Queen, Ellery – Und raus bist du!

_Das geschieht_

Fast schon vergessen hat Kriminalschriftsteller und Amateurdetektiv Ellery Queen seine Zeit in Wrightsville. Nun erhält er anonym Zeitungsartikel zugeschickt, die ihn auf interessante Ereignisse in diesem kleinen Flecken im ländlichen Norden des US-Staates New York hinweisen, in dem die Zeit irgendwann vor dem I. Weltkrieg stehengeblieben zu sein scheint. Ein alter Sonderling ist gestorben und hat sein Vermögen einem mildtätigen Doktor vermacht; ein reicher Fabrikant wurde als Betrüger entlarvt und hat sich erschossen; der Säufer Tom Anderson ist in einem Sumpf verschwunden.

Den alten Tom hat Queen gekannt und gemocht. Als Rima, seine Tochter, in New York auftaucht und den Detektiv um Hilfe und Klärung des Verbrechens angeht, lässt dieser sich nicht lange bitten. In Wrightsville ermittelt Queen, dass alle seltsamen Vorfälle einen Faktor gemeinsam haben: Irgendwie war stets Dr. Sebastian Dodd beteiligt, der selbstlos die Armen und Alten behandelt und als wahrer Stadtheiliger gilt.

Rimas Vater hat er direkt vor dessen Verschwinden ein Darlehen gewährt. Das Geld ist fort, Andersons skurrile Freunde verneinen jegliches Wissen. Queen irrt kriminalistisch im Kreis, bis ihn die wenigen Spuren auf eine irrwitzige Theorie bringen: Hier sterben Menschen nach dem Muster eines alten Abzählreims für Kinder! Niemand will ihm das so recht glauben, selbst als der Tod Queens Hauptverdächtigen dahinrafft, wie er es vorausgesagt hatte. Und besagter Reim geht noch weiter, das nächste Opfer steht schon fest …

_Idylle mit dunklen Winkeln_

„… und raus bist Du!“ ist der letzte Queen-Krimi der „Wrightsville“-Serie. In „The Devil to Pay“ (1938, dt. „Des Teufels Rechnung“) hatte Ellery Queen New York verlassen und war nach Hollywood umgesiedelt. Dies ging mit in der Kriminalliteratur seltenen, aber konsequenten Veränderungen der Figur einher. Queen wurde „erwachsen“; er arbeitete nicht mehr als Berater für die Polizei. Seine Fälle als Privatdetektiv wurden komplizierter und vielschichtiger, psychologische Untertöne schlichen sich ein, aus der oft spielerischen Suche nach dem Mörder wurde nicht selten ein Drama, das unbarmherzig seinem tödlichen Finale entgegen strebte und Queen als wissenden, aber hilflosen und überforderten Zuschauer zurückließ.

1942 kam es zu einem weiteren Wechsel. Ellery Queen wurde in „Calamity Town“ (dt. „Schatten über Wrightsville“) zum ersten Mal nach Wrightsville gerufen. Noch dreimal reiste er in Sachen Mord dorthin (1945: „The Murderer Is a Fox“, dt. „Der Mörder ist ein Fuchs“; 1948: „Ten Days Wonder“, dt. „Der zehnte Tag“; 1950: „Double, Double!“).

Wrightsville ist scheinbar das gute, alte, intakte Amerika, gelegen idyllisch auf dem flachen Land, bevölkert von einfachen, freundlichen Menschen, die der Dekadenz der Großstadt noch nicht erlegen sind. Doch schon der zweite Blick lässt unerfreuliche Wahrheiten zu Tage treten. Die scheinbare Idylle wird durch einen von Abwässern verseuchten Fluss in eine strahlende Musterstadt und in einen Slum geteilt. Aber auch auf der „richtigen“ Seite sind Wohlanständigkeit und Reputation oft nur Fassade, hinter der das Verbrechen wohnt. Und auch mit der traulichen Verschlafenheit ist es vorbei: In Gestalt der Zeitungs-Zarin Malvina Prentiss ist die Moderne in und über Wrightsville hereingebrochen.

|Rätselspiel mit ernsten Nebenwirkungen|

„… und raus bist du!“ demonstriert den Unterschied zwischen Schein und Sein auf manchmal deprimierende Weise. Ist man die auf den Plot konzentrierte, quasi konstruierte Handlung der frühen Queen-Romane mit ihren eindimensionalen Charakteren oder besser Typen gewohnt, überrascht dieser neue Unterton. Dabei ist der Plot keineswegs unkomplizierter geworden. Im Gegenteil: Ellerys Fähigkeit, aus einer Reihe unzusammenhängender Todesfälle auf eine Mordserie nach Abzählreim zu schließen, lässt uns dieses Mal skeptisch zurück. Selbst für ihn ist das ein bisschen zu viel der genialen Deduktion.

Vergnügen bereitet der (nach dem Willen des zeitgenössischen Publikums) „erneuerte“ Ellery Queen aber doch, weil es reizvoll ist, ihn bei seiner Weiterentwicklung zu beobachten. Und das Goldene Zeitalter des klassischen „Whodunit?“-Krimis war 1950 vorbei; ein Held, der im Geschäft bleiben wollte, musste mit der Zeit gehen oder sich bewusst in einen Anachronismus verwandeln.

|Die Figuren gewinnen Tiefe|

Über Ellery Queen ist weiter oben das Grundsätzliche schon gesagt worden. Das „ausgestopfte Hemd“ der frühen Jahre hat sich in einen Menschen mit Ecken und Kanten verwandelt. Sogar Nacktbaden mit einer Klientin ist nun möglich, auch wenn selbstverständlich die Keuschheit des wahren Gentlemans (noch) obsiegt. Als Detektiv ist Queen weiterhin ein Naturtalent, aber gegen gravierende Irrtümer und Fehleinschätzungen ist er nicht mehr gefeit. Das belastet ihn einerseits, während es andererseits die eingeleitete Tragödie nicht beenden kann. Queen erreicht die Zielgerade erst, nachdem der Mörder sein Werk vollendet hat. Das wird ihm in späteren Abenteuern noch öfter passieren.

Rima Anderson ist – Volker Neuhaus erläutert es uns in seinem wie immer kundigen Nachwort – zunächst weniger eine Figur, sondern ein literarischer Scherz: die Inkarnation des Vogelmädchens Rima aus William Henry Hudsons romantischem Abenteuer-Klassiker „Green Mansions“ (dt. „Das Vogelmädchen“) von 1904. Aus dem unschuldigen Naturkind wird durch die Umstände (und Ellerys sanfte Nachhilfe) eine ganz „normale“ junge Frau, wobei es dem Leser überlassen bleibt zu entscheiden, ob sie das wirklich glücklicher werden lässt.

Die übrigen Bewohner Wrightvilles lassen in Verhalten und Gestalt zunächst den üblichen Dorftölpel des Kuschel-Krimis durchscheinen. Dahinter verbergen sich freilich manchmal seelische Abgründe unvermuteter Tiefe. Tom Anderson ist kein bunter Vogel, der lustige Sachen sagt, die den Leser zum Lachen bringen, sondern ein tragischer, psychisch kranker Säufer. Sein Freund, der „Philosoph“, verbirgt hinter schlauen Sprüchen latenten Wahnsinn und den Zorn über sein Dasein als lebenslanger Verlierer. Ein zweiter Freund entpuppt sich als Dieb, der den Gefährten noch im Tod betrügt. Der gute Dr. Dodd wird von Aberglaube und Todesfurcht beherrscht. So geht es weiter, eine Galerie gespaltener Persönlichkeiten, wie es der Roman-Originaltitel andeutet, in einem höchst spannenden und an wendungsreichen Kriminalroman.

_Autoren_

Mehr als vier Jahrzehnte umspannt die Karriere der Vettern Frederic Dannay (alias Daniel Nathan, 1905-1982) und Manfred Bennington Lee (alias Manford Lepofsky, 1905-1971), die 1928 im Rahmen eines Wettbewerbs mit „The Roman Hat Mystery“ als Kriminalroman-Autoren debütierten. Dieses war auch das erste Abenteuer des Gentleman-Ermittlers Ellery Queen, dem noch 25 weitere folgen sollten.

Dabei half die Fähigkeit, die Leserschaft mit den damals beliebten, möglichst vertrackten Kriminalplots angenehm zu verwirren. Ein Schlüssel zum Erfolg war aber auch das Pseudonym. Ursprünglich hatten es Dannay und Lee erfunden, weil dies eine Bedingung des besagten Wettbewerbs war. Ohne Absicht hatten sie damit den Stein der Weisen gefunden: Das Publikum verinnerlichte sogleich die scheinbare Identität des „realen“ Schriftstellers Ellery Queen mit dem Amateur-Detektiv Ellery Queen, der sich wiederum seinen Lebensunterhalt als Autor von Kriminalromanen verdient!

In den späteren Jahren verbarg das Markenzeichen Queen zudem, dass hinter den Kulissen zunehmend andere Verfasser tätig wurden. Lee wurde Anfang der 1960er Jahre schwer krank und litt an einer Schreibblockade, Dannay gingen allmählich die Ideen aus, während die Leser nach neuen Abenteuern verlangten. Daher wurden viele der neuen Romane unter der mehr oder weniger straffen Aufsicht der Cousins von Ghostwritern geschrieben.

Wer sich über Ellery Queen – den (fiktiven) Detektiv wie das (reale) Autoren-Duo – informieren möchte, stößt im Internet auf eine wahre Flut einschlägiger Websites, die ihrerseits eindrucksvoll vom Status dieses Krimihelden künden. Vielleicht die schönste findet sich unter [neptune.spaceports.com./~queen]http://neptune.spaceports.com/~queen Eine Fundgrube für alle möglichen und unmöglichen Queenarien.

|Taschenbuch: 301 Seiten
Originaltitel: Double, Double! (New York : Little, Brown, and Company 1950)
Deutsche Erstausgabe (unter dem Titel „Wer ist der Nächste?“): 1953 (Scherz Verlag/Die schwarzen Kriminalromane Nr. 55)
Übersetzung: Lola Humm-Sernau, 191 Seiten, [keine ISBN]
Neuausgabe: 1999 (DuMont Verlag/DuMonts Kriminalbibliothek Bd. 1085)
Übersetzung: Monika Schurr
ISBN-13: 978-3832148478|
[www.dumontverlag.de]http://www.dumontverlag.de

_Ellery Queen bei |Buchwurm.info|:_
[„Chinesische Mandarinen“ 222
[„Der nackte Tod“ 362
[„Drachenzähne“ 833
[„Das Geheimnis der weißen Schuhe“ 1921
[„Die siamesischen Zwillinge“ 3352
[„Der verschwundene Revolver“ 4712
[„Der Giftbecher“ 4888
[„Das Haus auf halber Strecke“ 5899

Mark Twain – Tom Sawyers Abenteuer

Die Handlung:

Tom Sawyer, der Archetyp des Lausbuben, erzählt dem Leser seine Erlebnisse. Er bringt andere Jungs dazu, für ihn einen Zaun zu streichen und in der Sonntagsschule erschummelt er sich eine neue Bibel. Als er und sein Freund Huckleberry Finn auf dem Friedhof aber Zeuge eines Mordes durch Indianer-Joe werden, schwören die beiden, nie etwas über das Gesehene zu verraten und fliehen auf eine Insel, um fortan als Piraten zu leben.

Und das war erst der Anfang der Abenteuer von und mit Tom Sawyer. Es geht spannend weiter und am Ende wartet sogar noch ein echter Schatz und ein Showdown mit Indianer-Joe …

Mein Eindruck:

So sollte ein Abenteuerroman sein. Spannend, lustig, ohne großartige und meist langweilige Beschreibungen von Dingen, die Abenteuer-Fans eh nicht interessieren. Hier wird in kurzen Kapiteln episodisch auf die Abenteuer von Tom Sawyer geblickt, in dem sich jeder Junge und Junggebliebene entweder selber wiedererkennt oder sich gern wiedererkennen würde, weil er Tom einfach für sein unbeschwertes Leben beneidet.

Fängt das Buch noch als eine Art Kurzgeschichtensammlung an, die man ohne Probleme auch in nicht-chronologischer Reihenfolge lesen könnte, da die Ereignisse unabhängig voneinander sind, so ändert sich das nach dem Erlebnis auf dem Friedhof. Ab jetzt gibt es einen roten Faden, der sich um Indianer-Joe wickelt, der am Ende auch das bekommt, was der Leser ihm schon lange wünscht.

Die Sprache, in der das Buch geschrieben ist, ist flüssig zu lesen, da sie erfrischend einfach gehalten ist. So, wie ein Junge im 19. Jahrhundert am Mississippi eben geredet hat. Und da stört auch der heute als politisch nicht korrekt betrachtete „Neger“ nicht, denn so nannte man Afro-Amerikaner zu der Zeit halt. Auch werden sie weder herablassend noch sonst wie anders beschrieben als alle anderen Akteure des Buches.

Die Rechtschreibung

Der Verlag hat sich zwar die Mühe gemacht und stellt ans Ende des Romans ein längeres Nachwort von Rudolf Beck und eine interessante Zeittafel zu Leben und Werk von Mark Twain, übernimmt aber leider nicht die Neue Rechtschreibung. Das wirkt gerade für jüngere Leser sicher irritierend, besonders bei den Klassikern wie dem „daß“.

Mein Fazit:

Ein absolut zu empfehlender Klassiker, der zeitlos immer wieder aus dem Bücherregal geholt werden kann und junge und junggebliebene Leser gleichermaßen anspricht.

Taschenbuch: 304 Seiten
Originaltitel: The Adventures of Tom Sawyer (1876)
Aus dem Amerikanischen von Lore Krüger (2005)
ISBN-13: 978-3423138833
www.dtv.de

Dieses Buch gehört zur Reihe „Klassiker der Abenteuerliteratur“ von dtv:

Daniel Defoe: [„Robinson Crusoe“
Jules Verne: [„Reise zum Mittelpunkt der Erde“
Robert L. Stevenson: „Die Schatzinsel“ (August 2010)
Karl May: „Der Schatz im Silbersee“ (September 2010)
Jack London: „Lockruf des Goldes“ (Oktober 2010)

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Fairchild, Melissa – Himmelsauge (Die Geheimnisse des Brückenorakels 01)

_Die Geheimnisse des Brückenorakels:_

Band 1: _Himmelsauge_

Gedächtnisverlust ist keine schöne Sache. Doch wenn man im Krankenhaus erwacht, keine Erinnerung mehr hat und feststellen muss, dass man noch nicht mal aus dieser Welt kommt – das ist schon ein harter Brocken! Genau das passiert einem Jungen namens Avi in Melissa Fairchilds Roman „Himmelsauge“, dem ersten Band der Reihe „Die Geheimnisse des Brückenorakels“.

_Als Avi im_ Krankenbett aufwacht, ist er verwirrt. Er hat keine Ahnung, wieso er hier liegt, von Kopf bis Fuß eingegipst. Er hat überhaupt keine Erinnerung mehr an das, was davor passiert ist. Sein gesamtes Gedächtnis ist ausgelöscht. Hinzu kommt, dass er den Unfall, den er hatte – er ist vor eine Londoner U-Bahn gesprungen – eigentlich gar nicht hätte überleben dürfen.

Avi kann sich keinen Reim darauf machen, wieso er sich vor den Zug geworfen hat und wieso er noch lebt. Eines Nachts bekommt er Besuch von einem buckligen Alten, der ihn dazu überreden will, aus dem Krankenhaus zu fliehen. Anschließend wird er von einem Typen namens Kellen verfolgt, der ihn töten will und blaue Flammen nach ihm werfen kann. Er merkt, dass so einiges nicht stimmt in seinem Leben. Auf der Flucht trifft er Durin und Roosevelt, zwei Wächter, von denen er erfährt, dass er der Sohn der Königin des Feenreiches ist. Zusammen mit dem Menschenmädchen Hannah begibt er sich in die Feenwelt, aus der er eigentlich stammt, denn dies scheint der einzige Weg zu sein, um Kellen gegenüber zu treten und ihn zu vernichten …

_Melissa Fairchilds Fantasyroman_ für Jugendliche ist nett erzählt, nett ausgedacht und nett gemacht, doch wirklich originell ist „Himmelsauge“ nicht. Menschen, die zwischen Welten wandern können, magische Wesen im gegenwärtigen London, Feen, Elfen und Goblins – vieles, was in der Geschichte vorkommt, war in dieser Form schon in vielen anderen Büchern vertreten. Es gibt Autoren, die solche Elemente nehmen und so in ihre Geschichte einbauen können, dass sie neue Facetten bekommen oder auf Grund des Kontextes sehr originell wirken. Fairchild gelingt dies nicht. Die Kulisse entwickelt nur wenig Zauber, da sie einem zu bekannt vorkommt.

Die Handlung an und für sich ist in Ordnung. Sie ist gut aufgebaut, aber auch ihr mangelt es an neuen, spritzigen Ideen oder überraschenden Wendungen. Es ist eine nette Abenteuergeschichte mit nicht besonders viel Action, ein paar politischen Verwicklungen und Verrätern, doch nur selten wirkt Avis Lage aussichtslos. Richtig spannend wird es selten. Dabei wäre Avis Gedächtnisschwäche an und für sich ein guter Aufhänger für brenzlige Situationen gewesen, doch Fairchild kehrt die Amnesie selten in den Vordergrund. Im Gegenteil vergisst man ziemlich schnell, dass Avi überhaupt jemals einen Unfall hatte.

Das könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass Fairchilds Charaktere den Leser auf Abstand halten. Es fällt schwer, Zugang zu Avi zu finden. Seine Gedanken und Gefühle finden zwar Eingang in die Geschichte, wirken aber häufig oberflächlich. Er wirkt meistens wie ein ganz normaler Junge und nicht wie ein magisches Wesen aus einer anderen Welt, das sein Gedächtnis verloren hat und auf der Flucht vor einem flammenwerfenden Goblin ist. Der fehlende Tiefgang macht sich auch bei Hannah bemerkbar, die Avi bei seiner Reise in die andere Welt hilft. Zwischen beiden entspinnt sich eine Liebesgeschichte, die aber nur wenig Platz im Buch einnimmt. Hannah wird zwar als Punkerin beschrieben, doch das Rebellische in ihr kommt nie richtig zum Vorschein. So wie den anderen Charakteren auch fehlt es ihr an echten Ecken und Kanten, obwohl die Kategorisierung als Punkerin das eigentlich hätte einfacher machen sollen. Einen Lichtblick gibt es allerdings: die Elfe Brucie. Sie ist launisch, besserwisserisch, humorvoll und ein bisschen chaotisch und ihre Auftritte sind immer wieder ein Höhepunkt.

_“Himmelsauge“ von Melissa_ Fairchild ist der Auftakt der Reihe „Die Geheimnisse des Brückenorakels“, doch wirklich Lust auf mehr macht das Buch nicht. Die Geschichte ist nicht gerade mitreißend, die Ideen nicht besonders originell.

|Gebunden: 382 Seiten
Aus dem Englischen von Karin Dufner
ISBN-13: 978-3426283127|
http://www.pan-verlag.de

Kruschel, Karsten – Vilm 1: Der Regenplanet

_Die |“VILM“|-Reihe:_
1. „Der Regenplanet“
2. „Die Eingeborenen“

_Ausgezeichnet mit dem [|Deutschen Science Fiction Preis 2010!|]http://www.dsfp.de/preistraeger/2010-2 _

_Robinsons Enkel: Besuch bei den Regendrachen_

Eigentlich hatten sich die Siedler an Bord der VILM VAN DER OSTERBRIJK ihr Unternehmen anders vorgestellt. Doch statt sie zu einer entfernten Kolonialwelt zu bringen, war der Weltenkreuzer auf einen namenlosen Planeten gekracht, auf dem es nur eines im Überfluss zu geben scheint: Regen.

Die wenigen Überlebenden, unter ihnen die Kommandantin Eliza Simms, improvisieren zwischen Schrott und Schlamm eine Zivilisation, der nicht nur Kaffee fehlt. Der Planet scheint nur auf sie gewartet zu haben. Allerdings nicht, um sich erobern zu lassen … (abgewandelte Verlagsinfo)

_Der Autor_

„Karsten Kruschel wurde 1959 in Havelberg, DDR, geboren, brach nach dem Besuch der Erweiterten Oberschule in Magdeburg und der Facharbeiterausbildung als Agrotechniker / Mechanisator ein Studium der Pflanzenproduktion ab, bevor er kurzzeitig als pflegerische Hilfskraft in der Nervenklinik der Medizinischen Akademie Magdeburg tätig war. 1980 bis 1984 studierte er Pädagogik an der PH Magdeburg, wo er auch seine Diplomarbeit „Wesen und Spezifik der Science-Fiction in der DDR, dargestellt an Romanen zwischen 1977 und 1982″ verteidigte. Seit August 1984 arbeitet er als Lehrer für Deutsch und Geschichte in Leipzig-Grünau; seit November 1985 absolviert er seinen Ehrendienst in der NVA.“ Soweit seine Biografie laut „Lichtjahr 5“ aus dem Jahr 1986, herausgegeben von Erik Simon.

Nun zur Bibliografie. „Seine ersten Veröffentlichungen waren Gedichte und die beiden SF-Geschichten „Aussage des Assistenten“ und „Theorie der Kugelblitze“ (in „Neues Leben“). Seit 1982 hat er zahlreiche Rezensionen zur in der DDR erschienenen SF in der Magdeburger „Volksstimme“ und der Leipziger „Volkszeitung“ veröffentlicht. In der wissenschaftlichen Zeitschrift der PH Erfurt/Mühlhausen (Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, Nr. 2/84) erschien sein Aufsatz „Verfremdeter Alltag in Werken der Science-Fiction-Literatur der DDR“. Seine jüngsten Publikationen sind die SF-Erzählungen „Schach mit Otto“ (in der Anthologie „Aus dem Tagebuch einer Ameise“, 1985) und „Raumsprünge“ (1985 in der Heftreihe „Das neue Abenteuer“).

In „VILM 2. Die Eingeborenen“ gibt der Autor selbst drei weitere Veröffentlichungen an, die als Erzählungen in seine beiden „VILM“-Romane eingeflossen sind. Sie stammen aus den Jahren 1988, 1989 sowie 1999.

_Handlung_

Später kann sich die Offizierin Eliza Simms nur mit Schaudern an die Ereignisse auf der Kommandobrücke des Weltenkreuzers VILM VAN DER OSTERBRIJK erinnern. Da war der unscheinbare Maschinentechniker She Tsi unerwartet aufgetaucht. Ebenso unerwartet eröffnete er das Feuer auf den ersten Offizier, der ihm vor die Nase kam, dann auf den zweiten, der aufsprang, während alle anderen noch wie gelähmt das Ungeheuerliche zu begreifen versuchten. Erst dem dritten Offizier, Gregoire Lafayette, Elizas Geliebtem, gelang es, She Tsis drittem Schuss um eine Mikrosekunde zuvorzukommen und ihm den Kopf wegzuschießen. Fortan sucht Elias Verstand jenes Horrorbild zu verarbeiten, das entstand, als der kopflose Körper vornübersank und einen letzten Schuss abfeuerte …

Wie lang sie auf der Krankenstation gelegen hat, weiß sie nicht. Aber es ist unerheblich, weil sie dort gar nicht aufwacht. Sie sieht zunächst über sich vielmehr eine Zeltplane statt einer Kunststoffdecke und fragt sich, wo sie sich befindet. Schwester Gerda beugt sich über sie, um sie zu pflegen, bis sich endlich erholsamer Schlaf einstellt statt grausamer Albträume. Erst in mehreren Gesprächen erfährt Eliza, was passiert ist: Der Weltenkreuzer VILM VAN DER OSTERBRIJK ist auf einem namenlosen Planeten abgestürzt, auf dem es ständig regnet. Das Gebirge, das sie in einiger Entfernung erblicken kann, tja, das ist der gewaltige Schrotthaufen des Sternenschiffes. Er hat einen Durchmesser von etwa 40 Kilometern …

|Ein Notsignal|

Barbara Brewka und der muskelbepackte Karnese Jonathan Vliesenbrink haben bereits mehrere Kameraden verloren, als sie sich erneut in das Labyrinth der Trümmerstücke wagen. Es ist voller Schluchten, Abhänge, Schutthalden – und scharfkantiger Objekte. An einem davon schneidet sich Jonathan, doch Barbara kann ihn notdürftig verbinden. Dann stoßen sie auf das große Landungsboot, zu dem sie einen Hinweis erhalten haben.

