Fünf Freunde und die verlorenen Blüten (Folge 86)

_Story:_

Die Fünf Freunde werden von Onkel Quentin eingeladen, der Pflanzenausstellung in Kirrin beizuwohnen und sich dort auch aktiv einzubinden. Die Organisation läuft prächtig an, und als das Quintett gebeten wird, nach einem alten Hausrezept Crêpes für die Gäste zu backen und diese an einem eigenen Stand zu verkaufen, scheint das Fest für alle Beteiligten schon vorab ein Riesenerfolg zu sein. Doch der eigenartige Kevin verdirbt den Freunden gleich mehrfach die gute Laune; zunächst gerät er mit George aneinander, weil er ein Problem mit deren Vierbeiner hat, und kurz darauf offenbart sich ein Pflanzenverkäufer als eigenartiger Aussteller, da er unter anderem auch Cannabis im Angebot hat.

Als der erste Verkaufstag schließlich damit endet, dass die Fünf haufenweise Falschgeld eingenommen haben, entwickelt sich die Ausstellung zur Katastrophe. Doch Julian, Dick, Anne, George und Timmy lassen sich nicht so leicht in die Enge treiben und stellen dem Betrüger eine Falle …

_Persönlicher Eindruck:_

Seit einiger Zeit bereits erfährt Enyd Blytons legendäre Jugendbuchserie auf dem Hörspielmarkt wieder richtig Schwung. Die Release-Zyklen haben sich verkürzt, die einzelnen Episoden sind wieder viel lebendiger erzählt, und auch die Sprecher scheinen neue Motivation gewonnen zu haben, um das britische Original hierzulande noch einmal richtig fein in Szene zu setzen.

Ein besseres Beispiel für diese These könnte es in Form von Episode 86, „Fünf Freunde und die verlorenen Blüten“, auch kaum geben. Die Story ist stark, die Arrangements sehr abwechslungsreich und das sprachliche Fundament astrein – gerade hier hat man der Konkurrenz von „TKKG“ mittlerweile wieder längst das Wasser abgegraben.

Die aktuelle Folge orientiert sich hierbei nicht nur sprachlich sehr stark an den Anfängen der Serie. Die Thematik ist klassisch, typisch englisch eigentlich, und wird nicht nur von den Sprechern sehr sympathisch transferiert. Auch das allgemeine Stimmungsbild und die generelle Erzählatmosphäre überzeugen durchweg, speziell im flotten Finale, bei dem die Spannungskurve sehr harmonisch aufgebaut wird und schließlich mit einer schönen Spitze und einem würdigen Abschluss endet.

Bis hierhin hat man eigentlich auch alles gehört, was man an dieser Serie schätzt. Angefangen bei den freundlichen Charakteren, über die ständige Einbeziehung kultureller Events und Begebenheiten bis hin zu den zahlreichen Wendungen, von denen auch Nr. 86 stark gezeichnet ist. Lediglich der Start ist ein bisschen schwierig, da man sich gehörig Zeit nimmt, um eine Basis zu schaffen und den Zuhörer an das Thema und den Fall heranzuführen. Hier hätte man womöglich reduzieren und später zusätzliche Parts in den mittleren Teil anhängen können. Dieser überzeugt aber auch in der vorhandenen Variante, bietet eine prima Überleitung und verdient letzten Endes, ebenso wie „Fünf Freunde und die verlorenen Blüten“ im Allgemeinen das Prädikat ‚besonders gut‘!

Wem die interaktiven Geschichten um die vier Jugendlichen und ihren Hund nicht ganz so gut gefallen, der sollte daher spätestens hier wieder hellhörig werden. Das hier ist nämlich absolut hörenswert!

_Sprecher:_

Erzähler – Lutz Mackensy
Julian – Ivo Möller
Dick – Jannik Endemann
Anne – Theresa Underberg
George – Alexandra Garcia
Tante Fanny – Ursula Sieg
Onkel Quentin – Andreas von der Meden
Pastor Fletcher – Achim Schülke
Mrs. Botterbloom – Ingrid Andree
Jean Paul Legrand – Oliveer Bouchè
Yvette Legrand – Celine Fontanges
Kevin Blossom – Jona Mues
Mann am Strand – Mike Olsowski
Krämer Mr. Kinsey – Klaus Dittmann
Polizist – Volker Bogdan
Kunde – Tim Kreuer

Buch: Katrin Dorn
Redaktion: Hilla Fitzen, Wanda Osten
Produktion und Regie: Heikedine Körting
Effkte André Minninger
Musik: Tonstudio EUROPA

|Audio-CD oder -MC mit 57 Minuten Spielzeit
ASIN: B0032E5952|

_“Fünf Freunde“ bei |Buchwurm.info|:_
[„Fünf Freunde verfolgen den Wilderer“ (Folge 74) 4674

TKKG – Das Geheimnis um TKKG (Sonderfolge, 2010)

Story:

Seit einiger Zeit bereits sind TKKG mit dem alten Herrn Berthold befreundet, so dass ein Besuch im Krankenhaus für Tim, Karl, Klößchen und Gaby ein Akt der Selbstverständlichkeit ist. Gemeinsam wollen sie im Hospital die Radiosendung ‚Interessante Mitmenschen‘ anhören, für die das Quartett unlängst selbst interviewt wurde. Doch schon vor den Aufnahmen kommt es zu einigen merkwürdigen Ereignissen: ‚Das Herz des Regenbogens‘, ein seit Jahren verschollen geglaubter Edelstein, taucht wieder auf und findet seinen Weg zum urtümlichen Besitzer – dem alten Berthold. Als dieser schließlich verrät, dass er die vier jungen Detektive zu seinen rechtmäßigen Erben machen möchte, wissen TKKG ihr Glück gar nicht einzuordnen. Doch die Sensation scheint auch nur von kurzer Dauer anzuhalten, denn just in dem Moment, in dem die Neuentdeckung publik wird, verschwindet der Diamant spurlos. Und ausgerechnet Tim, Karl, Klößchen und Gaby stehen im Verdacht, in die Sache verwickelt zu sein …

Background:

„Das Geheimnis um TKKG“ ist an sich kein neues Hörspiel aus der berüchtigten Reihe des nunmehr verstorbenen Autors Stefan Wolf. Vielmehr handelt es sich bei der anno 2010 aufgelegten Fassung um ein Remake jenes Stückes, welches bereits 1995 und vier Jahre später zum 20-jährigen Jubiläum der Serie veröffentlicht wurde. Allerdings ist die aktuelle Version nicht bloß eine Neuauflage, sondern ein komplett überarbeitetes Hörspiel mit neuen Sprechern, zeitgemäßeren Texten, etwas mehr Tempo und einer generell sehr modernen Überarbeitung. Und damit ist auch wieder für eine Menge Diskussionsstoff gesorgt, weil die puristische Fraktion unter den TKKG-Fans mit den neuen Entwicklungen innerhalb der Reihe nicht immer gänzlich einverstanden ist – und dann auch noch so ein Remake …

Persönlicher Eindruck:

Im Vergleich zum Original, welcher natürlich nicht zu vermeiden ist, fällt sofort die leicht aggressive Sprache auf, um die sich vor allem von Hauptdarsteller Tim immer wieder bemüht wird. Als dieser beispielsweise im Radiointerview beschuldigt wird, lediglich ein Auge auf die Klunker geworfen zu haben, statt sich ehrlich für den alten Berthold zu interessieren, droht dieser direkt, dem zuständigen Moderator an die Wäsche zu gehen – Entwicklungen, die im Original so nicht gepflegt wurden und folgerichtig auch in der Neufassung nicht abzusehen waren. Doch auch sonst ist die Restauration sehr stark auf den momentane Zeitgeist zugeschnitten: Die Telefonzelle wird selbstredend durch das Mobiltelefon ersetzt, die Erklärungen für den Internatsaufenthalt von Klößchen und Tim wirken auch ein Stück weit banaler, und wenn Karl sich rechtfertigt, warum er sein Hirn einem Muskelzuwachs vorzieht, ist das Ganze auch nicht wirklich überzeugend.

Die Differenzen mit der Sprache werden dann vom Erzähltempo aber wieder einigermaßen aufgefangen; die Geschichte schreitet rasend voran, die Charaktere werden von ihren Sprechern, abgesehen vom benannten Sprachgebrauch, sehr authentisch vorgestellt, und da die Handlung auch zwischen einigen Strängen hin- und herbaumelt, ohne dabei den Faden zu verlieren, kann man diesbezüglich nur Positives berichten. Und dennoch: Am Ende bleibt ein leicht fader Beigeschmack, weil es in diesem Fall eigentlich nicht wirklich Sinn gemacht hat, das Original zu verändern. Die Geschichte bleibt gut, war sie aber auch schon, aber auf Teufel komm raus das Gesamtbild zu verändern und dann nicht einmal den Titel zu rechtfertigen – „Das Geheimnis um TKKG“ ist nämlich eigentlich keines – basiert eben nicht auf der Idee, hier wirklich Verbesserungen herauszuschlagen. Fans sollten sich definitiv mal warmhören, doch eigentlich kann man auf den Stoff auch gut und gerne verzichten, wenn man die Erstveröffentlichung dieses Hörspiels bereits sein Eigen nennt!

Audio-CD oder -MC mit 55 Minuten Spielzeit
ASIN: B0036OP0PM

TKKG – Millionencoup im Stadion (Folge 168)

_Story:_

Kurz vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft boomt das Geschäft mit Fanartikeln der einzelnen Nationalmannschaften. Auch Tim und Klößchen outen sich als begeisterte Fans und können die Endrunde ebenso kaum erwarten wie das nächste Spiel gegen das lokale Gymnasium. Als jedoch die Lagerhalle eines bekannten Sportgeschäfts niederbrennt und hierbei unzählige Trikots gestohlen werden, wirft die WM einen negativen Schatten auf die Euphorie der jungen Fans. Eigenartigerweise werden seither vermehrt Trikots in der direkten Umgebung angeboten. Auch Klößchen ergreift die Chance, auf dem Pausenhof ein Originalstück zum stark reduzierten Preis abzugreifen, stellt jedoch kurz darauf enttäuscht fest, dass es sich bei diesem Schnäppchen um eine Produktfälschung handelt. Tim wittert den nächsten Fall und sieht sich bestätigt, als das verdächtige Treiben um ihn herum immer offensichtlichere Züge nimmt. Tatsächlich ist ein Ring von Trikotfälschern in der Region aktiv und sorgt für einen neuen Fall für die fußballbegeisterten TKKG!

_Persönlicher Eindruck:_

Passender könnte die Wahl dieser Tage kaum sein: Die insgesamt bereits 168. Episode der vier befreundeten Junior-Detektive beschäftigt sich mit dem derzeitigen Highlight-Thema Fußball und dazu mit einem nach wie vor sehr akuten Thema, nämlich der Produktfälschung namhafter Lizenzartikel.

Die Story ist dabei zwar relativ vorhersehbar aufgebaut und manchmal auch mit anstrengenden Klischees bestückt – so zum Beispiel wenn Klugnase Tim sein Wissen über die Fußball-Historie nach außen trägt, hier fehlt einfach das Genie eines Justus Jonas – dafür aber erneut sehr temporeich und auch mit reichlich Abwechslung ausgestattet. Das eigentliche Thema wird ziemlich umfassend ausgeschmückt, sei es nun durch die beliebten Sticheleien zum Gewicht von Willi, mit einigen Hintergrundinfos zur verbrecherischen Nachmache der Lizenprodukte, schließlich mit der Fehde, die man auf dem Platz mit einem Nachbargymnasium auszutragen gedenkt. ,Und zu guter Letzt auch mit schönen Effekten und einer sehr guten Rahmenuntermalung, für die das Team Minninger/Osten verdienten Beifall bekommt.

Inhaltlich wirkt der Fußballrahmen gut recherchiert, aber auch auf den aktuellen Stand gebracht. Die WM in Südafrika wird zwar nicht direkt als Leitthema in den Vordergrund gesetzt, ist aber der offenkundige Aufhänger für die Entwicklungen im Merchandising-Geschäft. Und darauf bauen die einzelnen Stränge dann auch auf, entwickeln zwar nicht immer den Spannungsgrad, den man sich von einer TKKG-Folge wünscht, dafür aber wirklich sehr gute Unterhaltung, die nur phasenweise ein wenig darunter leidet, dass die Regie die Auflösung der schmutzigen Deals, schon viel zu früh zu vorhersehbar gestaltet. Die schwarzen Schafe sind schnell entlarvt, und schlussendlich ist es nur eine Frage der zeit, bis die vier Schnüffler ihnen auf die Spur gekommen sind – aber das ist inzwischen auch ein serieninternes Phänomen geworden, an das man sich lange genug hat gewöhnen können.

Sprachlich ist „Millionencoup im Stadion“ auf einem sehr guten Weg. Die teils doch recht unzensierte Jugendsprache früherer Folgen tritt nicht auf, und auch Protagonist Tim, der in letzter Zeit schon mal häufiger austeilen mag, stellt sich nicht so aggressiv vor, wie man es jüngst öfter erfahren musste. Gerade hier sticht Episode Nr. 168 positiv hervor und kaschiert manche Lücken im Spannungsaufbau mit einer souveränen Performance. Letztere muss man zum Ende dann auch den Sprechern attestieren, die allesamt einen fabelhaften Job machen und ganz klar vermitteln, dass sie – umgangssprachlich formuliert – in der Thematik drin sind.

Alles in allem bleibt daher ein anständiges Hörspiel in Erinnerung, das gerade zum aktuellen Zeitpunkt seine Abnehmer finden sollte – und das wohlgemerkt nicht bloß unter TKKG-Fans!

_Sprecher:_

Erzähler – Wolfgang Kaven
Tim – Sascha Draeger
Karl – Niki Nowotny
Klößchen – Manou Lubowski
Gaby – Rhea Harder
Kommissar Glockner – Edgar Bessen
Ettel – André Minninger
Johannes Kraut – Dietmar Mues
Steven Kraut – Woody Mues
Magnus Arrantes – Jacob Weigert
Leon – Iva Möller
Max – Nick Seidensticker
Kevin Fidentinus – Jannik Endemann
Robert Teiler – Sascha Rotermund
Morosow – Dimitrji Marakow

Produktion und Regie: Heikedine Körting
Buch: Corinna Harder nach Motiven von Stefan Wolf
Manuspript und Effekte: André Minninger
Redaktion und Geräusche: Wanda Osten

Audio-CD oder -MC mit 55 Minuten Spielzeit
ASIN: B0038M43I2

Queen, Ellery – Schatten über Wrightsville

_Das geschieht:_

Seinen neuen Roman möchte Krimi-Schriftsteller und Amateur-Detektiv Ellery Queen nicht in New York, sondern in der Ruhe der Provinz schreiben. Er entscheidet sich für Wrightsville, ein uramerikanisches Städtchen irgendwo im Mittelwesten. Hier scheint die Zeit vor Jahrzehnten stehengeblieben zu sein. Fremde werden ungeniert neugierig beäugt, sodass Queen sich das Pseudonym „Smith“ zulegt, um unerkannt zu bleiben.

Als Gast einer prominenten Familie wird Queen in ein schwelendes Drama gezogen. John F. Wright, Präsident der Wrightsville Nationalbank, hat drei Töchter, von denen nur Patricia, die Jüngste, ohne Skandal blieb. Lola, die Älteste, schloss sich vor Jahren einem Wanderzirkus an und kehrte später geschieden = entehrt nach Wrightsville zurück. Nora wurde vor drei Jahren von ihrem Verlobten Jim Haight verlassen und ist seitdem schwermütig.

