rasantem und spannendem Beginn schaltet Mankell schon nach 140 Seiten mindestens zwei Gänge zurück. Nun erzählt er in epischer Breite die Geschichte drei chinesischer Brüder, die nach dem Tod ihrer Eltern ihr Glück im chinesischen Kanton versuchen. Doch statt einer gut bezahlten Arbeit finden sie dort nur Armut und Verzweiflung, bis der eine Bruder ihren vermeintlichen Retter trifft, der ihnen Arbeit verspricht. Eines Abends holt dieser die drei Brüder ab. Als er jedoch merkt, dass der eine von ihnen krank ist, lässt er ihn umgehend ermorden – die anderen beiden Brüder entführt er auf ein Schiff, das sie in die USA bringt, wo sie beim Eisenbahnbau helfen müssen. Nur einer der Brüder überlebt dies und kann eines Tages nach China zurück kehren. Doch auch dort widerfährt ihm großes Unglück, sodass er Rache schwört und seine Erlebnisse für seine Nachkommen in einem Tagebuch festhält …

Henning Mankells Geschichte zieht weite Kreise. Wie die Geschichte dreier chinesischer Brüder mit den Morden in einem kleinen schwedischen Dorf zusammen hängt, bleibt über weite Strecken des Buches im Dunkeln, was den Spannungsbogen deutlich abflachen lässt. Die Motivation, die Geschichte der drei unglücklichen Brüder zu lesen, ist über weite Strecken ausgesprochen gering, da Mankell uns in diesem Moment keinerlei Anhaltspunkte gibt, was dies mit den Morden von Hesjövallen zu tun hat. Wie beides zusammen hängt, erfahren wir zwar zu einem späten Zeitpunkt, doch auch da scheint es ziemlich weit hergeholt, die Geschichte aus dem 19. Jahrhundert als Motiv für die Morde heran zu ziehen. Birgitta Roslin findet in Peking nicht nur den Zusammenhang zwischen dem Chinesen und den schwedischen Morden heraus, sondern deckt zudem wahnwitzige politische Machenschaften auf. Mir persönlich hat Henning Mankell in diesem Roman zu viele Baustellen aufgemacht, denn in Peking wird Birgitta Roslin offenbar die ganze Zeit beschattet, eines Tages wird ihr die Handtasche gestohlen und dann macht sie ausgerechnet die Bekanntschaft mit der Schwester desjenigen, der für die Gräueltaten in Hesjövallen verantwortlich ist. Ein bisschen viel des Zufalls?

Mich konnte das Konstrukt des vorliegenden Romans nicht wirklich überzeugen, auch wenn Henning Mankell zumindest in dem Handlungsstrang rund um die sympathische und engagierte Richterin Birgitta Roslin eine gewisse Portion Spannung aufbauen kann. Andere Passagen lesen sich allerdings fast schon zäh wie Kaugummi und zu jedem Zeitpunkt hätte ich das Buch locker an die Seite legen können, auch wenn Mankell wie üblich immer wieder Cliffhanger einstreut, die einen zumindest für eine gewisse Zeit wieder ein wenig an das Buch fesseln. Ich hätte mir gewünscht, dass man etwas eher hinter die Zusammenhänge blicken kann und dass diese nicht ganz so arg weit hergeholt erscheinen. Natürlich hat Henning Mankell wieder einmal ein heißes politisches Eisen herausgefischt, doch diese Thematik mit einem Massenmord in Schweden zu verknüpfen, erscheint mir arg konstruiert. Insgesamt unterhält „Der Chinese“ zwar ganz ordentlich, aber verglichen mit Mankells anderen Büchern ist das vorliegende Buch eher eines der schwächeren.

|Taschenbuch: 608 Seiten
ISBN-13: 978-3423212038
Originaltitel: |Kinesen|
Deutsch von Wolfgang Butt|

_Henning Mankell beim Buchwurm:_

[Der Feind im Schatten]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6316
[Mörder ohne Gesicht 143
[Hunde von Riga 95
[Die Pyramide (Hörbuch) 567
[Die Brandmauer 704
[Die Rückkehr des Tanzlehrers 1058
[Mittsommermord (Hörbuch) 1196
[Tea-Bag 1360
[Vor dem Frost 1714
[Wallanders erster Fall (Hörbuch) 1905
[Die fünfte Frau 2162
[Der Mann mit der Maske (Hörbuch) 2437
[Der Mann, der lächelte (Hörbuch) 2610
[Der Tod des Fotografen 2761
[Mörder ohne Gesicht (Hörbuch) 2791
[Hunde von Riga (Hörbuch) 3191
[Begegnung am Nachmittag (Hörbuch) 5437

Winter, Cay – Hexenwut (Babel 1)

_|Babel|:_

Band 1: _“Hexenwut“_
Band 2: – angekündigt für Frühjahr 2011 –

_Schon früh ist klar,_ dass Babel eine sehr mächtige Hexe werden kann. Schon als Kind hat sie Verbindungen zur Dämonenebene und auch zur Totenebene. Wo andere Hexen Hilfsmittel wie Runen und Zaubersprüche benötigen, hext Babel rein intuitiv. Babels Familie ist darüber nicht besonders glücklich, birgt Babels Talent doch viele Gefahren und kann schnell in die falsche Richtung gehen.

Mit 17 Jahren muss Babel diese Erfahrung auch machen, als ihr Freund Sam, ein Dämonenkind/Mischling, sie zu einer Beschwörung überredet, die dann gründlich schiefgeht. Leider lernt Babel nicht aus diesem Fehler und verfällt Sam immer mehr. Sam überredet Babel immer öfter zu den blutigen Beschwörungen. Die Narben dieser Zeit wird Babel ihr Leben lang tragen müssen.

Gegenwärtig ist Babel 30 Jahre alt und steht mit beiden Beinen fest im Leben. Die Sucht nach der Dämonenebene versucht sie mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker in den Griff zu bekommen. Beruflich hat Babel sich mit Karl, den sie einst von einem Fluch befreit hat, zusammengetan. Ihr Klientel benötigt magische Hilfe bei untreuen Lebenspartnern und Ähnlichem. Da kommt Babels Talent gerade recht.

Als dann eines Tages der Plag Mo in der Kanzlei von Karl und Babel auftaucht und Babel um Hilfe bittet, gerät ihr Leben wieder aus den Fugen. Bei den Plags/Alben kommt es gerade zu einer Mordserie, bei der Plags auf geheimnisvolle Weise getötet werden. Die Polizei steht vor einem Rätsel, und da die Plags davon ausgehen, dass Magie im Spiel ist, haben sie widerwillig dem Vorschlag ihres Sprechers Tom zugestimmt, eine Hexe zu Rate zu ziehen.

Da das Verhältnis zwischen den Plags und den Hexen mehr als nur schwierig ist, stimmt Babel nur widerwillig zu, bei der Aufklärung zu helfen. Als sie sich dann auch noch in den Anführer Tom verliebt, wird es für sie nicht einfacher, und eines Tages steht auch noch Sam vor der Tür …

_Kritik_

Die deutsche Autorin Cay Winter hat mit „Babel – Hexenwut“ den Auftakt zu einer neuen Serie um magische Wesen geschrieben.

Die Autorin bedient sich eines flüssigen Schreibstils, dem leicht zu folgen ist. Interessant beschreibt Cay Winter die Verschmelzungen der magischen und nicht-magischen Welt. Nur magische Wesen sind in der Lage, die Magie wahrzunehmen, die sich ihnen als magisches Netz offenbart. Nicht-magische Menschen nehmen dies kaum wahr, nur anhand eines merkwürdigen Gefühls, eines Prickelns, einer plötzlich auftauchenden Gänsehaut, dem Gefühl, jemandem wehtun zu müssen, oder auch depressiver Gefühle zeigt sich ihnen, dass sie zum Beispiel gerade von deinem Dämon gestreift werden.

Selbstverständlich wird das Vorhandensein nicht als solches erkannt. So lernt der Leser zwar keine neue, aber eine anders dargestellte Welt kennen. Schade ist nur, dass die Autorin die übernatürlichen Wesen und Hexen ihres Romans als an der Grenze zur Legalität lebend darstellt. Als hätten Hexen und Co. nicht die Möglichkeit, gut und integriert zu sein. Dazu hat die Autorin einige sarkastisch-lustige Szenen untergebracht, die den Leser des Öfteren schmunzeln lassen dürften. Auch auf die Erotik wird hier nicht verzichtet, die sehr geschmackvoll untergebracht ist.

Der Spannungsbogen baut sich konstant auf, beruht dabei auch darauf, dass der Leser wissen will, was in Babels Vergangenheit geschehen ist. In mehreren Rückblicken sowie der Stimme ihres Gewissens, das oftmals vor den Folgen ihres Tuns warnt und dabei auf Erlebnisse in der Vergangenheit hinweist, werden dem Leser Rätsel aufgegeben. Dazu kommt natürlich die Suche nach dem Mörder der Plags, die sich als ziemlich verzwickt darstellt. Lediglich das Ende war recht überstürzt und hätte gerne mehr Ausführlichkeit vertragen können.

Erzählt wird der Roman aus der Sicht eines Beobachters, der sich auf Babel konzentriert. So weiß der Erzähler auch nie mehr als die Protagonistin selbst. Die Protagonisten sind logisch und lebendig konzipiert, der Leser hat die Möglichkeit, diese in vielen Facetten kennenzulernen. Besonders charmant waren da Babel und Tom, aber auch der dämonische Papagei Xotl kann definitiv punkten.

Das Cover ist passend zum Plot sehr düster gehalten. Auf schwarzem Hintergrund sieht man eine Skyline einer Stadt und das Gesicht einer Frau, das mit der Umgebung verschmilzt. Auf der Innenseite des Covers findet sich die Skyline wieder.

_Fazit_

Cay Winter hat mit „Babel – Hexenwut“ einen sehr interessanten Auftakt zu dieser neuen Reihe geschrieben. Sehr düster und geheimnisvoll kommt ihre Protagonistin Babel beim Leser an, wirkt aber durch ihre Reife und die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, sympathisch. Ein paar Schwächen hat dieser Roman zwar, ist aber trotzdem lesenswert. Auf weitere Abenteuer mit Babel bin ich schon sehr gespannt.

_Autorin_

Cay Winter ist eine junge deutsche Autorin. Sie lebt in einer Stadt, deren Name sich auf das slawische Wort „Linde“ bezieht, und hat eine Schwäche für die Filme aus der Zeit des Film Noir – weil Frauen die besseren Bösewichte sind.

|Broschiert: 399 Seiten
ISBN-13: 978-3802582950|
[www.egmont-lyx.de]http://www.egmont-lyx.de
[www.caywinter.com]http://www.caywinter.com

_Nadine Warnke_

Schine, Cathleen – drei Frauen von Westport, Die

_Inhalt_

Joseph ist 78 Jahre alt, als er seiner drei Jahre jüngeren Frau Betty offenbart, dass er die Scheidung wünscht, und zwar wegen unüberbrückbarer Differenzen. Betty ist bass erstaunt, tief gekränkt und untröstlich. Natürlich gibt es unüberbrückbare Differenzen, aber die haben für Betty nichts mit Scheidung zu tun, sondern mit dem jahrzehntelangen Zusammenleben zweier unterschiedlicher Menschen.

Josephs Differenzen hören allerdings auf den Namen Felicity, und Felicity weiß genau, was sie will. Und da Joseph sehr verliebt ist, erfüllt er ihre Wünsche, was dazu führt, dass Betty ihre geliebte New Yorker Wohnung verlassen und in ein halbverfallenes Cottage in Westport ziehen muss. Ihre Töchter, Annie und Miranda, beide Frauen mittleren Alters, schließen sich ihr an. Miranda muss gerade zusehen, wie ihr Lebenswerk in sich zusammen stürzt, und Annie ist sowieso immer in Sorge: Um ihre beiden erwachsenen Söhne, um ihre Mutter, um ihre exaltierte Schwester. Ihre Söhne sind weit weg, doch zwei der Menschen, denen all ihr Denken gilt, wollen in dieses absurde Häuschen ziehen. Zwei der unpraktischsten Menschen, die je auf Gottes Erdboden gewandelt sind. Keine Frage, die kann man nicht allein lassen, denkt Annie und geht mit nach Westport.

Betty wandelt wie im Traum umher und spricht von Joseph wie von einem lieben Verstorbenen, Miranda unterlässt keine Anstrengungen, um ihr innerstes Selbst zu erforschen, und Annie versucht, das absurde Trio irgendwie über Wasser zu halten.