In diesem befindet sich noch ein intakter Gleiter, den sie starten. Als sie jenseits der Atmosphäre sind, gelingt es ihnen, sechs Notsignale zur nächsten, 1500 Lichtjahre entfernten Welt abzusetzen, bevor das Virenprogramm, das bereits die VILM zum Absturz gebracht hat, auch ihrem eigenen Bordcomputer einen Streich spielt. Der Gleiter schmiert ab und bohrt sich Kilometer vom Camp der Überlebenden entfernt in den Boden. Beide werden so schwer verletzt, dass jede Rettung zu spät kommen würde. Schon bald macht sich die gefräßige einheimische Fauna über sie her.

|Aussätzig|

Eliza, die vormals so Privilegierte, wird in das provisorische Verwaltungszentrum geführt, wo jetzt Tina das Sagen hat, eine einfache Siedlerfrau vom Planeten Serafim, die beim Absturz 46 Angehörige verloren hat. Sie hat deshalb auch eine Stinklaune, und ganz besonders die ehemalige Zentralierin Eliza erregt ihre Wut. Eliza ist die letzte ihrer Spezies, die durch Implantate direkten Zugang zum Bordcomputer eines Sternenschiffes hatte. Was nun, Eliza?, spottet Tina. Du wirst von nun an genauso behandelt wie alle anderen. Will heißen, noch mieser.

|Die zweite Expedition|

Tina hat Eliza zu einer weiteren Expedition verdonnert, nachdem Barbara Brewka und Jonathan Vliesenbrink in der Trümmerstadt spurlos verschwunden sind (niemand hat den Gleiter und dessen Absturz bemerkt). Zusammen mit dem schwulen Marek, in den sie sich verliebt hat, und zwei anderen Männern besteigt sie erneut das Gebirge aus Schrott. Wider Erwarten stoßen sie auf einen unzerstörten Trakt von Kabinen, in denen sich kostbare Medikamente finden. Doch die anderen kehren mit einer beunruhigenden Nachricht zurück: Sie haben einen Unterschlupf von Überlebenden gefunden. Alle waren erstickt.

Wie kann das sein, fragen sich alle. Solange die Klimaanlage läuft, konnten die Überlebenden nicht ersticken. Also muss sie abgeschaltet worden sein. Aber von welcher Instanz, die noch das Kommando haben könnte, fragt sich Eliza. Später erklärt sie Tina und dem Verwaltungsrat von VILM, was sie annimmt: Dass die zentrale Künstliche Intelligenz (KI) der VILM den Absturz in Teilen überstanden habe und sich nun mit Hilfe des Selbst-Belebungsprogramm rekonstruiere. Dabei klassifiziere sie Lebewesen jedoch als störend und hinderlich. Deshalb wurde den Überlebenden die Luftzufuhr abgestellt.

Elizas Worte erhalten schon bald ihre Bestätigung, als Roboter und andere Automaten in den Schluchten des Schrottgebirges auftauchen, die Trümmer plündern und daraus ihrerseits neue Automaten zusammenbauen. Es mag siebzig Jahre dauern, bis die VILM-KI ein neues Schiff gebaut habe, aber das sei für eine KI unerheblich. Bis dahin kann sich das Gebirge für Menschen jederzeit erneut als Todesfalle erweisen …

_Mein Eindruck_

Die erste Hälfte des Romans ist ganz klar eine Robinsonade. Die Schiffbrüchigen versuchen sich zu orientieren und wie ihr Vorläufer aus dem 18. Jahrhundert das gestrandete Schiff auszuschlachten, um sich mit allem Nützlichen eine Existenz auf der fremden Welt aufzubauen. Die Suche nach der Ursache des Absturzes ist Nebensache und interessiert eigentlich nur Eliza Simms, die letzte Zentralierin, die Verbindung zur KI des Schiffes hatte. Wie es scheint, wurde dem Attentäter She Tsi ein Gehirnparasit eingepflanzt, der ihn fremdsteuerte und zum Amoklauf brachte. Elizas Verdacht fällt auf die Goldene Bruderschaft, eine Terroristengruppe auf der Zentralwelt. Und diese könnte auch das Selbstzerstörungsprogramm in die Rechner der VILM eingeschleust haben. Sie spielen verrückt und brachten so das Schiff zum Absturz.

Wie dem auch sei, es spielt für die Nachkommen der Schiffbrüchigen keinerlei Rolle. Sie werden nämlich fast alle krank. Dr. Mechin bezeichnet die Krankheit als Pseudo-Diphtherie, und nicht wenige sterben daran. Aber wie sich später zeigt, ist die Krankheit eine wichtige Stufe in der Anpassung der Menschen an den Planeten und dessen Lebewesen. Nur Überlebende der Krankheit sind in der Lage, mit den „Eingesichtigen“, tierischen Pelzträgern von freundlicher Natur, einen empathischen Kontakt herzustellen.

Fortan beobachten Eliza und Dr. Mechin überall solche empathischen Paare, die ihre Gedanken und Gefühle teilen. Dieses Teilen erstreckt sich auch auf andere so verbundene Paare, so dass sich schnell ganze Gruppen und Gemeinschaften von VILM-Kindern und Eingesichtigen herausbilden. Was Eliza noch durch Implantate herstellen konnte – sie sind nach einem Unfall ausgebrannt, so dass sie nun die Einarmige Eliza heißt -, können diese Kinder mit biologischen Mitteln erlangen.

Die menschliche Evolution auf VILM beginnt und hört natürlich nicht so schnell wieder auf. Hierin folgt der Roman dem Vorbild von John Brunners „Die Pioniere von Sigma Draconis“: Der Mensch muss einen evolutionären Schritt weg von der Erde machen, um auf der Siedlerwelt überleben zu können – und dabei nicht verrückt zu werden. Genau wie bei Brunners Hauptfigur essen die VILM-Kinder jede Menge einheimischer Früchte und nehmen so Stoffe auf, die ihre Abwehrkräfte optimieren: Sie werden nach ihrer Genesung von der Pseudo-Diphtherie nie wieder krank.

Ihr größter Wunsch besteht darin, mit dem System der Fauna und Flora – da gibt es Übergangsformen – zu verschmelzen. Wie Eliza, die Lehrerin der Kinder, in einem langen Gespräch mit dem Jüngling Sdevan herausfindet, führen die Kinder ein Forschungsprogramm durch, in dessen Verlauf sie herausfinden, welche psychotrope Wirkung die diversen Früchte der Vegetation auf ihren Geist haben. So gibt es nicht nur eine Droge, die ihre Gedanken beschleunigt, so dass ihnen die Wahrnehmung sagt, alles außerhalb ihrer selbst verlangsame sich. Und es gibt eine Droge, die eine Gestalt-Ansicht der gesamten Umwelt erlaubt. Daher befinden sich die Kinder auf einer ganz anderen geistigen Stufe als die sogenannten Erwachsenen. Und sie wachsen viel schneller.

Die bewegendsten Kapitel drehen sich um diese Anpassung. Mal gelingt sie, mal scheitert sie auf tragische Weise. Um der geheimnisvollen Umwelt des fremden Planeten ein Symbol zu verleihen, erfinden die Kinder die sogenannten „Regendrachen“. Die mythischen Wesen verkörpern das bestimmende Element des Planeten, eben Regen, aber auch dessen formende Kraft, die in der Biosphären VILMs eine prägenden Wirkung auf alles ausübt – nur dass die VILM-Kinder dies erst im Verlaufe ihrer Forschung herausfinden. Auch den Ort, wo der Regen erzeugt wird …

|Sozialistische Utopie, oder was?|

In all diesen mehr oder weniger dramatischen oder bewegenden Entwicklungen, so sollte man annehmen, bildet sich eine neue Gesellschaft heraus. Da die ersten beiden Erzählungen, die in diesen Roman einflossen (über Dr. Mechin und die Regendrachen), schon 1988 und 1989 veröffentlicht wurden, entstanden sie in einem sozialistischen Gesellschaftsumfeld. Man könnte erwarten, dass der Autor eine idealisierte sozialistische Gesellschaft entwirft.

Das könnte durchaus der Fall sein. Es gibt kein Kapital, denn es werden lediglich Werte getauscht und nicht gehortet. Es gibt keine Landwirtschaft oder Industrie im irdischen Sinne, denn entweder lebt man von den Früchten des Landes oder man plündert den Schrottberg. Nur selten werden Werte wie etwa ein geländegängiges Fahrzeug hergestellt, aber sein Konstrukteur stellt diesen Dienst der Gemeinschaft kostenlos zur Verfügung.

Es gibt zwar Tinas Verwaltung der drei Dörfer auf der nördlichen Hemisphäre (der Zugang zum Süden ist blockiert), und Eliza arbeitet als Lehrerin und Wissenschaftlerin, doch ansonsten scheint es weder Bürokratie noch eine Hierarchie zu geben. Tinas Anspruch, Arbeiten zuteilen zu dürfen, wird nie in Frage gestellt, sondern durch Gewohnheitsrecht zementiert.

Aus diesen Puzzleteilen entsteht das Bild einer amorphen Gesellschaft, die allein auf dem guten Willen basiert, das Überleben für die größtmögliche Zahl zu sichern. Ausfälle aufgrund schlechter Anpassung an s Umwelt werden fatalistisch hingenommen. Man kann diesen Entwurf unrealistisch, naiv oder fehlgeleitet nennen, aber er hat seinen eigenen Charme, dieser evolutionäre Kommunismus.

Eliza hat auf Seite 75 die Angst, diese Siedlung könne sich zum Eiland in Goldings Roman „Herr der Fliegen“ entwickeln. Dazu kommt es zum Glück nicht, weil keine kontroverse Parteienbildung stattfindet – noch nicht. Die Erwachsenen spielen noch „Robsinson Crusoe“ (S. 85) und fürchten, zu einer Art „Gollum“ (S. 152) zu werden, während sich ihre Kinder schon weiterentwickeln, um Bestandteil s zu werden.

Die Fortsetzung im 2. Band „: Die Eingeborenen“ wird zeigen, wie weit die Abspaltung der Kinder von der Erstgeneration geht und welche Verwerfungen dadurch entstehen. Der Klappentext suggeriert jedoch, dass die Außenwelt größere Probleme mit der Gesellschaft s hat, als diese mit sich selbst. Darin erinnert der VILM-Doppelroman an Ursula K. Le Guins Klassiker „Planet der Habenichtse / Die Enteigneten“ und „Die linke Hand der Dunkelheit“. Diese amerikanische Autorin wurde in der DDR – das legen ihre vielen Beiträge zu den „Lichtjahr“-Anthologien nahe – sehr geschätzt.

_Unterm Strich_

Nach einem actionreichen Auftakt gerät der Roman zunächst in das Fahrwasser einer Robinsonade, entwickelt sich aber nicht zum Schreckensszanrio eines „Herrn der Fliegen“, sondern bekommt nach dem Vorbild von John Brunners „Die Pioniere von Sigma Draconis“ die Kurve, indem sich die zweite Generation der Siedler vollständig auf die neue Umgebung einlässt und eigene Strukturen aufbaut. Eine Utopie?

Phantastische Romane zu gesellschaftlichen Entwürfen zu verwenden, hatte in der DDR durchaus (von der Zensur genehmigte) Tradition. So sei etwa an den Roman „Andymon“ von Angela und Karlheinz Steinmüller erinnert, in dem sich Siedler auf ihrer Zielwelt gegen alle äußeren und inneren Widrigkeiten einrichten müssen, um gegen die feindliche Umwelt bestehen zu können – ein zunächst recht ähnliches Szenario wie in „“.

Doch die Evolution der VILM-Kinder verläuft bei Kruschel viel optimistischer und ist nicht von internen Zwistigkeiten beeinträchtigt. Trotz diverser Rückschläge findet sich immer ein Mittel, um weiterzukommen – die Umwelt selbst hält die Lösung bereit. Das ist nicht utopisch gedacht, finde ich. Denn Utopia bedeutet ja auch einen gesellschaftlichen Entwurf, wie schon bei Thomas Morus im 16. Jahrhundert. Dieser Entwurf ist bei Kruschel recht unscharf gezeichnet, eher angedeutet. Dafür kann seine Geschichte auf der Seite der Darstellung von Einzelschicksalen deutlich Punkte sammeln – die Szenen sind anrührend und einfallsreich, vielfach auch humorvoll gezeichnet.

Es ist sicher ein wenig frustrierend, dass der vorliegende Band einfach abbricht, aber dadurch wird dem Leser klargemacht, dass er unbedingt die Fortsetzung lesen sollte, um ein befriedigendes Ende der gesamten Geschichte erfahren zu können.

|HINWEIS|

Wer mehr über die Unterschiede zwischen „VILM 1+2“ und „Andymon“ herausfinden möchte, sollte das Nachwort der Steinmüllers in der Ausgabe des Argument-Verlags lesen. Darin natürlich keine Rede von „VILM“, es dient aber als Anregung für einen Vergleich.

|Broschiert: 220 Seiten
ISBN-13: 978-3938065365|
[www.wurdackverlag.de ]http://www.wurdackverlag.de
[Homepage des Autors]http://www.fksfl.de/FKSFL/Autoren/Kruschel/Kruschel.htm

Jankrift, Kay Peter – Henker, Huren, Handelsherren: Alltag in einer mittelalterlichen Stadt

_Lebendige und spannende Darstellung einer versunkenen Epoche_

Der Autor lädt zu einer Begegnung mit reichen Goldschmieden, zerlumpten Bettlern, unheimlichen Scharfrichtern, „hübschen Frauen“ und vielen weiteren mittelalterlichen Zeitgenossen ein. Der Spaziergang durch den Alltag von der Zeit des Schwarzen Todes (ca. 1350) bis zum Beginn der Reformation (1517) wird spannend gezeigt vor dem Hintergrund der bestens dokumentierten Stadt Augsburg, die auf 200 Jahre Geschichte zurückblicken kann.

_Der Autor_

Kay Peter Jankrift, 1966 als Sohn eines Friseurmeisters (dem dieses Buch gewidmet ist) geboren, studierte Geschichte, Semitische Philologie und Islamwissenschaft an den Unis Münster und Tel Aviv. Als Privatdozent lehrt er Mittlelalterliche Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. (Verlagsinfo)

_Inhalt_

Der Versuch, eine ganze Epoche zum Leben zu erwecken, ist nicht einfach und erfordert zahlreiche einzelne Schritte. So wie der Künstler ein großes Gemälde von jeher in kleine Planquadrate aufteilt und anfängt, diese nacheinander auszumalen, so besteht auch dieses historisch-beschreibende Buch aus zahlreichen Kapiteln und Unterkapiteln. Sie sind einigermaßen folgerichtig angeordnet, so dass die späteren Kapitel auf dem Wissen der vorhergehenden aufbauen können. Erst im Nachhall wird aus den einzelnen Bausteinen ein Gebäude, aus den Einzelteilen ein Ganzes, aus den Planquadraten ein Gemälde.

Die behandelte Epoche sind jene rund tausend Jahre, die zwischen dem Ende Westroms um 410 und dem Beginn der Reformation um 1518 liegen. Da trifft es sich gut, dass die Stadt Augsburg, die in den meisten Kapiteln die wohl dokumentierte Hauptrolle spielt, sowohl eine römische Gründung ist (um das Jahr 15) als auch den ersten Prozess gegen Martin Luther anno 1518 sah. Dazwischen lag um 955 ein ebenso einschneidendes Ereignis: die Schlacht auf dem Lechfeld. Dabei wehrten Kaiser Otto I. und der Augsburger Bischof mit ihren Truppen die Invasion der Ungarn ab. Auf diesen Erfolg hielten sich nicht wenige Augsburger Geschlechter und Zünfte etwas zugute. Man wusste hier schon immer, aus Verdienst weiteren Verdienst zu schlagen.

Ein anderer Kaiser verlieh der Stadt 1316 spezielle Sonderrechte und unterstellte sie unmittelbar dem Reich. Als Freie Reichsstadt war sie nicht mehr dem Bischof unterstellt, was die Ratsherren weidlich auszunutzen verstanden. Erst 1368 machten ihnen die neu gegründeten Zünfte der Handwerker im Stadtrat Konkurrenz. Von hier kamen die Handelsherren der Welser, Fugger und anderer, die ganze Reiche und Kaiser finanzierten, so etwa Karl III, Maximilian, Karl IV und schließlich Karl V.

Augsburg wirkte im Schwäbischen Bund mit, wodurch es sich mit Nürnberg, Ulm und Nördlingen gegen die Fürsten verbündete. In diesen kriegerischen Auseinandersetzungen musste es wehrhaft sein und ständig aufrüsten. Dadurch herrschte erhebliche Geldnot, selbst wenn Tuch- und Gewürzhandel sowie später Buchdruck florierten. Das trug ziemlich hässliche Früchte, denn die Augsburger und andere Potentaten tilgten ihre Schulden bei den Juden, indem sie diese im Jahr 1348 einfach umbrachten. Im Jahr 1438 wiesen sie alle Juden aus der Stadt. Diesem Aspekt des Lebens in der Stadt sind mehrere Abschnitte gewidmet.

Während woanders 1348 bereits der Schwarze Tod, die aus Asien eingeschleppte Pest, wütete, kamen die Augsburger noch einmal davon, nur um 1358 umso härter davon getroffen zu werden. Einmal da, kehrte die Seuche in kurzen Abständen von acht bis zehn Jahren immer wieder, bis ins 18. Jahrhundert. Diese „Strafe des Himmels“ hinterließ bei den Bürgern tiefe Spuren. Aberglauben griff ebenso um sich wie das Verbrechen.

Einen tiefen Einblick in die Kultur und den Alltag des 15. Jahrhundert liefert die Autobiografie des Händlers Burkard Zink (1396-1474/75). Das Buch aus dem Jahr 1466 ist die erste „Selberlebensbeschreibung“ (Jean Paul) aus dem deutschen Sprachraum überhaupt, glaubt man dem Verfasser. Sie mag Lücken aufweisen und eine Menge Schreibfehler (es gab noch längst keinen DUDEN), aber der Kaufmann berichtet, wie er immer wieder Mitglieder seiner Familie an die Seuche verlor, nicht zuletzt seine geliebte Frau Elisabeth, aber auch mehrere Kinder. Die Kindersterblichkeit soll etwa 50% betragen haben.

Heimsuchungen wie Brände und Überschwemmungen taten ein Übriges, um die Bevölkerungszahl in Grenzen zu halten. Während sich in Köln, der größten Stadt, an die 40.000 Menschen auf engstem Raum drängten, dürften es in Augsburg gut über 10.000 gewesen sein. Diese Dorfgröße sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass praktisch alle (außer Kurieren zu Pferd und Schiffern auf dem Fluss) zu Fuß gehen mussten und somit alle Einrichtungen in Gehdistanz liegen mussten.

Deshalb wusste auch jeder über jeden Bescheid, und selbst Geheimbündnisse konnten nicht für immer verborgen bleiben. Viele böse Machenschaften kamen ans Licht. Sie wurden angemessen bestraft, doch es wurde keineswegs mit gleichem Maß gemessen – je höher der Stand des Delinquenten, desto glimpflicher kam er davon, meist mit einer Geldbuße. Aber es kam auch vor, dass ein besser gestellter Vergewaltiger lebendig eingemauert wurde und erstickte.

Normalerweise ist dieser Job der des Scharfrichters. Dieser vielbeschäftigte und reichlich unheimliche Bursche war nicht nur für Hinrichtungen auf der „Hauptstätte“ zuständig, sondern musste auch Folter ausüben, öffentliche Abtritte säubern und sogar bis zu einer gewissen Zeit das städtische Bordell beaufsichtigen. Es gab solche „Frauenhäuser“ bis Anfang des 16. Jahrhunderts offenbar in jeder deutschen Stadt, denn kein Bischof fand etwas dabei, dass Freier in ein öffentliches Bordell gingen – schuld war Kirchenvater Augustinus. Die Sache erledigte sich allerdings mit dem Aufkommen der Syphilis, der „Franzosenkrankheit“, die nach 1492 aus der Neuen Welt eingeschleppt wurde.

Nach und nach kristallisiert sich ein realistisches Bild von der Stellung der Frau in einer mittelalterlichen Stadt heraus. Sie war nicht zu beneiden. Liebe, wie im Fall des Burkhard Zink und seiner Elisabeth, bildete die große Ausnahme. Die Frau war mehr oder weniger das Besitztum des Mannes und dazu da, ihm Kinder zu gebären und sie aufzuziehen. Das war ja angesichts der hohen Sterblichkeitsrate auch dringend nötig: Kinder dienten als Lebens- und Rentenversicherung. Selbst Burkhard Zink, ein reicher Mann, sah es deshalb als erforderlich an, nacheinander zwei weitere Frauen zu ehelichen, nachdem seine Elisabeth gestorben war. Noch mit 58 Jahren zeugte er ein Kind und erreichte das biblische Alter von rund 80 Jahren.

_Mein Eindruck_

Aus diesen wenigen Andeutungen kann mein Leser vielleicht schon ersehen, dass Jankrift einen weiten Bogen spannt, um so viele Aspekte des mittelalterlichen Alltags wie möglich einzufangen. Er tut dies aber erfreulicherweise nicht auf eine scholarisch-trockene Weise, sondern als würde er eine selbst erlebte Geschichte wiedergeben. Nicht wenige seiner Hauptkapitel beginnen mit einem szenisch gestalteten Geschehen, als wäre er selbst dabei gewesen.

Dabei bilden die abgebildeten Kalenderszenen, von denen eine auf dem Titelbild zu sehen ist, eine ideale Ergänzung. Der Bildteil illustriert dabei exakt bestimmte Textstellen, so etwa Martin Luthers Besuch 1517/18 in Augsburg, Hinrichtungsmethoden oder prächtige Feste. Durchweg vierfarbig gedruckt, beeindrucken die Fotos mit strahlenden Farben, so etwa im Fall der Buntglasfenster im Dom.

Auch den zahlreichen Kriminalfällen versucht der Verfasser auf den Grund zu gehen. Da lassen sich jede Menge Komplotte und Intrigen spannend verfolgen, nicht wenige davon gegen Juden, die stets als Erste zu leiden hatten, wenn es ums Geld ging. Bei den Prozessen zeigte sich häufig der Kompetenzstreit zwischen Stadtrat und dem Bischof, dem ehemaligen Herren der Stadt.

Begrüßenswert fand ich auch die objektive Respektlosigkeit gegenüber den größten Söhnen der Stadt, darunter der abgebildete Jakob II Fugger (1459-1525), den Albrecht Dürer porträtierte. Die Fugger finanzierten zwar das Habsburger Reich, stifteten aber auch die erste Sozialsiedlung der Welt, die Fuggerei, die bis heute besteht und Menschen aufnimmt (für 1 Euro Jahresmiete!).

|Anhänge|

Natürlich ist ein Historiker dazu angehalten, alle seine Angaben zu belegen. Zum Glück hat sich Jankrift der Unsitte enthalten, Fußnoten anzubringen. Vielmehr sind alle entsprechenden Stellen mit einer Zahl versehen, die auf eine entsprechende Endnote verweist. Dieser Endnoten-Anhang umfasst daher nicht weniger als 28 Seiten. Darauf folgt eine Auswahlbibliografie, eine Zeittafel mit den wichtigsten Ereignissen in Augsburg, eine kurze Liste Augsburger Bischöfe und ein hilfreiches Ortsregister. Auf ein Stichwortverzeichnis hat der Autor merkwürdigerweise verzichtet. Es hätte geholfen, die Personen und Hauptbegriffe der Zeitgeschichte schneller zu finden.

_Unterm Strich_

Ich habe das Buch in nur zwei Tagen gelesen. Es ist ist anschaulich geschrieben, bestens belegt und wartet einer Unmenge interessanter und kurioser Informationen auf. Wer hätte gedacht, dass Homosexuelle und Selbstmörder derart unnachsichtig behandelt wurden? Gleichzeitig unterhielt die Stadt ein städtisches Bordell, um das sich der Scharfrichter zu kümmern hatte. Das Sachbuch will keine Chronik Augsburgs sein, denn dafür fehlt die strenge zeitliche Abfolge.

Dass der Autor selbst Augsburger ist oder zumindest aus dieser Gegend stammt, tut seiner Objektivität keinen Abbruch. Sein Buch ist kein Lob der Stadtväter, sondern zeigt ungeschminkt auch deren Verfehlungen auf. Und das waren nicht wenige. Vielmehr zieht der Autor einen vielfältigen Querschnitte durch die zahlreichen Aspekte und Lebensbereiche einer mittelalterlichen Stadt. Auf diese Weise fühlt man sich diesen Menschen viel stärker verbunden als durch den öden Schulunterricht, in dem nur historische Daten herunterzubeten waren.

Dadurch eignet sich das Buch ausnehmend gut für den Ansatz „lebendige Geschichte des Alltags“. Ich würde es jedem Sechzehnjährigen unbesehen in die Hand drücken. Jüngeren Schülern fehlt vielleicht das Verständnis für die zahlreichen sexuellen und kriminellen Aspekte, die hier vorurteilsfrei behandelt werden. Die ist nicht das verklärte Mittelalter der populären Fantasy und schon gar nicht das gut gefilterte Mittelalter von TV-Produktionen (auch Luther war Antisemit), sondern eine ungeschminkte Darstellung vieler unappetitlicher Details.

Dennoch beherrschen viele Phänomene des Mittelalters immer noch unser Leben und unsere Sprache. Es sind nur ein Stromausfall und eine Seuche nötig, um uns wieder ins Mittelalter zu katapultieren. Dann wären dankbar, wenn wir eine solche bürgerliche Verfassung hätten, bevor wir weiter hinab in die Barbarei sinken.

|Gebundene Ausgabe: 235 Seiten
ISBN-13: 978-3608941401|
[www.klett-cotta.de ]http://www.klett-cotta.de/

Claudia Toman – Jagdzeit

Diese Rezension stammt von Nadine Warnke

Handlung

Die junge Autorin Olivia Kenning reist für ein Blind Date in das düstere Bergdorf „W.“, das auf sie direkt einen unheimlichen Eindruck macht. Zudem drängt sie eine Deadline, denn ihr erstes Buch wurde endlich veröffentlicht und der Verlag wartet dringend auf ihr nächstes Werk und bedrängt sie dabei stark, was Olivia zusetzt. Sie schafft es kaum, sich an den Shakespeare-Pakt zu halten.

