Douglas, Tania – Ballonfahrerin des Königs, Die

_Inhalt_

Marie-Provence de Serdaine entstammt einer adligen, königstreuen französischen Familie. Was zu anderen Zeiten sicherlich ein Grund zur Freude gewesen wäre, ist im Paris des Revolutionsjahres 1795 ein Grund, um seinen Kopf zu fürchten.

Marie-Provence nimmt einen anderen Namen an und schafft es durch einige Kunstgriffe, als Hilfskraft bei einem Arzt angestellt zu werden. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass sie tatsächlich etwas verdient – Geld, das sie und ihre versteckten Leidensgenossen gut gebrauchen können: Marie ist nicht die einzige Adlige, die im Verborgenen überlebt hat.

Tatsächlich kommt es der mutigen jungen Frau auf etwas ganz anderes an. Ihre Mutter – inzwischen auf der Guillotine gestorben – hatte sie in glücklicheren Jahren oft mit nach Versailles genommen, wo sie eine besondere Bindung zum Dauphin, zum kleinen Thronfolger, hatte aufbauen können. Der Sohn des enthaupteten Königspaares wird nun unter schmählichen Bedingungen gefangen gehalten, und Marie-Provence, die ihn einst zu beschützen versprach, will einen Weg finden, ihn zu befreien.

Sie war sich der Gefährlichkeit ihres Plans vorher bewusst, doch den Strudel der Ereignisse, in den sie als Arztassistentin hineingerissen wird, hätte sie unmöglich vorhersehen können. Vor allem hätte sie ganz sicher nicht damit gerechnet, ihr Herz zu verlieren – noch dazu an einen Bürgerlichen. Fakt aber ist, dass sie André, dem Tapetenhändler und Ballonfahrer aus Leidenschaft, vollkommen verfällt, ohne jedoch dabei ihr eigentliches Ziel aus den Augen zu verlieren. Es geht darum, einen Jungen zu retten, das ihr am Herzen liegt! Das jedenfalls sagt sie sich, doch die Kreise, die sie unterstützen, sehen im Königssohn nicht das verängstigte Kind, das er ist, sondern den neuen Feldherrn und König. Marie-Provence weiß, dass das absurd ist, und doch muss der kranke Junge dringend aus dem Kerker geholt werden, sonst stirbt er bald. Die junge Frau weiß, dass sie dafür Andrés Hilfe benötigt – und seinen Ballon. Genauso gut weiß sie, dass sie beides aus freien Stücken nie bekäme, und so schmiedet sie einen Plan, der ihre Liebe und den Mann ihrer Träume zu Gunsten eines Kindes verrät …

_Kritik_

Tania Douglas hat sich die Gerüchte, die sich Jahrhunderte lang um das Schicksal des Dauphin rankten, zunutze gemacht und ihre eigene Interpretation geschrieben. Sie verpackt diese Geschichte in die Bilder, die schon viele Menschen faszinierten: Die Bilder des blutigen Terrors auf Frankreichs Straßen, der Hysterie um die Guillotine, des Wahnsinns des immer wiederkehrenden Umsturzes.

Die Beschreibungen des Ballons – von der Herstellung über die Wartung und den Flug bis zur Verwendung für militärische Zwecke – scheinen sorgfältig recherchiert und sind interessant zu lesen.

Allerdings sind mir persönlich ein paar Dinge zu reißerisch dargestellt. Da wäre beispielsweise eine Rettung in letzter Sekunde vor der Guillotine, mit schreiendem Volk und Umfallen-nach-Schlag-ins-Gesicht und allem Drum und Dran – das wäre nicht unbedingt nötig gewesen. Das erinnert eher an das, was italienische Filmemacher der 50er Jahre aus einem Roman machen würden, als an einen Roman an sich.

Und der Kernpunkt der Geschichte – die Befreiung des Thronfolgers von Frankreich mittels Ballon – verlangt mir zu viel Phantasie ab. Vielleicht wurde man als Leser so behutsam wie möglich an diesen Punkt herangeführt, aber holprig war der Weg trotzdem. Es gab einfach viel zu viele wahnsinnige Zufälle dafür, als dass das Ganze als machbar durchgehen könnte.

_Fazit_

Tania Douglas hat einen zugegebenermaßen spannenden und unterhaltsamen Roman geschrieben, der mir aber nicht gefallen hat. Superlativ jagt hier Superlativ, und das ist einfach zu viel. Das schmale Korsett des Buches (einengend wie das an Marie-Provences Abendkleid aus adligen Tagen) ist kaum imstande, all die Handlung einzuschnüren, und so quillt sie an allen Ecken und Enden hervor. Und der Stil ist all dem so angemessen und glatt, dass er mich nicht mit schönen Außergewöhnlichkeiten über diesen Wust aus Geschehnissen hinwegtröstet.

Die Auseinandersetzung mit den Umbrüchen im Frankreich der Revolution habe ich in „Désirée“ von Annemarie Selinko und der „Joséphine“-Trilogie von Sandra Gulland schon schöner gelesen. Wer allerdings jede Menge Action mag und dringend etwas über die Anfänge der Ballonfahrt wissen möchte, der sollte sich an „Die Ballonfahrerin des Königs“ halten.

|Broschiert: 584 Seiten
ISBN-13: 978-3499252525|
http://www.rowohlt.de
http://www.taniadouglas.com

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[„Tanz der Wasserläufer“ 4047

Higgins Clark, Mary – Denn niemand hört dein Rufen

_Inhalt_

Emily Wallace ist aufgeregt: Sie darf tatsächlich die Anklage im Fall von Gregg Aldrich führen, der seine Ehefrau, die berühmte Schauspielerin Natalie Raines, erschossen haben soll. Die junge Frau wirft sich mit aller Kraft in die Arbeit: Noch ist sie Assistenzstaatsanwältin, aber wenn sie jetzt alles richtig macht, dann steht ihrer Karriere ein kräftiger Schub bevor.

Sie hat keinen Zweifel an der Schuld des Angeklagten. Er stand schon immer unter Verdacht, mit Natalies Tod etwas zu tun zu haben, die sich zum Zeitpunkt ihres Todes von ihm hatte scheiden lassen wollen. Doch man hat ihm nie etwas beweisen können, bis sich jetzt plötzlich, drei Jahre später, ein Zeuge gefunden hat. Kein besonders Vertrauen erweckender Zeuge, zugegeben, aber er hat eine unwiderlegbare Geschichte, die den Angeklagten schwer belastet.

Emily feilt an ihren Verhören und Plädoyers, und es läuft gut für die Juristin, bis der Angeklagte selbst zu Wort kommt. Dann zeigen sich Risse in der glatten Fassade: Kann Emily tatsächlich noch aus ganzem Herzen an die Schuld des Mannes glauben? Widerstrebend gesteht sie sich ein, dass eventuell doch mehr hinter dem Tod der Schauspielerin steckt als Eifersucht – tatsächlich hat sie das Gefühl, dass sich im Dunkeln eine ganz andere Geschichte verbirgt, düsterer, weniger alltäglich, mit Wurzeln, die tief in der Vergangenheit stecken.

Das unheimliche Gefühl, das sie die ganze Zeit über begleitet, stammt allerdings nicht allein von dem Fall her, der ihr über den Kopf zu wachsen droht: Auch in ihrer unmittelbaren Nähe bereitet sich eine Katastrophe vor, die sie keinesfalls kommen sehen kann.

Um Emily zieht sich ein unsichtbares Netz zusammen, und unversehens findet sich die Jägerin in der Rolle der Gejagten wieder …

_Kritik_

Mary Higgins Clark hat zuverlässig einen weiteren unheimlich spannenden Thriller abgeliefert. Trotz verschiedener Perspektiven wird genug Raum für Zweifel jeglicher Art gelassen, und die einzelnen Personen gehen dem Leser jeweils auf ganz eigene Art und Weise ans Herz, genauso, wie die Einblicke in das kranke Gemüt eines Psychopathen unmittelbares Gruseln auslösen.

Clark schreibt stilistisch nicht bombastisch, aber rund und flüssig: Ihre Wortwahl lässt den Leser schnell über die kurzen Kapitel hinweg fliegen, und das ist bei ihrer Art von Buch das einzig Richtige. Schlangensätzen oder komplizierten Konstruktionen kann zwar eine ganz eigene Schönheit innewohnen, aber deren müßige Betrachtung würde bei der atemlosen Spannung, die Clark aufbaut, doch nur hinderlich wirken. Die schnellen Szenenwechsel erhöhen das Erzähltempo und lassen den Leser mit befriedigender Geschwindigkeit auf den Knalleffekt am Ende zu sausen.

Die Charaktere, die diese Autorin erschafft, sind auch in diesem Roman von hoher Glaubwürdigkeit, sowohl mit ihren guten Seiten als auch mit ihren bösen. Und doch kann es immer wieder zur Überraschung kommen, wenn plötzlich eine Maske fällt und sich das Böse in einer vollkommen neuen Form zeigt.

Auch die Art, wie sich zwei Pflanzen des Verbrechens unbemerkt aufeinander zu entwickeln, ohne die jeweils andere wahrzunehmen, bis sich letztendlich ihre Zweige ineinander verstricken, ist wunderschön subtil gelöst.

_Fazit_

Die Lady of Crime hat diesem ihrem Ehrentitel einmal mehr alle Ehre gemacht. „Denn niemand hört dein Rufen“ jagt dem geneigten Leser nicht nur einen Schauer über den Rücken. Man schwankt auch dauernd in seiner Parteinahme und verdächtigt mal diesen und mal jenen.

Mary Higgins Clark gehört zu Recht zu den erfolgreichsten Thrillerautorinnen unserer Tage; es kommt einfach nicht vor, dass eines ihrer Bücher öde, langweilig oder vorhersehbar ist. Auch wird die Vorstellungskraft der Leser nicht überstrapaziert; eher ist es so, dass der jeweilige Fall aus einem Blickwinkel beleuchtet wird, der für alle ersichtlich ist. Dass diese einfachste Lösung aber selten die Richtige ist und sich in den Schatten noch ganz andere Tatsachen verbergen, wird Schritt für Schritt aufgezeigt, und wie sich das Bild dann wandelt, ist immer wieder ein hübsch anzusehender Zaubertrick.

Wenn Sie Thriller mögen, kommen Sie an Mary Higgins Clark nicht vorbei. Vielleicht explodiert hier nicht andauernd etwas, aber das tut der Spannung keinen Abbruch.

|Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
Originaltitel: Just Take My Heart
aus dem Amerikanischen von Andreas Gressmann und Karl Heinz Ebnet
ISBN-13: 978-3453266070|
http://www.randomhouse.de/heyne
http://www.maryhigginsclark.com

_Mehr von Mary Higgins Clark auf |Buchwurm.info|:_

[„Und hinter dir die Finsternis“ 4283
[„Requiem für einen Mörder“ 3108
[„Nimm dich in acht“ 2042
[„Mein ist die Stunde der Nacht“ 1981
[„Hab Acht auf meine Schritte“ 1799
[„Denn vergeben wird dir nie“ 378

Asquith, Cynthia (Hg.) – Schrecksekunden. Aus dem Geisterkabinett der Lady Cynthia Asquith

17 Kurzgeschichten sollen eine Momentaufnahme der ‚modernen‘ Phantastik darstellen, wie sie 1952 gesehen wurde:

|Elizabeth Bowen: Vorwort|, S. 7-10

|Rosemary Timberley: Weihnachtliches Zusammentreffen| („Christmas Meeting“), S. 11-14: An besagtem Feiertag trifft eine Frau einen Geist – oder war es umgekehrt …?

|L. A. G. Strong: Danse Macabre| („Danse Macabre“), S. 15-21: Nach dieser Ballnacht an der Seite einer unirdisch schönen Frau entsagt Lebemann Flanagan schlagartig allen Ausschweifungen …

|G. W. Stonier: Aus den Erinnerungen eines Geistes| („The Memoirs of a Ghost“), S. 22-26: Nach dem Tod wird das Leben nicht unbedingt besser, wie uns diese frustrierte Spukgestalt erläutert …

|Nancy Spain: Die Verwirrung der Schlange McKoy| („The Bewilderment of Snake McKoy“), S. 27-40: In seinem Haus lernt der Schriftsteller eine Mieterin kennen, die schon lange auf die Möglichkeit zum Beginn eines neuen Lebens wartet …

|V. S. Pritchett: Don Juans seltsamstes Abenteuer| („A Story of Don Juan“), S. 41-46: Der große Liebhaber wird in eine gespenstische Falle gelockt, wofür er sich auf die ihm eigene Art rächt …

|Walter de la Mare: Schutzgeist| („The Guardian“), S. 47-61: Einem Nachtmahr entspringt eine zarte aber tragische Liebesgeschichte …

|Rose Macaulay: Die Rehabilitierung des Tiberius| („Whitewash“), S. 62-67: Ein römischer Kaiser frönt auch 2000 Jahre nach seinem Tod perversen Spielchen …

|C. H. B. Kitchin: Die Chelsea-Katze| („The Chelsea Cat“), S. 68-89: Es gibt einen guten Grund, wieso Sammler Mallowbourne die erworbene Porzellankatze buchstäblich wie die Pest zu hassen beginnt …

|L. P. Hartley: W. S.| („W. S.“), S. 90-101: Autor Streeter erhält böse Briefe von einem ebensolchen Leser, und aus den Absendern wird deutlich, dass dieser ihm unaufhörlich näher kommt …

|Mary Flitt: Das Amethystkreuz| („The Amethyst Cross“), S. 102-127: Im einsamen Haus am Moor lebt eine alte Gewalttat um Mitternacht bedrohlich wieder auf …

|Eleanor Farjeon: Spooner| („Spooner“), S. 128-140: Wenig hilfreich ist es, wenn nur die Katze weiß, was den alten Freund nach seinem Tod so unruhig umgehen lässt …

|Evelyn Fabyan: Fliegerangriff bei Nacht| („Bombers‘ Night“), S. 141-152: Die tote Gattin kehrt zurück und fordert die am Traualtar geschworene ewige Liebe ein …

|John Connell: Zurück an den Anfang| („Back to the Beginning“), S. 153-160: Auch für einen modernen Teufelspakt muss der Preis schließlich gezahlt werden …

|Collin Brooks: Eigentum bei Fertigstellung| („Possession on Completion“), S. 161-172: Wenn erst ein Gespenst ein Haus heimisch wirken lässt, kann man notfalls eines erschaffen …

|Elizabeth Bowen: Die Hand im Handschuh| („Hand in Glove“), S. 173-185: Die hartherzige Nichte hätte die Kleidertruhe der wunderlichen Tante nicht gar so heftig plündern sollen, denn diese hat dort eine garstige Überraschung hinterlassen …

|Eileen Bigland: Eine ätherische Erscheinung| („The Lass with the Delicat Air“), S. 186-202: Ein hässliches Eifersuchtsdrama nimmt viele Jahre nach dem Tod der Opfer ein versöhnliches Ende …

|Cynthia Asquith: Ein Grab zu wenig| („One Grave Too Few“), S. 203-219: Das neue Haus hat einen alten Makel: Schwangere Bewohnerinnen werden hier nie alt …

_Eine Bestandsaufnahme zeitgenössischen Horrors_

Die Phantastik unterliegt wie alle literarischen Genres bestimmten Moden, die wiederum an gesellschaftliche Entwicklungen gekoppelt sind. Der frühe Grusel gab sich deshalb gern moralisch; Attacken aus dem Jenseits wurden als ‚gerechte‘ Strafen für Verfehlungen im Hier & Jetzt liebevoll ausgemalt, auf dass die Leser daraus (hoffentlich) lernten, sich an Gesetze und Regeln zu halten.

Spätestens der I. Weltkrieg brachte ein Ende solcher Bigotterie; sie starb zwar nicht aus, aber sie wirkte antiquiert in einer Zeit, die ganz andere Quellen des Schreckens offenbart hatte. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstand außerdem die Wissenschaft der Psychologie, die sich trotz ihrer Fehler und Anfeindungen behaupten konnte. Die Erforschung des menschlichen Hirns, seiner Funktionen und – für die Phantastik von besonderem Interesse – seiner Fehlfunktionen versetzte der Phantastik einen Energiestoß: Der Schrecken, den bisher pittoreske Gestalten aus dem Totenreich verbreitet hatten, kam nunmehr auf dem Umweg über besagtes Hirn in diese Welt – wenn er nicht sogar ausschließlich dort seinen Ursprung hatte!