Die plötzliche Nähe zwischen den drei Frauen, die sich eigentlich sehr zugetan sind, sorgt für Zündstoff, es gibt Reibereien. Und doch, hier draußen am Wasser, ganz auf sich gestellt, nah am Abgrund und mit neuen Bekanntschaften, entdecken alle drei Frauen in sich noch gänzlich unbekannte Qualitäten. Es ist eine Art Neubeginn: Ein erzwungener zwar und ein teilweise stolpernder, aber doch einer, der die Möglichkeiten für eine ganz besondere Zukunft erschließt.

_Kritik_

Auf den ersten Seiten kann man noch ins Grübeln kommen, ob dieses Buch es tatsächlich schaffen wird, den Leser zu fesseln: Der Stil ist doch etwas schlicht. Doch was da in meist einfachen Worten gesagt wird, ist oft gleichzeitig von bitterer Wahrheit und sprühendem Witz. Und wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, dass man wohl nicht von kunstvoll konstruierten Sätzen aus den Schuhen gehauen wird, kann man das Hauptaugenmerk auf die Personen legen. Und die haben es verdient.

Betty als selbsternannte Witwe ist allein schon großes Kino. Es ist eine geradezu absurde Vorstellung, wie sie ohne jede Ahnung von geldlichen Dimensionen Dinge anschafft, die niemand braucht, und das halbverfallene Häuschen mit kostbaren Möbeln aus der schicken New Yorker Wohnung voll stellt. Annie als die Bodenständige bietet am wenigsten Überraschung, aber auch hier ist nicht ohne Witz und Ironie verzeichnet, wie sehr ein Leben aus der zweiten Reihe und dauernder Verzicht zu Gunsten anderer den Menschen prägen kann. Miranda schillert, polarisiert, ist anstrengend und liebenswert gleichermaßen. Manchmal hat man das Gefühl, dass sie überzeichnet ist, doch wenn man genauer nachdenkt, dann kennt man doch selbst mindestens eine Miranda, und das ist gut so.

Ein grandioser Sidekick ist die Figur des Cousin Lou, dessen Cottage die drei Frauen bewohnen und dessen Lebensinhalt es ist, Menschen einzuladen: Wer seine Frau zu Anfang nicht ausstehen kann, bekommt doch auch gegen seinen Willen im Laufe des Buches Mitleid mit ihr. Joseph und Felicity erfüllen ihre jeweiligen Rollen klischeegerecht, sind aber ebenfalls liebevoll gezeichnet und mit feinen Details bedacht.

Wenn man anfänglich das Gefühl hat, dass die Geschichte sich irgendwann totlaufen wird, so nimmt sie doch gegen Ende des Buches noch einmal gehörig Fahrt auf und bietet die eine oder andere Überraschung, ehe das Ganze dann wieder mit Folgerichtigkeit abschließt. Der Roman bietet genregerecht Stellen zum Lachen und zum Weinen und vermischt sie mit einer gehörigen Portion Versöhnlichkeit.

_Fazit_

„Die drei Frauen von Westport“ ist in der Retrospektive tiefgründiger und vielschichtiger, als man erwartet hatte. Cathleen Schines großes Talent ist es, Charaktere zum Leben zu erwecken und sie glaubhaft untereinander agieren zu lassen. Die Lektüre hat Spaß gemacht und kann nur empfohlen werden. Lesen!

|Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
Originaltitel: The Three Weissmanns of Westport
Aus dem Amerikanischen von Sibylle Schmidt
ISBN-13: 9783442312412|
[www.randomhouse.de/goldmann ]http://www.randomhouse.de/goldmann
[www.cathleenschine.com]http://www.cathleenschine.com

Mosse, Kate – Wintergeister

_Toulouse,1933._ Frederick Watson, der vor fünf Jahren bereits in Frankreich war, kehrt nun zurück, um sich von einem Antiquitätenhändler seinen wertvollsten Schatz, einen alten Brief, übersetzen zu lassen. Dieser ist verfasst in Okzitanisch, einer Sprache, die schon fast vergessen ist. Als der Antiquar den Brief liest, ist er sehr überrascht von dessen Inhalt und bittet Frederick, ihm seine Geschichte zu erzählen. So beginnt Frederick von seinen Erlebnissen zu berichten.

Montségur, 1928. Der Erste Weltkrieg ist bereits seit zehn Jahren vorbei, aber der junge Engländer Frederick Watson trauert noch immer um seinen im Krieg gefallenen Bruder. Erst kürzlich ist er aus einem Sanatorium entlassen worden, nachdem er einen Zusammenbruch hatte. Die Ärzte haben ihm einen Aufenthalt in den Bergen Frankreichs empfohlen, in der Hoffnung, dass Frederick dort genest. Kurz nachdem Frederick in Frankreich angekommen ist hat er in einem Schneesturm nahe der Ortschaft Nulle einen Unfall, der ihn zwingt, sein Auto zu verlassen und sich zu Fuß zur nächsten Ortschaft durchzuschlagen. Ständig meint er ein Wispern zu hören, und in den Augenwinkeln sieht er jemanden, der aber, sobald er hinschaut, verschwunden ist. Nachdem er einem Waldweg gefolgt ist, erreicht er völlig verfroren Nulle, das wie ausgestorben wirkt und eine ungeheure Traurigkeit ausstrahlt.

Er findet ein Hotel und wird von seiner Wirtin zu dem am Abend stattfindenden, alljährlichen Mittelalterfest eingeladen. Mit einer Wegbeschreibung macht er sich abends auf den Weg, und gerade als er meint, sich verlaufen zu haben, findet er das Gebäude, in dem schon fröhlich gefeiert wird. Seine Wirtin kann er nicht finden, dafür lernt er aber die junge Fabrissa kennen. Sie unterhalten sich und tanzen, bis plötzlich Soldaten auftauchen.

Zusammen fliehen Frederick und Fabrissa. Am nächsten Morgen wacht Frederick in seinem Zimmer auf und fragt nach Fabrissa. Seltsam, dass sich niemand erinnern kann, ihn auf dem Fest gesehen zu haben, und auch eine Fabrissa ist allen, die er fragt, völlig unbekannt.

_Kritik_

Mit „Wintergeister“ hat Kate Mosse wieder einen Roman geschrieben, der in ihrer Heimat Frankreich spielt. Wie immer ist der Roman sehr mystisch und geheimnisvoll, dabei auch voll Gefühl. Diese Mischung aus Mystik und dabei wahren, historischen Ereignissen, verbindet die Autorin gekonnt und niveauvoll zu einem stimmigen Gesamtbild.

Der Roman ist flüssig und dabei ausdrucksstark geschrieben und liest sich daher sehr leicht. Aufgrund der wenigen Seiten kann man dieses Buch in einem Rutsch lesen. Die Trauer Fredericks wird sehr greifbar beschrieben und der Leser kann diese beinahe selbst empfinden. Sehr detailliert beschreibt Kate Mosse die Umgebung, die schneebedeckten Berge und Wälder. Die Kälte meint der Leser da schon fast selber zu spüren. Auch die Ortschaft Nulle kann sich der Leser aufgrund der ausdrucksvollen Beschreibung leicht bildlich vorstellen.

Die Spannung wird den ganzen Roman über gehalten, und so wird der Leser in einen Bann gezogen, der ihn nicht so einfach loslässt. Die Gefühle und Bilder, die dieses Buch erzeugt, hallen auch nach der letzten Seite noch eine Weile nach.

Die Protagonisten sind vielseitig, tiefgründig, liebevoll und sehr lebendig gezeichnet. Jede Empfindung wurde von der Autorin so real beschrieben, dass der Leser diese fast selber wahrnimmt. Die Trauer, die dieses Buch bestimmt, sei es die Fredericks oder auch die der geheimnisvollen Fabrissa, ist fein gezeichnet, ohne auch nur einen Moment übertrieben zu wirken. Frederick, der mit seinem Bruder seine komplette Familie verloren hat, scheint sich in seiner Trauer zu verlieren und beweist dennoch eine bemerkenswerte Stärke, um das Geheimnis Fabrissas aufzuklären und der Geschichte dieser Frau und ihres Dorfes eine Stimme zu verleihen.

Optisch kommt dieses kleine, feine Buch groß raus, der Schutzumschlag ist in winterlichen Blautönen gehalten und zeigt ein geheimnisvolles Bild, das teilweise mit Spotlack in Szene gesetzt wird. Sogar das Lesebändchen passt zu dieser Farbzusammenstellung.

_Fazit_

Mit „Wintergeister“ hat Kate Mosse wieder einmal überzeugen können. Sie hat eine wundervolle, sanfte und liebevolle Geschichte über die Trauer und die Möglichkeit der Heilung geschrieben. Eingebettet in die mystischen Erlebnisse ihrer Charaktere, besitzt dieses Buch eine nachhaltige Botschaft. Die Autorin hat definitiv keinen Mainstream-Roman, sondern wieder etwas ganz Besonderes geschaffen.

Mich hat Kate Mosse erneut voll überzeugt, selten habe ich so etwas atmosphärisch Dichtes und Gefühlvolles auf so wenigen Seiten gelesen. Kate Mosse versteht ihr Handwerk.

_Autorin_

Kate Mosse arbeitet für Rundfunk und Fernsehen und ist eine der Initiatorinnen des renommierten |Orange Prize|. Für die |BBC| moderiert sie eine wöchentliche Büchersendung. Ihr erster Roman „Das verlorene Labyrinth“ – ein internationaler Bestseller – erschien 2005; 2008 folgte „Die achte Karte“. Kate Mosse lebt mit ihrer Familie in Sussex und Carcassonne. (Verlagsinfo)

|Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
ISBN-13: 978-3426198902
Originaltitel: The Winter Ghosts|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

_Kate Mosse bei |Buchwurm.info|:_
[„Das verlorene Labyrinth“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1650]
[„Das verlorene Labyrinth“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1976

_Nadine Warnke_

Howard, Jonathan L. – Totenbeschwörer (Johannes Cabal 2)

_Die Johannes-Cabal-Trilogie:_

Band 1:[„Seelenfänger“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6176
Band 2: _“Totenbeschwörer“_
Band 3: – nur angekündigt –

_Wirklich, man hat_ nichts als Scherereien mit der Welt! Nur weil Johannes Cabal darauf bestanden hat, in der Bibliothek ein Buch auszuleihen, das die Bibliothekare für die Ausleihe gesperrt hatten, steht er jetzt vor der Wahl, seinen Kopf zu verlieren oder einen toten Kaiser wiederzubeleben. Und natürlich landet der geplagte Geisterbeschwörer bei seinen verzweifelten Bemühungen, Unannehmlichkeiten zu vermeiden, nur in noch größeren Unannehmlichkeiten …

_Die meisten_ Charaktere in diesem Band sind neu.

Johannes Cabal ist als Hauptperson natürlich noch immer dabei. Und noch immer ist er so unnahbar und rational wie eh und je. Allerdings hat er inzwischen seine Seele wieder, worüber er durchaus froh ist, wenn sie ihm nur nicht immer wieder Gewissensbisse verursachen würde, die er möglichst zu ignorieren versucht, mit mäßigem Erfolg.
Außerdem zeigt sich in diesem Band ein bisher unerheblicher Charakterzug, nämlich eine geradezu unbezähmbare Neugierde.

Neuer Gegenspieler anstelle des Teufels ist ein mirkarvianischer Kavallerieoffizier namens Comte Marechal. Ein engstirniger, ehrgeiziger und heimtückischer Kerl, der offenbar nicht verwinden kann, dass seine Familie vor ein paar Jahrhunderten in einem Krieg ihre Ländereien verloren hat, und nun geradezu davon besessen ist, in einem neuen Krieg sämtliche verlorenen Gebiete zurückzugewinnen.

Dazu kommt eine Handvoll mehr oder weniger skurriler Nebencharaktere, mit denen Cabal sich herumschlagen muss, fast schon eine Ansammlung überzeichneter Klischees wie das der verwöhnten Adligen, des rebellischen Studenten oder der dominanten Hausfrau, die ihren Mann unterdrückt. Der Autor spielt mit diesen Stereotypen, die durch die leichte Übertreibung fast schon liebenswert wirken, und dadurch plastisch und gleichzeitig ein wenig schräg. Das gilt auch für Cabals Gegenspieler Marechal.

Trug der erste Band noch ein wenig die Züge einer Queste, so hat der Leser es diesmal mit einer Krimikomödie zu tun, die allmählich zu einem internationalen Zwischenfall ausufert. Zwar spielt sich der gesamte Konflikt zwischen fiktiven Zwergstaaten ab, Marechal und Konsorten scheinen aber sozusagen direkt dem preußischen oder österreichischen Militärlexikon entstiegen. Und nicht nur der Militarismus, auch die Spionage kriegt ihr Fett weg.