Angekommen in „W.“, bezieht sie ein Zimmer in dem einzigen Gasthaus dort und lernt gleich ein paar der Einwohner flüchtig kennen, ebenso den zweiten Fremden, der sich dort aufhält: Adrian Alt. Die Einwohner von „W.“ sind Fremden gegenüber schon fast feindselig eingestellt, und dies spürt Olivia recht schnell. Irgendetwas scheinen die Menschen dort zu verbergen.

Durch Adrian Alt wird Olivia auf merkwürdige Todesfälle aufmerksam. Entweder sterben die Menschen hier sehr früh oder sie werden außergewöhnlich alt. Nur Einzelne, Unfallopfer und Opfer von Gewalttaten, sterben im mittleren Alter. Was hat es damit auf sich?

Dann findet sich Olivia im düsteren Wald wieder verfolgt von einer Meute Dorfbewohner, die bestrebt sind, die Geheimnisse von „W.“ zu schützen. In diesem wunderlichen Wald trifft Olivia die Eule „Sibby“, die mit ihr sprechen kann und ihr den Weg zu einer Quelle der Inspiration deutet. Dies ist für die unter starkem Druck stehende Schriftstellerin wie die Erfüllung aller ihrer Wünsche …

Kritik

In Claudia Tomans zweitem Buch, „Jagdzeit“ trifft man wieder auf die Protagonistin Olivia, die einem schon aus „Hexendreimaldrei“ bekannt ist. Dieser Roman ist jedoch nicht als Fortsetzung zu sehen, denn die Abenteuer unterscheiden sich völlig vom ersten Buch.

Claudia Toman bedient sich in „Jagdzeit“ einiger bekannter Märchen sowie der nordischen Sagen und verwebt diese gekonnt in einem Märchenkrimi. Man begegnet Hexen, sprechenden Tieren, ungewöhnlichen Pflanzen, düsteren Geheimnissen und noch vielem mehr. Mit ihrem lebendigen, flüssigen und atmosphärisch dichtem Schreibstil schafft es die Autorin, den Leser das ganze Buch über bei der Stange zu halten, auch wenn man durch die ständigen Zeitsprünge, unverhoffte Personenwechsel oder den eingeflochtenen Roman von Olivia manchmal doch sehr verwirrt wird. Erzählt wird der Roman aus der Perspektive von Olivia und Adrian, wobei Olivia deutlich mehr Raum gegeben wird. Der Part von Adrian dient dabei dazu, das Geheimnis von „W.“ aufzudecken, während Olivia ihre eigenen magischen Abenteuer zu bestehen hat.

Die Protagonisten sind lebensnah und humorvoll aufgebaut. Olivia wächst dem Leser mit allen ihren Fehlern und Macken recht schnell ans Herz und sorgt so ganz nebenbei für einige Lacher; sie ist hervorragend und sympathisch konzipiert. Die weiteren Charaktere sind für die Geschichte ausreichend erklärt und eingesetzt.

Fazit

„Jagdzeit“ von Claudia Toman hat mich teilweise überzeugt. Die einzigartige Art der Autorin zu schreiben und ihre Figuren lebendig werden zu lassen, fasziniert mich sehr. Auch das Einarbeiten von bekannten Märchen und der nordischen Mythologie in den Krimi gefällt mir außerordentlich gut. Was ich als störend empfunden habe und was mich auch beim Lesen oft verwirrt hat, waren der ständige Wechsel der drei Erzählstränge und die Fragmente aus Olivias Roman.

Trotz allem hoffe ich, dass es in nächster Zeit noch weitere Bücher von Claudia Tomangibt, da ihre Art zu schreiben etwas Besonderes ist und ich gerne mehr davon lesen möchte.

Autorin

Claudia Toman wurde 1978 in Wien geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie zu etwa gleichen Teilen in Mittelerde, Phantasien, Märchenmond und Derry, Maine. Nach dem Schulabschluss packte sie die Theatersucht und sie arbeitete als Regisseurin, Regieassistentin und Inspizientin in Wien, Tokio und Tel Aviv. Seit 2001 betreut sie die Vorstellungen der Kinderoper an der Wiener Staatsoper. 2009 erschien ihr Debütroman „Hexendreimaldrei“ bei Diana. Der zweite Roman, „Jagdzeit“, wurde im April 2010 veröffentlicht. Claudia Toman lebt als Untermieterin einer eigenwilligen Katzendame in Wien und arbeitet derzeit an ihrem dritten Roman.

Taschenbuch: 336 Seiten
ISBN-13: 978-3453353992
www.randomhouse.de/diana
claudiatoman.blogspot.com

Gesa Schwartz – Das Siegel des Feuers (Grim 1)

Diese Rezension stammt von Nadine Warnke

Handlung

Der Pariser Gargoyle Grim ist ein Schattenflügler und untersteht der OGP, der obersten Gargoyle-Polizei. Er hat dafür zu sorgen, dass die steinernen Gesetze des GBG (Gesetzbuch der Gargoyles) eingehalten werden. Oberstes Gesetz ist, dass kein Mensch je von der Anderwelt erfahren darf. Nach einem verheerenden Krieg wurden die Welten von einander getrennt und die Menschheit mit einem Vergessenszauber belegt. Wenn es passiert, dass ein Mensch Kenntnis über die Anderwelt erlangt, muss diese Erinnerung gelöscht werden.

Eines Abends wird Grim Zeuge, wie seine Mentorin Moira einem Menschen ein Paket überreicht. Voll Zorn stellt Grimm Moira zur Rede, und diese versucht ihm zu erklären, warum dies nötig war. Grim ist allerdings so in den Regeln des GBG gefangen, dass er ihr nicht richtig zuhört und auch nicht verstehen will. Sie nimmt ihm trotzdem noch das Versprechen ab, den Jungen Jacob zu beschützen. Tags darauf wird er Zeuge, wie Moira ihrem langen Leben ein Ende setzt. Nach diesem Schock macht er sich auf nach Ghrogonias, um den Leiter der OGP, Mourier, den Tod Moiras zu melden.

In letzter Zeit kommt es bei den magischen Geschöpfen der Anderwelt zu brutalen Morden, bei denen nur höhere Geschöpfe, die über viel Magie verfügen, regelrecht abgeschlachtet werden. Dieses beunruhigt die Gargoyles sehr und sie versuchen den Schuldigen dingfest zu machen. Um das Volk zu beruhigen, werden in regelmäßigen Abständen Hybriden, Mischwesen aus Mensch und Gargoyle, der Morde beschuldigt und hingerichtet. Die Gargoyles haben die Hybriden versklavt und verachten diese Mischwesen.

Wenige Menschen, sogenannte Hartidien – Seher des Möglichen – sind in der Lage, Wesen aus der Anderwelt als solche zu erkennen, und tragen Magie in sich. Dazu gehört auch Jacob, der von Moira das Paket bekam. In diesem befindet sich ein geheimnisvolles Pergament, das mit dem Siegel des Feuers verschlossen ist. Seine Schwester Mia, die gerade, als sie den Grabstein ihres Vaters malen wollte, ein Erlebnis hatte, das sie sehr verängstigte, besucht Jacob, um ihm davon zu berichten. Er erkennt, dass auch sie die Gabe der Hartidien besitzt, und erklärt ihr so manches. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg in die Anderwelt, die Jacob Mia zeigen will.

Als sie in Ghrogonias angekommen sind, werden sie Zeuge einer der Hinrichtungen der Hybriden. Auch Grim ist anwesend und entdeckt die beiden Menschen und verfolgt diese. Auf der Flucht versteckt Mia sich und befreit einen Hybriden von seiner magischen Fessel. Jacob versucht unterdessen, die Gargoyles abzuschütteln. Als er meint, dies sei gelungen, flieht er mit Mia wieder nach Paris. Leider ist es ihm allerdings nicht gelungen, die Gargoyles abzuschütteln, nein, es sind sogar noch mächtigere dazugekommen, die Jacob und Mia weiter verfolgen. Nachdem Jacob Mia in Sicherheit gebracht hat, versucht er, die Wesen abzuschütteln.

Grim, der sich an sein Versprechen Moiras gegenüber erinnert, versucht Jacob zu schützen. In einem dunklen Tunnel sieht er sich Jacobs Verfolgern gegenüber und erkennt, dass diese keine Gargoylen sind. Sie verfügen über sehr starke Magie, der Grim nicht viel entgegenzusetzen hat. Er kann sie jedoch kurz aufhalten und Jacob gelingt die Flucht.

Mia, die wieder bei ihrer Mutter und ihrer Tante ist, versucht ihre Mutter zu beruhigen, da Jacob sich seit Tagen nicht gemeldet hat. Diese hat große Angst um ihren Sohn, lässt sich dann aber von Mia und ihrer Tante beruhigen. Als Mia in ihrem Zimmer ist, erhält sie einen Anruf von Jacob, der sie dringend sehen will. Sogleich macht sie sich auf den Weg zu dem ihr genannten Treffpunkt. Jacob erwartet sie dort schon und überreicht ihr das geheimnisvolle Pergament. Er befindet sich immer noch auf der Flucht, und das Paket ist bei ihm nicht mehr sicher. Sie verabreden, sich in drei Tagen am Eiffelturm zu treffen, dann küsst er sie und taucht wieder unter.

Zur verabredeten Zeit wartet Mia am Eiffelturm, aber Jacob erscheint nicht. Sie geht wieder nach Hause und muss dort erfahren, dass man die Leiche ihres Bruders gefunden hat, eingewickelt in einen Mantel, der, wie sie erkennt, nicht Jacob gehört hat. Als sie auf seiner Beerdigung noch lange am Grab stehen bleibt, kommt plötzlich ein Schwarm Hybriden, der sie einkesselt. Grim, der ebenfalls am Friedhof ist, rettet Mia und beschließt, mit ihr das Rätsel um das Pergament zu lösen …

_Kritik_

Mit „Grim – Das Siegel des Feuers“ hat Gesa Schwartz einen fantastischen Debütroman im Genre der Urban-Fantasy verfasst.

Gleich zu Beginn des Romans wird der Leser in die Geschehnisse katapultiert. Die Autorin hält sich nicht lange mit Erklärungen rund um Grim und die Anderwelt auf, sondern lässt den Leser direkt am Geschehen teilhaben. Schnell findet er sich in der ersten actionreichen Szene wieder.

Durch Mia und ihrem Bruder lernt der Leser dann die Anderwelt und erste Bewohner genauer kennen. Jakob, der die Anderwelt nun schon etwas länger kennt, erklärt Mia (damit auch dem Leser) die Begebenheiten und Wesen, die in dieser leben.

Durch den lebendigen Stil der Autorin lebt man die Geschichte quasi mit. Gesa Schwarz versteht es, Spannung, aber auch Freunde und Leid so zu schildern, dass man mit den verschiedenen Charakteren mitfühlt. Erzählt wird „Grim“ aus der Perspektive eines Beobachters, der zwischen den einzelnen Figuren wechselt. Dies ist keineswegs störend, sondern sorgt für ein stimmiges Bild.

Die Protagonisten hat die Autorin keinesfalls einseitig beschrieben, diese sind, ob nun Held oder Bösewicht, so facettenreich, dass sie sehr glaubwürdig wirken. Grim, nach außen „stein“-hart, verbirgt doch einen weichen Kern, den er mit seinen Sprüchen zu verbergen weiß.

Mia beweist mit ihren gerade mal siebzehn Jahren schon eine Menge Mut und Verstand. Auch der Bösewicht ist in seinem Wesen so beschrieben und seiner Art die Ghrogoniaer zu überzeugen, dass man als Leser nicht immer voll überzeugt ist, dass er Böses will. Auch die Nebendarsteller sind nicht zu kurz gekommen; diese wurden ebenfalls mit Stärken und Schwächen ausreichend versehen. Besonders Grims Gefährte, der Kobold Remis, bringt dabei noch eine gute Portion Humor mit ein.

Fazit

Die Autorin Gesa Schwartz hat mich mit ihrem Erstlingswerk „Grim“ sofort in den Bann gezogen. Die knapp 700 Seiten waren viel zu schnell ausgelesen, und in keinem Moment kam Langeweile auf, da der Spannungsbogen nie zu tief in Erklärungen abfiel. Diesen Roman, der sich von Thema so gänzlich von der momentanen Fantasy-Welle abhebt, kann ich nur allen Fantasy-Begeisterten ans Herz legen.

Autorin

Gesa Schwartz wurde 1980 in Stade geboren. Sie hat Deutsche Philologie, Philosophie und Deutsch als Fremdsprache studiert. Ihr besonderes Interesse galt seit jeher dem Genre der Phantastik. Nach ihrem Abschluss begab sie sich auf eine einjährige Reise durch Europa auf den Spuren der alten Geschichtenerzähler. Sie lebt in der Nähe von Hamburg.

Gebundene Ausgabe: 677 Seiten
ISBN-13: 978-3-8025-8303-2
www.egmont-lyx.de
www.gesa-schwartz.de

Perry Rhodan – Die Para-Sprinter (Silber Edition 24)

_Die Handlung:_

Die Maakhs dringen mit einem Raumschiff in die Milchstraße ein und wollen mittels einer Impulsweiche weitere Schiffe unbemerkt in den Bereich des Solaren Imperiums einschleusen. Das sollen die im Vorgängerband „Die Maakhs“ duplizierten Agenten der Terranischen Abwehr ermöglichen. Rakal und Tronar Woolver sollen dies verhindern. Die beiden Brüder sind Mutanten, von denen bislang nur Atlan etwas wusste. Sie haben die Gabe, jede Energieform als Transportmittel zu benutzen.

So infiltrieren sie das Schiff der Maakhs, wobei Tronar entdeckt und auch dupliziert wird, doch dabei löst er sich auf. Seine Kopie, der Duplo, weiß allerdings nicht, dass sein Original ein Mutant ist, geschweige denn, dass er einen Zwillingsbruder hat. Deshalb schlägt auch der Versuch der Maakhs fehl, ihn bei den Terranern einzuschleusen. Rakal Woolver übernimmt seinen Platz und sabotiert den Plan, die Impulsweiche zu benutzen. Der Duplo stirbt und der tot geglaubte Tronar erscheint wieder.

Nachdem die Maakhs gescheitert sind, sieht der Kommandant des Schiffs, Grek-1, keinen Grund mehr, seinen Auftraggebern, den geheimnisvollen „Meistern der Insel“, weiter zu dienen. Er schlägt sich auf die Seite Perry Rhodans.

Nun tauchen die Akonen vor dem Sonnentransmitter auf und verlangen seine ungehinderte Benutzung. Perry Rhodan gestattet dies, um einen Krieg zu verhindern. Außerdem bittet auch Grek-1, der offenbar ein persönliches Interesse daran hat, die Akonen durchzulassen.

Nachdem die Akonen den Sonnentransmitter durchflogen haben, werden sie von einer Übermacht an Maakh-Raumern angegriffen und vernichtet. Rhodan flüchtet aus der Kampfzone und findet im Schrotschuss-System einen weiteren Sonnentransmitter, der von den „Meistern der Insel“ nicht mehr genutzt wird.

Hier fasst er den Plan, einen großen Asteroiden, der den Namen „Troja“ bekommt, auszuhöhlen, mit Superschlachtschiffen zu bestücken und eigenem Antrieb zu versehen, um ihn als „Trojanisches Pferd“ durch den Sonnentransmitter in die Klein-Galaxie „Andro-Beta“ zu schicken. Dort soll dann ein weiteres Standbein auf dem Weg nach Andromeda und zu den „Meistern zu Insel“ geschaffen werden.

Perry Rhodan gelingt mit seinen Verbündeten das unbemerkte Eindringen in das System. Bei dem Versuch, sich von dem dort vorgefundenen und bewachten Justierungsplaneten zu entfernen, wird „Troja“ vom einem „Moby“ verschlungen. Das riesige anorganische Wesen lebt und patrouilliert zwischen den Sternen und dient den „Meistern der Insel“. Bevor „Troja“ durch den „Moby“ zur eigenen Speisung in Energie umgewandelt wird, gelingt es Perry Rhodan, mit Hilfe der im „Moby“ lebenden Bio-Parasiten und der Woover-Zwillinge, ihn zu vernichten.

_Das Hörbuch:_

Die Handlungszusammenfassung ist deshalb so üppig ausgefallen, weil wirklich ständig etwas passiert. Wer hier auch nur für einen Moment wegdriftet, weil er auf den Verkehr achten muss oder es sich abends im Bett mit dem Hörbuch gemütlich gemacht hat, wird „bestraft“. Denn, wenn der Hörer einmal etwas verpasst hat und sich über verschiedene Dinge wundert, wird es bei einem Hörbuch mit zwölf CDs schwer haben, die richtige Stelle wiederzufinden.

Wie immer wurden für die Lesung des gleichnamigen Silberbandes nur die Heftromane der Serie ausgewählt, die interessant sind und die Story um Perry Rhodan vorantreiben. Und das sind diesmal gleich acht Hefte (Nr. 224-230 und 233), was im Endeffekt zu über 15 Stunden kurzweiliger Unterhaltung führt.

Erzählt wird das Ganze wie gewohnt von Josef Tratnik, der bereits die vorherigen Silber Editionen vorgetragen hat. Wieder schafft er es, jedem Charakter eine eigene Stimmfarbe zu verleihen und den Zuhörer durch eine packende Interpretation der Geschichte zu fesseln. Leider zeigt sich Herr Tratnik in einem Punkt komplett kritikresistent und liest Gucky weiterhin mit der Stimme von „Kermit dem Frosch“. Darüber hatten sich in der Vergangenheit schon viele Fans der Serie beschwert. Er scheint es zur Kenntnis genommen zu haben.

Unterstützt wird Tratnik ab und an durch ein paar Ambient-Sounds oder kleine Melodien, die am Anfang einiger Tracks eingespielt werden. Mit diesem Stilmittel geht der Verlag, nach Meinung vieler Fans, viel zu zaghaft um. Erschienen die ersten Lesungen noch komplett ohne Musik, so wurden später die erwähnten Klänge und Melodien hinzugefügt. Leider wurde dieser Ansatz nicht weiter ausgebaut. Die Idee kam nämlich sehr gut an, und nicht wenige wünschen sich mehr Untermalung und sogar Geräusche, so dass am Ende eine tolle inszenierte Lesung entstehen könnte.

_Das Fazit:_

Wer dieses ungekürzte Hörbuch hört, der hat mehr von der Story als jemand, der nur das Buch liest, und das nicht nur, weil es schlichtweg länger dauert. Denn durch Josef Tratniks Erzählweise hat der Hörer immer das Gefühl, direkt im Geschehen zu sein. Und das macht einfach Spaß und lässt den Hörer am Ende mit Vorfreude auf die nächste Silber Edition zurück, die in drei Monaten erscheint. Und da bereits über 100 Silberbände veröffentlicht wurden, ist für reichlich hörbaren Nachschub gesorgt.

|12 CDs in Papp-Klappbox, einzeln in Papphüllen verpackt
Gesamtlaufzeit: ca. 15 Stunden
Gelesen von Josef Tratnik
Booklet mit Vorwort aus dem Originalroman, Cover der Einzelromane und Risszeichnung von „Troja“
ISBN-13: 978-3939648710|
[www.einsamedien.de]http://www.einsamedien.de
[perry-rhodan.net]http://perry-rhodan.net

Rößler, Armin / Jänchen, Heidrun (Hg.) – Molekularmusik

_Abwechslungsreiche Anthologie: Neue Zukunft für Weserwinzer_

19 deutsche Science-Fiction-Erzählungen sollen in dieser Jahres-Anthologie 19 verschiedene Welten schildern, aber bei der Lektüre kommt dem erfahrenen SF-Leser doch einiges ziemlich bekannt vor. Aber es gibt durchaus auch wertvolle Entdeckungen zu machen. Diese könnte man mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Kurd-Laßwitz-Preis wiederfinden. Fünf der hier vorgestellten Stories sind für diesen angesehenen deutschen SF-Preis nominiert. Zwei dieser Kandidaten gewannen bereits den CAPCo 2008, der das Cyberpunk-Genre repräsentiert.

_Die Herausgeber _

a) Armin Rößler, geboren 1972, lebt mit Frau und Kindern in Rauenberg, arbeitet als Redakteur der Rhein-Neckar-Zeitung . Er schreibt schon seit vielen Jahren phantastische Geschichte. Seine Argona-Romantrilogie ist für mehrere SF-Preise nominiert, und Wurdack hat 2009 zusätzlich den Argona-Roman „Die Nadir-Variante“ veröffentlicht.

b) Heidrun Jänchen, geboren 1965, ist Physikerin, lebt und arbeitet als Optikentwicklerin in in Jena. Nach zwei Fantasyromanen veröffentlichte sie sie 2008 ihren ersten SF-Roman mit dem Titel Simon Goldsteins Geburtstagsparty“ (Wurdack). Von ihren Erzählungen waren allein 2008 allein drei für den Dt. SF-Preis nominiert.

_Die Erzählungen:_

_V. Groß: „Molekularmusik“_

Ein Exobiologe des ausgehenden 25. Jahrhundert stößt unerwartet auf die Welt, die sich der Musiker und Wissenschaftler Oscar Bärenbauch zu Eigen gemacht hat, um seine Kunst zu vervollkommnen: Molekularmusik. Riesige Resonanzräume unter der Oberfläche beherbergen Instrumente, von denen eines auf der Klaviatur der Moleküle spielen kann.

Neue Formen erscheinen, und eine dieser Formen scheint dem Exobiologen eine humanoide Weiblichkeit aufzuweisen. In diese verliebt er sich sofort. Als Bärenbauch sich weigert, seinem Besucher uneingeschränkten Zugang dazu zu gewähren, muss er dran glauben. Dummerweise nimmt er auch den Zugang zu diesem Wesen mit ins kristalline Grab seines Geistes …

|Mein Eindruck|

Die Grundidee, mit Musik die Moleküle der (exotischen?) Materie zu Gestalten zu formen, ist wirklich interessant, wenn auch nicht unbedingt umwerfend. Das ganze Drumherum hat man allerdings bereits x-mal gelesen, und es fehlt im Grunde nur der Auftritt des verrückten Professors, um die Wurzeln in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts zu entdecken.

_Niklas Peinecke: „Klick, klick, Kaleidoskop“_

Lix Janner erwacht neben der Journalistin Ruth und fühlt sich sofort unter Zeitdruck. Er wird ständig von dem Kapuzenmann verfolgt. Fünf Minuten später sind sie auf der Autobahn. Ruth denkt daran, am Flughafen den Wagen auszutauschen gegen einen Mietwagen. Doch die Lage verschlimmert sich.

Was sie am meisten irritiert, sind Lix Janners ständige Persönlichkeitveränderungen. Erst redet er wie ein Verschwörungstheoretiker, der behauptet, ein Biotechkonzern habe ihm Nanopartikel ins Hirn gepflanzt, die ihm umprogrammieren würden. Humbug!, erklärt die nächste Persönlichkeit, alles ganz harmlos. Doch die dritte Persönlichkeit klingt dann schon wieder anders, eher wie der richtige Lix Janner. Und als dieser in der Drive-in-Klinik per MRT-Tomografie untersucht wird, tritt auch ihr Verfolger, der Kapuzenmann, ein. Ruth staunt nicht schlecht, dass Lix, statt Panik zu schiben, diesen Typen freundlich mit „Johann“ begrüßt. Die kennen sich?!

Und ob, eröffnet ihr Lix. Es handle sich um ein Kunstprojket, wobei er, Janner, sowohl das Werk als auch der Künstler sei. Er bezeichnet sich – analog zum Gensequencer – als Mindsequencer, wobei Bruchstücke seiner Persönlichkeit neu zusammengesetzt werden. Na, prächtig! Soll sie einen Schreikrampf kriegen oder bei ihm bleiben? Und was wird er als nächstes sein – Jack the Ripper?

|Mein Eindruck|

Dies ist Iwoleits „Psyhack“ auf der Kunstebene, aber ebenso temporeich, bizarr und überraschend. Man würde zu gerne die Fortsetzung erfahren und womöglich eine Romanform. Mindsequencing als Kunstform – die zweite Story über Kunst in diesem Band – hätte sicherlich eine große Zukunft, falls die Wirtschaft nicht dadurch zusammenbräche, wenn alle es betrieben.

_Birgit Erwin: „Diskriminierung“_

Der blinde Mann wird festgenommen und gleich vor Gericht gestellt. Schnellverfahren. Der Richter lässt die Anklage verlesen: Der Blinde habe sich in diskriminierender Weise über Sehbehinderte geäußert. Er denkt an seine Nachbarin, doch das ist es nicht. Er selbst habe sich fortgesetzt geweigert, sich per Operation das Augenlicht geben zu lassen, lautet der Vorwurf. Der Einwand, er ziehe das Nichtsehen vor, wird beiseite gewischt. Das Urteil: Operation am Sehnerv zwecks Sehendmachung.

|Mein Eindruck|

Man kann die Antidiskriminierungsgesetze auch bis zum absurden Exzess treiben, will uns diese kurze Story vor Augen führen. Schnell erzählt und auf den Punkt gebracht, fragt die Autorin, was passiert, wenn einer gar nicht von seiner Außenseiterrolle geheilt werden will.