Der II. Weltkrieg brachte die Gewissheit, dass der Mensch grundsätzlich keine Gespenster, Vampire oder Werwölfe benötigt, um sich das Leben zur Hölle zu machen; er schafft dies sehr gut allein. Die Geistergeschichte passte sich auch dem an. Sie kappte ihre Wurzeln nicht, aber sie gedieh sehr gut auch im modernen Alltag. Mit „The Second Ghost Book“ wollte (Lady) Cynthia Asquith (1887-1960), selbst Autorin und eine profunde Kennerin der Phantastik, diesen Wandel 1952 belegen. Sie sammelte 20 aktuelle Kurzgeschichten, die den Status der ’neuen‘ Geistergeschichte dokumentieren sollten. Ihr diese Aufgabe zu übertragen, lag nahe, denn Lady Cynthia hatte 1927 herausragende Exempel der klassischen „ghost story“ zu einem ersten „Ghost Book“ zusammengestellt.

_Eine durchwachsene Grusel-Mischung_

Das neue Projekt wurde schon von zeitgenössischen Kritikern nicht durchweg für gelungen gehalten. (Erfolgreich war es allerdings; Lady Cynthia edierte vor ihrem Tod noch ein drittes „Ghost Book“, dann übernahmen andere Herausgeber und führten die Reihe bis 1977 fort; sie umfasst insgesamt – das ist kein Scherz – 13 Bände.) Dafür ist zum einen die schwankende Qualität der aufgenommenen Erzählungen verantwortlich. Die meisten Storys lesen sich unterhaltsam, aber herausragend sind nur wenige. Fatalerweise sind zum anderen viele Geschichten, die sich ausdrücklich ‚modern‘ geben, reichlich misslungen, d. h. langweilig.

Rose Macaulay (1881-1958) setzt auf die Wirkung einer Idee, die nicht so originell ist, wie sie wohl dachte. Walter de la Mare (1873-1956), ein Großmeister der hintergründigen Phantastik, liefert ein ebenso prätentiöses wie lahmes Mini-Drama ab, das bereits die meisten Erstleser nicht berührte, sondern ratlos zurückließ; was sonst von der Literaturkritik gern damit begründet wird, dass besagte Leser dem Künstler intellektuell nicht gewachsen sind, kann hier beim besten Willen nicht geltend gemacht werden. Eleanor Farjeon (1881-1965) stellt mit einer Tiergeister-Mär unter Beweis, wie schlüpfrig der schmale Grat zwischen Rührung und Rührseligkeit ist. Eileen Bigland (1898-1970) und Evelyn Fabyan schlagen (oder stürzen) mit ihren durch den Tod nicht beendeten Liebesdramen in dieselbe Kerbe. Was ‚moderner‘ Grusel sein kann, vermag Collin Brooks (1893-1959) deutlich zu machen. Seine Geschichte vom Jedermann, der dem Wahnsinn verfällt, ist stringent durchkomponiert und verfehlt ihre Wirkung nicht.

Gern endet die ‚moderne‘ Geistergeschichte offen. Der Leser muss sich zusammenreimen, was geschehen ist oder geschehen sein könnte. Nancy Spain (1917-1964) und Leslie Poles Hartley (1895-1972) setzen auf diese Form, doch am besten und gewiss nicht beabsichtigt gelingt ihnen der Beweis, dass man diesen Trick beherrschen muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Wie man es besser macht, zeigt Rosemary Timberley (1920-1988) in ihrer nur dreiseitigen Kurzgeschichte.

Interessanterweise wirken vor allem jene Storys gelungen, die sich an die klassischen Vorgaben halten. Clifford Henry Benn Kitchin (1895-1967), Leonard Alfred George Strong (1896-1958) oder Cynthia Asquith selbst legen Geschichten vor, die sehr gut ins erste „Ghost Book“ gepasst hätten. Die ‚alte‘ Geistergeschichte fasziniert offensichtlich trotz ihrer antiquierten Formen zuverlässiger als die betont gegenwärtige Phantastik – und so ist es geblieben, denn die erwähnten Erzählungen stechen auch im 21. Jahrhundert noch positiv hervor. Auch hier kommt es freilich auf das individuelle Talent an: Die an sich sehr stimmungsvolle Gruselmär von Mary Flitt leidet unter ihren Abschweifungen und einem unnötigen Perspektivensprung, der die Unmittelbarkeit des Geschehens negiert.

_Geister können komisch sein_

Schrecken und Humor scheinen einander auf den ersten Blick auszuschließen. Doch das „befreiende Gelächter“ gehört zur Geistergeschichte, die ihre Wirkung durch wohl dosierten Witz erstaunlich erhöhen kann. George Walter Stonier (1903-1985) amüsiert mit dem ungewöhnlichen Blick eines ‚Insiders‘ auf das Jenseits, das hier ebenso schrecklich wie vergnüglich prosaisch erscheint. Victor Sawdon Pritchett (1900-1997) parodiert die klassische Don-Juan-Sage; er bewahrt ihren Duktus und verschneidet sie geschickt mit einer durchaus klassischen Geisterstory, die einen für alle Beteiligten ungewöhnlichen Verlauf nimmt. John Connell interpretiert die alte Geschichte vom Pakt mit dem Teufel formal wie stilistisch nicht nur sehr zeitgemäß, sondern befleißigt sich dabei eines trockenen und sardonischen Humors. Elizabeth Bowen (1899-1973) erzählt eine Geistergeschichte, deren Auflösung wenig schlüssig erscheint. Der Reiz des Erzählten beruht auf einem hinterlistigen Unterton, der das Geschehen wirkungsvoll konterkariert.

Letztendlich erweist sich „Schrecksekunden“ ungeachtet des hehren Anspruchs als Sammlung nur bedingt gelungen. Nach mehr als einem halben Jahrhundert müssen und können die Geschichten für sich selbst bestehen – oder auch nicht. Anthologien sind stets wie Wundertüten: Der Inhalt kann sowohl überraschen als auch enttäuschen. In diesem Fall überwiegen – knapp – die erfreulichen Entdeckungen.

PS: Von wegen „ungekürzte Ausgabe“, wie im Impressum behauptet wird! Es fehlen in der deutschen Fassung drei Storys der Originalausgabe: „Autumn Cricket” (von Lord Dunsany), „Captain Dalgety Returns“ (von Laurence Whistler) und „The Restless Rest-house“ (von Jonathan Curling).

_Impressum_

Originaltitel: The Second Ghost Book (London : J. M. Barrie 1952) bzw. A Book of Modern Ghosts (New York : Charles Scribner’s Sons 1953)
Übersetzung: Jeannie Ebner
Dt. Erstausgabe: April 1973 (Fischer Verlag/TB Nr. 1348)
219 Seiten
ISBN-13: 978-3-596-21348-1
http://www.fischerverlage.de

Nassise, Joseph – Schattenseher, Der (Die Hunt-Chroniken 1)

_Kurzinfo_

|»Mein Name ist Hunt, Jeremiah Hunt. Seit meine kleine Tochter verschwunden ist, bin ich auf der Suche nach ihr. Die Polizei hat ihre Ermittlungen längst eingestellt. Aber ich werde niemals aufgeben. Und ich bin bereit, alles zu tun!«

Wer ihm auf der Straße begegnet, hält Jeremiah Hunt für einen Blinden. Doch dieser Eindruck trügt: Er hat bei einem geheimen Ritual zwar sein normales Augenlicht verloren, doch nun kann er sehen, was den Menschen verborgen bleibt: die Geister der Toten, die sich noch nicht von den Lebenden trennen können, die Hexen und magischen Geschöpfe, die unerkannt unter uns leben.

Endlich findet Hunt so auch eine Spur, die ihn vielleicht zu seiner Tochter führen wird – oder in den Tod …| (Verlagsinfo)

_Vorbemerkungen_

Das Wesentliche bleibt dem Auge oft verborgen: Wie oft verspürt man im Leben ein Gefühl von Kälte und Beklommenheit, ein Gefühl des Beobachtetwerdens, und vermag doch niemanden zu sehen? Besonders geeignet sind für solche Momente die stillen Plätze für solche unheimlichen Gefühle, der eigene Keller oder Dachboden, die Stille im Park oder im Wald oder die atmosphärisch dichte, unheimliche Aura eines Friedhofes.

Gibt es eine andere Dimension die wir mit unseren sechs Sinnen nicht wahrnehmen können und die praktisch neben uns existiert? Zählen Geister, Gespenster und andere Schattenwesen zu unseren Nachbarn und können uns direkt oder indirekt beeinflussen? Ist dort die Vorstufe zum Himmel oder zur Hölle? Gibt eine Möglichkeit für uns Sterbliche, diese Welt zu betreten oder wenigstens zu sehen? Die Gefahr besteht, dass uns ein Blick hinter diesen Vorhang mehr als nur den Schlaf rauben könnte …

Im |PAN|-Verlag ist das neueste Buch von Joseph Nassise erschienen: „Die Hunt-Chroniken – Der Schattenseher“. Der vorliegende Roman wird ist der vielversprechende Auftakt zu einer Buchreihe um den „Geisterseher“ Jeremiah Hunt.

_Inhalt_

Jeremiah Hunt ist fast blind, aber nicht von Geburt an mit diesem Handicap aufgewachsen: Bei einen alten Ritual hat er sein Augenlicht für die Gabe geopfert, Gespenster, Dämonen und die Geister der Verstorbenen sehen zu können. Manchmal ist dies für den ehemaligen Professor Fluch wie auch Segen.

Vor fünf Jahren verschwand seine Tochter Elizabeth spurlos aus dem Haus, und Hunt gibt sich selbst die Schuld daran, da er zwar daheim, aber in seine Arbeit vertieft war und seine Tochter nicht schützen konnte. Verzweifelt konzentriert sich Hunt darauf, seine Tochter zu finden; seine Ehe und sein Beruf bedeuten ihm nicht mehr viel, und er droht an seiner Schuld zu zerbrechen.

Hunts Hoffnungen, seine Tochter lebend zu finden, schwinden zusehends; er sucht Magier, Wahrsager und manch anderen obskuren Weg, bis ein geheimnisvoller Mann von einer neuen Möglichkeit spricht. Durch ein magisches Ritual verliert Hunt sein Augenlicht, doch erhält er im Gegenzug die Gabe, die Geister der Toten und andere Wesen zu sehen. Die alptraumhaften Wesen und Monster aus Märchen, Legenden und Filmen werden zur morbiden Realität und drohen ihm anfangs den Verstand zu rauben.

Hunt entwickelt seine Gabe weiter und wird zum inoffiziellen „Geisterjäger“ und Spezialisten für übernatürliche Phänomenen. Neben privaten Aufträgen, die er natürlich gegen Bezahlung annimmt, hilft er ebenso den örtlichen Polizeibehörden. Ihm zur Seite stehen die zwei Geister „Scream“ und „Whisper“, die ihn schützen oder ihm auch bei Bedarf helfen. Warum, das bleibt Hunt allerdings verborgen.

Als Hunt von der Polizei gebeten wird, sich einen Tatort „anzusehen“, wird ihm sehr schnell klar, dass der Mörder kein Mensch gewesen sein kann und dieser willkürlich Spuren hinterlässt, die nur Hunt deuten kann – eine Falle oder ein Hinweis auf das Verschwinden seiner Tochter?

Nach weiteren Morden und mysteriösen Spuren bleibt Hunt nichts anderes übrig als sich mit der Hexe Denise Clearwater anzufreunden, denn diese Morde verlangen seine ganze Aufmerksamkeit, wenn er am Leben bleiben will …

_Kritik_

„Der Schattenseher“ ist ein sehr spannender und packender paranormaler Thriller mit hohem Unterhaltungswert. Joseph Nassises Stil ist tempo- und abwechslungsreich, so dass es keine erzählerischen Klippen gibt, an denen sich die Geschichte lange aufhält. Da der Roman bereits in den ersten Kapiteln zeigt, was auf den Leser zukommt, wird Hunt als Hauptfigur viel Zeit gegeben, seiner Person Form zu verleihen. Aber nicht nur ihm, sondern auch weiteren menschlichen, (un-)toten und übernatürlichen Protagonisten. Hunts Welt ist mit unserer nicht zu vergleichen, denn er sieht und spürt, was uns verborgen bleibt, und das sind nicht nur die Geister der Toten, sondern auch Dämonen, Engel, Hexen und Magier, die unerkannt unter uns leben und versuchen, positiven wie auch negativen Einfluss auf unser Leben zu nehmen – sei es aus purer Boshaftigkeit, aus Zeitvertreib oder weil es einfach ihr Wesen ausmacht.

Der Roman ver- und bezaubert durch die Perspektive Hunts. Seine Welt sieht er mit den Augen eines Toten, und dadurch erschließt sich ihm eine Dimension, die für den Leser faszinierend ist. Gerade die relativ kurzen Kapitel bringen Schwung in die Sache, denn die Rückblenden in die Vergangenheit Hunts und zum Verschwinden seiner Tochter wechseln sich unterhaltsam mit der Gegenwart und ihren Morden ab.

Auch wenn sich alles um Hunt dreht, so sind die Geistwesen so zahlreich und interessant beschrieben, dass sie ihn fast in den Schatten stellen. Die Beschreibungen dieser übernatürlichen Kreaturen wie beispielsweise „Scream“ und „Whisper“ sind nicht nur unterhaltsam, sondern auch stimmig und gekonnt in die Story eingestreut, so dass der Leser schnell feststellen wird, dass hier ein Rädchen in das andere greift.

Denise Clearwater, die taffe und erfahrene Zaunhexe, war schon in „Die Chroniken der Templer“ in einer Nebenrolle zu erleben, nun tritt sie eindeutig neben Hunt in eine offensivere Position, die ihr auch Gelegenheit geben wird, sich zu behaupten.

Viele vom Hintergrund wird bereits im Verlauf der Handlung deutlich und tritt aus dem Schatten heraus ans Licht, doch einige Fragen bleiben offen und bieten die Grundlage für weitere Bände. Doch nicht alle Charaktere wird man in den nächsten Teilen wiedersehen, denn auch wenn es sich um einen ‚magischen‘ Thriller handelt, so wird es auch Verluste unter den Protagonisten geben – wie endgültig dies in einer Geisterwelt ist, wird sich noch zeigen.

Wenn Geister oder überhaupt magische Wesen in einer Geschichte vorkommen, so fragt man sich natürlich schon, wie es sich mit den Grundgedanken zur Religion und zum mythologischen Überbau verhält, aber bislang umgeht der Autor das Thema bewusst. Die Gestalt eines „Gottes“ hat im vorliegenden Roman keinen Platz, auch das Leben nach dem Tod wird metaphysisch nur angerissen, aber nicht erklärt oder mit Theorien zu deuten versucht. Ursprung, Eigenschaften und Persönlichkeiten von Geistern hingegen werden plausibel präsentiert.

_Fazit_

„Die Hunt-Chroniken: Der Schattenseher“ hat mich als Leser absolut überzeugt. Neben einer ‚geistreichen‘ Handlung bietet der Roman viel an Spannung und Abwechslung mit einer ungemein dichten Atmosphäre und interessanten Charakteren, die viel Potenzial für weitere Bände mitbringen.

Als einziger Negativpunkt ist vielleicht anzumerken, dass das Tempo den einen oder anderen Leser überfahren könnte. In jedem Fall wird sich der Leser auf den nächsten Teil freuen, um einen weiteren Blick hinter den Spiegel unserer Realität zu werfen.

Mit „Die Hunt-Chroniken: Der Schattenseher“ hat Joseph Nassise mich in geistreicher Weise überzeugen können. Vielleicht werden Geister und Gespenster die nächsten Trendfiguren der Urban Fantasy.

_Der Autor_

Joseph Nassise, geboren 1968 in Boston, Massachusetts, ist der erste Autor, der in einem Jahr sowohl für den International-Horror-Guild- und den Bram-Stoker-Award nominiert wurde. Nach seiner Thriller-Trilogie „Die Chroniken der Templer“ – bestehend aus „Der Ketzer“, „Der Engel“ und „Die Schatten“ (bei |Knaur| erschienen) – kommen nun „Die Hunt-Chroniken“ bei |PAN|. Nassise lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Arizona. (Verlagsinfo)

|Aus dem Englischen von Heike Holtsch
349 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-426-28304-2|
http://www.pan-verlag.de

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Mayall, Felicitas – Stunde der Zikaden, die

_Inhalt_

Laura Gottberg, Münchner Kommissarin und Mutter zweier Halbwüchsiger, kann ihr Glück noch kaum fassen: Zwei volle Wochen kann sie nun einzig und allein mit Commissario Angelo Guerrini verbringen. Trotz aller Unwägbarkeiten haben die beiden viel beschäftigten Polizisten es geschafft, gleichzeitig Urlaub zu bekommen. Und den wollen sie zusammen verbringen: Es ist das erste Mal in ihrer inzwischen zweijährigen Beziehung, dass sie sich so lange Zeit am Stück sehen.