Jetzt kehrt Haight plötzlich zurück. Nora nimmt ihn wieder auf, die ausgefallene Hochzeit wird nachgeholt. Das junge Glück ist allerdings überschattet: Nora findet drei vordatierte Briefe, in denen ihr Gatte seiner Schwester Rosemary über eine Krankheit berichtet, der Nora am 1. Januar des kommenden Jahres erliegen wird bzw. soll, denn diese Briefe – sie stecken zudem in einem Fachbuch über tödliche Gifte – deuten darauf hin, dass Jim seine Ehefrau ermorden will.

Während Nora die Bedrohung ignoriert, wollen Queen und Patricia das Komplott verhindern. Dann taucht Rosemary Haight unerwartet in Wrightsville auf, wo sie am Neujahrstag einen mit Arsen versetzten Cocktail trinkt, den ihr Bruder offenbar für seine Gattin gemixt hatte. Selbst Ellery Queen findet lange keine Beweise, die Haight entlasten. Es gelingt ihm erst, ein nicht nur kriminelles Drama aufzudecken, als dieses bereits seinen tragischen Abschluss gefunden hat …

_Unsere kleine, nette, abscheuliche Stadt_

|“Es gibt keine Geheimnisse und kein Zartgefühl, wohl aber sehr viel Grausamkeit in den Wrightsvilles dieser Welt.“| Diesen Satz lesen wir auf einer der letzten Seiten dieses 15. „Ellery Queen“-Romans; er könnte ihm auch als Motto vorangestellt werden. Die Vorstellung vom Dorf oder der Kleinstadt als Hort traditioneller = gesunder = in der Großstadt längst verschwundener, Werte geistert seit jeher durch die Kultur- und Geisteswelt. Der nicht nur geografisch isolierte Kleinstadt-Alltag symbolisiert eine Gesamtheit, deren Elemente sich harmonisch ineinanderfügen, weil sie einander kennen und wissen, wie (und dass) sie zusammengehören.

Doch nicht grundlos kam bereits im 19. Jahrhundert eine Gegenbewegung auf, deren meist gebildeten und ‚fortschrittlich‘ denkenden (sowie in der Stadt lebenden) Vertreter auf die Schattenseiten dieser Idylle hinwiesen: Privatsphäre ist ein kostbares Gut, das dort, wo jeder jeden kennt, nicht zu gewährleisten ist. Folgerichtig weist das Bild Wrightsvilles, das auf den ersten Seiten des vorliegenden Romans nachgerade ironisch als unschuldiges Paradies beschrieben wird, bereits auf den zweiten Blick diverse Flecken auf, um sich nach und nach in einen bodenlosen Sumpf zu verwandeln: Wrightsville wird zur „Calamity Town“, zur „Stadt des Unheils“.

Diesen Prozess setzt das Schriftsteller-Duo Frederic Dannay und Manfred Bennington Lee (= Ellery Queen) ebenso meisterhaft wie gnadenlos um. Es widmet ihm ebenso viel Raum wie dem Kriminalfall, der vor allem im Mittelteil an den Rand der Handlung rutscht. Auch von den ‚Unschuldigen‘ kommt niemand ungeschoren davon. Hinter harmloser Klatschsucht lauert eine Aggression, die schließlich in einem kollektiven Anfall von Lynchjustiz gipfelt.

|Die Zeiten ändern sich|

Dannay & Lee scheuten sich in ihrer großen Zeit – die erst in den frühen 1960er Jahren endete – nie, ihre Figur Ellery Queen teilweise gravierenden Änderungen zu unterziehen. Dies war riskant, denn der Fan ist ein scheues Wild, das höchstens vorsichtige Variationen des Bekannten und Geschätzten gestattet. Dannay & Lee passten sich den Zeitläufen an. Ellery Queen startete 1929 als typische „Denkmaschine“, die passenderweise einen Kriminalfall löste, der wie eine komplizierte Maschine konstruiert wurde. Zwischenmenschliche Aspekte blieben Nebensache und der Deduktion jederzeit untergeordnet.

In den 1930er Jahren geriet der klassische „Whodunit?“ in seiner reinen Form allmählich auf ein Nebengleis. Auch der Kriminalroman entdeckte die psychologischen Untiefen der menschlichen Seele als Quelle krimineller Taten. Ellery Queen wurde in „Halfway House“ (1936; dt. „Das Haus auf halber Strecke“/“Der Schrei am Fluss“) erstmals ‚menschlich‘ gezeichnet. Natürlich blieb er ein begnadeter Kriminologe, doch er dominierte die Handlung ’seiner‘ Romane nicht mehr so stark wie zuvor, und er zeigte sich oft macht- und ratlos dort, wo das Handwerk des Ermittlers an seine Grenzen stieß. Auch in „Schatten über Wrightsville“ erkennt Queen zu spät die Hintergründe einer Tat, deren Dimensionen weit über das hinausreichen, was ein Detektiv zu meistern vermochte.

Freilich erweist sich die neue psychologische Tiefenschärfe aus heutiger Sicht als deutlicher Schwachpunkt: Sie wirkt veraltet. Dannay & Lee übertreiben es mit den Gefühlen. Vor allem das weibliche Wesen ist durch Schwäche, Weinkrämpfe und Hysterie gekennzeichnet. Durch die Betonung zeitgenössisch akuter, doch inzwischen von der Zeit überholter gesellschaftlicher Konventionen – was auch die männlichen Figuren einschließt – gerät „Schatten über Wrightsville“ noch altmodischer, während die klassischen „Whodunits?“ gerade wegen ihrer künstlichen Altertümlichkeit zeitlos blieben bzw. durch das Alter noch an Reiz hinzugewannen.

|Back to basics|

Verlassen kann man sich glücklicherweise auf Dannay & Lee als Plot-Schneider. Während sie Ellery Queen behutsam neu gestalteten, unterzogen sie auch das Krimi-Element ihrer Romane einer Modernisierung. Die Fälle wurden nach 1939 zunehmend straffer, die überbordende Exotik mancher Auflösung wurde auf ein realistisches Maß zurückgefahren. Die Plots waren eleganter, weil das Autorenduo sich nicht mehr in fantastische Tricks flüchten konnte und wollte.

Spannung erzeugten sie quasi filmisch, d. h. durch Tempo und rasche Szenenwechsel. Ein gutes Beispiel ist die als „court drama“ dargestellte Gerichtsverhandlung gegen Jim Haight. Dannay & Lee ziehen alle Register des Spannungsaufbaus. Sie lassen Humor und Sarkasmus einfließen, um im nächsten Moment tragisch zu werden. In diesen Passagen haben die Autoren ihre Leser fest im Griff, hier kann sich auch der ’neue‘ Ellery Queen erfolgreich entfalten. Auch historischer Realismus hat in diesem Umfeld Platz; mehrfach findet Erwähnung, dass die USA zum Zeitpunkt des Geschehens just in den II. Weltkrieg eingetreten sind und eine „Heimatfront“ im Aufbau ist.

Wrightsville diente Dannay & Lee als Mikrokosmos, in dessen Höllenfeuer sie ihre Plots schmieden konnten, bis sie die gewünschte Härte erreicht hatten. In „Schatten über Wrightsville“ kam Ellery Queen zum ersten Mal nach Wrightsville. Noch dreimal reiste er in Sachen Mord dorthin; 1945 in „The Murderer Is a Fox“ (dt. „Der Mörder ist ein Fuchs“), 1948 in „Ten Days Wonder“ (dt. „Der zehnte Tag“) und 1950 in „Double, Double!“ (dt. „… und raus bist du!“). Anschließend versuchten Dannay & Lee wieder etwas anderes mit ihrem wandelbaren Detektiv.

|“Schatten über Wrightsville“ – der Film|

Kurioserweise erregte der 15. „Ellery Queen“-Thriller trotz des hübschen, viel versprechenden Originaltitels und seiner dramatischen Story nie das Interesse Hollywoods. Als „Calamity Town“ 1979 doch verfilmt wurde, geschah dies in Japan. „Haitatsu sarenai santsu no tegami“ – „The Three Undelivered Letters“ – hieß das 130-minütige, vom Drehbuchautoren Kaneto Shindô adaptierte Werk, zu dessen Premiere (laut [Autorenhomepage]http://www.elleryqueen.us Frederic Dannay, die überlebende Hälfte des Autorenduos Ellery Queen, nach Tokio reiste.

|Anmerkung zur deutschen Übersetzung|

„Schatten über Wrightsville“ gehört zu den Krimis, denen in der Übersetzung Böses geschah: Während die erste deutschsprachige Ausgabe bereits 1949 und ungekürzt erschien, geriet der Titel für die Neuauflage in den unter Krimi-Freunden berüchtigten Ullstein-Häcksler, dem er nur um 100 Seiten gefleddert entkam. Diese Fassung sollte der Leser deshalb mit Missachtung strafen.

Die Erstausgabe aus dem Scherz Verlag ist allerdings antiquarisch nur schwer und dann teuer zu bekommen. Es gibt jedoch eine kostengünstige Alternative: Die Übersetzung von 1949 erschien 1966 als Teil eines Sammelbandes im Eduard Kaiser Verlag. Dieses Buch wird recht häufig angeboten. Wer „Schatten über Wrightsville“ eher lesen als sammeln möchte, ist mit diesem Dreifachband gut bedient, der zudem zwei weitere lesenswerte (und ungekürzte) Krimi-Klassiker enthält: „Die warnenden Affen“ (von Mignon G. Eberhart) und „Mord in der Klinik“ (von Ngaio Marsh). An die doch sehr angestaubte, von halb oder gänzlich vergessenen Ausdrücken wimmelnde Alt-Übersetzung – wer sagt heute noch „stieläugig“ statt „betrunken“ oder wagt es, ein Mitglied des weiblichen Geschlechts als „Frauenzimmer“ zu bezeichnen? – kann man sich gewöhnen; sie ist ein geringer Preis für ein vollständiges Lektüre-Vergnügen!

_Autoren:_

Mehr als vier Jahrzehnte umspannt die Karriere der Vettern Frederic Dannay (alias Daniel Nathan, 1905-1982) und Manfred Bennington Lee (alias Manford Lepofsky, 1905-1971), die 1928 im Rahmen eines Wettbewerbs mit „The Roman Hat Mystery“ als Kriminalroman-Autoren debütierten. Dieses war auch das erste Abenteuer des Gentleman-Ermittlers Ellery Queen, dem noch 25 weitere folgen sollten.

Dabei half die Fähigkeit, die Leserschaft mit den damals beliebten, möglichst vertrackten Kriminalplots angenehm zu verwirren. Ein Schlüssel zum Erfolg war aber auch das Pseudonym. Ursprünglich hatten es Dannay und Lee erfunden, weil dies eine Bedingung des besagten Wettbewerbs war. Ohne Absicht hatten sie damit den Stein der Weisen gefunden: Das Publikum verinnerlichte sogleich die scheinbare Identität des ‚realen‘ Schriftstellers Ellery Queen mit dem Amateur-Detektiv Ellery Queen, der sich wiederum seinen Lebensunterhalt als Autor von Kriminalromanen verdient!

In den späteren Jahren verbarg das Markenzeichen Queen zudem, dass hinter den Kulissen zunehmend andere Verfasser tätig wurden. Lee wurde Anfang der 1960er Jahre schwer krank und litt an einer Schreibblockade, Dannay gingen allmählich die Ideen aus, während die Leser nach neuen Abenteuern verlangten. Daher wurden viele der neuen Romane unter der mehr oder weniger straffen Aufsicht der Cousins von Ghostwritern geschrieben.

Wer sich über Ellery Queen – den (fiktiven) Detektiv wie das (reale) Autoren-Duo – informieren möchte, stößt im Internet auf eine wahre Flut einschlägiger Websites, die ihrerseits eindrucksvoll vom Status dieses Krimihelden künden. Vielleicht die schönste Homepage findet man [hinter diesem Link]http://neptune.spaceports.com/~queen . Eine Fundgrube für alle möglichen und unmöglichen Queenarien.

|Originaltitel: Calamity Town (Boston : Little, Brown, and Company 1942/London : Victor Gollancz 1942)
Deutsche Erstausgabe: 1949 (Scherz Verlag/Die schwarzen Kriminalromane 24)
Übersetzung: N. N., 239 Seiten, [keine ISBN]

Bisher letzte Ausgabe: 1977 (Ullstein Verlag/Ullstein-Krimi Nr. 1809)
Übersetzung: N. N., 143 Seiten, ISBN-13: 978-3-548-01809-6|
[www.ullsteinverlag.de]http://www.ullsteinverlag.de

_“Ellery Queen“ bei |Buchwurm.info|:_
[„Chinesische Mandarinen“ 222
[„Der nackte Tod“ 362
[„Drachenzähne“ 833
[„Das Geheimnis der weißen Schuhe“ 1921
[„Die siamesischen Zwillinge“ 3352
[„Der verschwundene Revolver“ 4712
[„Der Giftbecher“ 4888
[„Das Haus auf halber Straße“ 5899
[„Und raus bist du!“ 6335

Philip Sington – Das Einstein-Mädchen

Die Handlung:

Berlin 1932. Eine junge Frau wird im Wald bei Caputh bewusstlos, verletzt und halb nackt aufgefunden und in die psychiatrische Abteilung der Charité eingeliefert. Als sie aus dem Koma erwacht, kann sie sich an nichts erinnern, nicht einmal an ihren Namen. Bei ihr findet man nur einen Programmzettel von einem Vortrag Albert Einsteins.

Martin Kirsch, der zuständige Psychiater, ist fasziniert von diesem ungewöhnlichen Fall und entwickelt Gefühle für seine Patientin. Wer ist diese Frau? Gibt es eine Verbindung zu Einstein? Seine Nachforschungen führen ihn nach Zürich und bis nach Serbien. Währenddessen ergreifen in Deutschland die Nazis die Macht … (abgewandelte Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Anfängliche Verwirrung

Philip Sington – Das Einstein-Mädchen weiterlesen

Lossau, Jens / Schumacher, Jens – Elbenschlächter, Der

_Inhalt_

In den übel riechenden Schatten von Foggats Pfuhl, dem zwielichtigsten Viertel der Metropole Nophelet, sind fünf Morde geschehen. Die Anzahl ist zwar nicht alarmierender als sonst, die Art und Weise jedoch schon: Fünf junge männliche elbische Prostituierte wurden unter Verwendung von Magie getötet, und in ihren Körpern findet sich kein Tropfen Blut mehr. Selbst das Königshaus ist besorgt: Wenn sich das mit dem Blut herumspricht, könnte ein aufgebrachter Mob das Vampyrgetto angreifen, und dann könnte es wieder zu einem Massaker kommen wie im Jahre 1983 des dritten Zyklus. Das muss unter allen Umständen verhindert werden, und so wird das beste Ermittlerteam des gesamten Instituts für angewandte investigative Thaumaturgie (IAIT) auf den Fall angesetzt.

Besagtes Team besteht aus dem promovierten Thaumaturgen und ausgebildeten Lichtadepten Meister Hippolit und aus Jorge, dem Troll. Meister Hippolit hat ein beeindruckendes Alter von 107 Jahren erreicht, und zwei Jahre zuvor hatten besorgte Vorgesetzte ihn dazu gedrängt, sich der Korporalen Substraktion zu unterziehen: Man würde seinen Körper verjüngen, damit sein herrlicher Geist und seine beachtlichen Fähigkeiten dem Institut weiter erhalten bleiben könnten und nicht durch schmählichen Altersschwächetod hinweggerafft würden. Leider ging bei diesem Ritual etwas schief, und der Respekt gewohnte Meister Hippolit lebt seitdem im Körper eines 14jährigen Albinos. Da kein Mensch ihn mehr ernst nimmt, der nicht weiß, wer er ist, hat man ihm Jorge zur Seite gestellt, der mit besonderer Schlagfertigkeit die Wünsche des Meisters unterstützt. Und abgesehen von seinem Hang zu Alkoholismus und fleischlichen Ausschweifungen ist der Troll wirklich gut zu gebrauchen.