Der Ort der Handlung ist großteils auf ein Luftschiff beschränkt, das ein wenig an ein U-Boot von Jules Verne erinnert, und dessen Beschreibung allein schon durch die ungewöhnlichen Fremdwörter höchst drollig klingt. Und obwohl Cabal sich bewusst ist, dass er sich nur in Schwierigkeiten bringen wird, wenn er seine Nase in all die Merkwürdigkeiten auf diesem Luftschiff – von der Mannschaft über die Passagiere bis hin zu den Geschehnissen – hineinsteckt, kann er es einfach nicht lassen. Nebenbei kabbelt er sich auch noch mit Leonie Barrow, der Tochter des bärbeißigen Kommissars aus dem ersten Band, die ebenfalls zufällig an Bord ist. Der Schlagabtausch zwischen diesen beiden, die sich offenbar ebenso sehr hassen, wie sie sich gegenseitig bewundern, ist das Sahnehäubchen auf dem ganzen Trubel.

Dabei hätte das alles problemlos vermieden werden können, hätte der Kapitän die Bitte eines Passagiers um Besichtigung nicht zugänglicher Bereiche einfach abgelehnt. Aber dann hätte es schließlich nichts zu erzählen gegeben, und das wäre wirklich unendlich schade gewesen.

_Denn herausgekommen_ ist bei all dem eine Mischung, nicht ganz so knallig wie im Vorgängerband, aber genauso witzig: Wie Cabal und Leonie Barrow aus all den schrägen Vögeln an Bord den Täter herauszufinden versuchen, liest sich genauso amüsant wie die gelungene Persiflage nicht nur auf Militär und Geheimdienste, sondern auch auf romantischen Antimilitarismus und Idealismus. Allein die Szene, in der Cabal mit der jungen Adligen Tee trinkt, ist absolut hinreißend.

Ein wenig ungewöhnlich fand ich das Kapitel „Das Grab von Umtak Ktharl“, eine angehängte Episode von etwa dreißig Seiten am Ende des Buches, wo die Geschichte bereits zu Ende ist. Nicht, dass dieses kurze Anhängsel nicht ebenfalls lesenswert wäre, es steht nur in keinem direkten Zusammenhang zur Handlung des eigentlichen Buches und führt auch nicht zu einem endgültigen Abschluss im Sinne von „nun ist Johannes wieder zu Hause“. Deshalb frage ich mich, warum sie in diesem Band enthalten ist. Vielleicht gibt die Fortsetzung darauf eine Antwort. Ich bin jetzt schon gespannt.

_Jonathan L. Howard_ lebt in Bristol ist seit 1990 ein fester Bestandteil in der Branche Computerspiele, außerdem schreibt er Drehbücher. 2005 erschien seine erste Kurzgeschichte „Johannes Cabal and the Blustery Day“, und nach einer weiteren Kurzgeschichte folgte der erste Band einer Romanreihe über seinen ungewöhnlichen Helden. Der Autor arbeitet zurzeit an Band drei.

|Taschenbuch: 413 Seiten
Originaltitel: Johannes Cabal the Detective
Deutsch von Jean-Paul Ziller
ISBN-13: 978-3442470341|
[www.johannescabal.com]http://www.johannescabal.com

Heitmann, Tanja – Nachtglanz

In vielen Vampirbüchern spielt eine hübsche, meist etwas naive junge Frau die Hauptrolle. Die deutsche Autorin Tanja Heitmann geht einen anderen Weg. Im Mittelpunkt von „Nachtglanz“ steht keine Frau, sondern ein Mann, der von einem Dämonen besessen ist. Doch Adam, so sein Name, hat nicht vor, den letzten Rest seiner Menschlichkeit aufzugeben …

Im 19. Jahrhundert wacht Adam in einer Gasse in Paris auf und weiß weder, wer er ist noch woher er kommt, doch eines weiß er sicher. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht – und eine innere Stimme spricht mit ihm und will ihm befehlen, was er tun soll. Und er hat Hunger. Auf Blut. Adam stellt schnell fest, dass er nicht der Einzige ist, der als „Tempel“ für einen Dämon dient. Es gibt einige seiner Art. Während ihnen allen die Unsterblichkeit und der Blutdurst gemeinsam sind, hat jeder von ihnen eine besondere Eigenschaft. Bei Adam ist es die, dass der Dämon sich seiner nicht völlig bemächtigen kann, sondern dass Adams Menschlichkeit erhalten bleibt und den Dämon häufig in seine Schranken weist.

Fast hundert Jahre später, in den 1960ern, wird er nach Los Angeles beordert. Mittlerweile hat er sich einen Namen darin gemacht, solche Leute, die den Dämonen in sich haben und ihn nicht genügend beherrschen können, zu vernichten. Genau eine solche Person sucht gerade L.A. heim und hinterlässt eine Spur aus blutleeren Leichen. Bei seinem Auftrag lernt er die geheimnisvolle Esther kennen. Sie ist ein normaler Mensch und Angestellte des intriganten Anders, der bei Adams Anheuerung zwielichtige Hintergedanken hatte. Adam verliebt sich in Esther, obwohl das in Anbetracht seines immer hungrigen Dämons ein ziemliches Wagnis ist …

Tanja Heitmanns Buch überrascht auf ganzer Linie. Aufgrund des Titels und des Klappentextes erwartet man eher einen Schmachtfetzen im Stil von „Twilight“, aber „Nachtglanz“ ist wesentlich mehr. Natürlich spielt auch die Liebe eine gewisse Rolle, doch die Autorin beschreibt die Annäherung zwischen Adam und Esther frei von Kitsch. Vielmehr rückt sie die kaputten Charaktere der beiden in den Vordergrund und zeigt, wie sie trotz dieser Probleme zueinander finden. Gleichzeitig hat die Geschichte auch eine starke Thrillerkomponente. Die Mordserie, die Adam aufzuklären hat, bringt an den richtigen Stellen einen Schuss Spannung und fesselt dank diverser Verwicklungen.

Was jetzt noch von der Handlung überbleibt, füllt die Autorin mit Adams Vorgeschichte und einer ausführlichen Beschreibung seiner Persönlichkeit. Auch hierbei verzichtet sie auf alle gängigen Klischees. Adam ist kein erotischer Verführer und auch kein blutrünstiges Monster, sondern ein sehr sensibler, innerlich zerrissener Mann. Der ständige Kampf gegen den Dämonen in sich macht ihn zu einem sehr facettenreichen, interessanten Charakter, mit dem man sich schnell identifizieren kann. Seine Handlungen und Gedanken sind gut nachvollziehbar und werden von der Autorin anschaulich aufbereitet.

Heitmanns Schreibstil ist ebenfalls eine kleine Überraschung. Sie schreibt weder reißerisch noch wie in einem typischen Frauenroman, sondern sehr belletristisch. Mit einem gehobenen, unaufgeregten Wortschatz lässt sie eine düstere, traurige Atmosphäre entstehen, die perfekt zu ihrer Hauptperson passt. Die distanzierte Erzählperspektive erhöht diesen Effekt zusätzlich.

Es gibt keine richtigen Vampire in der Geschichte, keine kitschige Romanze – „Nachtglanz“ ist bei weitem nicht das, was man erwartet. Bereits nach den ersten Seiten wird dank des tollen Schreibstils klar, dass Tanja Heitmanns Geschichte ein anderes Kaliber ist. Eine interessante Hauptfigur, eine spannende Handlung – dieses Buch ist definitiv eine Empfehlung wert!

|Gebunden: 477 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-26642-1|
http://www.tanja-heitmann.de
http://www.heyne.de

Levy, Marc – erste Tag, Der

_Keira ist Archäologin_ und leitet eine Ausgrabungsstätte in Äthiopien, wo sie hofft, den ersten Menschen zu finden. Als ein Sandsturm die Ausgrabungsstätte zerstört, ist sie gezwungen, diese vorerst aufzugeben und in ihre Heimat Paris zurückzukehren.

Wieder in Paris, zieht sie bei ihrer Schwester Jeanne ein. Als sie diese an ihrem Arbeitsplatz, dem Museum Quai Branley – dem französischen Nationalmuseum für nichteuropäische Kunst – besucht, wird Professor Ivory, der ebenfalls dort arbeitet, auf den Anhänger aufmerksam, den Keira als Kette trägt. Diesen hat Keira von ihrem Schützling Harry in Äthiopien geschenkt bekommen, nachdem Harry ihn in einem erloschenen Vulkan gefunden hat.

Da auch Keira das Material und das Alter des Anhängers unbekannt ist, stimmt sie Ivory zu, diesen untersuchen zu lassen. Ivory erzählt Keira außerdem die Legende von Tikkun Olam, vom „Reparieren der Welt“: Einst ist die Welt in mehrere Stücke getrennt worden, und es ist die Aufgabe eines jeden, die fehlenden Teile zu suchen, um die Welt, in der wir leben, wieder perfekt zu machen …

Das Alter und auch das Material ist nicht bestimmbar und gibt Rätsel auf. Allerdings scheint Ivory mehr zu wissen, als er zugibt. Keira ist entschlossen, ihre Arbeit in Äthiopien wieder aufzunehmen und bewirbt sich mithilfe von Jeanne um den Förderpreis der Walsh-Foundation.

Adrian ist Astrologe und auf der Suche nach dem ersten Stern. Nach einem Unfall auf dem Plateau der Atacama-Wüste in Chile ist er gezwungen, vorerst wieder in seinen Heimat London zurückzukehren und seinen Posten an der Universität wieder aufzunehmen.

Einer seiner Vorgesetzen, Walter, tritt mit der Bitte an ihn heran, sich um den auf zwei Millionen Pfund ausgesetzten Preis der Walsh-Foundation bewerben zu dürfen. Der Akademie ginge es finanziell sehr schlecht und eine Spende in dieser Höhe käme gerade recht. Walter sichert Adrian zu, ein Viertel für seine Forschung erhalten zu wollen. Adrian willigt ein, und er und Walter beginnen mit den Vorbereitungen der Präsentation. Während der gemeinsam verbrachten Zeit entsteht eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden.

Auf der Tagung der Walsh-Fondation begegnen Adrian und Keira sich – nicht das erste Mal. Bereits während Keiras Studium waren Adrian und Keira ein Paar. Nach der Tagung verbringen Adrian und Keira eine gemeinsame Nacht. Morgens ist Keira verschwunden, nur der geheimnisvolle Anhänger bleibt Adrian. Nach einem sonderbaren Vorfall während eines Gewitters, dessen Zeuge auch Walter wird, wollen beide hinter das Geheimnis des Steins kommen. Plötzlich werden sie verfolgt und Adrian trifft auch auf Ivory, der ihm rät, Keira aufzusuchen.

Bei dem Besuch in Äthiopien, auf der Suche nach der Fundstelle des Steins, kommt es zu einem Unfall, der Adrian und Keira zwingt, wieder nach Europa zu reisen. Die Suche nach dem Geheimnis führt Adrian und Keira durch verschiedene Kulturen und Länder, immer verfolgt von einer Organisation, die verhindern will, dass dieses Geheimnis gelüftet wird.

_Kritik_

Der für romantische Liebesgeschichten bekannte Marc Levy, hat mit „Am Ersten Tag“ etwas für ihn völlig Neues geschaffen. Der Autor erzählt eine Liebesgeschichte, die sich mit den fundamentalen Fragen der Menschheit nach dem Beginn allen Seins beschäftigt.

„Am ersten Tag“ ist romantisch, mystisch und sehr spannend geschrieben. Der Autor bedient sich dabei eines flüssigen, leicht zu lesenden Schreibstils und baut vom Anfang der Geschichte bis zum Ende einen Spannungsbogen auf, der den Leser fesselt und nicht mehr loslässt. Die Orte der Handlung beschreibt Marc Levy detailliert und ausreichend ausführlich. Die Mischung aus Liebesgeschichte, wissenschaftlichem Roman, Kulturgeschichte und Thriller ist außergewöhnlich. Die verschiedenen Genres verwebt der Autor mit scheinbarer Leichtigkeit, viel Gefühl und atemloser Spannung.

Anfangs wechselt die Perspektive, aus welcher der Roman präsentiert wird. Kapitelweise wird die Geschichte Adrians aus dessen Sicht und die Geschichte Keiras aus der Perspektive eines Beobachters erzählt. Ebenso gibt es Kapitel, in denen eine Organisation zu Wort kommt, deren Motivation es ist, das Geheimnis des Anhängers zu schützen und die Nachforschungen von Adrian und Keira zu sabotieren. Die Geschichte der Gegenspieler wird auch aus der Sicht eines Beobachters geschildert. Mit dem Zusammentreffen der beiden Protagonisten Adrian und Keira wird dann die Geschichte der beiden aus der Sicht von Adrian weitererzählt. Dieses Zusammenspiel der verschiedenen Perspektiven macht es dem Leser leicht, die Entscheidungen und Handlungen der Charaktere nachzuvollziehen.