Angelo hat Laura mitgenommen in das Ferienhaus seiner Kindheit. Es liegt in einem noblen Resort an der toskanischen Küste, und Angelo fällt erst vor Ort auf, dass die Idee vielleicht nicht perfekt war: Die eine oder andere unschöne Erinnerung an seine Kindheitsferien kommt wieder hoch – ob es tatsächlich so gut ist, Laura dabeizuhaben? Er will sie ja nicht verschrecken.

Ehe Guerrini entscheiden kann, wie er mit den metaphorischen Leichen aus seiner Vergangenheit umgehen soll, trifft Laura beim Schwimmen auf eine tatsächliche. Guerrini explodiert: Er hat Urlaub und will nichts mit dem Toten zu tun haben! Doch als der ihm tatsächlich den Gefallen tut zu verschwinden und einer der Resortwächter gleich mit ihm, ist auch Guerrini klar, dass sie nun nicht mehr so tun können, als sei nichts passiert.

Ohne Anhaltspunkte strecken Angelo und Laura ihre Fühler aus, einzig geleitet von jahrzehntelang geschultem polizeilichen Instinkt, und tappen blindlings in ein Spiel hinein, das eine Nummer zu groß für sie ist und in dem ein Menschenleben nicht viel zählt.

Als der geheimnisvolle Fall dann auch noch Verbindungen zu Angelos weniger schönen Jugenderinnerungen aufzuweisen beginnt, ist der Urlaub wirklich völlig im Eimer: Der Commissario muss fürchten, dass der Fall seine Fangarme bis in seine eigene Familie hinein ausgestreckt und Narben hinterlassen hat. Zum Glück hat er Laura dabei, die bereit ist, mit ihm Schulter an Schulter bei Bedarf auch das organisierte Verbrechen herauszufordern …

_Kritik_

Felicitas Mayall hat mit der Beschreibung des Resorts einmal mehr Großes geschaffen: Wie sie die oberflächliche Schönheit beschreibt, die doch so trügerisch ist wie Treibsand, das ist ganz wunderbar gelungen. Die Atmosphäre, die ständig zwischen beschaulich und bedrohlich schwankt, ist ebenso gut herausgearbeitet wie die Stimmung zwischen Laura und Angelo, die sich so gern öffnen wollen und es doch nur unter Schwierigkeiten schaffen, bedrängt von äußeren Einflüssen und inneren Bedenken.

Auch die beschränkte Zahl der Personen vor Ort, die alle – durch die Urlaubssituation? Oder aus düstereren Gründen? – seltsam unwirklich erscheinen, lädt die Spannung noch auf. Wer von ihnen ist ein Verbrecher? Ist noch ein Ermittler vor Ort? Wo ist dieser Wachmann? Welche Rolle spielt der einsiedlerische alte Dichter, der fast das ganze Jahr hier verbringt? Und lässt Angelo sich in seinem Verdacht von alten Antipathien leiten oder steckt hinter seiner lebenslang gehegten Abneigung mehr?

Ein feines Netz aus Fragen legt sich um die gemeinsamen freien Tage der beiden Kommissare mittleren Alters und zwingt sie, ihre moralischen Pflichten und Ansichten neu zu beleuchten, so dass der Fall auf einer weiteren, tieferen Ebene die Erforschung des eigenen Selbst bedeutet – während direkt daneben die geliebte Person dasselbe tun muss. Werden sie mit den Antworten leben können?

Viele dieser Fragen benötigen eine behutsame Antwort, und umso größer ist die Überraschung, wenn die beiden Protagonisten einen krassen Angriff mit einer ähnlich heftigen Handlung reagieren – aber es ist so verflixt gut gemacht!

_Fazit_

Felicitas Mayall ist eine außergewöhnliche Stimme im vielfältigen Chor deutscher Kriminalautorinnen. Sie ist eine Meisterin im Erschaffen und Vermitteln von Atmosphäre, und sie macht es dem Leser dadurch leicht, sich mit ihren Büchern vollständig aus dem Alltag zu verabschieden. Wie schon ihre vorherigen Werke, kann ich auch „Die Stunde der Zikaden“ jedem Krimileser ans Herz legen – und jedem, der die Darstellung einer halbwegs realistischen, zögerlichen Liebe zu schätzen weiß, an der gearbeitet wird. Und jedem, der sich gern von Beschreibungen gefangen nehmen lässt. Und – ach Himmel, eigentlich gibt es keinen Grund, aus dem irgendwer es nicht lesen sollte. Tun sie’s einfach, Sie werden es nicht bereuen.

|Gebundene Ausgabe: 398 Seiten
ISBN 13: 978-3463405513|
http://www.rowohlt.de

_Mehr von Felicitas Mayall auf |Buchwurm.info|:_
[„Hundszeiten“ 6009

Handeland, Lori – Asche (Die Phoenix-Chroniken 1)

_Inhalt_

Elizabeth Phoenix weiß schon als junges Waisenkind, dass sie anders ist als andere: Sie braucht einen Gegenstand nur zu berühren, und schon sieht sie vor ihrem inneren Auge Dinge, die den Besitzer betreffen. Sie stellt ihre Fähigkeiten der Polizei zur Verfügung, scheidet jedoch aus dem Dienst wieder aus, als sie den Tod ihres Partners nicht hat kommen sehen.

Eher schlecht als recht schlägt sie sich als Kellnerin durch, stets darauf bedacht, nicht aufzufallen. Sie hält sich für einen Freak, ein Monster. Dann kommt jedoch der Tag, an dem ein dringliches Gefühl sie zu Ruthie, ihrer Pflegemutter, treibt. Sie findet die alte Frau schrecklich zugerichtet in ihrem Haus vor. Sterbend murmelt Ruthie, dass jetzt die letzte Schlacht begänne – und dann ist nichts mehr wie zuvor.

Viel zu schnell und zu harsch erfährt Elizabeth, dass ihre ewig unterdrückte Gabe ein Segen ist und kein Fluch: Sie soll die Kräfte des Lichts in die letzte Schlacht führen, als neue Seherin und als Anführerin. Leider ist sie überhaupt nicht vorbereitet. Und auf dem Weg zur möglichst eiligen Erweckung aller noch schlummernder Talente begleiten sie Gestalten, mit denen sie nie wieder zu tun haben wollte: Jimmy, die Liebe ihres Lebens, außerdem dreckiger Verräter und Fremdgänger, und Sawyer, ein Navajo-Mystiker, bei dem sie einige Sommer verbrachte und der sie immer mit Angst erfüllt hatte. Sie erfährt über die beiden Männer Dinge, die sie nie hatte wissen wollen und die für sie die Frage aufwerfen, wem sie – verdammt noch mal! – denn überhaupt noch vertrauen kann.

Es ist eine wilde, unbekannte, blutrünstige Welt, in die Elizabeth geworfen wird, und sie ist so gut wie gar nicht gewappnet. Das Böse allerdings wartet nicht höflich, bis der Gegenspieler ausgelernt und die Rüstung angelegt hat: Es springt sie aus dem Dunkeln an, und Elizabeth muss wohl oder übel zeigen, was in ihr steckt.

_Kritik_

„Ich wollte seinen Tot“, „Am liebsten hätte ich sie ihr einen nach dem anderen herausgerissen. Die Nägel nicht die Finger“ – Das sind nur zwei der unzähligen Stilblüten, die vor meinen ungläubigen Augen aus dem Roman in die Höhe wuchsen. Okay, das sind Übersetzungsfehler, aber man glaube mir: Der Rest tut auch weh. Lori Handeland ist ein Phänomen: Ganz offensichtlich benutzt sie Sprache ausschließlich als Gerüst für Dinge, die sie sagen möchte. Sie schreibt, wie andere Leute sprechen. Und damit meine ich nicht, dass sie das kunstvoll tut, so wie etwa Alice Walker in „Die Farbe Lila“, damit meine ich, dass sie offenbar keine Zeit verloren hat: Sie hat zu Papier gebracht, was sie erzählen wollte, so hart und rau und krumpelig, wie es eben kam, und das war’s dann. Wenn da an irgendeiner Stelle nachgebessert wurde, dann will ich nicht wissen, wie das Ganze vorher ausgesehen hat. Der Roman hat keinen Hauch von Seele, keine Atmosphäre, kein Leben, und meiner Sprachwissenschaftlerseite hat er mehrfach schmerzhaft ins Gesicht geschlagen.

Mal kurz zusammengefasst: Übersinnliche Kräfte, Blut, Erektion, Schlägerei, Erektion, Sex, Blut, übersinnliche Kräfte, Fluchen, Prügeln, ErektionBlutSexsklavinTodTodBlutStänder. Herzlichen Dank dafür. Hier hat jemand die dürftige Umhüllung vom Ende aller Tage genommen, sie mit ein paar Werwölfen und Vampiren beworfen und sie bis zum Rand mit unappetitlichen Sexszenen gefüllt. Ich habe gegen Sexszenen nicht das Geringste einzuwenden, aber doch bitte mit einem Hauch von Geschmack, ja? Abgesehen davon häufen sich hier blöde Fehler, die beim zweiten Drübergucken sofort ins Auge gefallen wären, etwa, was Beschreibungen der Protagonistin angeht oder zeitliche Abläufe betrifft.

_Fazit_

Wenn Sie billiger Vampirpornographie nachjagen, dann ist Ihre Suche hier am Ende. Dann können Sie sich auch auf die Fortsetzungen freuen, denn „Asche“ ist der erste Teil der „Phoenix-Chroniken“. Sollten Sie jedoch auch an Fantasyromane irgendeine Form von Anspruch stellen, dann gehen Sie weiter, denn dann gibt es hier nichts zu sehen. „Asche“ war inhaltlich fade und hat mich stilistisch entrüstet. Der Zeitverlust macht mich regelrecht wütend. Arrrrr!
Ich wasche mir jetzt die Augen, und dann lese ich ein gutes Buch.

|Broschiert: 331 Seiten
ISBN-13: 978-3802582349
Originaltitel: Phoenix Chronicles Any given Doomsday
Aus dem Englischen von Petra Knese|
http://www.egmont-lyx.de
http://www.lorihandeland.com

_Mehr von Lori Handeland auf |Buchwurm.info|:_

[„Wolfskuss“ 5012 (Geschöpfe der Nacht 1)
[„Wolfsglut“ 5964 (Geschöpfe der Nacht 3)

Katharina Siegers – Die Weihnachtsgeschichte

Das Weihnachtsfest naht mit immer schnelleren Schritten, so scheint es zumindest uns Eltern, die wir für unsere Kleinen auf der Suche nach den passenden Geschenken sind. Wenn die Kinder schon das dritte Lebensjahr erreicht oder überschritten haben, stellt sich für viele Eltern die Frage, wie man ihnen kindgerecht die Herkunft des Weihnachtsfestes erklärt und warum es an diesem Tag Geschenke für alle gibt. Und spielt in einer Familie der christliche Glauben keine wesentliche Rolle, so ist es jetzt dennoch an der Zeit, zumindest die Sage um Jesu Geburt zu erwähnen – ist doch das Christentum noch immer in keiner Weise aus unserer Gesellschaft wegzudenken. Bei |Coppenrath| erschien unlängst ein Bilderbuch, das sich des Themas spielerisch annimmt:

_Das Buch_

Als fester Bestandteil unserer Kultur ist die Weihnachtsgeschichte weithin bekannt: Maria und Joseph wandern mit einem Esel von Nazareth nach Bethlehem, um sich zwecks Volkszählung in die Steuerliste ihrer Geburtsstadt (in diesem Falle Josephs) eintragen zu lassen. Maria ist hochschwanger, doch sind die beiden so mittellos, dass sie nach ihrer Ankunft keine Unterkunft finden – außer in einem Stall. Dort gebärt Maria ihr Kind, das sie Jesus nennt und in die Krippe bettet.

Ein geschweifter Stern kündet von dieser Geburt und führt drei Könige aus dem Morgenland, Hirten mit ihren Herden und Tiere des Waldes an die Krippe, wo sie ihre Geschenke darbringen.

_Die Krippe_

Zweiter Bestandteil des Produkts ist eine aus fester Pappe gestanzte Krippe mit gleich gearbeiteten Figuren. In spielerischer Form kann man den Kindern die Geschichte erzählen oder vorlesen und gleichzeitig vorspielen, wenn sie Letzteres nicht selbst übernehmen. Und so ergibt sich schließlich das Krippenbild aus den Figuren und kann eine Bereicherung für die Weihnachtsdekoration werden.

_Erfahrungen_

Kinder lassen sich gerne Geschichten erzählen und vorlesen. Sie lehnen in diesem Alter grundsätzlich nichts Neues ab, sondern sind mit Spannung und großen Augen dabei. In wenigen, reichhaltig und schön illustrierten Worten wird die Weihnachtsgeschichte erzählt und lässt viel Platz zu eigener Ausgestaltung, wenn noch Erklärungsbedarf besteht. Mit Hilfe der Figuren und Bilder ist sie jedem Kind anschaulich nahbringbar, und gerne spielen sie selber die Reise von Maria und Joseph oder den Königen nach. Dabei ist das Material der Figuren fest genug, um auch unvorsichtige Kinderhände zu überstehen.

Die Illustratorin versteht es geschickt und mit sicherer Hand, die Motive der kurzen Textpassagen mit den ganzseitigen Bildern zu erfassen und ihnen einen schönen, ruhigen und anheimelnden Ton zu geben. Ein wichtiger Punkt ist die Knappheit der Texte, so dass die Kinder nicht von großartigen Erklärungen überfordert werden, sondern eine geradlinige einfache Geschichte hören. Erstaunlich, mit welch geringem Aufwand sich hier eine Geschichte skizzieren lässt.

_Fazit_

Die Komposition ist ausschlaggebend. Kindgerechte Bilder, einfache, aber wirkungsvolle Figuren und die leicht verständlich gehaltene Geschichte entwerfen die Grundlage des Weihnachtsverständnisses, die mit eigener Kreativität und spielerischem Spaß ausgebaut werden kann.

|Gebundene Ausgabe: 12 Seiten
mit Figuren und Krippe zum Mit- und Nachspielen
Herstellerangabe: ab 3 Jahre|
http://www.coppenrath.de

Interview mit Jörg Kaegelmann, BLITZ-Verlag

_Buchwurm.info:_
Hallo, wie geht es Ihnen? Wo sind Sie und was machen Sie gerade?

_Jörg Kaegelmann:_
Zu sagen, wo ich gerade bin, ist bei mir schwierig. Zumindest bin ich immer online, um direkt auf Kundenanfragen reagieren zu können.

_Buchwurm.info:_
Könnten Sie sich unseren Lesern, die Sie noch nicht persönlich kennen, bitte selbst vorstellen? Vor allem interessiert die Frage, wie und warum Sie zum |BLITZ|-Verlag kamen.

_Jörg Kaegelmann:_
Den |BLITZ|-Verlag, der mir gehört, gibt es seit 15 Jahren. Davor musste ich mich – seit 1979 – um die Videothekenkette, ebenfalls |BLITZ|, kümmern.

_Buchwurm.info:_
Dass Sie mit Ihrem Verlag Geld verdienen wollen, dürfen wir getrost als gegeben voraussetzen. Aber wie haben Sie das breite Programm, das sie laut Prospekt und Webseite anbieten, über die letzten Jahre weiterentwickelt, und welche Nischen besetzen Sie damit im deutschen Buchmarkt?

_Jörg Kaegelmann:_
In den 15 Jahren sind mehrere hundert Titel erschienen. Bedingt durch limitierte Sammlerauflagen, sind die meisten jedoch bereits vergriffen und nur noch zu hohen Sammlerpreisen antiquarisch zu erwerben. Das Programm und die Zielrichtung haben vom ersten Tag an variiert und sich ständig weiterentwickelt. Als Kleinverlag ist es eben wichtig, gerade die Nischen zu besetzen, die sich anbieten, ohne dabei den roten Faden zu verlieren. Der Schwerpunkt wird wohl immer die Phantastik in allen ihren vielfältigen Möglichkeiten bleiben.

_Buchwurm.info:_
Vielleicht ist am besten, wenn Sie den Status quo beschreiben.

_Jörg Kaegelmann:_
Gerade ist eine zweite Verlagshomepage online gegangen: [Hammer-Krimis.de.]http://www.Hammer-Krimis.de Hier gibt es z. B. klassische Krimis über Sherlock Holmes. Dann neue Texte zu der Mystery-Thriller-Serie „Larry Brent, Die geheimen Akten der PSA“. Ebenso werden die alten Abenteuer (Serienstart 1968) erstmalig chronologisch korrekt aufbereitet und neu veröffentlicht.