Hippolit und Jorge sind ein eingespieltes Team, hartgesotten und nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Der jetzige Fall hat es aber tatsächlich in sich: Er führt sie in Paläste und in die niedersten Niederungen der schlimmsten Gossen; es geht um Rauschgift, Zauberei und eine so sorglose Dekadenz im Umgang mit Menschen- respektive Elbenleben, dass selbst den beiden abgebrühten Helden ganz anders wird …

_Kritik_

Die beiden Autoren haben sich mit jeder Menge Kreativität und Humor eine eigene Welt erdacht, die mal mehr, mal weniger an andere Welten erinnert. Das Königreich, dessen Hauptstadt Nophelet ist, heißt Sdoom. Man hat schon schwierigere Anagramme von Sodom gesehen, die zarte Andeutung geht also kaum am Leser vorbei. Die Beschaffenheit und olfaktorischen Eigenschaften des Chinotaksim, der Lebensader und Fluch zugleich für Nophelet ist, ähneln verblüffend den Eigenschaften des Ankh, der ja bekanntermaßen eine andere fantastische Hauptstadt teilt.

Das Vampyrgetto inklusive Massakern und unrichtigen Unterstellungen hingegen gemahnt an weniger lustige, aber durchaus bekannte Parallelen in der Realwelt. Ganz zu Anfang kann es sein, dass der eine oder andere Leser sich vielleicht kurz fragt, ob er nun tatsächlich zum richtigen Buch gegriffen hat, aber die Antwort lautet: Ja, das hast du. Abgesehen von dem liebevollen Detailreichtum, der die Autoren dazu bewog, selbst Flora und Fauna auszuarbeiten und zu benennen, werden auch altbekannte fiktive Rassen neu verortet und neue nahtlos eingefügt. Über dieses sorgfältig geschnitzte Grundkonstrukt hinaus sind speziell die Absurditäten rund um das ungleiche Ermittlerteam hervorragend gelungen und regen häufig zum Lachen an. Vor allem Jorges immer wiederkehrende Behauptung, dass es zur jeweiligen Situation ein Trollsprichwort gibt, erwartet man bereits nach wenigen Kapiteln mit gespanntem Vergnügen.

_Fazit_

Nach einem Anfang, während dem man sich an die durchaus eigene Herangehensweise der beiden Autoren an das Thema Fantasy-Thriller gewöhnt, entwickelt sich „Der Elbenschlächter“ zu einem königlichen Vergnügen: Auch wenn es ab und an ein wenig derb zugeht, ist doch immer der Ausgleich gegeben durch den Akademiker und Analytiker Hippolit. Der kriminalistische Teil des Romans ist spannend, und die Abschnitte, in denen der Protagonist mit seinem Kinderkörper zu kämpfen hat, sind zum Brüllen komisch gestaltet. Ich persönlich werde mir definitiv den im Oktober 2010 erscheinenden zweiten Teil der Reihe zu Gemüte führen, allein schon, um herauszufinden, ob Hippolit jetzt ein zweites Mal durch die Pubertät muss, die arme Sau.

Es gibt da ein altes Trollsprichwort, und das geht so: „Lest das Buch, ihr lacht euch kringelig.“

|Broschiert: 320 Seiten
ISBN-13: 9783802582578|
[www.egmont-lyx.de]http://www.egmont-lyx.de
[ www.jenslossau.de]http://www.jenslossau.de
[www.jensschumacher.eu]http://www.jensschumacher.eu

_Schumacher und Lossau bei |Buchwurm.info|:_
[„Das Mahnkopff-Prinzip“ 1957

Clifford D. Simak – Als es noch Menschen gab

simak-menschen-cover-2010-kleinIn neun Geschichten erzählt der Verfasser vom Ende der Menschheit, das hier ohne Krieg und Gewalt stattfindet, sondern einerseits evolutionär begründet ist und andererseits gesteuert wird, wobei alte Untugenden immer wieder durchschlagen und schließlich einen radikalen Neubeginn erforderlich machen … – Geprägt von der Furcht vor einem III. und atomaren Weltkrieg, stellt der Verfasser grundsätzliche Fragen über das menschliche Wesen; er kommt zu eher pessimistischen Schlüssen, ohne darüber zu verzweifeln: Was verdächtig nach philosophischem Bierernst klingt, liest sich leicht melancholisch aber sehr unterhaltsam.
Clifford D. Simak – Als es noch Menschen gab weiterlesen

Sabatini, Irene – Geteiltes Herz

_Inhalt_

Als aus Rhodesien Simbabwe wird, ist die Schwarze Lindiwe noch ein Kind. Ein Kind, das von den Geschehnissen in seiner unmittelbaren Umgebung mehr betroffen ist als von umwälzender Politik. Und es geschieht ja auch etwas extrem Gruseliges: ihre Nachbarin, die weiße, rassistische Mrs. MacKenzie, verbrennt bei lebendigem Leibe. Ihr Stiefsohn Ian, ein Jugendlicher, der eben erst aus Südafrika zum Begräbnis seines Vaters gekommen ist, wird verhaftet, vor Gericht gestellt und verurteilt.

Lindiwe ist verängstigt und fasziniert gleichermaßen: Was bringt einen Menschen dazu, so etwas zu tun? Zwei Jahre später kommt Ian aus dem Gefängnis frei und kehrt zurück in das Nachbarhaus Lindiwes. Deren Mutter verbietet ihr den Umgang mit dem Jungen, doch heimlich freunden die beiden sich an, obwohl sie mehr als nur die Hautfarbe trennt: Ian hat die Schule abgebrochen, während Lindiwe immer Klassenbeste war.

Die beiden überwinden zwar ihre Differenzen, aber der Bürgerkrieg hat das Land fest im Griff. Nach einigen traumatischen Erfahrungen beschließt Ian, wieder nach Südafrika zu gehen. Lindiwe möchte ihn begleiten, doch nach nur einer gemeinsamen Nacht lässt Ian sie in einem Hotel an der Grenze zurück.

Die beiden halten über Briefe Kontakt, und als sie sich eigentlich schon in ihren neuen Leben eingerichtet haben, laufen sie sich wieder über den Weg. Was einst so zart begann, hat trotz der Jahre und der Entfernung an Stärke gewonnen. Die neue Nähe und die neuen Umstände schweißen sie zusammen und zwingt sie, sich in einem völlig neuen, gemeinsamen, von Unterschieden geprägten Leben zurechtzufinden – und das in einem Land, das einem Pulverfass gleicht. Während die Lunte schon brennt, kämpfen Lindiwe und Ian verbissen um ihr Glück …

_Kritik_

Irene Sabatini hat eine ganz besondere Liebesgeschichte erschaffen: Zarte Gefühle überwinden Seidenfäden gleich Diskrepanzen, die dafür zu groß erscheinen, und haben nicht lange Zeit, sich zu entwickeln. Viel zu schnell muss die Romanze plötzlich den Härten eines von Komplikationen geplagten Lebens standhalten.

An sich wäre das schon Stoff genug für eine wirklich interessante Geschichte, aber der Hintergrund des vom Bürgerkrieg gebeutelten Simbabwe macht die Liebesgeschichte des ungleichen Paares zu einer einmaligen Lektüre. Die stilistischen Unterschiede in der Redeweise des cleveren, aber ungebildeten Ian und der Akademikerin Lindiwe bilden einen reizvollen Kontrast. Im Anhang befindet sich eine Liste der im Roman verwendeten typischen Ausdrücke, die die authentische Wirkung des Buches noch unterstreichen.
Da Lindiwes und Ians Lebensgeschichte mit dem Aufstieg Mugabes zur Macht verknüpft ist, lernt der Leser ganz nebenbei etwas über die ersten Tage des jetzigen Diktators: Kaum vorstellbar, dass dieser Mann einst als Hoffnungsträger angesehen worden ist.

Politik, Liebe, Verletzungen, Verzeihungen, Tod, Geburt, Glück und Verzweiflung verwebt Irene Sabatini stilistisch wunderschön zu einem atmosphärisch dichten Roman, der eine Art nostalgische Liebeserklärung an eine gestorbene Hoffnung zu sein scheint.

_Fazit_

„Geteiltes Herz“ ist ein Roman, der unter die Haut geht und berührt. Es ist unmöglich, sich dem Zauber zu entziehen, den Sabatini webt: Zwar ist es nicht das geheimnisvolle, urtümliche Afrika, das so gern benutzt wird, um ein romantisches Bild des Kontinents zu zeichnen, aber es ist ebenso unbegreiflich in seiner Gewalt, seinem Hass und seiner Zerstörungswut. Die unerbittliche Lebenslust Lindiwes und Ians hingegen, ihre starken Gefühle füreinander und ihre Hoffnung auf ein besseres Morgen ziehen sich wie eine positive Macht durch all die Verwüstungen, die das instabile Staatenkonstrukt Simbabwes darstellt.

Ein dringender Tipp: Lesen Sie dieses Buch. Es wird Ihnen Einblicke gewähren, die Sie noch nicht hatten.

|Taschenbuch: 480 Seiten
Originaltitel: The Boy Next Door
Aus dem Englischen von Judith Schwaab
ISBN-13: 978-3442740956|
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Kent, Christobel – Tränen der Signora, Die

_Inhalt_

Gesetze und Gerechtigkeit sind nicht immer dasselbe, „Gut gemeint und doch falsch“ ist nicht nur ein geflügeltes Wort. Das muss der Florentiner Polizist Sandro Cellini feststellen, als er sich aus den besten Gründen falsch verhält und vom Polizeidienst ausgeschlossen wird. Zumindest ist es keine unehrenhafte Entlassung; man gewährt ihm den Frühruhestand. Und doch ist es ein schreckliches Gefühl für den Sechzigjährigen, ein Zivilist zu sein. Er war doch so durch und durch Ermittler …

Und nun ringt er mit sich, hadert mit der Welt. Seine Frau Luisa mag das nicht mehr mit ansehen, mietet ihm ein paar Büroräume und drängt ihn, eine Privatdetektei zu eröffnen.

Wenig geschieht in den ersten Tagen, um Sandro von seinen Gedanken abzulenken. Doch dann kommt eine kleine alte Dame zu ihm, die mehr über die Umstände des Todes ihres Gatten herauszufinden wünscht. Claudio Gentileschi soll Selbstmord begangen haben, und seine Frau weigert sich zu glauben, dass er ohne sie gegangen sein soll.

Teils aus Rührung, teils aus Langeweile übernimmt Sandro diesen Fall, der ihm herzlich sinnlos erscheint. Alle Hinweise führen in dieselbe Richtung: Selbstmord. Und doch, plötzlich tauchen Geheimnisse im Leben des alten Herrn auf, Dinge, die er sorgsam versteckt hatte.

Und gerade, als Sandro sich doch in den Fall zu verbeißen beginnt, überstürzen sich die Ereignisse: Plötzlich geht es nicht mehr nur um einen toten alten Mann, sondern auch um eine verschwundene junge Frau, eine amerikanische Studentin. Irgendwo gibt es eine Verbindung zwischen den Fällen, und in den schlimmsten Regengüssen seit der Flut von 1966 beginnt für Sandro, seine Frau und ihre Freundin Giulietta ein Wettlauf mit der Zeit. Nicht nur mit den schwerfälligen Carabinieri müssen sie sich herumschlagen, ihr Weg führt auch noch in die schwer durchschaubare Kunstszene Florenz‘, in der nie ganz klar ist, wo Exzentrik aufhört und Ungesetzlichkeit beginnt …

_Kritik_

Sandro Cellini ist ein mit vielen Dingen vorbelasteter Protagonist. Ein langes Leben liegt hinter ihm, und er hat schon gefährlich nahe am Abgrund gestanden. Er ist kein Mann, der ohne Reflektion durchs Leben gehen kann, und damit ist er ein etwas sperriger Protagonist. Beileibe kein unsympathischer, bewahre, aber wir erfahren durch Introspektion eine Menge über seine Gedanken. Und die sind häufig genug bedrückend. Manchmal möchte man in die Haut seiner Frau schlüpfen, ihn an den Schultern packen und kräftig schütteln, damit er sich ein bisschen zusammen reißt.

Luisa hingegen ist eine kraftvolle Person, und so wie sämtliche Figuren ist sie liebevoll gezeichnet und sorgsam schattiert. Christobel Kent weiß Charaktere zu erschaffen und ihnen Leben einzuhauchen: Ob sie ernst sind oder schüchtern, verzagt oder sorglos, fröhlich oder leichtsinnig, eigensinnig oder skrupellos, sie wirken allesamt lebensnah und glaubwürdig. Dass mir persönlich der Protagonist etwas zu weichlich ist, ist rein subjektiv.

Das nasse Florenz im November bietet einen kalten, trostlosen Hintergrund für die Suche nach der jungen Studentin bzw. nach Antworten zum Tod Claudio Gentileschis. Die Sprache passt sich dem Rahmen an; die Erzählweise des Romans ist eher sachte, ohne langweilig zu sein. „Die Tränen der Signora“ ist nicht actiongeladen, aber eine eindringliche Geschichte über facettenreiche Menschen, individuelle Freuden, Leiden, Ängste und Hoffnungen.

_Fazit_

Sandro Cellinis erster Fall ist ein solider Kriminalroman, der ohne wilde Schießereien auskommt, dafür aber auf die Tiefe der Akteure Wert legt. Die verhaltene Erzählweise tut der Spannung übrigens keinen Abbruch; gegenteilig leidet man mit den Handelnden, wenn sie wieder ins Unwetter hinaus müssen, immer in der Hoffnung, dass dieser Ausflug ihnen endlich Antworten liefern möge.

Etwas eigentümlich erschien es mir, dass jemand im Jahre 1997 1500 Euro auf ein Konto eingezahlt haben soll (vgl. S. 200) – das ist die Art von Fehler, die eigentlich nach sorgfältigem Lektorat ausgemerzt sein sollte.

Alles in allem ist dieses Buch für jene empfehlenswert, die es etwas stiller und nachdenklicher mögen. Das größte Plus: Die Personen treten absolut plastisch hervor.

|Taschenbuch: 416 Seiten
Originaltitel: A Time of Mourning (Sandro Cellini 1) (2009)
Aus dem Englischen von Christine Heinzius
ISBN-13: 9783442374465|
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Baden Kenney – Nadelstiche

Mit dem Krimi „Nadelstiche“ melden sich zwei Erfolgspaare des Genres zurück: Zum Einen die Autoren Dr. Michael Baden und Linda Kenney, zum anderen die Romanhelden Dr. Jake Rosen und Philomena „Manny“ Manfreda. Ähnlich wie bei den Protagonisten der Geschichte handelt es sich auch bei den Autoren um einen Forensiker und eine Bürgerrechtsanwältin. Das Duo Baden Kenney weiß also, worüber es schreibt, lässt dies aber zum Glück nicht heraushängen.