Zu bemängeln ist lediglich, dass der Leser am Ende des Romans nicht schlauer ist als am Anfang. Nicht ein Rätsel ist annähernd gelöst, stattdessen stellen sich dem Leser noch mehr Fragen. Der Roman schließt dann mit einem Cliffhanger, der das Warten auf den nächsten Teil „Die erste Nacht“ schon fast qualvoll macht.

Die Protagonisten sind lebendig und vielschichtig konzipiert. Ein jeder hat eine eigene Motivation, die ihn antreibt. Keira zeigt sich zielbewusst und wird von ihrem Traum, den ersten Menschen zu finden, angetrieben. Manchmal ist sie sehr stur und nicht bereit, sich auf die Menschen in ihrer Umgebung einzulassen, sie kann aber auch eine sehr gefühlsbetonte Frau sein. Adrian ist von beiden trotzdem der Sympathischere, er geht auf alles offen zu und zeigt sich einem Abenteuer nicht abgeneigt. Auch kämpft er mit viel Gefühl um Keira, die er wirklich liebt. Auch die Menschen in ihrer nahen Umgebung sind sympathisch und ansprechend gezeichnet. Zum Schmunzeln hat mich besonders Adrians Familie in Griechenland gebracht, denn diese wird dargestellt, wie man sich die familienbewussten und lebhaften Griechen vorstellt. Die Beziehungen der Charaktere untereinander sind realistisch und nachvollziehbar.

Das Cover ist sehr schön und mit einem Touch Mystik gestaltet. Es zeigt eine in goldenes Licht getauchte afrikanische Landschaft. Im Vordergrund eine Frauenhand, die einen wehenden Schleier in der Hand hält.

_Fazit_

Mit „Am ersten Tag“ ist Marc Levy ein mystischer Abenteuerroman gelungen, der sich deutlich von seinen bisherigen Veröffentlichungen abhebt. Der Leser bekommt eine fesselnde Geschichte präsentiert, die den Leser kaum loslässt. Typisch für Marc Levy, kommt auch die Liebe nicht zu kurz, wird aber nicht in den Vordergrund gestellt.

Lesern von Romanen wie „Indiana Jones“ oder „Sakrileg“ und Fans des Autors Marc Levy ist dieses Buch unbedingt zu empfehlen. Vielleicht sollte man allerdings warten, bis der zweite Teil „Die erste Nacht“ Ende November erscheint, um das Warten auf die Fortsetzung möglichst kurz zu halten.

_Autor_

Marc Levy ist 1961 in Frankreich geboren. Mit achtzehn Jahren engagiert er sich beim französischen Roten Kreuz, für das er sechs Jahre tätig ist. Gleichzeitig studiert er Informatik und Betriebswirtschaft an der Universität in Paris. Von 1983 bis 1989 lebte er in San Francisco, wo er sein erstes Unternehmen gründete. 1990 verließ er die Firma und eröffnete mit zwei Freunden ein Architektenbüro in Paris. Er entdeckte schon früh seine Liebe zur Literatur und zum Kino und schrieb mit siebenunddreißig Jahren seinen ersten Roman, „Solange du da bist“, der von Steven Spielberg verfilmt und auf Anhieb ein Welterfolg wurde. Seitdem wird Marc Levy in zweiundvierzig Sprachen übersetzt, und jeder Roman ist ein internationaler Bestseller. Marc Levy, der mit seiner Familie in New York lebt, ist mit 20.000.000 verkauften Büchern der erfolgreichste französische Autor weltweit. (Verlagsinfo)

|Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 480 Seiten
Originaltitel: Le premier jour
Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn, Bettina Runge
ISBN: 978-3-7645-0373-4|
[www.randomhouse.de/blanvalet]http://www.randomhouse.de/blanvalet

_Marc Levy bei |Buchwurm.info|:_
[„Solange du da bist“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3325
[„Kinder der Hoffnung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5190

_Nadine Warnke_

Ian Fleming – James Bond 007: Goldfinger

Der unheimliche Mr. Goldfinger plant die Goldreserven der westlichen Welt in seinen Besitz zu bringen. Sein Plan ist ebenso kühn wie genial, so dass es schon eines James Bond bedarf, um das Handwerk zu legen … – Das siebte 007-Abenteuer gehört zu den Besseren der Serie; der Plot ist spannend, die Figuren sind exotisch und lebendig. Dass die Handlung über weite Strecken auf (allzu) bewährte Strickmuster zurückgreift und in einem grotesken Finale endet, lässt sich verschmerzen.
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Lyne, Charlotte – Glencoe

_Glenlyon, 1678:_ Auf dem Begräbnis der hochgeachteten Jean Campbell, taucht Alasdair „Sandy Og“ MacDonald auf, um seine im Würfelspiel gewonnene Braut Sarah zu fordern. Sarahs Onkel Robert Campbell of Glenlyon verweigert Sandy Og die ihm versprochene Braut und so sieht Sandy Og sich gezwungen Sarah zu entführen.

Beide sind Außenseiter ihres Clans, für den jeweils anderen aber das Größte. Trotz ihrer tiefen Liebe zueinander, machen Sandy Og und Sarah sich das Leben oft schwer, da sie kaum die richtigen Worte füreinander finden.

Nach zwölf Ehejahren und einem gemeinsamen, leder verkrüppelten Sohn, fühlt Sarah sich noch nicht heimisch in Glencoe. Das Ehepaar macht es sich gegenseitig nicht leicht. Schweigen führt hier zu schwerwiegenden Missverständnissen. Von den anderen Clanmitgliedern fühlt sie sich nicht beachtet und oft ausgeschlossen.

Sandy Og hingegen muss seinen eigenen Kampf ausfechten, er jagt Zeit seines Lebens dem Vorbild seines Vaters, dem MacIain von Glencoe und seinem Bruder John, dem Nachfolger seines Vaters nach.

In dieser Zeit bahnen sich auf der politischen Bühne Englands große Ereignisse an, König James muss nach Frankreich fliehen, da seine Tochter Mary und ihr Ehemann William von Oranien ihm den Thron streitig machen.

Die schottischen Clans müssen sich nun entscheiden, wem sie die Treue halten, König James oder William von Oranien. Da sie durch einen Eid an König James gebunden sind, folgen sie dem Aufruf des Königs gegen William in den Krieg zu ziehen und es kommt zu der Schlacht in Killiecrankie. Sandy Og ist daher gezwungen, mit seinem Vater in den Krieg zu ziehen und macht sich in der Schlacht einen Namen.

Auf dem Rückweg nach Glencoe plündern die MacDonalds das Land von Robert Campbell of Glenlyon und stehlen sein Vieh. Der zu diesem Zeitpunkt finanziell schon schwer angeschlagene Robert muss nun, um seine Familie zu ernähren, das Armeekommando auf Fort William übernehmen.

Die Ereignisse spitzen sich immer mehr zu und William bietet den Clans eine Amnestie hinsichtlich ihrer Teilnahme am Aufstand an. Die durch Eid gebundenen schottischen Clans müssen sich nun entscheiden, wem sie die Treue halten.

_Kritik_

Mit |Glencoe| hat die Autorin Charlotte Lyne bereits ihren vierten historischen Roman geschrieben und die Messlatte recht hoch angelegt. In |Glencoe| erzählt die Autorin, über einen Zeitraum von drei Jahren, wie es zu dem Massaker von Glencoe gekommen ist, politische Ränke und auch persönliche Zerwürfnisse spielen hierbei eine große Rolle. Dies alles ist realitätsnah und einleuchtend erzählt.

Mit einem bildgewaltigen und sehr einfühlsamen Schreibstil, führt die Autorin den Leser in die schottischen Highlands. Charlotte Lyne beschreibt die Landschaft so greifbar in ihrer wilden, schroffen und kantigen Schönheit, dass der Leser fast meinen möchte, dies alles vor Augen zu sehen. Auch ist der Stil der damaligen Sprache wundervoll angepasst und dennoch gut zu lesen und zu verstehen.

Zwar nimmt die Geschichte um Sarah und Sandy Og einen großen Teil des Romans ein, diese wird aber raffiniert mit den politischen Entwicklungen und den Absichten der weiteren Personen verwoben. Der Leser hat daher die Chance, dies alles zu verfolgen und so entsteht ein stimmiges Gesamtbild der damaligen Ereignisse.

Nach der Entführung Sarahs kommt es zu einem Zeitsprung von einigen Jahren, so dass der Leser kaum Anteil an der Entwicklung der Beziehung zwischen Sarah und Sandy Og hat, diese bekommt der Leser dann häppchenweise als Rückblicke serviert. Die Gedanken der beiden zueinander sind gefühlvoll, teilweise fast poetisch beschrieben, schade, dass sich beide mit ihrem Wesen da oft im Wege stehen und es so zu vielen Missverständnissen kommt.

Geschrieben ist der Roman aus den verschiedenen Perspektiven der Protagonisten, so kann der Leser viele getroffene Entscheidungen nachvollziehen. Auch Königen Mary kommt teilweise zu Wort und dem Leser erschließt sich das Leben und Denken dieser Frau.

Die Protagonisten sind allesamt sehr lebendig und realitätsnah beschrieben. Auf den in vielen Romanen gerne beschriebenen, verklärten Naturburschen verzichtet die Autorin und wirkt dadurch umso glaubwürdiger. Mit Fortschreiten der Geschichte wird dem Leser auch anfänglich Unklares immer deutlicher und die Motivation der einzelnen Protagonisten wird dem Leser klargemacht.

Die Beziehungen gerade zu Sarah, die der Auffassung ist, sie würde nicht akzeptiert werden, entwickeln sich, und die Missverständnisse werden nach und nach ausgeräumt. Die stolzen und oftmals sehr sturen Hochländer, machen es sich dabei oftmals sehr schwer.

In einem wunderschönen Einband eingeschlagen, bekommt der Leser auf den Innenseiten des Buchdeckels eine Karte und auch die Kiltmuster der Clans Campbell und MacDonald präsentiert. Anhängend ist ein Personenregister sowie ein Nachwort in den Charlotte Lyne auf die Ereignisse dieser Zeit zu sprechen kommt.

_Fazit_

Charlotte Lyne hat mit |Glencoe| einen gefühlvollen Roman um das Leben, das Lieben und auch das Sterben geschrieben, in dem sie zu erklären versucht, wie es zu solch tragischen Ereignissen wie dem Glencoe Massaker, kommen kann.

|Glencoe| ist kein Roman, der mal eben zwischendurch gelesen werden kann, diese Geschichte braucht Zeit und ist jede Minute dabei wert. Der historisch begeisterte Leser bekommt hier eine Geschichte präsentiert, die historisch korrekt und einzigartig ist.

_Autor_

Charlotte Lyne, geboren 1965 in Berlin, studierte Germanistik, Latein, Anglistik und italienische Literatur in Berlin, Neapel und London. Bevor sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern nach London zog, lebte sie einige Zeit in Glencoe, der schottischen Heimat ihrer Schwiegerfamilie. Charlotte Lyne arbeitet als Autorin, Übersetzerin und Lektorin. (Verlagsinfo)

|Gebundene Ausgab, 640 Seiten
ISBN-13: 978-3431038194|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

_Nadine Warnke_

Larke, Glenda – Wissende, Die (Die Inseln des Ruhms 1)

Die Inseln des Ruhms:

Band 1: „Die Wissende“
Band 2: „Gilfeather“ (noch ohne dt. Titel)
Band 3: „The Tainted“ (noch ohne dt. Titel)

Glut ist ein Mischling und als solcher auf den Ruhmesinseln unerwünscht. Allein die Tatsache, dass sie für die Wahrer arbeitet, sorgt dafür, dass sie zumindest geduldet wird. Als sie jedoch den Auftrag erhält, eine junge Frau aufzuspüren, die ausgerissen ist, gerät ihre Weltsicht schon bald ins Wanken …

Die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive erzählt, daher ist Glut die einzige Hauptperson:

Glut ist zäh, abgebrüht und auch nicht dumm. Deshalb ist ihr durchaus bewusst, dass die Wahrer, allen voran ihr unmittelbarer Vorgesetzter Dasrick, sie benutzen. Sie hofft jedoch, für ihre Arbeit irgendwann die Bürgerrechte zu erhalten, die ihr erlauben würden, irgendwo sesshaft zu werden. Dafür ist sie bereit, nahezu alles zu tun. Zumindest, bis sie Flamme trifft …

Flamme ist eine junge Cirkasin mit der Fähigkeit, Silb-Magie zu wirken, was für eine Cirkasin eher ungewöhnlich ist. Vor allem aber beeindruckt sie Glut durch ihre innere Stärke und ihren Mut sowie ihre ausgeprägte Integrität. Zum ersten Mal empfindet Glut so etwas wie Freundschaft für eine andere Person.