Neue Texte gibt es auch zu weiteren Kult-Krimi-Reihen aus den vergangenen Jahrzehnten:

– „Die Schwarze Fledermaus“ und „Mister Dynamit“.

– Demnächst erscheinen exklusiv die „Totenhaus“-Romane von Barbara Büchner.

– Ab diesem Frühjahr werden Krimis und Thriller mit regionalem Bezug erscheinen. Besonders hervorheben möchte ich da zwei sehr außergewöhnliche Texte: „Marterpfahl“ von Stefan Melneczuk und „Dunkle Nordsee“ von Jens Lossau.

Auf [Phantastische-Buchwelt.de]http://www.Phantastische-Buchwelt.de erscheint ebenfalls in erstmaliger Bearbeitung die Fantasy-Saga von „Dan Shocker MACABROS“. Wolfgang Hohlbeins „Schattenchronik“ und die ebenfalls inzwischen abgeschlossene Reihe „Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek“.

Dem Sciencefiction-Leser bietet |BLITZ| die Serie „Star Voyager“ an; die nahtlose Fortsetzung von „Raumschiff PROMET“ und „TITAN, Sternenabenteuer“.

Das Highlight: „Meisterwerke der dunklen Phantastik“ von Frank Rainer Scheck.

Dazwischen interessante Einzelromane wie „Das Eulentor“ von Andreas Gruber. Der Titel wurde letztes Jahr mit dem Vincent-Preis ausgezeichnet.

„Jihad“, ein Thriller aus der nahen Zukunft von Peter Brendt, der durch seine U-Boot-Romane (Ullstein) bekannt wurde.

„Necrologio“, eine Anthologie, herausgegeben von Jörg Kleudgen, sowie deutsche Phantastik der Gegenwart.

_Buchwurm.info:_
Wie wollen Sie diese Taschenbuchreihen über die nächsten 24 Monate weiterentwickeln?

_Jörg Kaegelmann:_
Taschenbuch-Reihen gab es bei |BLITZ| nie, und die Paperback-Reihen sind bis auf „Macabros“ und „Larry Brent“ abgeschlossen. Zukünftig wird also fast alles nur noch in exklusiven Sammler-Editionen erscheinen, zum Teil limitiert auf nur wenige 100 Exemplare.

_Buchwurm.info:_
Ich habe mich bei der Lektüre der neuen Hardcover-Bände der Sherlock-Holmes-Bibliothek sehr gut unterhalten gefühlt. Nichts gegen Hardcover, im Gegenteil, aber inhaltlich und im Umfang bewegen sich diese Bände praktisch auf dem Standard der Taschenbuchreihe der Criminal-Bibliothek. Warum also jetzt Hardcover?

_Jörg Kaegelmann:_
Inhaltlich wird noch mehr auf bestmögliche Qualität geachtet. Das Lektoratsteam wurde erweitert; es wird alles dafür getan, um dem Leser einen optimalen Lesegenuss zu bieten.

Bedingt durch die limitierte Auflage richtet sich |BLITZ| mehr an den bibliophilen Sammler, und der bevorzugt nun mal Hardcover. Die Produktion eines |BLITZ|-Hardcovers ist durch die Fadenbindung viel aufwendiger und kostenintensiver. Die Bücher kann man in 100 Jahren noch aufklappen und lesen, während Taschenbücher sich nach mehrmaligem Gebrauch gerne mal auflösen.

_Buchwurm.info:_
Ich habe erstmals auch einen SF-Titel in Ihrem Prospekt gefunden, denn E. C. Tubbs ist ein klingender Name für Klassikerfans wie mich. Was bedeutet die Aufnahme dieses Titels für die Entwicklung Ihres Programms?

_Jörg Kaegelmann:_
E. C. Tubb ist ein Urgestein der SF-Szene. Mit der Serie „Star Voyager/Titan“ versuche ich ein back-to-the-roots: Space Opera vom Feinsten.

_Buchwurm.info:_
Suchen Sie weitere Autoren und falls ja, was können Sie ihnen bieten? Beispielsweise einen florierenden Verlag?

_Jörg Kaegelmann:_
Korrekte und sachliche Teamarbeit bis ins Detail.

_Buchwurm.info:_
Ich habe neulich gehört, dass dem Fantasymarkt – und dazu zählen manche Marktbeobachter auch das Horror-Genre – in 2010 ein Einbruch droht, vermutlich wegen des Auslaufens der Romantic-Vampire-Welle. Was halten Sie davon?

_Jörg Kaegelmann:_
Kein Platz für Kuschel-Vampire! Artgerechte Haltung! Im Ernst: Unsere Dark-Fantasy-Serie „Schattenchronik“ (letztes Jahr erschien Band 1: „Das Erwachen“) geht bereits genau in diese Richtung. Protagonist ist ein Vampir-Cop, er hasst Vampire. Von daher ist |BLITZ| gut gerüstet. 😉

_Buchwurm.info:_
Haben Sie Freizeit? Wenn nicht, warum nicht?

_Jörg Kaegelmann:_
Gute Frage, da müsste ich tatsächlich mal drüber nachdenken.

_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Woran arbeiten Sie gerade?

_Jörg Kaegelmann:_
An der Frühjahrsauslieferung 2010, in Hoffnung auf einen guten Start der beiden Thriller „Marterpfahl“ und „Dunkle Nordsee“.

http://www.BLITZ-Verlag.de

McCrery, Nigel – Kaltes Gift

_Das geschieht:_

Seit sie als Kind miterleben musste, wie die Großmutter in einem Anfall von Irrsinn ihre Geschwister niedermetzelte, ist Madeleine Poel selbst eine psychisch gestörte Frau, die sich zu einer bemerkenswert erfolgreichen Serienmörderin gemausert hat. Sie tötet nicht, um sich damit zu brüsten, sondern macht sich an alte Frauen ohne Familie und Freunde heran, die sie an ihre Großmutter erinnern, freundet sich mit ihnen an und macht sich ihnen unentbehrlich, während sie ihnen tödliche Pflanzengifte verabreicht, deren Dosis sie ständig steigert. Haben die Opfer ihr alle Vermögenswerte überschrieben, macht Madeleine ein Ende mit ihnen, schlüpft in ihre Identitäten, macht auch Haus und Mobiliar zu Geld und zieht in eine andere Stadt, wo sie ihr tödliches Spiel neu beginnt.

Die Polizei kommt ihr auf die Spur, als nahe Chelmsford in der Grafschaft Essex ein Sportwagen in den Wald rast und dabei eine weibliche Leiche entdeckt wird. Sie wird als Violet Chambers identifiziert, was für arge Verwirrung sorgt, hebt die doch offensichtlich tote Frau immer noch Geld von ihrem Konto ab und schreibt sogar Karten. Detective Chief Inspector Mark Lapslie übernimmt den Fall, obwohl er aufgrund einer exotischen Krankheit, die ihn Geräusche buchstäblich schmecken lässt, gesundheitlich und psychisch stark angeschlagen ist. Zur Seite gestellt wird ihm nur die unerfahrene Emma Bradbury. Schon bald argwöhnt Lapslie, dass man ihnen die Ermittlungen ‚von oben‘ schwermacht. Wichtige Unterlagen werden heimlich kopiert und die Beamten überwacht.

Auf unorthodoxe Weise versucht Lapslie sich Klarheit zu verschaffen und seine Gegner bloßzustellen. Die Zeit drängt, denn in Madeleines Spinnennetz zappelt bereits ein neues Opfer …

_Serienmord britisch unterkühlt_

Nicht nur, aber vor allem seit Hannibal Lecter seine Zähne in diverse (immer kochkundig durchgebratene) Pechvögel schlug, hat sich der Serienkiller zur Inventarfigur des modernen Thrillers gemausert. Es existiert sogar ein eigenes Subgenre, in dem sich absolut durchgeknallte aber merkwürdigerweise trotzdem geniale Meuchelbolde beim Versuch förmlich überschlagen, sich gegenseitig in der Kreation absurder und möglichst geschmackloser Folter- und Mordmethoden auszustechen. Das Ergebnis lässt sich viel zu oft und nicht unerwartet in einem Wort zusammenfassen: lächerlich!

Den ‚echten‘ Serienmörder machen vor allem sorgfältige Planung und Zurückhaltung erfolgreich. Er – oder in unserem Fall sie – hat Methoden entwickelt und verfeinert, die ihn unter dem Radar der Polizei arbeiten lässt. Auch die Mitmenschen werden doppelt getäuscht – als Opfer und als ahnungsloser Hintergrundchor, zwischen dessen Mitgliedern der Killer förmlich verschwindet.

Der eher dem Spektakulären zugeneigte Leser mag dies langweilig finden. In der Tat muss sich ein Schriftsteller mehr Mühe geben, einen ’nur‘ raffinierten Mörder spannend ins literarische Leben zu rufen, als einen irren Primetime-Schlitzer. Wenn dieses Kunststück gelingt, ist die Wirkung freilich nachhaltiger; Nigel McCrery stellt dies mit „Kaltes Gift“ unter Beweis.

_Mord ist k/ein unterhaltsamer Akt_

Dabei spart er nicht an grausigen Details. Madeleine liebt es, ihre Opfer dabei zu beobachten, wie sie sich in Giftqualen winden, und wir Leser sind bei diesen hässlichen Lebensenden dabei. Es fehlen auch nicht die heute so beliebten Seziersaal-Sequenzen, wobei McCrery faulige Leichen detailfroh zu beschreiben weiß. Dabei schreitet er durchaus selbstzweckhaft zur Tat, vermeidet aber jederzeit, Madeleine in eine schäumende Schreckensgestalt zu verwandeln.

Madeleine ist total verrückt, und Madeleine ist eine kranke Frau. Diese Dualität darzustellen, ist schwierig. McCrery gelingt es; immer wieder ertappt sich der Leser dabei, wie er Mitleid mit dieser Frau empfindet und ihr die Daumen drückt, dass der aktuelle Coup gelingt. Das liegt an der perfiden Beiläufigkeit, mit der Madeleine mordet. Sie hat kein schlechtes Gewissen, und sie geht sehr gewissenhaft vor. Noch beeindruckender als ihre Kenntnis floraler Gifte ist ihr Talent zur Mimikry. Sie verschmilzt förmlich mit der Persönlichkeit ihrer Opfer und hat durchaus ihre Probleme damit. McCrery schildert diesen Prozess ungemein eindringlich.

_Mord hat seinen eigenen Geschmack_

Die Madeleine in „Kaltes Gift“ ist eine Serienmörderin im Anfangsstadium des endgültigen geistigen Zerfalls. McCrery zieht eine diesbezügliche Parallele zu ihrem Jäger. Inspector Lapslie ist seinerseits ein Gefangener seines eigenen Gehirns. Es verwandelt ein Geräusch in einen Geschmack – eine Krankheit, gegen die es keine Heilung gibt und die ihr Opfer isoliert. Lapslie hat seine Familie verlassen müssen und droht auch seine Arbeit und damit seinen letzten Halt zu verlieren. Anders als Madeleine findet er einen Weg, sich mit seinem Zustand zu arrangieren.

Allerdings würde die Geschichte auch ohne Lapslies Leiden problemfrei funktionieren. „Kaltes Gift“ profitiert von McCrerys profunder Kenntnis des modernen Polizeialltags; der Autor war selbst viele Jahre Polizist. Leider konnte er der Versuchung nicht widerstehen, seinem Helden ein Handicap aufzuerlegen, das ihn ‚interessanter‘ (und telegener?) machen und seine Persönlichkeit vertiefen soll. So dankbar man dem Verfasser ist, dass er dies nicht versucht, indem er Lapslie und Bradbury (die faktisch kaum eine Rolle spielt) zu einer tragischen Liebesbeziehung zwingt, muss man doch zu dem Schluss kommen, dass die Lapslie-Geschichte, die lange parallel zu, aber unverbunden mit dem Madeleine-Strang verläuft, mit diesem in Sachen Intensität und Überzeugungskraft nicht mithalten kann.

_Alles Böse kommt von oben_

Den eigentlichen Minuspunkt setzt indes dick ein seltsamer Subplot um ministerielle Intrigen, der hinter dem eigentlichen Geschehen herhinkt, bis ihm McCrery kurz vor dem Finale endlich ein Aufholen gestattet. Mit diesem plump gestrickten Komplott scheint der Verfasser jene Prise Gesellschaftskritik über seine Geschichte streuen zu wollen, die ein ‚richtiger‘ Kriminalroman heutzutage mitbringen muss. Die beiläufigen und nie wirklich in die Handlung integrierten Tücken staatlich legitimierter Schlipsschurken schaden dem Roman sehr.

Die Erklärung ist im Grunde einfach: McCrery plante Lapslie als Helden einer neuen Krimi-Serie. Die beschriebenen Beimischungen, zu denen sich noch die Beziehung des Inspectors zu seinem ‚besten Feindfreund‘, einem melancholisch gewitztem Gewaltverbrecher, sowie die aufkeimende Freundschaft zu einer körperbehinderten Pathologin gesellen, sind Investitionen in die Zukunft – Elemente, die in den nächsten Bänden ein seifenoperliches Eigenleben entwickeln werden. Originell ist das nicht, und ob es weiterhin spannend wird, bleibt abzuwarten. Von „Kaltes Gift“ wird dem Leser jedenfalls Madeleines Höllenfahrt im Gedächtnis bleiben – und das zu Recht!

_Der Autor_

Nigel McCrery wurde 1953 in London geboren. In Englands Hauptstadt war er später neun Jahre als Polizeibeamter tätig, was ihm in seiner zweiten Karriere sehr hilfreich war. McCrery studierte in Cambridge und arbeitete dann für die BBC. Dort entwickelte dort die Figur der Gerichtsmedizinerin Dr. Samantha Ryan. Sie fand 1996 ihren Weg ins Fernsehen und wurde dort vor und hinter der Kamera außergewöhnlich sorgfältig und kundig in Szene gesetzt.

Als Serie spielfilmlanger, lose verbundener Episoden, entwickelte sich „Silent Witness“ zum Straßenfeger und wurde (bis 2004) mit Amanda Burton in der Rolle ihres Lebens (und ab 2004 in neuer Besetzung) fortgesetzt. McCrery selbst schloss die Reihe 2003 ab, sodass andere Autoren die Drehbücher verfassten, was aber dem Erfolg keinen Abbruch tat.

Es folgten einige Einzel-Thriller, bis McCrery 2007 eine neue Serie um den beruflich und privat tüchtig gebeutelten Inspector Mark Lepslie startete. Neben diesen Romanen verfasste McCrery eine Reihe von Sachbüchern über polizeiliche und militärische Themen.

Die Mark-Lepslie-Romane von Nigel McCrery:

(2007) Kaltes Gift („Still Waters“)
(2009) „Tooth and Claw“ (noch kein dt. Titel)

Mehr von Nigel McCrery auf |Buchwurm.info|:

[„Denn grün ist der Tod“ 363
[„Die Fremde ohne Gesicht“ 2506

_Impressum_

Originaltitel: Still Waters (London : Quercus 2007/New York : Pantheon Books 2007)
Übersetzung: Ilse Bezzenberger
Deutsche Erstausgabe (gebunden): April 2009 (Droemer Verlag)
378 Seiten
EUR 16,95
ISBN 978-3-426-19791-2
http://www.droemer-knaur.de

Mayall, Felicitas – Hundszeiten

_Inhalt_

Laura Gottberg, zweifache alleinerziehende Mutter und Kommissarin, kann ihr Glück kaum fassen: Ihre Kinder Sofia und Luca sind in Sprachferien in England, und sie hätte theoretisch noch ein bisschen Zeit für sich, um zur Ruhe zu kommen und aufzutanken, und dann entspannt ihren Freund, den Commissario Angelo Guerrini, empfangen zu können.
Praktisch aber herrscht in München in diesem Sommer eine derartige Gluthitze, dass an Entspannung nicht zu denken ist. „Erholsamer Nachtschlaf“ sind nur mehr zwei Worte ohne Bedeutung, und die Sterblichkeitsrate vor allem alter Menschen steigt rapide an.

Laura und ihre Kollegen haben alle Hände voll zu tun, bei den vielen Todesfällen am Ball zu bleiben. Für Laura gewinnt auch ein etwas älterer Fall durch die Wiederverfügbarkeit eines Zeugen an Bedeutung. Was aber ihr wie auch all ihren Kollegen besondere Kopfschmerzen bereitet, ist die Tatsache, dass die Hitze sich auf ganz München so seltsam auswirkt. Alle sind gereizt, unkonzentriert – gewaltbereiter als sonst.