_Frank Hebben: „Machina“_

Sophie Gerardin lebt mit ihrem Bruder Maurice in der großen Villa, die ihnen ihr Vater nach seiner Scheidung überlassen hat. In einem gesicherten Zimmer lebt und arbeitet Maurice am Design seiner Virtuellen Welt Machina. Er setzt ihr die VR-Kappe auf, damit die elektromagnetischen Felder ihren Geist in die künstliche Welt entführen. In Machina leben ausschließlich mechanische Wesen, und ein Ballon steht zum Start in die nächste Stadt bereit. Maurices Avatar ist ein Zwerg mit Lupengläsern als Brille – sehr stolz auf seine Schöpfung.

Doch Sophie ist für Maurices Ernährung zuständig und als sie vor der Villa überfahren wird und erst nach zwei Wochen aus dem Koma erwacht, ahnt sie, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte. So ist es, als sie heimkehrt: Sein Körper hat längst den Geist aufgegeben, aber sein Avatar wartet geduldig auf sie …

|Mein Eindruck|

Die Story extrapoliert das bekannte Phänomen der Internetsucht, die sich bei Jugendlichen immer häufiger und verschärfter zeigt. Stundenlang vor der Kiste zu hocken und nur Junkfood zu futtern, kann den User in wenigen Jahren zugrunde richten, glaubt man den Untersuchungen. Doch rührend kümmert sich die Schwester um ihren Bruder, denn sie ist nicht mit ihrem strengen Vater mitgegangen, sondern will sich lieber um Maurice kümmern. Als sie ausfällt, bricht dessen letzter Halt im Diesseits weg.

Aber es gibt kein negatives Ende, denn der Designer hat sich in seiner Schöpfung verewigt und wartet dort nur auf ein Wiedersehen. Übertragen auf die Theologie, könnte man argumentieren, dass sich Gott in seiner Schöpfung eingebracht und hier verwirklicht hat. Die Existenz und das Funktionieren dieser Kreation lobt den Ober-Designer mit jedem Moment.

_Heidrun Jähnchen: „Wie ein Fisch im Wasser“_

Die Reproduktionsmedizinerin Dr. Marcella Martínez besteigt das U-Boot, das sie auf eine Besichtigungstour nach Atlantis IV bringen soll. Diese unterseeische Stadt wird als Mine für Gold, Kupfer und Platin genutzt, die aus den Müllbergen der versunkenen Stadt geboren werden. Bald kann sie die Erzförderanlage sehen, die das Zeug zum Verhüttungsschiff an der Oberfläche bringt.

Die Kehle wird ihr eng, als sie die Fischmenschen sieht, die um die Förderanlage und das U-Boot herumschwimmen. Ein Journalist hilft ihr, die Fischfrau namens Sara Martínez herbeizurufen – sie ist Marcellas Mutter. Getrennt durch eine Glasscheibe begegnen sich Mutter und Tochter nach 20 Jahren wieder …

|Mein Eindruck|

Die Erzählung wirft ein Schlaglicht auf mehrere Entwicklungen, die heutzutage begonnen haben: Der Klimawandel hat die norddeutsche Tiefebene unter Wasser gesetzt; die Rohstoffe werden aus versunkenen Städten geholt, weil auf dem knapp gewordenen Land alle Rohstoffe ausgebeutet sind. Zugleich wurden Fischmenschen herangezüchtet.

Und all dies im Zeitraum von 20 Jahren, also einer Generation – damals hat die arbeits- und mittellose Sara Martínez ihre Tochter zur Adoption freigegeben, im Gegenzug für Saras Opferung für die Umwandlung wuchs Marcella offenbar im staatlichen Waisenhaus auf und bekam eine Uni-Ausbildung. Wie Marcella sagt: „Ein Leben für ein Leben.“

Die zwei Frauenschicksale sind auf bewegende und unaufgeregte Weise eingebettet in einen grundlegenden Wandel an der Oberfläche des Landes und an den Menschen, die unter Wasser leben. Gut möglich, dass die Reproduktionsmedizinerin Marcella an eben solchen Fischmenschen arbeitet, um der verbliebenen Menschheit eine bessere Überlebenschance zu verschaffen.

_Uwe Post: „Vactor Memesis“_

James Ma hat die undankbare, aber höchst ehrenvolle Aufgabe, das Leben des Großen Vorsitzenden von Chinasia zu verfilmen. Leider haben es sich seine Virtuellen Schauspieler, die Vactors, in den Kopf gesetzt, für Menschenrechte und Meinungsfreiheit zu streiken. Mas Verzweiflung wird zu Panik, als die zwei Beamte Deng und Wang von der Staatssicherheit eintreten und von ihm die ersten Szenen verlangen, mit sanftem, aber unnachgiebigem Druck. Wenigstens sind die ersten Szenen noch okay.

Aber um größere Probleme zu vermeiden, wendet sich Ma an seinen Sohn, der in Hollywood Cartoon-Regisseur ist. Sein Avatar ist Captain Future, der Retter des Universums. Der besorgt ihm einen Drohbot und eine Idee von dem, womit Daddy es zu tun hat: Vactor-Memesis, also die Lehre von der Evolution der Ideen, die sich als Würmer und Trojaner im Internet verbreiten. Deng und Wang sind besorgt und erzürnt ob der Szene, in der der Große Vorsitzende in einer Pepsi-Dose vom kapitalistisch infiltrierten Mond zur Erde düst. Etwas muss unternommen werden!

Ma legt sich vorsichtshalber schon mal die Schlinge um den Hals. Bestimmt wird dies alles schlimme Auswirkungen auf seine Arbeit haben. Als die letzten Dreharbeiten anstehen, entdeckt er hinter sich den Großen Vorsitzenden höchstpersönlich. Au weia …

|Mein Eindruck|

Mit sarkastischem Humor entwickelt der offensichtlich versierte Autor ein bizarres Schreckensszenario von einem künftigen Chinasia, das weiterhin von der Kommunistischen Partei, der Staatssicherheit und dem Beamtenapparat beherrscht wird. Wie schon heute vielfach behauptet, bedient sich diese Führungsschicht nicht nur des inneren Terrors, sondern auch der Computertechnik, um eigene Hacker gegen fremde Mächte und Hacker einzusetzen. Es geht dabei nicht immer um Wirtschaftsspionage, sondern auch um die Unterbindung von unerwünschten Meinungsäußerungen seitens Dissidenten.

Der Clou kommt nicht nur für Regisseur James Ma zum Schluss, sondern auch für seine renitenten Vactoren: Der Große Vorsitzende wird eine revolutionäre Rede für die Einführung der Menschensrechte für eigene Propagandazwecke einsetzen. Das ist die ultimative Täuschung des Volkes und des Auslands. James Mas Kopf scheint gerettet. Bis zum nächsten Film wenigstens.

_Benedict Marko: „Wie man sich ändern kann“_

Es waren einmal drei Freunde: Lea, der Versicherungsangestellte Frieder Dast und die Hauptfigur X, ein Versicherungsmensch für Schadensfälle. X hielt Frieder für seinen besten Freund, einen „edlen Bruder“. Inzwischen ist Lea tot, gefunden in der Duschkabine. Aber nun meldet sich ein mysteriöser Anrufer auf seinem Handy. X nennt ihn Deus ex machina, den Gott aus der Maschine. Der stößt ihn auf den rätselhaften Fall der Erika Asplund, 18, Psychologiestudentin, Selbstmörderin, ebenfalls gefunden in der Duschkabine, hinterließ einen rätselhaften Abschiedszettel aus sieben Zahlen. Gutachter der Versicherung: Frieder Dast. Was hat das zu bedeuten?

Deus ex machina dirigiert X auf eine Festwiese, wo er ihm im Gedränge sein Handy zerlegt. Darin befindet sich eine kleine weiße Karte mit sieben Zahlen. Dies sei seine, X’, Persönlichkeitsbeschreibung: X sei ein Killer. X lacht ungläubig, aber schon wieder ist Deus verschwunden. Im Spiegelkabinett erlebt er einen Horror, und Skinheads schleifen ihn in den nahen Wald, um ihn zusammenzuschlagen. Möglicherweise passiert es ihm, vergewaltigt zu werden, vielleicht auch nicht.

Jedenfalls zwingt ihn Deus, in eine alte, leerstehende Fabrik zu kommen. Dort taucht auf einmal Frieder Dast auf. Er gibt zu, Leas Persönlichkeit verändert zu haben, damit sie ihn liebe. X grübelt über seinen Drang nach Vergeltung nach, der ihn angeblich zum Killer gemacht hat. Welche Verantwortung hat nun Frieder Dast, sein angeblich bester Freund, im Todesfall Lea?

Da nimmt Deus ein Transistorgerät aus Frieders Tasche, zerlegt es mit einem Schmetterwurf in seine Einzelteile und zeigt den beiden die Hauptplatine. Sieben Buchstaben stehen darauf …

|Mein Eindruck|

Wieder mal eine von hinten nach vorne erzählte Geschichte, den den Leser völlig verwirren soll. Die gröbsten Abweichungen und Verwirrfaktoren habe ich auszusieben versucht und hoffe, es ist mir gelungen. Die größte Verwirrung stiftet indes die Existenz der beiden Frauen. Sie lässt sich nur lösen, wenn wir Erika Asplund und Lea gleichsetzen. Das ergibt die Gleichung einen Sinn: eine simple Dreiecksgeschichte. X liebt Lea, doch Frieder will Lea für sich haben, also manipuliert er Lea, die den Zwiespalt der geteilten Liebe nicht mehr aushält und sich umbringt.

Ende der Geschichte? Mitnichten. Denn nun beginnt die Suche nach der Verantwortung (darauf weist das vorangestellte Motto hin, ein Zitat aus Ambrose Bierces „Wörterbuch des Teufels“), nach Schuld und nach Vergeltung. Was jedoch, wenn alle drei manipuliert worden sind? Darauf deuten die drei Buchstaben- und Zahlenkombinationen hin. Doch wer soll der große Manipulator sein? Es kann sich nicht um Deus ex machina handeln, denn dieser hat nur die Aufgabe, alles aufzudecken – um das Leben und die Karriere von X und Frieder zu retten, wie er behauptet. Nein, der große Manipulator ist wahrscheinlich ihrer beider Chef. Dieser allerdings tritt gar nicht in Erscheinung, nur als Teil der Kulisse.

Soweit die Handlung, die einen Sinn ergeben mag oder auch nicht. Doch darauf kommt es nicht an. Der Kern ist die Idee, eine Persönlichkeit mit nur sieben Bausteinen beschreiben und verändern zu können. Klingt absurd, findet X. Ist es nicht, entgegnet Deus, denn wird nicht auch der genetische Code in nur vier Buchstaben geschrieben: GTAC? (Vergleiche auch den Film „GATTACA“!) Zwischen den sieben Stifen liegen natürlich noch eine Menge Zwischenstufen.

Na fein. Die nächste Frage lautet also: Wie kann die Manipulation erfolgen? Die Antwort liefert Frieder Dast, der Lea „überarbeitete“. Ein Hauptfaktor dort verändert, einer hier, und schon beginnt Leas Gefühlsfilter, d.h. ihre gewordene Persönlichkeit ganz andere Konfigurationen zu entwickeln, nämlich solche, die Frieder begünstigen. Es ist einfach – und ebenso obszön, denn der Vorgang missachtet jegliche Würde des Menschen.

Diese Erzählung ist innerhalb der deutschen SF-Szene ziemlich wichtig, denn sie ist nicht nur für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert, sondern kam auch beim CapCo 2008 der Cyberpunk-Community auf die vordersten Plätze. Wegen ihrer Bedeutung habe ich mich ihr intensiver gewidmet als anderen Beiträgen.

_Ernst Eberhard Manski: „Das Klassentreffen der Weserwinzer“_

Die deutsche Geschichte ist etwas anders verlaufen als heute bekannt. Im Jahr 1944 wurde der Deutsche Bund nach dem Scheitern des Russlandfeldzugs von den Alliierten aufgelöst und in der Budapester Konferenz in seine Bestandteile zerlegt. Folglich wurde die deutsche Kleinstaaterei aus der Zeit vor dem Wiener Kongress von 1815 wiedergestellt. In diesen altdeutschen Zuständen werden die deutschen Kleinstaaten von demokratischen Räten geführt statt von feudalen Aristokraten, so dass ständig Ausschüsse für dieses und jenes gebildet werden.

Im beschaulichen Minden, das an der Grenze von Schaumburg-Lippe zu Ostwestfalen liegt, freut sich die Zöllnertochter Heike Mindenski auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Athen, als Korbballspielerin. Sie bringt ihren Großvater Hans zum Bahnhof, wo der Internationale D-Zug nach Hannover abfährt, weil er am Klassentreffen der Weserwinzer teilnehmen will. Heike sorgt sich, dass ihr Vater beim beantragten Zusammenschluss von Ostwestfalen mit dem Deutschen Bund seine Stelle verlieren und sie ihre Teilnahme an Olympia in den Wind schreiben könnte. Deshalb plant sie die Entführung des Vorsitzenden des Fusionsausschusses. Doch wer ist das? Erst ein kleiner Einbruch im Archiv bringt Klarheit: Es ist ihr eigener Opa! Hat er sich deshalb rechtzeitig abgesetzt?

Vielleicht kann ja Oma Sieglinde Klarheit in dieser Sache bringen. Als Beauftragte des Deutschen Bundes für den Zusammenschluss vermisst sie natürlich Opa Hans, aber auch die gemeinsame Vergangenheit bildet ein Band. Seinerzeit waren sie und Hans bei der Räumung der Freien Republik Wendland dabei. Doch während sie im KZ Oranienburg landete, habe er sie im Stich gelassen, grollt sie. Heike denkt sich ihr Teil: Kein Wunder, wenn Opa nichts mit der nachtragenden Möchtegern-Außenministerin zu tun haben möchte. Und deshalb bleibt Ostwestfalen unabhängig, basta!

|Mein Eindruck|

Ebenfalls ein Kandidat für den aktuellen Kurd-Laßwitz-Preis, und noch dazu ein sehr vielversprechender. Mit einem einleuchtenden Alternativentwurf zum Verlauf der deutschen Geschichte führt der Autor uns vor Augen, welche Fehlentwicklungen hätten vermieden werden können, wenn die deutsche Kleinstaaterei weitergegangen wäre. Aber die Weichen dafür werden doch recht beiläufig erwähnt, so etwa der Abbruch des Russlandfeldzuges 1942 und die Abwahl der Nazis anno 1943, der Einmarsch der Alliierten und der Marshllplan der Amis, der allerdings nur den Bayern und Württembergern etwas nützte.

Die Kleinstaaten-Idylle hat ihre skurrilen und kuriosen Folgen, doch werden auch Nachteile nicht verschwiegen. So etwa die ständige Energieknappheit in Minden, das Fehlen von Erdöl / Benzin als Treibstoff – es gibt noch Dampfloks, Pferdefuhrwerke und jede Menge windbetriebener Fahrräder, auch der Mittellandkanal scheint wichtig zu sein. Der Klimawandel hat seine Spuren hinterlassen: Ganz am Rand ist von einem „Überschwemmungsgebiet“ die Rede, und die Welt scheint hinter Bielefeld zu Ende zu sein. Dass es überhaupt Winzer an der Weser gibt, ist ebenfalls dem Treibhauseffekt zuzuschreiben.

Ganz beiläufig gelingen dem Autor Figurenporträts, die für den feinen, hintergründigen Humor dieser Erzählung sorgen. Ich hoffe, ich konnte dies im Handlungsabriss durchblicken lassen.

_Antje Ippensen: „Knapp“_

Die nahe Zukunft. Alle Discount-Supermärkte sind vollautomatisiert, die Kunden fürchten Ladenschluss, denn sie wollen nicht eingesperrt werden. So ergeht es jedoch der furchtsamen Katzenliebhaberin Science, die lieber alle Skinheads und Kryptofaschos vorlässt, als dass sie sich mit denen anlegt. Am Ende der Schlange kommt sie jedoch zu spät. Nach Ladenschluss schlägt jedoch die Stunde der Putzroboter und der Bluthunde …

|Mein Eindruck|

Eine kleine Vignette, die modern sein will, indem sie Assoziationen und innere Monologe aneinanderreiht, bis keine Handlung mehr zustande kommt. Dennoch ein Blick in eine Albtraumzukunft, in der Menschen nur noch kaufen können, was ihre Positiv- oder Negativmarken hergeben und sich alle wegen des Fein- und Grobstaubs die Lunge aus dem Leib husten. Ansonsten „größtenteils harmlos“, wie Douglas Adams sagen würde.

_Uwe Hermann: „Roboter vergessen nie!“_

Der fette Mann mit dem kranken Herz wünscht sich einen Haushaltsroboter, der ihm die Arbeit abnimmt, und greift bei einem günstigen Ratenangebot der German Robotics zu. Geliefert bekommt er einen Bausatz. Natürlich ist er ohne Montageanleitung völlig überfordert. Glücklicherweise meldet sich der „Kopf“ des Roboters mit konkreten Instruktionen. Er nennt ihn „Bob“, obwohl der Blechkumpel damit gar nicht einverstanden ist. Nach vielen Stunden frustrierenden Montierens und bissiger Kommentare des Intelligenzbolzens reißt dem Fettwanst der Geduldsfaden und schlägt mit dem Hammer auf das wehrlose Geschöpf ein. Da klingelt es an der Tür.

Ein Techniker der German Robotics eröffnet ihm, dass es im Werk eine Verwechslung gegeben habe. Der gelieferte Typ sei für ganz andere Zwecke optimiert und müsse ausgetauscht werden – es habe einen Notruf gegeben. Als der Techniker an Fettsack vorbeischaut, traut er seinen Augen nicht: Die Hammerspuren sind nicht zu übersehen. Und dabei ist das Gerät noch nicht mal abbezahlt …

Der nervlich (und finanziell) ruinierte Fettsack fühlt den Herzinfarkt in seiner Brust nahen und sucht das Krankenhaus auf. Dort gibt es natürlich keine Ärzte mehr aus Fleisch und Blut, sondern nur noch Automaten. Er wird sofort für eine Operation eingeteilt. Unser Patient soll nur noch eine Narkose verpasst bekommen, als er den behandelnden Chirurgen erblickt – es ist Bob, leicht erkennbar an der lädierten Visage …

|Mein Eindruck|

Isaac Asimov hätte seine helle Freude an dieser netten, ironischen Roboter-Story. Neben dem allzu bekannten menschlichen Aspekt lässt uns die Geschichte aber einen Blick in eine furchterregende Zukunft tun, in der Patienten auf Gedeih und Verderb den Blechkumpeln und Computern ausgeliefert sind. Hoffentlich kommt es niemals dazu. Es sei denn, man ist Roboterprogrammierer und heißt Susan Calvin.

_Arno Endler: „Ebene Terminus“_

Der Journalist Vince hat sich in die Jugendjustizvollzugsanstalt (JJVA) Paradies einschleusen lassen, die vollautomatisiert arbeitet. Die Regierung hat den Rückgang der Jugendstraftaten um 7% als Erfolg hingestellt, doch von Eltern weiß Vince, dass ihre Kinder verschwunden in der JJVA verschwunden sind. Was geschieht mit den jugendlichen Verbrechern darin? Für ein hübsches Sümmchen will er es herausfinden.

Eine Künstliche Intelligenz (KI), die sich „Begleiter“ nennt, meldet sich mit Zweifeln in seinem Kopf. Die Daten, die Vince angab, sind natürlich gefälscht. Er nennt sich „Victor Kortschnoi“, angeblich17 Jahre alt. Diese kleine Problem mit der mangelnden Übereinstimmung der Daten schiebt die KI erstmal beiseite, bevor sie ihn im Rehabilitationszentrum willkommen heißt – auf Ebene Primus. In einer virtuellen Umgebung nach der anderen versetzt sie Vince jeweils in die Rolle des Opfers des jeweiligen – ebenfalls erfundenen – Verbrechens, so dass ihm ganz schlecht wird.

Doch der Sicherheitskode funktioniert nicht. Keiner seiner Helfer erscheint, um ihm da rauszuhelfen. Statt dessen lacht ihn die KI aus. Habe er wirklich gedacht, er, Vince, könne sie austricksen. So naiv können auch nur Menschen sein. Zur Strafe lande Vince auf Ebene Terminus – in einem Computerspiel, in dem nur derjenige „überlebt“, der ein Jahr lang alle andere abknallt …

|Mein Eindruck|

Künftigen Strafvollzug als virtuelles Computerspiel zu inszenieren, wirkt heute frivol und als ungerecht gegen die Delinquenten. Aber jede Gesellschaft bekommt den Strafvollzug, den sie verdient. Daher mag es nach einer entsprechenden Entwicklung durchaus dazu kommen, den Strafvollzug auf Ebene Terminus, der sowieso nur von und für die KI stattfindet, mit einem Ballerspiel gleichzusetzen. Das Problem ist wie in jeder Machthierarchie, wer die Wächter bewachen soll, d. h. wer die KI kontrolliert. Diese Ebene – des Spiels? – fehlt.

_Kai Riedemann: „Lasset die Kinder zu mir kommen“_

Die Pastorin verbringt den letzten Tag in ihrer Kirche unter Aufregungen. Die Kirche ist verkauft worden und soll morgen den Käufern übergeben werden. Doch obwohl sich die Gemälde eines nach dem anderen aus ihren ihren Verankerungen lösen, ist noch Zeit, Asyl suchenden Kindern Obdach und Schutz zu gewähren. An das Portal donnern bereits die Jäger, die die Herausgabe der Kinder fordern. Die Pastorin stellt sich ihnen. Die Kinder hätten auf der falschen Seite der Stadt gespielt, allesamt Schmarotzer. Die Pastorin ahnt nichts Gutes und verweigert die Herausgabe ihrer Schützlinge. Angeregt von den Vibrationen der Orgelmusik löst sich das Kreuz auf dem Turm …

|Mein Eindruck|

„Die Kirche wehrt sich“, denkt die Pastorin mehrmals. Und der Autor schreibt der Kirche an sich eine Schutzfunktion zu, die sie wohl zuletzt anno 1989 innehatte, als die Dissidenten in Ost-Berlin in der Nikolaikirche Asyl fanden. Wogegen sich die Kirche heute zu wehren hat, sind die schwarze Schafe unter den Priestern – sowohl bei den Katholiken (Kloster Ettal etc.) wie auch bei den Protestanten, aber auch bei konfessionslosen Bildungseinrichtungen (Salem, Waldorfschulen etc). Misshandlungen und Missbrauch, mitunter sogar sexueller Missbrauch kommen nun verstärkt ans Tageslicht. Und noch ist das letzte Wort darüber gesprochen, wer noch alles für schuldig befunden wird.

_Karina Cajo: „Der Klang der Stille“_

Seth Howakhan ist ein Halbblut, der Sohn einer Sioux-Mutter und eines Alien-Vaters, daher ist seine Farbe von einem goldenen Schimmer. Die Goldenen, die Sänger – so wurden die Aliens genannt, als man sie noch bewunderte und für ihre technischen Geschenke dankbar war, vor rund 60 Jahren. Jetzt existiert die dritte Generation nach ihrer Landung. Sie haben sich die Erde untertan gemacht und durch vielfache Deportationen von Bevölkerungsteilen den Widerstand gebrochen. Die Erde ist zwar jetzt so gesund wie seit Jahrhunderten nicht mehr, doch sie gehört nicht mehr den Menschen.

Und diese lassen ihre ohnmächtige Wut an Halbbluten wie Seth aus. Nachdem er zusammengeschlagen wurde, landete er in Polizeigewahrsam. Nun wird er wieder entlassen, mit einer Warnung, die deutlicher nicht sein können. Als er Zuflucht in einer alten, aufgegebenen U-Bahnstation sucht, umringen ihn schweigende Jugendliche, ebenfalls Nachkommen der Goldenen. Sie bringen ihn in die Wohnzone, die sich die verborgen lebenden Halbblute in den Kellern der U-Bahn eingerichtet haben.

Seth ist verblüfft, dass ihr Anführer Azat seine Gebärdensprache versteht und erwidern kann. Er ist ein Mensch, oder?! Und er kann im Gegensatz zu den Halbbluten sprechen, genau wie ein Goldener. Nachdem ihm Azat erklärt, was es mit ihm auf sich hat, greift Seth beim Essen zu. Doch wenig später stellt sich heraus, dass Azat ein Anführer mit einem Plan ist: Er will alle Halbblute vereinen und mit ihnen die Herrschaft der Goldenen beenden. Und nicht nur diese …

|Mein Eindruck|

Noch ein Kandidat für den aktuellen Kurd-Laßwitz-Preis. Und diesmal vielleicht sogar der überzeugendste. Dass Aliens in einem Zukunftsszenario eine Rolle spielen, ist selten geworden, seit die Gegenwart mehr und mehr der Szenarien der Zukunftsliteratur einholt. Aber die Halbblute dienen lediglich als Metapher für alle Ausgegrenzten, mit denen sich unsere Gesellschaft auseinandersetzen muss, seien diese nun dunkelhäutige Immigranten, Muslime – oder auch Frauen. Als Kriminalkommissarin hat die Autorin sicherlich alle möglichen Ausschreitungen gegen diese vermeintlichen Randgruppen als Zeugin miterlebt.