Thor Reyder scheint seinerseits einen Narren an Glut gefressen zu haben. Der meist so ernst wirkende Mann hat durchaus Humor, vor allem aber zeichnet er sich durch eine schier übermenschliche Selbstbeherrschung aus. Binnen kürzester Zeit macht er Glut einen Heiratsantrag, hilft ihr mehrfach aus der Patsche. Dennoch wirkt er manchmal seltsam zugeknöpft, als ob er nicht die ganze Wahrheit sagte.

Dasrick dagegen ist ein absolut unsympathischer Zeitgenosse. Trotz der wertvollen Dienste, die Glut ihm leistet, demütigt er sie immer wieder. Dabei ist er von ihr genauso abhängig wie sie von ihm, denn Dasrick ist ehrgeizig. Und für seinen Ehrgeiz ist er bereit, noch viel weiter zu gehen, als Glut es für die Erlangung der Bürgerrechte jemals täte, nur ist er dabei bei Weitem nicht so ehrlich wie sie, sondern beschönigt sein Tun mit dem Mäntelchen ehrbarer Motive.

Der Bösewicht zu guter Letzt ist ein Dunkelmagier, der offenbar vorhat, die Herrschaft über die gesamten Ruhmesinseln zu übernehmen. Wer er tatsächlich ist und was ihn dazu treibt, wurde bisher nur angedeutet. Offensichtlich jedoch ist er ein Sadist, der es genießt, andere zu quälen, und der seine Helfershelfer rücksichtslos ausnutzt und dann fallen lässt.

Dafür, dass die Nebenfiguren lediglich aus Gluts Sicht beschrieben sind, ist die Charakterzeichnung recht ordentlich geraten. Tatsächlich geht jede der Figuren – mit Ausnahme des Bösewichts – über reine Nachvollziehbarkeit hinaus. Selbst der Antagonist wirkt irgendwie getrieben und dadurch eigenständiger als der reine Typus des machthungrigen Bösewichts, obwohl die Informationen zu seiner Person bisher noch recht dürftig sind.

Die Welt, in die Glenda Larke ihre Geschichte eingebettet hat, wirkt ein wenig wie eine Zwiebel. Die gesamte Handlung spielt an einem Ort, der sich Gorthen-Nehrung nennt. Gorthen-Nehrung ist sozusagen Niemandsland, hierher werden alle vertrieben, die auf den übrigen Inseln unerwünscht sind, vor allem Mischlinge, Verbrecher und Kranke. Im Grunde ist die Nehrung nicht mehr als eine schmale, langgestreckte Sandbank, die an einem einzigen, niedrigen Felsen angeschwemmt wurde.

Um diese Nehrung herum befinden sich noch eine Menge anderer, jeweils autonomer Inseln und Inselchen. Alle zusammen nennen sie sich die Ruhmesinseln. Außerhalb dieser Ruhmesinseln gibt es noch in einiger Entfernung ein Land namens Kell. Aus diesem Land stammt der Ethnologe, der im Rahmen seiner Forschungen Glut nach ihren Erlebnissen befragt. Diese Rahmenhandlung spielt fünfzig Jahre später als Gluts Erzählung.

Besonders interessant fand ich den Entwurf der Magie: Es gibt drei unterschiedliche Arten, die jeweils unterschiedliche Fähigkeiten beinhalten, wobei die Weißbegabung etwas aus der Reihe fällt, denn sie kann nichts bewirken, sondern lediglich andere Magie erkennen. Da die Weißbegabten allerdings gegen die Magie anderer immun sind, bedeutet das unterm Strich, dass die einzelnen Formen der Magie sich einigermaßen ebenbürtig sind. Dadurch werden sowohl ein übertrieben übermächtiger Bösewicht als auch ebenso übertriebene Überhelden vermieden.

Aus diesen magischen und politischen Details hat die Autorin ihren Plot aufgebaut:
Da ist Glut mit ihrer Weißbegabung, die auf der Suche nach einer jungen Frau ist; dann Flamme, mit ihrer Silb-Magie einen jungen Mann heilt, der von einem Dunkelmagier angegriffen wurde; Thor Reyden, der nahezu über alles Bescheid zu wissen scheint; und plötzlich taucht auch noch Dasrick auf mit einem ganzen Schiff voller Wahrer. Dieses Aufgebot scheint für die Suche nach einer Frau etwas übertrieben, und überhaupt, warum hat Dasrick überhaupt Glut hergeschickt, wenn er jetzt selber auftaucht?

Erst allmählich stellt sich heraus, dass hier eine ganze Menge nicht so ist, wie es scheint, von der Hälfte aller Personen über ihre wahren Absichten bis hin zu ihren Mitteln. Und bald ist Glut nicht mehr allein damit beschäftigt, die Ausreißerin zu suchen. Stattdessen ist sie zwischen diverse Fronten geraten und muss sich nicht nur gegen einen Feind behaupten, der ihr ans Leder will, sondern auch noch gegen andere, nicht weniger skrupellose …

Zwar könnte ich nicht sagen, dass ich mir beim Lesen vor Aufregung die Fingernägel abgekaut hätte. Tatsächlich muss ich sogar gestehen, dass ich, als Glut zum wiederholten Mal von den Schergen des Dunkelmagiers eingefangen wird, etwas genervt war. Immerhin aber waren die verschiedenen Ausbrüche und Fluchtversuche unterschiedlich genug, um zumindest etwas Abwechslung zu bieten. Das Faszinierende an diesem Buch war daher weniger steigende Spannung als vielmehr die allmähliche Auflösung von Rätseln und Geheimnissen, wobei die Identität der Ausreißerin recht schnell klar war. Mit am besten gefallen hat mir der Entwurf der Ghemfe, einer fremdartigen Rasse, die offenbar aus dem Meer stammt. In diesem Zusammenhang blieben die meisten Geheimnisse erhalten, was vielversprechende Aussichten für den zweiten Band bedeutet. Auch der Ortswechsel auf eine andere Insel bietet jede Menge neues Potential, und die neue Personenkonstellation am Ende des ersten Bandes sowieso. So ist „Die Wissende“ ein nicht unbedingt spannender, aber abwechslungsreicher Auftakt zu einem Zyklus mit der Aussicht auf Steigerung.

Glenda Larke stammt aus Australien und wollte schon als Kind Schriftstellerin werden. Zunächst kam jedoch eine Heirat und ein Lehrerberuf dazwischen. Bei einem längeren Aufenthalt in Wien kehrte die Lust am Schreiben zurück, seither hat die Autorin den Einzelroman „Havenstar“ sowie die Trilogien The Mirage Makers und The Isles of Glory geschrieben. „Die Wissende“ ist der erste Band der Trilogie Die Inseln des Ruhmes und das erste ihrer Bücher, das ins Deutsche übersetzt wurde. Die Autorin schreibt derzeit an ihrer neuen Trilogie Watergivers, die bisher bis Band zwei gediehen ist.

Taschenbuch: 479 Seiten
Originaltitel: The Isles of Glory 1 – The Aware
Deutsch von Susanne Gerold
ISBN-13: 978-3-442-26760-6

www.glendalarke.com
www.randomhouse.de/blanvalet

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Slaughter, Karin – Entsetzen

_Inhalt_

Special Agent Trent vom Georgia Bureau of Investigations, das Ähnlichkeit mit dem staatlichen FBI besitzt, aber in diesem Fall nur auf Landesebene verantwortlich ist, ist ein erfolgreicher Beamter mit eigenwilligen Methoden und einem Sinn für Details, die andere vielleicht übersehen.

Trent ist Legastheniker, und damit sind geschriebene Sätze für ihn meist ein kompliziertes Rätsel, das er nur angestrengt und hochkonzentriert zu lösen vermag. Doch im Alltag und auch in seinem Beruf weiß sich der intelligente Beamte zu helfen. Ein kleines digitales Diktiergerät in seiner Anzugtasche ist sein ständiger, hilfreicher Begleiter. Auf einfache Notizblöcke verzichtet er.

Auf seinem Computer im Büro hat er sich eine Spracherkennungssoftware installiert, die er für seine Berichte benutzt. Bisher konnte er all das verschleiern, seine direkte Vorgesetzte weiß von seiner Behinderung, doch er steht unter ihrem Schutz, denn sie weiß, über welche Talente er verfügt.

In Polizeikreisen ist Will Trent nicht unbedingt beliebt. Als interner Ermittler spielte er immer alleine auf seiner persönlichen Bühne, und nun, nach seiner letzten Ermittlung, bei der er gegen korrupte Kollegen ermittelte, ist sein Ruf nicht gerade gestiegen. Den Stempel eines Verräters in den eigenen Reihen wird man nicht mehr so schnell los.

Doch in seinem nächsten Fall bekommt er eine Partnerin an die Seite, eine junge Frau im Rang eines Detective des Atlanta Police Departments. Ihre Mutter wurde durch die Ermittlungen von Trent vom Dienst suspendiert und später entlassen. Trent und Faith ermitteln in einem mysteriösen Fall, der Fragen aufwirft, die sich bisher keiner erklären kann.

Als Abigail Compano von einer Tennisstunde nach Hause kommt, eröffnet sich ihr ein grausames Bild. Ihre Tochter liegt voller Blut und mit verdrehten Gliedern tot vor ihr. Ein junger Mann stürzt auf die verschreckte Mutter zu, panisch und voller Angst wehrt sich die junge Frau gegen den vermeintlichen Mörder ihrer Tochter. Mit den Waffen einer verzweifelten Frau in Todesangst wehrt sie sich und es gelingt ihr, den jungen Mann mit ihren eigenen Händen zu erwürgen.

Als Trent und Faith Mitchell mit ihren Ermittlungen beginnen, ist nichts so, wie es scheint. Der junge Mann war scheinbar nicht der Mörder. War er eventuell ein Freund der getöteten jungen Frau, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war und helfen wollte, oder hatte er doch etwas mit der grausamen Tat zu tun?

Als der gerichtliche Pathologe die Leiche der jungen Frau untersucht, wird schnell klar, dass das ermordete Mädchen nicht die Tochter von Abigail und Paul Compano ist. Aber wo ist Emma nun? Wer hat sie entführt?

Für Will Trent und Faith Mitchell wird es ein Kampf gegen die Zeit. Zusammen ermitteln sie in diesem undurchsichtigen Mordfall. An der Highschool und der Technischen Universität in Atlanta konzentrieren sich ihre Ermittlungen auf Freunde und Mitschüler der beiden toten Schüler …

_Kritik_

Karin Slaughter schubst Will Trent in einen komplizierten, mysteriösen Fall, der die Leser in einen spannenden Thriller katapultiert. Nichts ist, wie es scheint, immer wieder summieren sich die Details zu einem wirren Schachbrett, auf dem jeder Schachzug wiederum eine neue Perspektive wiedergibt.

„Entsetzen“ ist ein gut gewählter deutscher Titel für diesen Roman. Karin Slaughter schreibt nicht nur spannend, sondern auch so emotional, dass der Leser sich mit den Ängsten und den Hoffnungen der Protagonisten mehr als gut identifizieren kann. Die Ängste der Eltern und die Verzweiflung der Mutter, die in Notwehr den jungen Mann getötet hat, der wahrscheinlich nur verstört und verletzt selbst nach Hilfe suchte. Oft wird sich der Leser fragen: Was ist nun Realität und was kann nur verwirrende Fiktion sein? Wer lügt oder verschleiert die Wahrheit? Der Grat zwischen Wahrheit und Betrug ist nur ein schmaler Strich. Was übrig bleibt, ist ein nebeliger Sumpf, der dem Leser nur die finstersten Abgründe präsentiert.

Der Roman entwickelt sich recht langsam, oder sagen wir besser: die Autorin lässt die Handlung wohlüberlegt aufbauen, und so wird das Buch von Seite zu Seite packender und mysteriöser.

Die Protagonisten hat die Autorin Karin Slaughter sorgfältig konzipiert. Special Agent Will Trent ist der klassische Antiheld, der aber sympathisch und nicht ohne Schattenseiten seiner Persönlichkeit auftritt. Nicht nur sein berufliches Umfeld gleicht einem Minenfeld, auch in seiner Vergangenheit und seiner gegenwärtigen privaten Umgebung stellt sich ihm die eine oder andere Herausforderung.