_In Manhattan geht_ die Angst um. Ein Unbekannter, von den Zeitungen „Vampir“ genannt, sucht verschiedene Personen in ihren Wohnungen auf, betäubt sie mit Äther und nimmt ihnen anschließend Blut ab. Die Taten ergeben keinen Sinn, doch als eine Frau beinahe an einer Überdosis Äther stirbt, kommt Dr. Jake Rosen ins Spiel. Der Forensiker mit dem Hang zu eigenen Ermittlungen findet bald heraus, dass der Täter das Blut weder zum Spaß noch als Fetisch abzapft. Er scheint es zu analysieren.

Doch plötzlich ändert er sein Vorgehen. War vorher noch niemand zu Tode gekommen, findet die Polizei innerhalb kurzer Zeit zwei Leichen mit den charakteristischen Einstichstellen in der Armbeuge. Doch Jake ist nicht der Einzige, der alle Hände voll zu tun hat. Seine Freundin Manny, die fashionverrückte Bürgerrechtsanwältin mit dem transsexuellen Anwaltsgehilfen Kenneth und dem Zwergpudel Mycroft, muss einen Jungen verteidigen, der der Mitgliedschaft einer terroristischen Organisation verdächtigt wird. Eigentlich hat Travis nur die falschen Leute kennen gelernt, die sich einen Streich erlaubt und eine selbst gebastelte Bombe in einen Briefkasten geschmissen haben. Dummerweise lief im Moment der Explosion ein Bundesrichter vorbei und wurde schwer verletzt. Der Dumme-Jungen-Streich ist nun ein Angriff auf den Staat und Travis der einzige der Verdächtigen, den die Polizei fassen konnte. Trotz mauer Beweislage wird er gefangen gehalten. Manny setzt alles daran, um ihn frei zu kriegen, doch je mehr sie ermittelt, umso mehr hat sie das Gefühl, dass er vielleicht nicht schuldlos im Gefängnis sitzt …

_“Nadelstiche“, der zweite_ Krimi mit den Protagonisten Jake und Manny glänzt durch viel, aber nicht durch seine Handlung. Diese beginnt viel versprechend. Die Taten des Vampirs geben nicht nur Jake Rätsel auf, sondern auch dem Leser. Er giert darauf, zu erfahren, was es hiermit zu tun hat, vermutet etwas wirklich Gewieftes hinter den Überfällen. Auch Mannys Fall fängt spannend an. Es gibt Verwicklungen und Ungereimtheiten bezüglich Travis‘ Festnahme, dann die Hinweise darauf, dass er vielleicht doch kein unbeschriebenes Blatt ist. Hätten die Autoren die Fälle so weitergeführt, wäre sicherlich eine großartige Geschichte dabei herausgekommen. Tatsächlich machen sie aber den Fehler, die beiden Erzählstränge zusammenzuführen. Das gelingt ihnen zwar einigermaßen, aber wirklich glaubwürdig ist das Buch von da an nicht mehr. Die Handlung wirkt sehr bemüht und verliert dadurch an Spannung und Authentizität.

Angenehm ist allerdings, dass die Arbeit von beiden Protagonisten nicht übertrieben in den Vordergrund gestellt wird. Baden Kenney verzichten auf seitenlange Beschreibungen von Knochensägereien oder juristischen Winkelzügen. Stattdessen räumen sie dem Privatleben der beiden Hauptfiguren viel Raum ein. Dadurch kommt ihre Persönlichkeit wesentlich besser zum Tragen als das in Büchern ähnlicher Machart der Fall ist. Beide Charaktere (und auch die Nebenfiguren) machen zudem sehr viel Spaß. Manny wirkt stellenweise wie aus einem Frauenroman entsprungen, wenn sie mal wieder über Bekleidungsprobleme oder ihren Hund klagt. Sie tut dies aber zumeist so überspitzt, dass man auch als Nicht-Fan dieses Genre nicht verstimmt ist. Jake hingegen schlägt in eine ganz andere Kerbe. Er entspricht dem Klischee des irren Wissenschaftlers. Seine Arbeit bedeutet ihm viel und spielt auch in den Alltag mit hinein. Er macht sich wenig aus seinem Äußeren, weshalb er der perfekte Gegenpol zu Manny ist.

Der Schreibstil ist locker und häufig sehr humorvoll, besonders bei den Dialogen. Vor allem dadurch erinnert das Buch manchmal an die Bücher von Lisa Scott. Dieser lässige Stil mag Lesern, die auf richtige Krimis stehen, vielleicht nicht gefallen. Wer jedoch gerne unterhalten wird und kein Problem mit ein bisschen weniger Ernsthaftigkeit hat, dem wird „Nadelstiche“ gefallen.

_Auch wenn die_ Handlung mit der Zeit etwas verwaschen wird, ist Baden Kenney ein amtlicher Nachfolger für [„Skalpell N° 5“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5195 gelungen. Witzig, unterhaltsam und leicht zu lesen – für Fans von Lisa Scott genau das Richtige!

|Broschiert: 364 Seiten
Originaltitel: Skeleton Justice
Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
ISBN-13: 978-3896672865|
http://www.blessing-verlag.de

Cyril Hare – Der Tote von Exmoor

Hare Exmoor Cover kleinDas geschieht:

Ungute Kindheitserinnerungen beschleichen den ältlichen Ex-Anwalt Francis Pettigrew, als ihm seine deutlich jüngere Gattin Eleanor als Urlaubsort ausgerechnet den Flecken Sallowcombe am Rand des großen Exmoors nahe der englischen Westküste vorschlägt. Vor einem halben Jahrhundert hatte er dort als Kind am Hang von Bolter’s Tussock eine Leiche gefunden, aber im Schreck nie davon erzählt.

Nun kehrt er zurück. Wider Erwarten gefällt es ihm, obwohl der Joliffe-Hof, auf dem das Ehepaar unterkommt, kein glücklicher Ort ist. Der alte Joliffe ist ein Tyrann, seine Tochter Edna wurde von ihrem nichtsnutzigen Gatten John Gorman mit zwei Töchtern sitzen gelassen. Die Gormans selbst sind ein hart am Rande der Legalität versippter Groß-Clan, dessen liebste Beschäftigung das gegenseitige Verklagen ist. Die Feindschaft ist schlimmer denn je, denn der alte Gilbert Gorman, der als reicher Mann gilt, liegt im Sterben. Seine Verwandtschaft lauert auf die Erbschaft.

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Upfield, Arthur W. – Ein glücklicher Zufall

_Das geschieht:_

Windee Station, eine Farm im Südwesten des australischen Bundesstaates Neusüdwales; mehr als eine halbe Million Hektar von der Sonne verbranntes, ausgedörrtes Land, das nichtsdestotrotz 70.000 Schafe ernährt und den Besitzer Jeffrey Stanton zu einem reichen Mann gemacht haben. Jeff, wie ihn sogar seine Arbeiter zu nennen pflegen, ist ein harter, aber gerechter Selfmade-Mann, ein Witwer, mit einer tüchtigen Tochter gesegnet und mit einem trinkfesten Sohn geschlagen.

Vor etwa zwei Monaten hat sich auf Windee Station Seltsames zugetragen. Ein Mann, der sich Luke Marks nannte, hatte Stanton, angeblich ein alter Freund, besucht. Einige Tage später fand man seinen Wagen in einem öden Landstrich – leer, vom Fahrer keine Spur. Eine ausgedehnte Suche blieb erfolglos, Marks verschwunden.

Dem aufmerksamen Inspektor Napoleon Bonaparte von der Polizei in Queensland ist dieser Fall zu Ohren gekommen. Der Sohn eines weißen Vaters und einer Aborigines-Mutter ist ein ausgezeichneter Kriminalist und Spurenleser, der auch dort seinen Fall zu lösen pflegt, wo seine Kollegen – in diesem Fall der eifrige aber überlastete Sergeant Morris – aufgeben müssen. „Bony“, wie der eigenwillige Bonaparte genannt wird, reist nach Windee Station. Er entdeckt, dass Marks ein korrupter Beamte der Gewerbepolizei von Neusüdwales mit Namen Green war, der sich davongemacht hatte, weil der Boden zu heiß für ihn wurde.

Dass Green nicht mehr lebt, ist Bony rasch klar. Dort, wo sein Wagen gefunden wurde, haben Eingeborene ein Zeichen hinterlassen: „Hütet Euch vor bösen Geistern; hier wurde ein weißer Mann getötet.“ Bony lässt sich vom ahnungslosen Stanton als Farmarbeiter anstellen. So lernt er Windee Station und seine Bewohner kennen. Die Spur wird heiß, als ihm am Tatort eine Ameise einen Diamanten vor die Füße wirft. Dann bekommt Bony es plötzlich mit drei Mördern, einer verzweifelten Braut und einer heißblütigen Erpresserin zu tun und ist fast dankbar, mit einem Buschfeuer auf den Fersen in die Wüste fliehen zu können …

_Die von allen Ablenkungen befreite Kulisse_

Eine sehr einfache Kriminalgeschichte, eingebettet in ein fremdes Land mit einer exotischen Kultur, das Ganze kenntnisreich und gekonnt erzählt: Dies ist das Geheimnis des Erfolgs, der die „Bony“-Romane des Arthur W. Upfield unsterblich werden ließ. „Ein glücklicher Zufall“ bildet keine Ausnahme. Lakonisch und unsentimental, dabei genau beobachtend, schreibt jemand über eine Welt, die er versteht. Genretypische Effekte wie Verfolgungsjagden und Schießereien fehlen gänzlich, die Bluttat ist längst geschehen, als die Handlung einsetzt. Den Hintergrund des Finales bildet stattdessen ein gewaltiges Buschfeuer, das einen wahrlich eindrucksvollen Rahmen für die sehr versöhnliche Auflösung dieses Falles liefert.

Dass Windee Station und die winzige Ortschaft Mount Lion auch im Wilden Westen der Vereinigten Staaten stehen könnten, ist natürlich auch dem Verfasser aufgefallen. Er treibt seine Späße damit, dass hier Schafe statt Rinder getrieben und nicht Bisons, sondern Kängurus gejagt werden. Die stantonschen Arbeiter geben sich wie Cowboys, nur dass sie auf ihrer nachmittäglichen Teestunde bestehen. Sogar Indianer gibt es in dieser Geschichte: Sie werden von den Aborigines vertreten, die mit den weißen Herren ihres Heimatlandes immerhin in friedlicher Koexistenz leben.

Die ruhige, aber niemals betuliche Handlung lässt Raum für schnurrige Episoden mit handfesten Gottesleuten oder unkonventionellen Gastwirten, erzählt vom geheimen oder geheimnisvollen Leben der Aborigines und lässt bei so viel Staub und Hitze die Kehle schon beim Lesen trocken werden.

|Polizist zwischen zwei Welten|

|“Von seiner Mutter hatte er das Nomadenblut, die scharfen Augen und die Jagdleidenschaft geerbt, seinem Vater verdankte er die Beherrschtheit seines Wesens und die Fähigkeit, logisch zu denken.“|

So wird uns Napoleon Bonaparte, kurz „Bony“ genannt, vom Verfasser vorgestellt. Ein wenig verunglückt ist ihm dies aus heutiger Sicht, da inzwischen nur mehr Rassisten und Dummköpfe in Frage stellen, dass auch ‚reinblütige‘ Aborigines über die Gabe des logischen Denkens verfügen. Dabei war Upfield sicherlich kein verkappter Kolonialherr, der die „Nigger“ Australiens – als solche bezeichnet sie der honorige Stanton, ohne sich groß etwas dabei zu denken – als Menschen zweiter Klasse betrachtete, sondern kann nach den Maßstäben seines Zeitalters durchaus als aufgeklärt gelten.

Bony ist ein selbstbewusster Mann, der sich nicht in die „Ja, Massa!“-Ecke abdrängen lässt. Er hat sich trotz seiner unkonventionellen Vorgehensweisen als Kriminalist einen Namen bei Weiß und Schwarz gemacht, beauftragt sich notfalls selbst mit einer Ermittlung und ist mit sich und seiner Herkunft im Reinen; Sergeant Morris springt jedenfalls rasch vom Pferd als er merkt, wer da vor ihm steht, und auch Bony lässt keine Zweifel aufkommen, wer hier das Sagen hat. So war es ein kluger Schachzug Upfields, Bony in beiden australischen Welten zu verankern. Es erweitert den Spielraum möglicher Handlungen beträchtlich und fügt dem Krimi eine buchstäblich menschliche Komponente bei.

|Die Zeiten ändern sich – hoffentlich|

Wenn die Schilderung der Aborigines trotzdem hier und da unangenehm aufstößt, so liegt das primär an der Übersetzung. Sie liest sich nicht nur unter politisch korrekten Aspekten anachronistisch, sondern klingt auch dem nicht moralisch zwangserregten Zeitgenossen heute beleidigend im Ohr. Pidgin-Englisch lässt Aborigines nicht so radebrechen: |“Nein, nein Boß. Schwarzer all right. Guter Kerl. Du Mehl geben, ja?“| Aber so klang es halt, wenn im deutschen Unterhaltungsroman der 1950er Jahre „Neger“ und andere „Wilde“ zu Wort kamen.

Ob oder in welchem Maße die übrigen Bewohner von Windee Station oder Mount Lion überzeichnet sind, ist heute schwer zu entscheiden, nachdem sich im Gefolge von Crocodile Dundee eine Flut grausiger Aussie-Klamotten über die Bewohner der nördlichen Erdhemisphäre ergossen hat. Es müssen jedenfalls außergewöhnliche bzw. außergewöhnlich verschrobene Zeitgenossen sein, die sich – nicht immer freiwillig, wie Upfield deutlich zu machen versteht – in ein solches Leben voll Hitze, Einsamkeit und Öde fügen.

_Autor_

Arthur William Upfield wurde 1888 im südenglischen Gosport geboren. Das schwarze Schaf seiner Familie wurde von dieser 1902 Jahren nach Australien geschickt. Dort streifte Upfield als Gelegenheitsarbeiter durch das Outback. Pelztierjäger war er, Schafzüchter, Goldsucher und Opalschürfer – ohne besonderen Erfolg dies alles, aber reich an Erfahrungen geworden, die Upfield ab 1929 in 28 Kriminalromanen um Inspektor Napoleon „Bony“ Bonaparte nutzen konnte.

Zu seinen Lebzeiten war Upfield erfolgreich, aber bei der Kritik nicht gut angesehen. Das hat sich grundlegend und zu Recht geändert. Heute zählen Upfields „Bony“-Romane mit ihren grandiosen Landschaftsschilderungen und dem sichtlichen Hintergrundwissen über die Kultur der australischen Ureinwohner zu den Klassikern des ‚ethnologischen‘ Kriminalromans. Das mag zu der in Deutschland ansonsten seltenen, für den Leser aber erfreulichen Tatsache beitragen, dass die „Bony“-Romane immer wieder neu aufgelegt werden.

An seinen zweiten „Bony“-Roman sollte Upfield übrigens noch lange denken. Er hatte Ende der 1920er Jahre auf einer Farm gearbeitet und dabei mit den Arbeitern des Feierabends ausgiebig über den perfekten Mord diskutiert. Die Lösung entsprach dem späteren Ende des Luke Marks. Als einer der Farmarbeiter 1932 in die Tat umsetzte, was er gelernt hatte (ohne freilich gründlich genug zu sein), wurde Upfield vor Gericht gestellt. Man versuchte ihn wegen Beihilfe dranzukriegen, was jedoch misslang. (Der eigentliche Schurke musste trotzdem hängen.)