Durch einen Zufall lernt Laura am Isarufer einen Obdachlosen kennen, Ralf. In einem Nebensatz erwähnt er eine Gruppe, die sich am Fluss herumtreibt und die man besser meiden sollte.
Bald darauf wird Laura an die Isar gerufen: Ein Obdachloser wurde zu Tode geprügelt. Der Kommissarin fährt der Schreck in die Glieder: Hat Ralf seine eigene Warnung in den Wind geschlagen?

Berichte von nächtlichen Zusammenrottungen werden laut, von Menschen, die sich treffen, Reden halten, Lieder singen, die längst verboten sind. Der alte Fall Lauras und die neue bedrohliche Situation scheinen durch unsichtbare Fäden miteinander verwoben, und die Androhung von Gewalt hängt über der schwül-heißen Stadt wie eine düstere Gewitterwolke. Es ist klar, dass alles auf irgendeinen Punkt der Entladung hinausläuft, und Laura fragt sich schaudernd, wer danach noch stehen wird …

_Kritik_

Laura Gottberg steckt diesmal in einer Kombination aus Fällen, die aus dem Ruder zu laufen drohen. Während einer etwas wieder aufleben lässt, das längst vergangen sein sollte, stecken die Wurzeln des anderen tatsächlich tief in der Vergangenheit, und Laura muss wie bei einer Zwiebel Schicht um Schicht abtragen.

Die Fast-Fünfzigerin ist übrigens eine sympathische Hauptperson, manchmal etwas zu harsch, aber letztlich herzensgut. Und da ihre Mitarbeiter das auch wissen, gibt es zwar Reibereien, aber selten ernstlich Krach.

„Hundszeiten“ besticht durch die bedrückende Atmosphäre der sonnenheißen Großstadt, durch die aufgeladene, träg-hysterische Stimmung, in der jeder ein bisschen neben der Spur ist. Wer kann sich nicht noch gut an diesen Sommer erinnern, den die Medien als „Glutsommer“ titulierten und in dem den Radiohörern und Fernsehzuschauern an manchen Tagen nahe gelegt wurde, das Haus erst abends zu verlassen? Mayall fängt all diese Erinnerungen ein und verwebt sie mit den Fällen, die sie ihrer Protagonistin zu knacken gibt.

Nebenher hat Laura zusätzlich zu aller Gereiztheit auch noch mit dem Gedanken an die zögerliche, wenngleich innige Beziehung mit Guerrini zu kämpfen: Wie viel Raum will sie ihm in ihrem Leben lassen? Braucht sie ihn? Möchte sie sich überhaupt noch einmal auf so etwas einlassen? Und hat sie denn noch eine Wahl?

Wie üblich stellt Mayall ihrer Protagonistin diese und alle anderen Fragen stilistisch nicht nur einwandfrei, sondern wunderschön.

_Fazit_

„Hundszeiten“ ist der fünfte Fall, in dem Laura Gottberg von Felicitas Mayall auf die Pirsch geschickt wird. Schon der Erstling („Die Nacht der Stachelschweine“) war beeindruckend aufgrund der vielfältigen Variation leiser Töne und eines souveränen Sprachgebrauchs der Autorin, die sich nie im Ton vergriffen und stimmige, einprägsame Bilder geschaffen hat.

Dieses unbestreitbare Talent hat sich bis jetzt noch verfeinert; „Hundszeiten“ ist eine großartige Komposition fein abgestimmter Zutaten. Versprochen: Wenn Sie das Buch zur Hand nehmen und sich in die Beschreibungen vertiefen, werden Sie völlig desorientiert sein, wenn Sie wieder hochgucken. Und ganz abgesehen von diesen Glanzpunkten, die mich hier zu den wildesten Lobeshymnen hingerissen haben, handelt es sich bei diesem Roman um einen ausgesprochen spannenden Krimi mit einem Thema, das bedauerlicherweise viel zu aktuell ist.

|ISBN-13: 978-3-463-40526-1
gebundene Ausgabe: 416 Seiten|
http://www.rowohlt.de

Huff, Tanya – Blutlinien (Blood Ties 3)

_Blood Ties_
[„Blutzoll“ 5714
[„Blutspur“ 5715

Tanya Huff ist nicht nur eine unglaublich unterhaltsame und kurzweilige Schriftstellerin, sie hat auch einen sehr subtilen Sinn für Humor. Eine derartige Eigenschaft wirkt sich eigentlich auf jeden Roman günstig aus, doch die Tatsache, dass Huff Urban Fantasy schreibt, macht die Sache noch sympathischer. Und so nimmt sie weder sich selbst, noch ihre fünfteilige Blut-Reihe bierernst. Man kann beim Lesen praktisch spüren, wie die Autorin einem von Zeit zu Zeit verschwörerisch zuzwinkert.

Schließlich passiert es nicht alle Tage, dass man in einer Romanreihe auf einen Vampir trifft, der nicht nur der uneheliche Sohn von Heinrich VIII ist, sondern der auch noch im Toronto der 1990er Jahre lebt und sich seine Brötchen mit dem Verfassen rühriger Liebesschnulzen verdient. Sein momentanes Projekt nennt sich „Geißeln der Liebesmüh“, doch wird er im Verlauf der Romanhandlung von „Blutlinien“ kaum Gelegenheit dazu bekommen, es zu beenden. Vampir Henry Fitzroy plagt sich nämlich mit seinen ganz eigenen Geißeln der Liebesmüh in Form der forschen Vicki Nelson. Vicki ist ihres Zeichens Ex-Cop und Privatdektivin. Zur Zeit teilt sie Henrys Bett – wenn sie nicht gerade mit ihrem besten Freund Mike Celluci den Matratzentango tanzt. Die beiden Männer finden es alles andere als perfekt, die Geliebte teilen zu müssen, doch Vicki ist auf dem Ohr, das für monogame Lebensführung zuständig ist, praktischer Weise taub. Und so bilden Vicki, Mike und Henry eine irgendwie funktionierende, aber nicht ganz rund laufende Dreiecksbeziehung.

Vicki hat sich auf übernatürliche Kriminalfälle spezialisiert – wohl irgendwie naheliegend, wenn man mit einem Vampir schläft. Und so ist es auch kaum überraschend, dass sie sich plötzlich in einen Fall um eine ägyptische Mumie verwickelt sieht, die zwar nicht gerade die Weltherrschaft übernehmen will, aber trotzdem zumindest vorhat, Toronto politisch zu unterwandern.

Dabei fängt alles ganz normal an: Im Museum wird ein Sarkopharg angeliefert. Doch als die Wissenschaftler ihn öffnen, um die Mumie zu untersuchen, sterben nacheinander eine Reinigungskraft und dann der Kurator der ägyptischen Sammlung an Herzversagen. Die Mumie verschwindet (im Anzug des Kurators) und macht es sich in diesem Jahrtausend bequem, während sie den Mitarbeitern des Museums die Erinnerungen verwirrt, weswegen diese plötzlich überzeugt sind, dass der Sarkopharg von Anfang an leer war.

Detective-Seargant Mike Celluci lässt sich jedoch nicht so schnell ins Boxhorn jagen. Ihm erscheint die ganze Sache leicht fischig, doch da sein Vorgesetzter ihn von dem Fall abzieht, heuert er Vicki an, um weitere Ermittlungen anzustellen.

Gleichzeitig träumt Henry tagsüber ständig von einer hell strahlenden Sonne. Als Vampir hält er das für kein besonders gutes Zeichen und befürchtet nun, dass er kurz vor dem Wahnsinn oder dem Selbstmord steht. Vollkommen verunsichert wendet er sich an Vicki, die ihn beaufsichtigen soll, damit er auch ja nichts Unüberlegtes tut (wie zum Beispiel ein ausgiebiges Sonnenbad zu nehmen).

Im ersten Roman der Reihe, „Blutzoll“, präsentierte uns Huff neben dem Vampir einen bösen Dämon, den es zu besiegen galt. Im zweiten Teil, „Blutspur“, ging es dann um Werwölfe. Und nun, im dritten Teil, sind die Mumien dran – das Triumvirat der klassischen Horrorliteratur ist perfekt. Dabei schafft es Huff durchaus, dem ausgeleierten Charakter der wiederauferstandenen Mumie doch noch eine frische und spannende Seite abzugewinnen. Tawfik, wie sich die Mumie nennt, ist keineswegs ein hirnloses, in Klopapier eingewickeltes Monster, das mit leicht steifen Schritten und leerem Blick durch die Handlung schreitet. Tawfik ist ein tragender Charakter, dessen Präsenz schon dadurch unterstrichen wird, dass mit ihm – und nicht etwa mit Vicki Nelson, der eigentlichen Protagonistin der Reihe – der Roman beginnt. Huff erzählt teilweise aus Tawfiks Perspektive und macht so die Beweggründe und Handlungsmotive einer 3000 Jahre alten Mumie durchaus verständlich und nachvollziehbar.

Und doch muss die machthungrige Mumie natürlich gestoppt werden. Dabei gibt es allerlei Verwicklungen und ausweglose Situationen. Abgesehen vom offensichtlichen Krimiplot lebt der Roman hier vor allem von der Dynamik zwischen Vicki, Henry und Mike. Die beiden Männer liefern sich Wortgefechte, wann immer es ihnen möglich ist. Und Vicki, stur und emanzipiert, ist auch nicht auf den Mund gefallen.

„Blutlinien“ bietet für jeden Geschmack etwas. Der Vampirfan bekommt einen sympatischen und faszinierenden Vampir, in dessen illustre Vergangenheit Huff auch gern einmal eintaucht, wenn die Handlung es erlaubt. Für Liebhaber tougher Dämonenjägerinnen gibt es Vicki, die in ihrer unsentimentalen und unromantischen Art einen wunderbaren Gegensatz zu Henry bildet. Abgerundet wird der Cocktail durch Mike, der mit seinem gekränkten Mannesstolz Sympathiepunkte sammelt und der zupacken kann, wenn mal Not am Mann ist.

Und so ist Tanya Huff auch mit dem dritten Roman der Blut-Reihe ein spannender und actiongeladener Pageturner gelungen. Wer große Mengen Blut und großkalibrige Waffen sucht, wird hier nicht fündig werden. Dafür bietet Huff allen anderen einen pfiffigen Plot und unglaublich liebenswerte Charaktere in einem straff durchkomponierten Roman ohne Längen. Und nachdem man die letzte Seite umgeblättert hat und gierig nach dem Folgeband „Blutpakt“ greift, fragt man sich zwangsläufig, welchen Topos der Horrorliteratur Huff als nächstes aufgreift, um ihm eine Verjüngungskur zu verpassen. Frankensteins Monster wäre zum Beispiel eine nahe liegende Wahl!

|Broschiert: 400 Seiten
ISBN-13: 978-3802581922
Originaltitel: Blood Lines
Übersetzt von Dorothee Danzmann|

http://www.Egmont-Lyx.de
http://www.bloodtiestv.com

_Tanya Huff auf |Buchwurm.info|:_

[„Blutzoll“ 123 (frühere Ausgabe)
[„Blutlinien“ 407
[„Hotel Elysium“ 1481 (Die Chroniken der Hüter I)
[„Auf Teufel komm raus“ 1995 (Die Chroniken der Hüter II)
[„Hüte sich wer kann“ 2545 (Die Chroniken der Hüter III)

Smith, Kathryn – Tochter der Träume

Träume faszinieren die Menschen seit jeher. Es gibt genug Psychologen und Forscher, die versuchen, aus dem, was wir im Schlaf erleben, etwas heraus zu lesen. Die achtundzwanzigjährige New Yorkerin Dawn Riley, die Heldin aus „Tochter der Träume“, hingegen interpretiert Träume nicht nur. Sie kann sie auch beeinflussen und sogar besuchen, denn sie ist niemand Geringeres als die Tochter von Morpheus, dem König der Träume.

Dawn arbeitet als Schlafforscherin in einem New Yorker Labor. Einer ihrer Patientin ist der Künstler Noah, ein so genannter luzider Träumer. Anders als andere Menschen kann er seine Träume willentlich beeinflussen und so einen Albtraum in einem Traum zu seinen Gunsten verändern. Dawn hofft, dass sie von ihm Informationen darüber erhält, wie sie Menschen mit Albträumen helfen kann. Einmal abgesehen davon ist Noah ziemlich gutaussehend und er flirtet manchmal mit ihr.

Doch ihre zarten Annäherungsversuche werden gestört, als Noah Dawn erzählt, dass seine Träume versuchen, ihn zu töten. Ein Traumdämon namens Karatos sucht ihn nachts heim, verspottet ihn und raubt ihm die Kraft. Karatos ist kein Unbekannter für Dawn, denn auch sie wird neuerdings von dem Dämonen im Schlaf verfolgt. Sie weiß nicht, was er will und woher er kommt, doch sie ahnt, dass sie die Antworten auf diese Fragen nur finden wird, wenn sie an den Ort zurückkehrt, den sie am meisten hasst: Das Königreich ihres Vaters, denn mit Morpheus hat sie sich zerstritten. Um Noah und sich vor dem immer stärker werdenden Dämon zu retten, reist sie im Schlaf ins Land der Träume, doch diese Reise gestaltet sich schwieriger als gedacht …

Kathryn Smith hat mit „Tochter der Träume“ einen netten Romantic-Fantasy-Roman geschrieben, der das Gewicht allerdings eher auf den ersten Teil der Bezeichnung legt. Tatsächlich durchzieht die aufkeimende Liebe von Dawn und Noah fast die gesamte Geschichte, garniert mit einigen nicht gerade züchtigen Bettszenen. Die Hauptzielgruppe ist damit klar: Wer nicht von vornherein ein gewisses Interesse an Liebesgeschichten mitbringt, dem wird dieses Buch vermutlich wenig Freude machen. Darüber hinaus schafft es die Autorin aber, den Anteil an Romantik insofern aus zu balancieren, dass „Tochter der Träume“ weder im Kitsch ertrinkt noch langweilig wird. Die Handlung an sich – die Verfolgung und Vernichtung von Karatos – ist gut aufgebaut und steigert sich zusehends. Langweilig wird dem Leser also auch zwischen den Stelldicheins der beiden Hauptfiguren nicht. Hinzu kommt die starke Präsenz des Haupthandlungsortes: New York. Smith erzählt sehr viel über diese Stadt, genauso wie über Dawns Liebe für Filme oder ihr Arbeitsleben.

Überhaupt lernt der Leser die Protagonistin ausführlich kennen. Dawn erzählt aus der Ich-Perspektive und lässt dabei nichts aus. Smith schafft es, dass man das Gefühl hat, im Buch direkt neben der sympathischen Hauptfigur zu stehen. Außerdem gelingt es ihr, Dawn auf der einen Seite zwar als ganz gewöhnliche Frau darzustellen, wie man sie vermutlich massenweise in jeder Großstadt trifft, ihr dabei aber trotzdem Ecken und Kanten zu geben. Dadurch wirkt Dawn real – realer, als man das in einem Buch des Genres vielleicht erwartet hätte.

Einziger Kritikpunkt an der Hauptperson ist ihre Geschwätzigkeit. Auf der einen Seite ist es natürlich vorteilhaft, wenn jede Situation bis ins kleinste Detail geschildert wird, doch auf der anderen Seite wird es irgendwann langweilig, wenn neu auftretende Personen mit allen passenden Farb-, Aussehens- und Geruchsattributen ausgestattet werden. Tatsächlich neigt Smith dazu, ihre Charaktere zu idealisieren. Fast jeder ist überaus hübsch, hat „schokoladenbraune“ Augen oder Augen mit einem anderen, teilweise klischeehaften Farbadjektiv und und riecht nach allen möglichen Gewürzen aus dem Küchenregal. Manchmal kann man sich an solchen Stellen das Schmunzeln fast nicht unterdrücken. Allerdings ist das noch weniger störend als die kontinuierlichen Beschreibungen von Dawns Schmink- und Ankleideritualen. Die Autorin wirft dabei mit Markennamen nur so um sich, was ziemlich befremdlich und fast schon wie Product Placement wirkt.

Abgesehen von diesem Manko ist „Tochter der Träume“ allerdings ein ziemlich anständiges Buch. Romantisch, ja, aber dank der spannenden Handlung und der netten Hauptperson ist es mehr als das, nämlich auch ein annehmbares Fantasybuch.

|Originaltitel: Before I wake
Aus dem Amerikanischen von Regina Schneider
459 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3426283059|
http://www.pan-verlag.de
http://www.kathryn-smith.com

Istin, Jean-Luc / Jigourel, Thierry / Lamontagne, Jacques – Druiden, Die – Band 2: Die weiße Stadt

Band 1: [„Das Geheimnis der Oghams“ 5607

_Story:_

Als ein Junge einen kopflosen Körper auf einem Fuhrwerk entdeckt und seiner Dorfgemeinde von seinen Beobachtungen berichtet, entwickelt sich in Windeseile ein Lynchmob, der die praktizierenden Druiden ins Visier nimmt und sie des Mordes bezichtigt. Als Heiden und Gottesächtende verschrien, macht sich die Gemeinde daran, Rache zu üben und den vermeintlichen Götzenanbetern den Garaus zu machen. Gwenc’hlan erfährt von diesem blutigen Gemetzel zu spät. Noch beschäftigt mit dem jüngsten Fund, einem Anhänger des christlichen Ordens Imperium Die, begibt er sich an den Ort des Geschehens und muss von den anwesenden Soldaten beschwichtigt werden, den dörflichen Mob nicht noch weiter anzustacheln.