Mit seiner neuen Partnerin Faith Mitchell muss sich der Einzelgänger zusammenraufen. Faiths Mutter, auch eine Polizistin, wurde durch die Ermittlungen Trents gezwungen, ihre Karriere zu beenden. Etwas, was Faith nicht versteht, bzw. von dem sie nur die eine Seite der Medaille kennt, und nun ist sie gezwungen, mit dem Mann zusammenzuarbeiten, der das Leben ihrer Mutter zum Negativen verändert hat.

Viele einzelne verwendete Faktoren bilden einen hervorragenden Roman, der sich auf die Charaktere konzentriert und so die Geschichte realistisch widerspiegelt. Aufs Penibelste ausgewogen, überlässt die Autorin nichts dem Zufall.

Es gibt nicht viele Nebenhandlungen, der Roman konzentriert sich auf die Ermittlungsarbeit und der Leser wird es als erholsam erachten, wenn Will sich zu Hause mit seiner Freundin austauscht oder Faith an der Beziehung zu ihrem Sohn feilt, der auch an einer der Universitäten studiert.

Das Zusammenspiel von Will Trent und Faith Mitchell ist alles andere als einfach. Doch die Dynamik des Duos überzeugt, es sind beides Charaktere, die innerlich sensibel und nach außen hin hart agieren. Ihre Vergangenheit spielt im Grunde keine Rolle, doch für die Entwicklung der beiden zu einer ermittlerischen Einheit ist diese unbedingt von Bedeutung.

_Fazit_

„Entsetzen“ von Karin Slaughter ist ein emotionaler Thriller, der durch Menschlichkeit kristallklar überzeugt. Atemlose Spannung, komplexe Charaktere und eine dynamische Handlung, die immer wieder Überraschungen bereithält, versprechen großartiges Kopfkino.

„Entsetzen“ ist der zweite Roman um den Ermittler Will Trent, aber nicht der letzte. Ich freue mich darauf, bald mehr von dem Duo Trent und Mitchell zu lesen.

Der Name Karin Slaughter ist schon längst Garant für spannende Unterhaltung, und doch schafft sie es mit diesem Roman erneut, sich zu steigern.

_Karin Slaughter bei |Buchwurm.info|:_
[„Dreh dich nicht um“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1083
[„Belladonna“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1881
[„Vergiss mein nicht“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2402
[„Schattenblume“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2434
[„Schattenblume“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2434
[„Gottlos“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3875

Philip Sington – Das Einstein-Mädchen

Romane, die die Grenze zwischen Realität und Fiktion aufweichen, haben immer einen besonderen Reiz. Dies trifft auch auf Philip Singtons Roman „Das Einstein-Mädchen“ zu. 1986 wurde erstmals eine bis zu diesem Zeitpunkt geheime Korrespondenz zwischen Albert Einstein und seiner ersten Frau Mileva Marić öffentlicht. Daraus geht hervor, dass ein Jahr vor der Hochzeit der beiden eine Tochter zur Welt kam, über deren Schicksal bis heute zu gut wie nichts bekannt ist.

Genau hier setzt Philip Sington mit seinem Roman an, dessen Geschichte damit beginnt, dass 1932 in einem Wald in Berlin eine bewusstlose junge Frau gefunden wird. Als sie aus dem Koma erwacht, erinnert sie sich an nichts, und da niemand die Frau kennt, wird sie von der Presse zunächst einmal „Einstein-Mädchen“ getauft – schließlich fand sich in ihrer Manteltasche der Programmzettel eines Vortrags von Albert Einstein.

Philip Sington – Das Einstein-Mädchen weiterlesen

Pauls, Alan – Geschichte der Tränen

_Inhalt_

Er ist ein seltsames Kind, im wahrsten Sinne des Wortes ganz Ohr. Er ist so sehr Ohr, dass alle ihm ihr Herz ausschütten, ihm, dem Knaben, der still da sitzt und mit seinen Autos spielt. Was findet da nicht alles den Weg an den Löckchen vorbei in den kleinen Kopf: Die Fantasien des patriarchalischen Großvaters, einfach alles hinzuwerfen. So ziemlich jeder Gedanke, der dem abtrünnigen Vater (er verließ die Mutter früh) jemals durch den Kopf ging. Die Hoffnungen, Ängste, Träume von Mutter, Großmutter, Hausmädchen. Von Zufallsbekanntschaften.

Der Junge liebt Superman, aber nicht, weil er alles kann, sondern weil er eben nicht alles kann: Er liebt Superman wegen des Kryptonits. Er empfindet Frieden, Glück, Tiefe nur im Schmerz, er IST quasi die Inkarnation der neuen Empfindsamkeit voller heißer Tränen für alles, und zwar so sehr, dass er sie bei anderen nicht dulden kann, so schal und verlogen fühlt sie sich dann an.

Es ist eine seltsame Welt, in der er im Argentinien der 70er Jahre heranwächst, eine Welt voller Soldaten: Soldaten wohnen um ihn herum in seiner Straße, der Ortega y Gasset (die wohl nicht umsonst so heißt), und gemahnen ihn in ihrer Uniformität an Außerirdische. Nichtsdestotrotz sind sie ein Stück Normalität, ebenso, wie es für den Heranwachsenden Normalität ist, linke Politliteratur zu lesen, sich in marxistische Wut hineinzusteigern. Als diese Welten sich allerdings verbinden, zuspitzen, ihre Kombination ein explosives Gemisch ergeben, was er erst versteht, als er im Fernsehen vom Putsch in Chile 1973 erfährt, während dem Präsident Salvador Allende das Leben verliert, muss er sich mit der Welt in seinem Kopf und mit seinem Blick auf das große Ganze neu arrangieren.

_Kritik_

Der Protagonist in Alan Pauls kurzem, wenn auch heftigem Buch ist jung, so jung, dass das Meiste, was geschieht, nicht ihm direkt geschieht, sondern ihm erzählt wird, gezeigt, nahegebracht. Die harten Geschehnisse der Gegenrevolution dringen wie durch Watte zu ihm durch, und gleich dem Kind mit dem Umhang und der absurden Brille auf dem Cover kämpft er vor allem mit Gedankengestalten. Als die Realität in sein Konstrukt einbricht, fehlen ihm zum ersten Mal die Tränen. Das ist absolut bitter, aber grandios verfasst.
Zwar ist diese – tja, sagen wir: Novelle – nur 142 Seiten lang, aber das heißt nicht, dass man sie nebenher weg liest wie nichts. Gegenteilig erfordern Pauls‘ Sätze, kantisch anmutend, wie sie sich über halbe Seiten erstrecken, höchste Konzentration.

Innenansicht, Gefühl, Gedanke, Assoziation umspannen winzige Teilchen harter Fakten, und man muss höllisch aufpassen, dass die einem nicht entgehen. Pauls hat sicher nicht von ungefähr einen kindlichen Protagonisten erschaffen, dem es schwerfällt, das Geschehen mit der Realität in seinem Kopf in Verbindung zu bringen; der nachdenkliche Junge mit dem Hang zu Tränen, ist das perfekte Medium, um Unsicherheit und Unverständnis zu transportieren über etwas, das den Verstand und das Empfinden von Richtig und Falsch übersteigt.

_Fazit_

Das ist gar nicht mal so einfach. Die „Geschichte der Tränen“ ist ganz sicher nicht etwas für jedermann. Es ist es treffendes, schmerzliches kleines Stück Literatur und Geschichte, allerdings ganz sicher nicht in der einfachsten Verpackung. Es möchte richtig behandelt und bedacht sein, und es liegt schwer im Magen.

Versucht es einfach. Geschichten über neue Empfindsamkeit in einer Militärdiktatur findet man schließlich nicht alle Tage. Und wenn es nicht klappt, dann dürfte tröstlich sein, dass die Erzählung nicht gerade leicht zugänglich ist.

Ich wage die Prognose, dass dieses Buch, hoch gelobt von verschiedensten Intellektuellen, an der breiten Masse mehr oder minder gänzlich vorbeigehen wird. Eigentlich schade, denn es beinhaltet Zunder.

|Gebundene Ausgabe: 142 Seiten
Originaltitel: Historia del llanto
Aus dem Spanischen von Christian Hansen
ISBN-13: 9783608937107|
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Jens Lossau – Nordseeblut

Inhalt

Albert Rothmann hat zwei Bücher geschrieben: Eines wurde von den Kritikern verrissen und verkaufte sich hervorragend, das andere wurde hochgelobt und lag wie Blei in den Regalen. Nun befindet der Autor sich in einer Schaffenskrise, und der lange, kalte, deprimierende Winter droht im Städtchen Norden, direkt am Meer. Eine solche Umgebung |kann| unter diesen Voraussetzungen eigentlich nur jeden fruchtbaren Gedanken absorbieren.

Albert beobachtet zufällig ein paar Halbwüchsige in ihrem Versteck und beschließt, sich mit ihnen die Zeit zu vertreiben und dabei vielleicht neue Ideen zu sammeln. Aus den Tiefen seiner Erinnerung kramt er ein Ungeheuer hervor, Wengry, das er auf die Jungen hetzt.

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Bolaño, Roberto – Chilenisches Nachtstück

Letztes Jahr erschien posthum „2666“ von Roberto Bolaño. Vom Verlag als „Jahrhundertroman“ gepriesen, kommt er auch wie ein Backstein daher – über eintausend Seiten, die erst einmal erobert werden wollen. Wer sich als Leser zunächst lieber eine kleinere Dosis Bolaño verabreichen möchte, dem sei sein „Chilenisches Nachstück“ empfohlen, ein schmaler Band, der aber unbedingt neugierig auf mehr macht. Schließlich kam der 2003 verstorbene Bolaño ohnehin erst spät zu literarischem Ruhm, es gibt also noch einiges zu entdecken!

Das Nachtstück liest sich wie ein Fiebertraum, denn das ist es auch. Es handelt sich um die fiebrigen Gedanken des Sebástian Urrutia Lacroix kurz vor dessen Tod. Im Bett liegend und Gevatter Tod praktisch schon im Zimmer sehend, wehrt er sich vehement gegen die Vorhaltungen des in der zukünftigen Erzählung immer wieder auftauchenden vergreisten Grünschnabels, offensichtlich eine Personifikation des Gewissens Lacroix’. Als Priester, Dichter und Literaturkritiker hat er sich immer der Wahrheit verpflichtet gefühlt, versichert er zunächst überzeugend, denn „der Mensch hat die moralische Verpflichtung, sich für seine Handlungen verantwortlich zu erklären“. Das klingt zunächst edel und bewundertswert, doch stellt sich bald heraus, dass Lacroix es mit seinen hehren Moralansprüchen selbst nie so genau genommen hat.

Zunächst lässt er jedoch sein Leben Revue passieren: Wie er nämlich als junger Priester und Autor in spe den Literaturkritiker und -förderer Farewell kennenlernt, in seinem Einflussbereich ungefähr vergleichbar mit einem chilenischen Reich-Ranicki. Von Farewell wird er in die literarischen Zirkel eingeführt, er lernt Pablo Neruda kennen und versucht sich an ersten Literaturkritiken, die er von nun an regelmäßig in der Zeitung veröffentlichen soll, bis er sich selbst den Ruf eines einflussreichen Kritikers erarbeitet hat.

Episodenhaft werden dann verschiedenen Stationen in Lacroix’ Leben geschildert: Wie er Europa bereist, um heraus zu finden, wie man Gotteshäuser vor Taubenscheiße schützen kann, wie er sich an Lyrik probiert. Und es geht um den Literaturbetrieb, immer und immer wieder. Schließlich wird die Erzählung jedoch in den Ereignissen der späten 70er Jahre kulminieren – in der Regierung Allendes und dem darauffolgenden Putsch durch die Militärjunta Pinochets. Solcherart weitgreifende politische und gesellschaftliche Ereignisse sind jedoch nur ein Ärgernis für Lacroix. Als Allende an die Macht kommt, verweigert er sich dem gesellschaftlichen Umsturz quasi durch innere Emigration: Er liest die Griechen: „Allende fuhr nach Mexiko und zu den Vereinten Nationen in New York, und es geschahen mehr Attentate, und ich las Thukydides.“ So geht das seitenweise – es spielen sich politische Umbrüche ab und unser Priester vergräbt sich in jahrtausendealten Schriften, anstatt am historischen Moment vor seiner Haustür teilzuhaben.