Arthur W. Upfield starb 1964. Im Internet ist der Verfasser u. a. [auf dieser Homepage]http://homepage.mac.com/klock/upfield/upfield.html vertreten.

|Taschenbuch: 221 Seiten
Originaltitel: The Sands of Windee (London : Hutchinson 1931)
Aus dem Englischen von Heinz Otto
ISBN-13: 978-3-442-01044-8
Deutsche Erstausgabe: 1958 (Wilhelm Goldmann Verlag/Goldmanns Krimi K 215), 181 Seiten, keine ISBN|
[www.randomhouse/goldmann-verlag.de]http://www.randomhouse/goldmann-verlag.de

Mayle, Peter – Ein diebisches Vergnügen

_Der ebenso reiche_ wie unsympathische Danny Roth ist fassungslos: Jemand hat seine liebsten Statussymbole, etwa fünfhundert Flaschen einzigartigen Rotweins, aus seinem Haus in den Hollywood Hills entwendet!

Das muss jemand ausbaden. Und diejenige, die Roths Zorn direkt zu spüren bekommt, ist die hübsche Elena Morales von der Versicherung. Die clevere Geschäftsfrau merkt schnell, dass der reiche Widerling alles tun wird, um ihren Arbeitgeber über den Tisch zu ziehen. Bedauerlicherweise haben die Täter extrem professionell gehandelt und so gut wie keine Spuren hinterlassen.

Elena bleibt nur noch eines übrig: Sie muss Sam Levitt anrufen und ihn auf den Fall ansetzen. Einerseits liegt das nahe: Sam ist frankophil, ein außerordentlicher Weinkenner und übernimmt detektivische Arbeiten, seit er sich von der falschen Seite des Gesetzes zurückgezogen hat. Dummerweise ist er auch Elenas Exfreund, und sie ist ihm emotional noch nicht ganz entkommen, so dass eine Kontaktaufnahme Gefahren birgt, die sie nicht brauchen kann.

Sam ist entzückt, sowohl davon, Elenas Stimme wieder zu hören als auch von dem Fall an sich. Er mag Rätsel, und dieses ist besonders knifflig. Wie knifflig genau, geht auch Sam erst mit der Zeit auf. Was er auch versucht, wen er auch befragt: Er rennt gegen Wände. Seine Kontakte versagen, seine Spürnase nimmt nicht die leiseste Witterung auf. Da bleibt ihm wohl nichts anderes übrig, als sich zur Quelle zu begeben, die in diesem Fall mit köstlichem Bukett in Frankreich sprudelt. Die Spur führt von Hollywood über Paris nach Marseille und verlangt dem Detektiv von eigenen Gnaden so einiges an Geist und Chuzpe ab …

_Sam Levitt ist_ ein ausgesprochen sympathischer Protagonist, der die Ermittlungen auf unkonventionelle Weise angeht und nebenher einen luxuriösen Lebensstil pflegt. Mayle führt mit leichter Hand durch die Geschichte, die von vertrackten Aufgaben nur so wimmelt, erfreut den Leser mit der Beschreibung der Öffnung einer metaphorischen Blüte und lässt ihn leise seufzend zurück: „Hach ja, reich müsste man sein, und detektivischen Ehrgeiz müsste man haben, und Ahnung von Wein sowieso.“ Und dann sollte man dringend mal wieder nach Frankreich fahren, allein schon wegen der Bouillabaisse.
Dadurch, dass des Protagonisten Weste erst in den letzten Jahren wieder mühsam weiß gewaschen wurde (oder zumindest beige), umweht ihn noch immer etwas der Dunst des Ungesetzlichen – was ihn als Hauptfigur extrem interessant macht und so einige seiner Aktionen erklärt.

Auch der Fall an sich ist hübsch verknotet; weder an der Ausführung des Verbrechens noch am Endpunkt des manchmal nur hauchdünnen Ariadnefadens ist irgendetwas auszusetzen. Schön gemacht: Die Darstellung der Laufarbeit, die ein Verbrechen nach sich zieht, bei dem Profis kaum Spuren hinterlassen haben.

_Mayle hat einen_ kurzweiligen, interessanten Krimi geschrieben, der völlig ohne Blut, Explosionen oder wilde Verfolgungsjagden auskommt. Das hier niedergeschriebene geistige Kräftemessen zweier fast ebenbürtiger Gegner ist nicht nur für Weinfreunde und Gourmets absolut empfehlenswert. Wenn Sie Spaß an Rätseln haben, an kulinarischen Genüssen, pointierten Gesprächen und scharfsinnigen Folgerungen, dann sind Sie mit der Lektüre gut beraten. „Ein diebisches Vergnügen“ ist als Name für diesen Roman zurecht gewählt worden.

|Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Originaltitel: The Vintage Caper
Aus dem Englischen von Ursula Bischoff
ISBN-13: 9783896674265|
[www.randomhouse.de/blessing]http://www.randomhouse.de/blessing/
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Rayne, Sarah – Todeskammer, Die

_Das geschieht:_

Seit 1790 steht Calvary Goal auf einem Hügel unweit des Dorfes Thornbeck in der englischen Grafschaft Cumbria. Das große Gefängnis wurde berühmt und berüchtigt durch seine fleißig genutzte Todeskammer, in der mehr als 800 Schwerverbrecher gehängt wurden. Schon lange steht der alte Bau leer, ist baufällig und soll verkauft werden. Um die Werbetrommel für Calvary Goal zu rühren, hat man dem Dokumentarfilmer C. R. Ingram gestattet, mit einigen Studenten ein fragwürdiges Experiment zu inszenieren: Der blinde Schriftsteller Jude Stratton soll eine Nacht in der Todeskammer verbringen und herausfinden, ob es dort womöglich umgeht.

Anderenorts bekam Georgina Grey gerade Post von der „Caradoc-Gesellschaft“, die sich nach fast einem Jahrhundert der Erforschung übersinnlicher Phänomene auflösen will. Ihr Urgroßvater Walter Kane, Gefängnisarzt in Calvary Goal, hatte die Arbeit der Gesellschaft durch ein finanzielles Legat gefördert. Die verbliebenen Mittel sollen nun an Georgina als letzte Erbin zurückfließen. Von ihrem Lebensgefährten verlassen und ruiniert, käme ihr dieses Geld Georgina gerade recht, sodass sie sich umgehend nach Thornbeck begibt.

Dort hütet Vincent Meade, Sekretär der Gesellschaft, ängstlich die Geheimnisse einer turbulenten Vergangenheit, in der Calvary Goal immer wieder von Skandalen und kriminellen Umtrieben erschüttert wurde. Da Meade selbst Teil dieser unterdrückten Geschichte ist, will er Georgina, die diverse entlarvende Papiere erben wird, notfalls mit Gewalt mundtot machen. Eine weitere Nacht, die Jude Stratton mit der inzwischen zum Fernsehteam gestoßenen Georgina unter dem Galgen von Calvary Goal verbringen wird, verschafft Mead die ideale Ausgangsposition …

_Schauerliche Komödie auf diversen Zeitebenen_

Manches Buch liest man, während und obwohl man sich von Seite zu Seite lauter fragt, was um Himmels willen der Verfasser (oder in unserem Fall die Verfasserin) uns da vorsetzt. „Todeskammer“ – das sind 550 Seiten einer absurden Krimi- und Schauermär, die man weder ernst nehmen mag noch kann, obwohl Sarah Rayne in diesem Punkt möglicherweise gänzlich anderer Meinung ist, denn sie hat sich sichtlich Mühe gegeben mit ihrem Plot, der parallel auf vier Zeitebenen spielt, die im Verlauf des Geschehens immer dichter miteinander verschränkt werden. Calvary Goal wird Dreh- und Angelpunkt einer Geschichte, die 1917 beginnt, 1938 ihre rasante Fortsetzung findet, 1958 gewaltsam auflebt und im 21. Jahrhundert in einem vor Mord & Spuk & Schwachsinn förmlich berstenden Höhepunkt gipfelt.

Eigentliches Zentrum der Geschichte ist der Hinrichtungstrakt des alten Gefängnisses. Wenn Rayne das Zeremoniell der staatlich legalisierten Menschentötung schildert, läuft sie zur Hochform auf. Die Autorin hat ausgiebig recherchiert. Ihre Darstellungen sind präzise, und sie verfügt durchaus über das schriftstellerische Talent, um Schrecken und Komik des Alltags in der Todeszelle auszumalen.

Beide Emotionen sind enge Verwandte. Zwar werden in Calvary Goal Menschen quasi in Serie umgebracht. Trotzdem hat sich hier eine sehr lebendige und farbenfrohe Gesellschaft mit dem Tod eingerichtet. Es wird intrigiert, die Ehe gebrochen und das Gesetz sabotiert, dass es die reine Freude ist. Zum idealen Sendboten des Unheils mutiert der verlotterte, verfressene, moralisch marode Wärter Saul Ketch, der stets zur falschen Zeit am richtigen Ort auftaucht und als griechischer Ein-Mann-Chor die Ereignisse auf unnachahmliche Weise kommentiert.

|Der Zufall macht viele Überstunden|

Dass Ketches komische Eskapaden sich wenig harmonisch in das Gesamtgefüge dieser Geschichte integrieren, darf nicht weiter stören, da „Todeskammer“ zwar eine Story und einen roten Faden, aber keine stringente Struktur besitzt. Von einem Kapitel zum nächsten kann die Stimmung zwischen Dramatik und Slapstick changieren, wobei wie schon angedeutet fraglich ist, ob Rayne dies so gewollt hat. Als Kitt dient den Szenen eine gewisse Gefühlsduseligkeit, da Rayne ein Faible für ‚tragische‘ Liebesgeschichten hat, die im Umfeld der „Todeskammer“ (glücklicherweise) nur selten funktionieren.

Die Komik – sei sie nun echt oder unfreiwillig – wirkt auch deshalb, weil die Verfasserin quasi schreibt, ohne eine Miene zu verziehen. Der Grundton bleibt bierernst, was die bizarren Plot-Kapriolen erst recht glänzen lässt. So gibt es kaum eine Hauptfigur ohne mindestens zwei Identitäten. Der Leser findet es ebenso grandios wie abstrus, wenn Rayne wieder einmal Lebensläufe miteinander verschmilzt, wobei sie die Gesetze der Wahrscheinlichkeit völlig ignoriert. Der Zufall triumphiert mit einer Dominanz, die ihm jeden Ernst raubt. Todeszelle und Hinrichtungskammer verwandeln sich in das Bühnenbild einer Boulevardkomödie. Wo sich dort heimliche Liebhaber in Schränken verstecken, kommt es hier unter dem Galgen zu Verwechslungen und Verwirrungen. Ständig wird der oder die Falsche gehängt, überleben Todeskandidaten, flüchten und kehren in anderer Gestalt zurück.

Die Grenzen zwischen ehrbaren Gesetzesdienern und -brechern sind jederzeit fließend. Aus Patrioten werden Serienmörder, während unschuldige Schönheiten den Wahnsinn unverdünnt vererben. Ein Arzt mutiert zum „mad scientist“, der unbedingt das Gewicht der menschlichen Seele ermitteln will, eine gramgebeugte Adelsfrau verfällt dem Spiritismus, der sich als Sammelbecken dreister aber ebenfalls übergeschnappter Betrüger entpuppt.

Die Gegenwart ist keineswegs ruhiger. Das Fernsehen schickt eine primär von sich selbst überzeugte Gruppe von ‚Dokumentarfilmern‘ nach Thornbeck, die mit der Wahrheit wenig am Hut haben und um des Sensationseffektes u. a. einen blinden Ex-Journalisten ‚ermitteln‘ lassen. Eine ziemlich dumme Frau schließt sich ihnen an und gerät ahnungslos auf die Spuren alter Geheimnisse, die exakt jenen einen Menschen aktiv werden lassen, der sich von ihnen bedroht fühlen muss. Dies setzt eine neue Lawine obskurer Untaten in Gang, die den weiter oben bereits erwähnten Zufall höchstens völlig betrunken am Werk zeigen. Weil Sarah Rayne einst Liebesromane produzierte, kann sie nicht widerstehen und zimmert eine Holzhammer-Romanze hinzu, die womöglich erneut satirisch gemeint ist.

|Geister kommen auch vor|

Um der bösen Geißel „Glaubwürdigkeit“ endgültig den Garaus zu machen, verschneidet Rayne das hoch kriminelle Treiben grob mit diversen Elementen des Schauerromans. Grundsätzlich ist dies eine ehrwürdige Tradition im klassischen Krimi, der sich u. a. John Dickson Carr (1906-1977) gern und gut bediente (und in „Hag’s Nook“, dt. „Tod im Hexenwinkel“, 1933 ebenfalls ein aufgelassenes Gefängnis, in dem es zu spuken scheint, als Schauplatz nutzte). Rayne entwirft liebevoll eine an Grausigkeiten reiche Gefängnis-Geschichte, die Geister eigentlich produzieren _muss_. Ganz in der Tradition der Klassiker fügt sie ihrem Roman einen Übersichtsplan bei, mit dessen Hilfe man verfolgen kann, wo Gut und Böse durch Flure und Zellen tappen. (Dort findet man u. a. einen kleinen aber für die Handlung wichtigen Schuppen, in dem der Ätzkalk-Vorrat der Anstalt lagert, über dessen Verwendung Rayne viel Interessantes zu berichten weiß …) Wundert sich jemand, dass sich aller Spuk letztlich als Humbug erweist? Einmal mehr wirft Rayne eifrig Nebelkerzen. Dabei kann ihr auch ohne Geister beim besten Willen kein Leser im wüsten Gewirr ihrer Gefängnis-Mär auf die Schliche kommen.

„Todeskammer“ ist somit Krimi-Trash pur. Das Lektüre-Vergnügen ist dennoch erheblich, weil die Autorin das Handwerk des Schreibens versteht und ihr diesbezügliches Können auch die Übersetzung überstanden hat. (Oder verdanken wir etwa der Übersetzerin dieses seltsame Schillern zwischen dramatischem Ernst und markerschütternder Komödie?)

_Autorin_

Sarah Rayne wurde am 12. April 1947 als Bridget Wood geboren. Nach eigener Auskunft begann sie als Tochter eines irischen Komödienautors bereits als Teenager zu schreiben. Sie besuchte eine Klosterschule; anschließend begann die, für später erfolgreiche Schriftsteller offenbar obligatorische, Odyssee durch unzählige Kurzzeit-Jobs.

Erst 1982 gelang Wood die Veröffentlichung ihres Romanerstlings. „Mask of the Fox“ erschien unter ihrem Geburtsnamen, den sie als Autorin bis 1994 beibehielt. In dieser Phase veröffentlichte sie Fantasy- und Gruselgeschichten, die sie mit jenen romantischen Einlagen verschnitt, die vor allem Leserinnen schon schätzten, bevor Stephenie Meyer & Co. die Schreckensherrschaft der saft- und kraftlosen Bellas und Edwards einläuteten. Hervorzuheben ist die vierteilige „Wolfking“-Serie, die in einem postatomaren Irland spielt und allerlei ‚keltische‘ Plump-Klischees bedient.