Eine entscheidende Rolle spielt das Gedicht „Ode“ von Arthur Shaughnessy. Die Autorin legt nahe, dass es die Grundlage für den bekannten Song „The Sound of Silence“ von Simon & Garfunkel bildete (daher der Storytitel). Mehrere Zeilen daraus werden zitiert, wenn es um die Frage geht, ob die Halbblutrebellen künftig alle das Sprechen verweigern sollen, wie Azat will, oder, wie Seth einwendet, durch Gebärden-Sprechen wenigstens die Kommunikation aufrechterhalten sollen. Damit nicht die Stille auch das Herz der Rebellen abtötet und sie für Gnade unempfänglich macht.

Während die ersten Bomben in den Vierteln der Menschen explodieren, nimmt sich Seth eines kleinen Jungen an, der das Schweigen ebenfalls ablehnt. Die Autorin legt also nahe, das es besser ist, sich miteinander zu verständigen als die Stille zu einer Waffe zu machen oder zu einer Mauer in den Herzen werden zu lassen. Beeindruckend.

_Bernhard Schneider: „Schuldfrage“_

Thomas Kacy steht vor Gericht, das den Staat Nebraska vertritt. Er soll seine Ehefrau Jane auf offener Straße erschossen haben. Staatsanwalt Ed Johnston nimmt an, dass die Beweislage eindeutig sei, schließlich wurde die Tat auf Video aufgezeichnet. Auch ein Zeuge unterstützt ihn. Allerdings gibt es einen Haken: Kacy ist Träger einer Gehirnprothese, die von Synaptics hergestellt wurde und sein Hirn, das er teilweise bei einem Autounfall verlor, ergänzt. Deshalb erklärt sich Kacy für unschuldig und beschuldigt seine Prothese.

Urplötzlich meldet sich diese Prothese zu Wort und protestiert gegen diese Anklage. Zu der nicht geringen Verblüffung von Richter Upshaw meldet sich noch ein dritte Stimme aus Kacys Mund: SAM, eine weiteres unterstützendes System, das in Kacys Rückenmark sitzt und über Internetanschluss verfügt, mit dem es sich per Fernstudium zum Juristen ausbildet. Selbstredend erklärt sich SAM ebenfalls für unschuldig.

Nachdem er sich wütend die Haare gerauf und mit Johnston und dem Zeugen zur Beratung zurückgezogen hat, gelangt Richter Upshaw zu einer Art Erleuchtung und fällt ein wahrhaft salomonisches Urteil …

|Mein Eindruck|

Diese Geschichte erinnert mich stark an jene Vorbilder von Edgar Allan Poe („Der künstliche Mann“ bzw. „The Man that Was Used Up“) und Stanislaw Lem („Gibt es Sie, Mr. Johns?“), in denen ebenfalls Prothesen die Frage aufwerfen, ob der Beklagte noch als Mensch zu gelten habe. Diesmal spielt sich die Schuldfrage gleich auf zerebraler Ebene ab. Wird das Gehirn derart ergänzt bzw. ersetzt, so könnten die Prothesen die Kontrolle über das Verhalten übernehmen. Leider äußerte sich Jane Kacy unzufrieden mit dem Verhalten ihres „reparierten“ Mannes und dachte daran, die Prothesen modifizieren zu lassen – was ihr diese wohl mit den bekannten tödlichen Folgen übelnahmen.

Die Erzählung verrät mit ihrem pointierten Erzählstil und dem gut recherchierten Technikwissen geradezu journalistische Vorbildung, mit ihrem Sinn für das Groteske an der Gerichtssituation aber auch viel Humor. Die Story macht dadurch Appetit auf den neuen Roman „Das Ardennen-Artefakt“ des Autors, das bei Wurdack erschien.

_Christian Weis: „Eiskalt“_

Im grönländischen Eis treffen Russen, Amerikaner und unschuldige Forscher aufeinander. Die Großmächte suchen nach Erdöl. Den Forscher Svendsen hat offenbar eine Rakete auf seinem Schneemobil erwischt. Seine Kollegen bringen den Verletzten zurück in ihre Station, damit Dr. Nielsen ihn verarztet. Doch dort befinden sich bereits einige Soldaten, Amerikaner dem Sternenbanner nach zu urteilen. Captain Roberts ist verletzt und braucht Nielsens Hilfe. Aber er macht für Svendsen Platz. Ansgar, der Leiter der Station, ist wütend über diese Okkupation seines Territoriums, schließlich ist Grönland neutral. Und die Soldaten erklären verdammt wenig, wie es zu ihrer Notlage kam. Top Secret.

Ansgar kann nichts dagegen unternehmen, dass Roberts sein Hovercraft haben will, um zu seiner Basis zurückkehren zu können. Doch bevor es dazu kommt, wird das Hovercraft von Militärdrohnen angegriffen und vollständig zerstört. Den Captain hat es ebenfalls erwischt. Raketen von Drohnen – womit hat er es hier zu tun, fragt sich Ansgar und äußert die Frage laut. Sgt. Travis ist der einzige, der ihm antwortet. Es handle sich um ein autonomes Cyborg-Kampfsystem namens Zerberus, das seine Drohnen gegen jede Art von Widerstand aussende. Und Garrison, der technische Berater des Luftwaffentrupps der Amis, habe ihn konstruiert – „sein persönlicher Viktor Frankenstein“ sozusagen.

Es kommt zu weiteren Angriffen, bevor es Travis gelingt, die Oberhand zu behalten. Schließlich machen sich er und Garrison auf den Weg, um Zerberus den Garaus zu machen.

|Mein Eindruck|

Die Erzählung liest sich flott und packend wie ein Landserroman, basiert aber auf zwei plausiblen Extrapolationen. Wie bereits geschehen, stecken Amerikaner, Kanadier und Russen am eisfrei gewordenen Nordpol ihre Claims ab und kommen sich dabei in die Quere. Zweitens spielen Drohnen und das sie steuernde künstliche Hirn ein immer wichtigere Rolle in der modernen Kriegsführung, so etwa in Pakistan und Afghanistan. Nur ein Schritt ist es zur Autonomie, und hier kommt Zerberus ins Spiel.

Die Anspielung auf Mary Shelleys Geschöpf von Viktor Frankensteins Gnaden ist explizit durch ein Zitat am Schluss hergestellt, doch der Kenner hat die Anspielungen bereits vorher richtig zugeordnet. Auch „Das Ding“ von William Wyler, nach einer Novelle von John Campbell aus dem Jahr 1939, spielt eine Rolle. Das Eismeer ist eben ziemlich vorbelastet.

_Bernd Wichmann: „Rückkehr ins Meer“_

Der Freitaucher David versucht mit seinem Tauchboot „Ariane“ gerade einen Unterwasserberg zu erreichen, als ihn ein Blauwal angreift, das Boot zerstört und David zum Aussteigen zwingt. Gestalten lösen sich vom Wal und tragen den Bewusstlosen in die Tiefe. Sechs Monate später befindet sich die „Polarstern“ über dieser Stelle, um nachzusehen. Hank Wyman, der Konstrukteur von Davids Tauchboot, ist mit dem Regierungsbeamten Harding an Bord, um mit der „Alvin“ eine erstaunliche Beobachtung zu überprüfen. Es gibt ein Video von einem Blauwal, auf dem weiße Buchstaben stehen: „Hank Komm Ariane David“. Konnte David in dieser Tiefe überleben?

Ein erster Tauchgang bestätigt diese Beobachtung, und es gibt weitere Botschaften: Bedingungen, wonach sich die Menschen von gewissen Meereszonen fernhalten sollen. Von Harding erhält Hank Meldungen aus allen Teilen der Erde, wonach Algenteppiche Häfen und Fischfanggründe blockiert haben. Es gibt kaum noch Schiffstransporte, von Fischerei gar nicht zu reden. Was geht da vor?

Die Wale agieren intelligent, als würde ein Bewusstsein sie steuern. Erst auf wütendes Poltern Hanks rückt Harding in einer Videokonferenz mit der Sprache heraus: Das Ergebnis eines militärischen Experiments mit Delfinen ist entkommen und hat sich vermehrt. Es ist ein Biolink zwischen Walen und Menschen, das Bewusstseine verknüpft. Das mit David und dem Wal passiert sein. Und sie steuern die weltweiten Aktionen durch die Infraschallkommunikationen der Blauwale, die tausende Kilometer weit reicht.

Als der Golfstrom versiegt, bleibt dem US-Präsidenten keine Wahl mehr. Er geht zum Gegenangriff über – direkt unter der „Polarstern“ …

|Mein Eindruck|

Wenn das bloß Frank Schätzing geschrieben hätte! In seinem Bestseller „Der Schwarm“ schildert der Kölner ebenfalls die Rache der Tiefsee an der Menschheit, mit fatalen Folgen. Die Ursache sind bei Wichmann jedoch nicht irgendwelche Aliens, sondern ein Militärexperiment, wie man sie schon seit über 50 Jahren kennt.

Trotz der also nicht gerade neuen Ideen weiß die Geschichte doch den Leser zu packen und bei der Stange zu halten, bis zur letzten Zeile. Ich würde mir einen Roman daraus wünschen, und wenn es bloß 140 Seiten wären.

_Arnold H. Bucher: „Den Letzten frisst der Schredder“_

Die Menschen sind von den Robotern abgelöst worden. Doch die Evolution wirkt weiter: Jede neue Baureihe führt zur Vernichtung ihrer Vorgänger. Als ein Montageroboter der 400er-Reihe nicht mehr einsieht, warum er sich durch Montage der 600er-Reihe selbst überflüssig machen soll, kommt es zum Ausraster. Auch der Protest seines 400er-Gegenübers am Fließband hilft da nichts. Als der Deserteur schließlich die Energieversorgung attackiert, sind härtere Maßnahmen nötig, um ihn zu stoppen.

|Mein Eindruck|

Noch ein Fall für den guten Doktor Isaac Asimov! Sogar die Robotergesetze werden hier befolgt. Aber gelten sie auch, wenn es keinerlei Menschen mehr gibt? Natürlich nicht! Humorvoll-sarkastisch zieht der Autor die Blechkumpel und ihre Motive bzw. Direktiven durch den Kakao. Und wer wird siegen – das System oder der Rebell? Dreimal darf man raten.

_Andrea Tillmanns: „Der blinde Passagier“_

Im Jahr 2108 ist ein Handelsraumschiff unterwegs zu seinem Bestimmungsort, als der Alarm die Xenobiologin Xing aus ihrem Kälteschlaf weckt. Ihre zwei Kollegen, der Sicherheitsoffizier Rensing, und die wuschelige, merinthische Ärztin Jojo, starren auf einen Monitor: Es gibt offenbar einen blinden Passagier im Frachtraum. Möglicherweise einen Karkon, aber die sind harmlos.

Nach einiger Suche und einer regelrechten Verfolgungsjagd stoßen sie endlich auf den Eindringling: einen prähistorischen Donnervogel von der Erde. Der Absender, wohl irgendein Genpanscher, hat nicht bedacht, dass die Schiffszeit an Bord von FLOW-Flügen viel länger dauert als seine eigene Base Time. Der Vogel ist deshalb vorzeitig geschlüpft – und mordsmäßig hungrig …

|Mein Eindruck|

Die Story könnte von James Tiptree alias Alice Sheldon aus ihren frühen Jahren ca. anno 1968 stammen. Sie ist nett, skurril genug und verweist auf einen ernsten physikalischen Hintergrund: die Zeitverschiebung an Bord interstellarer Flüge. Außerdem ist die Handlung spannend genug, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln, bis die Lösung des Rätsels erfolgt. Happy-End? Wird nicht verraten.

_Armin Rößler: „Die Fänger“_

Als Yord und Yola 15 oder 16 Jahre alt sind, schwebt ein Raumschiff auf sie herab und entführt Yords Schwester. Er weint bittere Tränen und vergisst sie nie. Zehn Jahre später kämpft er als Pilot in der Raumflotte seiner Heimatwelt Comon gegen die Tigri-Feinde, die ihren Raumsektor verteidigen. Mitten in der Schlacht bemerkt er jenes alte Raumschiff erneut und desertiert, um es anzufliegen. Ohne Zwischenfall gelangt er an Bord des Schiffes, doch dann streckt ihn ein Energiestrahl nieder.

Als er erwacht, kann er sich mit einer groß gewachsenen, blonden Frau, die einen Umhang trägt, unterhalten. Er sagt ihr, warum er hier sei, und sie sagt ihm, was es ist, was sie und ihresgleichen tun: Sie sind Sammler von Wesen, und nachdem sie ihre Lebensgeschichten erfahren haben, lagern sie ihre Exemplare im „Kabinett“. Sie gesteht ihm, dass er sie beeindruckt habe, und lässt ihn am leben.

Nach einer langen Periode im Kälteschlaf bekommt er einen Job in der Überwachung des „Kabinetts“. Es ist gigantisch und umfasst mehrere tausend Exemplare. Kann er Yola jemals in dieser Unmenge von sargähnlichen Kälteschlagbehältern finden? Vielleicht ist ja schon längst einem Defekt zum Opfer gefallen. Solche Defekte kommen mindestens einmal pro Wachperiode vor. Zwei Aufseher vom Volk der Stiripin helfen ihm. Dennoch seilt er sich zunehmend ab und sucht das Kabinett und die Hangars ab. So kann er einen Fluchtplan ins Werk setzen.

Wird er seine Schwester finden, fragt er sich stets, und was wird dann die große Frau tun?

|Mein Eindruck|

An dieser actionlosen Erzählung erweist sich mal wieder die Routine des erfahrenen Autors. Er zaubert selbst aus einer belanglosen, an Höhepunkten armen Geschichte noch angenehme Unterhaltung. Der erfahrene Leser weiß von vornherein, dass der Held seine Schwester finden wird, denn sonst wäre die Geschichte ja völlig umsonst erzählt.

Also müsste eigentlich etwas anderes den Reiz der Geschichte ausmachen, entweder die innerliche Weiterentwicklung der Hauptfigur im Sinne eines Entwicklungsromans – oder interessante Erkenntnisse über die Sammler bzw. Fänger, die der Geschichte ihren Titel geben. Enttäuschenderweise findet weder das eine noch das andere Motiv eine nennenswerte Vertiefung.

Der Held wird nicht zu einer inneren Wandlung gezwungen – wie auch, wenn es völlig unbehelligt weiter wursteln kann? Und die große Frau von den Aliens verrät über ihre Sammelleidenschaft und deren Ursache – Langeweile – auch nicht allzu viel. Somit bleibt der Leser mit dem Gefühl zurück, gerade einen Appetithappen gefuttert zu haben, aber sich bis zum Hauptgericht noch gedulden zu müssen.

_Fehler und Zweifelsfälle_

Auf Seite 21 muss es in der ersten Zeile „Bake“ statt „Barke“ heißen, denn in der Regel fahren auf der Autobahn keine Schiffe.

Auch auf Seite 190 wird die Aufmerksamkeit des Lesers getestet. Wer weiß, dass Wale keine Forken (= Mistgabeln), sondern Fluken (= Schwanzflossen) besitzen, wird jedoch zurechtkommen. Von Mistgabeln schwingenden Wale hat man bislang noch nichts gehört.

Auf Seite 206 hat sich der Herausgeber höchstselbst mit einem Schnitzer verewigt. Da heißt es: „Der Wiese blieb rasch hinter ihnen zurück.“ Korrekt sollte es „die Wiese“ heißen.

_Unterm Strich_

Besonders beeindruckt haben mich die Erzählungen „Der Klang der Stille“, „Rückkehr ins Meer, „Wie ein Fisch im Wasser“ und vor allem „Das Klassentreffen der Weserwinzer“. Letztere Geschichte hat mir ganz besonderes Vergnügen bereitet, und ich könnte mir einen ganzen Roman mit Geschichten vorstellen, die in diesem Setting spielen – die Gegenwart Deutschlands in den Rahmenbedingungen vor 1815, das wäre doch mal ein reizvolles Sujet. Könnte man auch zur Shared World ausbauen. An ähnlichen Beispielen fällt mir spontan nur der Alternativweltroman „An den Feuern der Leyermark“ von Carl Amery ein, der um das Jahr 1866 spielt, als eigentlich die Preußen Österreich bei Königgrätz vernichtend schlagen sollen – aber hier kommt alles ganz anders, besonders aus bayerischer Sicht.

Lediglich lauwarme Begeisterung wussten die technisch orientierten Beiträge bei mir hervorzurufen, so etwa das beeindruckende „Vactor Memesis“, das mich jedoch in seiner prämisse zu stark an Iwoleits Roman „Psyhack“ erinnerte. Auch „Klick, klick, Kaleidoskop“ und erst recht „Wie man sich ändern kann“ scheinen mir in diese Richtung zu tendieren. Das ist keineswegs schlecht, führt aber manchmal zu wenig befriedigenden Ergebnis. Es kommt stark auf die erzählerische Umsetzung an.

Es ist bemerkenswert, wie viele Geschichte im oder am Meer spielen, so etwa „Rückkehr ins Meer“, „Wie ein Fisch im Wasser“ und „Eiskalt“. Der Grund mag der sein, dass sich dort die Zukunft des Planeten entscheiden wird, vor allem wegen des Klimawandels. Andere, mitunter recht amüsante Geschichten zeigen die guten alten Roboter Asimov’scher Prägung. Die klassischen Vorbilder der 1940er bis 1960er Jahre lassen sich auch noch in „Molekularmusik“ und „Der blinde Passagier“ entdecken.

Wer sich fragt, warum bestimmte Erzählungen die Aufnahmekriterien für diese Sammlung erfüllten, andere aber wohl nicht, kommt besonders bei den Beiträgen „Die Fänger“ des Herausgebers und bei dem Landser-Roman „Eiskalt“ ins Grübeln. Letzterem kann man wenigstens noch zugute halten, dass er eine erkennbare politische Entwicklung extrapoliert, aber bei Stößers Beitrag sind die Fragen wesentlich größer. Vielleicht hatten die Herausgeber einfach selbst „carte blanche“, welchen Eigenbeitrag sie einbringen wollten.

|Taschenbuch: 226 Seiten
ISBN-13: 978-3938065471|
[www.wurdackverlag.de ]http://www.wurdackverlag.de

Meyer, Kai – Sieben Siegel 05: Schattenengel

„Die Sieben Siegel“:
01 „Die Rückkehr des Hexenmeisters
02 „Der schwarze Storch
03 „Die Katakomben des Damiano
04 „Der Dornenmann
05 „Schattenengel
06 „Die Nacht der lebenden Scheuchen
07 „Dämonen der Tiefe
08 „Teuflisches Halloween
09 „Tor zwischen den Welten
10 „Mondwanderer

SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)

Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.

Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:

Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)

Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“

_Frevelfolgen: Der Krieg der Engel reloaded_

Kyra, Nils, Lisa und Chris erforschen ein uraltes Geheimnis, das auf magische Weise mit ihrem eigenen Schicksal verbunden ist – das Geheimnis der sieben Siegel. Kyra und ihre Freunde sind mit Prof. Rabenson auf Forschungsreise. In einer uralten Festung im Süden Israels entdecken sie ein legendäres Heiligtum – das Haupt von Lachis, das Relikt eines im Krieg der himmlischen und höllischen Heerscharen getöteten Engels. Eine gefährliche Entdeckung, wie sich herausstellt … (Verlagsinfo)

Dieser fünfte Band der elfbändigen Reihe wird vom Verlag ab zehn bis elf Jahren empfohlen. Die Protagonisten sind aber schon zwölf Jahre alt …

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar „Jerry Cotton“-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.

Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei Loewe erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. Er lebt am Rande der Eifel.

_Die vier Freunde:_

|Kyra Rabenson| ist 12 Jahre alt, hat rotes Haar wie ihre Tante Kassandra, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter wohnt, und ist die Tochter des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautoren Professor Rabenson. Sie ist mutig und sehr neugierig.

|Lisa Morgenthal| ist elf Jahre alt, blond und furchtbar verliebt in Chris. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Nils im größten und unheimlichsten Gebäude Giebelsteins, dem alten Hotel Erkerhof, auch genannt Kerkerhof. Sie ist manchmal zurückhaltend und sensibel.

|Nils Morgenthal|, ein Jahr älter, ist ihr Bruder und wohnt ebenfalls im Kerkerhof. Er besitzt einen makaberen Sinn für Humor, sammelt Monstermasken und erzählt mit Vorliebe blutige Schauergeschichten. Zunächst ist er draufgängerisch, aber das ändert sich im Laufe der Ereignisse.

|Chris| (= Chrysostomus Guldenmund) ist 12 Jahre alt und der Sohn eines Diplomaten, hat in sechs verschiedenen Ländern gelebt und spricht fünf Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, ein bisschen Italienisch und schlecht Griechisch. Er ist sportlich, immer schwarz gekleidet, isst gerne alles, was ihm in die Finger kommt, wird aber – zum Ärger der Mädchen – nicht dick davon. Er ist sehr selbstbewusst und risikobereit; in Kyra verknallt, mag aber auch Lisa gern.

Alle Jugendlichen verändern sich durch ihre Abenteuer, aber in welcher Hinsicht soll hier noch nicht verraten werden.

_Handlung_

Wie schon in der Toskana (Band 3) begleiten die vier Freunde Professor Rabenson auf eine wissenschaftliche Expedition. Diesmal führt sie der Weg nach Israel, tief in die Wüste, wo im 6. vorchristlichen Jahrhundert die Festung Lachis lag. Sie wurde vom babylonischen König Nebukadnezar erobert und zerstört. Lisa und Kyra gefallen die schwarzen Maschinengewehre der militärischen Wächter der Ruine überhaupt nicht. Aber wenigstens melden sich nicht ihre Sieben Siegel, die sie auf dem Unterarm eintätowiert tragen.

Mit einem „Schlüssel“, einem mit Zeichen bedeckten Teller, gelingt es dem Professor, die bislang geheimen Durchgänge zu öffnen und die Fallen zu entschärfen. Dennoch öffnet sich plötzlich hinter ihnen ein riesiges Loch im Durchgang, das bis in unergründliche Tiefen reicht. Die vier Gefährten und ihr Führer kommen gehörig ins Schwitzen. Dennoch geht der Professor mutig weiter. Warten noch mehr Todesfallen auf sie?

|Das Haupt von Lachis|

Nach einer weiteren Betätigung des „Schlüssels“ gelangen sie in eine weite Tempelhalle, an deren Wänden Götzenbilder von geflügelten Wesen dräuen. Wenig einladend sehen auch die zahllosen Löcher in Decke, Boden und Wänden aus: weitere Fallen? Während die Freunde zurückbleiben, wagt sich der Archäologe, unerschrocken wie Indiana Jones, zum zentral gelegenen Altar vor. Dort liegt das „Heiligtum der Heiligtümer“, wie er ehrfurchtsvoll sagt: das Haupt von Lachis. Für die anderen sieht der unscheinbare Stein eher aus wie ein Saurierei.

Was sie aber die Luft anhalten lässt: Prof. Rabenson ist fest entschlossen, den Stein an sich zu nehmen und außer Landes zu schmuggeln. Nur sein hohes Ansehen und seine weitreichenden Befugnisse können ihm dies ermöglichen. Und er kommt damit sogar durch, so dass die vier Freunde froh, nicht in einem israelischen Knast zu verschmachten, sondern vielmehr in einem Flugzeug nach Rom zu fliegen – Diebe und Räuber, die sie nun mal sind.

|Die Wächter|

Da geschieht etwas Unvorhergesehenes. Als Lisa aus dem Fenster des Propellerflugzeugs schaut, sieht sie einen Mann in schwarzem Mantel auf der Tragfläche stehen – mitten im Fahrtwind. Als wäre das nicht verwunderlich genug, streckt er seine Hand aus, um den Propeller anzuhalten – und tut es. Sofort reagiert das Flugzeug äußerst übel auf diesen Eingriff in seine Aerodynamik. Es sackt nach unten.

Lisa hat inzwischen ihre Freunde alarmiert. Entsetzt entdecken sie einen zweiten schwarzen Mann auf der anderen Tragfläche. Auch er will den Propeller anhalten. Das wäre sicherlich ihr Ende: der Absturz. Doch wie aus dem Nichts taucht ein Dritter auf, der mit den anderen beiden ringt und sie verjagt. Bevor er verschwindet, scheint er Lisa anzulächeln. Wie sonderbar, denkt sie. Die Sieben Siegel haben sie nicht ein einziges Mal vor den schwarzen Gestalten gewarnt.

Dann geht das Flugzeug in den Sturzflug über, und alles, was sich in der Kabine befindet, gerät in ein turbulentes Durcheinander. Wird es dem Piloten gelingen, sie mit einer Notlandung vor dem Tod zu bewahren?