Als dann Pinochet an die Macht kommt, wird er von der Junta als Lehrer für Marxismus engagiert, denn Pinochet will lernen, seine Feinde besser einzuschätzen. Lacroix fügt sich, freut sich über das Kompliment ein guter Pädagoge zu sein und findet Pinochet „überaus reizend“. Seiner Aufgabe geht er nach, ohne die Hintergründe zu hinterfragen als ginge es einzig um Wissensanreicherung zur Erbauung der Teilnehmer.

Sein Ausflug in politische Sphären ist nur scheinbar von kurzer Dauer. Während der Diktatur, als eine strenge Ausgangssperre verhängt wird, treffen sich die Intellektuellen von Santiago bei Maria Canales, einer angehenden Schriftstellerin, die ihr Wohnzimmer in einen Salon verwandelt, wo sich mehrmals wöchentlich Schriftsteller und Maler über Kunst, Literatur und Kultur im allgemeinen auslassen. Nur zufällig verschlägt es einen der stark angeheiterten Gäste in den Keller des Wohnhauses, wo er eine gefesselte und geknebelte Person auf einem Bett vorfindet. Doch anstatt das Gesehene anzusprechen, schließt er die Tür und kehrt ins Wohnhaus zurück. Erst nach Pinochets Sturz stellt sich heraus, dass Marias Mann zur Geheimpolizei gehörte und den Keller für Verhöre nutze. Nicht aber für Morde – außer einer der Gefangenen sei zufällig an der Folter gestorben.

Hätte Lacroix das wissen können? Ahnen können? Hätte er handeln können oder sollen? Vollmundig sagt er von sich selbst: „Ich wäre imstande gewesen und hätte etwas gesagt. Aber ich habe nichts gesehen. Ich habe nichts gewusst, und dann war es zu spät.“ Ist es tatsächlich so einfach? Wohl kaum. Denn um seinem eigenen moralischen Anspruch zu genügen, hört er bewusst weg, sieht bewusst weg (und liest griechische Klassiker), damit er am Schluss behaupten kann, doch von nichts gewusst zu haben. Er wäscht seine Hände in einer Unschuld, von der er genau weiß, dass er sie teuer erkauft hat.

Lacroix hält sich für einen Intellektuellen, einen empfindsamen Menschen. Dass allein schon stellt ihn moralisch über die breite „barbarische“ Masse Chiles, von denen viele einfach nichts wissen. Diese Arroganz, diese Ich-Bezogenheit der Kultur ist es, was Bolaño verurteilt. So lässt er beispielsweise Pinochet erläutern, dass er drei Bücher geschrieben habe (und unzählige Artikel) und „niemand hat mir dabei geholfen“ versichert er, ganz so, als sei der Akt des Bücherschreibens das, was einen Menschen adelt. Als mache ihn diese Tatsache allein zu einem grundsätzlich besseren Menschen. Und hier scheitert eben auch Lacroix selbst, der als Literaturkritiker durchaus Einfluss gewinnt, aber nie über den Literaturbetrieb hinaus auf das große Ganze blickt – bis zum Moment seines Todes, indem auch er seine Augen nur noch mit Mühe vor vergangenen Fehlern verschließen kann. Für ihn zählt einzig das geschriebene Wort, politische Ereignisse oder moralische Verantwortung fallen nicht in seinen Einflussbereich. Doch kann das Leben wirklich so einfach sein? Kann man sich so ein reines Gewissen bewahren?

„Chilenisches Nachtstück“ könnte ein schweres Buch sein. Wer es aufschlägt, wird nicht einen Absatz finden. Wer es anliest, wird schnell feststellen, dass wörtliche Rede in der Erzählung Lacroix’ quasi verschwindet. Sätze ergießen sich über mehrere Seiten, Erzählstränge gehen mühelos ineinander über. Und trotzdem liefert Bolaño ein Büchlein, das sich unglaublich leicht liest, sodass man als Leser all seine Konzentration auf das Gesagte lenken kann, ohne das „wie“ überdenken zu müssen. Was nicht heißt, dass das weniger beeindruckend wäre. Dass beides hier so elegant ineinander läuft, ist sicherlich auch der Arbeit des Übersetzers Heinrich von Berenberg zu verdanken.

Bolaños „Chilenisches Nachtstück“ weist mit seiner universalen Problematik weit über Chile hinaus. Ganz persönlich darf sich jeder Leser fragen, wovor er die Augen und Ohren verschließt. Und wie er meint, am Sterbebette den vergreisten Grünschnabel ruhig stellen zu können.

|Taschenbuch: 160 Seiten
ISBN-13: 978-3423138802
Originaltitel: |Nocturno de Chile|
Deutsch von Heinrich von Berenberg|

Lupton, Rosamund – Liebste Tess

_Inhalt_

Beatrice beginnt einen Brief an ihre Schwester Tess, auf den sie nie eine Antwort erhalten wird, wie sie weiß: Tess ist tot. Selbstmord, sagen Polizei, Psychiater und selbst die Mutter. Schwachsinn, weiß Beatrice. Niemals – niemals! – hätte Tess sich das Leben genommen, dafür hat sie es zu sehr wertgeschätzt, selbst in dunklen Stunden.

Auf ihrer von allen Seiten behinderten Suche nach der Wahrheit beginnt Beatrice, sich zu verändern. Nichts ist mehr wichtig als herauszufinden, wer der Mörder der geliebten jüngeren Schwester ist. Bald steht Beatrice völlig allein da, allein mit sich, mit ihren Gedanken, mit ihrer Angst und mit dem Brief an Tess, in dem sie schildert, wie sie der Geschichte des angeblichen Selbstmordes auf den Grund zu gehen versuchte. Beatrice verletzt Regeln, überschreitet unsichtbare Grenzen, streift ihren eigenen schützenden Kokon ab, während ihrer immer rabiater werdenden Nachforschungen. Der Tod der Schwester erschafft einen völlig neuen Menschen, ermöglicht Beatrice einen Blick über den Tellerrand. Erstaunt stellt sie fest, wie mutig sie eigentlich ist.

Beatrice ist es schließlich egal, welche Brücken sie hinter sich verbrennt. Alle anderen müssen Unrecht haben, weil das Einzige, dessen sie sich noch sicher ist, das Bild der Verstorbenen ist, das sie im Herzen trägt. Später, wenn die Wahrheit ans Licht gekommen ist, kann man sich immer noch mit den Trümmern beschäftigen, die sie während der Suche hinterlassen hat. Was Beatrice nicht mit einrechnet, ist eine folgenschwere Tatsache: Wenn sie tatsächlich richtig liegt mit ihrer Vermutung, dann ist dort draußen jemand, der vor der Auslöschung eines Menschenlebens nicht zurückschreckt. Dieser Jemand kann es nicht gutheißen, wenn sich ein anderer so penetrant an seine Fersen heftet. Und wenn niemand ihre Vermutungen Ernst nimmt, dann kann auch niemand sie vor der Gefahr schützen, die von dem Unbekannten ausgeht …

_Kritik_

„Liebste Tess“ beginnt als spannender Krimi und sorgfältiges, liebevolles Psychogramm zweier unterschiedlicher Schwestern. Es fesselt direkt von Anfang an; die Protagonistinnen – denn durch die warmen Erinnerungen Beatrices sind es sind zwei, obwohl Tess bereits tot ist – stehen dem Leser direkt vor dem Auge, heben sich gegenseitig hervor durch ihre Unterschiedlichkeit. Naturgemäß sorgt die Form des Romans, der lange Brief, dafür, dass alles über Introspektion vermittelt wird. Diese Umsetzung ist schlichtweg genial gelungen, es ist großartig, den Prozess nachzuvollziehen, den Beatrice durchmacht: Von der emotional sorgfältig abgeschotteten Businessfrau, deren über Jahre hinweg unmerklich gewachsener Panzer durch den jähen Schmerz über den Verlust der Schwester Risse bekommt, die sich im Laufe der Zeit mit jedem Regelbruch, mit jeder Neuverortung alter klischeehafter Betrachtungen vertiefen, bis schließlich die äußere Hülle ganz wegbricht und ein neuer, verwundbarer Mensch da steht, bei dem man nicht weiß, ob er dem Wahnsinn anheim fällt oder sich in erneuerter Stärke streckt. Allein für diese Beschreibung würde ich der Autorin am liebsten tonnenweise Preise verleihen: Sie ist so unmittelbar, psychologisch glaubwürdig und lebensnah gelungen, dass das Lesergehirn nicht anders kann, als in Loblieder auszubrechen.

Aber das ist ja nur ein Teil des Romans; die Krimihandlung steht dem in Güte nichts nach. Der Fall ist so derartig verwickelt, dass man wirklich überhaupt keine Ahnung hat, worum es gehen könnte, und sich gemeinsam mit der Protagonistin in wilden Anschuldigungen gegen alles und jeden ergeht. Man kombiniere das Ganze mit einem traumschönen Stil voller unverbrauchter, aber eingängiger Bilder, die individuell wirken und die Persönlichkeiten der Helden nochmals unterstreichen, und mit einem Ende, das ein absoluter Knalleffekt ist, und hat einen der besten Erstlinge, die man sich nur wünschen kann.

_Fazit_

Es gibt wenig mehr zu sagen. „Liebste Tess“ ist ein Wahnsinnsroman, den nicht zu lesen einem Verlust gleichkäme. Lesen!

|Gebundene Ausgabe: 383 Seiten
Originaltitel: Sister
Aus dem Englischen von Barbara Christ
ISBN-13: 9783455402841|
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Schumacher, Lutz – Ich kann so nicht arbeiten – Geschichten aus dem Büro

Scherereien am Arbeitsplatz? Unqualifiziertes ‚Fachpersonal‘? Vetternwirtschaft? Die Episoden, die sich in den Büros größerer Konzerne unter vorgehaltener Hand abspielen, sind manchmal definitiv traurig und witzig zugleich – und wert, sich einmal intensiver damit zu befassen. Lutz Schumacher hat die Zeichen der Zeit erkannt und seinen Lieblingsschützen Harald Grützner in den Alltag der Büroarbeit eingeflochten – und dabei wahrhaftig Grandioses zustande gebracht!

_Harald Grützner hat_ sich selbst in die Sackgasse manövriert: Führerschein gefährdet, Job riskiert und nun vom Außen- in den Innendienst versetzt. Als der Gebeutelte schließlich zum verabredeten Termin pünktlich um 9 Uhr die Hallen der Münchener Vertretung des Schokoladen-Multis, der Candy Gmbh, betritt, scheint tatsächlich alles schief zu laufen. Hundekot unter den Schuhen, vom Regen durchnässt und an der Rezeption direkt patzig angemacht, weil das Äußere auf einen Penner schließen lässt. Grützner ist erstmal bedient und erträgt mit allerlei Geduld den Hohn und Spott der beiden vorurteilsvollen Damen am Schalter. Als ihm jedoch niemand so recht mitteilen kann, wo sich genau die Büros der Personalabteilung befinden, tritt er die Flucht nach vorne an, nur um immer noch weiter herumgeschubst und verbal angegriffen zu werden. Dank mehrerer glücklicher Fügungen erreicht er mit reichlich Verspätung sein neues Büro – und blickt dort in allerlei verdutzte wie genervte Gesichter. Denn Grützner ist nicht nur der neue Mitarbeiter, sondern löst eine Kollegin auch völlig überraschend in der dortigen Leitungsstelle ab. Das Drama beginnt – und damit auch ein Leben voller Schikanen im absolut nicht prunkvollen Büroalltag …

_Die Geschichte, die_ Lutz Schumacher hier von einem eigentlich qualifizierten, letzten Endes aber völlig überforderten Büro-Neuling erzählt, ist natürlich die pure Satire, als solche absolut überzogen dargestellt, mit Klischees überfrachtet und von Charakteren umgeben, bei denen der Autor die Grenzen bewusst ausreizt. Doch der Humor ist genial, die vielen Rollen, die Schumacher dem Personal des Süßwarenherstellers zuordnet, sogar wirklich fantastisch ausgearbeitet. Alleine in Grützners eigenem Büro trifft man auf eine Handvoll klassischer Stereotype und Unsympathen, die in der vorliegenden Konstellation für eine spannende und unglaubliche unterhaltenswerte Interaktion sorgen. Da wäre zum einen Dorothea, zunächst Leiterin, dann unfreiwillig abgelöst und entsprechend frustriert. Während sie noch die offensichtlichste Partnerin für jedwede Konfrontation ist, winkt aus der hinteren Ecke Peter Schwarz, auch schwarzer Peter genannt. Der Ex-Student, der es nie zu etwas gebracht hat, bringt es in wirklich jeder Situation auf einen unqualifizierten Kommentar und stellt vor allem die Geduld seines neuen Chefs immer wieder gewaltig auf die Probe – zumal er auch spricht, wenn er nicht sprechen soll!