Ab 1994 wechselte Wood zum Pseudonym „Frances Gordon“, doch ihr Programm blieb unverändert; höchstens der Schmalz-Anteil ihrer romantischen, von Uralt-Flüchen und reinkarnierten Finsterbolden wimmelnden Horror-Schinken stieg. 2003 wechselte Wood abermals das Pferd bzw. ihr Pseudonym. Als „Sarah Rayne“ schreibt sie nunmehr „psychologische Thriller“, die jedoch – die Leserinnen seien beruhigt – weiterhin tief in der weiblichen Seele gründeln.

|Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: The Death Chamber (London : Simon & Schuster UK Ltd. 2008)
Übersetzung: Ursula Bischoff
ISBN-13: 978-3-442-47033-4

eBook: April 2010 (Wilhelm Goldmann Verlag), ISBN-13: 978-3-641-04377-3|
[www.randomhouse.de/goldmann]http://www.randomhouse.de/goldmann

Sigler, Scott – EarthCore

_Das geschieht_

Der alte Prospektor Sonny McGuiness kann sein Glück kaum fassen, als er in den Bergen der Wah-Wah-Moutains tief in der Wüste des US-Staates Utah auf die legendäre Jessup-Mine stößt. Anderthalb Jahrhundert war sie verschollen, und noch länger gilt sie bei den Ureinwohnern der Region als verflucht, da Goldgräber und später Höhlenforscher hier beunruhigend regelmäßig spurlos verschwanden. Zuletzt ereilte 1942 drei Studenten dieses Schicksal, aber zuvor bargen sie ein seltsames, viele Jahrtausende altes Messer aus purem Platin, das für Menschenhände untauglich wirkt. Die Archäologin Veronica Reeves hat ein gussgleiches Messer in Argentinien entdeckt; offenbar gab oder gibt es im Inneren der Erde eine uralte, mächtige Kultur, die den „oben“ lebenden Menschen feindlich gesonnen ist.

Eine wissenschaftliche Untersuchung der Fundstätte in Utah ist allerdings nicht möglich. Der mächtige, sowohl rechtlich als auch moralisch außerhalb der Norm agierende EarthCore-Konzern ist McGuiness auf die Schliche gekommen und hat ihn zur „Zusammenarbeit“ erpresst. Modernste Technik wird heimlich zur Mine geschafft, die sich als gewaltiges, künstlich geschaffenes Höhlensystem entpuppt, dessen Zentrum ein gewaltiger, unermesslich wertvoller Block puren Platins bildet. Diesen Schatz will EarthCore-Manager Connell Kirkland mit wirklich allen Mitteln sowohl geheim halten als auch heben. Dazu bedient er sich notfalls der psychopathischen Killerin Kayla Meyers, die freilich längst das Lager gewechselt hat und das Wissen um die Mine an EarthCores Konkurrenz verkaufen will.

Fünf Kilometer dringt die Bohrfräse in die Erdkruste vor. In ewiger Dunkelheit stören die (neu-) gierig dorthin vorrückenden Menschen, zu denen sich inzwischen Veronica Reeves gesellt hat, Kreaturen auf, die spinnefeind auf die Gäste aus der Helligkeit reagieren. Entschlossen, die Eindringlinge auszurotten, strömen sie aus der Tiefe, um ihre planvoll von der Außenwelt abgeschnittenen Opfer zu zerschnetzeln …

_Schatten und Dinge, die in ihnen lauern_

Uralte Furcht und Hightech-Wissen: Theoretisch sollte das Wissen den meisten Ängsten den Garaus machen. Doch das menschliche Reptilien-Gehirn ist noch präsent, und es greift nach wie vor steuernd in die Angriffs- und Verteidigungs-Aktivitäten seines Trägers ein, dessen Bauplan nie wirklich grundlegend modernisiert wurde. Gespeichert blieben und abgerufen werden deshalb Reize und Reaktionen, die dem urzeitlichen Höhlenbewohner angemessener sind als dem selbstbewussten Herrn oder der Dame der Schöpfung.

Wer dies auf die Probe stellen möchte, begebe sich im Einklang mit der Handlung dieses Romans in eine Höhle und schalte tief in deren Inneren das Licht ab. Selbst der Skeptiker wird nach kurzer Zeit erleben, wie die Vernunft mit archaischer Beklemmung zu kämpfen beginnt. Dass Ohren, Nase und Haut die Sinnesaufgaben der Augen zu übernehmen beginnen, bietet dabei keinen Trost, da der Mensch der Jetztzeit solche Signale nicht mehr korrekt auszuwerten weiß. Unbeeinträchtigt bleibt jedoch seine Vorstellungskraft. Diese stimuliert besagtes Reptilien-Gehirn, und das drückt den Alarmknopf.

Somit bietet eine Höhle ideale Voraussetzungen für spannende Geschichten, obwohl die thematische Spannbreite beschränkt bleibt: Es kann im Grunde immer nur darum gehen, dass in der Dunkelheit jemand hockt, der sich besser orientieren kann als das zitternde Opfer. Dieser Plot funktioniert jedoch prächtig. Wir wissen, dass hinter der nächsten Biegung kein Höhlenbär mehr auf uns wartet. Trotzdem stellen sich unsere Haare immer noch auf, selbst wenn wir über eine Expedition ins düstere Innere der Erde nur lesen.

|Das Angst-Eisen schmieden, bis es heiß wird|

Das Vergnügen steigt, wenn sich ein Autor wie Scott Sigler des Jobs annimmt, seine Leser in Angst & Schrecken zu versetzen. Literarische Ehren wird er zwar kaum jemals beanspruchen dürfen, doch in Sachen Unterhaltung ist sein Talent außerordentlich. „EarthCore“ ist ein Weird-&-Science-Fiction-Thriller der trivialen Art: ein „No-Brainer“, wie Sigler selbst sein Werk nennt. Originelle Ideen wird der Leser nicht finden. Die Story ist – freundlich umschrieben – gut abgehangen, die Figuren wurden aus den Tiefen der Klischee-Kiste hervorgelockt, die noch unter dem Handlungsort zu orten sein dürften.

Dem Spaß tut dies keinen Abbruch, denn Sigler umgeht die daraus eigentlich automatisch resultierende Abklatsch-Ödnis, indem er die Kopie kräftig nachfärbt. „EarthCore“ ist reines, gelungenes Fabulieren. Sigler hat ein erstaunliches Gespür für Timing. Die Spannung wird klassisch langsam aufgebaut, wobei sorgsam vielversprechende Hinweise auf das sich anbahnende Grauen eingestreut werden. Selbstverständlich ist die alte Mine verflucht; für entsprechende Vorfälle gibt es „historische“ Quellen, die Sigler seine Protagonisten in stimmungsvoll verstaubten Archiven finden lässt.

Obwohl die Figuren dem Baukasten des trivialen Abenteuers entnommen wurden, bemüht sich Sigler um Ambivalenz. „Gut“ und „böse“ werden sorgfältig miteinander verwoben. Selbst die sadistische Kayla hat ihre schwachen Momente. Eine Figurenentwicklung ist ausdrücklich Element des Roman-Konzepts. Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass dies tatsächlich funktioniert. Zu allem erfreulichen Überfluss reibt uns der Verfasser solche emotionalen Momente nicht aufdringlich unter die Nase, sondern integriert sie geschmeidig in die Handlung, die dadurch keine Sekunde ins Stocken gerät – eine Talent, über das nicht gerade viele „No-Brainer“-Autoren verfügen.

|An alle Leser wird gedacht|

Für den historisch eher desinteressierten Leser bietet „EarthCore“ viel Technobabbel, denn schließlich ist es keine Kleinigkeit, ein Fünf-Kilometer-Loch in die Erdkruste zu bohren. Hightech überwindet zudem reale Hindernisse, die sich auf dir Handlung auswirken könnten; beispielsweise ist die enorme Abbildungskraft der beschriebenen Erdschichten-Tomografie reines Wunschdenken. Auch sonst bedient sich Sigler gern aus dem Fundus der Science Fiction. Den Leser stört dies nicht, denn er ist daran gewöhnt, dass man ihm naturwissenschaftliche und technische Superleistungen vorgaukelt – beschwert sich etwa jemand über die Märchen-Labors in den „CSI“-TV-Serien?

Allemal erweist sich „EarthCore“ als wahre Wundertüte. Aus einem Mystery- und Wissenschafts-Thriller wird eine Abenteuer-Geschichte, in der schließlich „echte“ SF-Elemente die Oberhand gewinnen. Genrereinheit war und ist weder Vorschrift noch Tugend, doch selten wirkt die Mixtur so harmonisch wie hier. Dabei erschien „EarthCore“ ursprünglich als Fortsetzungsroman. Die „Nähte“ zwischen den Episoden hat der Verfasser sauber kaschiert.

Selbst eine übliche und typische Enttäuschung hält sich in Grenzen: Ist die Katze aus dem Sack, entpuppt sie sich in der Regel als sehr gewöhnliche Kreatur. Auch die Silberkäfer und Felskraken aus „EarthCore“ können der zuvor aufgebauten Erwartungshaltung nicht standhalten. Mit seinem unbändigen Erzähldrang vermag Sigler dies zu überspielen. Er verzettelt sich nicht mit unnötigen Nebenschauplätzen, sondern hält die Story geradlinig und hart am Wind. Klug hält er immer neue Details parat, mit dem er unser Interesse entfachen kann. Es bleibt spannend bis zum Schluss; keine geringe Leistung bei einem Roman dieses Umfangs!

Mit „EarthCore“ schließt Scott Sigler nicht nur zu Science-Thriller-Autoren wie Michael Crichton oder Douglas Preston & Lincoln Child auf, sondern deklassiert sie, während grobschlächtige Fließband-Fabulierer wie James Rollins („Sub Terra“) oder Matthew Reilly („Ice Station“) sich schamvoll in noch tiefere Höhlen als Siglers Felskraken verkriechen sollten.

|Eine interessante Veröffentlichungsgeschichte|

Mit „EarthCore“ wollte Scott Sigler 2001 zum Pionier einer damals noch in den Kinderschuhen steckenden Publikationstechnik werden, denn dieser Roman war als eBook geplant. Der Plan zerschlug sich, und ein frustrierter Scott veröffentlichte sein Buch, dessen Rechte an ihn zurückgefallen waren, 2005 als Podcast. Dies hatte noch kein Autor gewagt. Scott setzte auf die Mund-zu-Mund-Propaganda seiner Leser und lag richtig. 2005 erschien „EarthCore“ als gedrucktes Buch in einem Kleinverlag, 2006 als kostenpflichtiger iTunes-Download. Der Erfolg bestärkte Sigler in dem Entschluss, auch zukünftig durch Podcast-„Erstveröffentlichungen“ auf seine Romane aufmerksam zu machen.

In Deutschland wurde Sigler erst 2008 und dann praktisch zeitgleich von zwei Verlagen „entdeckt“. „Infected“ (dt. „Infiziert“) erschien als Taschenbuch im Heyne Verlag, „EarthCore“ gebunden bei Otherworld. Nachdem „Infiziert“ zahlreiche Leser fand und Heyne weitere Titel veröffentlichen wollte, war klar, dass Sigler dorthin wechseln würde, wo man ihn besser bezahlen konnte. 2010 ging auch „EarthCore“ diesen (noch) seltenen Weg von einem deutschen Kleinverlag zu einer modernen Buchfabrik.

_Autor_

Scott Sigler wurde in Cheboygan, US-Staat Michigan, geboren. Hier wuchs er auf und studierte Journalismus und Marketing. Seine dabei erworbenen Kenntnisse kamen Sigler zupass, als er Ende der 1990er Jahre als Autor tätig wurde. Abseits ausgefahrener bzw. blockierter Wege zu den etablierten Printmedien setzte er von Anfang an auf digitale Vertriebswege. „Earthcore“, sein Romanerstling, erschien gratis als Podcast. Das Buch wurde zahlreich heruntergeladen und verschaffte Sigler ein festes Stammpublikum, das er bis heute hält, indem er seine Werke zunächst weiterhin ins Netz stellt; manche Romane und Siglers Kurzgeschichtensammlungen erschienen bisher sogar ausschließlich dort.

Auch mit seinen Fans hält Sigler online über [seine Homepage]http://www.scottsigler.com engen Kontakt. Er reagiert so auf einen Markt, in dem gedruckte Bücher nur mehr ein Segment des Gesamtangebotes bilden. Als literarische Vorbilder bezeichnet Sigler Stephen King und Jack London. Er ist verheiratet, lebt und arbeitet in San Francisco.

|Taschenbuch: 624 Seiten
Originaltitel: Earthcore (2001; als Buch Calgary : Dragon Moon Press 2005)
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Krug
ISBN-13: 978-3-453-43507-0 (Hardcover: ISBN-13: 978-3-9026-0704-1)|
[www.otherworld-verlag.de]http://www.otherworld-verlag.de
[www.heyne.de]http://www.heyne.de

Carter, Chris – Kruzifix-Killer, Der

_Das geschieht:_

Robert Hunter gehörte zu den Ermittler-Stars der Polizei von Los Angeles, bis im Vorjahr sein Partner und bester Freund Scott bei einem Bootsunglück starb. An einen Unfall mag Hunter indes nicht recht glauben. Stattdessen ahnt er die Ränken seines schlimmsten Feindes: Vor zwei Jahren trieb der Kruzifix-Killer im Raum Los Angeles sein Unwesen. Mit infernalischem Geschick pflegte er seine Opfer heftig und so lange wie möglich zu foltern. Auf den Leichen hinterließ er sein Markenzeichen: ein doppeltes, in die Haut geschnittenes Kreuz. Schließlich nahmen Hunter und Scott einen Mann fest, der die Bluttaten gestand, verurteilt und später hingerichtet wurde. Schon damals hielt Hunter Farloe für unschuldig.

Der Tod von Scott raubt Hunter den Nachtschlaf, treibt ihn zum Alkohol und beeinträchtigt seine Polizeiarbeit. Darauf hat der echte, immer noch freie Kruzifix-Killer gewartet. Er entführt die Edel-Prostituierte Jenny Farnborough, der er die Haut vom Gesicht zieht, bis sie endlich stirbt. Am Telefon verhöhnt er Hunter und kündigt weitere Morde an. Da der Killer den Kontakt zu Hunter sucht, übernehmen dieser und sein neuer Partner Carlos Carcia den Fall.

Schnell lässt der Killer einen weiteren grässlichen Mord folgen. Daran koppelt er ein infames Spiel: Bevor er tötet, stellt er Hunter eine Aufgabe. Ist dessen Lösung korrekt, bleibt das Opfer am Leben. Allerdings sorgt der Killer dafür, dass dieser Fall möglichst nicht eintritt, sondern Hunter allmählich in den Wahnsinn getrieben wird.

Der ist lange mit kriminologischer Betriebsblindheit geschlagen und außerdem durch eine neue Liebe abgelenkt. Erst in letzter Sekunde findet Hunter heraus, was die Opfer eint, was sich als heiße Spur zum Kruzifix-Killer herausstellt, der allerdings genau jetzt zum blutigen Finale bläst …

_Nicht fabulieren, sondern konstruieren!_

Sie sind partout nicht totzukriegen. An sich kann man mit ihnen leben bzw. sie sogar unterhaltsam finden. Sie dürfen nur nicht alle auf einmal über uns herfallen: Gemeint sind die Klischees des Killer-Thrillers, der mit Hannibal Lecter seinen eigentlichen Beginn nahm, hier seinen Höhepunkt erreichte und bereits sein Ende einläutete. Begabten Autoren gelang es später höchstens, diverse Elemente der Lecter-Mixtur zu verfeinern, zumal auch die psychologische Forschung auf dem Gebiet des Serienmordes voranschritt und auf diese Weise einige Neuansätze bot. Die Trittbrettfahrer des Genres begnügten sich damit, die Zahl der möglichst blutig zu Tode geschundenen Opfer zu steigern.

Chris Carter ist ein solcher Trittbrettfahrer. „Der Kruzifix-Killer“ birst beinahe vor Action und Grauen und ist doch ein konventioneller und erschreckend langweiliger Roman. Nach eingehender Prüfung und selbst mit dem größten Wohlwollen kann dem Verfasser keine neue Idee nachgewiesen werden – wirklich keine einzige! Das darf man fast eine Leistung nennen; eine traurige Leistung allerdings.