Dadurch angespornt, reist der Druide gemeinsam mit dem verbündeten Mönchen Budog und seinem Freund Taran in die weiße Stadt Ys, wo der streng gläubige Gwendole bereits seit längerem die Ankunft des Verderbens predigt. Taran und Gwenc’hlan machen bereits bei ihrer Ankunft Bekanntschaft mit der zwiespältigen Moral, die vor allem von der intriganten Prinzessin Duhad ausgelebt wird. Bei einem Techtelmechtel mit Taran versucht sie sogar, ihren Liebhaber zu meucheln – doch Gwenc’hlan kann Schlimmeres verhindern. Letzterer bemüht sich gleichzeitig um mehr Informationen zum Imperium Die. Doch Gwendole leugnet hartnäckig die Existenz des Ordens. Aber der eigensinnige Mönch von Ys hat offenkundig einiges zu verbergen …

_Persönlicher Eindruck:_

Nachdem die erste Ausgabe der neuen |Splitter|-Serie „Die Druiden“ noch mit einigen inhaltlichen Startschwierigkeiten zu kämpfen hatte, geht es im zweiten, storytechnisch weitaus kompakteren Band durchdachter, vor allem aber auch spannender zu. Die Diskrepanzen zwischen historischer Faktenlage und fiktiver Unterhaltung spielen bei weitem nicht mehr eine solch große Rolle wie bei der Auftaktepisode, derweil gewinnt die Story auch ein nachvollziehbares Format, und da der Spannungsaufbau hier direkt von der ersten Seite beginnend durchgezogen wird, ist die Handlung nicht so sehr damit beschäftigt, Fässer aufzumachen, deren Inhalt noch nicht entsprechend gereift ist.

Insofern sind die Startbedingungen von „Die weiße Stadt“ wesentlich besser als im stellenweise undurchsichtigen Vorgänger, was mitunter natürlich auch damit zusammenhängt, dass man bereits mit den führenden Charakteren vertraut ist. Hinzu kommt der meist unterschätzte Aspekt, dass die Atmosphäre längst aufgebaut ist und diesbezüglich keine weitere Überzeugungsarbeit mehr geleistet werden muss. „Die Druiden“ bleibt von einer mystischen Stimmung umgeben, die sich auch durch die gesamte Entwicklung der Erzählung zieht und vor allem in den raschen Breaks immer wieder ihre Wirkung entfaltet. Dieser Schleier des Unbewussten, Geheimnisvollen fügt sich nahtlos in das von Mythen eingefasste Konzept ein und übt zuletzt sogar einen ziemlich starken Reiz aus.

Auch der Plot selber macht erhebliche Fortschritte. Die Actionlastigkeit der ersten Seiten wird zwar nicht über die komplette Distanz aufrecht erhalten, jedoch macht „Die weiße Stadt“ einen sehr lebendigen Eindruck, unter anderem auch deshalb, weil Hauptakteur Gwenc’hlan mit mehr Leidenschaft ins Fundament eingefügt wird, denn mit seiner Person steht und fällt der Fortschritt der Story. Folgerichtig kann auch eine deutliche Temposteigerung erzielt werden. Es kommt zu einigen entscheidenden Wendungen und Schauplatzwechseln, und im Wechsel mit den vielen Geheimnissen, die unter der Oberfläche schlummern, entwickelt sich eine Dynamik, die in „Das Geheimnis der Oghams“ noch schmerzlich vermisst wurde. Seinerzeit konnte klar konstatiert werden, dass die guten Ansätze auf jeden Fall noch ausgebaut werden müssen, um „Die Druiden“ im stark besetzten |Splitter|-Programm als Highlight zu etablieren. Mit Band zwei ist in dieser Hinsicht schon ein sehr großer Schritt gemacht worden, dessen Resultat nun bereits eine gleichmäßige Begeisterung für Inhalt, Zeichnungen und Konzept ist.

Kurzum: Mit einer überzeugenden Leistung haben sich Jean-Luc Istin und Thierry Jigourel von der noch mit leichten Schwächen durchsetzten Debüt-Veröffentlichung rehabilitiert und ihrer Serie bereits in der ersten Fortsetzung jene Klasse verliehen, die atmosphärisch schon längst vorhanden war. In dieser Form dürfte „Die Druiden“ relativ bald zum mythischen Höhepunkt im |Splitter|-Programm avancieren.

|Originaltitel: Les druides – Is la Blanche
47 Farbseiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-940864-41-3|
http://www.splitter-verlag.de

Schweikert, Ulrike – Herz der Nacht, Das

In [„Der Duft des Blutes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4858 erzählte die deutsche Autorin Ulrike Schweikert von dem Vampir Peter von Borgo, der im Hamburg der Gegenwart sein Unwesen treibt. Wie er in die deutsche Stadt kam und wie er zumindest ein paar Jahre seines langen Lebens verbracht hat, erfährt man in „Das Herz der Nacht“:

Im 19. Jahrhundert kommt der Vampir András Petru Báthory, der sich später Peter von Borgo nennt, nach Wien. Dort wird er ein guter Freund der Fürstin Therese Kinsky, die sich von ihrem Ehemann vernachlässigt fühlt und in dem Vampir bald mehr als einen Kameraden sieht. Doch András ist da zurückhaltender, obwohl auch er sich von der schönen Frau angezogen fühlt. Zu sehr fürchtet er, dass Therese mit seinem Geheimnis nicht umgehen kann.

Zur gleichen Zeit wird Wien durch eine seltsame Mordserie erschüttert. Vor allem junge Mädchen verschwinden und werden dann mit grausam zerrissener Kehle tot aufgefunden. Nachdem András in der Nähe von zwei Tatorten gesehen wurde, fällt der Verdacht des findigen Wiener Polizeikommissär Hofbauer auf den Vampir. Schnell merkt er, dass mit András etwas nicht stimmt und beißt sich an ihm fest. Zu spät merkt András, dass es beabsichtigt war, den Verdacht auf ihn zu lenken und ihn damit in Gefahr zu bringen. Doch wer würde so etwas tun?

Anders als „Der Duft des Blutes“ ist „Das Herz der Nacht“ mehr ein historischer Roman als ein Krimi und genau das rettet ihn davor, eine ähnlich durchschnittliche Bewertung wie der Gegenwartsroman zu erhalten. Schweikert gelingt es nämlich ausgezeichnet, das Porträt der damaligen Gesellschaft mit einer gut konstruierten, durchaus spannenden Handlung zu verbinden. In bunten Farben schildert sie nicht nur die verschiedenen Sitten, Traditionen und Affären im Wien der 19. Jahrhundert, sondern auch die im Buch vorkommenden Personen. Sie erwachen zum Leben, ohne aber historisch überfrachtet zu sein. Auf sehr unterhaltsame Art und Weise erfährt der Leser etwas über die damaligen Zustände, beinahe ungestört durch untote Wesen wie András.

Vampire an und für sich spielen tatsächlich nur eine ziemlich kleine Rolle in der Geschichte. Schweikert verzichtet darauf, ein untotes Wesen ans andere zu reihen, wie das in den „modernen“ Vampirromanen manchmal der Fall ist. Ihr Bild das Vampirs ist eher klassisch. András schläft tagsüber in einem Sarg, ist überaus stark und kann sich in eine Fledermaus oder einen Wolf verwandeln. Diese Einfachheit passt gut zu der historischen Kulisse, genau wie das Gentleman-Benehmen des Protagonisten. Dieser wirkt in der Geschichte eher distanziert, vor allem, weil er den Leser nur sehr oberflächlich an seinen Gedanken und Erinnerungen teilhaben lässt. Das ist ein bisschen schade, da er bestimmt viel zu erzählen hätte.

Als Entschädigung präsentiert sich Therese dafür umso geschwätziger, was auch nicht uninteressant ist. Mit ihrem bissigen Humor beschreibt sie die Zustände der Wiener Oberschicht nicht immer freundlich, dafür aber umso interessanter. Ihre Bemerkungen und Dialoganteile sind ebenfalls häufig durch diesen Witz geprägt, was aber die einzige Stelle im Buch bleiben soll, wo es lustiger zugeht. Ansonsten schreibt Schweikert eher ruhig und gedeckt. Ihre Beschreibungen sind zwar angenehm vielfältig und detailliert, doch ansonsten beschränkt sie sich auf einen gehobenen, der historischen Epoche angepassten Wortschatz, der nur wenig Stilmittel verwendet.

Doch abgesehen davon, dass Schreibstil und Personen nicht immer mitreißend sind, ist „Das Herz der Nacht“ ein schöner historischer Roman mit einem Schuss Grusel und einer Note Krimi. Gerade für Fans von historischen Geschichten ist dieses Buch eine gute Investition.

|471 Seiten, Hardcover
ISBN-13: 978-3802582233|

http://www.egmont-lyx.de

_Ulrike Schweikert beim Buchwurm:_
[Nosferas. Die Erben der Nacht 1 5084
[Lycana. Die Erben der Nacht 2 5359
[Seele der Nacht, Die (Die Legenden von Phantásien) 1232

Philip Kerr – Das Janus-Projekt [Bernhard Gunther 4]

Nach dem II. Weltkrieg versucht Privatdetektiv Gunther einen beruflichen Neuanfang, doch einer seiner ersten Aufträge führt ihn zurück in die nazibraune Vergangenheit, deren kriminelle Vertreter und Seilschaften sich in der jungen Bundesrepublik etabliert haben und Gunther für einen perfiden Plan missbrauchen… – Der neue Roman der Bernhard-Gunther-Reihe fesselt mit Zeitkolorit, ärgert durch seinen schwachen Plot und scheitert mit dem Versuch, das Phänomen des deutschen Verdrängens & Vergessens der Nazi-Jahre fassbar zu machen: lesbar, aber keine Offenbarung.
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Huston, Charlie – Clean Team, Das

Dass Charlie Huston sich auf verzwickte Geschichten über sympathische Verlierertypen versteht, hat er bereits mit seiner Hank-Thompson-Trilogie bewiesen. Nach seinem Ausflug in blutsaugende Gefilde mit der Vampir-Reihe um Joe Pitt kehrt Huston ein Stück weit wieder zurück zu den Wurzeln.

Hustons neue Romanreihe handelt wieder von einem echten Loser-Typen, der, kaum dass er seinen Hintern dann doch endlich mal vom Sofa erhebt, auch schon gleich in dicken Schwierigkeiten steckt.

Eigentlich hat Ex-Lehrer Webster Filmore Goodhue sich ein gemütliches Leben als leidenschaftlicher Müßiggänger aufgebaut. Würde da sein Kumpel und Mitbewohner Chev nur nicht immer an ihm herummosern. Da Chev aber nun einmal Webs letzter noch nicht vergraulter Freund ist, beugt Web sich schließlich dem Generve und nimmt den Job an, den Chevs Kumpel Po Sin ihm anbietet: Er steigt bei dessen „Clean Team“ ein.

Und so findet Web sich schon am nächsten Morgen – seinem ersten Arbeitstag – in einer herunter gekommenen Wohnung mitten in einem Heer von Kakerlaken wieder und trägt Tüten voller Exkremente zu einem Müllcontainer. Das „Clean Team“ ist halt auf Reinigungsarbeiten der ganz besonderen Art spezialisiert: Tatortreinigung. Wo immer beispielsweise ein Selbstmörder bei seinem Ableben all zu viel Dreck hinterlässt, gibt es Arbeit für das „Clean Team“. Sie machen Wohnungen wieder bewohnbar, putzen penibel jeden noch so kleinen Blutspritzer von den Tapeten und das alles so korrekt und diskret wie möglich.

Doch Tatortreinigung scheint in Los Angeles ein hart umkämpftes Terrain zu sein. Web gerät schon bald zwischen die Fronten rivalisierender Tatortreinigungsunternehmen. Und als wäre das nicht schon genug, handelt er sich schnell weitere Schwierigkeiten ein. Schon bei seinem zweiten Auftrag verguckt Web sich in Soledad, die Tochter eines steinreichen Selbstmörders aus Malibu. Ihr zur Liebe fährt er dann auch auf eigene Faust des Nachts mit dem Reinigungswagen zu einem schäbigen Motel, wo seine Fähigkeiten als Tatortreiniger gefragt sind. Damit handelt Web sich allerdings noch viel größere Schwierigkeiten ein und so nimmt der Schlamassel seinen Lauf …

Von Haus aus ist Charlie Huston Drehbuchautor und das kann er auch bei seinen Romanen nie so ganz verbergen. Er pflegt einen Stil der schnellen Schnitte und hat eine sehr direkte und gradlinige Art zu Erzählen. Das resultiert wie von selbst in einem hohen Erzähltempo. Gepaart mit der Vorliebe von Hustons Protagonisten für eine rüde, vulgäre Ausdrucksweise ergibt das Ganze einen Stil, der, dank Hustons lakonischer Art zu Erzählen, ein wenig an Filme wie „Pulp Fiction“ denken lässt.

Es ist eben auch Hustons Hang zur Ironie, der seine Antihelden so sympathisch macht. Das funktionierte bei Hank Thompson schon wunderbar und auch mit Webster Goodhue funktioniert es prächtig. Web lümmelt eigentlich tagein tagaus auf dem Sofa in dem schmierigen Tattoostudio seines Freundes Chev herum, der immer wieder mittels kleiner Botengänge versucht, Web dazu zu animieren, mal den Hintern vom Sofa zu erheben – mit mäßigem Erfolg.

Web war vor seinem Sofa-Leben Lehrer, möchte diese Zeit aber lieber abhaken und vergessen. Für ihn gibt es kein Zurück mehr, aber da es sich ohne Geld schlecht lebt und man schließlich nicht ewig seine zugekiffte Mutter anschnorren kann, ergreift Web die Chance, die sich ihm durch Chevs Kumpel Po Sin bietet: Den Umstieg in eine gänzlich andere Branche.

Tatortreinigung ist eine Sparte, wie sie einfach wunderbar passend für einen echten Antihelden á la Charlie Huston ist. Ein Berufszweig, wie er eigentlich nur in den USA existieren kann. Wenn Po Sin und sein „Clean Team“ Gehirnmasse von Tapeten und Schränken kratzen, wirkt das so surreal wie in einem Film der Coen-Brüder. Charlie Hustons Romane haben die Angewohnheit, sich vor dem inneren Auge wie ein rasanter, schwarzhumoriger Kinofilm abzuspulen.

Die Geschichte, in die Web sich dank seines neuen Jobs verstrickt, gibt dem Plot einen Großteil seines Tempos. Web wird ohne viel eigenes Zutun in einen krummen Deal hinein gezogen, aus dem er nicht so leicht heraus kommt, ohne um irgendjemandes Leben fürchten zu müssen. Und so entwickelt sich eine rasante, nicht immer ganz unblutige Geschichte, die sich größtenteils spannend und temporeich liest und den Spannungsbogen bis zum Ende auf hohem Niveau hält, wenngleich Huston seinem Protagonisten diesmal eine längere Warmlaufphase gönnt, als beispielsweise noch in [„Der Prügelknabe“ 1469 .

Charlie Huston ist sicherlich nicht unbedingt ein Autor, der für seinen Tiefgang bekannt ist, aber er schreibt unterhaltsame, temporeiche Geschichten, die sich anfühlen wie Kinofilme. Auch „Das Clean Team“ reiht sich in die Reihe sympathischer Antihelden-Geschichten ein, die Huston mit der Hank-Thompson-Reihe angefangen hat, wenngleich „Das Clean Team“ im Vergleich zum Auftaktroman „Der Prügelknabe“ aus der Hank-Thompson-Reihe dann doch den Kürzeren zieht. „Der Prügelknabe“ und auch der Nachfolger [„Der Gejagte“ 1518 ist im Vergleich zu „Das Clean Team“ dann doch noch etwas rasanter und lässt auch Hustons Humor noch besser durchschimmern.