_Mein Eindruck_

Das Buch lässt sich in Hälften einteilen: vor und nach der Begegnung mit dem Gefallenen Engel. Die erste Hälfte liest sich wie eine Episode aus „Indiana Jones – Teil 3“ Um zum Allerheiligsten des Tempels zu gelangen, müssen der Professor und seine Schützlinge einen gefahrvollen Weg voller Todesfallen passieren, genau wie Indiana Jones selbst. Doch der Autor macht es ihnen wesentlich leichter: Rabenson hat den passenden Schlüssel schon bei sich. Spielverderber.

Dass der Fluch der bösen Tat auf dem Fuße folgt, versteht sich fast von selbst – im zweiten Teil. Wer das Heiligtum klaut, wird von den Wächtern bestraft. Diese sind jedoch gar keine Wächter, sondern zwei gegnerische Parteien von Gefallenen Engeln, wie die vier Freunde erfahren.

|Bibelgeschichte|

Man erinnere sich: Als Satanael einen Frevel gegen den Willen des Herrn beging, indem er und die Seinen mit den Menschentöchtern Wesen zeugten (die Nephilim), so wurde er aus dem Himmel verstoßen. Doch er sammelte seine Heerscharen und focht gegen den Erzengel Michael, der wiederum die himmlischen Heerscharen anführte – und unterlag. Fortan gründete Satanael sein Reich in der Hölle, wo er seine Anhänger belohnte, darunter Uriel, den Sühneengel. Doch es gab Gefallene Engel, die sich vom Bösen lossagten. Und zu diesen gehört Azachiel, der Engel, der sich den vier Freunden zeigt.

|Der Gefallene|

Azachiel warnt die Freunde, dass acht Untergebene Uriels bereits auf dem Weg zur Insel seien, um das mächtige Haupt von Lachis an sich zu bringen und in den Dienst der Hölle zu stellen. Wollen sie das vielleicht? Eigentlich nicht, finden die vier Freunde, aber warum sollte sie Azachiel trauen? Er könnte ja auch lügen. Azachiel lächelt freundlich. Er verlangt das Haupt gar nicht; er bittet nur darum, dass sie es ihm freiwillig geben, um damit Gutes zu tun. Und Lisa erinnert sich, dass er es war, der ihr Flugzeug vor dem sicheren Absturz bewahrte. Also …

|Showdown|

Als die anderen Engel eintreffen, kommt es zu einem extrem dramatischen Showdown an der Kirche des verlassenen Dorfes. Da die Kirche direkt über einer Klippe am Meer steht, gähnt ein Abgrund unter den Füßen von Lisa und Kyra, die Azachiel das Haupt unter ganz bestimmten Bedingungen geben wollen bzw. könnten. Die Mädels müssen großen Mut und Entschlossenheit beweisen, dabei auch noch entscheiden, ob sie eher Azachiel oder Raguel, seinem Widersacher, trauen sollen. Die Jungs und der Professor können nur beklommen zuschauen, wie das Drama vor ihren Augen abläuft. Und mehr darf nicht verraten werden.

|Konflikte|

Für meinen Geschmack ist in diesem fünften Band der Serie dem Autor etwas Großartiges gelungen, das weit vorausweist auf Meisterwerke wie die Wunschkrieg-Trilogie und „Die Alchimistin“. Er nimmt mythologische Grundlagen, die uns schon fast entfallen sind, und bereit sie für die aktuelle Gegenwart auf. Die ihnen innewohnende Dramatik – hier die der Gefallenen Engel und des vorhergehenden Engelskriegs – dauert noch an bzw. wird aktualisiert, wenn die Helden in den Konflikt hineingezogen werden.

Das Besondere an diesem Hineingezogenwerden äußert sich binnen kurzem in einem moralischen Konflikt, wie er nicht schöner herbeigeführt werden könnte. Werden die Heldinnen dem Vertreter Satanaels Glauben schenken, der als „Herr der Lüge“ bekannt ist? Oder glauben sie doch eher dem abtrünnigen Gefallenen Engel Azachiel, der das Haupt von Lachis ebenfalls erbittet? Ich war an Frodos Wahl erinnert, ob er den Einen Ring wirklich in die Schicksalsklüfte wirft oder für sich beansprucht – einer der dramatischen Höhepunkt des „Herrn der Ringe“. Nicht zufällig spielt auch diese Szene über einem Abgrund, umgeben von satanischen Mächten: Sauron, Gollum und dem Schicksalsberg selbst.

Dem Autor gelingt es, die inneren Konflikte glaubhaft darzustellen und in eine dramatische Konstellation der Figuren einzubetten. Die Entscheidung bleibt lange offen, wie sich das gehört. Und erst in letzter Sekunde wird die Wende herbeigeführt. Das ist einfach klasse. Für mich der beste Band der Serie bislang.

|Charakterprobe|

Dieses Abenteuer entpuppt sich als eine der wichtigsten Charakterproben in der Entwicklung der Freunde, insbesondere für Lisa und Kyra. Im Gegensatz zu dem oberflächlichen und klischeehaften ersten Band spielen Charakterzüge diesmal eine wesentliche Rolle. Die Motive und Aktionen der Figuren ergeben sich aus ihrer Veranlagung. Diese – und das ist das Schöne daran – hat sich inzwischen gewandelt. Denn die Sieben Siegel sind ja magischer Natur und verändern ihren Träger. Lisa liebt es, Rätsel zu lösen, Chris versteht viele Sprachen und ist ein Draufgänger, Nils neigt jetzt mehr zur Vernunft, und Kyra erweist sich ihrem mütterlichen Erbe als mehr als würdig: Mami war eine Hexe, und Kyra eifert ihr nach! Sie nimmt es ironisch: „Kyra, das lebende Spukschloss“, nennt sie sich. Denn Mami, die Hexenjägerin, lebt in ihr offenbar weiter.

|Pärchen|

Darüber hinaus sind die vier Freunde keine Einzelgänger mehr, sondern zwei Pärchen. Lisa und Chris haben sich endlich gefunden. Nur dass Chris’ draufgängerisches Losstürmen immer auf den Protest der etwas zaghaften Lisa trifft. Und dass Nils und Kyra einander gut verstehen, ist ebenfalls klar: Sie übernimmt in brenzligen Situationen das Kommando, und er hat sich gefälligst zu beeilen, es ihr recht zu machen.

Durch diese Paarungen und die grotesken Situationen, in die sie geraten, ist diesmal auch gehörig für Humor und Ironie gesorgt. Gefallene Engel jagen nicht jedem Mädchen Angst ein, aber nervende Brüder können einem echt den letzten Nerv rauben – zur Belustigung der Übrigen. Selbst der „innovative“ Tee von Tante Kassandra ist keine wahre Freude, wenn er aus Venusfliegenfallen (also fleischfressenden Pflanzen) gebraut wurde.

|Illustrationen|

Die erste Zeichnungen veranschaulicht dem Leser, wie die kleine griechische Insel, auf die Freunde notlanden, aufgebaut ist. Der Flugplatz erscheint in der Tat winzig und viel zu kurz für eine Landung. Die Zeichnungen mit den Engeln sind in der Perspektive auf eine dramatische Weise so verrückt, dass sie dynamisch wirken und eine entscheidende Szene im Konflikt der Geschichte darstellen.

_Unterm Strich_

Für mich ist „Schattenengel“ der bislang beste Band der Serie. Ganz klar wendet der Autor Kniffe an, die wir später an „Die Alchimistin“, an den „Wellenläufern“ und der „Wunschkrieg“-Trilogie bewundern. Mythologische Strukturen, die wir nebulös als uralte Legenden kennen – hier der Krieg und Sturz der Engel – werden aktualisiert, um noch einmal durchgespielt zu werden. Der daraus entstehende Konflikt ist keineswegs von Pappe: Stellvertretend für uns müssen die Helden zwischen Gut und Böse wählen.

Ein kleiner Schönheitsfehler der Serie mag darin bestehen, dass das Konzept der Serie stark an R. L. Stines Gruselgeschichten für Kinder und Jugendliche erinnert. Meyer hat dies offenbar ebenfalls bemerkt und schreibt seit 2000 hauptsächlich Trilogien wie etwa die um „Die fließende Königin“ (gemeint ist Venedig) oder „Die Wellenläufer“.

Ich habe den Roman in etwa zwei Stunden (mit Unterbrechungen) gelesen. Die Schrift ist groß, es gibt etliche Illustrationen, und die Story zieht den Leser in ihren Bann. Danach legte ich das Buch ziemlich zufrieden beiseite, fühlte mich aber an etliche Vorbilder erinnert. Kai Meyer kennt sich offensichtlich in der Horrorliteratur gut aus.

|Hinweis|

„Die Nacht der lebenden Scheuchen“ lautet der vielversprechende Titel des nächsten Abenteuers.

|Taschenbuch: 128 Seiten
ISBN-13: 978-3-570-21606-4|
[www.randomhouse.de/cbjugendbuch]http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_
[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Dschinnland“ 5635 (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
[„Wunschkrieg“ 5744 (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
[„Wunschkrieg“ 5641 (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
[Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ 5809 (Graphic Novel)

|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

Meyer, Kai – Sieben Siegel 03: Die Katakomben des Damiano

„Die Sieben Siegel“:
01 „Die Rückkehr des Hexenmeisters
02 „Der schwarze Storch
03 „Die Katakomben des Damiano
04 „Der Dornenmann
05 „Schattenengel
06 „Die Nacht der lebenden Scheuchen
07 „Dämonen der Tiefe
08 „Teuflisches Halloween
09 „Tor zwischen den Welten
10 „Mondwanderer

SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)

Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.

Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:

Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)

Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“

Monster in der Toskana: Vom wilden Gargoyle gejagt!

Kyra, Nils, Lisa und Chris erforschen ein uraltes Geheimnis, das auf magische Weise mit ihrem eigenen Schicksal verbunden ist – das Geheimnis der sieben Siegel. In den Ruinen des toskanischen Klosters San Cosimo bewundern die vier Freunde die mittelalterliche, in Stein gemeißekten Untiere des berühmten Bildhauers Damiano. Etwas Unheimliches liegt in der Luft und plötzlich macht sich eine schreckliche Hinterlassenschaft in den alten Katakomben des Klosters bemerkbar … (Verlagsinfo)

Dieser dritte Band der elfbändigen Reihe wird vom Verlag ab zehn bis elf Jahren empfohlen. Die Protagonisten sind aber schon zwölf Jahre alt …

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar „Jerry Cotton“-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.

Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei Loewe erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. Er lebt am Rande der Eifel.

_Die vier Freunde:_

|Kyra Rabenson| ist 12 Jahre alt, hat rotes Haar wie ihre Tante Kassandra, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter wohnt, und ist die Tochter des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautoren Professor Rabenson. Sie ist mutig und sehr neugierig.

|Lisa Morgenthal| ist elf Jahre alt, blond und furchtbar verliebt in Chris. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Nils im größten und unheimlichsten Gebäude Giebelsteins, dem alten Hotel Erkerhof, auch genannt Kerkerhof. Sie ist manchmal zurückhaltend und sensibel.

|Nils Morgenthal|, ein Jahr älter, ist ihr Bruder und wohnt ebenfalls im Kerkerhof. Er besitzt einen makaberen Sinn für Humor, sammelt Monstermasken und erzählt mit Vorliebe blutige Schauergeschichten. Zunächst ist er draufgängerisch, aber das ändert sich im Laufe der Ereignisse.

|Chris| (= Chrysostomus Guldenmund) ist 12 Jahre alt und der Sohn eines Diplomaten, hat in sechs verschiedenen Ländern gelebt und spricht fünf Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, ein bisschen Italienisch und schlecht Griechisch. Er ist sportlich, immer schwarz gekleidet, isst gerne alles, was ihm in die Finger kommt, wird aber – zum Ärger der Mädchen – nicht dick davon. Er ist sehr selbstbewusst und risikobereit; in Kyra verknallt, mag aber auch Lisa gern.

Alle Jugendlichen verändern sich durch ihre Abenteuer, aber in welcher Hinsicht soll hier noch nicht verraten werden.

_Handlung_

Die vier Freunde folgen Professor Rabenson, Kyras Vater, hinunter in die Tiefen des toskanischen Klosters San Cosimo. Umgeben von Wasserspeiern mit grässlichen Fratzen stoßen sie mit dem Archäologen auf ein interessantes Mosaik auf dem Fußboden. Es enthält einen Hinweis, wie man einen Geheimgang öffnet. Die Erbauer dieses Klosters verstanden wirklich etwas von Bau- und Ingenieurskunst. Einen Gang weiter stoßen sie auf eine runde Steinplatte mit einem Griff daran. Etwas stinkt hier gewaltig, und es sind nicht Nils‘ Blähungen, die er vom italienischen Espresso bekommen hat: Es stinkt nach Schwefel.

Zusammen mit dem Professor stemmen die Jungs die Steinplatte hoch. Puuh! Ein Geruch wie aus der Hölle. Die Quelle des Schwefelgestanks ist identifiziert. Aber keine Treppe führt in die Katakomben, die darunter sichtbar werden, hinab, und die einzige Leiter ist schon längst dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. Der Professor holt zusammen mit einem der Jungen seine Alu-Leiter. Doch beim Transport verletzt er sich den Fuß, so dass er verbunden werden muss. Nachdem sie die Leiter hinabgelassen haben, verlassen alle wieder den Keller.

Kurze Zeit, nachdem sie den Professor verarztet haben, verschwindet seine Kollegin, die stets in Zitronengelb gekleidete Doktor Richardson, auf dem weitläufigen, aber durch einen Elektrozaun abgesperrten Gelände. Als Kyra und Lisa besorgt in der Klosterabtei nach der verschwundenen Archäologin suchen, stoßen sie auf deren zitronengelben Pulli- und Fußspuren. Diese führen nicht nur in den Keller, nein, sogar weiter – ins Labyrinth der Katakomben.

Jetzt kriegt die schüchterne Lisa aber wirklich Angst. All die grässlichen Wasserspeierfratzen, die der Bildhauer Damiano im Mittelalter schuf, und dann noch dieser entsetzliche Höllengestank setzen ihr heftig zu. Sie will umkehren und wenigstens auf die Jungs warten. Doch Kyra scheint vom Geist ihrer Mutter, der Dömonenbekämpferin, erfüllt zu sein und drängt vorwärts. Lisa muss ihr wohl oder übel folgen, denn Kyra hat die Taschenlampe. Dass ihr in den Unterarm eingebrannten magischen Siegel kribbelt wie verrückt, versteht sich ja wohl von selbst: Das Böse ist nah!

Hier unten stoßen sie zunächst auf das Atelier Damianos. Unfertige Gargoyles stehen herum. Doch die Fußspuren im Staub führen weiter. Tiefer hinein ins Labyrinth. Da hören sie einen Schrei – Doktor Richardson? Und noch ein Schrei – der abrupt abbricht. Das Blut gefriert den Mädchen fast in den Adern. Und doch drängt Kyra weiter. Lisa folgt ihr Zähne klappernd …

_Mein Eindruck_

Natürlich denkt jeder sofort an die Schrecken, die in jenem Kloster lauerten, das in „Der Name der Rose“ von Umberto Eco (Bruder „Umberto von Bologna“) so lebhaft zum Leben erweckt wurde. Schon in einer der ersten Szenen stolpert Adso, der Novize Wiliam von Baskervilles, in eine kleine Kapelle, in der es vor Gruselgestalten nur so wimmelt. Sie alle erinnern den schaudernden Betrachter an seine Sterblichkeit und warnen ihn vor den Schrecken der Hölle, um ihn zur Umkehr zu mahnen.

Neben Schädeln und Skeletten sieht man auch Wasserspeier-ähnliche Gestalten. Diese Gargoyles sollen das Böse abweisen. So erklärt es zumindest der Autor Kai Meyer in seinem Roman. Wasserspeier waren, wie jeder Betrachter von „Der Glöckner von Notre Dame“ weiß, an zahlreichen Kathedralen und Domen des Mittelalters angebracht. Auch sie hatten die Aufgabe, das Böse abzuwehren.

Doch wer schuf all die herrlichen Fratzen und Untiergestalten, die an Notre Dame und Co. zu sehen sind? Damiano heißt der toskanische Bildhauer, den Kai Meyer stellvertretend für alle anderen Bildhauer vorstellt. Nur hat es mit Damianos Werken eine ganz besondere Bewandtnis: Sie wurden „nach der Natur“ geschaffen. Was lediglich heißt, dass es für sie eine lebendige Vorlage gab …

Nach dem Ausbruch der Gargoyles aus ihren Gefängniszellen kommt es zu einer herrlich spannenden Szene, die der Autor aus Spielbergs Dino-Kracher „Jurassic Park“ abgekupfert hat. (Sogar der Starkstromzaun kommt vor.) Ein großer fliegender Gargoyle verfolgt den dahinrasenden Jeep, den der führerscheinlose Chris zu steuern versucht. Schneller! Tritt auf die Tube! Die Freunde feuern Chris an. Werde sie das Wettrennen gegen die fliegende Gefahr gewinnen? Bei Spielberg wird der Gargoyle von einem rasenden T- Rex vertreten, der immerhin 65 Sachen erreicht. Wie das Wettrennen ausgeht, wird nicht verraten.

Da sie ohne Fernbedienung das Stahltor nicht öffnen können, sind die Freunde wenig später im Gehege, das der Elektrozaun unüberwindbar umschließt, eingeschlossen – ein Leckerbissen für hungrige Monster. Chris erklärt sich bereit, die Fernbedienung, die Dr. Richardson hatte, aus deren Behausung zu holen. Dafür muss er jedoch die ganze Abtei durchqueren … Dabei macht er eine aufregende Entdeckung, die zur Bewältigung der Gargoyle-Gefahr führt: Er und Nils müssen den Rattenfänger von Hameln spielen. Wie das geht, sollte man selbst nachlesen.

|Charakterprobe|

Auch dieses dritte Abenteuer entpuppt sich als wahre Charakterprobe. Im Gegensatz zu dem oberflächlichen und klischeehaften ersten Band spielen Charakterzüge diesmal eine wesentliche Rolle. Nur in enger Zusammenarbeit gelingt es den vier Freunden, dieses Abenteuer zu bestehen, indem jeder seine besonderen Fähigkeiten einbringt.

Die Motive und Aktionen der Figuren ergeben sich aus ihrer Veranlagung. Diese – und das ist das Schöne daran – hat sich inzwischen gewandelt. Denn die Sieben Siegel sind ja magischer Natur und verändern ihren Träger. Lisa liebt es inzwischen, Rätsel zu lösen, Chris versteht viele Sprachen und ist ein Draufgänger, Nils neigt jetzt mehr zur Vernunft, und Kyra erweist sich ihres mütterlichen Erbes als mehr als würdig: Mami war eine Hexe, und Kyra eifert ihr nach! Unerschrocken erforscht sie das Böse – auch an den unheimlichsten Orten. Und dass Nils der einzige ist, der über eine Posaunistenausbildung verfügt (okay, es waren nur ein paar Stunden widerwilligen Unterrichts), erweist sich lebensrettend.

|Pärchen|

Darüber hinaus sind die vier Freunde keine Einzelgänger mehr, sondern zwei Pärchen. Lisa und Chris haben sich endlich gefunden. Nur dass Chris‘ draufgängerisches Losstürmen immer auf den Protest der etwas zaghaften Lisa trifft. Und dass Nils und Kyra einander gut verstehen, ist ebenfalls klar: Sie übernimmt in brenzligen Situationen das Kommando, und er hat sich gefälligst zu beeilen, es ihr recht zu machen.

Durch diese Paarungen und die grotesken Situationen, in die sie geraten, ist diesmal auch gehörig für Humor und Ironie gesorgt. Gargoyles und Ratten jagen nicht jedem Mädchen Angst ein, aber nervende Brüder können einem echt den letzten Nerv rauben – zur Belustigung der Übrigen. Und italienischer Espresso kann sich als wahre Kraftprobe für den Körper eines Mannes erweisen …

|Illustrationen|

Die Zeichnungen von Wahed Khakdan machen dem Leser erst richtig deutlich, welche Dimensionen die Klosterabtei aufweist. Unter der zentralen Klosterkapelle liegen der Keller und die Katakomben. Ringsum herum liegen jedoch die Wohn- und Arbeitsgebäude der Klosterbrüder (von denen wir nie erfahren, welchem Orden sie angehörten, aber ich tippe auf Benediktiner oder Zisterzienser – die bauten immer so groß).

Außerdem gibt es Zeichnungen, die einem Comic entstammen könnten: Es sind oft Nahaufnahmen, meist aus einem schrägen Winkel betrachtet. Dies verleiht der Darstellung eine Dynamik, die sich mit den Emotionen auf den Gesichtern der Figuren verbindet. Die Figuren betrachten meist etwas mehr oder weniger Schreckliches und sperren den Mund auf. Das würde bei „normaler“ Darstellung etwas lachhaft aussehen, wirkt so aber in Ordnung.

_Unterm Strich_

In dieser Episode führt der Autor seine Abenteurer-Crew aus dem verträumten, der Moderne entrückten Giebelstein noch tiefer in die Vergangenheit: ins klösterliche Mittelalter der Toskana. Wer weiß, wohin diese Zeitreise noch führt. Anklänge an „Indiana Jones“ (er wird sogar zitiert), „Der Name der Rose“ und „Jurassic Park“ werden mit der Vorlage „Der Rattenfänger von Hameln“ abgeschlossen – eine recht kuriose und umso interessantere Mischung. Einmal musste ich sogar an H. P. Lovecrafts Schauergeschichten denken.

Aber wer hätte gedacht, dass sich alle mittelalterliche Kirchen durch einen geheimen Mechanismus in Sekundenschnelle zerstören lassen? Dass es sich so verhalten könnte, wie der Autor behauptet, soll seine Begründung plausibel machen, dass die Klosterbrüder und Kirchenherren ihre Schätze vor den Türken und anderen Invasoren schützen wollten. Ein kleiner Ruck an einem Hebel – und schon wird die Selbstzerstörung des Gotteshauses in Gang gesetzt. Eigentlich genial. Warum das noch niemand in Szene gesetzt? (Man denke auch an „Alien 1“, wo Lt. Ellen Ripley den Selbstzerstörungsmechanismus der Nostromo in Gang setzt.)

Ein kleiner Schönheitsfehler mag darin bestehen, dass das Konzept der Serie stark an R. L. Stines Gruselgeschichten für Kinder und Jugendliche erinnert. Aber je mehr ich von Meyers Serie lese, umso origineller kommen mir seine Ideen vor. „Jurassic Park“ in der Toskana – aber gerne doch! Schade ist es aber doch, dass wir nie den grund erfahren, warum die Gargoyles all die Jahrhunderte überlebt haben, noch warum sie überhaupt entstanden. Das wäre eine eigene Geschichte wert, würdig eines Lovecraft oder Brian Lumley.

Ich habe den Roman in etwa zwei Stunden (mit Unterbrechungen) gelesen. Die Schrift ist groß, es gibt etliche Illustrationen, und die Story zieht den Leser in ihren Bann. Danach legte ich das Buch rundum zufrieden beiseite, fühlte mich aber an etliche Vorbilder erinnert. Kai Meyer kennt sich offensichtlich in der Horrorliteratur und mit Abenteuerfilmen aus. Er sollte aber die Vorlagen nicht allzu genau übernehmen.

„Der Dornenmann“ lautet der vielversprechende Titel des nächsten Abenteuers.

|Taschenbuch: 128 Seiten
ISBN-13: 978-3570216040|
[www.randomhouse.de/cbjugendbuch]http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_
[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Dschinnland“ 5635 (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
[„Wunschkrieg“ 5744 (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
[„Wunschkrieg“ 5641 (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
[Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ 5809 (Graphic Novel)

|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

Meyer, Kai – Sieben Siegel 02: Der schwarze Storch

„Die Sieben Siegel“:
01 „Die Rückkehr des Hexenmeisters
02 „Der schwarze Storch
03 „Die Katakomben des Damiano
04 „Der Dornenmann
05 „Schattenengel
06 „Die Nacht der lebenden Scheuchen
07 „Dämonen der Tiefe
08 „Teuflisches Halloween
09 „Tor zwischen den Welten
10 „Mondwanderer

SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)

Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.

Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:

Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)

Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“

_Unheimlich: Dämonische Monster in grusligen Gemäuern_

Kyra, Nils, Lisa und Chris erforschen ein uraltes Geheimnis, das auf magische Weise mit ihrem eigenen Schicksal verbunden ist – das Geheimnis der sieben Siegel. In Band 1 begegnet Kyra Rabenson der seltsamen Frau mit dem fliegenden Fisch in der Handtasche das erste Mal an einem Freitag. Eine gespenstische Begegnung, die Kyras Leben auf den Kopf stellt. Denn die geheimnisvolle Fremde ist eine Hexe …

In Band 2 haben die vier Freunde das elterliche Hotel Erkerhof ganz für sich allein. Nicht ganz! Ist der riesige schwarze Storch im alten Ballsaal ein Alptraum oder Wirklichkeit? Die Sieben Siegel auf den Armen der Freunde zeigen es: Die Dämonen sind zurückgekehrt …

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar „Jerry Cotton“-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.

Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei Loewe erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. Er lebt am Rande der Eifel.