Man könnte an dieser Stelle ausführlich die unverändert aufgegriffenen Elemente aus einschlägigen Filmen und Romanen auflisten, mit denen Carter sowohl die Handlung als auch die Figurenzeichnung bestreitet. Diese endlose und deprimierende Arbeit hat sich der Rezensent gespart; sie ist zudem überflüssig, weil sie einen Aspekt nicht berücksichtigt: „Der Kruzifix-Killer“ soll gar kein ‚guter‘ Roman mit frischer Geschichte und lebensechten Figuren sein. Geplant, konzipiert und umgesetzt wurde dieser Thriller als Harpune, mit dem sich sein Verfasser im Speck der modernen Buch-Industrie verankern wollte. Dieser Schuss war ein Volltreffer, was Carter auf seiner Website u. a. mit Schnappschüssen diverser Bestseller-Listen dokumentiert, die das Werk auf vorderen Plätzen zeigen.

|Retorten-Thriller des 21. Jahrhunderts|

Stromlinie bzw. der Verzicht auf Ecken und Kanten heißt der Schlüssel zum Erfolg einer Geschichte, die so lange abgeschliffen wurde, bis sie den Lesern der ganzen Welt gefallen kann. Carter greift außerdem nur Elemente auf, die sich bewährt haben, weil sie nie gegen den Strich gebürstet werden und so möglicherweise irritieren oder verärgern, sondern ausschließlich funktionieren. Was an sich legitim sowie in der Unterhaltungsliteratur üblich ist, ärgert hier durch die besonders kalte und lieblose Realisierung. Carter bemüht sich niemals, sein Recycling zu verschleiern. Er setzt voll und ganz darauf, durch bekannte Muster und quasi auf Knopfdruck das Kino im Kopf einer primär durch Film und Fernsehen geschulten sowie sehr anspruchsarmen Leserschaft in Gang zu setzen.

Darüber hinaus ist „Der Kruzifix-Killer“ ein Buch, das vor allem für Nachwuchs-Leser geschrieben wurde. Sie werden mit einem maßgeschneiderten Thriller bedient. Cop jagt Killer, das Tempo lässt nie nach, und zwischendurch wird es garantiert immer wieder herrlich eklig. Dass die Geschichte altbacken ist, ihre ‚Auflösung‘ durch eine willkürlich ins Geschehen geschnittene Nebenhandlung dreist verzögert und letztlich übers Knie gebrochen wird, die Figuren flach und die Effekte plump und billig sind, interessiert diese Klientel nicht, zumal sie die heiße Nadel (noch) nicht erkennt, mit der Carter sein fadenscheiniges Garn strickt.

|“Se7en“ + „Saw“ = „Der Kruzifix-Killer“|

Blut allein kann den abgebrühten Leser heute nicht mehr schockieren. Das gilt erst recht, wenn der optische Verstärker fehlt, den Film und Fernsehen bieten. Möglichst viele Körperflüssigkeiten müssen strömen und die Opfer dabei leben, zittern und schreien, damit sich der ersehnte Ekel-Effekt einstellt. „Torture Porn“ nennt man dies im Kino; ein ungeliebter Ausdruck, weil er an Seelen-Saiten der Zuschauer rührt, die diese lieber nicht interpretiert wissen möchten.

Immerhin darf man Carter nicht den Vorwurf machen, die Lust am plakativen Grauen zu bemänteln. Er bricht die Realität auf oder gerade in diesem Umfeld bewusst aufs Triviale herunter. Während im wahren Leben der Serienkiller eine niemals charismatische Kreatur ist, wird der Kruzifix-Killer zum dämonischen Übermenschen stilisiert. Tatsächlich bleibt er ein eindimensionaler Buhmann ohne echte seelische Abgründe. Als es ins Finale geht, will Carter Tiefe nachliefern, doch da ist es längst zu spät. Der Killer ist und bleibt nur ein weiterer „Jigsaw“-Klon, der sein sadistisches Handeln mit pseudo-philosophischem Nonsens zu ‚begründen‘ versucht.

Da befindet er sich in perfekter Gesellschaft. Auch Robert „Nomen-est-Omen“ Hunter ist kein Mensch, sondern nur eine Schablone. Taffer Cop mit psychischen Problemen: Banaler geht es wirklich nicht! Auch hier demonstriert Carter jedoch nicht nur glatte Routine, sondern investiert in die Zukunft: „Der Kruzifix-Killer“ ist Auftakt einer (inzwischen fortgesetzten) Reihe von Hunter-Thrillern. Wie es erneut das Fernsehen perfekt vorgibt, zeichnet sich die typische Serienfigur durch wenige aber kennzeichnende Eigenschaften bzw. Eigenheiten aus, die nur sparsam verändert werden: Der Verzicht auf das Unerwartete sichert die Serienbindung. Der Fan liebt es, wie in einen alten Pantoffel in ’seine‘ Figur/en zu schlüpfen. Carter hilft ihm gern dort hinein. Der weitere Erfolg des cleveren Verfassers darf deshalb als gesichert gelten.

_Autor_

Als Sohn italienischer Einwanderer wurde Chris Carter 1965 in Brasilien geboren. Er wuchs in der Hauptstadt Brasilia auf und ging erst nach Abschluss der High School in die USA. Dort studierte er forensische Psychologie, spezialisierte sich also auf die kriminologische Seite dieser Wissenschaft. Folgerichtig arbeitete Carter nach seinem Abschluss als Kriminal-Psychologe.

Nach einigen Jahren wechselte Carter nicht nur nach Los Angeles, sondern änderte auch sein Leben radikal: Er wurde Rockmusiker, ging später nach London und spielte in einer Reihe einschlägiger Bands die E-Gitarre. Wieder einige Jahre später beschloss Carter, Schriftsteller zu werden. Sein Debütroman erschien 2009. „Der Kruzifix-Killer“ wurde gleichzeitig Auftakt einer Serie um den Polizisten Robert Hunter, der ausschließlich die übelsten Kriminellen jagt.

Über sein Werk (schmal) und seine Aktivitäten (eifrig) berichtet Carter auf [seiner Website.]http://www.chriscarterbooks.com

|Taschenbuch: 480 Seiten
Originaltitel: The Crucifix Killer (London : Simon & Schuster 2009)
Aus dem Englischen übersetzt von Maja Rößner
ISBN-13: 978-3-548-28109-4
[www.ullstein-taschenbuch.de]http://www.ullstein-taschenbuch.de

eBook: Juli 2009 (Ullstein Verlag), 480 Seiten, ISBN-13: 978-3-548-92003-0

Hörbuch: Juni 2009 (Hörbuch Hamburg), 4 CDs (gekürzte Fassung), gelesen von Armin Buch
ISBN-13: 978-3-8690-9030-6|
[hoerbuch-hamburg.de]http://hoerbuch-hamburg.de|

RICHELLE MEAD – Sturmtochter (Dark Swan 01)

Richelle Mead ist bereits für die Reihen „Georgina Kincaid“ und „Vampire Academy“ verantwortlich. Mit „Dark Swan“ beginnt nun eine neue Serie. Auch dieses Mal steht eine junge Frau im Vordergrund, doch sie ist weder ein Sukkubus noch die Wächterin von Vampiren. Eugenie Markham ist erfolgreiche Schamanin, die auf selbstständiger Basis Dämonen und anderes Gesindel erledigt. Sie ahnt allerdings nicht, dass sie mit diesem Gesindel mehr verbindet als nur der Beruf …

Eugenie denkt sich nicht viel dabei, als sie zu einem neuen Fall gerufen wird. Sie soll einen Dämonen aus einem Turnschuh vertreiben, doch dieser stellt sich als hartnäckiger und frecher heraus als sie dachte – und er kennt ihren wahren Namen. Das sollte eigentlich nicht sein, denn in der Anderswelt, der Heimat des Dämonen und anderer übernatürlicher Wesen, ist sie als Odile Black Swan bekannt und gefürchtet. Dass ihr Geburtsname durchgesickert ist, irritiert sie zu Recht, wie schnell klar wird. Denn der Dämon ist nicht das einzige Wesen aus der Anderswelt, das ihren Namen kennt. Ihre Beliebtheit ist schlagartig gestiegen, seit sie im Mittelpunkt einer Prophezeiung steht. Diese besagt, dass ihr Kind den Feen der Anderswelt, die sich Feine nennen, die Herrschaft über die Menschenwelt bringen wird. Als sie versucht, ein entführtes Mädchen aus der Anderswelt zu retten, muss sie ein Bündnis mit einem Feinen eingehen und die Erfahrung machen, dass plötzlich jeder Feine sexuelles Interesse an ihr hat.

Die Feinen sind allerdings nicht die einzigen, die Eugenie in ihrem Bett sehen wollen. Bevor sie überhaupt von ihrem Schicksal weiß, lernt die Schamanin den Tierarzt Kiyo kennen. Doch während ihres One-Night-Stands muss sie feststellen, dass Kiyo mehr ist als nur ein Tierarzt. Er ist ein Kitsune und kann sich in einen Fuchs verwandeln. Für die junge Frau, die die Anderswelt lieber bekämpft, ist das ein großer Schock. Sie will nichts mehr mit ihm zu tun haben, fühlt sich betrogen, doch der junge Mann lässt nicht locker …

Die Inhaltsangabe sollte klar machen, was in diesem Buch eine große Rolle spielt: romantische Verwicklungen und Sex. Wer die „Vampire Academy“-Reihe kennt und liebt, darf sich auf eine Überraschung gefasst machen. Die neue Serie ist wesentlich härter, die Sexszenen expliziter und häufiger. Manchmal ist das fast schon zu viel. Gerade am Anfang überschatten die Bettgeschichten beinahe den Rest der Handlung. Dass das Buch trotzdem nicht zu einem Schmierentheater verkommt, ist dem spannenden Plot zu verdanken. Richelle Mead hat es geschafft, eine von vorne bis hinten schlüssige Handlung zu konstruieren, die keine Fragen offen lässt und den Leser mitzureißen vermag. Einziger Minuspunkt: Trotz aller Schlüssigkeit – richtig neu ist das, was die Autorin da erzählt, nicht. Eine Prophezeiung, eine junge Frau, die nicht das ist, was sie zu sein glaubt, das intrigante Völkchen der Feen – es gibt diverse Geschichte, die diese Elemente ähnlich benutzen.

Auch Eugenie Markham ist nicht wirklich neu. Frech, humorvoll, magiebegabt, mit einem Hang zu Katastrophen – auf weiten Strecken erinnert sie doch ziemlich stark an die Erdhexe Rachel Morgan aus der gleichnamigen Reihe von Kim Harrison. Nun gehört die wiederum zum Prototyp der Urban-Fantasy-Heldin, aber trotzdem hätte es nicht geschadet, wenn Eugenie vielleicht ein bisschen weniger diesem Schema entsprochen hätte. Bei Rose, der Heldin der „Vampire Academy“-Reihe, hat die Autorin das schließlich auch geschafft.

Der Schreibstil hingegen kann sich sehen lassen. Geradlinig, ohne sich zu verzetteln und mit viel Ausdruck lässt Mead ihre Protagonistin aus der ersten Person sprechen. Der Humor und Eugenies Schlagfertigkeit machen das Buch zu einem kurzweiligen Vergnügen, obwohl auch hier manchmal der Vergleich mit Rachel Morgan nicht unumgänglich ist.

Der erste Band der „Dark Swan“-Reihe bietet solide Kost. Richelle Mead begibt sich mit diesem Buch auf einen ausgetretenen Pfad und kann sich mit „Sturmtochter“ nicht wirklich originell platzieren. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich in den nächsten Bänden steigert, denn die Voraussetzungen sind allemal da. Die Geschichte ist nicht schlecht, es fehlt ihr nur ein bisschen an Eigenständigkeit.

Broschiert: 366 Seiten
Originaltitel: Storm Born
Deutsch von Frank Böhmert
ISBN-13: 978-3802582110

http://www.egmont-lyx.de
http://www.richellemead.com

Queen, Ellery – Und raus bist du!

_Das geschieht_

Fast schon vergessen hat Kriminalschriftsteller und Amateurdetektiv Ellery Queen seine Zeit in Wrightsville. Nun erhält er anonym Zeitungsartikel zugeschickt, die ihn auf interessante Ereignisse in diesem kleinen Flecken im ländlichen Norden des US-Staates New York hinweisen, in dem die Zeit irgendwann vor dem I. Weltkrieg stehengeblieben zu sein scheint. Ein alter Sonderling ist gestorben und hat sein Vermögen einem mildtätigen Doktor vermacht; ein reicher Fabrikant wurde als Betrüger entlarvt und hat sich erschossen; der Säufer Tom Anderson ist in einem Sumpf verschwunden.

Den alten Tom hat Queen gekannt und gemocht. Als Rima, seine Tochter, in New York auftaucht und den Detektiv um Hilfe und Klärung des Verbrechens angeht, lässt dieser sich nicht lange bitten. In Wrightsville ermittelt Queen, dass alle seltsamen Vorfälle einen Faktor gemeinsam haben: Irgendwie war stets Dr. Sebastian Dodd beteiligt, der selbstlos die Armen und Alten behandelt und als wahrer Stadtheiliger gilt.

Rimas Vater hat er direkt vor dessen Verschwinden ein Darlehen gewährt. Das Geld ist fort, Andersons skurrile Freunde verneinen jegliches Wissen. Queen irrt kriminalistisch im Kreis, bis ihn die wenigen Spuren auf eine irrwitzige Theorie bringen: Hier sterben Menschen nach dem Muster eines alten Abzählreims für Kinder! Niemand will ihm das so recht glauben, selbst als der Tod Queens Hauptverdächtigen dahinrafft, wie er es vorausgesagt hatte. Und besagter Reim geht noch weiter, das nächste Opfer steht schon fest …

_Idylle mit dunklen Winkeln_

„… und raus bist Du!“ ist der letzte Queen-Krimi der „Wrightsville“-Serie. In „The Devil to Pay“ (1938, dt. „Des Teufels Rechnung“) hatte Ellery Queen New York verlassen und war nach Hollywood umgesiedelt. Dies ging mit in der Kriminalliteratur seltenen, aber konsequenten Veränderungen der Figur einher. Queen wurde „erwachsen“; er arbeitete nicht mehr als Berater für die Polizei. Seine Fälle als Privatdetektiv wurden komplizierter und vielschichtiger, psychologische Untertöne schlichen sich ein, aus der oft spielerischen Suche nach dem Mörder wurde nicht selten ein Drama, das unbarmherzig seinem tödlichen Finale entgegen strebte und Queen als wissenden, aber hilflosen und überforderten Zuschauer zurückließ.

1942 kam es zu einem weiteren Wechsel. Ellery Queen wurde in „Calamity Town“ (dt. „Schatten über Wrightsville“) zum ersten Mal nach Wrightsville gerufen. Noch dreimal reiste er in Sachen Mord dorthin (1945: „The Murderer Is a Fox“, dt. „Der Mörder ist ein Fuchs“; 1948: „Ten Days Wonder“, dt. „Der zehnte Tag“; 1950: „Double, Double!“).