Bleibt unterm Strich ein durchaus guter Eindruck zurück. „Das Clean Team“ ist in jedem Fall ein unterhaltsamer, leicht schwarzhumorig angehauchter und sympathischer Antihelden-Roman. Dennoch wird der Eindruck dadurch etwas getrübt, dass man weiß, dass Huston es schon mal besser gemacht hat. Die drei Romane aus der Hank-Thompson-Reihe „Der Prügelknabe“, „Der Gejagte“ und [„Ein gefährlicher Mann“ 3142 legen die Latte auf jeden Fall sehr hoch und so schafft Huston es dann doch nicht ganz, das hohe Niveau seiner Vorgängerromane zu erreichen.

|Taschenbuch: 496 Seiten
ISBN-13: 978-3453407305
Originaltitel: |The Mystic Arts of Erasing all Signs|
Übersetzt von Alexander Wagner|
http://www.heyne.de/

Ward, Peter – Rubindrache, Der

Rokshan ist Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns in Marakanda. Er führt ein recht beschauliches Leben und hofft, nach Abschluss der Schule Sonderbotschafter zu werden. Doch dieser Traum wird jäh gestört, als der alte Geschichtenerzähler Shou Lao ihm eröffnet, er sei vom Schicksal dazu ausersehen, eine Reise zum Dhavan-Pass anzutreten, da das schlafende Böse erwache. Nicht, dass Rokshan mit dieser Erklärung etwas anfangen könnte, obwohl er in den alten Legenden wohl bewandert ist. Doch dann wird plötzlich sein Vater verhaftet, und so findet sich Rokshan schon bald tatsächlich in einer Karawane auf dem Weg zum Pamirgebirge wieder …

_Rokshan ist ein_ sehr gutherziger Kerl, der von all den seltsamen Ereignissen, die sich plötzlich so häufen, ziemlich verwirrt ist. Was ihn nicht daran hindert, genau das zu tun, was man von ihm erwartet. Mit anderen Worten, ein echter Klischeeheld. Naiv und gutgläubig lässt er sich von allen benutzen und wie ein Schaf zur Schlachtbank führen, wo er sich heldenmütig opfert. Ehrlich, die rebellischen Helden, die aus purem Trotz immer das Gegenteil von dem tun, was sie sollen, gingen mir in letzter Zeit ziemlich auf die Nerven. Aber seit ich Rokshan kenne, weiß ich, warum die Trotzköpfe erfunden wurden.

Sein Bruder An Lushan ist keinen Deut besser. Zwar ist er nicht so reinen Herzens wie Rokshan, aber dasselbe Schaf. Blind vor Naivität tappt er in die Falle und lässt sich verführen, wird zum Verräter an seiner Familie und an der gesamten Menschheit, nur um letzten Endes doch noch auf seine eigene Art und Weise heldenhaft über das Böse zu triumphieren, auch wenn es da längst zu spät ist, zumindest für den Rest der Welt.

Und dann wäre da noch Lianxang. Die Enkelin einer Schamanin aus den Nomadenstämmen im Nordwesten ist natürlich selbst auch eine zukünftige Schamanin und mit Abstand die sympatischste Figur in diesem Buch. Zwar ist sie teilweise ebenso naiv und edelmütig wie Rokshan, aber sie entwickelt zumindest ein gewisses Maß an Eigeninitiative und lässt sich nicht nur herum schubsen, ohne von irgendetwas Ahnung zu haben.

Nach dieser Darlegung muss ich wohl kaum explizit feststellen, dass die Charakterzeichnung in diesem Buch absolut enttäuschend war.

Dasselbe gilt auch für die Handlung. Eine gewisse Grundstruktur lässt sich durchaus erkennen: Während der eine Bruder auf die Reise geht, um die Welt zu retten, gerät der andere in die Fänge der Bedrohung und wird zum Werkzeug. Irgendwann treffen die beiden wieder aufeinander und es kommt zum Kampf.

Bedauerlicherweise ist die Geschichte so hölzern und unbeholfen erzählt, dass es eine wahre Tortur war, sie zu lesen! Nicht nur, dass Rokshan brav von Station zu Station reitet, um dort jeweils ein neues Bröckelchen Information aufzulesen, wie ein Huhn, dem man eine Spur Körner gestreut hat. Der ganze Ablauf diese Reise wirkt so unnatürlich steif, wie ich es nur selten erlebt habe. Rokshan erreicht eine Station, bekommt in einem kurzen Gespräch sein Häppchen serviert, denkt kurz nach und beschließt dann, genau das zu tun, was ihm aufgetragen wird, worauf er wieder aufbricht. Außerdem erwecken diverse Formulierungen den Eindruck von Flickschusterei, etwa, wenn Lianxang, nachdem sie eigentlich alle ihre Kräuter auf Befehl An Lushans verbrannt hat, plötzlich doch noch einen geheimen in ihren Kleidern eingenähten Vorrat auspackt, der vorher nirgends auch nur mit einem Wort erwähnt wurde.

Dazu kommt noch, dass die ganze Sache von dem alten Geschichtenerzähler aufgrund der Konstellation der Sterne und eines Rätsels ins Rollen gebracht wird. Beides wird mit absoluter Bestimmtheit auf eine gewisse Weise interpretiert, und niemand scheint auch nur eine Sekunde lang die geringsten Zweifel an der Richtigkeit dieser Interpretation zu haben. Was die Sterne angeht, wird ihre tatsächliche Konstellation nicht erwähnt. Das Rätsel dagegen ist wörtlich abgedruckt. Und was seine im Buch aufgeführte Bedeutung angeht, so muss ich sagen, dass sie mich nicht überzeugt hat. Für mich klangen diese Zeilen eher wie eine Sterbehymne der Kaiser, die – zumindest in dieser Geschichte – glaubten, nach ihrem Tode von Drachenpferden in den Himmel getragen zu werden. Aber nicht nach der Ankündigung einer ernsten Bedrohung, ganz gleich ob verschlüsselt oder nicht.

Zu guter Letzt hat mir auch der Hintergrund der Geschichte nicht gefallen. Sie beginnt im China des Jahres 818 in Marakanda, wie die Stadt bei den Griechen hieß. Und da fängt es schon an: Wieso sollte jemand in China eine Stadt bei ihrem griechischen Namen nennen? Tatsächlich hieß die Stadt im Jahr 818 Samarkand und lag nicht mehr in China, auch nicht in seinem teilautonomen Westteil, sondern im Reich der Abassiden, also in Persien.

Nun ist ein Mangel an Korrektheit in geschichtlichen Belangen selbst bei Historienromanen keine Seltenheit. Leider ist sie hier auch noch mit einem Mangel an Korrektheit in religiösen Belangen zusammengetroffen! Natürlich hat der Autor recht, wenn er im Nachwort äußert, die verschiedenen Religionen an der Seidenstraße hätten sich miteinander vermischt. Trotzdem mutet es seltsam an, wenn ein buddhistischer Mönch es als Strafe ansieht, wenn eine Seele aus dem Kreis der Wiedergeburt ausgeschlossen wird, denn eigentlich ist es ja das erklärte Ziel des Buddhisten, das Rad der ständigen Wiedergeburt irgendwann zu verlassen. Im Falle dieses Buches ist das allerdings tatsächlich nicht erstrebenswert, denn die der Wiedergeburt entrissenen Seelen landen in der Hölle, obwohl es die im Buddhismus gar nicht gibt. Die Absicht des Autors, alle an der Seidenstraße vertretenen Religionen in seine Geschichte einfließen zu lassen, führt zu einem unüberschaubaren Mischmasch, in dem der Schöpfungsmythos christliche Züge trägt, der oberste Gott jedoch Ahura Mazda heißt und die erschaffene Welt von taoistischen Göttern und chinesischen Mythenwesen belebt ist. Da ist der Leser fast erleichtert, dass Peter Ward auf die einzelnen Religionen gar nicht genauer eingeht, sondern größtenteils nur mit spezifischen Begriffen oder Persönlichkeiten um sich wirft.

Nun ist es ja nicht unbedingt verwerflich, die religiöse Vielfalt jener Region deutlich zu machen. Wenn der Autor sie denn auch deutlich gemacht hätte. Statt dessen verrührt er alles in einem großen Topf zu einer Megagesamtreligion, die jegliche Konturen verloren hat.

Zugegeben, an diesem Buch hatte ich eine Menge zu meckern. Und wenn ich schon mal dabei bin, muss ich an dieser Stelle auch noch erwähnen, dass die Karte vorne im Buch grottenschlecht ist! Wie in aller Welt kommt der Baikalsee in den Westen des Pamirgebirges??

_Sagen wir es so:_ Wer dieses Buch tatsächlich lesen will, der darf sich keinesfalls an so unwichtigen Details stören wie dem, dass die chinesischen Drachen hier Flügel haben oder dass Personennamen aus einem chinesischen Familiennamen, einem chinesischen Vornamen und dann noch einem indischen oder persischen Familiennamen bestehen; er darf sich nicht daran stören, dass die sprachliche Gestaltung nicht nur von grammatikalischen Fehlern strotzt, sondern auch nahezu völlig leblos die einzelnen Ereignisse nacheinander herunter spult; dass die Figuren jegliches Eigenleben vermissen lassen, da selbst ihre gelegentlichen Gedanken an frühere Freunde oder Verwandte, Träume oder Ziele so marionettenhaft daher kommen wie ihre Ausdrucksweise in den Dialogen; und dass die Handlung nur deshalb nicht völlig vorhersehbar ist, weil der wilde Religionsmix und die seltsame Deutung des Rätsels so wirr daher kommen, dass man sie kaum nachvollziehen kann.

Na gut, ich will nicht ungerecht sein: Auf den letzten achtzig Seiten kommt dann doch zumindest ein wenig Spannung auf. Die konnte mich aber kaum dafür entschädigen, dass ich mich dafür zuvor vierhundert Seiten lang durch eine sprachliche und inhaltliche Wüste quälen musste. Sie hat lediglich dafür gesorgt, dass ich das Buch überhaupt fertig gelesen habe.

_Peter Ward_ hat einen Teil seiner Kindheit in verschiedenen asiatischen Ländern verbracht und von dort eine bleibende Faszination für östliche Kulturen, insbesondere China, mitgebracht. Nach einem Studium in Philologie und Religionswissenschaften war er in der Medienbranche tätig, ehe er mit „Der Rubindrache“ seinen ersten Roman verfasste. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in London.

|Gebundene Ausgabe: 496 Seiten
ISBN-13: 978-3570136546
Originaltitel:| Dragon Horse|
Übersetzt von Gerold Anrich|

Platt, Richard – Mondlandung

Die Mondlandung am 20. Juli 1969 gehört zweifelsfrei zu den wichtigsten Ereignissen in der Geschichte der Menschheit, sowohl gesellschaftlich als auch historisch, vor allem aber politisch betrachtet. Als Neil Armstrong an besagtem Tag die Oberfläche des Mondes berührte und als erster Mensch dort landete, wo Kennedy acht Jahre zuvor eine neue Revolution in der Weltraumforschung propagierte, endete gleichzeitig ein ständiges Wettrüsten mit der Sowjetunion, im Nachhinein aber auch die Zeit von Zweifeln und Bedenken, ob die Bilder aus jener Zeit tatsächlich echt waren. Mit etwas Abstand wurden nämlich immer mehr Ungereimtheiten in die kritische Waagschale geworfen, die Armstrongs Meisterstreich in Frage stellten. Bis heute grassieren unterschiedlichste Verschwörungstheorien um dieses Thema – schlimm genug, wenn man bedenkt, welche Leistung die Forschung vor ziemlich genau 40 Jahren für sich verbuchen konnte!

Im schlicht „Mondlandung“ betitelten Jugendsachbuch werden das gesamte Procedere sowie die zugehörige Vorlaufgeschichte nun noch einmal nachempfunden. Beginnend mit den ersten Planungen über die gescheiterten Raketeneinsätze bis hin zum mehrteiligen Apollo-Projekt lässt man die Geschichte hier Revue passieren, und das in einer wahrhaftig spektakulären Inszenierung. Das im |Carlsen|-Verlag veröffentlichte Buch macht die Sache nämlich dank zahlreicher Pop-up- und 3D-Effekte erst lebendig. Die plastische Darstellung der Raketen und Kapseln macht die vielen Details in einer vergleichsweise simplen Darstellung auf Anhieb transparenter und gewährt zudem Einblicke in die Dinge, die anhand der üblichen Fotos nicht immer direkt in den Fokus rücken.

Der Auftakt mit den beiden Trägerraketen „Redstone“ und „Titan 2“ ist bereits grandios. Beim Aufschlagen der Seiten öffnet sich in der Mitte des Buches ein riesige dreidimensionales Objekt, das mit allen Einzelheiten aufwartet und auch ein Gefühl dafür weckt, wie massiv die Entwicklungen zu jener Zeit vorangetrieben wurden. Es folgt der unvermeidliche Schwenk zur Mondfähre aus dem Jahr 1969, eingeleitet von einem umfassenden Bericht über die Apollo-Forscher und einem kompletten Überblick über die Gesamtbesatzung aller 17 Apollo-Teams. Und wenn man dann die letzte Seite mit der Darstellung von Armstrongs erstem Schritt öffnet, bekommt man sogar ein bisschen Gänsehaut, da sich alles so nah und authentisch anfühlt – auch nach vier Dekaden, in denen die Raumfahrt längst weitere Meilenschritte gemacht hat.

So fantastisch das Buch aufbereitet ist, so gering ist aber schließlich der Informationsgehalt der beigelieferten Texte. „Mondlandung“ ist kein dicker Wälzer, geschweige denn ein ausreichend ausgebautes Sachbuch zum Thema Raumfahrt. Wer also vor der geplanten Investition glaubt, alle Fragen, seien es nun politische oder auch technische, würden ausreichend beantwortet, der wird ohne Zusatzlektüren oder Internet-Content nicht in vollem Maße informiert werden. Doch das ist auch nicht das eigentliche Ziel dieser Veröffentlichung; vielmehr geht es darum, die Entwicklung der Raumfahrt in den 60ern transparent zu machen und den Leser und Interessenten fühlen zu lassen, welche Schritte man in jener Zeit getan hat. Und es geht darum, die Laune für ein nach wie vor nahezu unglaubliches Thema zu wecken und eine lebhafte Einführung in die Materie zu geben, ohne dabei lediglich in die Präsentation von Fakten zu verfallen.

Beides ist an dieser Stelle fabelhaft gelungen und außerordentlich speziell transferiert worden. Zwar eignet sich das Ganze nicht für die ganz jungen Semester, da die 3D-Elemente sehr empfindlich und leicht zu beschädigen sind. Sollte man jedoch nach einem spannenden, wertvollen Geschenk für die Jahrgänge im ausgereiften Grundschulalter suchen, empfiehlt sich „Mondlandung“ an einer der ersten Positionen.

|ISBN-13: 978-3551185372|
http://www.carlsen.de

Interview mit Andreas Eschbach

_Buchwurm.info:_
Wie geht es dir? Hoffentlich gut! Was machst du zurzeit?

_Andreas Eschbach:_
Danke der Nachfrage, es geht mir recht gut, und wie eigentlich immer schreibe ich gerade – diesmal ist es der nächste Jugendroman, der wieder im |Arena|-Verlag erscheinen wird. Mehr kann ich darüber aber, wie üblich, noch nicht verraten.

_Buchwurm.info:_
Wie jedes Jahr hast du deinen Roman rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse veröffentlicht – das lukrativste Podium hierzulande. Diesmal heißt der Roman [„Ein König für Deutschland“. 5856 Warum und wie kritisierst du darin das bestehende deutsche Wahlrecht?

_Andreas Eschbach:_
Ich kritisiere nicht das deutsche Wahlrecht, ich kritisiere in hoffentlich ebenso unmissverständlicher wie überzeugender Weise die Idee, Wahlen mithilfe von Computern abzuhalten. Mein Roman erzählt in zugegebenermaßen grotesker Weise – aber wie kann man anders über Politik schreiben als in der Form einer Groteske? -, was passieren könnte, wenn man das tut und mal wirklich ein paar Dinge schieflaufen.

Wobei der Roman, wenn ich es zu entscheiden gehabt hätte, wenigstens zwei Monate früher erschienen wäre, nicht erst zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Aber so etwas entscheidet bekanntlich jeweils der Verlag.

_Buchwurm.info:_
Hoffst bzw. glaubst du, dass dein Roman ein klein wenig mehr zur Bewusstseinsbildung vor den Wahlen beigetragen hat? Schließlich hat die Piraten-Partei immerhin zwei Prozent errungen! Oder hatte deren Erfolg andere Gründe?

_Andreas Eschbach:_
Wem immer die Piraten-Partei das verdankt: Bestimmt nicht meinem Roman. Ich muss gestehen, ich weiß nicht mal, wofür die Piraten-Partei steht, und ehrlich gesagt finde ich eine politische Gruppierung, die sich so einen Namen gibt, suspekt. Was kommt als nächstes? Die Bankräuber-Partei? Die Panzerknacker-AG?