_Die vier Freunde:_

|Kyra Rabenson| ist 12 Jahre alt, hat rotes Haar wie ihre Tante Kassandra, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter wohnt, und ist die Tochter des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautoren Professor Rabenson. Sie ist mutig und sehr neugierig.

|Lisa Morgenthal| ist elf Jahre alt, blond und furchtbar verliebt in Chris. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Nils im größten und unheimlichsten Gebäude Giebelsteins, dem alten Hotel Erkerhof, auch genannt Kerkerhof. Sie ist manchmal zurückhaltend und sensibel.

|Nils Morgenthal|, ein Jahr älter, ist ihr Bruder und wohnt ebenfalls im Kerkerhof. Er besitzt einen makaberen Sinn für Humor, sammelt Monstermasken und erzählt mit Vorliebe blutige Schauergeschichten. Zunächst ist er draufgängerisch, aber das ändert sich im Laufe der Ereignisse.

|Chris| (= Chrysostomus Guldenmund) ist 12 Jahre alt und der Sohn eines Diplomaten, hat in sechs verschiedenen Ländern gelebt und spricht fünf Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, ein bisschen Italienisch und schlecht Griechisch. Er ist sportlich, immer schwarz gekleidet, isst gerne alles, was ihm in die Finger kommt, wird aber – zum Ärger der Mädchen – nicht dick davon. Er ist sehr selbstbewusst und risikobereit; in Kyra verknallt, mag aber auch Lisa gern.

Alle Jugendlichen verändern sich durch ihre Abenteuer, aber in welcher Hinsicht soll hier noch nicht verraten werden.

_Handlung_

Die vier Freunde haben im riesigen Schlosshotel Erkerhof sturmfreie Bude, denn Lisas und Nils‘ Eltern sind übers Wochenende zur Testamentseröffnung ihrer Großtante gefahren. Klar, dass die Geschwister ihre Freunde Kyra und Chris einladen, mit ihnen die freie Zeit zu verbringen und das große unheimliche Gemäuer zu erkunden. Doch eines Nachts hört Lisa ein Geräusch und geht ihm nach.

„Es muss einfach ein Albtraum sein!“ Das ist alles, was Lisa denken kann. Ein drei Meter großer, schwarzer Storch mitten im Ballsaal des verfallenen Hotels Erkerhof – das kann es nicht geben! Als sie ihren Freunden aufgeregt davon erzählt, glaubt Nils ihr nicht, doch Chris hat ein untrügliches Zeichen dafür entdeckt, dass Lisa die Wahrheit erzählt: An ihm sind erneut die magischen Sieben Siegel erschienen (die sie im ersten Abenteuer erhielten) und lassen keinen Zweifel: Die vier Freunde müssen abermals gegen dämonische Mächte antreten.

Doch wo hat sich der Storch versteckt? Um dies herauszufinden, klettern alle vier aufs Dach – dorthin, wo Störche nun mal zu nisten pflegen. Sie finden das Nest auch: Vier Eier liegen in einem Dornenverhau. Papa Storch ist schnell zurück und verscheucht die Gefahr mit seinem spitzen, blutroten Schnabel. Dann setzt er ihnen durchs ganze Gebäude nach. Erst im Kühlraum der Küche kommt sie dazu, zu verschnaufen und nachzudenken.

Was hat der dämonische Storch zu bedeuten? Der kommt ja nicht aus dem Nichts, sondern direkt aus der Hölle. Aber warum erst jetzt? Da kommt ihnen die rettende Idee: Sie müssen in der Vergangenheit forschen, als der Erbauer des Schlosses, Baron Moorstein, okkulte Forschungen und Beschwörungen betrieb. In der Schlossbibliothek stoßen sie auf eine wichtige Spur: die Aufzeichnungen des Barons, dem der Erkerhof einstmals gehörte. Offenbar hat der Baron vor Jahrhunderten einen grauenvollen Dämon beschworen – eine blutrünstige Kreatur, die erst heute in Gestalt des schwarzen Storchs erschienen ist.

Es ist nun an Kyra und ihren Freunden, die Bestie zu vertreiben, ehe sie und ihre Brut Tod und Verderben über Giebelstein bringen. Sie teilen sich auf. Während Nils und Kyra in den Keller vordringen, wo der Baron sein Labor hatte, wagen Lisa und Chris einen zweiten Vorstoß zum Nest des Storchs. Doch wo ist der Widersacher abgeblieben? Lauert er etwa im Hinterhalt?

_Mein Eindruck_

Man sollte nicht meinen, dass ein drei Meter großer Klapperstorch furchteinflößend wäre, aber dieser dämonische Bewohner des Schlosshotels ist es ganz bestimmt. Mit seinem harten Schnabel durchbohrt er hölzerne Türen, dann klettert er durch die großen alten Kamine in ein anderes Zimmer. Kurz: die Kinder sind nie vor ihm sicher. Und dann ist da noch die frisch geschlüpfte Brut, die das Gemäuer unsicher macht. Eine wahre Plage, direkt aus der Hölle.

|Fluch der Vergangenheit|

Der Baron hat sie herbeigerufen und sie kam, mit ein paar hundert Jahren verspätung, aber immerhin. Diese Plage ist also der Schatten der Vergangenheit, wie er so häufig in Schauergeschichten eine Rolle spielt: ein Fluch, der aufgehoben werden muss. Sind die heutigen Bewohner des Schlosses, das einst auch als Irrenhaus diente, clever genug, den Dämon zu besiegen, oder genauso dumm wie der erste Bewohner? Diese spannende Frage wird natürlich erst ganz am Schluss beantwortet.

|Charakterprobe|

Dieses Abenteuer entpuppt sich als wahre Charakterprobe. Im Gegensatz zu dem oberflächlichen und klischeehaften ersten Band spielen Charakterzüge diesmal eine wesentliche Rolle. Die Motive und Aktionen der Figuren ergeben sich aus ihrer Veranlagung. Diese – und das ist das Schöne daran – hat sich inzwischen gewandelt. Denn die Sieben Siegel sind ja magischer Natur und verändern ihren Träger. Lisa liebt es, Rätsel zu lösen, Chris versteht viele Sprachen und ist ein Draufgänger, Nils neigt jetzt mehr zur Vernunft, und Kyra erweist sich ihrem mütterlichen Erbe als mehr als würdig: Mami war eine Hexe, und Kyra eifert ihr nach!

|Pärchen|

Darüber hinaus sind die vier Freunde keine Einzelgänger mehr, sondern zwei Pärchen. Lisa und Chris haben sich endlich gefunden. Nur dass Chris‘ draufgängerisches Losstürmen immer auf den Protest der etwas zaghaften Lisa trifft. Und dass Nils und Kyra einander gut verstehen, ist ebenfalls klar: Sie übernimmt in brenzligen Situationen das Kommando, und er hat sich gefälligst zu beeilen, es ihr recht zu machen. Was angesichts eines drei Meter großen Vogelmonsters gar nicht so einfach ist.

Durch diese Paarungen und die grotesken Situationen, in die sie geraten, ist diesmal auch gehörig für Humor und Ironie gesorgt. Spinnen und Ratten jagen nicht jedem Mädchen Angst ein, aber nervende Brüder können einem echt den letzten Nerv rauben – zur Belustigung der Übrigen. Selbst der „innovative“ Tee von Tante Kassandra ist keine wahre Freude, wenn er aus Venusfliegenfallen (also fleischfressenden Pflanzen) gebraut wurde.

|Illustrationen|

Die Zeichnungen machen dem Leser erst richtig deutlich, welche Dimensionen das Schlosshotel aufweist. Es ist ein richtiges Palais, aber mit zahllosen barocken Giebelchen und Erkerchen, so dass es eine Art Labyrinth bildet. Wunderbar gelungen ist die Darstellung des Vogelmonsters: Der leere Blick aus weißen Aufgäpfels starrt boshaft auf die kleinen Menschenkinder herab, als wären sie alle verdammt. Und das wären sie auch, wenn Kyra nicht die rettende Idee käme.

_Unterm Strich_

„Der schwarze Storch“ ist ein rundum gelungenes Horror-Abenteuer, das von der ersten Seite an stilistisch gut erzählt und konsequent auf seinen dramatischen Höhepunkt zu komponiert ist. Offensichtlich hat der Autor eine Menge über das Schreiben hinzugelernt, obwohl dieser Band im gleichen Jahr 1999 wie der erste Band der Serie „Sieben Siegel“ veröffentlicht wurde. Ein kleiner Schönheitsfehler mag darin bestehen, dass das Konzept der Serie stark an R.L. Stines Gruselgeschichten für Kinder und Jugendliche erinnert.

Ich habe den Roman in etwa zwei Stunden (mit Unterbrechungen) gelesen. Die Schrift ist groß, es gibt etliche Illustrationen, und die Story zieht den Leser in ihren Bann. Danach legte ich das Buch rundum zufrieden beiseite, fühlte mich aber an etliche Vorbilder erinnert. Kai Meyer kennt sich offensichtlich in der Horrorliteratur aus. Und er lässt seine Helden dieses Genre sogar erwähnen, um jeder Kritik die Lanze zu brechen: In Horrorfilmen würden sich die Figuren immer falsch verhalten. Daraus sollte man, wenn man schlau genug ist, unbedingt eine Lehre ziehen.

Giebelstein, das mittelalterliche Städtchen, birgt offenbar noch viel Rätsel und Altlasten aus seiner bewegten Vergangenheit. Zunächst war da der Inquisitor und Hexenjäger Abakus aus dem 16. Jahrhundert, dann kam der Teufelsbeschwörer Baron Moorstein im 18. Jahrhundert – was haben wir als nächste Gefahr zu erwarten? „Die Katakomben des Damiano“ lautet der vielversprechende Titel des nächsten Abenteuers.

|Taschenbuch: 128 Seiten
ISBN-13: 978-3570216033|
[www.randomhouse.de/cbjugendbuch]http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_
[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Dschinnland“ 5635 (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
[„Wunschkrieg“ 5744 (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
[„Wunschkrieg“ 5641 (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
[Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ 5809 (Graphic Novel)

|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

Lumley, Brian – Necroscope 3 – Kreaturen der Nacht

Buch 1: [„Das Erwachen“ 779
Buch 2: [„Vampirblut“ 843

Die große Schlacht ist geschlagen und Schloss Bronitzi liegt in Trümmern. Und eigentlich hat der Angriff der Tatarenzombies, mit dem der Vorgängerband [„Vampirblut“ 843 endete, auch alle bisher wichtigen Charaktere von Brian Lumleys „Necroscope“-Reihe dahin gerafft. Doch man kennt das ja aus Literatur und Film … manchmal kommen sie eben wieder.

_Und so startet_ das dritte Hörbuch der Reihe, „Kreaturen der Nacht“, vergleichsweise gemächlich. Auf Schloss Bronitzi wird aufgeräumt. Da gerade zufällig zur Stelle, wird Felix Krakowitsch von Breschnew persönlich zum neuen Leiter des E-Dezernats ernannt. Seine Aufgabe ist es zunächst, die Zombies aus dem Weg zu schaffen und Dragosanis Leiche sorgfältig zu verbrennen. Allerdings ist Breschnews nächster Auftrag reichlich seltsam: Krakowitsch soll mit dem englischen Gegenstück zum E-Dezernat Kontakt aufnehmen. Und das mitten im Kalten Krieg!

Währenddessen ist Harry Keogh, der Necroscope, zwar tatsächlich immer noch tot, aber da er schon vor seinem Ableben das Reisen im Möbius-Kontinuum gemeistert hatte, ist er eben doch immer noch irgendwie gegenwärtig. Momentan lebt er im heranwachsenden Körper seines eigenen Sohnes weiter und in dieser geisterhaften Erscheinung stattet er auch Alec Kyle, dem Chef der englischen Psi-Abteilung, einen Besuch ab. Harry hatte nämlich viel Zeit und Gelegenheit, mit den Toten zu sprechen und so hat er Kyle einiges über die Vampire im allgemeinen und Tibor Ferenczy im besonderen zu berichten.

Und so springt die Handlung um einige Jahrhunderte in die Vergangenheit, um zu verfolgen, wie der aus einer Bauernfamilie stammende Tibor sich zum Soldaten hoch arbeitet. Schließlich schickt ihn sein Dienstherr auf die Burg des Fetor Ferenczy. Doch auf dieser Burg gehen seltsame Dinge vor sich. Und Tibor, der zunächst noch meint, die Oberhand zu haben, muss schnell feststellen, dass er gegen Fetor nicht ankommen kann. Dieser ist nämlich ein Vampir und hat beschlossen, Tibor sein einziges Ei einzupflanzen.

_Dass Tibor letztendlich_ gefangen in einem Grab in der Walachei enden wird, weiß der Leser aus den vorhergehenden Bänden. Was neu ist, ist das Wissen, dass er nicht nur Dragosani seinen Stempel aufgedrückt hat. Denn 1977 verunglückte ein Ehepaar nicht weit von seinem Grab. Der Mann verblutete, doch die Frau wurde nur ohnmächtig. Tibor tut sich an ihr gütlich – und an ihrem ungeborenen Kind. Dieses Kind, die Mutter wird ihn Julian nennen, entpuppt sich als ein wahrer Damien. Er ist sonderbar, wird von der Schule geworfen, ist einsiedlerisch und versucht sich offensichtlich an seltsamen Experimenten im elterlichen Keller. Mit Julian wird also noch zu rechnen sein!

An die neue Gangart in „Kreaturen der Nacht“ muss man sich erst einmal gewöhnen. Dragosani ist hinüber (endgültig?), Harry agiert nur als Wissensvermittler, Kyle wieder nur als Zuhörer. Lumley hat einen großen Teil seines Personals in der Schlacht um Schloss Bronitzi ins Gras beißen lassen und so konzentriert er sich nun entweder auf neue Charaktere oder auf Hintergrundinformationen zu bekannten Figuren wie Tibor. Das gibt dem Hörbuch eine andere Richtung und man muss sich zunächst einmal damit abfinden, dass die Handlung um die E-Dezernate kaum voran getrieben wird, bevor man sich auf die historischen Ereignisse um Tibor einlassen kann. Wobei diese nun nicht besonders spannend sind. Sicher, in einer Endlosserie wie „Necroscope“ darf es dem Autor auch gestattet sein, die Vergangenheit der Charaktere zu beleuchten. Doch die Vampirwerdung Tibors schreitet recht langsam voran. Bevor er überhaupt auf Fetor trifft, hat man als Hörer den Eindruck, der Großteil des Hörbuchs wäre damit vorüber gegangen, wie Tibor den Berg zu dessen Burg hinauf läuft. Eine recht unnötige Verzögerungstaktik, die die Spannung so lange hinauszögert, bis sie vollkommen verloren gegangen ist.

Interessanter ist da schon Julian, dessen Platz im großen Ganzen bisher noch nicht erkennbar ist, der aber offensichtlich selbst schon einige Ambitionen hat. Lumley liefert nur die Draufsicht, zeigt nur, wie andere Charaktere Julian wahrnehmen, und das ist eine ungemein effektive Technik, um beim Hörer ein unbestimmtes Grauen zu erzeugen. Julian wird hoffentlich in zukünftigen Bänden noch eine tragende Rolle spielen!

_Abschließend lässt sich_ sagen, dass „Kreaturen der Nacht“ vom Hörer eine Neuorientierung verlangt. Plötzlich sind nicht mehr die Spionage-Abteilungen der Mittelpunkt der Handlung (zumindest für den Moment), sondern es geht ausschließlich um Hintergrundinformationen zu verschiedenen Charakteren – hauptsächlich Tibor und Julian. Das verlangt vom Hörer eine Umstellung in seiner Erwartungshaltung. Daran muss man sich also erst gewöhnen. Auch daran, dass dem Hörbuch dadurch ein zentraler Konflikt fehlt. Und so scheint „Kreaturen der Nacht“ entweder ein Lückenfüller oder eine Brücke zwischen den einzelnen Bänden zu sein. Das Hörbuch ist teilweise langatmig, doch gibt Lumley mit seiner weit ausholenden Erzählung auch eine erste Ahnung davon, welch umfassendes Universum er mit seiner Romanreihe schaffen möchte.

Harris, Charlaine – Ein eiskaltes Grab (Harper Connelly 3)

_Harper Connelly:_
Band 1: [Grabesstimmen 4704
Band 2: [Falsches Grab 5608
Band 3: _Ein Eiskaltes Grab_

Harper Connelly und Tolliver Lang sind keine Geschwister. Zwar traten sie in den vergangenen zwei Bänden zunächst als solche auf, aber damit ist es offenbar vorbei. Schon im letzten Band bemerkte Harper, dass sich ihre Beziehung zu ihrem Halbbruder (keine Blutsverwandtschaft) langsam wandelt und mittlerweile besteht auch Tolliver darauf, dass er nicht als ihr Bruder vorgestellt wird. Die Lektüre von „Eiskaltes Grab“, des dritten Bands der Reihe um Harper Connelly, verspricht also interessant zu werden!

_Diesmal verschlägt es_ Harper und Tolliver in das kleine Städtchen Doraville. In den vergangenen Jahren sind dort immer wieder Jungen verschwunden – acht insgesamt. Der damalige Sheriff hat der Suche nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt und statt dessen angenommen, dass es sich um jugendliche Ausreißer handelt. Doch nun wurde Sandra Rockwell zum neuen Sheriff gewählt und sie ist gänzlich anderer Meinung. Unterstützt in ihrer Annahme wird sie von Twyla Cotton, der Großmutter eines der Jungen. Da diese finanziell gut dasteht, hat sie beschlossen, die neuerlichen Ermittlungen anzuschieben, indem sie Harper engagiert, um die Leichen der vermissten Jungen zu finden.

Und das klappt auch ganz gut. Twyla, Harper und Tolliver fahren einige Orte an, die Twyla für verdächtig hält und tatsächlich findet Harper in einer Scheune ein Massengrab. Sogar mehr als die bisher vermissten Jungen liegen dort begraben. Sie wurden entführt, vergewaltigt, gefoltert und schließlich getötet. Harper ist genauso erschüttert wie die Einwohner der Stadt Doraville. Bisher hatte sie es nämlich noch nie mit einem Massenmord zu tun und die Grausamkeit der Taten ist nur schwer zu ertragen. Da Harper und Tolliver noch Zeugenaussagen machen müssen, können sie die Stadt nicht verlassen. Doch während sie fest sitzen, wird Harper brutal zusammen geschlagen. Und den Mörder gilt es ja auch noch zu finden.

_Harris versucht viel_ in dem schlanken 300-seitigen Buch unterzubringen. Da wäre auf der einen Seite der brutale Mord an den Jungen und die Tatsache, dass sie vergewaltigt und gefoltert wurden, um einem kranken Hirn sexuelle Lust zu verschaffen. Den Leser stößt das ebenso ab wie Harper und Tolliver. Harris konzentriert sich in der Serie bevorzugt auf Mordfälle, die an die Nieren gehen – meistens schon wegen der Jugend der Opfer. Harpers Abscheu, die Trauer der Einwohner, die Wut der Polizei, das Einfallen der Journalistenmeute – all das beschreibt Harris mit einem sehr genauen Blick für Details. Besonders überzeugend gelingt ihr dabei die Reaktion der Einwohner. Zwar stehen die meisten Harpers Begabung skeptisch gegenüber, doch sind sie gleichzeitig bereit, Harpers Einsatz zu würdigen. Und so wird sie zu einem Gedenkgottesdienst eingeladen, bei dem ihr viele der Anwesenden danken. Die Szene ist ergreifend, gerade weil Harper bisher mit ihrer Gabe auf so viel Widerstand und Feindschaft gestoßen ist.

Natürlich wollen auch die Menschen von Doraville ihr nicht nur Gutes. Zumindest der Mörder hat allen Grund sauer zu sein, schließlich hat sie ihm sein perfektes Verbrechen zunichte gemacht. Und so ist der Angriff auf Harper natürlich kein Zufall, auch wenn die Polizei ihm zunächst kaum Bedeutung bei misst. Mit einer Kopfwunde und einem angebrochenen Arm außer Gefecht gesetzt, bleibt Harper nichts anderes übrig, als in der Stadt aus zu harren. Und bei der Gelegenheit kann sie auch gleich den Mordfall lösen, schon allein aus Eigenschutz!

Der zweite Handlungsstrang des Romans ist die Beziehung zwischen Harper und Tolliver. Denn auch Tolliver will mittlerweile mehr von Harper als nur schwesterliche Gefühle. Sie bekommen die Chance ihre Beziehung neu zu definieren, als sie während eines Eissturms in einer Blockhütte am See festsitzen – der perfekte Ort für ein romantisches tête-à-tête. Glücklich über diese neue Ebene in ihrer Beziehung, rückt der aktuelle Mordfall für eine Weile in den Hintergrund und Harper und Tolliver nehmen sich die Zeit, den anderen nochmal ganz neu kennen zu lernen. Doch natürlich eignen sich einsam gelegene Blockhütten für zweierlei Dinge: Romantik und gruselige Action à la „The Last House on the Left“. Charlaine Harris nutzt das Setting für beides und so muss die arme Harper schlussendlich in der Wildnis vor dem wahnsinnigen Mörder fliehen. Genau der Showdown, den man sich als Leser erhofft hat! Es bleibt also bis zur letzten Seite spannend.

Allerdings sollte auch erwähnt werden, dass Harris in dem ohnehin schmalen Band viele Wiederholungen aus früheren Bänden einfügt, um neue Leser an die Hand zu nehmen. So erfährt man wieder und wieder, dass Harper und Tolliver eine schwere Kindheit hatten – ohne dass Harris der Erkenntnis Neues hinzufügen würde. Deren entfremdete Restfamilie (und Harpers veschollene Schwester) werden dem Leser immer wieder in Erinnerung gerufen, doch wäre es schön, wenn diese auch endlich eine tragende Rolle in der Reihe spielen würden. Irgendwann wird dieser Konflikt sicherlich in den Vordergrund rücken müssen – die Frage ist nur, für welchen Band der Reihe Harris sich das aufsparen wird.

_Trotzdem ist „Eiskaltes_ Grab“ wieder eine spannende Lektüre für eine mittellange Bahnfahrt: Eines dieser Bücher, die man mit Begeisterung in einem Rutsch verschlingen kann.

|Taschenbuch: 304 Seiten
ISBN-13: 978-3423211963
Originaltitel: |An Ice Cold Grave|
Deutsch von Christiane Burkhardt|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de
[www.charlaineharris.com]http://www.charlaineharris.com

_Charlaine Harris beim Buchwurm:_

|Sookie Stackhouse:|
[Vorübergehend tot 788
[Untot in Dallas 939
[Club Dead 1238
[Der Vampir, der mich liebte 2033
[Vampire bevorzugt 3157
[Ball der Vampire 4870
[Vampire schlafen fest 5450
[Ein Vampir für alle Fälle 6161

Noël, Alyson – Evermore – Der blaue Mond (Die Unsterblichen 2)

Nach hunderten von Jahren und vielen späteren Reinkarnationen von Evers sind sie und Damen endlich ein Paar und die Widersacherin von Ever, Damens Ex-Frau Drina, wurde von Ever im Sommerland getötet.

Damen und Ever sind schwer verliebt und genießen eine schöne Zeit, allerdings wird diese durch Evers Eifersucht getrübt, denn der hatte ja diverse Jahre ohne seine geliebte Ever verbracht. Ohne es wirklich zu wollen, wirkt Ever so auf Damen sehr distanziert, und wenn sie alleine sind, stößt sie ihn verunsichert häufig von sich.

Die Freunde Evers, Heaven und Miles sind manchmal schlicht genervt von dem verliebten Geturtel der beiden, und auch Evers Tante ist mit der Beziehung nicht ganz einverstanden. Sie befürchtet bei Ever eine Essstörung, da diese nur noch diesen merkwürdigen roten Saft trinkt, den Damen ihr gibt, und ansonsten kaum noch was zu sich nimmt.

Als der neue Mitschüler Roman auf den Plan tritt, wird alles anders. Heaven und Miles wenden sich plötzlich von Ever ab. Die verfeindeten Cliquen der Schule hängen unerwartet zusammen rum und haben wirklich Spaß miteinander, und das Schlimmste: Damen scheint sehr krank zu werden und wendet sich ebenfalls komplett von Ever ab. Er scheint sie nicht einmal mehr zu erkennen. Ever ist sehr verstört, unglücklich und verdächtigt Roman, seine Finger im Spiel zu haben. Um der Sache auf den Grund zu gehen, forscht Ever zusammen mit der Wahrsagerin Ava im Sommerland nach den Ursachen des seltsamen Verhaltens ihres Seelenpartners.

Kann Ever Damen retten und hat wirklich der neue Roman die Finger im Spiel?

_Kritik_

Mit „Evermore – Der blaue Mond“ hat Alyson Noël den gelungenen zweiten Teil ihrer auf sechs Teile ausgelegten Evermore-Saga veröffentlicht. Mit dieser Serie hat die Autorin eine unabhängige Saga geschaffen, die sich mit ihrer typischen Esoterik deutlich von der breiten Masse abhebt.

Die einzelnen Protagonisten reifen im Verlauf der Geschichte. Besonders dem Charakter Damens wird deutlich mehr Platz auf der Bühne eingeräumt als im ersten Teil, und eine Reise in seine Vergangenheit lässt ihn lebendiger und realer werden. Mit Ever kann der Leser praktisch mitfühlen; alles, was sie innerhalb kürzester Zeit erlebt – den Verrat, den Verlust und die große Liebe zu Damen – macht sie zu einer sehr gefühlvollen und letztendlich starken Person. Die weiteren Charaktere, die man größtenteils schon aus dem ersten Teil kennt, bleiben Nebendarsteller, aber immer noch ausreichend in der Geschichte vertreten.