Wrightsville ist scheinbar das gute, alte, intakte Amerika, gelegen idyllisch auf dem flachen Land, bevölkert von einfachen, freundlichen Menschen, die der Dekadenz der Großstadt noch nicht erlegen sind. Doch schon der zweite Blick lässt unerfreuliche Wahrheiten zu Tage treten. Die scheinbare Idylle wird durch einen von Abwässern verseuchten Fluss in eine strahlende Musterstadt und in einen Slum geteilt. Aber auch auf der „richtigen“ Seite sind Wohlanständigkeit und Reputation oft nur Fassade, hinter der das Verbrechen wohnt. Und auch mit der traulichen Verschlafenheit ist es vorbei: In Gestalt der Zeitungs-Zarin Malvina Prentiss ist die Moderne in und über Wrightsville hereingebrochen.

|Rätselspiel mit ernsten Nebenwirkungen|

„… und raus bist du!“ demonstriert den Unterschied zwischen Schein und Sein auf manchmal deprimierende Weise. Ist man die auf den Plot konzentrierte, quasi konstruierte Handlung der frühen Queen-Romane mit ihren eindimensionalen Charakteren oder besser Typen gewohnt, überrascht dieser neue Unterton. Dabei ist der Plot keineswegs unkomplizierter geworden. Im Gegenteil: Ellerys Fähigkeit, aus einer Reihe unzusammenhängender Todesfälle auf eine Mordserie nach Abzählreim zu schließen, lässt uns dieses Mal skeptisch zurück. Selbst für ihn ist das ein bisschen zu viel der genialen Deduktion.

Vergnügen bereitet der (nach dem Willen des zeitgenössischen Publikums) „erneuerte“ Ellery Queen aber doch, weil es reizvoll ist, ihn bei seiner Weiterentwicklung zu beobachten. Und das Goldene Zeitalter des klassischen „Whodunit?“-Krimis war 1950 vorbei; ein Held, der im Geschäft bleiben wollte, musste mit der Zeit gehen oder sich bewusst in einen Anachronismus verwandeln.

|Die Figuren gewinnen Tiefe|

Über Ellery Queen ist weiter oben das Grundsätzliche schon gesagt worden. Das „ausgestopfte Hemd“ der frühen Jahre hat sich in einen Menschen mit Ecken und Kanten verwandelt. Sogar Nacktbaden mit einer Klientin ist nun möglich, auch wenn selbstverständlich die Keuschheit des wahren Gentlemans (noch) obsiegt. Als Detektiv ist Queen weiterhin ein Naturtalent, aber gegen gravierende Irrtümer und Fehleinschätzungen ist er nicht mehr gefeit. Das belastet ihn einerseits, während es andererseits die eingeleitete Tragödie nicht beenden kann. Queen erreicht die Zielgerade erst, nachdem der Mörder sein Werk vollendet hat. Das wird ihm in späteren Abenteuern noch öfter passieren.

Rima Anderson ist – Volker Neuhaus erläutert es uns in seinem wie immer kundigen Nachwort – zunächst weniger eine Figur, sondern ein literarischer Scherz: die Inkarnation des Vogelmädchens Rima aus William Henry Hudsons romantischem Abenteuer-Klassiker „Green Mansions“ (dt. „Das Vogelmädchen“) von 1904. Aus dem unschuldigen Naturkind wird durch die Umstände (und Ellerys sanfte Nachhilfe) eine ganz „normale“ junge Frau, wobei es dem Leser überlassen bleibt zu entscheiden, ob sie das wirklich glücklicher werden lässt.

Die übrigen Bewohner Wrightvilles lassen in Verhalten und Gestalt zunächst den üblichen Dorftölpel des Kuschel-Krimis durchscheinen. Dahinter verbergen sich freilich manchmal seelische Abgründe unvermuteter Tiefe. Tom Anderson ist kein bunter Vogel, der lustige Sachen sagt, die den Leser zum Lachen bringen, sondern ein tragischer, psychisch kranker Säufer. Sein Freund, der „Philosoph“, verbirgt hinter schlauen Sprüchen latenten Wahnsinn und den Zorn über sein Dasein als lebenslanger Verlierer. Ein zweiter Freund entpuppt sich als Dieb, der den Gefährten noch im Tod betrügt. Der gute Dr. Dodd wird von Aberglaube und Todesfurcht beherrscht. So geht es weiter, eine Galerie gespaltener Persönlichkeiten, wie es der Roman-Originaltitel andeutet, in einem höchst spannenden und an wendungsreichen Kriminalroman.

_Autoren_

Mehr als vier Jahrzehnte umspannt die Karriere der Vettern Frederic Dannay (alias Daniel Nathan, 1905-1982) und Manfred Bennington Lee (alias Manford Lepofsky, 1905-1971), die 1928 im Rahmen eines Wettbewerbs mit „The Roman Hat Mystery“ als Kriminalroman-Autoren debütierten. Dieses war auch das erste Abenteuer des Gentleman-Ermittlers Ellery Queen, dem noch 25 weitere folgen sollten.

Dabei half die Fähigkeit, die Leserschaft mit den damals beliebten, möglichst vertrackten Kriminalplots angenehm zu verwirren. Ein Schlüssel zum Erfolg war aber auch das Pseudonym. Ursprünglich hatten es Dannay und Lee erfunden, weil dies eine Bedingung des besagten Wettbewerbs war. Ohne Absicht hatten sie damit den Stein der Weisen gefunden: Das Publikum verinnerlichte sogleich die scheinbare Identität des „realen“ Schriftstellers Ellery Queen mit dem Amateur-Detektiv Ellery Queen, der sich wiederum seinen Lebensunterhalt als Autor von Kriminalromanen verdient!

In den späteren Jahren verbarg das Markenzeichen Queen zudem, dass hinter den Kulissen zunehmend andere Verfasser tätig wurden. Lee wurde Anfang der 1960er Jahre schwer krank und litt an einer Schreibblockade, Dannay gingen allmählich die Ideen aus, während die Leser nach neuen Abenteuern verlangten. Daher wurden viele der neuen Romane unter der mehr oder weniger straffen Aufsicht der Cousins von Ghostwritern geschrieben.

Wer sich über Ellery Queen – den (fiktiven) Detektiv wie das (reale) Autoren-Duo – informieren möchte, stößt im Internet auf eine wahre Flut einschlägiger Websites, die ihrerseits eindrucksvoll vom Status dieses Krimihelden künden. Vielleicht die schönste findet sich unter [neptune.spaceports.com./~queen]http://neptune.spaceports.com/~queen Eine Fundgrube für alle möglichen und unmöglichen Queenarien.

|Taschenbuch: 301 Seiten
Originaltitel: Double, Double! (New York : Little, Brown, and Company 1950)
Deutsche Erstausgabe (unter dem Titel „Wer ist der Nächste?“): 1953 (Scherz Verlag/Die schwarzen Kriminalromane Nr. 55)
Übersetzung: Lola Humm-Sernau, 191 Seiten, [keine ISBN]
Neuausgabe: 1999 (DuMont Verlag/DuMonts Kriminalbibliothek Bd. 1085)
Übersetzung: Monika Schurr
ISBN-13: 978-3832148478|
[www.dumontverlag.de]http://www.dumontverlag.de

_Ellery Queen bei |Buchwurm.info|:_
[„Chinesische Mandarinen“ 222
[„Der nackte Tod“ 362
[„Drachenzähne“ 833
[„Das Geheimnis der weißen Schuhe“ 1921
[„Die siamesischen Zwillinge“ 3352
[„Der verschwundene Revolver“ 4712
[„Der Giftbecher“ 4888
[„Das Haus auf halber Strecke“ 5899

Mark Twain – Tom Sawyers Abenteuer

Die Handlung:

Tom Sawyer, der Archetyp des Lausbuben, erzählt dem Leser seine Erlebnisse. Er bringt andere Jungs dazu, für ihn einen Zaun zu streichen und in der Sonntagsschule erschummelt er sich eine neue Bibel. Als er und sein Freund Huckleberry Finn auf dem Friedhof aber Zeuge eines Mordes durch Indianer-Joe werden, schwören die beiden, nie etwas über das Gesehene zu verraten und fliehen auf eine Insel, um fortan als Piraten zu leben.

Und das war erst der Anfang der Abenteuer von und mit Tom Sawyer. Es geht spannend weiter und am Ende wartet sogar noch ein echter Schatz und ein Showdown mit Indianer-Joe …

Mein Eindruck:

So sollte ein Abenteuerroman sein. Spannend, lustig, ohne großartige und meist langweilige Beschreibungen von Dingen, die Abenteuer-Fans eh nicht interessieren. Hier wird in kurzen Kapiteln episodisch auf die Abenteuer von Tom Sawyer geblickt, in dem sich jeder Junge und Junggebliebene entweder selber wiedererkennt oder sich gern wiedererkennen würde, weil er Tom einfach für sein unbeschwertes Leben beneidet.

Fängt das Buch noch als eine Art Kurzgeschichtensammlung an, die man ohne Probleme auch in nicht-chronologischer Reihenfolge lesen könnte, da die Ereignisse unabhängig voneinander sind, so ändert sich das nach dem Erlebnis auf dem Friedhof. Ab jetzt gibt es einen roten Faden, der sich um Indianer-Joe wickelt, der am Ende auch das bekommt, was der Leser ihm schon lange wünscht.

Die Sprache, in der das Buch geschrieben ist, ist flüssig zu lesen, da sie erfrischend einfach gehalten ist. So, wie ein Junge im 19. Jahrhundert am Mississippi eben geredet hat. Und da stört auch der heute als politisch nicht korrekt betrachtete „Neger“ nicht, denn so nannte man Afro-Amerikaner zu der Zeit halt. Auch werden sie weder herablassend noch sonst wie anders beschrieben als alle anderen Akteure des Buches.

Die Rechtschreibung

Der Verlag hat sich zwar die Mühe gemacht und stellt ans Ende des Romans ein längeres Nachwort von Rudolf Beck und eine interessante Zeittafel zu Leben und Werk von Mark Twain, übernimmt aber leider nicht die Neue Rechtschreibung. Das wirkt gerade für jüngere Leser sicher irritierend, besonders bei den Klassikern wie dem „daß“.

Mein Fazit:

Ein absolut zu empfehlender Klassiker, der zeitlos immer wieder aus dem Bücherregal geholt werden kann und junge und junggebliebene Leser gleichermaßen anspricht.

Taschenbuch: 304 Seiten
Originaltitel: The Adventures of Tom Sawyer (1876)
Aus dem Amerikanischen von Lore Krüger (2005)
ISBN-13: 978-3423138833
www.dtv.de

Dieses Buch gehört zur Reihe „Klassiker der Abenteuerliteratur“ von dtv:

Daniel Defoe: [„Robinson Crusoe“
Jules Verne: [„Reise zum Mittelpunkt der Erde“
Robert L. Stevenson: „Die Schatzinsel“ (August 2010)
Karl May: „Der Schatz im Silbersee“ (September 2010)
Jack London: „Lockruf des Goldes“ (Oktober 2010)

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Fairchild, Melissa – Himmelsauge (Die Geheimnisse des Brückenorakels 01)

_Die Geheimnisse des Brückenorakels:_

Band 1: _Himmelsauge_

Gedächtnisverlust ist keine schöne Sache. Doch wenn man im Krankenhaus erwacht, keine Erinnerung mehr hat und feststellen muss, dass man noch nicht mal aus dieser Welt kommt – das ist schon ein harter Brocken! Genau das passiert einem Jungen namens Avi in Melissa Fairchilds Roman „Himmelsauge“, dem ersten Band der Reihe „Die Geheimnisse des Brückenorakels“.

_Als Avi im_ Krankenbett aufwacht, ist er verwirrt. Er hat keine Ahnung, wieso er hier liegt, von Kopf bis Fuß eingegipst. Er hat überhaupt keine Erinnerung mehr an das, was davor passiert ist. Sein gesamtes Gedächtnis ist ausgelöscht. Hinzu kommt, dass er den Unfall, den er hatte – er ist vor eine Londoner U-Bahn gesprungen – eigentlich gar nicht hätte überleben dürfen.

Avi kann sich keinen Reim darauf machen, wieso er sich vor den Zug geworfen hat und wieso er noch lebt. Eines Nachts bekommt er Besuch von einem buckligen Alten, der ihn dazu überreden will, aus dem Krankenhaus zu fliehen. Anschließend wird er von einem Typen namens Kellen verfolgt, der ihn töten will und blaue Flammen nach ihm werfen kann. Er merkt, dass so einiges nicht stimmt in seinem Leben. Auf der Flucht trifft er Durin und Roosevelt, zwei Wächter, von denen er erfährt, dass er der Sohn der Königin des Feenreiches ist. Zusammen mit dem Menschenmädchen Hannah begibt er sich in die Feenwelt, aus der er eigentlich stammt, denn dies scheint der einzige Weg zu sein, um Kellen gegenüber zu treten und ihn zu vernichten …

_Melissa Fairchilds Fantasyroman_ für Jugendliche ist nett erzählt, nett ausgedacht und nett gemacht, doch wirklich originell ist „Himmelsauge“ nicht. Menschen, die zwischen Welten wandern können, magische Wesen im gegenwärtigen London, Feen, Elfen und Goblins – vieles, was in der Geschichte vorkommt, war in dieser Form schon in vielen anderen Büchern vertreten. Es gibt Autoren, die solche Elemente nehmen und so in ihre Geschichte einbauen können, dass sie neue Facetten bekommen oder auf Grund des Kontextes sehr originell wirken. Fairchild gelingt dies nicht. Die Kulisse entwickelt nur wenig Zauber, da sie einem zu bekannt vorkommt.

Die Handlung an und für sich ist in Ordnung. Sie ist gut aufgebaut, aber auch ihr mangelt es an neuen, spritzigen Ideen oder überraschenden Wendungen. Es ist eine nette Abenteuergeschichte mit nicht besonders viel Action, ein paar politischen Verwicklungen und Verrätern, doch nur selten wirkt Avis Lage aussichtslos. Richtig spannend wird es selten. Dabei wäre Avis Gedächtnisschwäche an und für sich ein guter Aufhänger für brenzlige Situationen gewesen, doch Fairchild kehrt die Amnesie selten in den Vordergrund. Im Gegenteil vergisst man ziemlich schnell, dass Avi überhaupt jemals einen Unfall hatte.

Das könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass Fairchilds Charaktere den Leser auf Abstand halten. Es fällt schwer, Zugang zu Avi zu finden. Seine Gedanken und Gefühle finden zwar Eingang in die Geschichte, wirken aber häufig oberflächlich. Er wirkt meistens wie ein ganz normaler Junge und nicht wie ein magisches Wesen aus einer anderen Welt, das sein Gedächtnis verloren hat und auf der Flucht vor einem flammenwerfenden Goblin ist. Der fehlende Tiefgang macht sich auch bei Hannah bemerkbar, die Avi bei seiner Reise in die andere Welt hilft. Zwischen beiden entspinnt sich eine Liebesgeschichte, die aber nur wenig Platz im Buch einnimmt. Hannah wird zwar als Punkerin beschrieben, doch das Rebellische in ihr kommt nie richtig zum Vorschein. So wie den anderen Charakteren auch fehlt es ihr an echten Ecken und Kanten, obwohl die Kategorisierung als Punkerin das eigentlich hätte einfacher machen sollen. Einen Lichtblick gibt es allerdings: die Elfe Brucie. Sie ist launisch, besserwisserisch, humorvoll und ein bisschen chaotisch und ihre Auftritte sind immer wieder ein Höhepunkt.

_“Himmelsauge“ von Melissa_ Fairchild ist der Auftakt der Reihe „Die Geheimnisse des Brückenorakels“, doch wirklich Lust auf mehr macht das Buch nicht. Die Geschichte ist nicht gerade mitreißend, die Ideen nicht besonders originell.

|Gebunden: 382 Seiten
Aus dem Englischen von Karin Dufner
ISBN-13: 978-3426283127|
http://www.pan-verlag.de