Aber auch ruhigere Figuren begleiten Harald durch seinen neuen Alltag. Kirsten beispielsweise ist eine jener Damen, deren Durchsetzungskraft gen Null tendiert. Jeden Morgen verfehlt sie bei ihrem Stammbäcker die geliebten Käsebrötchen und muss sich mit den Resten zufriedengeben, die ihr absolut nicht zusagen. Nichtsdestotrotz investiert sie jeden Tag 3,50 für ihr Frühstück, weil ein Affront gegen die Verkäuferin mit ihrem schmalen Selbstvertrauen nicht zu vereinbaren wäre. Oder Gaby, die vollbusige Blondine, die ihren Job einzig und alleine deswegen noch innehat, weil ihre körperlichen Reize in der Führungsetage von Zeit zu Zeit genau auf den richtigen Geschmack trafen. Und schließlich Frank, ein Eigenbrödler, der selbst zu den feierlichsten Anlässen noch einen karierten 80er-Pulli trägt und eigentlich nur den ganzen Tag aus dem Fenster starrt – und dafür auch noch befördert wird!

Sind die Personalien rein inhaltlich schon ein echter Brüller, steigert sich Schumacher fortwährend in der Situationskomik, gerade dann, wenn besagter schwarzer Peter mal wieder eines seiner spitzfindigen Statements abgibt und damit die Absurdität mancher Szene noch einmal richtig hervorhebt. Angefangen bei den skurrilen Erlebnissen auf der betriebseigenen Weihnachtsfeier über die skandalösen Vertragsverhandlungen mit dem Vertrieb, bis hin zu jenem Konflikt den Grützner mit Andy, einem Abgesandten der IT-Abteilung, auszutragen gezwungen ist, bietet „Ich kann so nicht arbeiten“ unzählige Episoden, die hier und dort sicherlich auch einen realen Background haben, aufgrund ihrer authentischen Darstellung aber vor allem das Potenzial haben, die Lachmuskeln mal gehörig durcheinanderzubringen. „Willkommen im Irrenhaus“, mag man daher auch auf nahezu jeder Seite denken – doch genau dieser irre Charakter ist es, der dieses Buch zur absoluten Pflichtlektüre im derzeitigen Satire-Sektor macht. Besser auf den Punkt gebracht bzw. mit Klischees angereichert als dieses kurzweilige Werk hat die Tücken der Büroarbeit bislang jedenfalls niemand! Und deswegen muss man sich auch nicht schämen, wenn man hier phasenweise wirklich Tränen lachen muss …

|Hardcover: 224 Seiten
ISBN-13: 978-3442312368|
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Félix J. Palma – Die Landkarte der Zeit

Die Handlung:

Andrew hat seine große Liebe verloren und begibt sich auf eine Zeitreise in die Vergangenheit, um sie wiederzugewinnen. Claire langweilt sich im viktorianischen London und verliebt sich in einen Mann aus der Zukunft. Und Inspektor Garrett jagt einen zeitreisenden Mörder … Alle Fäden laufen bei einem dämonischen Bibliothekar zusammen. Denn er kennt das Geheimnis der Landkarte der Zeit. Gibt es die Zeitreisenden wirklich oder ist alles nur Illusion? Kann man Fehler aus der Vergangenheit ungeschehen machen? Und ist die Liebe wirklich stärker als die Zeit?
(Verlagsinfo)

Das Hörerlebnis:

Der Einleitungssatz zum Hörbuch wird von Oliver Rohrbeck gesprochen, was den geneigten „Drei ???“-Fan zum Grinsen bringt und eigentlich nur noch Jens Wawrczek vermissen lässt, damit das Detektiv-Trio aus Rocky Beach komplett ist. Aber allein schon der Erzählstil des Autors lenkt den Hörer sofort in die gewünschten Bahnen.

Die Geschichte spielt in der viktorianischen Zeit, die Sprachwahl des Autors ist entsprechend und Andreas Fröhlich vermittelt beides perfekt. Wenn es die Umstände und die teilweise verschachtelten Sätze verlangen, spricht er ruhig und erklärend. Und wenn die Spannung steigt und die Charaktere aufgeregt sind, gibt Fröhlich auch das glänzend an den Hörer weiter.

Ihm gelingt es, die Charaktere unterschiedlich und wiedererkennbar zu halten, und das ganz ohne laut zu werden oder seine Stimme unnatürlich zu verstellen. Im zweiten der drei Teile spendiert Fröhlich einem Charakter einen ausländischen Akzent, was bei anderen Produktionen von seinen Kollegen auch oft gemacht wird, aber selten gut oder wenigstens glaubhaft. Fröhlichs Interpretation wirkt hier stimmig und belustigend. Eine leichte Modulation der eh schon angenehmen Stimmfarbe reicht bei ihm oft aus, und eine kurze Variation der Sprechgeschwindigkeit und schon weiß der Hörer, wen er vor sich hat. Allein „Salomon“, der Anführer der Roboter, klingt von der Stimmfarbe und der monotonen „Sprachmelodie“ her ein wenig nervig.

Die einzige leichte Irritation ist das teilweise lautstarke Ausatmen durch die Nase, als hätte der Sprecher Polypen oder Schnupfen. In Seufzer-Situationen ist so etwas absolut angebracht, aber wenn es dem Hörer einmal zwischendurch als störend aufgefallen ist, hört er es immer wieder und wartet förmlich auf den nächsten „alte Männer Nasenatmer“.

Das allerdings ist natürlich Pedanterie, denn Fröhlich gibt eine großartige Vorstellung ab, die absolut zu überzeugen weiß.

Absolut zurecht hat der Autor für das Buch im Jahr 2008 den Literaturpreis „Premio Ateneo de Sevilla“ gewonnen. Hier passt einfach alles unglaublich gut zusammen. Die Sprachwahl, das Zeitalter, die Geschichte, die Handlungsfäden, die Spannung, die miteinander verflochtenen Genres, die eine spannende Symbiose eingehen und sich in ihrer Gesamtheit vor H. G. Wells verneigen. Und das nicht nur, weil er selber einen Platz im Roman bekommen hat.

Drei Erzählstränge, viktorianische Liebesgeschichten, eine Zeitmaschine, Jack the Ripper und Morde mit Waffen aus der Zukunft … wer hätte gedacht, dass das alles zusammen in einem Roman funktionieren könnte. Palma beweist, dass es geht.

Der Sprecher:

Andreas Fröhlich von „Die drei ???“ ist einer der bekanntesten und beliebtesten Sprecher. Er ist die feste deutsche Synchronstimme von u. a. John Cusack, Edward Norton, Ethan Hawke sowie Andy „Gollum“ Serkis und hat zahlreiche erfolgreiche Hörbücher wie z. B. die „Eragon“-Trilogie von Christopher Paolini eingelesen. Für „Der Herr der Ringe“ führte er zudem die Synchronregie und schrieb das Dialogbuch. (erweiterte Verlagsinfo)

Die Ausstattung:

Neun CDs in einer Klappdeckelbox. Das klingt schlicht und ist leider auch genau das, was man bekommt. Die CDs sind zwar in Eierschal eingefärbt und damit nicht entsprechend dem Sepia-Thema der Box, aber da sie lediglich mit Titel, Autor- und Sprechername bedruckt sind, bleiben große Teile der Oberfläche scheinbar leer. Eine clevere Idee allerdings ist, die CD-Nummer jeweils an der richtigen Stelle eines aufgedruckten Ziffernblattes darzustellen. Leider ist das Ziffernblatt aber so blass, dass es erst beim näheren Betrachten zu erkennen ist und dann auch so aussieht, als hätte etwas auf die CD abgefärbt.

Auch die Einzelverpackungen der CDs sind an Schlichtheit kaum zu überbieten. Geschützt werden sollen die CDs durch dünne schwarze Papierhüllen mit Sichtfenster, die ihren Inhalt aufbewahren, aber weder schützen noch optisch gefällig präsentieren können.

Das sechsseitige Booklet ist ansprechend gestaltet und in Sepia gehalten. Hier werden die Charaktere der Geschichte nicht nur genannt, sondern auch mit einer zusätzlichen Kurz-Info beschrieben. Zusätzlich gibt es noch Informationen dazu, wie viele Tracks auf den CDs sind und wie lang die Gesamtspieldauer der einzelnen CDs ist. Außerdem liegt noch ein Gesamtverzeichnis des Verlages bei.

Mein Fazit:

Ein toller Genremix zwischen Liebe, klassischem Zukunftsroman und Krimi, der in einer interessanten Zeit spielt, sich passend auszudrücken weiß und von einem der besten deutschen Sprecher perfekt ins Ohr transportiert wird.

Gekürzte Lesung auf 9 Audio-CDs
Gesamtspielzeit: 640 Minuten, aufgeteilt auf 97 Tracks
Originaltitel: El mapa del tiempo (2008)
Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen
ISBN-13: 978-3-8398-1057-6
www.argon-verlag.de

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Effenberg, Claudia – Eigentlich bin ich ja ganz nett

Dass Claudia Effenberg bereits ihre eigene Biografie schreibt, mag für all diejenigen, die sich zumindest ein wenig mit dem einstigen Model und der Frau des berühmten Fußballers beschäftigt haben, recht befremdlich anmuten – denn an sich betrachtet hat diese Dame in ihrer medialen Laufbahn noch nicht derart viel (respektvolle) Beachtung bekommen, als dass hierfür die Berechtigung, geschweige denn ein Markt bestehen könnte. Die einstige Gattin von Ex-Bayern-Star Thomas Strunz hat ihr erstes Buch allerdings auch aus einer ganz eigenen Motivation geschrieben. Der Antrieb bestand darin, Mut zu machen, den Kampfgeist zu wecken und aufzurütteln, dass man mit ganz normalen Mitteln, aber eben mit dem nötigen Ehrgeiz, mehr erreichen kann, als man sich vorab je zugetraut hätte. Doch ist „Eigentlich bin ich ja ganz nett“ daher gleich das Buch einer ambitionierten Feministin? Oder sind es letzten Endes doch nur wiedergekäute Erfahrungswerte einer Karrierefrau, die das Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein?

Die 160 Seiten, die Claudia Effenberg damit verbringt, ihren Erfahrungsschatz auszubreiten und persönliche Episoden aus ihrem Leben zu erzählen, lassen eher auf Letztgenanntes schließen. Die Autorin berichtet in erster Linie aus einer Art Rechtfertigungshaltung, die ihr stellenweise zweifelhaftes Bild aus den Medien zurechtzurücken bemüht und in der Gesamtdarstellung sehr plakativ wirkt. Effenberg schildert ihre Rolle als Mutter und Kämpfernatur, beschreibt die Probleme ihrer Ehe, ihre dauerhafte Medienpräsenz und letzten Endes auch den Weg, der sie in diese Position gebracht hat. Eine Menge Pathos ist im Spiel, wenn Effenberg auf relativ lockere Weise ihr Verhältnis zum Elternhaus und ihrer Schwester analysiert und immer wieder darauf zurückkommt, wie viel Herzblut sie in ihre Laufbahn investiert hat. Das alles ist bis zu einem gewissen Punkt auch recht unterhaltsam, führt allerdings schnell dazu, dass man sich durch die ständigen Wiederholungen auch gewissermaßen genervt fühlt. Bereits nach dem ersten Streckenabschnitt durchschaut man schließlich, dass die Motivation hinter dem Buchprojekt nicht lautete, eine fundierte Biografie zu schreiben, sondern einfach nur ein Buch auf den Markt zu bringen, dessen Triebfeder der klangvolle Name sein sollte. Es ist letzten Endes bei Weitem zu wenig Content, der den Leser bei der Stange halten könnte, und – eigentlich am schlimmsten – fast gar nichts, was man aus dem Geschriebenen mitnehmen und für sich herausziehen könnte, da es schwerfällt, Claudia Effenberg als Identifikationsfigur und Vorbild anzunehmen und ihre oberflächlichen Weisheiten produktiv zu verinnerlichen.

Schlussendlich ist „Eigentlich bin ich ja ganz nett“ daher auch in erster Linie ein Titel für die Klatschpresse, ein Statement aus erster Hand, jedoch zu einigen Themengebieten, die im Revolverblatt besser aufgehoben sind als in jedem erdenklichen Buchtitel. Es ist sicher in Ordnung, dass Claudia Effenberg ihr enormes Mitteilungs- und Geltungsbedürfnis in einem solchen Werk zum Ausdruck bringt. Aber die alles entscheidende Frage bleibt trotzdem bestehen: Wer soll das lesen?

|Taschenbuch: 168 Seiten
ISBN-13: 978-3426783320|
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