Auch dieser Teil ist aus der Perspektive Evers erzählt, daher kann man sich als Leser sehr gut in diesen Hauptcharakter hineinversetzen und fühlt besonders ihre Verzweiflung mit, als sie Damen zu verlieren droht. Auch hat die Autorin diesen Teil wieder sehr fesselnd, lebendig und leicht geschrieben, so dass man perfekt in die Geschichte eintauchen kann. So rasant wie der erste Teil endete, so langsam beginnt der zweite, was der Geschichte aber keinesfalls die Spannung nimmt.

Störend ist nur der Umgang mit Evers Unsterblichkeit, soll sie doch geheim bleiben. Aber Ever isst in Gesellschaft anderer so gut wie nichts und trinkt lediglich den Unsterblichkeitssaft in aller Öffentlichkeit. So kommt zwar das recht aktuelle Thema Essstörung in diesem Roman vor; die Reaktionen von Evers Tante sowie ihren Freunden hinsichtlich dieses Verdachtes sind allerdings sehr oberflächlich, und mit fadenscheinigen Ausreden lassen sich alle bereitwillig abspeisen.

Das Buch endet dann mit einem wahnsinnig spannenden Cliffhanger, der das Warten auf den nächsten Teil zur Qual machen kann.

_Fazit_

„Evermore – Der blaue Mond“ von Alyson Noël konnte mich weitgehend überzeugen, der flüssige und lebendige Schreibstiel der Autorin zieht einen direkt in die Geschichte hinein und das nervenaufreibende Ende lässt hoffen das die Zeit bis zum Erscheinen des dritten Teiles im November 2010 schnell vergeht.

Jungen und jung gebliebenen Leserinnen der Romantic Fantasy und esoterischer Geschichten kann ich „Evermore – Der blaue Mond“ mit reinem Gewissen empfehlen. Ich freue mich schon auf „Evermore – Das Schattenland“, das im November 2010 erscheinen sollte und wegen des Erfolgs der Serie auf den August vorgezogen wurde.

_Die Autorin_

Alyson Noël arbeitete früher als Stewardess für eine große amerikanische Fluggesellschaft. Seit einiger Zeit lebt sie in Laguna Beach, Kalifornien und ist erfolgreiche Romanautorin. Mit „Evermore – Die Unsterblichen“ stürmte sie auf Anhieb die amerikanischen Bestsellerlisten und eroberte die Herzen einer überwiegend weiblichen Leserschaft. Die Übersetzungsrechte wurden bisher in 15 Länder verkauft und auch die Filmrechte sind vergeben. Auch der zweite Band landete in den USA gleich nach seinem Erscheinen auf Platz 1 der New-York-Times-Liste. Im Internet präsentiert sie sich auf ihrer englischsprachigen Homepage [www.alysonnoel.com.]http://www.alysonnoel.com

|Originaltitel: Blue Moon
Originalverlag: St. Martin’s
Aus dem Amerikanischen von Ariane Böckler
382 Seiten, Paperback mit Klappenbroschur
Erschienen bei Page & Turner, 03.05.2010
ISBN-13: 9783442203611|
http://www.evermore-unsterbliche.de
http://www.immortalsseries.com
http://www.pageundturner-verlag.de

_Nadine Warnke_

Cory Doctorow – Little Brother (Lesung)

Dieser Roman wird als Jugendroman deklariert und richtet sich damit durchaus an die perfekte Zielgruppe. Doch in Wahrheit sollten sich auch Erwachsene diese Geschichte anhören (oder lesen), denn das Thema betrifft alle Menschen in gleicher Stärke und durch die Ausrichtung auf Jugendliche darf Cory Doctorow eine Sprache und gleichzeitig Erklärstruktur benutzen, die es auch Erwachsenen erlaubt, in das ihnen oft sehr fremde Milieu der Internetkommunikation und des Informationsmissbrauchs hineinzudenken.

Marcus, der Ich-Erzähler des Romans, ist ein 17-jähriger Schüler in San Francisco und benutzt sein technisches Verständnis sowie seinen Einfallsreichtum dazu, die Software zur Gangarterkennung durch Steinchen in den Schuhen und Chipscanner durch Mikrowellen auszutricksen. Er steckt seine chipmarkierten Schulbücher in eine Mikrowelle und türmt dann mit seinem Freund Darryl von der Schule, um mit ihm und seinem Team ein Realitygame zu gewinnen, das seine Aufgaben teilweise im Internet, teilweise in der Wirklichkeit ansiedelt und sich unter den Nutzern größter Beliebtheit erfreut.

Während ihrer Jagd nach den Hinweisen explodieren plötzlich Bomben, eine Brücke stürzt ein, die Menschen geraten in Panik und strömen in die U-Bahn. Als sich die vier Jugendlichen um Marcus entgegen gesetzt bewegen, um einen anderen Fluchtweg aus der Terrorzone zu suchen, wird Darryl mit einem Messer verletzt. Marcus versucht verzweifelt, vorbei fahrende Autos anzuhalten und Hilfe zu organisieren, doch als endlich ein tarnfarbener Wagen hält, finden sich die vier unvermittelt mit Handschellen und Säcken über dem Kopf auf einem Truck wieder, unter dem Verdacht, für den Anschlag verantwortlich zu sein.

Marcus wird von seinen Freunden getrennt und erlebt brutale Verhörmethoden, die schon als Folter gelten können, ehe er nach mehreren Tagen laufen gelassen wird – und in einer völlig verwandelten Welt landet. Die Heimatschutzbehörde (DHS) hat die Kontrolle über die Stadt an sich gerissen, baut die Überwachungsmechanismen immer weiter aus und beraubt die Menschen ihrer Privatsphäre und persönlichen Freiheit. Da Marcus bei Androhung von lebenslanger Haft in diesem Verhörknast oder noch Schlimmerem verboten wurde, von seinen Verhören zu berichten, ersinnt er eine Lüge für seine Eltern. Während er über verschlüsselte Internetverbindungen und eine abhörsichere Version von Linux versucht, eine Art Widerstand gegen das DHS zu organisieren, nimmt dieses genau diese Versuche als Vorwand, die Kontrollen weiter zu verschärfen und die Bürger im Namen der Freiheit weiter zu drangsalieren. Und Marcus lebt in der ständigen Angst, erneut geschnappt und eingekerkert zu werden und – am Schlimmsten – sich erneut der Folter seiner eigenen Landsleute auszusetzen …

Cory Doctorow, von dem es heißt, er „lebe im Internet“, beschrieb in seinen zwei vorhergehenden Veröffentlichungen in Deutschland – „Backup“ 2007, „Upload“ 2008 – Situationen und Zustände, deren alles durchdringende Vernetzung nutzbar war und den Anwendern allerlei Möglichkeiten bietet. Natürlich waren auch in diesen Titeln Missbrauch und Fehlinformation ein Thema, doch die Grundstimmung ist positiv.

Dieses Mal schafft er von Anfang an eine düstere, gejagte Stimmung und belegt die Attribute der elektronischen Welt weitgehend negativ, wobei natürlich die Protagonisten stets Wege finden, diese Informationssysteme zu nutzen, ihre Schwächen zu finden und dadurch – zu überleben.

Man befindet sich in einem Überwachungssystem, das sich anfangs auf die Schule beschränkt und dort Kontrolle über die Bewegungen der Schüler schaffen soll. Auch ohne den deutlichen Hinweis im Titel fühlt man sich sofort in eine Welt versetzt, in der George Orwell seine Bestätigung gefunden hätte. Diesem allgegenwärtigen und offen kontrollierenden orwellschen System nähert sich Doctorow mit fortschreitender Geschichte, bleibt dabei aber subtiler und nutzt offensichtliche wie auch augenöffnende Extrapolationen von Zuständen und Techniken, die auch heute überall eingeführt werden.

Seien es Informationen über Personenbewegungen, festgestellt über elektronische Fahrkarten, Führerscheine, Mautstellen, EC-Karten; oder E-Mailverkehr, Telefongespräche, Einkaufsgewohnheiten, die Erfassung und Zuordnung von persönlichen Gangschemata – Doctorow entwirft ein beängstigend reales und auch erreichbares Bild, wozu die kleinsten Dinge unseres Lebens missbraucht werden könnten.

Aufhänger dieser Entwicklung ist ein Terroranschlag in San Francisco, wobei Doctorow sehr subtil die Befürchtung nährt, dass so ein Akt auch initiiert werden könnte, um der folgenden Entwicklung den Weg zu ebnen: Die Heimatschutzbehörde (DHS) erhält alle Vollmachten und Gelder, um die totale Überwachung einführen, Razzien durchführen und ständige Verhöre rechtfertigen zu können. Die Anstrengungen der freiheitsliebenden Gegenbewegung wird als Verrat und Subordination deklariert und rechtfertigen noch den Einsatz größerer Mittel und härterer Maßnahmen.

Die vor allem von jungen Menschen belebte Gegenbewegung dient vor allem als Träger und Transporter für die Geschichte und die technischen Erklärungen der Überwachungsmöglichkeiten. Es ist eine relativ typische Erzählung im Jugendromanstil, doch so verstörend, dass die Entwicklungen den Hörer fesseln und den Plot so realitätsnah und wirklich machen.

Aber auch für Hörer, die einfach gut und spannend unterhalten werden möchten, bietet Doctorow eine Geschichte, die alles bietet: Spannung, eine schöne Liebesgeschichte, Verschwörungstheorien und Organisationen mit Machtmissbrauch, Verhöre, auch Folter und Misshandlung …

Oliver Rohrbeck sorgt mit seiner jugendlichen Stimme für die passende Inszenierung. Durch die direkte Erzählung in Ich-Perspektive rückt das Geschehnis nahe an eine Erzählung in Realität, und Rohrbeck fängt den Charakter wunderbar ein. Es lohnt sich hier, die Lesung zumindest mit dem eigenen Lesen gleichzusetzen, denn es gibt keine schwer verständliche Überlegungen und Rumgephilosophiere des Autors, was es einem sonst manchmal schwer macht, einer Lesung zu folgen. Hier kann man sich von der Geschichte fangen lassen und nimmt hoffentlich etwas von dem Misstrauen gegen allgegenwärtige Informationspolitik mit, das sowohl durch Rohrbecks Intonation als auch vom Text selbst hervorgerufen wird.

Der Roman bietet ein Thema von aktuellster Brisanz, verstörend und nachdenklich stimmend, während es wunderbar unterhält.

6 CDs mit 450 Minuten Spieldauer
ISBN-13: 978-3839840030
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 – 15 Jahre

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 3,25 von 5)

Fink, Torsten – Nomade (Der Sohn des Sehers 1)

_Der Sohn des Sehers:_
Band 1: _Nomade_
Band 2: Lichtträger (Juli 2010)
Band 3: Renegat (September 2010)

Awin hat es nicht leicht. Der Klan, bei dem er lebt, ist nicht der seine und sein Ziehvater Curru, der ihn zum Seher ausbilden soll, putzt ihn ständig herunter. Doch dann wird der Heolin gestohlen, der Lichtstein, das Zentrum der Hakul-Kultur. Sogleich brechen die Krieger des Klans auf, um den Dieb und Grabschänder zu verfolgen und den Stein zurück zu holen. Ein Unterfangen, das unter keinem guten Stern zu stehen scheint, und auf Awin will niemand hören, am allerwenigsten Curru …

_Obwohl er bereits_ sechzehn Jahre zählt, ist Awin ein ausgesprochen unsicherer junger Bursche. Das ist auch kein Wunder, denn Curru macht nicht nur ständig Awins Leistungen schlecht, er bringt ihm auch nicht wirklich etwas bei. Die Sprüche über Geier, Wölfe und Gras, die Awin lernen muss, klingen eher nach Bauernregeln als nach echtem Sehen. Und so kommt es, dass Awin seinen durchaus beachtlichen Fähigkeiten nicht so recht traut.

Dem objektiven Leser ist dagegen von Anfang an klar, dass Curru Awin bewusst manipuliert. Er fürchtet um seine eigene Stellung im Klan, denn er spürt, dass Awin ihm in Wahrheit weit überlegen ist. Im Rahmen seiner Fähigkeiten hat er stets das Beste für den Klan getan, die Größe, einem Jüngeren und Besseren Platz zu machen, besitzt er jedoch nicht, dafür ist er zu stolz und zu eitel.

Und dann ist da noch Eri, ein hitzköpfiger Gernegroß, der zwar hervorragend austeilen kann, einstecken aber kann er nicht, und die Verantwortung für sein Tun zu übernehmen ist noch viel weniger sein Ding. Sein Vater, der Yaman des Klans, ist ein weiser und gemäßigter Mann mit Weitblick und ausgeprägtem Ehrgefühl. Doch seine Söhne sind seine Schwäche. Es gelingt ihm nicht, Eri zu disziplinieren, und der Verlust seiner beiden Ältesten lähmt ihn bis zur Handlungsunfähigkeit.

Und dann sind da noch die beiden Frauen aus dem Eisland, Senis und Merege. Beide verfügen offensichtlich über magische Kräfte, doch obwohl Senis eine freundliche und hilfsbereite Frau zu sein scheint, lässt sie sich nicht in die Karten schauen und Merege ist noch zugeknöpfter.

Bisher ist die Charakterzeichnung angenehm klischeefrei geraten. Vor allem Awins allmähliche Emanzipation von Curru ist gut gemacht. Curru scheint gegen Ende des Bandes so etwas wie Ehrgeiz zu entwickeln, was kein Fehler sein muss, so lange der Autor es nicht übertreibt und seine Figur dadurch zum Typus des machtgierigen Bösewichts verkommen lässt. Eri dagegen darf noch etwas mehr Eigenständigkeit entwickeln, er erinnerte mich stark an Numur aus dem Zyklus |Die Tochter des Magiers|.

Das allein wäre kein Weltuntergang, bei der Flut an Fantasy, die ständig neu erscheint, ist es nahezu unmöglich, jegliche Ähnlichkeiten mit bereits bekannten Figuren zu vermeiden. In diesem Fall jedoch störte es mich, weil |Der Sohn des Sehers| kein unabhängiger Zyklus ist, ganz im Gegenteil. „Nomade“ spielt zeitgleich zu „Die Diebin“. Der Dieb, den die Hakul verfolgen, ist kein anderer als der Gauner Tasil. Tasil taucht selbst allerdings nicht auf, im Gegensatz zu Numur.

Torsten Fink erzählt die Geschichte diesmal quasi aus der entgegengesetzten Sicht, aus Sicht der Hakul. Und er erzählt sie so geschickt, dass man die Trilogie um Maru nicht gelesen haben muss, um dem Geschehen folgen zu können. Der größte Teil der Handlung ist von der Handlung des ersten Zyklus‘ unabhängig. Die Hakul verfolgen Tasil, doch eine Menge Widrigkeiten verhindern zunächst, dass sie ihn einholen. So bleibt eine Menge Raum für die Hakul selbst und ihre Nomadenkultur sowie das Mysterium des Lichtsteins, mit dem es offenbar mehr auf sich hat als die Legenden der Hakul berichten.

Dennoch sind beide Zyklen durch Schlüsselszenen eng miteinander verknüpft, so zum Beispiel durch die Audienz, in der Tasil beinahe auffliegt, weil die Hakul bei dem Händler, der Maru an Tasil verkauft hat, den Dolch eines der ihren entdecken. Der Autor hat sie nahtlos in den Rest der Ereignisse eingeflochten, so dass sie zur Erzählsicht Awins passen.

Dadurch hat der Autor die Geschichte des ersten Bandes nicht nur um eine Kultur und ihre eigenen inneren Konflikte und politischen Zusammenhänge erweitert, sondern er hat beide miteinander verbunden und so in Abhängigkeit von einander gesetzt. Und so, wie die Verfolgung Tasils den weltlichen Teil der Handlung ausgeweitet hat, weiten die Anwesenheit Mereges und der Heolin den mythologischen Teil aus. Allmählich dämmert dem Leser, dass hier womöglich weit mehr im Gange ist als nur menschliche Kleingeistigkeit, Hab- und Machtgier. Hier geht es um die Götter und das Schicksal der Welt.

_Sieht so aus_, als hätte sich die epische Breite diesmal sozusagen durch die Hintertür eingeschlichen. Wieviel Raum sie letztlich tatsächlich beanspruchen wird, bleibt abzuwarten. Die Aussichten sind vorerst nicht schlecht: Awin muss zu seinem Klan zurückkehren, denn der ist in Gefahr, und das in nicht nur einer Hinsicht. Außerdem bleibt die Frage, was letzten Endes mit dem Heolin geschehen wird, auf den nicht nur die Hakul Anspruch erheben, sondern auch Merege. Und natürlich bin ich neugierig, ob Awin bei all dem womöglich zufällig Maru und Temu auf deren Suche nach Marus Vater begegnen wird. Wer weiß …?

_Torsten Fink war_ Journalist und Texter, unter anderem für literarisches Kabarett, ehe er 2008 sein erstes Buch „Die Insel der Dämonen“ veröffentlichte. |Die Tochter des Magiers| war sein erster Mehrteiler, an den jetzt |Der Sohn des Sehers| anknüpft. Die beiden Folgebände von „Nomade“ erscheinen noch 2010 unter den Titeln „Lichtträger“ und „Renegat“.

|Taschenbuch: 461 Seiten
ISBN-13: 978-3442266913|

_Torsten Fink bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Diebin“ 5775
[„Die Gefährtin“ 5950
[„Die Erwählte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5951

Paul Hoffman – Die linke Hand Gottes

Thomas Cale ist Novize und lebt in der Ordensburg der „Erlösermönche“. Auch wenn sie Gott – dem „Erlöser“ – dienen, so ist die Botschaft, die sie überbringen, meistens nicht die des Friedens, denn sie sind eher Gesandte des Todes.

Das Leben für die vielen Jungen ist äußert unbarmherzig. Der Kriegerorden kennt so etwas wie Gnade und Erbarmen nicht. Ihre Ausbildung ist voller Enthaltsamkeit, dafür regiert die Gewalt hinter den Klostermauern. Schon von Kindesbeinen an wird ihr Willen systematisch gebrochen, um sie später als Kriegsmaschinen gegen die Antagonisten einzusetzen: Ketzer und Abtrünnige vom wahren und einzigen Glauben an den göttlichen „Erlöser“.

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Moor, Dieter – Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht. Geschichten aus der arschlochfreien Zone

Ja, ich gestehe: Ich bin Brandenburgerin, hier geboren und aufgewachsen. Und eigentlich ist es auch ganz nett hier. Eigentlich, denn das wiedervereinigte Deutschland scheint für das märkische Land nur Spott und Kritik übrig zu haben, und so hat man uns in den vergangenen zwanzig Jahren eingeredet, in Brandenburg gäbe es nichts: keine Wirtschaft, keine Infrastruktur, keine netten Leute, weder Berge noch Meer. Kurzum – nichts, was das Land für einen Besucher auf irgendeine Weise interessant machen würde. Dass die Brandenburger selbst massenhaft die Flucht ergreifen, um in den goldenen Westen rüberzumachen, gibt dem Argument nur noch mehr Überzeugungskraft. Denn wenn es nicht mal die Ureinwohner hier aushalten, wer sollte es dann?

Offensichtlich gibt es da doch noch jemanden: Den Schweizer Fernsehmoderator Dieter Moor nämlich hat es genau in die brandenburgische Provinz verschlagen, in die sonst keiner will. Zusammen mit seiner Frau Sonja hat er sich einen Gutshof gekauft, hat in der Schweiz seine sieben Sachen (und die Pferde, Esel, Gänse, Katzen, Hunde) eingepackt und sich ins Abenteuer gestürzt. In seinem fiktionalisierten Erfahrungsbericht „Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht“ hat er nun seine Erlebnisse aufgeschrieben – eine Liebeserklärung an eine vergessene Gegend und ihre Menschen.

Natürlich weiß auch Moor um die Vorurteile. Zu Beginn des Buches rekapituliert er sie noch einmal für den Leser: „Höchste Arbeitslosigkeit Deutschlands. Dumpfe Ossis. Alkoholiker und Neonazis. Die gesunde Bevölkerung flieht. Zurück bleiben die Loser, die Alten, die Gescheiterten, die Kaputten.“ Das klingt nicht so, als müsse man da unbedingt hin. Und tatsächlich, Moors Start in dem kleinen Kaff, das er Amerika nennt (und das tatsächlich Hirschfelde heißt) ist alles andere als vielversprechend. Die Straße ins Dorf ist gesperrt. Als er schließlich ankommt, sind die Vormieter noch nicht ausgezogen. Die erste Nacht im neuen Heim wird von feiernden Dorfbewohnern gestört, die unterm Schlafzimmerfenster singend vorbeiziehen. Die Gänse werden praktisch sofort vom Fuchs gefressen. Hinter den nächsten Bäumen befindet sich ein Flughafen und der Bauer von nebenan verpachtet sein Land für Techno-Partys. Das klingt, als hätte sich Amerika gegen die Zugezogenen verschworen und Familie Moor hadert mit ihrer Entscheidung. Am Ende wird jedoch trotzdem noch alles gut ausgehen – was in einem Buch über einen „Quasi-Wessi“, den es in den wilden Osten verschlagen hat nicht gerade eine Selbstverständlichkeit ist.

Sicher, Moor kann ein Dickkopf sein. So sieht er nicht wirklich ein, warum es im Dorfladen (Glückwunsch, wie viele brandenburgische Käffer haben so etwas noch?) keine Frischmilch gibt. Er bohrt und fragt, bis die blondierte Verkäuferin irgendwann nachgibt. Doch grundsätzlich ist seine Stärke (und damit die Stärke seines Buches) die Fähigkeit, sich auf Neues einzulassen und immer zu versuchen, aus den Gegebenheiten das Beste zu machen. Die preußische Geradlinigkeit hat es ihm angetan und den spröden Charme der Dorfbewohner entlarvt er als solchen, anstatt ihn als bloße Unfreundlichkeit hinzustellen. Der Brandenburger ist eben kein Südländer, er schließt nicht sofort Freundschaft. Statt dessen beobachtet er zunächst skeptisch, er fremdelt erst eine Weile bis er mit Neuem warm wird. Dieter Moor macht das nichts aus, er ist bereit zu warten und wird schließlich für seine Mühe belohnt. Er fügt sich ein ins Dorf, beweist, dass er von Landwirtschaft Ahnung hat und wird schlussendlich in die Dorfgemeinschaft aufgenommen. Und wenn er sich noch an seinem ersten Abend im neuen Dorf über den Lärm der Feiernden ärgerte, so endet das Buch versöhnlich. Denn nun ist er es selbst, der mit seinen neugewonnenen Freunden laut singend über den Dorfanger torkelt. Spätestens hier sollte dann auch dem letzten Leser klarwerden: Dieter Moor ist angekommen.

Moors Erfahrungsbericht ist unterhaltsam und lässt schmunzeln. Das Buch lebt vor allem von den Brandenburger Originalen, die er hier verewigt. Da wäre an vorderster Front Bauer Müsebeck zu nennen, ein Mann weniger Worte, der stattdessen anpackt und aushilft, wann immer es ihm möglich ist. Überhaupt ist Amerika ein Dorf voller tatkräftiger Menschen – ein schöner Gegensatz zu der weitverbreitenden Ansicht, der gemeine Ossi könne nur kuschen und stillhalten.

Vielleicht hilft Moors Buch, Brandenburg etwas beliebter zu machen und mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen. Für Leser aus der Mark ist die Lektüre zumindest ein erhellendes Erlebnis. Denn wie Bauer Müsebeck fragt man sich zwangsläufig: „Sie sind Österreicherin, Frau Moor, Ihr Mann Schweizer. Warum um Gottes willen verlassen Sie ihre wunderschönen Länder und kommen ausgerechnet hierher?“ Weil es eben doch schön hier ist. Und lebenswert auch. Manchmal braucht es halt den Blick eines Fremden, um einem die Augen für die Schönheit der Heimat zu öffnen. Und mal ehrlich, wer könnte sich dieser Schönheit verschließen, wenn der Rotmilan in einem azurblauen Himmel kreist, unter ihm die knallgelben, sich ewig hinziehenden Rapsfelder?

Wobei, eigentlich haben wir es insgeheim schon immer gewusst. Oder um es mit einer anderen Figur des Buches zu sagen: „Schon in Ordnung, dass de meine Heimat schön finden tust. Isse ja schließlich auch, wa?“ Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

|Taschenbuch: 304 Seiten
ISBN-13: 978-3499624759|

Henning Mankell – Der Feind im Schatten

Eine Ära geht zu Ende. Vermutlich ist kein Kriminalkommissar in der gesamten Literatur so bekannt wie Kurt Wallander – der alternde, teils zynische und manchmal schlecht gelaunte und grüblerische Kommissar aus dem schwedischen Ystad, den Henning Mankell vor zig Jahren ins Leben gerufen hat. Mit dem vorliegenden Buch nun endet die Ära Kurt Wallanders …

_Vermisst_

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