Was die Bewusstseinsbildung anbelangt, hatte ich eher den Eindruck einer gewissen Konvergenz zwischen dem allgemeinen und meinem persönlichen Denken, denn noch während ich an dem Roman geschrieben habe, hat das Bundesverfassungsgericht den Einsatz von Wahlcomputern verboten – zumindest mal die bisher verwendeten Geräte. Nachdem entsprechende Klagen in der Vergangenheit immer abgewiesen wurden, ist das zumindest ein Fortschritt.

_Buchwurm.info:_
In den Romanen „Ausgebrannt“, „Der Nobelpreis“ und „Eine Billion Dollar“ hast du ebenfalls reale Phänomene kritisch betrachtet. Ist als nächstes die Fußball-WM in Südafrika dran? Oder hat die strategische Themenauswahl andere Gründe und Zwecke? Wozu erzählt man?

_Andreas Eschbach:_
Ich erzähle, weil in mir eine Geschichte entstanden ist, die erzählt werden will. Und da ich ein Bewohner dieser Welt bin, sind es manchmal reale Begebenheiten, die die Entstehung einer Geschichte anregen. Die Abhängigkeit unseres alltäglichen Lebens von einem zur Neige gehenden, unersetzbaren Rohstoff wie dem Erdöl, zum Beispiel. Die Bedeutung des Geldes für unser Dasein. Und so weiter. Wenn das so aussieht, als wählte ich meine Themen »strategisch«, dann sieht das wirklich nur so aus. Ich habe jedenfalls keinen Zwanzigjahreskalender mit Jahrestagen, Olympischen Spielen und dergleichen an der Wand hängen, vor dem ich grüble, was wann ein »heißes Thema« werden könnte. Das würde auch gar nicht funktionieren.

Nein, es ist mein Ideen-Notizbuch, das jeweils bestimmt, was ich als nächstes schreibe. Diejenige Idee, die am weitesten gediehen ist, wird das nächste Projekt – ganz einfach.

_Buchwurm.info:_
Wie lange recherchierst du für so einen Roman – und wo bzw. womit? Wäre es nicht recht hilfreich, eine Uni in der Nähe zu haben?

_Andreas Eschbach:_
Och, ich habe eine Universität in der Nähe. Brest ist Universitätsstadt, die „Université de Bretagne Occidentale“ ist im Stadtbild unübersehbar. Das ist kein Problem. Überhaupt ist Recherche für mich kein Problem – wir leben schließlich im Informationszeitalter; wenn ich was rausfinden will, dann finde ich es auch heraus, und meistens dauert das nur ein paar Minuten und kostet nur ein paar Mausklicks.

Das Problem, das ich mit Recherche habe, ist, dass dieses Thema heutzutage wahnsinnig überbewertet wird. Wie oft lese ich „ein guter Roman, und so gut recherchiert!“ Das ist doch Stuss! Woher will ein Rezensent wissen, wie viel oder wie gut ein Autor recherchiert hat? Vielleicht hat er ja alles schon gewusst! Oder alles erfunden? Auch das wäre legitim, denn wenig ist für einen Roman unwichtiger als reale Fakten. Fakten können einen auf Ideen bringen, das stimmt. Und man nutzt bisweilen Fakten, um die geschilderte Handlung realistischer und damit packender erscheinen zu lassen. Aber das ist es dann auch schon. Ein Roman ist keine Reportage. Er ist Erfindung. Alles darin darf erfunden sein, und es kann trotzdem ein großartiger Roman sein. Umgekehrt kann ein Roman bis zum Hemdknopf der Hauptfigur und der Abfahrtszeit seines Zuges recherchiert und trotzdem grottenschlecht sein. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Oder anders gesagt: Ich würde lieber für meine Phantasie gelobt als für meine Recherche.

_Buchwurm.info:_
Schreibst du lieber Romane als Erzählungen? Es gibt ja auch einen Storyband von dir, der den Titel „Eine unberührte Welt“ trägt.

_Andreas Eschbach:_
Richtig. Und die einfache Antwort lautet: Ja, ich schreibe lieber Romane. Es ist auch schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal eine Story geschrieben habe. Ich schreibe lieber Romane, nicht zuletzt, weil ich das besser kann als Storys.

_Buchwurm.info:_
Du hast ja auch Romane für Jugendliche geschrieben, so etwa den fünfteiligen Marsprojekt-Zyklus, der sukzessive im Taschenbuch veröffentlicht wird. Wirst du diese Tradition fortführen?

_Andreas Eschbach:_
Na ja – das Wort „Tradition“ ist da jetzt vielleicht etwas stark. Ich schreibe eben ab und zu auch Romane für jugendliche Leser, aber das tue ich nicht, um irgendeine »Tradition« zu pflegen, sondern weil ich entsprechende Ideen habe. Solange ich die habe und man mich lässt, werde ich das vermutlich weiter machen.

_Buchwurm.info:_
Kannst du dir deine Romane und Erzählungen auch als Graphic Novel vorstellen?

_Andreas Eschbach:_
Ich kann mir viel vorstellen. Ist sozusagen mein Beruf.

_Buchwurm.info:_
Warum gibt es diese Grafikromane noch nicht?

_Andreas Eschbach:_
Weil das jemand anders machen muss, nicht ich. Sprich: Das ist eine Frage, die Du Comiczeichnern stellen musst.

_Buchwurm.info:_
Zurzeit kommen Multimedia-Romane auf, die dem Leser auch Videoclips im Internet liefern. Was hältst du von dieser Form der Literatur?

_Andreas Eschbach:_
Spielerei. Marketing-Gags. So was mag mal ganz lustig sein, aber die Zukunft des Romans ist es bestimmt nicht.

_Buchwurm.info:_
Hörbücher gibt es von deinen Mainstream- und Marsprojekt-Romanen sowie von zwei Storys („Eine Trilion Dollar“ und „Die Wiederentdeckung“). Würdest du dir auch Hörbücher von deinen ersten phantastischen Romanen wie „Die Haarteppichknüpfer“, „Solarstation“ und „Quest“ wünschen?

_Andreas Eschbach:_
Also – ich bin nicht der Hörbuchtyp. Mir würde nichts fehlen, gäbe es keine. Es sind andere, die sich Hörbücher wünschen, und warum sollte ich etwas dagegen haben? Aber meine eigenen Hörbücher sind die einzigen, die ich mir anhöre. Wobei ich finde, dass Ulrich Noethen, der schon „Ausgebrannt“ glänzend gelesen hat, sich im „König für Deutschland“ noch einmal übertrifft.

Was mir allerdings, um das auch mal loszuwerden, sauer aufstößt, ist, dass es immer mehr Rezensionen gibt, deren Verfasser mich in aller Öffentlichkeit kritisieren, ich hätte dieses oder jenes nicht erklärt oder zu Ende gebracht, und ich denke dann, wieso? Hab ich doch! Bis ich draufkomme, dass diese Leute sich nur das Hörbuch angehört haben, anstatt das Buch zu lesen. Und sich nicht klar machen, dass praktisch alle Hörbücher gekürzte Fassungen sind. Dass da mal was unter den Tisch fällt, sollte nicht überraschen.

_Buchwurm.info:_
Der amerikanische Markt ist für einen deutschen Autor von großer Bedeutung …

_Andreas Eschbach:_
Nein. Wie kommst du auf diese Idee? Der deutsche Markt ist für einen deutschen Autor von großer Bedeutung. Der amerikanische Markt kann sehr gut für sich selber sorgen.

_Buchwurm.info:_
Welchen Erfolg hast du denn jenseits des Großen Teiches? Orson Scott Card hat dich ja ebenfalls empfohlen.

_Andreas Eschbach:_
Ja, und ohne diese Empfehlung wäre nichts aus der amerikanischen Ausgabe der „Haarteppichknüpfer“ geworden. Die hat erstaunlich viele und vorwiegend sehr gute Kritiken erhalten – man könnte unbescheiden auch das Wort „enthusiastisch“ verwenden -, ich erhalte immer wieder Mails von Lesern aus den USA, Großbritannien oder Australien, die nach mehr fragen – aber leider waren die Verkaufszahlen offenbar nicht so, dass sich der Verlag zu weiteren Übersetzungen ermutigt gesehen hat.

Nichtsdestotrotz geht immer wieder was. Zurzeit bin ich in zwei Anthologien mit Kurzgeschichten vertreten. Und unabhängig davon bin ich grundsätzlich zuversichtlich, denn dass Bücher wie »Jesus Video« oder »One Trillion Dollars« in den USA unverkäuflich sein sollen, kann man sich ja nun beim besten Willen nicht vorstellen. Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Verleger drüben das merkt …

Okay, und natürlich ermutigt die aktuelle Krise niemanden zu Experimenten. Die amerikanischen Verlage schon gar nicht, die davon wesentlich [härter; Erg. d. Red.] getroffen worden sind als die europäischen.

_Buchwurm.info:_
Inspiriert dich deine Wahlheimat Bretagne nicht dazu, dich mal an einem Fantasyroman für Young Adults zu versuchen?

_Andreas Eschbach:_
Bis jetzt nicht. Aber man soll nie „nie“ sagen. Ich schon gar nicht …

_Buchwurm.info:_
Was sind deine liebsten Freizeitbeschäftigungen in der Bretagne (mal vom Reisen nach Übersee abgesehen)?

_Andreas Eschbach:_
Aber Michael! Du weißt doch genau, dass ein Schriftsteller keine Freizeit hat. Oder nur Freizeit, je nachdem. Wie ein Kriminalkommissar ist man immer im Dienst, Tag und Nacht,

_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Woran arbeitest du gerade? (Kreative Leute arbeiten ja immer an irgendetwas.)

_Andreas Eschbach:_
Das neue Jugendbuch, erster Band einer neuen Reihe, von der ich mir viel verspreche, habe ich ja schon erwähnt. Da liegt die Arbeit allerdings schon weitgehend hinter mir. Das Projekt, an dem ich gerade konzipiere, wird der nächste Roman bei |Lübbe| – und nein, er wird nicht von der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika handeln …

http://www.andreaseschbach.de

_Mehr von Andreas Eschbach auf |Buchwurm.info|:_

[Ein König für Deutschland 5856
[Der Nobelpreis 2060
[Ausgebrannt 3487
[Ausgebrannt – Hörbuch 4942
[Quest 1459
[Die Haarteppichknüpfer 1556
[Das Jesus-Video – Hörbuch 267
[Der letzte seiner Art 1250
[Der letzte seiner Art – Hörbuch 317
[Eine Billion Dollar 653
[Exponentialdrift 187
[Das Marsprojekt – Das ferne Leuchten (Bd. 1) 1102
[Das Marsprojekt – Die blauen Türme (Bd. 2) 1165
[Das Marsprojekt – Die gläsernen Höhlen (Bd. 3) 2484
[Das Marsprojekt – Die steinernen Schatten (Bd. 4) 4301
[Das Marsprojekt – Die schlafenden Hüter (Bd. 5) 5266
[Die seltene Gabe 1161
[Perfect Copy 1458

Remes, Ilkka – Operation: Ocean Emerald

In der Remes-Chronologie ist „Operation: Ocean Emerald“ eigentlich das Kriminal-Debüt seiner Jugendbuchserie. Nachdem die Eindrücke des Zweitwerks aus dieser Reihe jedoch nicht ganz so stark waren wie in den regulären Thriller-Werken des finnischen Bestseller-Autors, waren natürlich einige Zweifel angebracht, was die erste Geschichte um Hauptakteur Aaro Nortamo betrifft. Doch erstaunlicherweise fügen sich die Dinge im ersten jugendlichen Output viel harmonischer zusammen als in der etwas durchwachsenen Nachlese, so dass Chronologie-Brüchige sich nicht abhalten lassen sollten, auch hier mal einen Blick oder zwei zu riskieren!

_Story_

Eigentlich hätte alles so schön sein können: Nachdem Aaro und sein bereits erwachsener Freund Niko die Papiere einer französischen Touristin beim Fund eines rätselhaften Koffers aufspüren, beschließt das Duo, den Fund alsbald in Geld umzusetzen. Aaro erfährt, dass sich die Dame an Bord der |Ocean Emerald|, einem Kreuzfahrtschiff, das gerade in Helsinki angelegt hat, befinden soll, und schleust sich selbst auf dem Luxusliner ein, um die Prämie zu kassieren.

Doch bevor sich der Sohn des gewieften Interpol-Mitarbeiters Timo Nortamo versieht, gerät er in die Fänge einer Verbrecherorganisation, die Unmengen an Sprengstoff auf das Schiff geschafft hat und nun droht, es in die Luft zu sprengen. Mit ein wenig Geschickt gelingt es Aaro zwar, das Funkverbot zu umgehen und Timo eine Nachricht zu senden, aber mit jeder weiteren Seemeile, die die |Ocean Emerald| hinter sich lässt, gerät das Kreuzfahrtschiff mehr zur tickenden Zeitbombe – und niemand weiß wirklich, was die Bande im Schilde führt und welche Motive hinter dem angedrohten Anschlag stehen …

_Persönlicher Eindruck_

Obschon der Anfang von „Operation: Ocean Emerald“ ähnlich zäh verläuft wie im nachfolgend aufgelegten [„Schwarze Kobra“, 5937 erhält man viel schneller Zugang zu den Hauptcharakteren und lernt derweil auch, den zuletzt eher stumpf ausgearbeiteten Aaro Nortamo relativ bald in seiner Funktion als jugendlicher Hauptermittler und risikofreudiger Held zu akzeptieren – und zu schätzen. Der junge Nortamo handelt zwar manchmal kopflos und hat bei seinen riskanten Manövern auch immer das Quäntchen Glück, das in einem Erwachsenenroman sicherlich nicht so gebündelt auftreten würde, schafft es aber nun viel besser, die Handlung auf seinen Schultern zu tragen.

Remes spielt seinem Liebling diesmal aber auch viel bessere inhaltliche Pässe zu; die gesamte Situation wirkt bedrohlicher, einfach ernsthafter strukturiert, so dass man selbst in den flotteren, actionbetonten Passagen des Romans nicht ständig auf ein Happyend fixiert ist. Die Geschichte bekommt einige unberechenbare Züge, die unter anderem auch auf die akzentuierter ausgearbeiteten Wechsel zurückzuführen sind. Das Blatt wendet sich gleich mehrfach, und auch wenn man mit Aaro mitfiebert, sieht man sich als Leser immer wieder neuen Ausgangssituationen ausgesetzt, durch deren stete Brisanz das Spannungsniveau die gewohnten Remes-Höhen erreicht. Insofern ist bei „Operation: Ocean Emerald“ also schon mal alles im Lot.

Die Story selber bietet ein ganz anständiges Potenzial, wenngleich sie durch die jugendlichere Sprache und die nur geringfügig ausgeprägte Komplexität des Handlungsapparats natürlich noch einmal entschärft wird. Allerdings bekommt man nie den Eindruck, dass hier zunächst die Zielgruppe und erst dann die Story im Fokus stand, als das Manuskript erarbeitet wurde. Und dieser Punkt wirkt sich noch einmal zusätzlich auf die Harmonie aus, mit der die Story voran fließt, und die auch dafür bürgt, dass das komplette Konstrukt schlüssig und – vor dem Hintergrund eines Jugendbuchs – gleichzeitig knallhart ist! Gerade dieser harte finnische Akzent, den Remes in „Operation: Ocean Emerald“ kaum dezenter einarbeitet als in seinen brutaleren Thriller, ist es, der hier den Grundstein für ein typisches Werk dieses Autors legt und dessen gute Handschrift würdig vertritt. Na also, geht ja doch!

Vielleicht ist es daher auch gut, dass der Rezensent die beiden Jugendbücher aus Remes‘ Feder in der genannten Reihenfolge gelesen hat, denn anders herum wäre die Enttäuschung wohl zu groß gewesen. Fakt ist, und das zeigt „Operation: Ocean Emerald“ ganz deutlich, dass der finnische Star-Schreiber sich auch im Jugendbuch-Sektor heimisch fühlt und in seinem ersten Buch vor diesem Hintergrund gleich voll und ganz überzeugt!

http://www.ilkka-remes.de
http://www.dtv.de
http://www.ilkkaremes.com

_Mehr von Ilkka Remes auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Erbe des Bösen“ 5468
[„Ewige Nacht“ 2039
[„Das Hiroshima-Tor“ 2619
[„Blutglocke“ 3911
[„Höllensturz“ 3951
[„Hochzeitsflug“ 5689
[„Schwarze Kobra“ 5937